FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG - 04/ 2016 Manuela Maschke - Bibliothek der ...
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WISO DISKURS 04/ 2016 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die FES ist die älteste politische Stiftung Deutschlands. Benannt ist sie nach Friedrich Ebert, dem ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten. Als parteinahe Stiftung orientieren wir unsere Arbeit an den Grundwerten der Sozialen Demokratie: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Als gemeinnützige Institution agieren wir unabhängig und möchten den pluralistischen gesellschaftlichen Dialog zu den politischen Herausforderungen der Gegenwart befördern. Wir verstehen uns als Teil der sozialdemokratischen Wertegemeinschaft und der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland und der Welt. Mit unserer Arbeit im In- und Ausland tragen wir dazu bei, dass Menschen an der Gestaltung ihrer Gesellschaften teilhaben und für Soziale Demokratie eintreten. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialp olitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politikberatung leisten. Über die Autorin dieser Ausgabe Dr. Manuela Maschke ist Diplom-Volkswirtin und Politikwissenschaftlerin. Sie leitet das das Referat Arbeit und Mitbestimmung sowie das Archiv Betriebliche Vereinbarungen in der Hans-Böckler-Stiftung. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Matthias Klein ist in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik für den Arbeitsbereich Gewerkschaften & Mitbestimmung verantwortlich und leitet den Arbeitskreis Arbeit-Betrieb-Politik.
04/ 2016 WISO DISKURS Manuela Maschke FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG 2 EINLEITUNG 3 1 EINFÜHRUNG 4 2 ARBEITSZEITEN IN DEUTSCHLAND 4 2.1 Im Überblick 5 2.2 Wege, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten 5 2.2.1 Gleitzeit 6 2.2.2 Arbeitszeitverkürzung und -verlängerung 6 2.2.3 Arbeitszeitrahmen oder -korridor 6 2.2.4 Vertrauensarbeitszeit 6 2.2.5 Bereitschaft und Rufbereitschaften 6 2.2.6 Teilzeitarbeit 6 2.2.7 Flexible Schichtarbeit 7 2.2.8 Mehrarbeit 7 2.2.9 Sabbatical und Blockfreizeiten 7 2.2.10 Freistellungen zur Betreuung und Pflege 7 2.2.11 Arbeitszeitkonten, das notwendige Instrument 9 3 GESETZE UND TARIFPOLITIK 9 3.1 Arbeitszeitgestaltung 10 3.2 Freistellungen zur Pflege 10 3.3 Teilzeit 10 3.4 Langzeitkonten: Flexi-II-Gesetz 11 4 AKTUELLE TRENDS 11 4.1 Entgrenzung und Verdichtung von Arbeitszeit 16 4.2 Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeiterfassung 17 4.3 Lebensverlaufsorientierte Arbeitszeitgestaltung 30 4.4 Gesundheitsförderliche und alter(n)sgerechte Arbeitszeitgestaltung 33 5 ANSPRÜCHE AN ARBEIT UND LEBEN 34 Abbildungsverzeichnis 34 Literaturverzeichnis
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2 EINLEITUNG Die Debatte um die Digitalisierung der Arbeitswelt sowie mög- solcher Flexibilitätskompromiss geht nicht zulasten der Wirt- liche Auswirkungen, Chancen und Risiken wird schon eine schaftlichkeit von Unternehmen, sondern trägt über eine ganze Weile unter unterschiedlichen Vorzeichen und mit erhöhte Beschäftigungsfähigkeit und letztendlich produktivere wechselnden Schwerpunkten geführt. Stand zu Beginn der und innovativere Arbeitnehmer_innen zur Wettbewerbsfähigkeit Diskussion noch der Begriff „Industrie 4.0“ sowie eine Fokussierung von Betrieben bei. Klar ist an dieser Stelle allerdings auch, dass auf technische Aspekte wie die Cyber-physischen Systeme (CPS) es nicht die eine Regelung über alle Unternehmen hinweg geben im Zentrum, werden mittlerweile – nicht zuletzt aufgrund der kann, sondern branchen-, standort- und betriebsspezifischer Intervention der Gewerkschaften und ihrer politischen Part- Lösungen bedarf. ner_innen – auch der Wandel von Beschäftigungsverhältnissen, Der vorliegende WISO-Diskurs hat zum Ziel, die bislang be- Arbeitsprozessen sowie der Arbeitsorganisation erörtert. stehenden vielfältigen Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitgestaltung Eine zunehmend wichtige Rolle spielt dabei das Thema zu systematisieren, und beleuchtet die Vor- und Nachteile der Arbeitszeiten bzw. die immer weitergehende Flexibilisierung jeweiligen Instrumente. Darüber hinaus zielt der Beitrag aber auch dieser. Durch die mit der Digitalisierung potenziell einhergehenden darauf ab, über die Vorstellung von Best Practice-Beispielen Entbetrieblichung sowie einer räumlichen und zeitlichen Ent- konkreter betrieblicher Praxis im Sinne eines Interessenaus- grenzung von Arbeit ergeben sich zwar auf der einen Seite gleichs zwischen Unternehmen und Beschäftigten Empirie in die zunehmende Freiheitsgrade für Arbeitnehmer_innen im Sinne manchmal nur mit pauschalisierten Aussagen geführte der genaueren Abstimmung von Arbeitszeiten auf individuelle Debatte zu bringen. Bedürfnisse. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass diese Freiheitsräume, sofern nicht durch die Sozialpartner ver- handelt und gestaltet, zu einer Ausdehnung von Erreichbarkeits- Eine anregende Lektüre wünscht erwartungen und damit zunehmender Arbeitsverdichtung, schließlich der potenziellen Überlastung von Beschäftigten MATTHIAS KLEIN führen können. Referent Gewerkschaften & Mitbestimmung Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA hat Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik Mitte vergangenen Jahres hierzu bereits Stellung bezogen und fordert exemplarisch die Abschaffung des Achtstundentages, was Ausdruck dafür ist, dass die Arbeitgeber_innenseite die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes generell als nicht mehr zeitgemäß und den Anforderungen einer modernen Wirtschaft passend erachtet. Dem kann guten Gewissens widersprochen werden, handelt es sich beim Arbeitszeitgesetz doch mitnichten um einen Anachronismus, sondern um eine mit arbeitswissen- schaftlichen Erkenntnissen fundierte Norm. Umfassender Konsens besteht jedoch dahingehend, dass es wenig Sinn macht, den anstehenden Wandel in der Arbeitswelt obstruieren zu wollen. Es ist vielmehr eine Frage der Gestaltung dieses Transformationsprozesses durch die Sozialpartner und die Politik. Dass Erstere sich dieser Gestaltungsaufgabe nicht ver- schließen bzw. dass sich Flexibilitätsanforderungen durchaus solidarisch im Sinne eines Kompromisses gestalten lassen, dafür gibt es bereits eine ganze Reihe betrieblicher Beispiele. Denn ein
