BTI 2018 | Tyranneika - Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika - Bertelsmann Stiftung's Transformation Index

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BTI 2018 | Tyranneika - Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika - Bertelsmann Stiftung's Transformation Index
BTI 2018 | Tyranneika
Regionalbericht
Naher Osten und Nordafrika
Von Jan Claudius Völkel*

Überblick zu den Transformationsprozessen in Ägypten, Algerien, Bahrain, Irak, Iran, Jemen,
Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Oman, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Tür-
kei, Tunesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten

Dieser Regionalbericht analysiert die Ergebnisse des Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI)
2018 im Untersuchungszeitraum vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2017. Weitere Informationen fin-
den Sie unter www.bti-project.de.

Zitiervorschlag: Jan Claudius Völkel, Tyranneika. BTI 2018 — Regionalbericht Naher Osten und Nordafrika,
Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2018.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

* Dr. Jan Claudius Völkel ist Marie Skłodowska-Curie Fellow an der Vrije Universiteit Brussel, Institute for
European Studies, und BTI-Regionalkoordinator für Naher Osten und Nordafrika.
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Einleitung
In den meisten Ländern des Nahen Ostens und Nordafrika herrschen Despotie, Willkür und Barbarei.
Die regionalen Durchschnittswerte für politische und wirtschaftliche Transformation sowie für Re-
gierungsqualität sind allesamt sogar noch unter das sehr niedrige Niveau aus der Zeit vor den arabi-
schen Aufständen 2010/2011 gefallen. Dies betrifft die Bürgerkriegsländer Jemen, Libyen und Sy-
rien in besonderem Maße, aber auch vormals gut bewertete Länder wie insbesondere die Türkei ha-
ben stark an Transformationsleistungen eingebüßt. Die allermeisten Regime haben ihre Herrschaft
nach den Umbruchtendenzen vor sieben Jahren wieder gefestigt. Dies geht einher mit einer massiven
Einschränkung demokratischer Prinzipien, bürgerlicher Freiheiten und sozial gerechter Wirtschafts-
teilhabe.

Die regionalen Durchschnittswerte im BTI 2018 sind in allen Demokratie- und Governance-Kriterien
auf absolute Allzeittiefs gesunken. Von besonderer Dramatik ist dabei die Entwicklung der Türkei,
die unter Führung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan viele Aspekte ihrer ehemaligen demo-
kratischen Qualität dem verkündeten Kampf gegen die „inneren wie äußeren Feinde der Türkei“
geopfert hat. Waren Verschlechterungstendenzen bereits im BTI 2016 im Nachgang der Gezi-Pro-
teste 2013 erkennbar, wurden insbesondere nach dem erfolglosen Putschversuch vom Sommer 2016
zahlreiche grundlegende Eigenschaften der Demokratie eingeschränkt. Im BTI 2018 wird die Türkei
als „stark defekte Demokratie“ geführt, steht in mehreren Indikatoren allerdings kurz vor der Abstu-
fung zur Autokratie. Die Auswirkungen des Referendums vom April 2017 zur Umstrukturierung der
Türkei in eine Präsidialrepublik werden möglicherweise dazu führen, dass die Türkei demokratische
Mindeststandards unterschreitet.

Eine zweite beunruhigende Entwicklung betrifft den Libanon. Bis zum Aufstieg Tunesiens nach
2011 stellte das Land die einzige arabische Demokratie dar, besitzt mittlerweile aber aufgrund der
seit 2013 wiederholt verschobenen Parlamentswahlen keine ausreichend demokratisch legitimierte
Legislative mehr und wird deswegen erstmals im BTI als „moderate Autokratie“ geführt. Wichtig zu
betonen ist, dass diese Abstufung einzig an der nicht mehr ausreichenden Bewertung des Indikators
„Freie und faire Wahlen“ liegt. Sobald die ausstehenden Parlamentswahlen durchgeführt werden,
und sofern diese demokratischen Standards genügen, hat der Libanon wieder alle Chancen, in den
Kreis der BTI-Demokratien aufgenommen zu werden. Die Einigung auf ein neues Wahlgesetz im
Juni 2017 ist jedenfalls ein ermutigendes Zeichen, dass 2018 die überfälligen Parlamentswahlen tat-
sächlich durchgeführt werden.

Tunesien hat hingegen seine demokratischen Errungenschaften im Berichtszeitraum konsolidiert und
ist nach dem Absturz der Türkei das mit großem Abstand demokratischste Land der Region. Die
politischen Fortschritte werden allerdings nach wie vor von großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten
begleitet. Die ökonomische Perspektivlosigkeit insbesondere junger Leute und das starke Entwick-
lungsgefälle zwischen dem touristisch erschlossenen Küstenstreifen und dem ländlichen Hinterland
sind von drängender Relevanz. Deren Lösung wird zentral für die weitere Entwicklung des bislang
einzigen „Erfolgslands“ des Arabischen Frühling sein. Auch regionsweit ist die wirtschaftliche
Transformation ins Stocken geraten. Verschlechterungen haben sich nicht nur in den von Bürger-
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kriegen betroffenen scheiternden Staaten – Jemen, Libyen, Syrien – ergeben, sondern auch in wirt-
schaftlich ehemals stabilen Ländern wie der Türkei oder Kuwait. Verbesserungen wurden im be-
scheidenen Umfang lediglich im Iran nach dem erfolgreichen Abschluss des Atomabkommens und
im Irak nach der Zurückdrängung des „Islamischen Staates“ erreicht.

Diese wenigen positiven Ausnahmen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Region
Naher Osten und Nordafrika als Gesamtes nach wie vor, und mehr denn je, in einer Transformati-
onskrise steckt. Die Daten des aggregierten Status-Indexes, in dem die politische und die wirtschaft-
liche Transformation zusammengefasst sind, geben wenig Anlass zu Optimismus: mit einem regio-
nalen Durchschnittswert von 4,35 steht die Region auf einem Allzeittief und ist auch schlechter als
alle anderen BTI-Regionen je gewesen sind, einschließlich der wirtschaftlich deutlich schlechter ein-
gestuften Regionen Subsahara-Afrikas.

