Bulletin 4/20 NR. 200, NOVEMBER 2020 KUBA MEXIKO
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Bulletin 4/20 NR. 200, NOVEMBER 2020 MEXIKO Stärkung trotz Krise KUBA Kulturförderung für Solidarität und KURDISTAN Zusammenhalt Gemeinwohl an erster Stelle medico international schweiz Bulletin 4/20 November 2020
2 3 Inhaltsverzeichnis Editorial Liebe Leserin, lieber Leser ZENTRALAMERIKA / SCHWEIZ Das Jahr 2020 hat einen klaren Kurdische Rote Halbmond in Rojava, Wir brauchen ein Gesundheitswesen mit Basisbezug 4 Hauptdarsteller: COVID-19. Das Corona- Nordostsyrien Erstaunliches im Kampf virus wird uns noch lange begleiten, gegen die Pandemie. In Israel/Palästina MEXIKO weit über die gesundheitlichen Belange schafft es unsere Partnerorganisation Stärkung trotz Krise 6 hinaus. Die Pandemie zeigt uns in scho- Physicians For Human Rights Israel nungsloser Brutalität, wie ungerecht (PHRI) mit Hartnäckigkeit und Krea- KURDISTAN und krisenanfällig die kapitalistische tivität, Forderungen an die Regierung Gemeinwohl an erster Stelle 9 Wirtschafts- und Weltordnung ist. Die durchzusetzen und neue Ideen zu Konsequenzen eines privatisierten, verwirklichen. Das Beispiel aus Kuba PALÄSTINA / ISRAEL gewinnorientierten Gesundheitswesens zeigt schliesslich, wie Kulturförderung Corona-Hilfe unter Besatzung 10 sind folgenschwer. Bestehende soziale die Solidarität und den Zusammenhalt und globale Ungleichheiten werden unter Menschen stärken kann. KUBA unübersehbar und durch staatlich Solidarität und Zusammenhalt 11 bestimmte Corona-Massnahmen sogar Wir sind beeindruckt vom Mut und den LETZTE SEITE noch verstärkt. Durch die starke Politi- ausserordentlichen Leistungen, die sierung der Corona-Krise nimmt auch unsere Partnerorganisationen in dieser Stärkung des medico-Teams 12 die Polarisierung in der Gesellschaft Extremsituation erbringen. Ihre Spen- weiter zu. Die Chance, die globale Pan- den machen diese wichtige Arbeit demie zur Stärkung einer effektiven möglich. Vielen Dank! internationalen Zusammenarbeit und der Solidarität in der Bevölkerung zu Wir wissen aber auch, dass unsere nutzen, wurde bisher verpasst. Partner*innen die Rolle des Staates nicht ersetzen können. Langfristig ist In dieser Krise zeigt sich, wie wichtig ein wirtschaftlicher, politischer und und wirkungsvoll Basisorganisationen sozialer Strukturwandel nötig. Wir alle und Gemeinschaftsinitiativen sind. Wo stehen vor der grossen Herausfor- staatliche Hilfe und die nötige Infra- derung, die neu entflammten Debatten Titelbild: struktur fehlen, übernehmen unsere um Gesellschaft, Solidarität und Jeden Donnerstag organisiert AfroAtenAs die Peña por la Partnerorganisationen lebenswichtige Versorgung (Care) konkret zu führen – Diversidad (Show für die Vielfalt) mit LGBTIQ- Aufgaben in der Versorgung und mit Blick über die eigenen Landes- Künstler*innen: «Eine Nacht voller Energie und Kunst». Behandlung der Bevölkerung. Auch in grenzen hinaus und ohne Angst Matanzas, Kuba, Oktober 2020 besetzten und wirtschaftlich abgerie- davor, über Verteilungsgerechtigkeit gelten Regionen sind sie für Menschen zu sprechen! in Not wichtige Hoffnungsträger*innen. In diesem Sinne stehen ermutigende und inspirierende Berichte im Fokus dieses Bulletins. Alice Froidevaux In Mexiko vermochte unsere Partner- organisation SADEC ihre Arbeit im Kommunikation Bereich der Gesundheitsförderung aus- medico international schweiz zubauen und die Unterstützung von Impressum Frauen und Migrant*innen zu stärken. Bulletin 4/20, November 2020. Erscheint viermal jährlich im Abonnement; jährlich Fr. 5.