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG WISO DISKURS 3 1 EINFÜHRUNG „Wem gehört die Zeit?“, diese alte Frage wird heute neu gestellt. dennoch ein Maß an selbstbestimmter Arbeitszeit gegenüber- Die Gestaltung und Organisation der Arbeitszeit in ihrer Lage, gestellt und durchgesetzt werden kann. Dauer und Verteilung war in den vergangenen Jahren eher selten Betrachtet man die aktuelle Diskussion um ständige Erreich- Gegenstand von Verhandlungen in den industriellen Beziehungen barkeit, Überstunden und entgrenztes Arbeiten, dann sind in Deutschland. Jetzt erlebt Arbeitszeitpolitik im Kontext von zentrale Themen, die tatsächliche Leistungserbringung Digitalisierung und Arbeiten 4.0 eine Renaissance, auch in der überhaupt wieder an die vereinbarte Arbeitszeit zu koppeln, Tarif- und Betriebspolitik (Seifert 2014). Das ist nicht erstaunlich. Entgrenzung zu begrenzen und Arbeitszeit schlichtweg wieder Seitdem es Gewerkschaften gibt, ist Interessenpolitik um die zu erfassen. Es zeichnet sich ab, dass Tarifverträge, die Mit- Leistungserbringung bestimmt von Entgelt und Arbeitszeit. Man bestimmung bei der Begrenzung von Leistungen ermöglichen kann eine extensive und eine intensive Dimension bei gewerk- und Grenzen ziehen, Schlüsselinstrumente sind (Hofmann/ schaftlicher Zeitpolitik kennzeichnen (Ohl/Wagner 2014). Extensive Smolenski 2015). Zeitpolitik zielt darauf ab, Arbeitszeit zu begrenzen und von der Rahmenbedingungen werden im Arbeitszeitgesetz und Nichtarbeitszeit, d. h. Freizeit, abzugrenzen. Die Arbeitszeitver- weiteren Gesetzen und im besten Falle im Tarifvertrag vereinbart. kürzungen zuletzt auf die 35-Stunden-Woche, freie Wochenenden Es gibt eine Fülle an tariflichen Regelungen, um flexible Arbeits- und der Acht-Stunden-Arbeitstag sind Beispiele. Intensive zeiten zu gestalten (Bispinck 2014). Die Betriebsparteien regeln Zeitpolitik bezieht sich auf die Gestaltung der Leistungserbringung dann, wie die Flexibilität umgesetzt werden kann, gestalten in während der Arbeitszeit. Pausenregelungen, das Ausmaß der Betriebsvereinbarungen Arbeitszeitkonten, ihre Verwendung, Leistungsdichte und -intensität, während der Arbeitszeit, bezahlter den Auf- und Abbau. Sie regeln auch, ob, wann und wie Gut- Urlaub sind Beispiele für diese Dimension (Ohl/Wagner 2014). haben entstehen können, wie Rahmenarbeitszeiten aussehen, Die gegenwärtigen Debatten um flexiblere Arbeitszeiten sind wann Arbeitszeit vorübergehend verkürzt wird etc. Arbeitszeit- aus gewerkschaftlicher Sicht vielschichtig, denn es geht nicht konten sind das notwendige Instrument, um flexible Arbeits- mehr „nur“ um ein Ziel, die Verkürzung, sondern um mehr Selbst- zeiten überhaupt zu gestalten. bestimmung in der Lage, Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Im Folgenden werden überblicksartig wesentliche Tendenzen um eine größere Ausrichtung an individuelle Lebenssituationen beschrieben und gesetzliche Grundlagen benannt. Das Herz und um mehr Differenzierung und Zeitsouveränität (Seifert 2014). dieser Publikation bilden Beispiele aus Betriebsvereinbarungen, Vom Ausmaß der Flexibilität in der Arbeitszeitregulierung sind betriebliche Kompromisse zwischen Arbeitgeber_innen und sowohl die Produktions- und Wettbewerbsbedingungen von Betriebsräten. Sie zeigen, welche Wege beschritten werden Unternehmen als auch die Arbeits- und die Lebensbedingungen können, und sie zeigen auch, wo Bedarfe bestehen. Die von Beschäftigten maßgeblich betroffen. Entgrenzung von Arbeit Übersicht genügt keiner Vollständigkeit. Geneigte Leser_innen und Privatleben, ständige Erreichbarkeit, lebensphasenorientierte werden Anregungen darin finden. und gesundheitsförderliche Arbeitszeitgestaltung sind die aktuellen Themen, um die im Betrieb und bei den Sozialpartnern gerungen wird. „Einer zukunftsfähigen Arbeitszeitgestaltung sollte es gelingen, im Kontext der unterschiedlichen Veränderungen in der modernen Arbeitswelt die Ressource Mensch wieder stärker in den Fokus zu rücken und die Arbeitszeit als Schlüssel- element im Zusammenspiel von Unternehmenszielen und Lebensqualität zu verstehen“ (Hellert/Grzesik 2015: 1). Häufig kreisen jedoch die alltäglichen Auseinandersetzungen um die Einhaltung und Durchsetzung der vereinbarten Vorgaben darum, wie dem gewichtigen Vorrang betrieblicher Belange
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4 2 ARBEITSZEITEN IN DEUTSCHLAND 2.1 IM ÜBERBLICK Vor allem die Erwerbstätigkeit von Frauen wächst kontinuier- lich, jedoch arbeiten Frauen vor allem in Teilzeit (im Jahr 2013: Insgesamt und langfristig betrachtet sind Arbeitszeiten heute 48 Prozent) (WSI 2015, GenderDatenPortal 2015). Wenn Frauen heterogener, kürzer und flexibler geworden. Dabei arbeiten Mütter werden, erhöht sich die Teilzeitquote weiter. So arbeiten immer mehr Beschäftigte in Schichtarbeit, in Teilzeit, zu unge- fast 70 Prozent der erwerbstätigen Mütter in Teilzeit. Je mehr wöhnlichen Uhrzeiten, zusätzlich in Rufbereitschaft, an den Kinder im Haushalt sind, desto geringer ist tendenziell die Stunden- Wochenenden, auf Abruf etc. (Absenger et al. 2014; Lohmann- zahl. Bei Männern ist es eher umgekehrt: Mit Kindern arbeiten Haislah 2012; DIW 2015a). sie länger als ohne (WSI 2015). Die Kluft bei den tatsächlichen Dauer der Arbeitszeit: Generell ist die durchschnittliche Arbeitszeiten zwischen Frauen und Männern vergrößert sich weiter Arbeitszeit über alle Beschäftigtengruppen pro Woche seit den auf inzwischen rund neun Stunden. 1990er Jahren gesunken, von rund 38 auf 35,5 Stunden. Die Bei den Überstunden gibt es folgende Entwicklung. Die Zahl tarifliche Arbeitszeit im Westen liegt bei rund 37,7 Stunden der bezahlten Überstunden sinkt von 48 auf 20 Std./Jahr, zugleich (Absenger et al. 2014). Die Entwicklung hängt vor allem mit wächst die Zahl der unbezahlten Überstunden auf 27 Std./Jahr. mehr Teilzeitarbeit (rund 27 Prozent) zusammen. Denn Voll- Rund 14 Prozent der Männer arbeiten heute mehr als 45 Std. in zeitbeschäftigte arbeiten mit 41,9 Stunden pro Woche fast genauso der Woche, bei den Frauen sind es fünf Prozent. Und hoch quali- lange wie vor 20 Jahren. Anders ausgedrückt: Das gesamt- fizierte Beschäftigte arbeiten mit 41 Std./Woche im Durchschnitt wirtschaftliche Arbeitsvolumen ist in etwa auf dem gleichen sechs Stunden länger als gering qualifizierte (WSI 2015). Zwar Niveau geblieben wie Mitte der 1990er Jahre und dies, obwohl halten sich die Arbeitszeiten von Frauen, insbesondere von die Arbeitszeit tendenziell kürzer wird. Der Grund hierfür liegt in Müttern, in Deutschland auf einem geringen Niveau bei gleich- einer wachsenden Zahl von Erwerbstätigen. Diese arbeiten zeitig hoher Arbeitszeit der Männer bzw. Väter (Kümmerling jedoch nicht unbedingt in Vollzeit. et al. 2015); zugleich zeigen diverse Studien seit Jahren, dass die Abbildung 1 Entwicklung von Arbeitsvolumina und Beschäftigung 114,1 110 1980 = 100 1990 2000 2013 90,6 90 Beschäftigte Arbeitsstunden insgesamt Arbeitsstunden pro Beschäftigte 80 79,3 Quelle: WSI 2014 | @ Hans-Böckler-Stiftung 2014