Diese ernüchternde Bilanz wird durch die Daten aus dem BTI-Governance-Index verstärkt. Keines
der MENA-Länder erreicht Platzierungen in den beiden BTI-Topkategorien der „sehr gut“ oder we-
nigstens „gut“ geführten Länder. Stattdessen sind die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Katar
als Bestplatzierte der Region im globalen Maßstab nicht mehr als Mittelmaß, gefolgt von Tunesien
und Jordanien mit noch akzeptablen Werten. Der Rückgang des regionalen Durchschnittswertes re-
flektiert dabei zwei parallele Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren in nahezu allen Ländern
der Region zeigen: zum einen nimmt die Regierungsqualität als solche ab, zum anderen ziehen die
Regierungen aber zugleich zunehmend Kompetenzen an sich, die klassischerweise nicht von ihnen
ausgeübt werden. Parlamente beispielsweise werden in die Gesetzgebung nur marginal eingebunden,
und auch der Raum für bürgerschaftliches Engagement wird beständig kleiner. Gleich sieben Länder
wurden hinsichtlich der Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteuren in die politischen Prozesse
schlechter bewertet als im BTI 2016, aber keines besser. Die Türkei, im BTI 2016 noch das mit
Abstand bestgeführte Land der Region, stürzt im Governance-Index deutlich ab und findet sich fortan
nur noch auf Platz 5 im regionalen Vergleich. Der regionale Niedergang zeigt sich auch darin, dass
mehr als die Hälfte der Länder der Region – Ägypten, Bahrain, Iran, Jemen, Libanon, Libyen, Ma-
rokko, Oman, Saudi-Arabien, Sudan und Syrien – sich in den beiden schlechtesten Kategorien des
BTI-Governance-Indexes befinden mit einem nur „schwachen“ oder gar „gescheiterten Transforma-
tionsmanagement“.

Politische Transformation
Das wiederholt für seine demokratischen Erfolge zu Recht gefeierte Tunesien hat die zwei Jahre des
Berichtszeitraum bis Anfang 2017 für eine Konsolidierung seiner politischen Transition genutzt. Mit
einer Verbesserung um 0,20 Punkte auf nun 6,50 führt das Land die Region mit deutlichem Abstand
vor der Türkei an, die mit einem Wert von 5,55 nur noch als „stark defekte Demokratie“ geführt
wird. Der Libanon hat aufgrund mehrmaliger absichtsvoll verschobener Parlamentswahlen das Min-
destmaß an demokratischer Qualität verfehlt und ist deswegen als „gemäßigte Autokratie“ eingeord-
net. Die Vereinigten Arabische Emirate sind aufgrund minimaler Verbesserungen in den Kreis der
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moderaten Autokratien zurückgekehrt. Der Jemen, Libyen und Syrien gelten aufgrund ihrer nicht
ausreichenden Staatlichkeit als zerfallende Staaten.

Tab. 1: Entwicklungsstand der politischen Transformation

Die Türkei wurde aufgrund der Autokratisierungstrends unter Präsident Erdoğan in 17 von 18 Indi-
katoren des BTI-Demokratieindexes abgewertet. Den stärksten Rückgang verzeichnete die Türkei
dabei beim Indikator „Akzeptanz demokratischer Institutionen“, wo das Land von einer vormaligen
9 auf eine 5 abstürzte. Hier zeigt sich das momentane Dilemma der Türkei, nämlich das Phänomen,
dass ein demokratisch gewählter Präsident selber zunehmend undemokratisch agiert und den demo-
kratischen Institutionen keinerlei Respekt mehr entgegenbringt. Dies wurde 2015 offensichtlich, als
die regulären Parlamentswahlen in der ersten Jahreshälfte zunächst ein Ende der absoluten Mehrheit
der Regierungspartei AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung)
ergaben. Nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen wurden Neuwahlen im Herbst 2015 herbeige-
führt, in deren Vorlauf die zuletzt erstarkte HDP (Halkların Demokratik Partisi, Demokratische Par-
tei der Völker), die vor allem kurdische Interessen vertritt, stark benachteiligt wurde. Als Ergebnis
konnte die AKP ihre absolute Parlamentsmehrheit wiedergewinnen. Dies ermöglichte Erdoğan, die
eigene politische Agenda auch auf Kosten ehemaliger Mitstreiter rücksichtslos durchzusetzen. Be-
sonnene Vertreter der AKP wie der frühere Staatspräsident Abdullah Gül oder der frühere Premier-
und Außenminister Ahmet Davutoğlu haben sich aus der aktiven Politik zurückgezogen und spielen
innerhalb der Partei keine Rolle mehr.

Die rigiden Maßnahmen im Nachgang des gescheiterten Putschs vom Juni 2016 mit der Ausrufung
des Ausnahmezustands haben die Türkei in vielen Bereichen an den Rand des demokratisch Vertret-
baren gebracht, wenn nicht sogar darüber hinaus. Zehntausende, darunter Lehrer, Professoren, Rich-
ter und Polizisten, wurden der Konspiration bezichtigt und aus dem Staatsdienst entfernt. Die Zahl
der politisch Gefangenen geht ebenfalls in die Zehntausende, darunter auch viele Journalisten und
NGO-Mitarbeiter, etliche sind inhaftiert ohne ordentliche Anklage und ausreichenden Rechtsschutz.
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Um mögliche Konsequenzen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zu umgehen, setzte
die Regierung diese im Juli 2016 aus.

In der Summe ist die Türkei mit ihrer Abwertung um 1,70 Punkte das Land, das vom BTI 2016 zum
BTI 2018 am meisten herabgestuft wurde. Zum Vergleich: Uganda, das Land mit der zweitstärksten
Abwertung, verlor 1,17 Punkte. Auch dies zeigt die Dramatik der Entwicklung im EU-Beitrittskan-
didaten.

Der Libanon hat ebenfalls starke Abstufungen in seinem Demokratieniveau (-0,83) hinnehmen müs-
sen und erstmals seine Einstufung als „stark defekte Demokratie“ eingebüßt. Grund dafür sind die
wieder und wieder verschobenen Parlamentswahlen. Eigentlich hätte turnusgemäß im Jahre 2013
bereits das Parlament gewählt werden müssen. Die Abgeordneten der damaligen Nationalversamm-
lung konnten sich allerdings nicht auf ein neues Wahlgesetz einigen und beschlossen deswegen, die
Parlamentswahlen um zunächst 17 Monate zu verschieben. Diese offenkundige Missachtung demo-
kratischer Grundregeln führte bereits im BTI 2016 zu einer schlechteren Bewertung der Wahlquali-
tät. Nachdem die Wahlen zwei weitere Male verschoben wurden und der Libanon auch 2017 immer
noch kein neu gewähltes Parlament hat, sieht der BTI demokratische Mindeststandards nicht mehr
gewährleistet, so dass der Libanon nun als moderate Autokratie geführt wird. In Abwandlung des
sonst für den Libanon oft gebrauchten Terminus „Konsensdemokratie“ könnte man das Land unter
den gegenwärtigen Bedingungen also eher als „Konsensautokratie“ bezeichnen.