–; beglaubigte Unter den schwierigen Umständen, die Auflage 5'500, Redaktion Alice Froidevaux und Nina Schneider, Layout Bianca Miglioretto, Konzept ob der türkischen Aggression und komunikat GmbH, Druck ropress Genossenschaft, Zürich, Herausgeberin medico international schweiz (vormals Centrale Sanitaire Suisse, CSS, Zürich), Quellenstrasse 25, 8005 Zürich Blockade, der Sanktionen des Westens Titelbild AfroAtenAs und der grassierenden Inflation wid- Bildnachweis S. 5: AMCA, S. 6+7: SADEC, S. 8: Heyva Sor a Kurd, S. 12: medico international schweiz riger kaum sein könnten, leistet der Bulletin 4/20 November 2020 medico international schweiz medico international schweiz Bulletin 4/20 November 2020
4 5 ZENTRALAMERIKA / SCHWEIZ Wir brauchen ein Gesundheitswesen mit Basisbezug Seit Jahrzehnten arbeitet medico international schweiz mit Partner*innen in Zentralamerika. Beat Schmid1, Koordinator der Associazione per l’aiuto medico al Centro America (AMCA) erläutert uns die aktuelle Lage in der Region sowie die Bedeutung von lokalen Basisorganisationen und Solidarität für die Bewältigung der Corona-Krise. Alice Froidevaux medico: Wie haben die Länder Wie haben die Gesundheitssysteme die in Zentralamerika auf Corona reagiert? Krise gemeistert? Wo gab es Ähnlichkeiten, wo Unter- Anfänglich wurde wenig getestet Behandlung eines Covid-Patienten mit nötigem Schutzmaterial in einem Spital in Managua, Nicaragua schiede? und es gab keine verlässlichen Beat Schmid: Ab März 2020 Statistiken zur Verbreitung des Virus. Welche Rolle übernehmen Nichtregie- PROJEKTSTICHWORTE breitete sich Covid-19 auch in Zentral- Wie in Europa waren Tests oder amerika aus. Sehr rasch wurden sehr Schutzmaterial schwer erhältlich. Mit rungsorganisationen? – medico international schweiz hat in Nica- Wichtig scheint mir der Basis- ragua einmalig die Ausstattung von Gesund- strikte Massnahmen getroffen. El den ansteigenden Fällen brach in El bezug. Der kann über staatliche Netz- heitspersonal mit Schutzausrüstung unter- Salvador schloss als erstes die Grenzen, Salvador, Guatemala und Honduras das werke gesichert werden oder über stützt. Das Material wurde auf dem lokalen Guatemala und Honduras zogen nach. Gesundheitssystem im Sommer total comunidades und ihre Organisationen, Markt beschafft und die Partnerin Movi- Schon kurz nach den ersten positiv zusammen. Nicht so in Nicaragua. Hier Promotor*innen oder Hebammen. cancer schulte das Personal in der korrekten getesteten Fällen wurde der totale wurden Menschen mit Symptomen Entscheidend ist, dass das lokale Handhabung der Schutzausrüstungen. Lockdown mit Ausganssperren ver- lokal betreut und Spitäler nicht mit Gesundheitspersonal ihre Gemeinden hängt. So haben Länder mit sehr Verdachtsfällen überlastet. kennt und nahe an den Menschen und Die Covid-Krise hat also ein- ihren Bedürfnissen arbeitet. mich schockiert. Für die Rettung der «Entscheidend ist, dass das drücklich bestätigt: Je wirtschafts- Wo Präventionsarbeit von staat- eigenen Wirtschaft wurden Milliarden Gesundheitspersonal die orientierter ein Gesundheitssystem ist, licher Seite fehlt, versuchen diverse gesprochen aber kaum jemand dachte desto schlechter ist es auf eine uner- Gemeinden kennt und nahe wartete Krise vorbereitet. Oder umge- Basisinitiativen diese Lücke zu füllen.an die Länder des globalen Südens, die Aber das ist gar nicht so einfach. Es wegen Armut, schwacher Wirtschaft an den Menschen arbeitet» kehrt: Je mehr ein System den Men- braucht Fachwissen, eine gewisse und schlechter Versorgung gleich mehr- schen in den Mittelpunkt stellt, desto Systematik und natürlich finanzielle fach gefährdet sind. Es wurde in den geringem wirtschaftlichen Spielraum fähiger ist es, auf eine Ausnahme- Mittel. Zudem schränken die verhäng- eigenen Status Quo investiert, jedoch das