FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG - 04/ 2016 Manuela Maschke - Bibliothek der ...

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D I S K U R S

04/ 2016
Manuela Maschke

FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG - 04/ 2016 Manuela Maschke - Bibliothek der ...
WISO DISKURS
04/ 2016

Die Friedrich-Ebert-Stiftung
Die FES ist die älteste politische Stiftung Deutschlands. Benannt ist sie nach
Friedrich Ebert, dem ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten. Als
parteinahe Stiftung orientieren wir unsere Arbeit an den Grundwerten der Sozialen
Demokratie: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Als gemeinnützige Institution
agieren wir unabhängig und möchten den pluralistischen gesellschaftlichen
Dialog zu den politischen Herausforderungen der Gegenwart befördern. Wir
verstehen uns als Teil der sozialdemokratischen Wertegemeinschaft und der
Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und der Welt. Mit unserer Arbeit
im In- und Ausland tragen wir dazu bei, dass Menschen an der Gestaltung ihrer
Gesellschaften teilhaben und für Soziale Demokratie eintreten.

Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der
Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion
an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um
Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und
Sozial­p olitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und
entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen
Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden.

WISO Diskurs
WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und
politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische
Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich
basierten Politikberatung leisten.

Über die Autorin dieser Ausgabe
Dr. Manuela Maschke ist Diplom-Volkswirtin und Politikwissenschaftlerin. Sie
leitet das das Referat Arbeit und Mitbestimmung sowie das Archiv Betriebliche
Vereinbarungen in der Hans-Böckler-Stiftung.

Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich
Matthias Klein ist in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik für den
Arbeitsbereich Gewerkschaften & Mitbestimmung verantwortlich und leitet den
Arbeitskreis Arbeit-Betrieb-Politik.
04/ 2016                                                                        WISO DISKURS

  Manuela Maschke

  FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG

   2   EINLEITUNG

   3   1     EINFÜHRUNG

   4   2     ARBEITSZEITEN IN DEUTSCHLAND
   4   2.1    Im Überblick
   5   2.2 Wege, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten
   5   2.2.1 Gleitzeit
   6   2.2.2 Arbeitszeitverkürzung und -verlängerung
   6   2.2.3 Arbeitszeitrahmen oder -korridor
   6   2.2.4 Vertrauensarbeitszeit
   6   2.2.5 Bereitschaft und Rufbereitschaften
   6   2.2.6 Teilzeitarbeit
   6   2.2.7 Flexible Schichtarbeit
   7   2.2.8 Mehrarbeit
   7   2.2.9 Sabbatical und Blockfreizeiten
   7   2.2.10 Freistellungen zur Betreuung und Pflege
   7   2.2.11 Arbeitszeitkonten, das notwendige Instrument

   9   3     GESETZE UND TARIFPOLITIK
   9   3.1   Arbeitszeitgestaltung
  10   3.2   Freistellungen zur Pflege
  10   3.3   Teilzeit
  10   3.4   Langzeitkonten: Flexi-II-Gesetz

  11   4     AKTUELLE TRENDS
  11   4.1   Entgrenzung und Verdichtung von Arbeitszeit
  16   4.2   Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeiterfassung
  17   4.3   Lebensverlaufsorientierte Arbeitszeitgestaltung
  30   4.4   Gesundheitsförderliche und alter(n)sgerechte Arbeitszeitgestaltung

  33   5     ANSPRÜCHE AN ARBEIT UND LEBEN

  34   Abbildungsverzeichnis
  34   Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                               2

EINLEITUNG

Die Debatte um die Digitalisierung der Arbeitswelt sowie mög-         solcher Flexibilitätskompromiss geht nicht zulasten der Wirt-
liche Auswirkungen, Chancen und Risiken wird schon eine               schaftlichkeit von Unternehmen, sondern trägt über eine
ganze Weile unter unterschiedlichen Vorzeichen und mit                erhöhte Beschäftigungsfähigkeit und letztendlich produktivere
wechselnden Schwerpunkten geführt. Stand zu Beginn der                und innovativere Arbeitnehmer_innen zur Wettbewerbsfähigkeit
Diskussion noch der Begriff „Industrie 4.0“ sowie eine Fokussierung   von Betrieben bei. Klar ist an dieser Stelle allerdings auch, dass
auf technische Aspekte wie die Cyber-physischen Systeme (CPS)         es nicht die eine Regelung über alle Unternehmen hinweg geben
im Zentrum, werden mittlerweile – nicht zuletzt aufgrund der          kann, sondern branchen-, standort- und betriebsspezifischer
Intervention der Gewerkschaften und ihrer politischen Part-           Lösungen bedarf.
ner_innen – auch der Wandel von Beschäftigungsverhältnissen,              Der vorliegende WISO-Diskurs hat zum Ziel, die bislang be-
Arbeitsprozessen sowie der Arbeitsorganisation erörtert.              stehenden vielfältigen Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitgestaltung
    Eine zunehmend wichtige Rolle spielt dabei das Thema              zu systematisieren, und beleuchtet die Vor- und Nachteile der
Arbeitszeiten bzw. die immer weitergehende Flexibilisierung           jeweiligen Instrumente. Darüber hinaus zielt der Beitrag aber auch
dieser. Durch die mit der Digitalisierung potenziell einhergehenden   darauf ab, über die Vorstellung von Best Practice-Beispielen
Entbetrieblichung sowie einer räumlichen und zeitlichen Ent-          konkreter betrieblicher Praxis im Sinne eines Interessenaus-
grenzung von Arbeit ergeben sich zwar auf der einen Seite             gleichs zwischen Unternehmen und Beschäftigten Empirie in die
zunehmende Freiheitsgrade für Arbeitnehmer_innen im Sinne             manchmal nur mit pauschalisierten Aussagen geführte
der genaueren Abstimmung von Arbeitszeiten auf individuelle           Debatte zu bringen.
Bedürfnisse. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass
diese Freiheitsräume, sofern nicht durch die Sozialpartner ver-
handelt und gestaltet, zu einer Ausdehnung von Erreichbarkeits-       Eine anregende Lektüre wünscht
erwartungen und damit zunehmender Arbeitsverdichtung,
schließlich der potenziellen Überlastung von Beschäftigten            MATTHIAS KLEIN
führen können.                                                        Referent Gewerkschaften & Mitbestimmung
    Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA hat             Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
Mitte vergangenen Jahres hierzu bereits Stellung bezogen und
fordert exemplarisch die Abschaffung des Achtstundentages,
was Ausdruck dafür ist, dass die Arbeitgeber_innenseite die
Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes generell als nicht mehr
zeitgemäß und den Anforderungen einer modernen Wirtschaft
passend erachtet. Dem kann guten Gewissens widersprochen
werden, handelt es sich beim Arbeitszeitgesetz doch mitnichten
um einen Anachronismus, sondern um eine mit arbeitswissen-
schaftlichen Erkenntnissen fundierte Norm.
    Umfassender Konsens besteht jedoch dahingehend, dass es
wenig Sinn macht, den anstehenden Wandel in der Arbeitswelt
obstruieren zu wollen. Es ist vielmehr eine Frage der Gestaltung
dieses Transformationsprozesses durch die Sozialpartner und die
Politik. Dass Erstere sich dieser Gestaltungsaufgabe nicht ver-
schließen bzw. dass sich Flexibilitätsanforderungen durchaus
solidarisch im Sinne eines Kompromisses gestalten lassen, dafür
gibt es bereits eine ganze Reihe betrieblicher Beispiele. Denn ein
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                                          WISO DISKURS                    3