Des Weiteren ist eine zunehmende Verselbstständigung der Hizbullah zu konstatieren, die die Gunst
der Stunde nutzte, im Syrienkrieg eigenhändig einzugreifen und auch innerhalb des Libanon zuneh-
mend ohne Kontrolle der regulären Sicherheitsorgane zu agieren. Insgesamt orientieren sich viele
Libanesen ausgeprägter an ihrer religiösen Zugehörigkeit, eine Entwicklung, die sowohl die natio-
nale Identität wie auch das Sozialkapital schwächt. Auch aufgrund der hohen Zahl von Flüchtlingen
im Land ist die staatliche Verwaltung überfordert, Schulen beispielsweise arbeiten am Rande ihrer
Kapazitäten.

Tunesien hat im Unterschied zu den Vorjahren zwar keine massiven Verbesserungen mehr erzielen
können, aber immerhin sein Niveau als „defekte Demokratie“ konsolidiert. Nach dem Abstieg der
Türkei und des Libanons ist Tunesien nun unangefochten das demokratischste Land der Region und
immerhin auf Platz 44 im BTI-Gesamtklassement. Bedenklich sind Einschränkungen von Grund-
rechten, die mit der Verabschiedung des im Nachgang zu den Attentaten auf das Bardo-Museum und
auf Touristen am Strand von Sousse im November 2015 verabschiedeten Antiterrorgesetzes einher-
gehen. Bereits zuvor, im Juli 2015, hatte das Parlament die Wiedereinführung der Todesstrafe in
besonders schweren Fällen beschlossen.

Starke Veränderungen zum Negativen erfuhr der Jemen, der im Berichtszeitraum förmlich kolla-
bierte. Der BTI-Länderbericht beschreibt die „humanitäre Katastrophe“, der viele seiner Bewohner
ausgeliefert sind. In Reaktion auf den Vormarsch der Huthi-Rebellen auf die Hauptstadt Sanaa und
die Flucht von Präsident Abd Rabbu Mansour Hadi im März 2015 begann Saudi-Arabien im gleichen
Monat, militärisch im Jemen einzugreifen. Die Folge war der Tod von rund 10.000 Menschen und
die Vertreibung von mindestens zwei Millionen Menschen, sowie die weitgehende Zerstörung der
Infrastruktur. Armut und Mangelernährung breiteten sich in erschreckendem Maße aus, etwa 2,1
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Millionen jemenitische Kinder gelten als unterernährt. Das Land ist de facto gespalten zwischen den
Gebieten, die von den Huthi-Rebellen kontrolliert werden und den Gebieten, die offiziell dem aus
Saudi-Arabien operierenden, auch international anerkannten Präsidenten Hadi gesteuert werden. Die
Situation wird durch die Machenschaften internationaler Terrororganisationen wie „al-Qaida auf der
Arabischen Halbinsel“ (AQAP) und dem „Islamischen Staat“ (IS) sowie den Separationstendenzen
im ehemaligen Südjemen verschärft.

Die beiden Terrororganisationen, von denen der „IS“ inzwischen die deutlich aggressivere ist, wur-
den derweil in Libyen und Syrien, den beiden anderen „gescheiterten“ Staaten der Region, territorial
etwas zurückgedrängt. Gleiches gilt für den Irak. Was zunächst nach einer guten Nachricht klingt,
bringt für die betroffene Zivilbevölkerung jedoch auch zusätzliches Leid, denn kampflos geben sich
die Truppen des „IS“ nicht geschlagen: Wohngebiete werden vermint, Menschen werden als Geiseln
gehalten oder auf der Flucht erschossen. Zudem begehen auch die vorrückenden Milizen und natio-
nalen Armeeeinheiten grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

Die irakische Regierung unter Premierminister Haider al-Abadi stabilisierte sich leicht und unter-
nahm Schritte zur Reduzierung der chronischen Korruption und des Amtsmissbrauchs, unter ande-
rem durch 2016 begonnene Trainingsprogramme des UNDP. Libyen besteht weiterhin de facto aus
zwei getrennten Territorien und Regierungen, mit dem in Ostlibyen herrschenden General Khalifa
Haftar und dem in Westlibyen regierenden Premierminister Khalifa Ghwell. Unter Vermittlung der
Vereinten Nationen wurde diesen Machtzentren im März 2016 der „Presidential Council“ unter Füh-
rung von Fayez al-Sarraj in Tripolis übergeordnet. Diese „Regierung der nationalen Einheit“ wird
aber nur teilweise von den rivalisierenden Gruppen anerkannt und ist überdies starken internen Span-
nungen ausgesetzt. Nach wie vor agieren zahlreiche Milizen unabhängig und tragen zu einer ausge-
prägten Rechtsunsicherheit bei. Während es kaum staatsübergreifenden sozialen Zusammenhalt gibt,
haben sich jedoch auf lokaler Ebene zunehmend Menschen zusammengefunden, um ihr Schicksal in
die eigenen Hände zu nehmen. Dies ist neben der Vertreibung des „IS“ aus einigen Küstengebieten
rund um die Stadt Sirte der zweite leichte Hoffnungsschimmer für das Land, dessen Zukunft ansons-
ten nach wie vor völlig ungewiss ist.

Alle weiteren Länder der Region haben kaum nennenswerte Veränderungen im Demokratie-Ranking
des BTI 2018 erfahren. Jordanien verbesserte sich um 0,33 Punkte, da die Parlamentswahlen 2016
nach Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes professioneller durchgeführt wurden. Zudem gibt
ein neues Dezentralisierungsgesetz Hoffnung auf eine weitere Stärkung der Kommunen; die Trink-
wasserversorgung wurde bereits verbessert.