Pulver verfrüht verschossen. situation einzugehen. Das haben Kuba ten Corona-Massnahmen die Mobilität kaum an globale Ungerechtigkeit und Einzig Nicaragua distanzierte sich von oder Nicaragua bewiesen. Sie gehören sehr stark ein. Trotzdem zeigen sich Ungleichverteilung gedacht. solch strengen Eingriffen in den Alltag. im Corona-Kontext zu den erfolg- viele Organisationen erfinderisch und Dennoch erlebten wir auch Wichtig war natürlich die reicheren Ländern, weil sie einen krisenerprobt. internationale Solidarität und die ist Kommunikationspolitik. Kuba löste dies wesentlichen Teil des BIP in eine solide Ein schönes Beispiel gesell- sehr wichtig: Mit AMCA und dem sehr vorbildlich mit täglichen und sehr Gesundheitsversorgung investieren und schaftlicher Solidarität ist das Gesund- Zentralamerikasekretariat ermöglichten detaillierten Reportagen. El Salvador weil lokal verankerte Gesundheits- heitsnetzwerk «Christa Baatz» in El wir zum Beispiel die Arbeit von «Christa hingegen hat die Krise mit grosser komitees viel Basis- und Freiwilligen- Salvador. Freiwillige medizinische Baatz» in El Salvador. In Nicaragua Panikmache medial aufgebauscht. Auch arbeit leisten. Fachpersonen haben sich zusammen- versorgten wir zusammen mit der in Guatemala und Nicaragua heizten Auch Prioritäten setzen ist rele- getan und bieten telefonische Beglei- Katastrophenhilfe der DEZA, dem Kan- fehlende und unglaubhafte Informa- vant: Das Gesundheitsministerium von tungen wie auch punktuell Haus- ton Genf und medico international tionen die Gerüchteküche an und El Salvador verfügt über 3'000 lokale, besuche an. In El Salvador wohnhaft, schweiz innerhalb von nur zwei Mona- erzeugten grosse Unsicherheit in der bezahlte Gesundheitspromotor*innen. gab auch mir das Wissen um dieses ten sieben Spitäler mit Schutzaus- Bevölkerung. Nicaraguas Regierung rief Aber in der Krisenbewältigungsstrategie Netzwerk ein gewisses Gefühl von rüstung im Wert von 100'000 CHF. Dies zwar weiter zu Massenveranstaltungen hat man sie einfach vergessen. Die Sicherheit. dank der grossen Solidarität von auf und verzichtete auf einen Lock- Regierung bevorzugte es, medienwirk- Spender*innen! Herzlichen Dank! down, das öffentliche Gesundheits- sam ein Riesenspital zu bauen, das alle Welche Bedeutung hat die interna- ✕ wesen war aber gut vorbereitet und Aussichten hat, ein weisser Elefant zu tionale Solidarität? 1 Beat Schmid engagiert sich seit rund 30 Jahren priorisierte – wie Kuba – Hausbesuche werden. Der plötzliche Hypernationalis- für Basisorganisationen in Lateinamerika. Seit zur Information der Bevölkerung. mus in Europa und der Schweiz haben 2019 ist er Koordinator für die Tessiner NGO AMCA in Zentralamerika. Bulletin 4/20 November 2020 medico international schweiz medico international schweiz Bulletin 4/20 November 2020
6 7 MEXIKO Stärkung trotz Krise Die medico Jahrespartnerschaft 2019/2020 ermöglichte es unserer Partnerorganisation SADEC, die Gesundheitsförderung im Bundesstaat Chiapas zu stärken. Vom SADEC-Koordinator Joel Herredia erfuhr ich, wie es ihnen gelang, trotz der neuen Herausforderungen durch die Corona-Krise ihre Arbeit erfolgreich fortzusetzen. Martin Hesse Im Kontext der aktuellen Pande- Gebiete. Als Folge mussten wir unser mie spielen Nichtregierungsorganisatio- medizinisches Personal, das in den nen wie SADEC in Mexiko eine bedeu- autonomen Landkliniken der zapatis- tende Rolle. Sämtliches Personal des tischen Bewegung arbeitet, erstmal staatlichen Gesundheitswesens wurde nach Palenque in die Zentrale von in die Spitäler in den Städten versetzt. SADEC zurückholen,» so Joel weiter. Eine Ärzte-Praktikantin im Sozialdienst untersucht eine Patientin im Frauenhaus