1

EINFÜHRUNG

„Wem gehört die Zeit?“, diese alte Frage wird heute neu gestellt.       dennoch ein Maß an selbstbestimmter Arbeitszeit gegenüber-
Die Gestaltung und Organisation der Arbeitszeit in ihrer Lage,          gestellt und durchgesetzt werden kann.
Dauer und Verteilung war in den vergangenen Jahren eher selten              Betrachtet man die aktuelle Diskussion um ständige Erreich-
Gegenstand von Verhandlungen in den industriellen Beziehungen           barkeit, Überstunden und entgrenztes Arbeiten, dann sind
in Deutschland. Jetzt erlebt Arbeitszeitpolitik im Kontext von          zentrale Themen, die tatsächliche Leistungserbringung
Digitalisierung und Arbeiten 4.0 eine Renaissance, auch in der          überhaupt wieder an die vereinbarte Arbeitszeit zu koppeln,
Tarif- und Betriebspolitik (Seifert 2014). Das ist nicht erstaunlich.   Entgrenzung zu begrenzen und Arbeitszeit schlichtweg wieder
Seitdem es Gewerkschaften gibt, ist Interessenpolitik um die            zu erfassen. Es zeichnet sich ab, dass Tarifverträge, die Mit-
Leistungserbringung bestimmt von Entgelt und Arbeitszeit. Man           bestimmung bei der Begrenzung von Leistungen ermöglichen
kann eine extensive und eine intensive Dimension bei gewerk-            und Grenzen ziehen, Schlüsselinstrumente sind (Hofmann/
schaftlicher Zeitpolitik kennzeichnen (Ohl/Wagner 2014). Extensive      Smolenski 2015).
Zeitpolitik zielt darauf ab, Arbeitszeit zu begrenzen und von der           Rahmenbedingungen werden im Arbeitszeitgesetz und
Nichtarbeitszeit, d. h. Freizeit, abzugrenzen. Die Arbeitszeitver-      weiteren Gesetzen und im besten Falle im Tarifvertrag vereinbart.
kürzungen zuletzt auf die 35-Stunden-Woche, freie Wochenenden           Es gibt eine Fülle an tariflichen Regelungen, um flexible Arbeits-
und der Acht-Stunden-Arbeitstag sind Beispiele. Intensive               zeiten zu gestalten (Bispinck 2014). Die Betriebsparteien regeln
Zeitpolitik bezieht sich auf die Gestaltung der Leistungserbringung     dann, wie die Flexibilität umgesetzt werden kann, gestalten in
während der Arbeitszeit. Pausenregelungen, das Ausmaß der               Betriebsvereinbarungen Arbeitszeitkonten, ihre Verwendung,
Leistungsdichte und -intensität, während der Arbeitszeit, bezahlter     den Auf- und Abbau. Sie regeln auch, ob, wann und wie Gut-
Urlaub sind Beispiele für diese Dimension (Ohl/Wagner 2014).            haben entstehen können, wie Rahmenarbeitszeiten aussehen,
     Die gegenwärtigen Debatten um flexiblere Arbeitszeiten sind        wann Arbeitszeit vorübergehend verkürzt wird etc. Arbeitszeit-
aus gewerkschaftlicher Sicht vielschichtig, denn es geht nicht          konten sind das notwendige Instrument, um flexible Arbeits-
mehr „nur“ um ein Ziel, die Verkürzung, sondern um mehr Selbst-         zeiten überhaupt zu gestalten.
bestimmung in der Lage, Dauer und Verteilung der Arbeitszeit,               Im Folgenden werden überblicksartig wesentliche Tendenzen
um eine größere Ausrichtung an individuelle Lebenssituationen           beschrieben und gesetzliche Grundlagen benannt. Das Herz
und um mehr Differenzierung und Zeitsouveränität (Seifert 2014).        dieser Publikation bilden Beispiele aus Betriebsvereinbarungen,
Vom Ausmaß der Flexibilität in der Arbeitszeitregulierung sind          betriebliche Kompromisse zwischen Arbeitgeber_innen und
sowohl die Produktions- und Wettbewerbsbedingungen von                  Betriebsräten. Sie zeigen, welche Wege beschritten werden
Unternehmen als auch die Arbeits- und die Lebensbedingungen             können, und sie zeigen auch, wo Bedarfe bestehen. Die
von Beschäftigten maßgeblich betroffen. Entgrenzung von Arbeit          Übersicht genügt keiner Vollständigkeit. Geneigte Leser_innen
und Privatleben, ständige Erreichbarkeit, lebensphasenorientierte       werden Anregungen darin finden.
und gesundheitsförderliche Arbeitszeitgestaltung sind die
aktuellen Themen, um die im Betrieb und bei den Sozialpartnern
gerungen wird. „Einer zukunftsfähigen Arbeitszeitgestaltung
sollte es gelingen, im Kontext der unterschiedlichen Veränderungen
in der modernen Arbeitswelt die Ressource Mensch wieder
stärker in den Fokus zu rücken und die Arbeitszeit als Schlüssel-
element im Zusammenspiel von Unternehmenszielen und
Lebensqualität zu verstehen“ (Hellert/Grzesik 2015: 1). Häufig
kreisen jedoch die alltäglichen Auseinandersetzungen um die
Einhaltung und Durchsetzung der vereinbarten Vorgaben
darum, wie dem gewichtigen Vorrang betrieblicher Belange
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                                4

2

ARBEITSZEITEN IN DEUTSCHLAND

2.1 IM ÜBERBLICK                                                       Vor allem die Erwerbstätigkeit von Frauen wächst kontinuier-
                                                                       lich, jedoch arbeiten Frauen vor allem in Teilzeit (im Jahr 2013:
Insgesamt und langfristig betrachtet sind Arbeitszeiten heute          48 Prozent) (WSI 2015, GenderDatenPortal 2015). Wenn Frauen
heterogener, kürzer und flexibler geworden. Dabei arbeiten             Mütter werden, erhöht sich die Teilzeitquote weiter. So arbeiten
immer mehr Beschäftigte in Schichtarbeit, in Teilzeit, zu unge-        fast 70 Prozent der erwerbstätigen Mütter in Teilzeit. Je mehr
wöhnlichen Uhrzeiten, zusätzlich in Rufbereitschaft, an den            Kinder im Haushalt sind, desto geringer ist tendenziell die Stunden-
Wochenenden, auf Abruf etc. (Absenger et al. 2014; Lohmann-            zahl. Bei Männern ist es eher umgekehrt: Mit Kindern arbeiten
Haislah 2012; DIW 2015a).                                              sie länger als ohne (WSI 2015). Die Kluft bei den tatsächlichen
    Dauer der Arbeitszeit: Generell ist die durchschnittliche          Arbeitszeiten zwischen Frauen und Männern vergrößert sich weiter
Arbeitszeit über alle Beschäftigtengruppen pro Woche seit den          auf inzwischen rund neun Stunden.
1990er Jahren gesunken, von rund 38 auf 35,5 Stunden. Die                   Bei den Überstunden gibt es folgende Entwicklung. Die Zahl
tarifliche Arbeitszeit im Westen liegt bei rund 37,7 Stunden           der bezahlten Überstunden sinkt von 48 auf 20 Std./Jahr, zugleich
(Absenger et al. 2014). Die Entwicklung hängt vor allem mit            wächst die Zahl der unbezahlten Überstunden auf 27 Std./Jahr.
mehr Teilzeitarbeit (rund 27 Prozent) zusammen. Denn Voll-             Rund 14 Prozent der Männer arbeiten heute mehr als 45 Std. in
zeitbeschäftigte arbeiten mit 41,9 Stunden pro Woche fast genauso      der Woche, bei den Frauen sind es fünf Prozent. Und hoch quali-
lange wie vor 20 Jahren. Anders ausgedrückt: Das gesamt-               fizierte Beschäftigte arbeiten mit 41 Std./Woche im Durchschnitt
wirtschaftliche Arbeitsvolumen ist in etwa auf dem gleichen            sechs Stunden länger als gering qualifizierte (WSI 2015). Zwar
Niveau geblieben wie Mitte der 1990er Jahre und dies, obwohl           halten sich die Arbeitszeiten von Frauen, insbesondere von
die Arbeitszeit tendenziell kürzer wird. Der Grund hierfür liegt in    Müttern, in Deutschland auf einem geringen Niveau bei gleich-
einer wachsenden Zahl von Erwerbstätigen. Diese arbeiten               zeitig hoher Arbeitszeit der Männer bzw. Väter (Kümmerling
jedoch nicht unbedingt in Vollzeit.                                    et al. 2015); zugleich zeigen diverse Studien seit Jahren, dass die

 Abbildung 1
 Entwicklung von Arbeitsvolumina und Beschäftigung

                                                                                                                            114,1

                                                   110

                                                         1980 = 100

                                                                      1990 		              2000 			                      2013

                                                                                                                            90,6
                                                   90

              Beschäftigte
              Arbeitsstunden insgesamt
              Arbeitsstunden pro Beschäftigte      80
                                                                                                                            79,3