Kuwait, die liberalste aller arabischen Monarchien, verbesserte sich ebenfalls leicht. Die im Novem-
ber 2016 durchgeführten Parlamentswahlen führten zum Wiedereinzug der vorher die Wahlen boy-
kottierenden Muslimbrüder sowie der Salafisten in die „Majlis al-umma“, wo sie nun fast 50% der
Sitze innehaben. Zugleich aber schränkte Kuwait im Februar 2016 die Meinungsfreiheit durch ein
neues Gesetz zur Regelung elektronischer Medien ein, wonach sämtliche Onlinepublikationen von
der Regierung lizensiert werden müssen.
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Für den Iran unter Präsident Hassan Rouhani stellte der Abschluss des Atomabkommens (Joint Com-
prehensive Plan of Action, JCPOA) im Juli 2015 einen wesentlichen Erfolg dar. Nicht weniger wich-
tig waren aber auch die Parlamentswahlen im Februar 2016, die trotz massiven Widerstands der
klerikalen Eliten und des allgegenwärtigen Wächterrats den reformorientierten Abgeordneten eine
satte Mehrheit bescherten und den Reformkurs von Rouhani bestätigten. Gleichwohl sind Rouhanis
innenpolitische Erfolge angesichts ultrakonservativer Widerstände bislang bescheiden; dennoch
schenkte ihm eine überzeugende Mehrheit der Wähler auch ihr Vertrauen bei den Präsidentschafts-
wahlen im Mai 2017.

Vier Länder schließlich verzeichneten weitere Verschlechterungen ihrer ohnehin niedrigen Trans-
formationsniveaus: Oman (-0,22), Ägypten (-0,23), Bahrain und Sudan (beide jeweils -0,25) zemen-
tierten ihren Status als harte Autokratien durch weitere Einschnitte bei Meinungsfreiheit (Ägypten,
Oman), Wahlqualität (Ägypten, Sudan), Organisations- und Versammlungsfreiheit (Bahrain) sowie
Gewaltenteilung (Bahrain, Sudan). Ägypten hat seit Januar 2016 wieder ein Parlament, nachdem
2012 die damals von den Muslimbrüdern dominierte Kammer vom Obersten Gerichtshof aufgelöst
worden war und die Neuwahlen bis Ende 2015 wiederholt verschoben wurden. Dieses Parlament
erfüllt jedoch keinerlei demokratische Mindestanforderungen und unterstützt Präsident Abdel Fattah
al-Sisi uneingeschränkt.

In der Summe ist die politische Transformation der Region Naher Osten und Nordafrika auf das
schlechteste Niveau aller Zeiten gefallen: ein regionaler Durchschnitt von 3,65 ist fern jeglicher
Hoffnung auf politische Freiheit und menschliche Würde, für die so viele Demonstranten im Jahr
2011 auf die Straßen gegangen waren. Sorgen machen dabei nicht nur die zwölf harten Autokratien
am Ende der BTI-Rangliste, sondern auch die Negativtrends im Libanon und vor allem in der Türkei.
Tunesien ist das einzige Land, das in der Region wenigstens als „defekte Demokratie“ bezeichnet
werden kann. Millionen von Bürgern in den anderen Ländern leiden derweil mehr denn je unter
Willkür und Repression.

Wirtschaftliche Transformation
Auch im Ranking der wirtschaftlichen Transformation verschlechterte sich die Gesamtregion um
0,22 Punkte auf den bis dato niedrigsten Stand von 5,04 Punkten. Gleich drei Länder büßten so stark
an ökonomischem Transformationsniveau ein, dass sie auch kategorial schlechter eingestuft wurden:
die Türkei und Kuwait sind nur noch „Marktwirtschaften mit Funktionsdefiziten“, der Jemen zählt
fortan als „rudimentäre Marktwirtschaft“. Somit vergrößerte sich die Kluft zwischen den beiden ent-
wickelten Marktwirtschaften in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar sowie den restlichen
17 Ländern der Region, von denen sich keines mehr in der zweitbesten Klassifikation der „funkti-
onsfähigen Marktwirtschaften“ befindet. Dies ist insbesondere angesichts der fast überall nach wie
vor teils rapide steigenden Bevölkerungszahlen bedenklich. In den 19 Ländern der Region lebten
nach Angaben der Weltbank im Jahr 2015 etwa 497,5 Millionen Menschen, verglichen mit 435 Mil-
lionen im Jahr 2005, also ein Zuwachs von knapp 15% über zehn Jahre.
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Tab. 2: Entwicklungsstand der wirtschaftlichen Transformation

Iran und Irak haben sich seit dem BTI 2016 vergleichsweise am stärksten verbessert, allerdings von
einem ausgesprochen niedrigen Ausgangsniveau aus (Iran von 3,00 auf 3,39; Irak von 3,61 auf 3,89).
Der Iran profitierte vom Abschluss des Atomabkommens im Juli 2015, in dessen Folge die interna-
tionalen Sanktionen gelockert wurden und die Exporte von Gas und Öl spürbar anstiegen. Die nied-
rigen Rohstoffpreise bremsen allerdings die wirtschaftliche Erholung, so dass die hohen Budgetde-
fizite des Landes bislang nicht deutlich reduziert werden konnten. Positiv sind allerdings die makro-
ökonomischen Gesamtdaten der iranischen Volkswirtschaft: die Regierung von Präsident Hassan
Rouhani war in der Lage, das Land aus der bleiernen Rezession der Ahmadinejad-Zeit herauszufüh-
ren und jährliche Wachstumsraten von nun 4% zu erzielen; zudem drückte sie die Inflation von ehe-
mals 45% auf etwa 12%. Ungewissheit für die Zukunft resultiert allerdings aus der Haltung der US-
amerikanischen Regierung, die insbesondere unter Präsident Trump dem Iran nach wie vor misstraut
und mit ihren – noch unter Obama verhängten – Sanktionen gegenüber Firmen, die sich im Iran
engagieren, als veritabler Vetoakteur gegen eine volle Rückkehr Irans in die Weltmärkte agiert.

Auch im Irak verbesserte sich die Leistungsstärke der Volkswirtschaft, wo trotz der Kämpfe gegen
den „Islamischen Staat“ die Ölproduktion um etwa 20% gesteigert werden konnte. Zudem initiierte
die Regierung einige Reformen zur Reduktion des Haushaltsdefizits. Dieses Vorhaben hatte durch
die bis Ende 2016 wieder anziehenden Ölpreise auf über 55 US-Dollar pro Fass einige Perspektiven
auf Erfolg, wenngleich die damit zu erzielenden Erlöse immer noch deutlich unter den ehemaligen
Höchstwerten von mehr als 100 US-Dollar pro Fass in den Jahren 2011 bis 2014 lagen.

