Cristian Ghinea: "Politische Krise und Versagen der EU-Konditionalität: Rumänien in der EU" "Die Zukunft des Europäischen Wirtschafts- und ...

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Cristian Ghinea:

„Politische Krise und Versagen der EU-Konditionalität:
                  Rumänien in der EU“

                 Working Paper für die Studie

„Die Zukunft des Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells“
Politische Krise und Versagen der EU-Konditionalität: Rumänien in der EU
von Cristian Ghinea1)

I. Einleitung

Rumäniens Transformation verlief größtenteils nach internationalen Modellvorschlägen von au-
ßen. Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Europäische Union haben dazu bei-
getragen, wirtschaftliche Übergangsprozesse einzuleiten, NATO und EU haben im Hinblick auf
Demokratisierung und Sicherheitspolitik mitgewirkt. Die Erklärung des EU-Beitritts zu einer Frage
des „nationalen Interesses“ – mit nahezu einstimmiger parlamentarischer Unterstützung dieser
Politik – schuf einen enormen Druck auf nachfolgende Regierungen, diesen Weg fortzusetzen.

Der Beitritt zur Europäischen Union war für Rumänien mehr als ein politischer Prozess. Er war eine
nationale Obsession. Gefangen in einer verwirrenden und scheinbar endlosen Übergangszeit, such-
te Rumäniens Bevölkerung nach einer Orientierung, die ihr die einheimischen politischen Eliten
vorzugeben versäumten. Zugleich schufen der ineffektive rumänische Staat und die wenig ausgep-
rägte Zivilgesellschaft eine explosive Mischung aus Desillusionierung und gering ausgeprägtem
nationalen Selbstwertgefühl. Mit Beginn der Beitrittsverhandlungen 1999 machte sich die rumäni-
sche Gesellschaft das Projekt Europa zu Eigen.

Somit ging es den Rumänen beim EU-Beitritt von Anfang an um mehr als um den gemeinsamen
Markt, eine neue Währung oder Entwicklungstöpfe. Der EU-Beitritt war für Rumänien das mit Ab-
stand bedeutendste und ernsthafteste Modernisierungsvorhaben seit langer Zeit. Bereits seit zwei
Jahrhunderten ist der Wunsch, „Anschluss an den Westen“ zu finden, eine nationale Obsession.
Laut Eurobarometer ist das Vertrauen in die EU in Rumänien im Vergleich zu allen anderen EU-
Ländern am höchsten. Dies ist äußerst ungewöhnlich für eine Gesellschaft, die sich eigentlich
durch einen chronischen Zynismus auszeichnet. Nur das Militär und die Kirche genießen in Rumä-
nien ein höheres Maß an Vertrauen. Da das Militär zu Friedenszeiten nicht aktiv wird und die Ver-
sprechungen der Kirche nicht für diese Welt gelten, sind die Erwartungen an die EU somit erheb-
lich. Hier ging es nicht um Euro-Enthusiasmus, sondern geradezu um eine Art Euro-Abhängigkeit.

Diese weit verbreitete öffentliche Einstellung setzte die rumänische Regierung während der Bei-
trittsverhandlungen gehörig unter Druck. Der Einfluss der Konditionalitäten war beeindruckend,

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    Cristian Ghinea ist Publizist und Redakteur der Wochenzeitschrift Dilemaveche in Rumänien.

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denn ein Aufschub des Beitritts seitens der Kommission hätte für jedes Bukarester Regierungs-
mitglied katastrophale Folgen gehabt. Aus diesem Grund wurde Rumänien fast acht Jahre lang, von
1999 bis 2007, gleichsam von einem Autopiloten regiert – programmiert von EU-Konditionalitäten.
Und dies hat sehr gut funktioniert.

Rumänien trat der EU am 1. Januar 2007 bei. Dieses Jahr war nach Meinung der meisten Beobachter
ein enttäuschendes Jahr für Rumänien. Die Ernüchterung kam mit der Einsicht, dass sich der Bei-
tritt nicht unmittelbar auswirkte. Anstelle dessen wurde klar, dass der Einfluss der EU auf die ru-
mänische Politik nunmehr sinken würde. Dies nannte ich das „Verlassene-Kind-Syndrom“: Unter
dem Druck der EU machte Rumänien sichtbare Fortschritte – ohne diesen Druck von außen ent-
deckt das „Kind“ sein inneres rebellisches Selbst wieder.

Rumänien ist nicht das einzige Land in dieser Situation. Eine Vielzahl an Studien belegt den Rück-
gang an politischer Stabilität, wirtschaftlichem Wachstum und Demokratisierungsfortschritten in
Ländern wie Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei nach ihrem Beitritt zur EU im Mai 2004.
Jedoch ist diese Tendenz in Rumänien nach 2007 besonders beunruhigend. Vor dem Beitritt trugen
die EU-Konditionalitäten dazu bei, die Inflation zu kontrollieren und den öffentlichen Haushalt
auszugleichen. Vor drei Jahren betrug die Inflationsrate 5 bis 6 Prozent, heute sind es aufgrund
erhöhter öffentlicher Ausgaben bereits 9 bis 10 Prozent. Zwar kritisiert Staatspräsident Traian Ba-
sescu mit dem Hinweis auf unzureichende Einnahmen die Ausgabenpolitik der Regierung, doch
seine eigene Partei hat im Parlament für dieses Vorgehen gestimmt. Da 2008 ein Wahljahr ist, erle-
ben wir einen verrückten populistischen Wettbewerb zwischen den Parteien: Wer verspricht am
meisten auszugeben? Angesichts einer schwachen Regierung und einer gespaltenen Opposition
verabschiedet das Parlament unrealistische Gesetze. Erst jüngst entschied das Parlament, an jeden
rumänischen Studenten auf Staatskosten einen Datenspeicher auszugeben – eine spektakuläre
Initiative in einem Land, in dem gerade einmal die Hälfte der Haushalte einen Computer besitzt.

II. Innenpolitische Krisen

Das erste Jahr EU-Mitgliedschaft wurde von der schlimmsten politischen Krise in Rumäniens jünge-
rer Geschichte überschattet: eine Blockade des politischen Reformprozesses, die einen wirklichen
Rückschlag für ein Land in einem so schwierig zu bewältigenden Übergangsprozess bedeutete. Zu
diesem politischen Entwicklungsstillstand kam es vor allem durch raue tagespolitische Auseinan-
dersetzungen zwischen dem Premierminister und seiner instabilen parlamentarischen Mehrheit
auf der einen Seite und dem direkt gewählten Präsidenten auf der anderen Seite. Die gewählten
Abgeordneten und die Wähler distanzierten sich ebenfalls voneinander, als zunächst zwei Drittel
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der Abgeordneten für die Amtsenthebung von Präsident Traian Basescu stimmten und anschlie-
ßend zwei Drittel der Wähler diesen per Referendum im Amt bestätigten. Die Partei des Präsiden-
ten wurde daraufhin allmählich isoliert. Obwohl das Konflikte schürende Verhalten des Staats-
oberhauptes die politische Situation anheizte, ist die Krise auf mehr als nur das persönliche Verhal-
ten der Hauptakteure in der rumänischen Politik zurückzuführen.