 Quelle: WSI 2014 | @ Hans-Böckler-Stiftung 2014
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                                                             WISO DISKURS                     5

gewünschten Arbeitszeiten von Frauen und Männern hingegen                                Wenn die Arbeitszeit in der Lage, Dauer und Verteilung schwanken
nicht so weit auseinanderliegen, vor allem wenn Kinder noch                              soll, Überstunden anfallen oder Mehrarbeit inkl. Zuschlägen erbracht
sehr klein sind (Wagner 2015).                                                           wird, dann müssen Instrumente zur Flexibilisierung geschaffen und
                                                                                         vereinbart werden. Maßgeblich für variable Arbeitszeiten sind
                                                                                         Arbeitszeitkonten. Durch dieses Instrument kann die Arbeitszeit
 Abbildung 2
 Arbeitsstunden/Woche, Abstand zwischen Frauen und Männern                               von Tag zu Tag, wochenweise oder monatlich schwanken. Nach
                                                                                         dem statistischen Bundesamt arbeiteten im Jahr 2010 rund
                                                                                         36 Prozent der Beschäftigten mit flexiblen Arbeitszeiten, rund
                                                                                         25 Prozent auf der Basis von Zeitkonten, rund zehn Prozent mit
                                                                                         Gleitzeitregelungen. Völlig flexibel in der Gestaltung sind rund
 1991                                                                      41,2
                                                                                         zwei Prozent der Beschäftigten. Die WSI-Betriebsrätebefragung
                                                                                         ergab, dass für rund 50 Prozent der mit Betriebsrat arbeitenden
 2012                                                                     39,8
                                                                                         Beschäftigten Arbeitszeitkonten existieren. Das sind Gleitzeitkonten,
                                                                                         Jahresarbeitszeitkonten, Flexi-Konten speziell zum Ausgleich von
 1991                                                             34,4                   Auftragsschwankungen und Langzeit- sowie Lebensarbeitszeit-
                                                                                         konten.
 2012                                                      30,5                               Wenn Zeit heute auf Konten geparkt und gespart wird, um sie
                                                                                         zu einem späteren Zeitpunkt zu nutzen, dann geht es immer auch
                                                                                         um den Ausgleich von betrieblichen und privaten Belangen.
       Männer                                                                            Denn relativ große Zeitpolster können auf diese Art wachsen. Sie
       Frauen                                                                            lassen sich für unterschiedliche Zwecke verwenden: Konjunktur-
                                                                                         und Marktschwankungen, Blockfreistellungen für private Zwecke,
 Quelle: WSI 2014 | @ Hans-Böckler-Stiftung 2014
                                                                                         zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder für den
                                                                                         vorgezogenen Ruhestand. Nicht zuletzt überstanden Industrien
                                                                                         mit gesparten Guthaben auf Arbeitszeitkonten (Flexi-Konten)
Lage und Verteilung der Arbeitszeiten: Die Tendenz, zu                                   und ergänzt um staatlich geförderte Kurzarbeit die Krisenjahre
ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten, hält ungebrochen an.                                  2008/2009 relativ gut und ohne Massenentlassungen (Herzog-
Inzwischen arbeiten rund 57 Prozent aller Beschäftigten                                  Stein et al. 2013). Die tarifvertraglich und betrieblich geregelte
zumindest hin und wieder nachts, in Schichtarbeit oder am                                flexible Gestaltung von Arbeitszeiten trägt maßgeblich zur
Wochenende.                                                                              Beschäftigungssicherung und Wettbewerbsfähigkeit bei.

 Abbildung 3
 Lage und Verteilung sogenannter Randarbeitszeiten                                       2.2 WEGE, ARBEITSZEITEN FLEXIBEL ZU
                                                                                         GESTALTEN

                                                                                         Idealerweise ist Arbeitszeit für Beschäftigte flexibel, planbar und
               sonntags samstags

                                                                                         verlässlich zugleich. Es gibt eine Fülle an Formen und Modellen
                                                                  43,5%                  Arbeitszeit zu flexibilisieren. Modelle lassen sich auch kombi-
                                                                                         nieren. Im Folgenden ein kurzer Überblick.

                                                   26,2%                                 2.2.1 GLEITZEIT

                                                                                         Gleitzeit ist eine flexible Arbeitszeitgestaltung, bei der man inner-
                   nachts

                                   14,7%                                                 halb festgelegter Grenzen selbst entscheidet, wann und wie lange
                                                                                         man an einem Tag arbeitet. Gleitzeit ist eine sehr alte Form der
       im Schicht-

                                                                                         Arbeitszeitflexibilisierung, die nach wie vor existiert und fort-
         dienst

                                       17,5%                                             laufend weiterentwickelt wird. Ein Beispiel: Beschäftigte können
                                                                                         zwischen 07.00 und 09.00 Uhr und zwischen 16.00 und 18.00 Uhr
                                                                                         Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen.
                                                                                         Häufig existieren sogenannte Kernzeiten, in denen kein Gleitzeit-
                                                                                         spielraum und Anwesenheitspflicht besteht. In diesem Beispiel:
 nachts oder im
  Schichtdienst
    samstags,
    sonntags,

                                                           38,4%                         Innerhalb der Kernzeiten von 09.00 bis 12.30 Uhr und 13.30 bis
                                                                                  39,8   16.00 Uhr besteht Anwesenheitspflicht. Es gibt Varianten, die
                                                                                         Gleitzeit ohne Kernzeiten zu gestalten. Dann ergibt sich quasi ein
                                                                                         täglicher Arbeitszeitrahmen. In diesem Beispiel wäre die Gleit-
                                                                                         zeit ohne Kernzeit zwischen 07.00 und 18.00 Uhr möglich.
       1991                                                                              Innerhalb dieser Zeit muss die arbeitsvertragliche Arbeitszeit
       2012                                                                              erbracht werden.

 Quelle: WSI 2014 | @ Hans-Böckler-Stiftung 2014
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                                    6

2.2.2 ARBEITSZEITVERKÜRZUNG UND                                          (Klein-Schneider 2007). Und letztlich muss auch die Frage
-VERLÄNGERUNG                                                            beantwortet werden, ob und wie ein Schutz vor Überforderung
                                                                         gewährleistet werden kann. Vertrauensarbeitszeit betont Flexi-
Arbeitszeit kann unregelmäßig verteilt werden mit vereinbarten           bilität, Eigenverantwortung der Beschäftigten, Kontrollverzicht und
Ausgleichszeiträumen und Bandbreiten. Beispielsweise kann die            das Vertrauen des Unternehmens, dass die Beschäftigten ihren
Arbeitszeit +/- zwei Stunden schwanken für einzelne Beschäftigten-       Arbeitszeitverpflichtungen auch ohne Kontrolle nachkommen.
gruppen oder die regelmäßige Arbeitszeit wird für 20 Prozent
der Beschäftigten, abweichend vom Tarifvertrag, auf max.                 2.2.5 BEREITSCHAFT UND RUFBEREITSCHAFTEN
40 Std./Woche erhöht für die nächsten zehn Monate. Auch
befristete Arbeitszeitverkürzungen werden auf diese Weise                Im Bereitschaftsdienst können Beschäftigte ihre Arbeit jederzeit
möglich und tarifvertraglich geregelt. Die Vier-Tage-Woche bei           sofort aufnehmen, z. B. Mitarbeiter_innen in Krankenhäusern, der
Volkswagen ist hierfür ein prominentes Beispiel. Wenn ein                Polizei oder Feuerwehr. Bei der Rufbereitschaft halten sich Be-
Tarifvertrag eine solche Abweichung zulässt, dann werden meist           schäftigte bereit, um auf Anforderung die Arbeit aufzunehmen.
in einer Betriebsvereinbarung ergänzend die Details zur                  Das ist jedoch nicht der Arbeitsort, sondern kann das Zuhause
Umsetzung geregelt.                                                      oder ein anderer selbst gewählter Ort sein. Man hält sich in zumut-
                                                                         barer Entfernung vom Einsatzort bereit. Die Vergütung durch Zu-
2.2.3 ARBEITSZEITRAHMEN ODER -KORRIDOR                                   schläge wird in der Regel in Tarifverträgen geregelt, wobei Details
                                                                         zur Umsetzung in Betriebsvereinbarungen vereinbart werden.
Ein Korridor ist eine Form, die vertraglich geregelte Arbeitszeit
ungleichmäßig zu verteilen innerhalb einer festgelegten Band-            2.2.6 TEILZEITARBEIT
breite. Mehrarbeit wird dann innerhalb dieses Rahmens nicht
vergütet. Ein Beispiel: Im Unternehmen kann zwischen 29 und              Bei Teilzeit arbeiten Beschäftigte regelmäßig weniger als die
40 Stunden in der Woche gearbeitet werden bei einer tarif-               tariflich festgelegte volle Arbeitszeit. Es können sehr unter-
vertraglichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden. Die Ober- und            schiedliche Formen und Varianten festgelegt werden. Teilzeit
Untergrenzen bilden den Rahmen für die Schwankungsbreite                 kann täglich, wöchentlich, monatlich oder auch als Jahreskontingent
der Arbeitszeit. Im Durchschnitt muss der vertragliche Arbeits-          vereinbart werden. Auch der Umfang kann von geringfügiger
zeitumfang dann innerhalb einer festgelegten Frist erreicht werden.      Beschäftigung unter 15 Stunden in der Woche bis hin zu vollzeit-
Ein Arbeitszeitrahmen erlaubt es Arbeitnehmer_innen weit-                nahen Volumina von z. B. 32 Stunden in der Woche reichen. Das
gehend selbst die Entscheidung über abzuleistende Arbeitszeit            Teilzeit- und Befristungsgesetz regelt seit 2001 die wesentlichen
zu treffen. Häufig werden Vorausplanungen oder zumindest                 Grundlagen wie das Recht auf Teilzeit, sofern die betrieblichen
Ankündigungsfristen für die Schwankungen der Arbeitszeit fest-           Belange es ermöglichen. Ein Recht auf Rückkehr zur Vollzeit ist
gelegt. Besonders in saisonalen oder kurzzeitigen konjunkturellen        bislang nicht gesetzlich geregelt, wird jedoch vereinzelt in Betriebs-
Auslastungsänderungen sind Arbeitszeitrahmen beliebte Instru-            vereinbarungen festgeschrieben. Eine besondere Form der
mente. Zur Regelung der Schwankungen werden Arbeitszeitkonten            Teilzeitarbeit ist die Altersteilzeit, die den vorzeitigen Übergang
geführt.                                                                 in den Ruhestand regelt.
                                                                              Mehrheitlich Frauen arbeiten in Teilzeit. Teilzeitarbeit ist
2.2.4 VERTRAUENSARBEITSZEIT                                              attraktiv und wächst weiter vor allem in Dienstleistungsbranchen.
                                                                         Hier wird vor allem geringfügige Teilzeitarbeit genutzt, um den
Vertrauensarbeitszeit, ein Modell flexibler Arbeitszeit, bei dem die     Arbeitseinsatz flexibel und besser mit der eher ungleichmäßigen
Beschäftigten Beginn, Umfang und Ende der täglichen Arbeitszeit          Nachfrage synchronisieren zu können. Eine extreme Form ist
selbst festlegen. Häufig verzichten die Betriebsparteien auf eine        Arbeit auf Abruf. Dann sind Beschäftigte so flexibel einsetzbar,
Definition. Bei dieser Form der Arbeitszeitgestaltung fehlt die          wie die betriebliche Produktionssituation es erfordert. Eine
Kontrolle über die einzuhaltende Arbeitszeit und meist auch die          längerfristige Planung von Arbeits- und Freizeit ist kaum möglich,
Arbeitszeiterfassung. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Doku-          weil man auf Abruf binnen weniger Stunden einsetzbar sein muss.
mentation vollständig ausbleibt. Sehr häufig wird davon ausge-
gangen, dass Beschäftigte selbst die Kontrolle über die Arbeitszeit      2.2.7 FLEXIBLE SCHICHTARBEIT
innehaben. Zu Ende gedacht führt Vertrauensarbeitszeit letztlich
zu ergebnisorientierter Arbeitszeit, bei der nur das Arbeitsergebnis,    Schichtarbeit ist an sich zunächst nicht flexibel. Die Gestaltung
nicht aber die Arbeitszeit, die hierfür verwendet wird, zählt. Auf       flexibler Schichtsysteme wird durch Gleitzeitregelungen, verkürzte
diese Weise kann schnell der Überblick über die erbrachte Arbeits-       bzw. verlängerte Schichten sowie die An- und Absagen voll-
zeit verloren gehen. Auch der Betriebsrat kann die Einhaltung            ständiger Schichten umsetzbar. Arbeitszeitkonten haben sich
der Arbeitszeitvorschriften nicht mehr kontrollieren.                    hier als notwendiges Steuerungsinstrument etabliert, durch
    Zunächst ist Vertrauensarbeitszeit für Beschäftigte attraktiv,       welche sich Mehr- und Minderarbeit entsprechend verwalten
weil je nach Gestaltung, die Freiheitsgrade für Beschäftigte             lassen. Flexible Schichtarbeit kann z. B. bei saisonalen Produktionen
hoch sind. Wenn aber die geleistete Arbeitszeit häufig über das          und bei Kapazitätsschwankungen relevant werden. Inzwischen
vertraglich geregelte Ausmaß hinausgeht, dann wird damit                 gibt es Modelle, bei denen auch Teilzeitkräfte schichtweise
das zentrale Problem klar: Das Verhältnis von geleisteter Arbeit         eingeteilt werden. Man arbeitet zwar vollständige Schichten,
und Entgelt verschwimmt, womöglich wird unbezahlte Mehr-                 jedoch sind es insgesamt weniger Schichten pro Woche, im
arbeit geleistet. Die Arbeitszeitkontrolle als Schutz vor gesteigerter   Monat oder im Jahr. Meistens sind die Schichten für die Woche
Leistungsabforderung durch den Arbeitgeber verliert ihre Wirkung         reduziert, sodass Teilzeitkräfte auf ihre vertraglich festgelegte
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                                          WISO DISKURS                    7