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG WISO DISKURS 5 gewünschten Arbeitszeiten von Frauen und Männern hingegen Wenn die Arbeitszeit in der Lage, Dauer und Verteilung schwanken nicht so weit auseinanderliegen, vor allem wenn Kinder noch soll, Überstunden anfallen oder Mehrarbeit inkl. Zuschlägen erbracht sehr klein sind (Wagner 2015). wird, dann müssen Instrumente zur Flexibilisierung geschaffen und vereinbart werden. Maßgeblich für variable Arbeitszeiten sind Arbeitszeitkonten. Durch dieses Instrument kann die Arbeitszeit Abbildung 2 Arbeitsstunden/Woche, Abstand zwischen Frauen und Männern von Tag zu Tag, wochenweise oder monatlich schwanken. Nach dem statistischen Bundesamt arbeiteten im Jahr 2010 rund 36 Prozent der Beschäftigten mit flexiblen Arbeitszeiten, rund 25 Prozent auf der Basis von Zeitkonten, rund zehn Prozent mit Gleitzeitregelungen. Völlig flexibel in der Gestaltung sind rund 1991 41,2 zwei Prozent der Beschäftigten. Die WSI-Betriebsrätebefragung ergab, dass für rund 50 Prozent der mit Betriebsrat arbeitenden 2012 39,8 Beschäftigten Arbeitszeitkonten existieren. Das sind Gleitzeitkonten, Jahresarbeitszeitkonten, Flexi-Konten speziell zum Ausgleich von 1991 34,4 Auftragsschwankungen und Langzeit- sowie Lebensarbeitszeit- konten. 2012 30,5 Wenn Zeit heute auf Konten geparkt und gespart wird, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu nutzen, dann geht es immer auch um den Ausgleich von betrieblichen und privaten Belangen. Männer Denn relativ große Zeitpolster können auf diese Art wachsen. Sie Frauen lassen sich für unterschiedliche Zwecke verwenden: Konjunktur- und Marktschwankungen, Blockfreistellungen für private Zwecke, Quelle: WSI 2014 | @ Hans-Böckler-Stiftung 2014 zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder für den vorgezogenen Ruhestand. Nicht zuletzt überstanden Industrien mit gesparten Guthaben auf Arbeitszeitkonten (Flexi-Konten) Lage und Verteilung der Arbeitszeiten: Die Tendenz, zu und ergänzt um staatlich geförderte Kurzarbeit die Krisenjahre ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten, hält ungebrochen an. 2008/2009 relativ gut und ohne Massenentlassungen (Herzog- Inzwischen arbeiten rund 57 Prozent aller Beschäftigten Stein et al. 2013). Die tarifvertraglich und betrieblich geregelte zumindest hin und wieder nachts, in Schichtarbeit oder am flexible Gestaltung von Arbeitszeiten trägt maßgeblich zur Wochenende. Beschäftigungssicherung und Wettbewerbsfähigkeit bei. Abbildung 3 Lage und Verteilung sogenannter Randarbeitszeiten 2.2 WEGE, ARBEITSZEITEN FLEXIBEL ZU GESTALTEN Idealerweise ist Arbeitszeit für Beschäftigte flexibel, planbar und sonntags samstags verlässlich zugleich. Es gibt eine Fülle an Formen und Modellen 43,5% Arbeitszeit zu flexibilisieren. Modelle lassen sich auch kombi- nieren. Im Folgenden ein kurzer Überblick. 26,2% 2.2.1 GLEITZEIT Gleitzeit ist eine flexible Arbeitszeitgestaltung, bei der man inner- nachts 14,7% halb festgelegter Grenzen selbst entscheidet, wann und wie lange man an einem Tag arbeitet. Gleitzeit ist eine sehr alte Form der im Schicht- Arbeitszeitflexibilisierung, die nach wie vor existiert und fort- dienst 17,5% laufend weiterentwickelt wird. Ein Beispiel: Beschäftigte können zwischen 07.00 und 09.00 Uhr und zwischen 16.00 und 18.00 Uhr Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen. Häufig existieren sogenannte Kernzeiten, in denen kein Gleitzeit- spielraum und Anwesenheitspflicht besteht. In diesem Beispiel: nachts oder im Schichtdienst samstags, sonntags, 38,4% Innerhalb der Kernzeiten von 09.00 bis 12.30 Uhr und 13.30 bis 39,8 16.00 Uhr besteht Anwesenheitspflicht. Es gibt Varianten, die Gleitzeit ohne Kernzeiten zu gestalten. Dann ergibt sich quasi ein täglicher Arbeitszeitrahmen. In diesem Beispiel wäre die Gleit- zeit ohne Kernzeit zwischen 07.00 und 18.00 Uhr möglich. 1991 Innerhalb dieser Zeit muss die arbeitsvertragliche Arbeitszeit 2012 erbracht werden. Quelle: WSI 2014 | @ Hans-Böckler-Stiftung 2014
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 2.2.2 ARBEITSZEITVERKÜRZUNG UND (Klein-Schneider 2007). Und letztlich muss auch die Frage -VERLÄNGERUNG beantwortet werden, ob und wie ein Schutz vor Überforderung gewährleistet werden kann. Vertrauensarbeitszeit betont Flexi- Arbeitszeit kann unregelmäßig verteilt werden mit vereinbarten bilität, Eigenverantwortung der Beschäftigten, Kontrollverzicht und Ausgleichszeiträumen und Bandbreiten. Beispielsweise kann die das Vertrauen des Unternehmens, dass die Beschäftigten ihren Arbeitszeit +/- zwei Stunden schwanken für einzelne Beschäftigten- Arbeitszeitverpflichtungen auch ohne Kontrolle nachkommen. gruppen oder die regelmäßige Arbeitszeit wird für 20 Prozent der Beschäftigten, abweichend vom Tarifvertrag, auf max. 2.2.5 BEREITSCHAFT UND RUFBEREITSCHAFTEN 40 Std./Woche erhöht für die nächsten zehn Monate. Auch befristete Arbeitszeitverkürzungen werden auf diese Weise Im Bereitschaftsdienst können Beschäftigte ihre Arbeit jederzeit möglich und tarifvertraglich geregelt. Die Vier-Tage-Woche bei sofort aufnehmen, z. B. Mitarbeiter_innen in Krankenhäusern, der Volkswagen ist hierfür ein prominentes Beispiel. Wenn ein Polizei oder Feuerwehr. Bei der Rufbereitschaft halten sich Be- Tarifvertrag eine solche Abweichung zulässt, dann werden meist schäftigte bereit, um auf Anforderung die Arbeit aufzunehmen. in einer Betriebsvereinbarung ergänzend die Details zur Das ist jedoch nicht der Arbeitsort, sondern kann das Zuhause Umsetzung geregelt. oder ein anderer selbst gewählter Ort sein. Man hält sich in zumut- barer Entfernung vom Einsatzort bereit. Die Vergütung durch Zu- 2.2.3 ARBEITSZEITRAHMEN ODER -KORRIDOR schläge wird in der Regel in Tarifverträgen geregelt, wobei Details zur Umsetzung in Betriebsvereinbarungen vereinbart werden. Ein Korridor ist eine Form, die vertraglich geregelte Arbeitszeit ungleichmäßig zu verteilen innerhalb einer festgelegten Band- 2.2.6 TEILZEITARBEIT breite. Mehrarbeit wird dann innerhalb dieses Rahmens nicht vergütet. Ein Beispiel: Im Unternehmen kann zwischen 29 und Bei Teilzeit arbeiten Beschäftigte regelmäßig weniger als die 40 Stunden in der Woche gearbeitet werden bei einer tarif- tariflich festgelegte volle Arbeitszeit. Es können sehr unter- vertraglichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden. Die Ober- und schiedliche Formen und Varianten festgelegt werden. Teilzeit Untergrenzen bilden den Rahmen für die Schwankungsbreite kann täglich, wöchentlich, monatlich oder auch als Jahreskontingent der Arbeitszeit. Im Durchschnitt muss der vertragliche Arbeits- vereinbart werden. Auch der Umfang kann von geringfügiger zeitumfang dann innerhalb einer festgelegten Frist erreicht werden. Beschäftigung unter 15 Stunden in der Woche bis hin zu vollzeit- Ein Arbeitszeitrahmen erlaubt es Arbeitnehmer_innen weit- nahen Volumina von z. B. 32 Stunden in der Woche reichen. Das gehend selbst die Entscheidung über abzuleistende Arbeitszeit Teilzeit- und Befristungsgesetz regelt seit 2001 die wesentlichen zu treffen. Häufig werden Vorausplanungen oder zumindest Grundlagen wie das Recht auf Teilzeit, sofern die betrieblichen Ankündigungsfristen für die Schwankungen der Arbeitszeit fest- Belange es ermöglichen. Ein Recht auf Rückkehr zur Vollzeit ist gelegt. Besonders in saisonalen oder kurzzeitigen konjunkturellen bislang nicht gesetzlich geregelt, wird jedoch vereinzelt in Betriebs- Auslastungsänderungen sind Arbeitszeitrahmen beliebte Instru- vereinbarungen festgeschrieben. Eine besondere Form der mente. Zur Regelung der Schwankungen werden Arbeitszeitkonten Teilzeitarbeit ist die Altersteilzeit, die den vorzeitigen Übergang geführt. in den Ruhestand regelt. Mehrheitlich Frauen arbeiten in Teilzeit. Teilzeitarbeit ist 2.2.4 VERTRAUENSARBEITSZEIT attraktiv und wächst weiter vor allem in Dienstleistungsbranchen. Hier wird vor allem geringfügige Teilzeitarbeit genutzt, um den Vertrauensarbeitszeit, ein Modell flexibler Arbeitszeit, bei dem die Arbeitseinsatz flexibel und besser mit der eher ungleichmäßigen Beschäftigten Beginn, Umfang und Ende der täglichen Arbeitszeit Nachfrage synchronisieren zu können. Eine extreme Form ist selbst festlegen. Häufig verzichten die Betriebsparteien auf eine Arbeit auf Abruf. Dann sind Beschäftigte so flexibel einsetzbar, Definition. Bei dieser Form der Arbeitszeitgestaltung fehlt die wie die betriebliche Produktionssituation es erfordert. Eine Kontrolle über die einzuhaltende Arbeitszeit und meist auch die längerfristige Planung von Arbeits- und Freizeit ist kaum möglich, Arbeitszeiterfassung. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Doku- weil man auf Abruf binnen weniger Stunden einsetzbar sein muss. mentation vollständig ausbleibt. Sehr häufig wird davon ausge- gangen, dass Beschäftigte selbst die Kontrolle über die Arbeitszeit 2.2.7 FLEXIBLE SCHICHTARBEIT innehaben. Zu Ende gedacht führt Vertrauensarbeitszeit letztlich zu ergebnisorientierter Arbeitszeit, bei der nur das Arbeitsergebnis, Schichtarbeit ist an sich zunächst nicht flexibel. Die Gestaltung nicht aber die Arbeitszeit, die hierfür verwendet wird, zählt. Auf flexibler Schichtsysteme wird durch Gleitzeitregelungen, verkürzte diese Weise kann schnell der Überblick über die erbrachte Arbeits- bzw. verlängerte Schichten sowie die An- und Absagen voll- zeit verloren gehen. Auch der Betriebsrat kann die Einhaltung ständiger Schichten umsetzbar. Arbeitszeitkonten haben sich der Arbeitszeitvorschriften nicht mehr kontrollieren. hier als notwendiges Steuerungsinstrument etabliert, durch Zunächst ist Vertrauensarbeitszeit für Beschäftigte attraktiv, welche sich Mehr- und Minderarbeit entsprechend verwalten weil je nach Gestaltung, die Freiheitsgrade für Beschäftigte lassen. Flexible Schichtarbeit kann z. B. bei saisonalen Produktionen hoch sind. Wenn aber die geleistete Arbeitszeit häufig über das und bei Kapazitätsschwankungen relevant werden. Inzwischen vertraglich geregelte Ausmaß hinausgeht, dann wird damit gibt es Modelle, bei denen auch Teilzeitkräfte schichtweise das zentrale Problem klar: Das Verhältnis von geleisteter Arbeit eingeteilt werden. Man arbeitet zwar vollständige Schichten, und Entgelt verschwimmt, womöglich wird unbezahlte Mehr- jedoch sind es insgesamt weniger Schichten pro Woche, im arbeit geleistet. Die Arbeitszeitkontrolle als Schutz vor gesteigerter Monat oder im Jahr. Meistens sind die Schichten für die Woche Leistungsabforderung durch den Arbeitgeber verliert ihre Wirkung reduziert, sodass Teilzeitkräfte auf ihre vertraglich festgelegte
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG WISO DISKURS 7 Wochenarbeitszeit kommen. Auf diese Weise können sie flexibel zusätzlich. Eine wichtige Frage beim Thema Familienfreundlichkeit im Schichtsystem eingesetzt werden, wenn z. B. unterschiedliche lautet: Passen Unternehmen ihre Regelungen an die gesetzlichen Schichten pro Woche vorgesehen sind. Zusatz- und Ausfallschichten Rahmen an, oder gehen sie in ihrem Gestaltungswillen über das in flexiblen Schichtsystemen werden überwiegend durch betrieb- gesetzliche Mindestmaß hinaus? Gerade beim Thema Verein- liche Belange bestimmt, um Personaleinsatz nach dem Bedarf zu barkeit sind einige Unternehmen und Verwaltungen Vorreiter gestalten. und den gesetzlichen Neuerungen voraus. 2.2.8 MEHRARBEIT 2.2.11 ARBEITSZEITKONTEN, DAS NOTWENDIGE INSTRUMENT Mehrarbeit liegt dann vor, wenn die Arbeitszeit über die tarifliche bzw. arbeitsvertragliche Arbeitszeit hinausgeht und ggf. mit Mit Kontenmodellen können betriebs- und marktbedingte Zuschlägen zusätzlich vergütet wird und vom Betriebsrat Schwankungen der Produktion in wöchentlichen, monatlichen genehmigt wurde. Gemäß § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz müssen oder auch jährlichen Arbeitszeiten festgehalten, kontrolliert und alle Zeiten, die die tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden ausgeglichen werden. überschreiten, erfasst und dokumentiert werden. Jedoch ergibt Weil Zeitsouveränität ein wesentliches Anliegen von Beschäf- sich hieraus noch keine Zuschlagspflicht. Erst durch Überschreitung tigten ist, regeln die meisten Vereinbarungen Verfahrensweisen der Wochenarbeitszeit ergibt sich in der Regel die tarifvertraglich zum Zeitausgleich (Hamm 2013). Die angesparte Zeit kann auch zuschlagspflichtige Mehrarbeit. Mehrarbeit ist ein wichtiger Hebel, über längere Zeiträume als einen Monat auf Konten gespart wenn Arbeitszeit flexibilisiert wird. Mehrarbeitsregelungen sind werden. Üblich ist dann die Verwendung von Jahreskonten. Auf gedacht als wirkungsvolle Hebel aus Beschäftigtensicht, wenn diese Weise können Betriebe auch in Schichtarbeit flexiblere über Mehrarbeitszuschläge mehr geleistete Arbeitszeit verteuert Arbeitszeiten entwickeln (Grzech-Sukalo 2010). Unternehmen und eine übermäßige Ausdehnung der Arbeitszeit entsprechend nutzen heute diverse Arbeitszeitkonten parallel, häufig als begrenzt wird. Bei Überstunden, die im Rahmen flexibilisierter eine Art zusammenhängendes Gesamtkonzept: Arbeitszeiten geleistet und später in Freizeit ausgeglichen werden, kann dieser Effekt nicht eintreten. 1. Ein Gleitzeitkonto gleicht kleinere monatliche Schwankungen der Stunden aus. 2.2.9 SABBATICAL UND BLOCKFREIZEITEN 2. Ein individuelles Arbeitszeitkonto mit Verteilzeiträumen wird als Jahresarbeitszeit geregelt, sodass tägliche und wöchent- Die Freistellung im Block für ein paar Tage, Wochen oder Monate liche Zeiten schwanken können und entsprechend durch- wird sehr häufig über das Arbeitszeitkonto geregelt. Das Sabbatical schnittlich ausgeglichen werden müssen. ist eine Sonderform des Langzeitkontos. Es ermöglicht Be- 3. Auf Flexi-Konten werden Stunden gespart, die für konjunktur- schäftigten eine längere Freistellung im Sinne einer Arbeits- bedingte Engpässe zur Verfügung stehen, sodass Beschäf- unterbrechung meist bis zu max. einem Jahr. Die angesparte Zeit tigung gesichert und Kurzarbeit vermieden werden kann. kann nach individuellen Wünschen und Interessen eingesetzt 4. Langzeitkonten mit mehrjährigen Ansparphasen sind für werden, z. B. für Familienzeit, Weiterbildung oder Reisen. längere bezahlte Freistellungen nutzbar, z. B. als Sabbatical, für Qualifizierungszeiten oder auch den vorgezogenen 2.2.10 FREISTELLUNGEN ZUR BETREUUNG Ruhestand. UND PFLEGE Um eine für Beschäftigte „planbare“ Flexibilisierung der Arbeit zu Nicht nur die Kinderversorgung, sondern auch die zunehmende ermöglichen, sehen Vereinbarungen meist Zeitplanungen z. B. Alterung der Bevölkerung ist ein wichtiger Faktor beim Thema über ein Jahr vor. Die Arbeitszeit kann an betriebliche Auftrags- Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nach heutigen Schätzungen schwankungen angepasst werden. des statistischen