Was heißt das? Rumänien ist eine semipräsidentielle Republik. Der direkt gewählte Präsident ge-
nießt eine hohe Legitimation, hat aber nur beschränkte Vollmachten. Er steht der Verteidigungs-
und Außenpolitik vor und ernennt den Premierminister, ohne diesen allerdings wieder aus dessen
Amt entlassen oder das Parlament auflösen zu können. Dieses System der geteilten Exekutivgewalt
zwischen Präsident und Premierminister funktioniert nur, wenn beide miteinander und gemeinsam
regieren können. Frühere Präsidenten und Premierminister trugen zwar auch kleinere politische
Scharmützel aus, gefährdeten dabei aber nie ihre funktionierende Regierungszusammenarbeit.
Dies änderte sich 2007. Der gegenwärtige Päsident Traian Basescu und der gegenwärtige Premier-
minister Calin Popescu Tariceanu - ursprünglich politische Verbündete in der von der Demokrati-
schen Partei (PD) und der Nationalliberalen Partei (PNL) gegründeten Allianz „Wahrheit und Gerech-
tigkeit“ (ADA) – zerstritten sich über eine Reihe von Themen, allen voran über die Absicht des Präsi-
denten, vorgezogene Neuwahlen ausrufen zu lassen, um damit seine Nationale Antikorruptionsbe-
hörde zu stützen, welche wiederum gegen Unterstützer der Liberalen Partei ermittelte.

Dieses Zerwürfnis führte schließlich zum Ausschluss der Partei des Präsidenten aus der Regierung
und machte den Premierminister politisch abhängig von der größten Oppositionspartei, der Sozi-
aldemokratischen Partei (PSD). Die rechts stehende Liberale Partei und die linksorientierte Sozial-
demokratische Partei (PSD) schufen auf der Grundlage einer bizarren Konstruktion einander über-
lappender Ideologien ein de facto anti-präsidentielles Bündnis, das kein anderes Ziel verfolgte als
die Isolierung des Staatsoberhauptes. Das politische Schlachtfeld beider Seiten war die Korruption.
Die parteilose Justizministerin Monica Macovei, die zuvor noch die Europäische Kommission über-
zeugt hatte, den Beitritt Rumäniens nicht auf 2008 zu verschieben, wurde unmittelbar nach dem
EU-Beitritt vom Parlament mit einem Misstrauensvotum angegriffen. Die Parlamentarier waren
verärgert über ihren Vorschlag, eine Nationale Behörde für Integrität einzurichten – eine von der EU
erwünschte Institution mit dem Ziel, Vermögen und Interessenskonflikte der Parlamentarier sowie
die zahlreichen Ermittlungen der von der Europäischen Kommission viel gelobten Antikorruptions-
behörde (DNA) des Justizministeriums zu überprüfen.

Um zukünftigen Angriffen des Parlaments aus dem Weg zu gehen, eliminierte Premierminister
Tariceanu alle von der Demokratischen Partei unterstützen Minister und schuf somit trotz geringer
Stimmenzahl von weniger als einem Drittel der Abgeordneten in beiden Kammern die Grundlage
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für eine erneute Amtseinsetzung. Seine Minderheitsregierung überstand im Verlauf des Jahres 2007
drei weitere Misstrauensvoten und brachte die Mehrheit im Parlament dazu, praktisch unablässige
Angriffe gegen den Präsidenten zu führen. Präsident Basescu und seine Partei waren die einzigen
politischen Akteure in Rumänien, die eine größere Zustimmung in der Bevölkerung genossen als
zum Zeitpunkt der Parlamentswahl im Jahr 2004. Sie wären somit die Hauptbegünstigten einer
vorgezogenen Neuwahl. Dies erklärt, warum alle anderen Parteien gemeinsam gegen ihn opponier-
ten.

Im Zuge dieser „Opposition“ berief das Parlament im März 2007 einen Sonderausschuss zur Unter-
suchung des angeblichen Verfassungsmissbrauchs durch den Staatspräsidenten ein. Dem Aus-
schuss saß Dan Voiculescu vor, der Vorsitzende der Konservativen Partei. Er ist einer der wichtigs-
ten Medienmogule in Rumänien. Ihm gehören mehrere Verlagshäuser und drei Fernsehsender.
Zudem wurde er zuvor als Informant der Staatssicherheit, Ceausescus Inlandsgeheimdienst, identi-
fiziert. Unter seinem Vorsitz erarbeitete der Ausschuss ein umfangreiches Dokument über die an-
geblichen Vergehen des Präsidenten, das unter anderem eine lange Liste kritischer Kommentare
aus Zeitungen beinhaltete. Einige der Anschuldigungen waren Belanglosigkeiten wie etwa die Prä-
ferenz des Präsidenten für bestimmte Restaurants oder seine Neigung, mit Mitgliedern seiner
ehemaligen Partei zu verkehren, obwohl die Verfassung besagt, dass der Präsident mit seiner Wahl
neutral zu sein hat (tatsächlich verbietet die Verfassung dem Präsidenten nur die offizielle Mitg-
liedschaft in einer Partei).

Die Absurdität solcher Anschuldigungen und die unglückliche Wahl von Voiculescu als Ermittler
erhöhte die öffentliche Unterstützung für den Präsidenten. Das Verfassungsgericht, dessen Mei-
nung rein beratender Natur ist, lehnte ein Amtsenthebungsverfahren ab. Doch entgegen der Mei-
nung des Verfassungsgerichts fuhr das Parlament mit dem Verfahren fort und ließ am 19. April über
die Amtsenthebung abstimmen. Eine Zweidrittelmehrheit von 322 Abgeordneten stimmte für die
Amtsenthebung des Präsidenten. Die Verfassung schreibt in diesem Fall ein Referendum innerhalb
von 30 Tagen vor, um diese Entscheidung vom Wähler bestätigen zu lassen. Da der Präsident beim
Wähler allerdings weiterhin populär war, setzten die Parlamentarier alles daran, mit neuen Regeln
den Ausgang zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Sie modifizierten vor der Organisation des Refe-
rendums dessen Durchführungsrichtlinien, um die verfassungsgemäßen Exekutivgewalten des
Präsidenten weiter einzuschränken.