Ixim Antsetic (CAM) Das führte dazu, dass ganze ländliche Bekannt für ihre Autonomie und kom- in Palenque. munale Selbstverwaltung, gelang es den zapatistischen Gemeinden auf ihre von Mexiko Richtung USA migrieren. Es bleibt viel zu tun PROJEKTSTICHWORTE lokalen Strukturen und Mechanismen Die Covid-19 Pandemie hat die ohnehin Und wie wird die Arbeit von SADEC in – medico international schweiz unterstützt zurückzugreifen und sich so selbst zu sehr vulnerablen Migrant*innen hart den kommenden Monaten weiter- mit SADEC das autonome zapatistische schützen. Im Austausch mit den getroffen. Dennoch wurde im Zuge der gehen? «Es bleibt wichtig, in den Gesundheitssystem in indigenen Dörfern in Gesundheitsbeauftragten der zapatis- Krise die Herberge auf Empfehlung von ländlichen Gebieten präsent zu sein. Chiapas. SADEC betreut 5 Kliniken durch Geber*innen-Organisationen vorüber- Auch wenn die Situation sich etwas tischen Dörfer hat SADEC dann fest- Ärzt*innen im Sozialjahr. Die Kliniken gehend geschlossen. Mit der Unter- entspannt hat, darf man nicht ver- gestellt, dass diese vor allem auf werden in enger Zusammenarbeit mit stützung von SADEC gelang es dann gessen, dass die Pandemie jederzeit verlässliche Informationen über Covid- zapatistischen Gesundheitspromotor*innen aber, die Auflagen des Gesundheits- wieder aufflammen kann,» ermahnt geführt. 19 angewiesen waren. «Dort konnte SADEC einspringen. Wir druckten ministeriums für eine Wiedereröffnung Joel. Die Gesundheitsprävention, die Gegenden plötzlich sich selbst überlas- Sensibilisierungs- und Informations- zu erfüllen. Seit Anfang September ist bei SADEC schon vor Covid-19 im sen waren. «Wir von SADEC konnten material, welches dann in den zapa- die Herberge wieder in Betrieb. Zentrum stand, ist heute noch viel dem entgegenwirken, indem wir den tistischen Gebieten verteilt und Das CAM wurde im Kontext der wichtiger geworden. Sie kann helfen, Kontakt zu den Dörfern pflegen und die auch von anderen Organisationen auf Corona-Krise eine wichtige medi- Leben zu retten. Bevölkerung über die Situation und regionaler und nationaler Ebene ver- zinische Anlaufstelle. Aus Angst vor das Coronavirus sensibilisieren und wendet wurde. Zudem konnten wir die einer Ansteckung in einem öffentlichen Es gelang den zapatistischen informieren,» erzählt Joel. Bevölkerung mit Medikamenten und Spital, suchten viele Menschen bei gesundheitlichen Problemen zuerst Gemeinden, auf ihre lokalen Die Kontakte mit der Bevöl- medizinischem Material beliefern,» kerung aufrecht zu erhalten, war berichtet Joel. SADEC hat bei der Hilfe in lokalen Zentren wie dem CAM. Strukturen und Mechanismen Joel sieht in der Zusammenarbeit mit nicht immer einfach. «Die zapatisti- Ausarbeitung der Informationsmateria- dem Frauenhaus ein grosses Potential zurückzugreifen und sich so schen Autoritäten verfügten Mitte März lien mit NGOs aus ganz Mexiko zusam- die weitgehende Abriegelung ihrer mengearbeitet und die medizinische für die Zukunft von SADEC: «In der selbst zu schützen Expertise eingebracht. Dies zeigt ihre Praxis des CAM werden viele Schwan- gute Vernetzung und gibt der Arbeit der gerschaften begleitet und neu auch vergleichsweise kleinen Organisation Geburten betreut. In der Corona-Zeit Wir freuen uns, dass die medico eine beachtliche Breitenwirkung. haben wir einen Geburtsraum in den Jahrespartnerschaft und die ausser- Räumlichkeiten von SADEC einge- ordentliche Lage SADEC gestärkt und Festigung der Arbeit mit Frauen und richtet. Das kann nur eine befristete eine Erweiterung der Arbeit mit Migrant*innen Lösung sein. Eine unserer Visionen ist Migrant*innen, Frauen und Kindern Im Rahmen der medico Jahrespart- es, ein