Wochenarbeitszeit kommen. Auf diese Weise können sie flexibel          zusätzlich. Eine wichtige Frage beim Thema Familienfreundlichkeit
im Schichtsystem eingesetzt werden, wenn z. B. unterschiedliche        lautet: Passen Unternehmen ihre Regelungen an die gesetzlichen
Schichten pro Woche vorgesehen sind. Zusatz- und Ausfallschichten      Rahmen an, oder gehen sie in ihrem Gestaltungswillen über das
in flexiblen Schichtsystemen werden überwiegend durch betrieb-         gesetzliche Mindestmaß hinaus? Gerade beim Thema Verein-
liche Belange bestimmt, um Personaleinsatz nach dem Bedarf zu          barkeit sind einige Unternehmen und Verwaltungen Vorreiter
gestalten.                                                             und den gesetzlichen Neuerungen voraus.

2.2.8 MEHRARBEIT                                                       2.2.11 ARBEITSZEITKONTEN, DAS NOTWENDIGE
                                                                       INSTRUMENT
Mehrarbeit liegt dann vor, wenn die Arbeitszeit über die tarifliche
bzw. arbeitsvertragliche Arbeitszeit hinausgeht und ggf. mit           Mit Kontenmodellen können betriebs- und marktbedingte
Zuschlägen zusätzlich vergütet wird und vom Betriebsrat                Schwankungen der Produktion in wöchentlichen, monatlichen
genehmigt wurde. Gemäß § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz müssen            oder auch jährlichen Arbeitszeiten festgehalten, kontrolliert und
alle Zeiten, die die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden       ausgeglichen werden.
überschreiten, erfasst und dokumentiert werden. Jedoch ergibt              Weil Zeitsouveränität ein wesentliches Anliegen von Beschäf-
sich hieraus noch keine Zuschlagspflicht. Erst durch Überschreitung    tigten ist, regeln die meisten Vereinbarungen Verfahrensweisen
der Wochenarbeitszeit ergibt sich in der Regel die tarifvertraglich    zum Zeitausgleich (Hamm 2013). Die angesparte Zeit kann auch
zuschlagspflichtige Mehrarbeit. Mehrarbeit ist ein wichtiger Hebel,    über längere Zeiträume als einen Monat auf Konten gespart
wenn Arbeitszeit flexibilisiert wird. Mehrarbeitsregelungen sind       werden. Üblich ist dann die Verwendung von Jahreskonten. Auf
gedacht als wirkungsvolle Hebel aus Beschäftigtensicht, wenn           diese Weise können Betriebe auch in Schichtarbeit flexiblere
über Mehrarbeitszuschläge mehr geleistete Arbeitszeit verteuert        Arbeitszeiten entwickeln (Grzech-Sukalo 2010). Unternehmen
und eine übermäßige Ausdehnung der Arbeitszeit entsprechend            nutzen heute diverse Arbeitszeitkonten parallel, häufig als
begrenzt wird. Bei Überstunden, die im Rahmen flexibilisierter         eine Art zusammenhängendes Gesamtkonzept:
Arbeitszeiten geleistet und später in Freizeit ausgeglichen werden,
kann dieser Effekt nicht eintreten.                                    1. Ein Gleitzeitkonto gleicht kleinere monatliche Schwankungen
                                                                          der Stunden aus.
2.2.9 SABBATICAL UND BLOCKFREIZEITEN                                   2. Ein individuelles Arbeitszeitkonto mit Verteilzeiträumen wird
                                                                          als Jahresarbeitszeit geregelt, sodass tägliche und wöchent-
Die Freistellung im Block für ein paar Tage, Wochen oder Monate           liche Zeiten schwanken können und entsprechend durch-
wird sehr häufig über das Arbeitszeitkonto geregelt. Das Sabbatical       schnittlich ausgeglichen werden müssen.
ist eine Sonderform des Langzeitkontos. Es ermöglicht Be-              3. Auf Flexi-Konten werden Stunden gespart, die für konjunktur-
schäftigten eine längere Freistellung im Sinne einer Arbeits-             bedingte Engpässe zur Verfügung stehen, sodass Beschäf-
unterbrechung meist bis zu max. einem Jahr. Die angesparte Zeit           tigung gesichert und Kurzarbeit vermieden werden kann.
kann nach individuellen Wünschen und Interessen eingesetzt             4. Langzeitkonten mit mehrjährigen Ansparphasen sind für
werden, z. B. für Familienzeit, Weiterbildung oder Reisen.                längere bezahlte Freistellungen nutzbar, z. B. als Sabbatical,
                                                                          für Qualifizierungszeiten oder auch den vorgezogenen
2.2.10 FREISTELLUNGEN ZUR BETREUUNG                                       Ruhestand.
UND PFLEGE
                                                                       Um eine für Beschäftigte „planbare“ Flexibilisierung der Arbeit zu
Nicht nur die Kinderversorgung, sondern auch die zunehmende            ermöglichen, sehen Vereinbarungen meist Zeitplanungen z. B.
Alterung der Bevölkerung ist ein wichtiger Faktor beim Thema           über ein Jahr vor. Die Arbeitszeit kann an betriebliche Auftrags-
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nach heutigen Schätzungen         schwankungen angepasst werden.
des statistischen Bundesamtes wird die Gruppe der „60+“-Jährigen           Arbeitszeitkonten sind das notwendige Instrument, um flexible
im Jahr 2050 etwa 40 Prozent der Bevölkerung umfassen. Das             Arbeitszeiten überhaupt zu gestalten. Mit Kontenmodellen können
ruft nicht nur die Rentenversorgung auf den Plan, sondern wirkt        Schwankungen in der wöchentlichen, monatlichen oder auch
sich auch auf Arbeitszeitmodelle aus, die für unterschiedliche         jährlichen Arbeitszeit festgehalten, kontrolliert und ausgeglichen
Lebenslagen organisiert werden müssen.                                 werden. Häufig finden sich in Betriebsvereinbarungen soge-
    Unbürokratische kurzfristige Freistellungen für einzelne Tage      nannte Ampelkonten, analog zu Verkehrsampeln. Ist die Ampel
und längere unbezahlte Freistellungszeiträume sind wichtige            auf rot, dann ist das Limit überschritten. Je nach vereinbarter
Angebote. Ob dies die Lösung des Problems sein wird, bleibt aber       Lösung muss dann sehr kurzfristig die Zeit in Freizeit ausgeglichen
noch abzuwarten. Immerhin bedeutet reduzierte Arbeitszeit ein          bzw. müssen Minusstunden durch Arbeit reduziert werden,
reduziertes Einkommen. Gesetze alleine, ob umfassend oder              beispielsweise so: In der Gelbphase muss der Vorgesetzte mit
nicht, werden vermutlich nicht ausreichen. Es kommt auf den            dem Beschäftigten eine Lösung für den Zeitausgleich finden.
Willen zur konkreten betrieblichen Umsetzung an und ob Probleme        Der Aufbau weiterer Zeiten kann nur mit ausdrücklicher Geneh-
tatsächlich gelöst werden. Einige Unternehmen versuchen, für           migung des Betriebsrates erfolgen. In der Rotphase darf der
ihre Beschäftigten Kompromisslösungen zu finden. In solchen            Beschäftigte nicht mehr zu Mehrarbeit eingeteilt werden.
Fällen kommen Arbeitszeitkonten zum Einsatz, die „entspart“
werden. Die direkte finanzielle Belastung im Freistelllungsfall ist
dann geringer. Und seit einigen Jahren kompensieren tarifver-
tragliche Fonds, die betrieblich ausgestaltet werden, die Kostenlast
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                                                                        8