Da in Rumänien die Wahlen für das Europäische Parlament im Mai 2007 bevorstanden, beschloss
das Parlament, dass ein Referendum nicht innerhalb von drei Monaten vor und nach einer Wahl
durchgeführt werden dürfe. Die Parlamentarier beschlossen auch, dass der vom Amt enthobene
Präsident mit der einfachen Mehrheit der abgegeben Wählerstimmen entlassen werden kann,
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wenn er ursprünglich erst im zweiten Wahlgang zum Präsidenten gewählt worden war. Nur im Falle
einer Wahl zum Präsidenten im ersten Wahlgang wäre eine absolute Wählermehrheit im Referen-
dum notwendig, um das Amtsenthebungsverfahren zu beschließen oder aufzuheben.

Zusätzlich verabschiedete die Regierung eine Notverordnung, welche die Möglichkeiten des Präsi-
denten einschränkt, ein Referendum auszurufen, darunter auch Fragen zur Verfassung. Eine parla-
mentarische Gesetzesnovelle revidierte die frühere Entscheidung des Parlaments, Referenden seien
unabhängig von der Wahlbeteiligung gültig (im Vergleich zu Wahlen, bei denen kaum eine absolute
Mehrheit der Wahlberechtigten erreicht wird, sind Referenden noch weniger in der Lage, die Wäh-
lerschaft zu mobilisieren). Dies hatte zur Folge, dass Präsident Basescu bei einer Wahlbeteiligung
von weniger als der Hälfte aller Wahlberechtigten auf unbestimmte Zeit durch das Parlament vom
Amt enthoben wäre. Das Verfassungsgericht war währenddessen damit überfordert, die Vielzahl an
Anträgen zu bewältigen, die die Gesetzesnovellen und Notverordnungen anfochten. Die meisten
Neuerungen wurden vom Gericht als nicht verfassungskonform und somit für nichtig erklärt. Laut
Verfassungsgericht kann das Staatsoberhaupt vom Wähler mit einer einfachen Mehrheit in einem
Referendum im Amt bestätigt oder vom Amt enthoben werden unabhängig von der Wahlbeteili-
gung. Was von nationalem Interesse ist, wird vom Präsidenten bestimmt, kann somit auch Gegen-
sand eines Referendums sein und darf keinen Einschränkungen unterliegen. Ebenso können Refe-
renden unabhängig vom Termin anderer Wahlen dann gehalten werden, wenn es der Zustimmung
des öffentlichen Willens bedarf.

Nach einem Wahlkampf mit ungleich verteilten Kräften stimmten am 19. Mai 74 Prozent der Wähler
gegen die Amtsenthebung von Präsident Basescu. Die Regulierungsbehörde der Medien hatte zuvor
beschlossen, dass die Sendezeit im Fernsehen nicht entsprechend der Zahl der Befürworter oder
Gegner der Amtsenthebung zugeteilt wird, sondern entsprechend der Sitzverteilung im Parlament.
Da Basescus einzige Unterstützerin, die Demokratische Partei, weniger als 15 Prozent der Sitze im
Parlament innehatte, wurde der Großteil der Sendezeit, nämlich der Anteil aller anderen Parteien,
gegen ihn verwendet. Trotz einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent bedeutete die Dreiviertel-
mehrheit der Wähler, die für Basescu stimmten, einen riesigen politischen Erfolg für ihn und eine
herbe Niederlage für seine Gegner.

Nach diesem einschlägigen Ereignis wurde in Rumänien das politische Leben von Kriegerlogik be-
stimmt. Jeder politische Akteur wird zum Vetospieler und nutzt seine Kräfte vor allem, um andere
zu blockieren. Dass der Präsident keine Gesetze mehr verabschiedete, wurde zum Alltagsgeschäft,
bittere Auseinandersetzungen über die Befugnisse des Präsidenten, neue Minister zu ernennen,
beherrschten fortan das politische Geschehen. Der ehemalige Justizminister Teodor Chiuariu trat
zurück, nachdem gegen ihn wegen Korruption ermittelt wurde. Unmittelbar danach nominierte der
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Premierminister für diese Position mit Norica Nicolai von der Liberalen Partei eine Politikerin, die
für ihre starke Gegnerschaft zu Basescu bekannt war. Laut Verfassung müsste der Präsident die
vom Premierminister nominierten Minister zum Minister ernennen.

Während Premierminister Tariceanus daran festhielt, dass die Verfassung dem Präsidenten nur eine
formale Rolle bei der Benennung von Ministern gibt, bestand Präsident Basescu auf seiner Rolle als
realer Vetospieler im Nominierungsprozess. Der Fall kam vor das Verfassungsgericht und Rumänien
musste sich ausgerechnet in einer Periode, in der die EU gerade Rumäniens Reformfortschritte im
Justizbereich überprüfte, mit einem Interimsminister für Justizangelegenheiten begnügen. In der
endgültigen – und etwas sonderbaren – Entscheidung des Verfassungsgerichts wurde betont, dass
der Präsident nur das Recht zu einem einmaligen Veto habe, um die Nominierung eines Ministers
zurückzuweisen. Präsident Basescu und Premierminister Tariceanus einigten sich im Februar 2008
auf einen unparteiischen jungen Anwalt als Justizminister.

Das oben erwähnte Referendum war nicht der einzige Höhepunkt der Krise. Vor dem Hintergrund
einer tiefen Unzufriedenheit der Öffentlichkeit über das Verhältniswahlrecht in Rumänien, trat
Präsident Basescu öffentlich für die Einführung eines „uninominalen“ Wahlrechts ein, was bedeu-
tet, dass Abgeordnete ihren Listenplatz aufgeben müssten und als Delegierte ihres Wahlbezirks im
Parlament sitzen würden. Der Präsident schlug das französische Modell mit zwei Wahlgängen vor,
während die Regierung und die Sozialdemokraten sich auf eine etwas moderatere Reform mit ei-
nem gemischten Modell einigten (ähnlich dem deutschen, doch mit erheblichen Unterschieden).
Wie erwartet stießen die Vorschläge des Präsidenten und der Regierung aufeinander, ohne dass ein
Kompromiss ausgehandelt werden konnte. Somit rief Präsident Basescu ein Referendum zu seinem
Reformvorschlag aus. 90 Prozent der Wähler stimmten für den Vorschlag des Präsidenten, doch
aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung von nur 30 Prozent war das Referendum nicht gültig. Die
Regierung setzte daraufhin ihren Reformvorschlag mit Hilfe einer Notstandsverordnung durch,
worauf der Präsident die Angelegenheit wieder vor das Verfassungsgericht brachte. Von dort wurde
dem Parlament aufgetragen, einige Artikel zu überarbeiten. Letztlich einigten sich alle Beteiligten
im Februar 2008 nach erschöpfenden Verhandlungen auf ein Gesetz, das ein modifiziertes ge-
mischtes Wahlrechtssystem vorsieht.