separates Geburtshaus einzu- ermöglicht hat. Wir gratulieren SADEC nerschaft nahm SADEC neu die Zusam- richten, um noch besser auf die zu diesem Erfolg auf dem Weg zu einer menarbeit mit zwei Organisationen in Bedürfnisse der Frauen eingehen zu Gesundheitsversorgung für alle! der Stadt Palenque auf: dem Frauen- können.» ✕ zentrum Casa de Mujer Ixim Antsetic (CAM) und der Herberge Casa del Ausschnitt aus einer Covid-Sensibilisierungsbroschüre «Wie zeigt sich diese Krankheit? Wie können wir Caminante J’tatic Samuel Ruiz für uns schützen?» Menschen, die aus den Ländern südlich Bulletin 4/20 November 2020 medico international schweiz medico international schweiz Bulletin 4/20 November 2020
8 9 KURDISTAN / ROJAVA Gemeinwohl an erster Stelle Der Kurdische Rote Halbmond (Heyva Sor a Kurd) konnte dank der Unterstützung der Stadt Zürich und medico international schweiz in Rojava Trinkwasser, Corona-Schutzmaterial und Hygieneartikel verteilen. Zudem leistet der Rote Halbmond Sensibilisierungsarbeit zur Pandemie. Maja Hess1 In einem handgeschriebenen Behandlungen trotz Blockade Brief bedanken sich die Bewohner*- In dieser Situation, die sich mit akut innen des Quartiers von Talaa in ansteigenden Fallzahlen zuspitzt und Hasakeh beim Kurdischen Roten Halb- wo überall Hindernisse lauern, leistet mond für die überlebenswichtige Liefe- der Kurdische Rote Halbmond Gigan- rung von Trinkwasser. «Ihr habt gross- tisches. Rojava leidet weiterhin unter artige Arbeit geleistet, wir möchten dem der türkischen Blockade. Die Grenze ganzen Team des Roten Halbmondes zum Irak ist häufig geschlossen. Die danken. Andere Organisationen haben Materialbeschaffung gestaltet sich äus- das Wasser gestohlen und wollten es serst schwierig. Zudem verkompliziert danach an uns verkaufen! Aber Ihr habt sich der Einkauf von Medikamenten in das Wasser auf eine faire Art verteilt.» Aleppo, wegen der Sanktionen des Die rasche und unbürokratische Vertei- Westens gegen die Regierung Assad und lung von Trinkwasser hat in den Flücht- lingslagern und Notunterkünften grosse Erleichterung und Zuversicht gebracht. PROJEKTSTICHWORTE Die Türkei hatte seit März wiederholt – medico international schweiz unterstützt die Wasserversorgung im Grossraum den Kurdischen Roten Halbmond im Bereich Hasakeh in Nordostsyrien unterbro- Gesundheitsversorgung (Mobile Kliniken) chen. So wird die Zivilbevölkerung und Trinkwasser, insbesondere für die unter Druck gesetzt und die Wasser- vertriebene Bevölkerung in Notunterkünften knappheit als Waffe benutzt. Dies in Rojava, Nordostsyrien. geschah zeitgleich mit den ersten Warnungen der kurdischen Gesund- heitsbehörden zur Covid-19 Pandemie der wachsenden Inflation. Dennoch hat und dem Aufruf an die Bevölkerung, sich der Rote Halbmond kürzlich häufig und sorgfältig die Hände zu entschlossen, Behandlungsplätze inklu- waschen. Aber mit welchem Wasser? siv Intensivbetten für an Covid-19 Erkrankte einzurichten. Möglich wird Wasser und Schutz für die Bevölkerung diese komplexe Aufgabe, weil sich die «Um jegliche Ungleichbehandlung zu Mitarbeiter*innen von Heyva Sor mit vermeiden, versorgen wir die ganze Be- einem unglaublichen Engagement und völkerung und nicht nur die Flüchtlinge. viel Kreativität für die Gemeinschaft Wir gingen von Haus zu Haus», erzählt und das Gemeinwohl einsetzen. Dies ist Sara Montinaro vom Roten Halbmond. das Herzstück der Revolution in Rojava: «Wir haben das Wasser verteilt, über die Es geht um das Kollektiv, um demo- drohende Gefahr des Virus informiert kratische Rechte und Gerechtigkeit. und den Menschen gezeigt, wie sie sich Selbstorganisation und Selbstverwal- schützen können. Wir haben uns nach tung sind wesentlich. der Wasserqualität