 Abbildung 4
 Verbreitung von Arbeitszeitkonten

                                                                   90

                                                                   80

                                                                   70

                                                                   60

                                                                   50

                                                                   40

                                                                   30

 Betriebe mit … Beschäftigten
                                                                   20
               250 und mehr
               50 bis 249                                          10
               10 bis 49
               Betriebe gesamt                                      0

               1 bis 9                                                  1999      2000       2001    2002      2003   2004   2005   2006   2007     2008   2009    2010   2011

 Quelle: IAB-Betriebspanel 1999 bis 2011, Ellguth et al. 2013; hochgerechnete Ergebnisse | © IAB

 Abbildung 5
 Ausgleichszeiträume von Arbeitszeitkonten*

                                                                   45

                                                                   40

                                                                   35

                                                                   30

                                                                   25

                                                                   20

                                                                   15

                                                                   10

               über 1/2 bis 1 Jahr                                  5
               kein fester Ausgleichszeitraum
               bis zu 1/2 Jahr                                      0

               über 1 Jahr bis zu 2 Jahren                                          2002                    2004             2006            2008                 2010

 * in Prozent der Betriebe mit Arbeitszeitkonten
 Quelle: IAB-Betriebspanel 2002, 2006, 2008 und 2010, Ellguth et al. 2013; hochgerechnete Ergebnisse | © IAB
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                                             WISO DISKURS                      9

3

GESETZE UND TARIFPOLITIK

3.1 ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                gestalten und somit stärker den betrieblichen Produktionserforder-
                                                                         nissen anzupassen. Die tarifvertragliche Arbeitszeitverkürzung
Die Grundlagen zur Gestaltung von Arbeitszeiten sind im Arbeits-         wird seither von Flexibilisierungen begleitet. Auch wuchsen
zeitgesetz geregelt, fußend auf EU-Richtlinien. Im Wesentlichen          Spielräume für Abweichungen von tarifvertraglich vereinbarten
wird die Lage und Dauer der Arbeitszeit und der Pausen für               Arbeitszeiten durch sogenannte Öffnungsklauseln. Auf diese
tägliche und wöchentliche Arbeitszeit geregelt, d. h. zulässige          Weise wurden allmählich betriebsspezifische Rahmenarbeitszeiten,
werktägliche Arbeitszeit, Pausen- und Ruhezeiten, Bestimmungen           befristete Kurzarbeit und saisonal unterschiedliche Arbeitszeiten
für Nacht- und Schichtarbeit sowie das Verbot von Sonn- und              in diversen Schichtsystemen und mit sehr unterschiedlichen
Feiertagsarbeit. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Ausnahmen,            Instrumenten möglich (Bispinck 2014; Meine/Wagner 2014).
die durch Tarifverträge ausgefüllt werden. Nach dem Arbeits-                 Heute wird in Tarifverträgen eine sehr große Bandbreite an
zeitgesetz liegt die tägliche Höchstarbeitszeit bei acht Stunden         Arbeitszeitflexibilität geregelt, um betriebliche Anforderungen zu
und kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn die             erfüllen. Tarifverträge legen zunächst vor allem die wöchentliche
acht Stunden im Durchschnitt von sechs Monaten oder 24 Wochen            Arbeitszeit fest. Den betrieblichen Belangen stehen die Interessen
erreicht werden. Aus dem EU-Recht folgt, dass die Arbeitszeit bei        der Beschäftigten gegenüber, welche meist nachrangig berück-
durchschnittlich nicht mehr als 48 Wochenstunden liegen darf.            sichtigt werden. Abweichungen von vereinbarten Arbeitszeiten
Für einzelne Personengruppen werden diese Regelungen angepasst           werden im Rahmen von Korridoren, befristeter Kurzarbeit,
und weitere Vorschriften sind im Jugendarbeitsschutzgesetz, im           saisonalen Varianten, Arbeit an Wochenenden, in Schichtdienst,
Mutterschutzgesetz sowie im Sozialgesetzbuch IX enthalten.               auf Abruf und in Bereitschaft geregelt.

Zusammenfassende Grundmerkmale von Arbeitszeitsystemen                   Tarifverträge sind wichtige Gestaltungselemente für flexible
(Nachreiner 2015):                                                       Arbeitszeiten (Bispinck 2014; Meine/Wagner 2014).

– Dauer der Arbeitszeit: z. B. täglich, wöchentlich, jährlich etc.;      –   Sie legen Beschäftigtenquoten fest, für die verlängerte Arbeits-
– Lage der Arbeitszeit: z. B. Schichtarbeit, Sonntagsarbeit,                 zeiten gelten, d. h. für x Prozent der Belegschaft gilt eine
  unübliche Zeiten;                                                          Arbeitszeit von bis zu 40 Std./Woche.
– Verteilung der Arbeitszeit: z. B. Pausen, tägl./wöchentliche           –   Sie regeln Ausgleichszeiträume, d. h. bis zum Stichtag x bzw.
  Ruhezeiten, Massierungen;                                                  innerhalb eines festgelegten Zeitraums (meist sechs bis zwölf
– Flexibilität, Variabilität/Stabilität/Planbarkeit/Zuverlässigkeit/         Monate) muss die ungleichmäßig verteilte individuelle regel-
  Verlässlichkeit von Arbeitszeitsystemen: z. B. Regelmäßigkeit, zeit-       mäßige wöchentliche Arbeitszeit ausgeglichen sein. Der Aus-
  liche Vorhersehbarkeit, Verbindlichkeit von Arbeitszeitfestlegungen;       gleich kann stichtagsbezogen sein oder auch individualisiert
– Dispositionsspielräume in der Festlegung der konkreten                     erfolgen. Viele Tarifverträge zu flexiblen Arbeitszeiten regeln
  Arbeitszeiten: z. B. wer legt die konkreten Arbeitszeiten fest.            den Ausgleich über Arbeitszeitkonten innerhalb eines fest-
                                                                             gelegten Zeitraums von einem Jahr.
Arbeitszeitgestaltung ist eine Kernaufgabe der Tarifpolitik, weil        –   Tarifverträge legen saisonal unterschiedliche Arbeitszeiten fest.
Arbeitszeit entscheidend für das arbeitsvertragliche Austausch-          –   Sie regeln Arbeitszeitkorridore, d. h. die regelmäßige Arbeitszeit
und Leistungsverhältnis von Arbeit und Entgelt ist. In der Tarif-            oberhalb oder unterhalb der tariflich vereinbarten regel-
politik der 1980er Jahre war Arbeitszeitverkürzung das Hauptthema.           mäßigen Arbeitszeit.
Die tarifvertragliche Jahresarbeitszeit (Wochenarbeitszeit und           –   Sie regeln z. B. in Demografietarifverträgen die Freistellungen
Urlaubsansprüche) war von Mitte der 1980er Jahre bis Ende der                und Flexibilitätswünsche in der Arbeitszeit von Beschäftigten
1990er Jahre rückläufig und liegt seitdem bei rund 1.660                     im Lebensverlauf, zur Verkürzung der Arbeitszeit, für längere
Stunden. Parallel begann man damit, Arbeitszeit flexibler zu                 Freistellungen etc.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                                      10