Um dieses unübersichtliche politische Hickhack verstehen zu können, müsste man täglich die ru-
mänischen Nachrichten verfolgen. Der normale politische Prozess wurde von bitteren Auseinander-
setzungen selbst über kleinste Unstimmigkeiten außer Kraft gesetzt. Steht dies in Verbindung mit
dem EU-Beitritt? Indirekt ja. Bis 2007 hatte die politische Klasse Rumäniens ein gemeinsames Ziel.
Die offensichtlichen Mängel des politischen Systems – unterschiedliche Legitimation zweier exeku-
tiver Säulen, unklare Aufgabenverteilung und -abgrenzung, Unfähigkeit zur Bildung themenspezi-
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fischer Koalitionen – wurden vorerst unter den Teppich gekehrt, da die EU-Beitrittskriterien nur
durch gemeinsame Arbeit erreicht werden konnten. Nachdem dies gelang, kamen alle Probleme
zum Vorschein.

Dies ist jedoch kein für Rumänien spezifischer Vorgang. Auch in Polen, Tschechien, der Slowakei
und in einigen Baltischen Staaten waren nach ihrem Beitritt 2004 Anzeichen für politische Radika-
lisierung, schwache Koalitionen und politische Krisen zu erkennen. Rumänien ist jedoch Rekordhal-
ter hinsichtlich der Länge und Tiefe der politischen Krise. Der Versuch, einen direkt gewählten Prä-
sidenten aus dem Amt zu entheben, ist erst der zweite Vorfall dieser Art in der jüngeren europä-
ischen Geschichte (nach Litauen im Jahr 2004). Der daraus resultierende politische Stillstand ge-
fährdete Rumäniens wirtschaftliche Stabilität und das Vermögen des Landes, die vor dem Beitritt
gesetzten Ziele zu erreichen.

III. Die Politik der Korruption und Antikorruption

Sicherlich hat Rumänien im vergangenen Jahr wichtige Schritte zur Abschaffung der faktischen
Straflosigkeit seiner politischen Klasse unternommen. Unter dem Druck der Europäischen Kom-
mission entstanden neue Institutionen, interner Druck wiederum verhalf einer neuen Generation
von Ermittlern und Anklägern zu mutigen Schritten, um Ermittlungen gegen hochrangige Politiker
zu eröffnen. So hat die Antikorruptionskampagne dazu geführt, dass innerhalb eines Jahres zwei
stellvertretende Premierminister zurücktreten mussten. Selbst wenige Jahre zuvor wäre dies noch
unvorstellbar gewesen. In den Augen westlicher Beobachter und Medien bedeutet dies nicht viel,
aber für ein Land mit der Justizvergangenheit Rumäniens – traditioneller Gehorsam gegenüber der
Politik, selbst zu vorkommunistischen Zeiten – bedeutet dies viel.

Eine Mischung aus wachsender interner Animosität gegenüber Korruption und dem Druck der EU
verschaffte dem neu ernannten Hauptermittler der Nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA) ge-
nug Einfluss, um neue Untersuchungen über den Zeitraum 2005 und 2006 zu eröffnen. Dies führte
zu einer allmählichen Reaktion der politischen Parteien, die sich in einer parlamentarischen Gegen-
bewegung zur Antikorruptionskoalition äußerte. Ein Großteil der Angehörigen der politischen Klas-
se, die mobilmachten, um die Befugnisse von Ermittlern einzuschränken, versuchte 2007 sogar, die
DNA insgesamt abzuschaffen. Da die Hauptermittler der DNA vom Präsidenten ernannt werden,
brach ein erneuter Kampf zwischen diesem und dem Parlament aus. Einige Beobachter gehen sogar
so weit zu behaupten, dies sei der Hauptgrund für die politische Krise.

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Zwischen 2004 und 2007 lag es theoretisch in der Hand der Europäischen Kommission, den Beitritt
Rumäniens zu verschieben. Somit hatte die Kommission immer Einfluss auf die rumänische Regie-
rung. Sie unterstützte offen die reformorientierte Justizministerin Monica Macovei in ihrem Konf-
likt mit der Parlamentsmehrheit und mit dem autonomen Obersten Gerichtshof (CSM), ein Verfas-
sungsorgan, das noch von Richtern der alten Generation besetzt war (ihnen war es unter anderem
erlaubt, für hochrangige Posten in der Regierung zu kandidieren). Die EU-Kommission kritisierte
den Obersten Gerichtshof mehrmals wegen seiner Blockade politischer Reformen. Aus Trotz wies
das Parlament den Antrag eines Ermittlers auf Hausdurchsuchung des ehemaligen Premierminister
Adrian Nastase zurück, der beschuldigt wurde, während seiner Amtszeit Schmiergelder angenom-
men zu haben.

Bereits mit der Sicherstellung des Beitritts begannen die Angriffe gegen Justizministerin Macovei
sowie gegen Antikorruptionsmaßnahmen, die zuvor mit der Europäischen Kommission vereinbart
worden waren. Der Senat ließ ein Misstrauensvotum gegen Macovei zu, so dass 81 Senatoren –
mehr als nur die Mitglieder der Opposition – am 13. Februar gegen sie stimmten, obwohl für das
Parlament keine von der Verfassung vorgesehene Möglichkeit existiert, einen Minister zu entlas-
sen, es sei denn, das gesamte Regierungskabinett wird entlassen. Die Anschuldigungen gegen Ma-
covei waren für Rumänien einfach nur peinlich, denn sie konzentrierten sich fast ausschließlich auf
Gesetzesinitiativen, die Rumänien im Zuge des EU-Beitritts Brüssel zugestanden hatte.

Da jedoch die öffentliche Meinung hinter Macovei stand, ebenso die internationalen Medien sowie
die Institutionen der EU, konnte sie nicht unverzüglich entlassen werden. Somit zogen sich die
Auseinandersetzungen und Machtspiele über Wochen hin – auch, weil der Europäische Kommissar
für Inneres und Justiz öffentlich zu ihrer Unterstützung Stellung genommen hatte. Das erste Jahr
Rumäniens als Mitgliedsland der EU begann mit einer Auseinandersetzung zwischen der Europä-
ischen Kommission und dem Rumänischen Parlament über eben jene Maßnahmen, die Rumänien
vor dem Beitritt bereits offiziell akzeptiert hatte. Schließlich sah sich der Premierminister gezwun-
gen, alle seine ehemaligen Unterstützer aus der Regierung zu feuern, weil die Minister der Demo-
kratischen Partei nicht weiter mit Macovei im Amt regieren wollten und die Opposition drohte, die
gesamte Regierung zu stürzen.