In Ägypten zeigte das Militärregime von Präsident al-Sisi trotz zahlreicher drängender Probleme
weder den politischen Willen noch die Fähigkeit zu tiefgreifenden Reformen gerade im sozialen
Bereich. Nur aufgrund eines nach jahrelangen Verhandlungen im November 2016 ausgezahlten
IWF-Darlehens in Höhe von 12 Milliarden US-Dollar konnten die massiven Probleme des öffentli-
chen Haushalts abgeschwächt werden. Allerdings kam das Darlehen zu einem Preis, den vor allem
die Ärmsten des Landes zu bezahlen hatten: Das ägyptische Pfund wurde gegenüber dem Dollar
freigegen und verlor quasi über Nacht die Hälfte seines Wertes. Damit aber verteuerten sich viele
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Güter des Alltagsbedarfs im weitgehend von Importen abhängigen Land, inklusive Nahrungsmittel
und Medikamente. Selbst reichere Ägypter können sich dadurch Studienaufenthalte oder medizini-
sche Behandlungen im westlichen Ausland nicht mehr leisten. Die ägyptische Regierung bemüht
sich angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage, vermehrt ausländische Investoren zu gewin-
nen und stellte im März 2015 beim Wirtschaftsgipfel in Sharm al-Sheikh verbesserten Eigentums-
schutz und weniger Bürokratie in Aussicht. Letztlich besteht allerdings kaum Hoffnung auf durch-
greifende Wirtschaftsreformen, solange die ägyptischen Streitkräfte einer der größten Wirtschafts-
akteure des Landes bleiben, ohne effektive staatliche Regulierung und außerhalb jeglicher Wettbe-
werbsstrukturen.

Von staatlicher Rahmensetzung kann in den vier rudimentären Marktwirtschaften Libyen, Sudan,
Jemen und Syrien angesichts von Bürgerkrieg und Staatskollaps kaum gesprochen werden. Mehrere
Millionen Menschen sind in diesen Staaten aufgrund der Kampfhandlungen von wirtschaftlicher
Teilhabe ausgeschlossen. Wo zentral funktionierende Regime noch an der Macht sind, wie insbeson-
dere das Militärregime von Omar al-Bashir im Sudan, sind diese hochgradig kleptokratisch und kor-
rupt.

Die dominierende Gruppe der „Marktwirtschaften mit Funktionsdefiziten“ wird von der Türkei (6,79
Punkte) und von Kuwait (6,71) angeführt, die beide um eine Kategorie abgestuft wurden. Kuwait (-
0,61 Punkte) verlor vorrangig im Bereich der Wettbewerbsordnung: bürokratische Hürden behindern
insbesondere kleinere Unternehmen und Startups, während informelle Oligarchien bis hin zur Fami-
lie des Emirs zentrale Wirtschaftssektoren kontrollieren. Auf den niedrigen Ölpreis versuchte die
Regierung mit strukturellen Reformen zu reagieren und nahm unpopuläre Kürzungen im öffentlichen
Sektor sowie bei Subventionen vor. Eine „Kuwaitisierungsstrategie“ soll überdies verstärkt kuwaiti-
sche Bürger auch in unbeliebte Jobs bringen und die Arbeitslosigkeit reduzieren, ein Vorgehen, das
die Regierungen in sämtlichen Golfstaaten in ähnlicher Weise verfolgen.

Viele der türkischen Rückschritte (-0,57 Punkte) sind auf die harschen Reaktionen der Regierung auf
den Putschversuch vom Juli 2016 und die Ausrufung des Ausnahmezustands im gleichen Monat
zurückzuführen. Hier wurden nicht nur die marktwirtschaftlichen Regeln aufgeweicht, sondern vor
allem der Privatwirtschaft einige Steine in den Weg gelegt, bis hin zu Enteignungen von vermeintlich
regierungskritischen Unternehmern. Der eingebrochene Tourismus belastet überdies die volkswirt-
schaftliche Leistungsstärke, so dass das ehemalige Vorzeigeunternehmen Turkish Airlines etliche
Jets aus dem Betrieb nehmen und einige unrentable Strecken aus dem Angebot streichen musste. Die
Entlassung von Tausenden von Lehrern und Professoren stellt eine starke Belastung der Bildungs-
qualität dar, so dass mittelfristig negative Konsequenzen hinsichtlich Ausbildungsniveau und
Jobqualifikation zu erwarten sind.

Die weiteren Länder dieser Kategorie – Jordanien, Tunesien, Bahrain, Saudi-Arabien, Oman, Ma-
rokko und Algerien – haben sich allesamt nur unwesentlich verändert. Nennenswerte Verschlechte-
rungen gab es lediglich im Libanon (-0,36), wo die Aufnahme von mehr als einer Million syrischer
Kriegsflüchtlinge besondere Herausforderungen für die Volkswirtschaft darstellt. Allerdings ist hier
in Rechnung zu stellen, dass die libanesische Regierung für die Versorgung der Flüchtlinge auch
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externe Finanzhilfen in Milliardenhöhe erhielt, so dass die starken Defizite der libanesischen Wirt-
schaftsstrukturen primär dem ausgeprägten Konkordanzsystem angelastet werden müssen, und nicht
den Flüchtlingen. So nimmt der schwache Zentralstaat nur unzureichend Steuern ein und verfügt
nicht über die Autorität, diese nachhaltig einzufordern. Negative wirtschaftliche Konsequenzen re-
sultieren auch aus den Sanktionsdrohungen der USA gegen Unternehmen, die – ähnlich wie im Falle
des Iran – mit der libanesischen Hizbullah Geschäftsbeziehungen aufnehmen. Die Hizbullah zu um-
gehen wird für internationale Unternehmen allerdings immer schwieriger, da diese ihre internen Ein-
flusssphären beständig ausweitet und zunehmend zum „Staat im Staate“ wird.

Neben der allgemeinen Sicherheitslage stellt die wirtschaftliche Entwicklung die größte Herausfor-
derung Tunesiens dar. Nach wie vor kann die Tourismusbranche, einer der wichtigsten Devisenbrin-
ger, ihr hohes Potential nicht ausschöpfen. Die Arbeitslosigkeit insbesondere unter jungen Tunesiern
ist immer noch sehr hoch, und erreicht in den wirtschaftlich vernachlässigten Regionen im Süden
und Westen des Landes eine Quote von bis zu 28%. Zahlreiche Streiks und Proteste sind die Folge,
die sich negativ auf die Wirtschaftsleistung auswirken, während die Regierung notwendige Reform-
maßnahmen zögerlich und inkonsequent umsetzt. Die starke Stellung der Gewerkschaften unter ih-
rem Dachverband UGTT (Union Générale Tunisienne du Travail), so sehr diese zur politischen Sta-
bilität des Landes seit 2011 beigetragen hat, muss vor diesem Hintergrund kritisch gesehen werden.
Ihre Zurückhaltung gegenüber einigen Vorhaben der Regierung wie beispielsweise der Flexibilisie-
rung des Arbeitsmarktes trägt zu einem guten Teil des Reformstaus bei. Ein kleiner Erfolg im Be-
richtszeitraum war die Reform des Wettbewerbsrechts und die Stärkung des „Competition Council“
2015, was eine bessere Ausrichtung der Wirtschaftsaktivitäten an Wettbewerbsregeln erwarten lässt.