und dem Vertei- Wir von medico bedanken uns lungsmodus erkundigt und ausschliess- zum Ende dieses Jahres bei Heyva Sor lich positive Rückmeldungen erhalten.» a Kurd für ihren ausserordentlichen Seit Beginn der Pandemiewarnung wur- Mut, ihren Widerstand und ihre de das gesamte Team von Heyva Sor Fähigkeit, Lösungswege zu finden. intensiv zu den Corona-Massnahmen ✕ ✕ geschult. Neben alltäglichen Hygiene- artikeln verteilte es auch grossflächig 1 Maja Hess, Präsidentin von medico international schweiz, ist momentan in Rojava. In ihrem Blog selber hergestelltes Covid-19 Schutz- berichtet sie regelmässig von ihren Erfahrungen: Covid-Informationskampagne von Heyva Sor a Kurd im Washokani-Camp für intern vertriebene Personen material an die Bevölkerung. www.medicointernational.ch/aktuell/blog-rojava.html Bulletin 4/20 November 2020 medico international schweiz medico international schweiz Bulletin 4/20 November 2020
10 11 ISRAEL / PALÄSTINA KUBA Corona-Hilfe unter Besatzung Solidarität und Zusammenhalt Unsere Partnerorganisation Physicians for Human Rights Ihre langjährige Basisarbeit befähigte unsere Partnerorganisation Israel (PHRI) stellt sich den Herausforderungen der Covid-19 AfroAtenAs, in der Corona-Krise rasch Hilfe für vulnerable Pandemie und erzielt Erfolge: Zum Beispiel erhalten Flüchtlinge Bevölkerungsgruppen bereitzustellen. Dabei spielen Gemeinschaft eine kostenlose Corona-Behandlung. Antonia Moser und Solidarität eine wichtige Rolle. Alice Froidevaux «Viele Fragen und wenige Ant- Patient*innen mit mangelndem Zugang «Die Erfahrungen der letzten und unser Team stand in endlos langen worten.» So beschreibt ein Arzt von zum Gesundheitssystem besucht PHRI Wochen und Monate waren zuerst ein- Schlangen, um Stück für Stück das PHRI die Situation für die Flüchtlinge mit einer mobilen Klinik. Doch diese mal schmerzlich, dann aber auch sehr Material für die wöchentlich ca. 50 und Migrant*innen in Israel. Diese sind durfte im Jordantal wegen der Corona- befriedigend. Wir haben erlebt, dass Essenspakete zusammenzutragen.» von der Corona-Krise besonders betrof- Massnahmen erstmals nicht öffnen. Dies unsere Arbeit Früchte trägt,» so die fen: Sie leiden an Armut, leben in beeng- traf den Direktor Salah Haj Yahya Worte von Yoelkis Torres, Koordinator Ein voller Bauch allein macht nicht gesund ten Platzverhältnissen und bekommen heftig: «Die Klinik ist seit 30 Jahren Teil der Gemeinschaftsinitiative AfroAtenAs. «Um der Quarantäne-Langeweile ent- nur wenig Unterstützung von der Regie- meines Lebens. Aber nun fühlte ich mich Seit elf Jahren setzt sich die gegenzuwirken, verteilen wir zusam- rung. Diese Probleme haben sich mit der plötzlich gelähmt.» Sogleich entwickelte Organisation in Matanzas für eine nach- men mit den Notpaketen auch Bücher Pandemie verschärft. Was also tun, er die neue Idee einer mobilen Apotheke haltige lokale Gemeindeentwicklung und wir nutzen die Hausbesuche, um wenn das Virus ausbricht in einer Unter- und begann, chronisch Kranke in ein. Sie begleitet vulnerable Bevölke- mit den Menschen über ihre Befind- kunft, wo zehn bis zwölf Flüchtlinge auf entfernten Dörfern mit Medikamenten rungsgruppen, die in Kuba kaum Unter- lichkeit zu sprechen. Es ist wichtig, dass engstem Raum zusammenleben? zu beliefern. stützung erhalten, d.h. Kinder mit sie sich nicht alleine gelassen fühlen,» Beeinträchtigungen, ältere Menschen, so Yoelkis zum psychosozialen Ansatz 1000 Patient*innen in Gaza blockiert alleinerziehende Mütter, HIV-Infizierte von AfroAtenAs. Besonders berührt war PROJEKTSTICHWORTE Auch in Gaza hat die Pandemie die oder die Transcommunity. der Koordinator vom Einsatz einer – Von PHRI unterstützt medico