Monica Macovei wurde von Tudor Chiuariu von der Nationalliberalen Partei ersetzt, was Zweifel
über die Fortsetzung der Reformen auslöste. Kurz nach seiner Ernennung gab Minister Chiuariu die
Entlassung von Ermittler Doru Tulus bekannt und bestätigte damit die schlimmsten Befürchtun-
gen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die meisten Akten von Ermittlungen gegen aktuelle
und ehemalige Amtsträger bis dahin von der Sektion II der DNA unter Aufsicht von Ermittler Doru
Tulus geführt wurden. Aufgrund der öffentlichen Entrüstung über das Vorgehen von Minister
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Chiuariu wurde die Entlassung vorerst vertagt. Nunmehr verlangte der Minister, dass der Oberste
Gerichtshof Aufsicht über das DNA führen solle, um in der Zwischenzeit eine ausreichende Begrün-
dung für seine bereits gefällte Entscheidung zu finden. Sein Vorgehen wurde von Politikern, gegen
die Untersuchungen liefen, öffentlich unterstützt. Zusätzlich wurden die Minister angehalten,
gegen das DNA Anzeigen wegen Belästigung zu stellen.

Daraufhin berief der Präsident der Abgeordnetenkammer Bogdan Olteanu (NPL) die Ermittler ins
Parlament, wo sie über den Stand der Ermittlungen berichten sollten, doch der Oberste Staatsan-
walt legte dagegen vor dem Obersten Gerichtshof Einspruch ein. Dieser wiederum entschied für
den Kläger, da anderenfalls die Gewaltentrennung gefährdet sei. Der Abschlussbericht des Ober-
sten Gerichtshofs enthielt keine belastenden Beweise, die eine Entlassung von Ermittler Tulus rech-
tfertigen würden, vor allem weil der Maibericht der Europäischen Kommission die Arbeit der DNA
lobte. Die Richter des Obersten Gerichtshofs entschieden deshalb gegen Minister Chiuariu, der am
Ende der einzige war, der für die Entlassung von Tulus gestimmt hat. Auf der nachfolgenden Pres-
sekonferenz verteidigte er die unter Ermittlungen stehenden Minister und beschuldigte den Präsi-
denten, die DNA gegen dessen politischen Gegner einzusetzen.

Während die Ermittler ihre brisanten Untersuchungen fortzusetzen versuchten, arbeitete das Par-
lament beständig daran, ihre Vollmachten einzuschränken. Da die Versuche gescheitert waren, die
Nationale Antikorruptionsbehörde generell aufzulösen, konzentrierte sich die Mehrheit der Parla-
mentarier nun darauf, bestimmte Prozeduren zu modifizieren, um die Vollmachten der Ermittler zu
stutzen. So wurde Ende März 2007 ein Gesetz verabschiedet, das bestimmte Aspekte des Bankbe-
trugs entkriminalisierte, die zuvor Gegenstand der Untersuchungen der DNA waren. Ein weiteres
Gesetz verbot den Ermittlern, Gespräche von Verdächtigen aufzunehmen ohne sie vorher darüber
zu informieren. Dies geschah, obwohl zum selben Zeitpunkt ein Bericht der Amerikanischen An-
waltskammer die Unzulänglichkeiten und fehlenden Mittel der rumänischen Strafverfolgung im
Vergleich zu amerikanischen und europäischen Standards bekannt gab. Die Europäische Kommis-
sion kommentierte diese Entwicklung mit dem Hinweis, dass „diese Gesetze die Möglichkeiten der
Ermittler, Beweismaterial zu sammeln, entschieden einschränken, besonders wenn sich die Unter-
suchungen gegen gut etablierte kriminelle Gruppen oder einflussreiche korrumpierte Regierungs-
vertreter richten“.

Der Amerikanische Botschafter verurteilte die neuen Gesetze öffentlich mit den Worten, sie ent-
sprächen nicht denen eines modernen Staates und Mitglieds der EU. Dies erinnerte an die alten
Zeiten, als in Bukarest akkreditierte westliche Diplomaten über die Methoden und Machenschaften
der höchst byzantinischen hiesigen politischen Klasse staunten. Bogdan Olteanu, Präsident der
Abgeordnetenkammer und einer der „Jungtürken“ der Liberalen Partei, erwiderte, der Botschafter
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solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, da er selbst nur ein Ernannter der Regie-
rung Bush sei. Noch peinlicher wurde dieser Zwischenfall als der britische Botschafter anmerkte, er
unterstütze die Position der „amerikanischen Regierung“. Diese Stellungnahmen zeigen sehr klar
die Ernüchterung ausländischer Beobachter der rumänischen Transformation – Vereinigte Staaten,
Europäische Kommission, Großbritannien – über das, was nach dem Beitritt geschah.

Der politische Guerillakampf gegen die Staatsanwälte und Ermittler zog sich durch das gesamte
Jahr 2007 hindurch. Der größte Skandal stand allerdings noch bevor. Im Oktober 2007 setzte Minis-
ter Chiuariu per Notstandsverfügung ein beratendes Komitee ab, das über Ermittlungen gegen
ehemalige und gegenwärtige Minister entschied. Laut dem Gesetz über ministerielle Verantwort-
lichkeiten aus dem Jahr 2005 war dieses Komitee dafür vorgesehen, den Präsidenten in Fragen der
Aufhebung der Immunität seiner Kabinettsmitglieder zu beraten, falls diese vom DNA der Korrup-
tion beschuldigt werden.

Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes im Jahr 2007 erweiterte die Befugnisse auch auf ehe-
malige Minister. Die Medien hatten herausgefunden, dass Minister Chiuariu selbst in einen Korrup-
tionsfall involviert gewesen war, der von der DNA untersucht wurde und deshalb Gegenstand einer
anstehenden Sitzung des Komitees gewesen wäre. Anlass war die Entscheidung Chiuarius, entge-
gen der Schlussfolgerung eines Rechtsgutachtens seiner Behörde ein Gesetz zu bestätigen, welches
ein Grundstück in der Bukarester Innenstadt den Status 'öffentliches Eigentum' entzog, um es
dann unter dem Marktwert an eine regierungsfreundliche Firma zu verkaufen.

Auch wenn die Empfehlungen des Komitees nicht bindend sind und der Präsident verkündete, nie-
mals einen Ermittler aufzuhalten, der gegen jemanden ermittelte, unterbrach die Abschaffung des
Komitees vorerst alle Ermittlungen gegen aktuelle und ehemalige Minister. Die in der Notstands-
verfügung vorgesehene Ersatzlösung sah vor, das Komitee zukünftig mit Richtern zu besetzten. Sie
würden den Fall dann bereits vor der ersten Instanz anhören. Allerdings wurde dieser Vorschlag
vom Verfassungsgericht für nicht verfassungskonform erklärt, da Richter bindende Urteilssprüche
fällen und somit nicht nur Ratgeber für andere staatliche Akteure sind (in diesem Fall den Präsiden-
ten). Im Oktober 2007 beschuldigte der Präsident die Regierung öffentlich, eine weitere Verfügung
zur Schließung der Nationalen Antikorruptionsbehörde vorzubereiten. Obwohl die DNA mittlerwei-
le vom Parlament dem Generalstaatsanwalt untergeordnet worden war, hatte die Behörde bislang
als eigenständige Organisation, mit dem de facto unabhängigen Obersten Strafverfolger und ihrer
eigenen direkt unterstellten Justizpolizei, fortbestanden. So war es auch von der Europäischen
Kommission vorgesehen.