Bundesamtes wird die Gruppe der „60+“-Jährigen Arbeitszeitkonten sind das notwendige Instrument, um flexible im Jahr 2050 etwa 40 Prozent der Bevölkerung umfassen. Das Arbeitszeiten überhaupt zu gestalten. Mit Kontenmodellen können ruft nicht nur die Rentenversorgung auf den Plan, sondern wirkt Schwankungen in der wöchentlichen, monatlichen oder auch sich auch auf Arbeitszeitmodelle aus, die für unterschiedliche jährlichen Arbeitszeit festgehalten, kontrolliert und ausgeglichen Lebenslagen organisiert werden müssen. werden. Häufig finden sich in Betriebsvereinbarungen soge- Unbürokratische kurzfristige Freistellungen für einzelne Tage nannte Ampelkonten, analog zu Verkehrsampeln. Ist die Ampel und längere unbezahlte Freistellungszeiträume sind wichtige auf rot, dann ist das Limit überschritten. Je nach vereinbarter Angebote. Ob dies die Lösung des Problems sein wird, bleibt aber Lösung muss dann sehr kurzfristig die Zeit in Freizeit ausgeglichen noch abzuwarten. Immerhin bedeutet reduzierte Arbeitszeit ein bzw. müssen Minusstunden durch Arbeit reduziert werden, reduziertes Einkommen. Gesetze alleine, ob umfassend oder beispielsweise so: In der Gelbphase muss der Vorgesetzte mit nicht, werden vermutlich nicht ausreichen. Es kommt auf den dem Beschäftigten eine Lösung für den Zeitausgleich finden. Willen zur konkreten betrieblichen Umsetzung an und ob Probleme Der Aufbau weiterer Zeiten kann nur mit ausdrücklicher Geneh- tatsächlich gelöst werden. Einige Unternehmen versuchen, für migung des Betriebsrates erfolgen. In der Rotphase darf der ihre Beschäftigten Kompromisslösungen zu finden. In solchen Beschäftigte nicht mehr zu Mehrarbeit eingeteilt werden. Fällen kommen Arbeitszeitkonten zum Einsatz, die „entspart“ werden. Die direkte finanzielle Belastung im Freistelllungsfall ist dann geringer. Und seit einigen Jahren kompensieren tarifver- tragliche Fonds, die betrieblich ausgestaltet werden, die Kostenlast
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8 Abbildung 4 Verbreitung von Arbeitszeitkonten 90 80 70 60 50 40 30 Betriebe mit … Beschäftigten 20 250 und mehr 50 bis 249 10 10 bis 49 Betriebe gesamt 0 1 bis 9 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Quelle: IAB-Betriebspanel 1999 bis 2011, Ellguth et al. 2013; hochgerechnete Ergebnisse | © IAB Abbildung 5 Ausgleichszeiträume von Arbeitszeitkonten* 45 40 35 30 25 20 15 10 über 1/2 bis 1 Jahr 5 kein fester Ausgleichszeitraum bis zu 1/2 Jahr 0 über 1 Jahr bis zu 2 Jahren 2002 2004 2006 2008 2010 * in Prozent der Betriebe mit Arbeitszeitkonten Quelle: IAB-Betriebspanel 2002, 2006, 2008 und 2010, Ellguth et al. 2013; hochgerechnete Ergebnisse | © IAB
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG WISO DISKURS 9 3 GESETZE UND TARIFPOLITIK 3.1 ARBEITSZEITGESTALTUNG gestalten und somit stärker den betrieblichen Produktionserforder- nissen anzupassen. Die tarifvertragliche Arbeitszeitverkürzung Die Grundlagen zur Gestaltung von Arbeitszeiten sind im Arbeits- wird seither von Flexibilisierungen begleitet. Auch wuchsen zeitgesetz geregelt, fußend auf EU-Richtlinien. Im Wesentlichen Spielräume für Abweichungen von tarifvertraglich vereinbarten wird die Lage und Dauer der Arbeitszeit und der Pausen für Arbeitszeiten durch sogenannte Öffnungsklauseln. Auf diese tägliche und wöchentliche Arbeitszeit geregelt, d. h. zulässige Weise wurden allmählich betriebsspezifische Rahmenarbeitszeiten, werktägliche Arbeitszeit, Pausen- und Ruhezeiten, Bestimmungen befristete Kurzarbeit und saisonal unterschiedliche Arbeitszeiten für Nacht- und Schichtarbeit sowie das Verbot von Sonn- und in diversen Schichtsystemen und mit sehr unterschiedlichen Feiertagsarbeit. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Ausnahmen, Instrumenten möglich (Bispinck 2014; Meine/Wagner 2014). die durch Tarifverträge ausgefüllt werden. Nach dem Arbeits- Heute wird in Tarifverträgen eine sehr große Bandbreite an zeitgesetz liegt die tägliche Höchstarbeitszeit bei acht Stunden Arbeitszeitflexibilität geregelt, um betriebliche Anforderungen zu und kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn die erfüllen. Tarifverträge legen zunächst vor allem die wöchentliche acht Stunden im Durchschnitt von sechs Monaten oder 24 Wochen Arbeitszeit fest. Den betrieblichen Belangen stehen die Interessen erreicht werden. Aus dem EU-Recht folgt, dass die Arbeitszeit bei der Beschäftigten gegenüber, welche meist nachrangig berück- durchschnittlich nicht mehr als 48 Wochenstunden liegen darf. sichtigt werden. Abweichungen von vereinbarten Arbeitszeiten Für einzelne Personengruppen werden diese Regelungen angepasst werden im Rahmen von Korridoren, befristeter Kurzarbeit, und weitere Vorschriften sind im Jugendarbeitsschutzgesetz, im saisonalen Varianten, Arbeit an Wochenenden, in Schichtdienst, Mutterschutzgesetz sowie im Sozialgesetzbuch IX enthalten. auf Abruf und in Bereitschaft geregelt. Zusammenfassende Grundmerkmale von Arbeitszeitsystemen Tarifverträge sind wichtige Gestaltungselemente für flexible (Nachreiner 2015): Arbeitszeiten (Bispinck 2014; Meine/Wagner 2014). – Dauer der Arbeitszeit: z. B. täglich, wöchentlich, jährlich etc.; – Sie legen Beschäftigtenquoten fest, für die verlängerte Arbeits- – Lage der Arbeitszeit: z. B. Schichtarbeit, Sonntagsarbeit, zeiten gelten, d. h. für x Prozent der Belegschaft gilt eine unübliche Zeiten; Arbeitszeit von bis zu 40 Std./Woche. – Verteilung der Arbeitszeit: z. B. Pausen, tägl./wöchentliche – Sie regeln Ausgleichszeiträume, d. h. bis zum Stichtag x bzw. Ruhezeiten, Massierungen; innerhalb eines festgelegten Zeitraums (meist sechs bis zwölf – Flexibilität, Variabilität/Stabilität/Planbarkeit/Zuverlässigkeit/ Monate) muss die ungleichmäßig verteilte individuelle regel- Verlässlichkeit von Arbeitszeitsystemen: z. B. Regelmäßigkeit, zeit- mäßige wöchentliche Arbeitszeit ausgeglichen sein. Der Aus- liche Vorhersehbarkeit, Verbindlichkeit von Arbeitszeitfestlegungen; gleich kann stichtagsbezogen sein oder auch individualisiert – Dispositionsspielräume in der Festlegung der konkreten erfolgen. Viele Tarifverträge zu flexiblen Arbeitszeiten regeln Arbeitszeiten: z. B. wer legt die konkreten Arbeitszeiten fest. den Ausgleich über Arbeitszeitkonten innerhalb eines fest- gelegten Zeitraums von einem Jahr. Arbeitszeitgestaltung ist eine Kernaufgabe der Tarifpolitik, weil – Tarifverträge legen saisonal unterschiedliche Arbeitszeiten fest. Arbeitszeit entscheidend für das arbeitsvertragliche Austausch- – Sie regeln Arbeitszeitkorridore, d. h. die regelmäßige Arbeitszeit und Leistungsverhältnis von Arbeit und Entgelt ist. In der Tarif- oberhalb oder unterhalb der tariflich vereinbarten regel- politik der 1980er Jahre war Arbeitszeitverkürzung das Hauptthema. mäßigen Arbeitszeit. Die tarifvertragliche Jahresarbeitszeit (Wochenarbeitszeit und – Sie regeln z. B. in Demografietarifverträgen die Freistellungen Urlaubsansprüche) war von Mitte der 1980er Jahre bis Ende der und Flexibilitätswünsche in der Arbeitszeit von Beschäftigten 1990er Jahre rückläufig und liegt seitdem bei rund 1.660 im Lebensverlauf, zur Verkürzung der Arbeitszeit, für längere Stunden. Parallel begann man damit, Arbeitszeit flexibler zu Freistellungen etc.