Genau dies ist eine der aktuellen Herausforderungen in Bahrain, deren Markt- und Wettbewerbsord-
nung sich verschlechtert hat. Dies liegt insbesondere am Fehlen von Aufsichts- und Regulierungsbe-
hörden sowie der Bevorzugung staatlicher Unternehmen wie „Aluminium Bahrain“ oder „Gulf Pet-
rochemical“ in strategischen Wirtschaftssektoren.

In der Summe lässt sich konstatieren, dass in nahezu allen Ländern die wesentlichen sozialen und
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die schon 2011 die Haupttreiber für die regionsweiten Massenpro-
teste waren, nach wie vor nicht gelöst sind. Im Gegenteil: Soziale Ungleichheiten und der Ausschluss
weiter Bevölkerungsschichten von wirtschaftlicher Teilhabe nehmen eher zu. Die Unfähigkeit der
meisten Regierungen ist hier als Hauptgrund zu nennen. Aber auch die Herausforderungen durch
Terrorismus und Staatszerfall müssen als Katalysator betrachtet werden, denn zahlreiche Regierun-
gen, einschließlich die regionale Hegemonialmacht Saudi-Arabien, investieren viel Geld in Rüstung
und Sicherheitstechnologie. Damit zementieren sie die überkommenen staats- und militärzentrierten
Strukturen und versäumen es, Innovation und Diversifizierung voranzutreiben. In der Folge verblei-
ben weite Bereiche der Wirtschaftssektoren in intransparenten Strukturen verhaftet, die wettbewerb-
liche Stimulierung und modernisierende Investitionen unwahrscheinlich machen. Angesichts der
teils rapide steigenden Bevölkerungszahlen insbesondere in den unteren Einkommensschichten blei-
ben gravierende sozioökonomische Probleme ein wesentlicher Grund dafür, die künftigen Entwick-
lungen in der gesamten Region eher pessimistisch einzuschätzen.
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Governance
Noch nie wurde das Transformationsmanagement der Regierungen in der Region des Nahen Ostens
und Nordafrikas im BTI so schlecht bewertet wie im jetzigen Untersuchungszeitraum. Maßgeblichen
Anteil an diesem Negativtrend haben die Regierungen der Türkei (-1,33) und des Jemen (-2,12), die
die weltweit größten Einbußen an Regimeleistungen zu verzeichnen hatten. Ägypten unter Präsident
al-Sisi verschlechterte sich zudem mit -0,47 Punkten nochmals deutlich, auch im Libanon (-0,35)
und in Bahrain (-0,34) sind die Rückschritte ausgeprägt.

Keinem Land der Region kann nach dem Abstieg der Türkei mehr ein gutes Transformationsma-
nagement bescheinigt werden. Innerhalb der Gruppe der mäßig geführten Länder sind die beiden
autoritär regierten Wirtschaftsmächte Vereinigte Arabische Emirate und Katar am besten platziert,
die mit ihren Werten von 5,55 und 5,40 im Gesamtranking des BTI allerdings nicht über die Plätze
45 und 50 hinauskommen. Die Türkei auf ihrem Weg zur autoritären Präsidialrepublik wird im ak-
tuellen Ranking des BTI 2018 noch hinter Tunesien und Jordanien geführt.

Tab. 3: Qualität der Governance

Während Kuwait und Irak sich um eine Governance-Kategorie verbesserten und ihnen nunmehr kein
schwaches Transformationsmanagement mehr bescheinigt wird, verloren Marokko und Ägypten
weiter an Führungsqualität und sanken in diese Kategorie ab. Am untersten Ende befinden sich der
Iran, Libyen, der Sudan, der deutlich verschlechterte Jemen sowie Syrien mit quasi nicht mehr vor-
handenem Transformationsmanagement.

Ähnlich wie im Demokratie-Index erfuhr die Türkei auch im Governance-Index bei fast allen Indi-
katoren eine Abwertung. Der polarisierende und konfrontative Regierungsstil Erdoğans führte ins-
besondere im Kriterium der Konsensbildung zu einer deutlichen Wertminderung um ganze 2,6
Punkte. Hintergrund sind die strikten Maßnahmen der Regierung im selbsterklärten Kampf gegen
die Gülen-Bewegung, die als neu erklärter Feind der regierungsdefinierten „nationalen Interessen“
neben die ebenfalls als Terrororganisation eingestufte PKK getreten ist. Dies führte zu drakonischen
Maßnahmen, die teilweise auch nicht mehr von der türkischen Verfassung gedeckt sind oder im Wi-
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derspruch zu internationalen Verpflichtungen der Türkei stehen, die insbesondere ihrer Mitglied-
schaft im Europarat entstammen. Das Ländergutachten spricht von einer „Hexenjagd“ der Regierung
auf Kritiker, die teils bar jeglicher Rechtsgrundlage über Monate in Gefängnissen auf ihre Gerichts-
verfahren warten müssen, ohne ausreichenden Zugang zu juristischem Beistand zu haben.