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Die DNA ist besser organisiert und anderen Behörden des Generalstaatsanwalts in Sachen Leis-
tungsfähigkeit und Ressourcen weit voraus. Eine Zusammenführung mit den anderen Behörden
hätte nicht nur die Möglichkeit geschaffen, den Chefermittler zu feuern, sondern es hätte auch alle
von der Europäischen Kommission unternommenen Anstrengungen für nichtig erklärt, diese Be-
hörde in der Rumänische Justiz zu etablieren. In einer live gesendeten Fernsehansprache redete der
Präsident der Regierung ins Gewissen, nicht die Notstandsverfügung auszuüben. Auch die Europä-
ische Kommission zeigte, größtenteils mittels informeller Kanäle, ihr Unbehagen. Am Ende wurde
die Verfügung nicht verkündet, was Minister Chiuariu nicht davon abhielt, der Kommission vorzu-
werfen, sich ihm entgegenzustellen.

Vor dem Beitritt versicherte Rumänien der EU, eine funktionierende und leistungsfähige Nationale
Behörde für Integrität (ANI) zu schaffen, mit der Aufgabe, Besitztümer sowie Interessenkonflikte
und sonstige Unverträglichkeiten mit dem Amt von Politikern und Regierungsbeamten zu überwa-
chen. Allerdings wurde der Entwurf der ehemaligen Justizministerin Monica Macovei von ihren
Nachfolgern beträchtlich geändert. Die entscheidende Abstimmung fand dann im Mai 2007 statt.
Die Europäische Kommission kritisierte den letzten Entwurf vor allem, weil in ihm das Konzept des
„ungerechtfertigten“ Besitzes durch „unerlaubten“ Besitz ersetzt wurde. Die Rumänische Verfas-
sung besagt ausdrücklich, dass jeder Besitz zunächst erlaubt ist und der Besitzer keine rechtliche
Pflicht hat nachzuweisen, wie er seinen Besitz erlangt hat – die Nachweispflicht liegt beim Staats-
anwalt. Demzufolge schafft das Parlament eine Behörde, die leicht vom Verfassungsgericht in
Schach gehalten werden kann. Die Europäische Kommission intervenierte erneut und erinnerte an
die Zusage Rumäniens, eine funktionierende und leistungsfähige Behörde zu schaffen. Die rumäni-
sche Regierung gab diesem Druck nach und verbesserte den Entwurf für ANI, doch neue Gesetzes-
änderungen hierzu warten bereits im Parlament. In der Zwischenzeit gelang es nicht, einen Präsi-
denten der neu geschaffenen Behörde zu küren. Somit hat Rumänien ein weiteres seiner Verspre-
chen nicht eingehalten.

Die Geschehnisse im Bereich Korruptionsbekämpfung sind exemplarisch für das Versagen der EU-
Konditionalität nach dem Beitritt Rumäniens. Korruption war seit Beginn der Verhandlungen ein
rumänisches Problem. Dabei blieb es trotz einiger Fortschrittsmeldungen. Der politische Wille,
Rumänien in die EU aufzunehmen, hat sich am Ende durchgesetzt. Ob dies die richtige Entschei-
dung war, ist sogar in Brüssel weiterhin strittig. Im Jahr 2004 entschied Günther Verheugen als EU-
Erweiterungskommissar, das Kapitel Justiz und Inneres trotz der ablehnenden Empfehlungen der
EU-Generaldirektion für Justiz zu schließen (laut Interviews des Autors mit Mitarbeitern der Kom-
mission). Die Strategie der EU funktionierte bis nach den Wahlen 2004 gut, da sich der politische
Wille in Bukarest mit dem Druck von außen deckte. Die EU begünstigte die Reformer in Bukarest
und gab ihnen in einer im Übrigen feindseligen Umgebung genug Platz zum Atmen.
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Doch mit dem Vollzug des Beitritts 2007, erreichte die EU Strategie ihre Grenzen. Um dem entge-
genzuwirken, versuchte die Kommission eine Kompromisslösung: Sie akzeptierte den Beitritt Ru-
mäniens, etablierte aber gleichzeitig einen besonderen „Nach-Beitritts-
Beobachtungsmechanismus“. Dieser wurde speziell für Bulgarien und Rumänien geschaffen und
zeigt, wie verzweifelt die EU versuchte, den Reformprozess am Leben zu halten. Es wurden ver-
schiedene Bezugsnormen für weitere Reformen vereinbart, an denen der Fortschritt der zwei Länder
gemessen werden sollte. Besondere Klauseln der Beitrittsverträge sollten dafür sorgen, dass die
beiden Länder im Falle ausbleibender Fortschrittserfolge von einigen Privilegien der EU-Verträge
ausgenommen würden. Auf dem Gebiet der Justiz hätte das bedeutet, dass Urteile rumänischer
Gerichte nicht von anderen Mitgliedsstaaten hätten anerkannt werden müssen. Die Anwendung
dieser Maßnahme wäre zwar für rumänische Auswanderer und einige Unternehmen kostspielig
geworden, doch rumänische Politiker hätte das nicht sanktioniert. Die EU machte von den Klauseln
schließlich keinen Gebrauch und erkannte somit implizit ihre Machtlosigkeit an, den Reformpro-
zess aufrecht zu erhalten.

IV. Korruptionsbekämpfung als alleiniges Reformvorhaben?

Die Tatsache, dass alle Experten aus Rumänien fast ausschließlich über Korruption schreiben, ist
ein deutlicher Hinweis auf den gegenwärtigen Seelenzustand der rumänischen Eliten. Es geht nicht
um einzelne isolierte Korruptionsfälle, sondern um ein politisches System, in dem Korruption zur
Norm geworden ist. Im Falle Rumäniens sind politische Zugehörigkeiten weniger relevant als in
westlichen Ländern. So fühlt sich der Autor zum Beispiel der politischen Mitte zugehörig, hat aber
viele intellektuelle Freunde, die links orientiert sind, zugleich jedoch die linken Parteien Rumäniens
absolut zurückweisen. Man kennt sich aus der gemeinsamen Arbeit in vielen NGO-
Antikorruptionsprojekten.