Einwände von Arbeitgeberseiten, das Arbeitszeitgesetz sei nicht             in der Praxis sehr oft nicht Realität werden. Nach § 8 TzBfG
flexibel genug, werden von Gewerkschaften entsprechend zurück-              können Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten,
gewiesen, da das Arbeitszeitgesetz als Schutzgesetz die Gesundheit,         die länger als sechs Monate im Betrieb arbeiten, ihre Arbeitszeit
die Freiheit und freie Zeit der Beschäftigten schütze (IGBCE 2015).         reduzieren. Dies kann man verlangen, und der Arbeitgeber muss
Um zeitliche und örtliche Flexibilisierung und entsprechend Zeit-           dem nachkommen, sofern keine betrieblichen Gründe dem ent-
souveränität zu verbessern, sollten die individuellen Rechte gestärkt       gegenstehen. In § 9 TzBfG findet man eine ähnliche Regelung
werden. Familienarbeitszeit, ein Recht auf Nichterreichbarkeit und          bezogen auf die Verlängerung der Arbeitszeit. Allerdings bleibt
Telearbeit, Bildungsteilzeit und lebensphasenorientierte Arbeitszeit sind   für die Interpretation der Gründe in der betrieblichen Praxis regel-
entsprechende Konzepte (IGBCE 2015; ver.di 2015; IG Metall 2012).           mäßig Spielraum, weshalb Beschäftigte nicht in Teilzeit wechseln
     In Betriebsvereinbarungen werden Tarifverträge mit Öffnungs-           oder, wenn sie es tun, dann später nicht mehr auf eine Voll-
klauseln entsprechend weiter betriebsspezifisch angepasst.                  zeitstelle zurückkehren (können).
Verwendungszwecke der Konten werden konkretisiert, organi-
satorische und wirtschaftliche Fragen geregelt etc.
     Interessenvertretungen müssen darüber wachen, dass Gesetze             3.4 LANGZEITKONTEN: FLEXI-II-GESETZ
und Tarifverträge eingehalten werden. Der Betriebsrat bestimmt
mit, wenn es um die Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie               Am 1.1.2009 trat das „Gesetz zur Verbesserung der Rahmen-
um die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der                      bedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeit-
betriebsüblichen Arbeitszeit geht. Diese erzwingbaren Mitbe-                regelungen – Flexi II“ in Kraft. Es legt die Rahmenbedingungen
stimmungsrechte ergeben sich gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG.           für Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten fest. Das betrifft vor
Bei flexiblen Arbeitszeiten geht es im Kern darum, die Arbeitszeit          allem die Insolvenzsicherung für die angesparten Arbeitszeitgut-
in Abhängigkeit von den jeweiligen betrieblichen Anforderungen              haben (§§ 7b bis 7f SGB IV). Die wichtigsten Regelungen sind:
schwanken zu lassen und zugleich eine Zeitsouveränität für                       Im Flexi II wird der Begriff „Wertguthaben“ anstelle des Terminus
Beschäftigte zu garantieren. Für den Betriebsrat ist es in der Praxis       „Zeitkonten“ verwendet. In Geld geführte Wertguthaben werden von
oft schwierig, diesen Interessenausgleich zu gestalten.                     in Zeit geführten Arbeitszeitkonten abgegrenzt. Im Wertguthaben
                                                                            können Arbeitszeiten und Arbeitsentgelt eingebracht werden.
                                                                                 Im Flexi II werden Verwendungsmöglichkeiten festgelegt, die
3.2 FREISTELLUNGEN ZUR PFLEGE                                               durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung erweitert werden
                                                                            können. Die Guthaben können für gesetzliche Freistellungszwecke,
Seit Januar 2015 regelt das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von           z. B. Eltern- oder Pflegezeit, eingesetzt werden, ohne dass der
Familie, Pflege und Beruf Möglichkeiten der Freistellung zur Pflege         Arbeitgeber zustimmen muss. Als alternative Begriffe zu
von nahen Angehörigen. Für pflegende Angehörige wurde durch                 Wertguthaben oder Langzeitkonten werden u. a. Langzeitarbeits-
die Einführung des Rechtsanspruchs auf Familienpflegezeit sowie             zeitkonto, Lebensarbeitszeitkonto, Vorruhestandskonto oder
durch die finanzielle Absicherung der kurzzeitigen Freistellung von         Lernzeitkonto verwendet. Teilweise verweist die verwendete
bis zu zehn Tagen zur Pflege die Situation verbessert. Allerdings           Bezeichnung auf eine spezifische Funktion des Kontos: z. B. das
schränkte man den Sonderkündigungsschutz für pflegende An-                  Ansparen von Zeiten für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem
gehörige zeitlich ein und führte ein arbeitgeberseitiges Urlaubs-           Berufsleben oder für eine umfangreiche Fortbildung.
kürzungsrecht ein. Unterstützungsangebote:                                       Flexi II führte eine sogenannte Nominalwertgarantie ein. Dem-
– kurzzeitige Arbeitsverhinderung von bis zu zehn Arbeitstagen              nach müssen zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme mindestens
    (§ 2 Pflegezeitgesetz);                                                 die eingezahlten Beiträge zur Verfügung stehen.
– vollständige oder teilweise Freistellung zur Pflege bis zu sechs               Beim Insolvenzschutz wurde einerseits der Schwellenwert
    Monaten (§ 3 Pflegezeitgesetz);                                         reduziert; andererseits wurden konkrete Insolvenzsicherungs-
– Freistellung zur Sterbebegleitung (§ 3 Pflegezeitgesetz);                 modelle vorgegeben. Die Wirksamkeit der Vorschriften soll
– Teilfreistellung zur Pflege bis zu 24 Monaten (§ 2 Familien-              durch Betriebsprüfungen verbessert werden. Auch eine interne
    pflegezeitgesetz).                                                      Kontrolle durch die Beschäftigten ist vorgesehen.
    Erste Erfahrungen mit dem seit 2012 geltenden Familienpflege-                Das angesparte Zeitguthaben kann auf einen neuen Arbeit-
zeitgesetz lassen vermuten, dass der Entlastungseffekt bislang              geber übertragen werden, und es besteht die Möglichkeit, das
nicht so groß ausfällt (Reuyß 2015). Entsprechend sind tarif-               Guthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund zu über-
vertragliche sowie betriebliche Lösungen gefragt, die vor allem             tragen. Gemäß Flexi II dürfen zukünftig auch geringfügig Be-
Einkommensausfälle kompensieren helfen.                                     schäftigte Wertguthaben aufbauen.
                                                                                 Die Autor_innen der Evaluation des Flexi-II-Gesetzes im Auf-
                                                                            trag des BMAS kommen im Jahr 2011 zu folgendem Fazit: „In
3.3 TEILZEIT                                                                den – bislang – wenigen Fällen, in denen das Gesetz konsequent
                                                                            umgesetzt wurde, hatte es für die betroffenen Arbeitnehmer
Das Teilzeit- und Befristungsgesetz regelt seit 2001 den gesetz-            Vorteile, insbesondere durch die verbesserten Regelungen zum
lichen Anspruch der Beschäftigten auf Teilzeit. Wenn bestimmte              Insolvenzschutz. Das Gesetz hat allerdings bisher nicht dazu
Voraussetzungen erfüllt sind, dann besteht ein individueller                geführt, dass geschützte Langzeitkonten in größerem Umfang
Anspruch auf eine reduzierte Arbeitszeit. Der Arbeitgeber ist               praktiziert werden. Nach wie vor fällt die Mehrheit der flexiblen
verpflichtet, Teilzeit zu fördern, in allen beruflichen Positionen,         Arbeitszeitregelungen nicht unter den Schutz des Gesetzes.
Benachteiligungen zu vermeiden, geeignete Stellen auszuschreiben            Insbesondere in Bezug auf Insolvenzsicherung und Portabilität
und den Betriebsrat regelmäßig über die Entwicklung zu                      bleiben die meisten flexiblen Arbeitszeitregelungen für die Arbeit-
informieren. Der Wunsch nach Aufstockung der Arbeitszeit wird               nehmer mit besonderen Risiken behaftet“ (Riedmann et al. 2011: 25).
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                                                                 WISO DISKURS          11