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 Einwände von Arbeitgeberseiten, das Arbeitszeitgesetz sei nicht in der Praxis sehr oft nicht Realität werden. Nach § 8 TzBfG flexibel genug, werden von Gewerkschaften entsprechend zurück- können Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten, gewiesen, da das Arbeitszeitgesetz als Schutzgesetz die Gesundheit, die länger als sechs Monate im Betrieb arbeiten, ihre Arbeitszeit die Freiheit und freie Zeit der Beschäftigten schütze (IGBCE 2015). reduzieren. Dies kann man verlangen, und der Arbeitgeber muss Um zeitliche und örtliche Flexibilisierung und entsprechend Zeit- dem nachkommen, sofern keine betrieblichen Gründe dem ent- souveränität zu verbessern, sollten die individuellen Rechte gestärkt gegenstehen. In § 9 TzBfG findet man eine ähnliche Regelung werden. Familienarbeitszeit, ein Recht auf Nichterreichbarkeit und bezogen auf die Verlängerung der Arbeitszeit. Allerdings bleibt Telearbeit, Bildungsteilzeit und lebensphasenorientierte Arbeitszeit sind für die Interpretation der Gründe in der betrieblichen Praxis regel- entsprechende Konzepte (IGBCE 2015; ver.di 2015; IG Metall 2012). mäßig Spielraum, weshalb Beschäftigte nicht in Teilzeit wechseln In Betriebsvereinbarungen werden Tarifverträge mit Öffnungs- oder, wenn sie es tun, dann später nicht mehr auf eine Voll- klauseln entsprechend weiter betriebsspezifisch angepasst. zeitstelle zurückkehren (können). Verwendungszwecke der Konten werden konkretisiert, organi- satorische und wirtschaftliche Fragen geregelt etc. Interessenvertretungen müssen darüber wachen, dass Gesetze 3.4 LANGZEITKONTEN: FLEXI-II-GESETZ und Tarifverträge eingehalten werden. Der Betriebsrat bestimmt mit, wenn es um die Lage und Verteilung der Arbeitszeit sowie Am 1.1.2009 trat das „Gesetz zur Verbesserung der Rahmen- um die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der bedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeit- betriebsüblichen Arbeitszeit geht. Diese erzwingbaren Mitbe- regelungen – Flexi II“ in Kraft. Es legt die Rahmenbedingungen stimmungsrechte ergeben sich gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. für Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten fest. Das betrifft vor Bei flexiblen Arbeitszeiten geht es im Kern darum, die Arbeitszeit allem die Insolvenzsicherung für die angesparten Arbeitszeitgut- in Abhängigkeit von den jeweiligen betrieblichen Anforderungen haben (§§ 7b bis 7f SGB IV). Die wichtigsten Regelungen sind: schwanken zu lassen und zugleich eine Zeitsouveränität für Im Flexi II wird der Begriff „Wertguthaben“ anstelle des Terminus Beschäftigte zu garantieren. Für den Betriebsrat ist es in der Praxis „Zeitkonten“ verwendet. In Geld geführte Wertguthaben werden von oft schwierig, diesen Interessenausgleich zu gestalten. in Zeit geführten Arbeitszeitkonten abgegrenzt. Im Wertguthaben können Arbeitszeiten und Arbeitsentgelt eingebracht werden. Im Flexi II werden Verwendungsmöglichkeiten festgelegt, die 3.2 FREISTELLUNGEN ZUR PFLEGE durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung erweitert werden können. Die Guthaben können für gesetzliche Freistellungszwecke, Seit Januar 2015 regelt das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von z. B. Eltern- oder Pflegezeit, eingesetzt werden, ohne dass der Familie, Pflege und Beruf Möglichkeiten der Freistellung zur Pflege Arbeitgeber zustimmen muss. Als alternative Begriffe zu von nahen Angehörigen. Für pflegende Angehörige wurde durch Wertguthaben oder Langzeitkonten werden u. a. Langzeitarbeits- die Einführung des Rechtsanspruchs auf Familienpflegezeit sowie zeitkonto, Lebensarbeitszeitkonto, Vorruhestandskonto oder durch die finanzielle Absicherung der kurzzeitigen Freistellung von Lernzeitkonto verwendet. Teilweise verweist die verwendete bis zu zehn Tagen zur Pflege die Situation verbessert. Allerdings Bezeichnung auf eine spezifische Funktion des Kontos: z. B. das schränkte man den Sonderkündigungsschutz für pflegende An- Ansparen von Zeiten für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem gehörige zeitlich ein und führte ein arbeitgeberseitiges Urlaubs- Berufsleben oder für eine umfangreiche Fortbildung. kürzungsrecht ein. Unterstützungsangebote: Flexi II führte eine sogenannte Nominalwertgarantie ein. Dem- – kurzzeitige Arbeitsverhinderung von bis zu zehn Arbeitstagen nach müssen zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme mindestens (§ 2 Pflegezeitgesetz); die eingezahlten Beiträge zur Verfügung stehen. – vollständige oder teilweise Freistellung zur Pflege bis zu sechs Beim Insolvenzschutz wurde einerseits der Schwellenwert Monaten (§ 3 Pflegezeitgesetz); reduziert; andererseits wurden konkrete Insolvenzsicherungs- – Freistellung zur Sterbebegleitung (§ 3 Pflegezeitgesetz); modelle vorgegeben. Die Wirksamkeit der Vorschriften soll – Teilfreistellung zur Pflege bis zu 24 Monaten (§ 2 Familien- durch Betriebsprüfungen verbessert werden. Auch eine interne pflegezeitgesetz). Kontrolle durch die Beschäftigten ist vorgesehen. Erste Erfahrungen mit dem seit 2012 geltenden Familienpflege- Das angesparte Zeitguthaben kann auf einen neuen Arbeit- zeitgesetz lassen vermuten, dass der Entlastungseffekt bislang geber übertragen werden, und es besteht die Möglichkeit, das nicht so groß ausfällt (Reuyß 2015). Entsprechend sind tarif- Guthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund zu über- vertragliche sowie betriebliche Lösungen gefragt, die vor allem tragen. Gemäß Flexi II dürfen zukünftig auch geringfügig Be- Einkommensausfälle kompensieren helfen. schäftigte Wertguthaben aufbauen. Die Autor_innen der Evaluation des Flexi-II-Gesetzes im Auf- trag des BMAS kommen im Jahr 2011 zu folgendem Fazit: „In 3.3 TEILZEIT den – bislang – wenigen Fällen, in denen das Gesetz konsequent umgesetzt wurde, hatte es für die betroffenen Arbeitnehmer Das Teilzeit- und Befristungsgesetz regelt seit 2001 den gesetz- Vorteile, insbesondere durch die verbesserten Regelungen zum lichen Anspruch der Beschäftigten auf Teilzeit. Wenn bestimmte Insolvenzschutz. Das Gesetz hat allerdings bisher nicht dazu Voraussetzungen erfüllt sind, dann besteht ein individueller geführt, dass geschützte Langzeitkonten in größerem Umfang Anspruch auf eine reduzierte Arbeitszeit. Der Arbeitgeber ist praktiziert werden. Nach wie vor fällt die Mehrheit der flexiblen verpflichtet, Teilzeit zu fördern, in allen beruflichen Positionen, Arbeitszeitregelungen nicht unter den Schutz des Gesetzes. Benachteiligungen zu vermeiden, geeignete Stellen auszuschreiben Insbesondere in Bezug auf Insolvenzsicherung und Portabilität und den Betriebsrat regelmäßig über die Entwicklung zu bleiben die meisten flexiblen Arbeitszeitregelungen für die Arbeit- informieren. Der Wunsch nach Aufstockung der Arbeitszeit wird nehmer mit besonderen Risiken behaftet“ (Riedmann et al. 2011: 25).