Von außen mag das etwas bizarr erscheinen, doch aus rumänischer Sicht ist es ganz klar: Korrupti-
on kann keiner politischen Ideologie zugeordnet werden. Natürlich hat die große Linkspartei, die
Sozialdemokratie (PSD), nur sehr zurückhaltend mit diesen NGOs kooperiert und uns oft als rechts-
orientiert beschuldigt. Warum ist die PSD so zögerlich in Sachen Korruptionsbekämpfung? Weil sie
Rumänien nach der Revolution am längsten als Regierungspartei geführt hat und somit am meis-
ten von der Systemtransformation profitieren konnte. Dabei ist der Reformflügel der Partei, ange-
führt von dem relativ sauberen Mircea Geoana, dem aktuellen Parteivorsitzenden, ziemlich
schwach und auf Allianzen mit Mitgliedern der alten Garde angewiesen.

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Man darf nicht vergessen, dass der Staatspräsident 2004 mit Unterstützung der Demokratischen
Partei und der Liberalen kandidierte. In Rumänien sind die Liberalen stark rechtsorientiert, während
die Demokratische Partei zu diesem Zeitpunkt auf der linken Seite stand. Somit stand Basescu für
eine Rechts-links-Koalition. In der Zwischenzeit wechselte die Demokratische Partei die Seiten und
trat der EVP bei. Die Allianz zerbrach, und die Liberalen sind nun auf eine parlamentarische Allianz
mir der PSD angewiesen – ein weiterer rechts-links Versuch. Die politischen Verhältnisse in Rumä-
nien zeigen ein aberwitziges Bild, das allerdings gut verdeutlicht, dass die rumänische Parteien-
landschaft anhand von politischen Ideologien nur unvollständig erklärt werden kann. Ideologien
sind nur Marken, die von Politikern, den Medien und der breiten Öffentlichkeit benutzt werden.

Vor diesem Hintergrund wurde Basescu aufgrund seiner rigiden Antikorruptionskampagne zum
Präsidenten gewählt. Er ist beliebt und zudem in einer guten Lage - hohe Legitimation kombiniert
mit geringer exekutiver Macht –, das Thema in der öffentlichen Debatte zu halten. Die politische
Szene um ihn herum teilt sich entlang der Konfliktlinie zwischen Befürwortern und Gegnern von
Basescu. Somit ist seine Agenda als Präsident politisch polarisierend. Bei den lokalen Wahlen im
Mai (Bürgermeister, Bezirks- und Regionalversammlungen) und den Parlamentswahlen im Herbst
2008 oder im Januar 2009 wird das Thema Korruption voraussichtlich den einzigen Unterschied
unter den verschiedenen Parteien ausmachen. Die Parteizugehörigkeiten der ersten Jahre nach 1989
- kommunistisch versus antikommunistisch – spielen 2008 keine Rolle mehr. Die politische Rheto-
rik spricht heutzutage von Pro-Basescu und Anti-Basescu.

Andere Reformanstrengungen – wie zum Beispiel in der Sozialpolitik – sind weniger sichtbar als in
Deutschland. Die Verhältnisse in Deutschland und Rumänien unterscheiden sich insoweit sehr. Die
rumänische Wirtschaft verzeichnete in den vergangenen sieben Jahren ein Wachstum von 5 Pro-
zent per annum. Nach der vorhergehenden Depression ist die generelle Stimmung hinsichtlich der
wirtschaftlichen Lage optimistisch. Im Gegensatz zu Westeuropa verzeichnet die rumänische Wirt-
schaft ein hohes Wachstum. Mit der Einführung der Flat Tax im Jahr 2004 konnten die Haushalts-
einkünfte und damit beispielsweise die Renten erhöht werden. Allerdings verursachten die Art und
Weise, wie die Regierung die Renten erhöhte (nämlich von der Opposition erpresst) sowie zu opti-
mistische haushaltspolitische Prognosen wirtschaftliche Spannungen und machten drastische
Maßnahmen der Zentralbank notwendig, um die Inflation zu kontrollieren. Außer der Rentenfrage
wurden keine weiteren sozialen Maßnahmen diskutiert.

Laut einer kürzlich veröffentlichen Studie über ausländische Direktinvestitionen ist Rumänien der
attraktivste Investitionsstandort Osteuropas. Wie schon im Zuge des deutschen „Nokia-Skandal“
berichtet, zieht es viele Unternehmen nach Rumänien. Es gibt jedoch bereits Anzeichen, dass sich
das Wachstum des Modells „Europas China“ etwas verlangsamen wird. Erkennbar ist zugleich, dass
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sich Rumäniens Rolle als Niedriglohnland zu wandeln beginnt. Der erste Streik gegen einen auslän-
dischen Besitzer eines Unternehmens in Rumänien war ein großer Erfolg für die Belegschaft: Dacia
Renault ist ein geschäftliches Erfolgsmodell; ein Unternehmen aus dem Westen übernahm Indust-
rieanlagen, die noch aus der kommunistischen Ära stammten und produzierte ein Auto, das für
Jahre der Exporthit der rumänischen Automobilindustrie war. Der „Logan“ war gerade auch wegen
der niedrigen Löhne in Rumänien so erfolgreich. Die Belegschaft initiierte einen dreiwöchigen
Streik und errang eine 30-prozentige Lohnerhöhung. Daraufhin wurde Mittal Galati, das größte
ausländische Unternehmen in Rumänien, ebenfalls bestreikt. Das führt natürlich zu der Frage nach
den Wettbewerbsvorteilen Rumäniens gegenüber anderen Ländern, nämlich den niedrigen Löhnen.
Die Politik hat sich diese Frage allerdings noch nicht gestellt. Im Konflikt zwischen den Arbeitneh-
mern und Arbeitgebern bleiben Regierung und Opposition neutral. Das liegt vor allem daran, dass
die Regierung keinen Einfluss auf die Lohnfindung der Arbeitnehmer hat.

V. Lektionen für zukünftige Erweiterungen und ein Ausblick für Rumänien

Aufgrund der asymmetrischen Beziehung zwischen der Europäischen Union und den Beitrittskan-
didaten spielt Brüssel im Transformationsprozess dieser Länder eine Hauptrolle. Das Reformpoten-
zial wurde in den Jahren vor dem EU-Beitritt voll ausgenutzt, sogar in Bereichen, in denen bislang
nur unzureichende administrative Strukturen existierten (beispielsweise in der Umweltpolitik) oder
chronische Rückständigkeit herrschte (beispielsweise in der Landwirtschaft). Auf diesen Gebieten
waren die Probleme Rumäniens vor allem eine Frage der Ressourcen und wären allein mit einer
ausreichend nachhaltigen Finanzierung und anhaltender Unterstützung durch die EU zu beheben
gewesen. Auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung hingegen waren weder fehlende Ressourcen
noch Rückständigkeit das Problem. Hier traf die Anforderung der EU, alle neuen Mitgliedsstaaten
mit einem angemessenen Maß öffentlicher Moral und Respekt vor öffentlichem Eigentum aufzu-
nehmen, auf eine politische Klasse, die nie zuvor politische Rechenschaft ablegen musste.