international bereits schwierige Situation verschärft. Die Förderung kultureller Aktivi- Gruppe von Transpersonen, die Stoff- schweiz die Mobile Klinik für Palästinenser*- Hier leben Menschen meist sehr eng täten spielt bei dieser Arbeit eine zen- masken nähten, um sie in der Gemeinde innen in den besetzten Gebieten und die zusammen. Zudem war das Gesund- trale Rolle: Strassenmalereien der Afro- zu verteilen: «Dies zeigte uns, dass es Offene Klinik für Sans Papiers und AtenAs-Gemeinschaft dekorieren die heitssystem auf eine solche Krise in gelingt, verschiedene Bevölkerungs- Geflüchtete in Jaffa, Tel Aviv. keiner Weise vorbereitet. PHRI sandte Hauptgasse, Callejón de las Tradiciones, gruppen zusammenzubringen. Gemein- Desinfektionsmittel und Schutzaus- regelmässig treffen sich Gesangs- und schaft wird so gelebte Realität.» PHRI als Ansprechpartner rüstung nach Gaza. Besonders kritisch Tanzgruppen und jeden Donnerstag Dennoch bleibt die tägliche Trotz der bekannten Risiken entschied ist die Situation für die rund 1000 wird eine Show mit Auftritten von Arbeit eine grosse Herausforderung. sich PHRI, die offene Klinik für Flücht- Kranken, die den Gaza-Streifen nicht LGBTIQ-Künstler*innen in den sozialen Die wirtschaftliche Lage wird von Tag linge und Migrant*innen in Israel mit verlassen können, um in Israel medi- Medien ausgestrahlt, die Peña por la zu Tag komplizierter. Immer breiter Schutzmassnahmen weiter zu betrei- zinische Behandlung zu erhalten. Viele Diversidad (Show für die Vielfalt). spreizt sich auch in Kuba die Schere ben. Auf dringende Bitte von PHRI warten seit Wochen auf eine Ausreise- zwischen Chancen und Ausschluss. Die übersetzte das israelische Gesundheits- bewilligung. PHRI fordert von Israel Schnelle Hilfe Dankbarkeit der Menschen wie auch die ministerium zudem Informationsma- Transparenz in Bezug auf die Visa- Dank ihrem langjährigen Engagement Auszeichnung der Arbeit durch Kultur- terial in Sprachen wie Tigrinya oder prozesse und die Hilfe für die Betrof- konnte AfroAtenAs in der Bevölkerung, institutionen geben dem Team von Thai, um die Migrant*innen angemes- fenen. Nach mehreren erfolglosen aber auch mit Institutionen und der AfroAtenAs jedoch Mut und Kraft, um sen aufzuklären. Lange hatten die Anfragen bei den zuständigen Behörden Regierung, wichtige Netzwerke und weiterzumachen: «In mitten des aktuel- israelischen Behörden die Arbeit von initiierte PHRI eine Petition beim Vertrauensbeziehungen aufbauen. In len Chaos helfen zu können, ist ein Licht PHRI ignoriert. Im Kontext der Pan- Höchsten Gericht. Dabei habe sich Kombination mit der lokalen Veran- auf unserem Weg. Die Anerkennung, demie wurde die NGO nun zum gezeigt, wie ‹dürftig› Israels Unter- kerung und einer soliden Infrastruktur die wir für unseren Einsatz erhalten, wichtigsten Ansprechpartner in Bezug stützung sei, obwohl eine rechtliche und ermöglichte dies AfroAtenAs, sehr möchten wir auch an unsere internatio- auf die Gesundheitsversorgung für ethische Pflicht dazu bestehe. Um den schnell auf die Corona-Krise zu rea- nalen Partner weitergeben. Ohne euch Flüchtlinge. Zudem ging die Regierung Druck auf die israelischen Behörden zu gieren und in ihrer Gemeinde Hilfe wäre all dies nicht möglich!» bedankt auf eine zentrale Forderung von PHRI erhöhen, ist PHRI eine Koalition mit 19 anzubieten. In erster Linie handelte es sich Yoelkis. ein und gewährleistet neu Corona- israelischen, palästinensischen und sich dabei um ganz alltägliche Unter- ✕ Behandlungen auch für Menschen ohne internationalen Organisationen einge- stützung: Wöchentliche Nahrungs- Krankenversicherung. gangen. Die Corona-Pandemie zeigt in mittelpakete und gefiltertes Wasser für Israel