4

AKTUELLE TRENDS

4.1 ENTGRENZUNG UND VERDICHTUNG                                                        diese Weise findet Arbeit nicht nur am betrieblichen Arbeitsort
VON ARBEITSZEIT                                                                        während der Arbeitswoche statt, sondern immer häufiger an
                                                                                       den Wochenenden und in der Freizeit. Je nach Befragung sind
Das Aufheben und Aufweichen der Trennung von Arbeitszeit und                           bis zu 25 Prozent der Beschäftigten auch außerhalb der normalen
Freizeit ist ein anhaltender Trend in der Arbeitswelt, befördert                       Arbeitszeit telefonisch oder über E-Mail erreichbar. Wird diese
durch die wachsende Nachfrage nach einer Versorgung „rund                              Zeit nicht als Arbeitszeit erkannt, entsteht systematisch eine
um die Uhr“ (Konsum, Gesundheit, Sicherheit, Verkehr, Gastro-                          Verlängerung der Arbeitszeit, die womöglich nicht einmal
nomie etc.) wie auch global immer enger vernetzte Produktions-,                        vergütet wird, sei es durch Freizeit oder Entgelt.
Dienstleistungs- und Wertschöpfungsketten. Wenn in einer                                   Damit verbunden wird ein weiterer Trend beobachtet: Mehr
Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft die tatsächliche Arbeitszeit und                          Leistung wird in derselben Arbeitszeit erbracht, man spricht von
Freizeit verschwimmen, dann spricht man allgemein von Ent-                             Arbeitsverdichtung. Diverse Befragungen zeigen, dass immer
grenzung, mit Vor- und Nachteilen für Beschäftigte und ihre                            mehr Beschäftigte den Eindruck haben, dass sie immer mehr
Unternehmen. Relevant für diesen Trend sind u. a. mobile                               Arbeit in der gleichen Zeit schaffen müssen (Lohmann-Haislah
Informations- und Kommunikationsmittel, Vernetzung via Internet                        2012; DGB-Index Gute Arbeit 2015). Auf diese Weise wird
sowie schnell wachsende Digitalisierung von Produkten und                              zwar nicht unbedingt die Arbeitszeit verlängert, aber die zu
Prozessen. Mobile Endgeräte erlauben es, zu Hause oder unterwegs                       erbringende Leistung in der vorhandenen Arbeitszeit wird
zu arbeiten, Arbeit zu koordinieren und zu organisieren. Auf                           erhöht.

 Abbildung 6
 Erreichbarkeit in der Freizeit

                                                                                                                 43% Erziehung, Unterricht

                                                   27%                                                  33% Energie
                                                                     in den Branchen

                                                                                                        32% Verkehr, Lagerei
                             von allen
                           Beschäftigten                                                               31% Bau

                                                                                                   29% Gesundheit, Sozialwesen

                                                                                              23% Handel

                                                                                           18% Chemie

                                                                                          17% Metall

 Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2012 | © Hans-Böckler-Stiftung 2015
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                              12

Jederzeit und überall arbeiten können schafft große Freiräume:         Zugriffszeiten aufs Firmennetz, Grenzen ziehen. Eines der ersten
Für Unternehmen entstehen Wettbewerbsvorteile, weil Be-                Unternehmen, das mit einer Betriebsvereinbarung zur Regelung
schäftigte noch flexibler den Markt- und Produktionsbedin-             der ständigen Erreichbarkeit an die Öffentlichkeit trat, war die
gungen angepasst eingesetzt werden können; für Beschäftigte            Volkswagen AG. Man vereinbarte, eine „Funkstille“, in der die
liegen Vorteile in diesen Flexibilisierungstrends darin, dass sie      Smartphone-Funktionen und Servernutzung außerhalb der
mehr Selbstbestimmung für die Lage und Verteilung ihrer Arbeits-       geregelten Arbeitszeit abgeschaltet wurden, allerdings nur für
zeit bekommen, wenn Arbeitsort und Arbeitszeit liquide werden.         tariflich Beschäftigte. Eine weitere technische Unterstützung
Private und betriebliche Notwendigkeiten können ggf. besser in         sind Abwesenheitsassistenten. Sie schaffen Freiräume, wenn sie
Übereinstimmung gebracht werden. Was ist jedoch, wenn diese            genutzt werden. Bei Daimler entstand die Möglichkeit, alle E-Mails,
noch stärker verschwimmenden Grenzen nicht gewünscht sind              die während des Urlaubs eingehen, automatisch löschen zu
von Beschäftigten? Welche Regelungen schützen Beschäftigte vor         lassen.
ständiger Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung und entsprechen               Jedoch: Auf Dienstreisen, im Außendienst, bei Kund_innen
gleichzeitig ihren Wünschen sowie den Wünschen ihrer Arbeit-           etc. bestimmen auch äußere Faktoren die Arbeit. Die Beachtung
geber nach Flexibilität?                                               der eigenen Arbeitszeit, ein flexibler Ausgleich im Wochen- oder
                                                                       Monatsrhythmus sind insofern auch regelungsbedürftig. Aus
Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit greifen diese                diesem Grund ist es auch wichtig, dass Reisezeiten angemessen
Aspekte auf und regeln Home Office und die Nutzung mobiler             bewertet und dass Arbeitszeit korrekt erfasst wird. Die Erfassung
Endgeräte. Die klassische Mobilität in der Arbeit, z. B. Auslands-     der Arbeitszeit ist eine Voraussetzung dafür, dass Zeitausgleich
einsätze, Dienstreisen sowie die Arbeit bei den Kund_innen,            überhaupt möglich ist. Wenn in einer Vereinbarung geregelt ist,
ist meist nicht Gegenstand von neueren Vereinbarungen zur              dass innerhalb eines Projekts der Zeitausgleich für angefallene
mobilen Arbeit.                                                        Arbeit ermöglicht werden muss, ist das positiv und muss dann
    Zur alternierenden Telearbeit liegen zahlreiche ältere Verein-     auch praktisch umsetzbar sein.
barungen vor, viele aus dem öffentlichen Dienst. Meist steht die           Es ist für immer mehr Menschen möglich, von einem anderen
bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund.            als dem üblichen Arbeitsort zu arbeiten. Meist wird klar betont,
Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 die wesentlichen Vorteile         dass der Betriebsrat bei der Entscheidung nach § 99 BetrVG zu
und Ziele von Teleheimarbeit wie folgt definiert:                      beteiligen ist. Die Bedürfnisse von mobilen Beschäftigten auf-
                                                                       zugreifen und mit ihnen gemeinsam nach kollektiven Lösungen
„1. Telearbeit verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf      zu suchen ist ein wesentliches Ziel. Die Quadratur des Kreises
und ermöglicht bzw. erleichtert den Beschäftigten sowohl die           lautet: Sowohl individuelle Freiräume zur Gestaltung von
Betreuung von Kindern als auch die Pflege von Angehörigen.             Arbeitszeit, -ort und -organisation zu erhalten wie auch Schutz vor
2. Telearbeit erhöht die Mitarbeitermotivation durch:                  einem Übermaß an Entgrenzung, Flexibilität und Arbeitsver-
– größere Zeitsouveränität bei flexibleren Arbeitszeiten.              dichtung zu gewährleisten.
– erhöhte Freiräume und Eigenverantwortung infolge ziel-                   Einige der Vorzüge, die bereits im Jahr 2000 im Hinblick auf
    orientierter Führung.                                              Teleheimarbeit diskutiert wurden, werden auch heute noch in
– erleichtertes Zeitmanagement, ohne soziale Kontakte zu               Betriebs- und Dienstvereinbarungen regelmäßig genannt, wenn
    verlieren.                                                         in Unternehmen und Verwaltungen Telearbeit und mobile Arbeit
– Zeit- und Kostenersparnis, da Fahrten von und zur Arbeit             geregelt werden. Mobile IT-gestützte Arbeit schließt klassische
    entfallen.                                                         Formen wie Teleheimarbeit mit ein, jedoch sind in der Regel die
3. Telearbeit führt zur Produktivitäts- und Qualitätssteigerung,       mobilen Arbeitsplätze unterwegs nicht nach ergonomischen
da konzentrierter und engagierter infolge der größeren Arbeits-        Bildschirmarbeitsplatzprinzipien ausgestattet.
zufriedenheit gearbeitet würde.                                            Zwei positive Beispiele zeigen die Richtung, um sowohl Erreich-
4. Telearbeit ist wirtschaftlich, da den Investitions- und laufenden   barkeit zu begrenzen und Freiräume zu gestalten. In beiden
Kosten sowohl monetäre als auch qualitative Faktoren gegen-            Unternehmen sind viele weit reichende Vereinbarungen zur Arbeits-
über zu stellen sind.                                                  zeitgestaltung und vor allem Arbeitszeiterfassung vorhanden.
5. Telearbeit unterstützt die Einführung und Verbreitung inno-         Dies ist die notwendige Bedingung für die Begrenzung von Arbeits-
vativer Techniken“ (vgl. BMI, 1999).                                   zeiten. Das Einhalten von Regeln, Akzeptanz der Mitbestim-
                                                                       mungsakteure und eine entsprechende Vertrauenskultur sind
     Dienstvereinbarungen aus dieser Zeit sind in der Regel aus-       ebenfalls Voraussetzung für das Gelingen. Dies ist praktisch
führlich, aber mit geringen Zeitspielräumen. Arbeitszeit wird eher     gelebte Arbeitskultur und knüpft Anforderungen an die
strikt zwischen Betrieb und Wohnung aufgeteilt. Des Öfteren            handelnden Akteure.
findet sich die Regelung, je Arbeitstag ein Fünftel der Wochen-
arbeitszeit anzurechnen (Vogl/Nies 2013). Offener gestaltete
Regelungen stammen eher aus der Privatwirtschaft. Die
Nutzung digitaler, mobiler Arbeitsmittel erleichtert zwar die
Kommunikation, verschärft aber die Zeitprobleme. Das Ergebnis
ist häufig eine Intensivierung der Arbeit und auch eine zeitliche
Ausdehnung (Vogl/Nies 2013).
     Daher gibt es Regelungen, um zu verhindern, dass Vorgesetzte
außerhalb definierter Zeiten auf Beschäftigte „zugreifen“ dürfen.
Alternativ können auch technische Lösungen, wie z. B. begrenzte
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG                                                                            WISO DISKURS                   13