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG WISO DISKURS 11 4 AKTUELLE TRENDS 4.1 ENTGRENZUNG UND VERDICHTUNG diese Weise findet Arbeit nicht nur am betrieblichen Arbeitsort VON ARBEITSZEIT während der Arbeitswoche statt, sondern immer häufiger an den Wochenenden und in der Freizeit. Je nach Befragung sind Das Aufheben und Aufweichen der Trennung von Arbeitszeit und bis zu 25 Prozent der Beschäftigten auch außerhalb der normalen Freizeit ist ein anhaltender Trend in der Arbeitswelt, befördert Arbeitszeit telefonisch oder über E-Mail erreichbar. Wird diese durch die wachsende Nachfrage nach einer Versorgung „rund Zeit nicht als Arbeitszeit erkannt, entsteht systematisch eine um die Uhr“ (Konsum, Gesundheit, Sicherheit, Verkehr, Gastro- Verlängerung der Arbeitszeit, die womöglich nicht einmal nomie etc.) wie auch global immer enger vernetzte Produktions-, vergütet wird, sei es durch Freizeit oder Entgelt. Dienstleistungs- und Wertschöpfungsketten. Wenn in einer Damit verbunden wird ein weiterer Trend beobachtet: Mehr Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft die tatsächliche Arbeitszeit und Leistung wird in derselben Arbeitszeit erbracht, man spricht von Freizeit verschwimmen, dann spricht man allgemein von Ent- Arbeitsverdichtung. Diverse Befragungen zeigen, dass immer grenzung, mit Vor- und Nachteilen für Beschäftigte und ihre mehr Beschäftigte den Eindruck haben, dass sie immer mehr Unternehmen. Relevant für diesen Trend sind u. a. mobile Arbeit in der gleichen Zeit schaffen müssen (Lohmann-Haislah Informations- und Kommunikationsmittel, Vernetzung via Internet 2012; DGB-Index Gute Arbeit 2015). Auf diese Weise wird sowie schnell wachsende Digitalisierung von Produkten und zwar nicht unbedingt die Arbeitszeit verlängert, aber die zu Prozessen. Mobile Endgeräte erlauben es, zu Hause oder unterwegs erbringende Leistung in der vorhandenen Arbeitszeit wird zu arbeiten, Arbeit zu koordinieren und zu organisieren. Auf erhöht. Abbildung 6 Erreichbarkeit in der Freizeit 43% Erziehung, Unterricht 27% 33% Energie in den Branchen 32% Verkehr, Lagerei von allen Beschäftigten 31% Bau 29% Gesundheit, Sozialwesen 23% Handel 18% Chemie 17% Metall Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2012 | © Hans-Böckler-Stiftung 2015
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 Jederzeit und überall arbeiten können schafft große Freiräume: Zugriffszeiten aufs Firmennetz, Grenzen ziehen. Eines der ersten Für Unternehmen entstehen Wettbewerbsvorteile, weil Be- Unternehmen, das mit einer Betriebsvereinbarung zur Regelung schäftigte noch flexibler den Markt- und Produktionsbedin- der ständigen Erreichbarkeit an die Öffentlichkeit trat, war die gungen angepasst eingesetzt werden können; für Beschäftigte Volkswagen AG. Man vereinbarte, eine „Funkstille“, in der die liegen Vorteile in diesen Flexibilisierungstrends darin, dass sie Smartphone-Funktionen und Servernutzung außerhalb der mehr Selbstbestimmung für die Lage und Verteilung ihrer Arbeits- geregelten Arbeitszeit abgeschaltet wurden, allerdings nur für zeit bekommen, wenn Arbeitsort und Arbeitszeit liquide werden. tariflich Beschäftigte. Eine weitere technische Unterstützung Private und betriebliche Notwendigkeiten können ggf. besser in sind Abwesenheitsassistenten. Sie schaffen Freiräume, wenn sie Übereinstimmung gebracht werden. Was ist jedoch, wenn diese genutzt werden. Bei Daimler entstand die Möglichkeit, alle E-Mails, noch stärker verschwimmenden Grenzen nicht gewünscht sind die während des Urlaubs eingehen, automatisch löschen zu von Beschäftigten? Welche Regelungen schützen Beschäftigte vor lassen. ständiger Erreichbarkeit, Arbeitsverdichtung und entsprechen Jedoch: Auf Dienstreisen, im Außendienst, bei Kund_innen gleichzeitig ihren Wünschen sowie den Wünschen ihrer Arbeit- etc. bestimmen auch äußere Faktoren die Arbeit. Die Beachtung geber nach Flexibilität? der eigenen Arbeitszeit, ein flexibler Ausgleich im Wochen- oder Monatsrhythmus sind insofern auch regelungsbedürftig. Aus Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit greifen diese diesem Grund ist es auch wichtig, dass Reisezeiten angemessen Aspekte auf und regeln Home Office und die Nutzung mobiler bewertet und dass Arbeitszeit korrekt erfasst wird. Die Erfassung Endgeräte. Die klassische Mobilität in der Arbeit, z. B. Auslands- der Arbeitszeit ist eine Voraussetzung dafür, dass Zeitausgleich einsätze, Dienstreisen sowie die Arbeit bei den Kund_innen, überhaupt möglich ist. Wenn in einer Vereinbarung geregelt ist, ist meist nicht Gegenstand von neueren Vereinbarungen zur dass innerhalb eines Projekts der Zeitausgleich für angefallene mobilen Arbeit. Arbeit ermöglicht werden muss, ist das positiv und muss dann Zur alternierenden Telearbeit liegen zahlreiche ältere Verein- auch praktisch umsetzbar sein. barungen vor, viele aus dem öffentlichen Dienst. Meist steht die Es ist für immer mehr Menschen möglich, von einem anderen bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund. als dem üblichen Arbeitsort zu arbeiten. Meist wird klar betont, Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 die wesentlichen Vorteile dass der Betriebsrat bei der Entscheidung nach § 99 BetrVG zu und Ziele von Teleheimarbeit wie folgt definiert: beteiligen ist. Die Bedürfnisse von mobilen Beschäftigten auf- zugreifen und mit ihnen gemeinsam nach kollektiven Lösungen „1. Telearbeit verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu suchen ist ein wesentliches Ziel. Die Quadratur des Kreises und ermöglicht bzw. erleichtert den Beschäftigten sowohl die lautet: Sowohl individuelle Freiräume zur Gestaltung von Betreuung von Kindern als auch die Pflege von Angehörigen. Arbeitszeit, -ort und -organisation zu erhalten wie auch Schutz vor 2. Telearbeit erhöht die Mitarbeitermotivation durch: einem Übermaß an Entgrenzung, Flexibilität und Arbeitsver- – größere Zeitsouveränität bei flexibleren Arbeitszeiten. dichtung zu gewährleisten. – erhöhte Freiräume und Eigenverantwortung infolge ziel- Einige der Vorzüge, die bereits im Jahr 2000 im Hinblick auf orientierter Führung. Teleheimarbeit diskutiert wurden, werden auch heute noch in – erleichtertes Zeitmanagement, ohne soziale Kontakte zu Betriebs- und Dienstvereinbarungen regelmäßig genannt, wenn verlieren. in Unternehmen und Verwaltungen Telearbeit und mobile Arbeit – Zeit- und Kostenersparnis, da Fahrten von und zur Arbeit geregelt werden. Mobile IT-gestützte Arbeit schließt klassische entfallen. Formen wie Teleheimarbeit mit ein, jedoch sind in der Regel die 3. Telearbeit führt zur Produktivitäts- und Qualitätssteigerung, mobilen Arbeitsplätze unterwegs nicht nach ergonomischen da konzentrierter und engagierter infolge der größeren Arbeits- Bildschirmarbeitsplatzprinzipien ausgestattet. zufriedenheit gearbeitet würde. Zwei positive Beispiele zeigen die Richtung, um sowohl Erreich- 4. Telearbeit ist wirtschaftlich, da den Investitions- und laufenden barkeit zu begrenzen und Freiräume zu gestalten. In beiden Kosten sowohl monetäre als auch qualitative Faktoren gegen- Unternehmen sind viele weit reichende Vereinbarungen zur Arbeits- über zu stellen sind. zeitgestaltung und vor allem Arbeitszeiterfassung vorhanden. 