Mit der Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Bekämpfung von als Volksfeinden oder
Terrorsympathisanten identifizierten Oppositionellen und Regimekritikern nähern sich die türki-
schen Verantwortlichen der Regimelogik von Ägyptens Präsident al-Sisi an, auch wenn sich das
Ausmaß an Repression noch immer substantiell unterscheidet und auch die ideologischen Gegen-
sätze kaum größer sein könnten. Während Präsident Erdoğan dem islamistischen Spektrum angehört
und die Vorherrschaft des Militärs in der Politik erfolgreich bekämpft hat, gehört al-Sisi eben diesen
Militärkreisen an und tut alles, um die Islamisten in Ägypten von der Macht zu halten. Dazu gehört
zuvorderst die Muslimbruderschaft, die die Regierung seit 2013 als Terrororganisation betrachtet
und deren Mitglieder entsprechend mit massiven juristischen Konsequenzen bis hin zur Todesstrafe
rechnen müssen. Beide, al-Sisi und Erdoğan, bedienen sich aber gezielt populistischer Strategien für
den eigenen Machtausbau: Beide geben vor, von einem geeinten Volkswillen getragen zu werden
und gegen einen „im Inneren wie im Äußeren agierenden Staatsfeind“ anzukämpfen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ihre Governance vor allem aufgrund von Fortschritten
im Bereich der Korruptionsbekämpfung und der besseren Einbindung externer Unterstützung in die
eigene Politikgestaltung verbessert. Im Irak erzielte die Regierung von Ministerpräsident Haider al-
Abadi insbesondere bei der Konflikteindämmung Erfolge. Sie war nicht nur in der Lage Territorien
des „Islamischen Staates“ zurückzuerobern, sondern berücksichtigte auch vermehrt die Anliegen der
sunnitischen Bevölkerungsminderheit, die seit dem Sturz von Saddam Hussein und insbesondere
unter al-Abadis Vorgänger Nouri al-Maliki stark diskriminiert worden war.

Die bessere Akzeptanz und Einbindung der Amazigh, beispielsweise durch die Anerkennung ihrer
ursprünglichen Sprache Tamazight in der revidierten Verfassung von 2016 haben zu leichten Ver-
besserungen des Transformationsmanagements in Algerien geführt. Davon abgesehen haben sich
allerdings kaum nennenswerte Änderungen im größten Land Afrikas ergeben, weder nach innen wie
in den Außenbeziehungen. Der schwerkranke Abdelaziz Bouteflika tritt als greiser Staatspräsident
kaum noch in Erscheinung und fungiert offenbar nur noch als Marionette der Sicherheitsorgane, die
im Hintergrund die Fäden ziehen. Die Entlassung des einflussreichen Mohamed Mediène im Sep-
tember 2015 nach 25 Jahren als Direktor des algerischen Geheimdienstes DRS (Département du
Renseignement et de la Sécurité) kann durchaus als Teil eines hinter den Kulissen tobenden Macht-
kampfes gewertet werden.

Auch in Marokko wurde mit einer Gesetzesnovelle 2016 Tamazight als offizielle Sprache anerkannt.
Gleichzeitig haben allerdings massive Proteste gegen staatliche Willkür nach dem Tod eines Fisch-
händlers im Rahmen der Konfiszierung seines Straßenstands durch die Polizei im Oktober 2016 Er-
innerungen an den Beginn der Arabischen Aufstände durch die Selbstverbrennung des Gemüsehänd-
lers Mohamed Bouazizi in Tunesien im Dezember 2010 wachgerufen. Die Regierung, ansonsten
Musterpartner für die Europäische Union in Sachen Migrations- und Terrorismusbekämpfung, be-
kommt hier zunehmend Schwierigkeiten auch hinsichtlich ihrer internationalen Glaubwürdigkeit.
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Erschwerend kommt in den Außenbeziehungen hinzu, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom Dezember 2016 festlegte, das Freihandelsabkommen zwischen Marokko und der Europäischen
Union dürfe nicht auf Produkte angewendet werden, die in der besetzten Westsahara hergestellt wer-
den.

Das Grundproblem für die insgesamt mangelhaften Regierungsleistungen in der gesamten Region
sind die fehlenden demokratischen Strukturen, so dass die Interessen der Bürger der Machtsicherung
und Bereicherung der Regierungen untergeordnet werden. In nahezu allen Ländern haben Wahlen
keinen realen Einfluss auf die Auswahl der Herrschenden, und schon gar nicht auf deren Abwahl.
Regierungen haben sich somit nicht dem Wähler gegenüber zu verantworten, sondern allenfalls ei-
nem klientelistischen Netzwerk von regimestützenden Eliten. Dies sind die royalen Familienclans in
den Monarchien, einflussreiche Generäle und Geheimdienstoffiziere der krakenhaften „deep states“
in den Militär- und Geheimdienstdiktaturen wie Algerien, Ägypten und Sudan, oder klerikale Kreise
mit eigenen Milizen wie insbesondere in der Islamischen Republik Iran und teilweise im Irak (Sadr-
Milizen) sowie auch im Libanon (Hizbullah). Insbesondere in Ländern mit großen Rohstoffvorkom-
men fehlt überdies die Möglichkeit, von außen Druck für Demokratisierung aufzubauen. Und selbst
die ressourcenarmen Staaten wie Ägypten und Jordanien sind dank des aktuellen Kampfes gegen
Terrorismus und ungeregelte Migration vor allzu starker externer Kritik gefeit. Im Gegenteil, seitens
der europäischen Staats- und Regierungschefs wie auch der US-Administration unter Präsident Do-
nald Trump werden sie eher hofiert denn kritisiert.

Insofern überrascht es nicht, dass die Regierungen mehr an ihr eigenes Wohl denken denn an das
ihrer Bevölkerung. Staatsressourcen werden geplündert und in die eigene Tasche gewirtschaftet statt
zukunftsorientiert investiert, Oppositionelle werden verhaftet und unterdrückt, kritische Forschung
und Beratung wird konsequent missachtet oder gänzlich unmöglich gemacht. Die Berufung auf den
oft beschworenen „Willen des Volkes“ aus den Mündern der Regierungschefs zwischen Rabat und
Teheran, Ankara und Khartum funktioniert besonders gut in Zeiten hoher politischer Instabilität: Die
Regierungen aller arabischen Staaten haben es allzu einfach, Sicherheit zum obersten Prinzip ihres
Handelns zu erklären. Um weitere Anschläge islamistischer Terroristen zu verhindern, so die vorge-
brachte Logik, bräuchten die Sicherheitsapparate freie Hand, müssten die Regierungen frei von Ge-
waltenteilung und Kontrollinstanzen entscheiden können, dürften auch einfache Sachverhalte nicht
bekannt werden, weil sie die „nationale Sicherheit“ gefährden. Wenig wird dieser Logik widerspro-
chen, und jeder Anschlag hilft den diktatorischen Regimen in ihrer Argumentation.