Der Prozess der Europäisierung verläuft gegen die Interessen der politischen Eliten in Rumänien,
die öffentliches Eigentum für sich beanspruchen und hierfür eigene Machtstrukturen schaffen.
Leider ist in Rumänien wie auch in anderen Ländern Südosteuropas Eigennutz eines der Hauptmo-
tive, einer politischen Partei beizutreten. Die Spielregeln einzuhalten und einen freien, fairen Wett-
bewerb um Ressourcen zu führen bleibt leider eine geradezu bizarre Ausnahme.

Die Frage, die sich an dieser Stelle aufdrängt lautet: Wird es der Europäischen Union gelingen, diese
Gesellschaften entscheidend zu verändern? Oder bleibt die systematische Korruption in den Län-
dern auch nach ihrer Aufnahme in die Union weiter bestehen? Darauf gibt es kein eindeutiges „Ja“
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oder „Nein“. Die EU hat bewiesen, dass sie sogar im Angesicht einer tief verwurzelten Korruption,
wie sie in Rumänien herrscht, Wandel herbeiführen kann. Wie zuvor erwähnt, hat die von der EU
geförderte Antikorruptionsbehörde einige spektakuläre Fälle aufgedeckt, was für Rumänien von
historischer Dimension ist. Obwohl noch niemand persönlich per Gerichtsurteil zur Rechenschaft
gezogen wurde und den Ermittlern täglich neue Hindernisse in den Weg gelegt werden, hat der
Mantel der Unantastbarkeit der politischen Elite erste Risse bekommen. Ein Großteil der Öffent-
lichkeit – besonders die junge, gebildete, urbane – ist für das Thema Korruption sensibilisiert und
lehnt die damit verbundenen Praktiken der Vergangenheit ab. Vielleicht hätte Rumänien mit der
Zeit eigene Wege zum Wandel gefunden, die EU hat jedenfalls einen sehr starken Anstoß in die
richtige Richtung gegeben. Bei der Messung des Erfolgs sollte bedacht werden, dass man nicht
einfach die politische Elite einer Gesellschaft austauschen kann. Aus dieser Perspektive ist Rumä-
niens Wandel zumindest ein Teilerfolg.

Inzwischen allerdings ist der Integrationsprozess vom Hoffnungsthema zum Nebenthema gewor-
den. Anders als in Polen ist der mit der Mitgliedschaft verbundene Souveränitätsverlust kein gro-
ßes Thema. Im Gegenteil: Rumänen erwartet von der EU mehr Führung und nicht weniger. So be-
grüßten die Rumänen die Intervention der Europäischen Kommission, eine von der Regierung ein-
geführte nationale Registriersteuer für Importfahrzeuge zu blockieren (zu recht, weil die Steuer
gegen die Bedingungen des freien Binnenhandels verstoßen hat). Im Allgemeinen ist jedoch nach
den Jahren des von der EU überwachten Wandels vor dem Beitritt, der sinkende Einfluss der Union
nach 2007 für viele verwirrend.

Hätte die EU mehr erreichen können? Ja, aber dies wäre mit hohen politischen Kosten verbunden
gewesen. Der „Nach-Beitritts-Beobachtungsmechanismus“ für Rumänien und Bulgarien war ein
vorhersehbarer Misserfolg. Sobald die Länder offizielle Mitglieder der EU waren, konnten sie die
Forderungen der Kommission ignorieren, ohne dabei hohe politische Kosten in Kauf nehmen zu
müssen. Der Preis einer wirklich funktionierenden Antikorruptionsbehörde wäre für die politische
Elite allerdings immens hoch gewesen. Eine Alternative hätte in einem konditionierten Beitritt
bestanden. Der Beitrittskandidat Rumänien wäre demnach mit dem Vorbehalt Mitglied geworden,
bei Vertragsbruch aus allen EU-Institutionen ausgeschlossen werden zu können. Kommen solche
Mechanismen für zukünftige Erweiterungen in Frage?

Zumindest im Fall von Mazedonien und Kroatien (und, schon unwahrscheinlicher, im Falle eines
Beitritts der Türkei) wäre eine strengere Überwachung nach dem Beitritt notwendig. Die Erfahrun-
gen der Beitrittsländer 2004 und, stärker noch, die Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien zei-
gen, dass ein Nach-Beitritts-Syndrom die Erfolge des Beitrittszeitraums zunichte machen kann,
besonders auf politisch heiklen Gebieten wie der Korruption, der öffentlichen Verschuldung, der
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Dezentralisierung und der institutionellen Gewaltenteilung. Die EU sollte ihre Strategie überden-
ken. Auch wenn zukünftigen Kandidaten eine größere Bürde auferlegt wird, sollte sich die Union
nicht noch einmal täuschen lassen. „Täusche mich einmal, Schande über dich. Täusche mich zwei-
mal, Schande über mich“ – dies sollte nicht das Credo zukünftiger Erweiterungen sein.

Rumänien wird in den nächsten Jahren ein Land im Auf- und Nachholprozess bleiben und seine
Agenda innerhalb der EU nur schwach vertreten können. Möglicherweise kann Rumänien etwas
mehr Aufmerksamkeit auf die Schwarzmeerregion richten und sich für eine Politik der „offenen
Tür“ gegenüber Moldawien einsetzen. Zu europäischen Themen gibt es im Übrigen keine öffentli-
che Debatte in Rumänien. Im Allgemeinen versucht die Regierung Vorschläge aus Brüssel umzuset-
zen und wird auch für die nächsten Jahre eher ein Policy-Konsument als ein Policy-Produzent sein.

Mit den steigenden Löhnen und verstärkter Nachfrage nach Arbeitskräften in Rumänien wird auch
die Rückkehrrate rumänischer Arbeitsmigranten steigen. Unsere Situation ist mit der Situation von
in Griechenland und Spanien Ende der siebziger Jahre vergleichbar. Die Mittelschicht entwickelt
sich spektakulär, doch bleibt sie im politischen und öffentlichen Raum unterrepräsentiert und
entwickelt keine eigene politische Agenda. Ermittlungen gegen Politiker brachten zwar die Straf-
freiheit zum Fall, doch die Arbeitsethik und Moral in der Politik wird sich nur langsam verbessern.
Unsere Infrastruktur ist zu schwach ausgeprägt, und Rumänien wird nicht die Ressourcen aufbrin-
gen können, die Leistungsfähigkeit des Staates so schnell zu verbessern, wie die Privatwirtschaft es
fordert.

Dennoch besteht mit Blick auf die Zukunft Rumäniens Grund zum Optimismus. Die Privatwirt-
schaft und der Konsum, die Mittelschicht und lokale Bürgerbewegungen verändern Rumänien
unaufhörlich. Nur Rumäniens Politiker halten dieses Tempo noch nicht mit.

Aus dem Englischen von Karl Lemberg

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