 080102/219/2014 1                                                          Eine Ober- bzw. Untergrenze an Mobilarbeitstagen und -zeiten
 Mobile Arbeit – Betriebsvereinbarung                                       wird durch diese Betriebsvereinbarung nicht vorgegeben.
                                                                            Mobilarbeit erfolgt im Rahmen der jeweils geltenden
 – Auszüge –                                                                regelmäßigen täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit und
                                                                            bedeutet daher keine Erweiterung von Kapazitäten. Einzuhalten
 1. Präambel                                                                sind hierbei die jeweils geltenden gesetzlichen bzw.
 Die Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben,               tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen. Mobilarbeit
 die steigende Internationalisierung des Unternehmens, das                  ist so zu gestalten, dass eine angemessene Einbindung in den
 Erfordernis der Wettbewerbsfähigkeit sowie die modernen                    betrieblichen Arbeitsalltag und in das betriebliche Sozial-
 Arbeits- und Kommunikationsmittel haben zunehmend                          gefüge sichergestellt ist. Die virtuelle online-Teilnahme an
 Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsstrukturen.                         Team-/Gruppenrunden ist unter Berücksichtigung von 6.3
 Mit der Mobilarbeit und der damit verbundenen Möglichkeit                  und 6.4 möglich.
 der Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeitsort und             Auf Wunsch des Mitarbeiters oder Vorgesetzten werden
 Arbeitszeit soll diesen Veränderungen Rechnung getragen                    getroffene Absprachen zur Mobilarbeit überprüft und im
 und eine Verbesserung der Arbeitsqualität und -Produktivität               gegenseitigen Einvernehmen entweder bestätigt, geändert
 erreicht werden. Dies soll zu mehr Selbstbestimmung führen                 oder aufgehoben.
 sowie positive Auswirkungen auf die Gesundheit und die                     Findet zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem keine Einigung
 Arbeitszufriedenheit der tariflichen und außertariflichen                  zur Mobilarbeit bzw. zur gewünschten Änderung getroffener
 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (im weiteren Mitarbeiter                  Absprachen zur Mobilarbeit statt, werden Personalwesen
 genannt) haben. Mobilarbeit bezweckt nicht die ständige                    und Betriebsrat sowie ggf. die Schwerbehindertenvertretung
 Erreichbarkeit der Mitarbeiter oder eine über die vertragliche             zur Klärung hinzugezogen. Findet weiterhin keine Einigung
 Arbeitszeit hinausgehende Ausweitung des Arbeitsvolumens.                  statt, erfolgt eine Entscheidung zwischen Personalwesen und
                                                                            Betriebsrat sowie ggf. der Schwerbehindertenvertretung.
 2. Geltungsbereich                                                         Mobilarbeit hat keine Auswirkungen auf geltende Regelungen
 Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter (inkl.                zum Fahrtkostenzuschuss. Standortbezogene Regelungen
 Zeitarbeitskräfte).                                                        zum Fahrtgeld bleiben unberührt. Grundsätzlich stellt das
                                                                            Pendeln zwischen Büroarbeitsplatz und Mobilarbeitsplatz
 3. Definition „Mobilarbeit“                                                keine Dienstreise dar. [...]
 Mobilarbeit umfasst alle arbeitsvertraglich vereinbarten
 Tätigkeiten, die sowohl online als auch offline (z. B. per                 6. Durchführung von Mobilarbeit
 Computer, Telefon oder mit Papiermedien) außerhalb der                     6.1 Arbeits- und Kommunikationsmittel
 Betriebsstätten durchgeführt werden. Mobilarbeit kann – im                 Alle Mitarbeiter, die mobil arbeiten, erhalten – soweit noch
 Rahmen der gesetzlichen Regelungen – ganztägig oder                        nicht vorhanden – die notwendigen Arbeits- und Kommu-
 tagesanteilig erfolgen. Die Arbeitszeit kann hierbei flexibel              nikationsmittel vom Unternehmen gestellt. Darüber hinaus
 auf verschiedene Arbeitsorte und Tageszeiten innerhalb und                 wird grundsätzlich keine Zusatzausstattung (doppeltes
 außerhalb der Betriebsstätten aufgeteilt werden.                           Equipment, Möbel, etc.) vergeben. [...]
                                                                            6.2 Arbeitsplatzgestaltung
 4. Grundsätze zur Mobilarbeit                                              Der für die Mobilarbeit gewählte Arbeitsplatz muss wie ein
 Mobilarbeit wird von Unternehmensleitung und Gesamt-                       betrieblicher Arbeitsplatz den arbeitswissenschaftlichen
 betriebsrat ausdrücklich befürwortet. Grundsätzlich können                 Erkenntnissen hinsichtlich Ergonomie und Arbeitssicherheit
 alle Mitarbeiter an der Mobilarbeit teilnehmen, sofern dies                entsprechen. Die informations- und datenschutzrechtlichen
 mit der Arbeitsaufgabe vereinbar ist. Mobilarbeit ist für den              Vorgaben sind zu beachten. Auf Wunsch wird der Mitarbeiter
 Mitarbeiter freiwillig. Zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem              zu diesbezüglichen Fragen von den zuständigen Fachstellen
 sind im Vorfeld der Teilnahme an bzw. Durchführung von                     im Unternehmen beraten.
 Mobilarbeit abzustimmen:                                                   6.3 Arbeitszeit
 – die Art und Weise der gegenseitigen Information, wenn                    Die gesetzlichen bzw. tarifvertraglichen Regelungen, insbe-
      mobil gearbeitet wird,                                                sondere zu Ruhezeiten und zur maximalen täglichen und
 – die Verteilung der Arbeitszeiten und                                     wöchentlichen Arbeitszeit, sind einzuhalten. Angeordnete
 – die Aufteilung der Arbeit zwischen Büro- und Mobilarbeit.                Mehrarbeit und angeordnetes Arbeiten außerhalb der
 Betriebliche und persönliche Erfordernisse und Interessen                  Regelarbeitszeit (z. B. in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen,
 sind stets zu berücksichtigen. Die zum Zeitpunkt des                       wenn diese Zeiten bzw. Tage nicht Bestandteil des jeweiligen
 Inkrafttretens dieser Betriebsvereinbarung bestehenden                     Arbeitszeitmodells sind), sind nur möglich, wenn diese durch
 Abmachungen (z. B. zur Telearbeit) gelten als getroffene                   den Vorgesetzten veranlasst wurden und diesen vom Personal-
 Absprachen in diesem Sinne.                                                wesen und Betriebsrat zugestimmt wurde. In diesen Fällen
                                                                            fallen für Tarifmitarbeiter die entsprechenden Zuschläge
                                                                            gemäß den tariflichen und betrieblichen Regelungen an.
 1 Die Kodierung bezeichnet den Standort jeder Vereinbarung im Archiv
 Betriebliche Vereinbarungen der Hans-Böckler-Stiftung sowie das Jahr des
 Abschlusses. Bei Auswertungen wird streng auf Anonymität geachtet.
 www.boeckler.de/betriebsvereinbarungen.
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