Dabei sind staatliche Repression und gesellschaftliche Radikalisierung zwei Seiten der gleichen Me-
daille: Je mehr Menschen in den Gefängnissen vor sich hinrotten, je mehr Menschen von fairer öko-
nomischer Teilhabe ausgeschlossen bleiben, je mehr Menschen fundamentale Rechte von ihren Re-
gierungen vorenthalten werden, desto leichter haben es extremistische Demagogen, Kämpfer für ihre
Vorhaben zu rekrutieren. Insofern befinden sich die meisten Länder des Nahen Ostens und Nordaf-
rikas tatsächlich in einer mörderischen Abwärtsspirale: Je mehr demokratische Grundrechte dem
Kampf gegen den Terrorismus geopfert werden, desto instabiler wird die gesamte Region werden.
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Ausblick
Diagnostizierte der BTI 2016 für die Region des Nahen Ostens und Nordafrikas schon einen ausge-
prägten Negativtrend, so muss der BTI 2018 diese Entwicklung fortschreiben. Nur wenigen positiven
Entwicklungen stehen zahlreiche Verschlechterungen gegenüber. Nach dem Ende des ehemals er-
folgreichen Demokratisierungsprozesses in der Türkei und der Umwandlung der Republik in einen
strikt auf den Staatspräsidenten ausgerichteten, autoritär geführten Staat hat das Land seine Vorrei-
terrolle für eine reformorientierte, moderat-islamistische Demokratie verloren. Der gescheiterte
Putschversuch vom Juli 2016 hat der Regierung freie Hand gegeben, offene oder vermeintliche Kri-
tiker mundtot zu machen. Die Regierung diffamiert dabei nicht nur kurdische Vertreter oder Anhän-
ger der Gülen-Bewegung als „Terroristen“, sondern auch Mitglieder der sozialdemokratischen
Cumhuriyet Halk Partisi (CHP, Republikanische Volkspartei). Die CHP stellt die letzte parlamenta-
rische Oppositionskraft dar, die der fortschreitenden Alleinherrschaft der AKP entgegentreten
könnte. Für eine starke Opposition wird es auf ihre Mobilisierungsfähigkeit insbesondere in den Bal-
lungsräumen von Istanbul und Izmir ankommen; die gesellschaftliche Spaltung der Türkei zwischen
Erdoğan-Unterstützern und seinen Opponenten wird vermutlich zunehmen.

Demokratischer Hoffnungsträger der Region ist einzig Tunesien, wo sich trotz aller wirtschaftlichen
und sicherheitsbezogenen Schwierigkeiten ein beachtenswertes Niveau an Partizipation und Rechts-
staatlichkeit etabliert hat und der Übergang von der Revolution zur demokratischen Konsolidierung
fortschreitet. Allerdings ist das Bild nicht ungetrübt: Kritiker sehen in den Handlungen von Staats-
präsident Beji Caid Essebsi, der immerhin unter Langzeitdiktator Ben Ali als Parlamentspräsident
fungierte und in den frühen 1980er Jahren bereits fünf Jahre lang Außenminister war, Tendenzen zur
Wiedereinführung der alten Machtstrukturen. Hier wird die ökonomische Entwicklung sicher Rich-
tungsgeber sein: Sollte die tunesische Wirtschaft sich erholen und wieder mehr, insbesondere jungen
Bürgern eine Perspektive geben, steigen die Chancen für eine weitere Konsolidierung der Demokra-
tie.

Beide Länder, die Türkei wie auch Tunesien, sind als direkte Nachbarn von zentraler Relevanz für
die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten. Während in Tunesien der Demokratieaufbau mit
zahlreichen Projekten unterstützt wird, gilt es in der Türkei, das Schlimmste zu verhindern. Es ist
allerdings unklar, wie das mit einem Präsidenten geschehen soll, der politische Differenzen unter
Partnern bewusst eskalieren lässt und dem es trotz NATO-Mitgliedschaft an Kooperationswillen
beim gemeinsamen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ mangelt. Umgekehrt ist zu erwarten, dass
auf europäischer Seite die Einforderung demokratischer Standards hinter die nach wie vor eminenten
Sicherheits- und Stabilitätsinteressen zurücktreten wird. Wie die unter Präsident Trump intensivierte
saudisch-amerikanische Zusammenarbeit belegt, ist auch von US-amerikanischer Seite kein nach-
drückliches Intervenieren zugunsten von Bürgerrechten und politischen Freiheiten in der Region zu
erwarten.

Nach wie vor ist die Frage der „regionalen Führerschaft“ umstritten und offen. Im Regionalbericht
des BTI 2010 wurde eine Machtverschiebung aus den klassischen Zentren der arabischen Welt wie
Kairo, Damaskus und Bagdad hin zu den aufstrebenden Volkswirtschaften am Persischen Golf diag-
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nostiziert. Während in der Tat die früheren Führungsnationen ihre politische Ausstrahlungskraft ver-
loren haben, konnten die arabischen Monarchien diese Rolle aber nicht übernehmen. Die seit Jahren
andauernden, und zuletzt wieder so massiv ausgebrochenen Streitigkeiten innerhalb des Golfkoope-
rationsrates verdeutlichen, dass weder Saudi-Arabien noch irgendein anderes Land auf der arabi-
schen Halbinsel in Zukunft die regionale Führerschaft unangefochten übernehmen kann.

Politisch wie wirtschaftlich sind die Aussichten für die Region düster. Allein das rapide Bevölke-
rungswachstum stellt die Volkswirtschaften vor schier unlösbare Probleme. Hinzu kommen fort-
schreitende Umweltprobleme wie Desertifizierung und Trinkwasserknappheit. Die Grundwasservor-
räte in weiten Teilen der Region sind erschöpft, mancherorts müssen bereits Menschen mit Trink-
wasser per Lastwagen versorgt werden, was insbesondere für die Armen unerschwinglich ist. Teure
Entsalzungsanlagen mögen in den reichen Golfmonarchien eine Option sein, für die ruinierten Ge-
sellschaften des Jemen, des Sudan oder auch des Gazastreifens sind sie es kaum.

Selbst die an sich positive Meldung, dass der „Islamische Staat“ sowohl in Syrien als auch Irak und
Libyen zunehmend aus seinen eroberten Territorien zurückgedrängt wird, wirft neue Fragen auf.
Noch ist völlig ungeklärt, mit welchen zukünftigen Konflikt- und Machtstrukturen die Menschen in
den betroffenen Gebieten zurechtkommen müssen. Die Massenvertreibungen, -tötungen und -verge-
waltigungen haben ohne Zweifel Wunden aufgerissen, die nicht einfach so überdeckt werden kön-
nen. Sie werden die Gesellschaften auf Jahrzehnte hinaus prägen.
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