und Palästina deutlich die Angehörige von Risikogruppen, die das Neu: Eine mobile Apotheke Schwächen des Systems – aber die Haus nicht mehr verlassen sollten. PROJEKTSTICHWORTE Schwieriger gestaltet sich aktuell die PHRI schafft mit ihren Angeboten «Dieses Projekt war eine logistische – medico international schweiz unterstützt in Gesundheitsversorgung der Palästinen- Chancen für eine bessere Gesund- Herausforderung,» berichtet Yoelkis, Kuba die Gesundheitsdienstleistungen von ser*innen in der Westbank, die heitsversorgung für alle. «Für einmal war Geld nicht die Lösung. AfroAtenAs für Kinder mit beeinträchtigung zusätzlich unter der Besatzung leiden. ✕ Überall waren Nahrungsmittel knapp und Senior*innen. Bulletin 4/20 November 2020 medico international schweiz medico international schweiz Bulletin 4/20 November 2020
12 medico international schweiz Stärkung des medico-Teams Kompetenz für politische Analysen und Für unser Team ist 2020 ein Jahr der kultursensible Kommunikation. Umstrukturierung und der besonderen «Für mich muss Entwicklungs- Herausforderungen. zusammenarbeit politisch motiviert und Aber wir dürfen zuversichtlich in die basisorientiert sein. Deshalb ist medico inter- Zukunft schauen. Seit August ist die medico- national schweiz als kleine Organisation mit Geschäftsstelle wieder komplett: Anita starken Wurzeln im politischen Aktivismus Escher, die schon von 2005 bis 2010 für und in der internationalen Solidaritäts- medico international schweiz arbeitete, ist bewegung ein Wunscharbeitsort. Ich freue seit Ende 2019 zurück aus Schweden, wo sie mich, als Kommunikationsverantwortliche als Botschafterin für El Salvador tätig war. unseren Partner*innen aus Zentralamerika, Sie verstärkt den Bereich der Projektkoor- Kuba, Kurdistan, Israel/Palästina und dination und übernimmt die Projektländer Vietnam in der Schweiz eine Stimme geben Kurdistan, El Salvador und Vietnam. Ihre zu dürfen.» (Alice Froidevaux) langjährige internationale Projekterfahrung bereichert die breite Vernetzung und das Zusammen mit Barbara Klitzke, Projekt- institutionelle Fundraising von medico. koordination, und Bianca Miglioretto, «Ich freue mich sehr, wieder bei Administration, sind wir ein starkes Team. medico zu arbeiten. Wichtig ist mir, dass Mit vollem Einsatz begleiten wir unsere medico historisch an die anti-faschistische Partnerorganisationen durch die Krisenzeit Tradition der CSS und an die Unterstützung und wollen ihren Kämpfen und ihren der Befreiungsbewegungen Vietnams, Zen- Visionen auch hier in der Schweiz Gehör tralamerikas und Kurdistans anknüpft. Die verschaffen. Wir freuen uns, dass wir dabei Stärkung der feministischen Perspektive ist auf Ihre Solidarität zählen können! mir ein besonderes Anliegen.» ✕ (Anita Escher) Im August stiess Alice Froidevaux zum medico-Team. Sie übernimmt die Öffent- lichkeitsarbeit und Kommunikation. Nach einem zweijährigen Einsatz im guatemal- tekischen Hochland zum Thema Recht auf Wasser und Nahrung freut sie sich, ihr Engagement für eine gerechtere Welt bei medico fortsetzen zu können. Aus der Ver- bindung von akademischem Fachwissen und praktischer Arbeit mit lokalen Organisa- medico-Team, von l.n.r. Anita Escher, Bianca Miglio- tionen im Feld zieht Alice Froidevaux ihre retto, Alice Froidevaux und Barbara Klitzke Schenken Sie Gesundheit Unsere Partner*innen kämpfen das ganze Jahr für den Zugang zu Gesundheit für alle. Ihre Spende macht es möglich. Vielen Dank! medico international schweiz Quellenstrasse 25 CH-8005 Zürich +41 044 273 15 55 info@medicointernational.ch www.medicointernational.ch Postkonto 80-7869-1 IBAN CH57 0900 0000 8000 7869 1
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