5. Telearbeit unterstützt die Einführung und Verbreitung inno- Dies ist die notwendige Bedingung für die Begrenzung von Arbeits- vativer Techniken“ (vgl. BMI, 1999). zeiten. Das Einhalten von Regeln, Akzeptanz der Mitbestim- mungsakteure und eine entsprechende Vertrauenskultur sind Dienstvereinbarungen aus dieser Zeit sind in der Regel aus- ebenfalls Voraussetzung für das Gelingen. Dies ist praktisch führlich, aber mit geringen Zeitspielräumen. Arbeitszeit wird eher gelebte Arbeitskultur und knüpft Anforderungen an die strikt zwischen Betrieb und Wohnung aufgeteilt. Des Öfteren handelnden Akteure. findet sich die Regelung, je Arbeitstag ein Fünftel der Wochen- arbeitszeit anzurechnen (Vogl/Nies 2013). Offener gestaltete Regelungen stammen eher aus der Privatwirtschaft. Die Nutzung digitaler, mobiler Arbeitsmittel erleichtert zwar die Kommunikation, verschärft aber die Zeitprobleme. Das Ergebnis ist häufig eine Intensivierung der Arbeit und auch eine zeitliche Ausdehnung (Vogl/Nies 2013). Daher gibt es Regelungen, um zu verhindern, dass Vorgesetzte außerhalb definierter Zeiten auf Beschäftigte „zugreifen“ dürfen. Alternativ können auch technische Lösungen, wie z. B. begrenzte
FLEXIBLE ARBEITSZEITGESTALTUNG WISO DISKURS 13 080102/219/2014 1 Eine Ober- bzw. Untergrenze an Mobilarbeitstagen und -zeiten Mobile Arbeit – Betriebsvereinbarung wird durch diese Betriebsvereinbarung nicht vorgegeben. Mobilarbeit erfolgt im Rahmen der jeweils geltenden – Auszüge – regelmäßigen täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit und bedeutet daher keine Erweiterung von Kapazitäten. Einzuhalten 1. Präambel sind hierbei die jeweils geltenden gesetzlichen bzw. Die Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen. Mobilarbeit die steigende Internationalisierung des Unternehmens, das ist so zu gestalten, dass eine angemessene Einbindung in den Erfordernis der Wettbewerbsfähigkeit sowie die modernen betrieblichen Arbeitsalltag und in das betriebliche Sozial- Arbeits- und Kommunikationsmittel haben zunehmend gefüge sichergestellt ist. Die virtuelle online-Teilnahme an Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsstrukturen. Team-/Gruppenrunden ist unter Berücksichtigung von 6.3 Mit der Mobilarbeit und der damit verbundenen Möglichkeit und 6.4 möglich. der Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeitsort und Auf Wunsch des Mitarbeiters oder Vorgesetzten werden Arbeitszeit soll diesen Veränderungen Rechnung getragen getroffene Absprachen zur Mobilarbeit überprüft und im und eine Verbesserung der Arbeitsqualität und -Produktivität gegenseitigen Einvernehmen entweder bestätigt, geändert erreicht werden. Dies soll zu mehr Selbstbestimmung führen oder aufgehoben. sowie positive Auswirkungen auf die Gesundheit und die Findet zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem keine Einigung Arbeitszufriedenheit der tariflichen und außertariflichen zur Mobilarbeit bzw. zur gewünschten Änderung getroffener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (im weiteren Mitarbeiter Absprachen zur Mobilarbeit statt, werden Personalwesen genannt) haben. Mobilarbeit bezweckt nicht die ständige und Betriebsrat sowie ggf. die Schwerbehindertenvertretung Erreichbarkeit der Mitarbeiter oder eine über die vertragliche zur Klärung hinzugezogen. Findet weiterhin keine Einigung Arbeitszeit hinausgehende Ausweitung des Arbeitsvolumens. statt, erfolgt eine Entscheidung zwischen Personalwesen und Betriebsrat sowie ggf. der Schwerbehindertenvertretung. 2. Geltungsbereich Mobilarbeit hat keine Auswirkungen auf geltende Regelungen Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter (inkl. zum Fahrtkostenzuschuss. Standortbezogene Regelungen Zeitarbeitskräfte). zum Fahrtgeld bleiben unberührt. Grundsätzlich stellt das Pendeln zwischen Büroarbeitsplatz und Mobilarbeitsplatz 3. Definition „Mobilarbeit“ keine Dienstreise dar. [...] Mobilarbeit umfasst alle arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten, die sowohl online als auch offline (z. B. per 6. Durchführung von Mobilarbeit Computer, Telefon oder mit Papiermedien) außerhalb der 6.1 Arbeits- und Kommunikationsmittel Betriebsstätten durchgeführt werden. Mobilarbeit kann – im Alle Mitarbeiter, die mobil arbeiten, erhalten – soweit noch Rahmen der gesetzlichen Regelungen – ganztägig oder nicht vorhanden – die notwendigen Arbeits- und Kommu- tagesanteilig erfolgen. Die Arbeitszeit kann hierbei flexibel nikationsmittel vom Unternehmen gestellt. Darüber hinaus auf verschiedene Arbeitsorte und Tageszeiten innerhalb und wird grundsätzlich keine Zusatzausstattung (doppeltes außerhalb der Betriebsstätten aufgeteilt werden. Equipment, Möbel, etc.) vergeben. [...] 6.2 Arbeitsplatzgestaltung 4. Grundsätze zur Mobilarbeit Der für die Mobilarbeit gewählte Arbeitsplatz muss wie ein Mobilarbeit wird von Unternehmensleitung und Gesamt- betrieblicher Arbeitsplatz den arbeitswissenschaftlichen betriebsrat ausdrücklich befürwortet. Grundsätzlich können Erkenntnissen hinsichtlich Ergonomie und Arbeitssicherheit alle Mitarbeiter an der Mobilarbeit teilnehmen, sofern dies entsprechen. Die informations- und datenschutzrechtlichen mit der Arbeitsaufgabe vereinbar ist. Mobilarbeit ist für den Vorgaben sind zu beachten. Auf Wunsch wird der Mitarbeiter Mitarbeiter freiwillig. Zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem zu diesbezüglichen Fragen von den zuständigen Fachstellen sind im Vorfeld der Teilnahme an bzw. Durchführung von im Unternehmen beraten. Mobilarbeit abzustimmen: 6.3 Arbeitszeit – die Art und Weise der gegenseitigen Information, wenn Die gesetzlichen bzw. tarifvertraglichen Regelungen, insbe- mobil gearbeitet wird, sondere zu Ruhezeiten und zur maximalen täglichen und – die Verteilung der Arbeitszeiten und wöchentlichen Arbeitszeit, sind einzuhalten. Angeordnete – die Aufteilung der Arbeit zwischen Büro- und Mobilarbeit. Mehrarbeit und angeordnetes Arbeiten außerhalb der Betriebliche und persönliche Erfordernisse und Interessen Regelarbeitszeit (z. B. in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen, sind stets zu berücksichtigen. Die zum Zeitpunkt des wenn diese Zeiten bzw. Tage nicht Bestandteil des jeweiligen Inkrafttretens dieser Betriebsvereinbarung bestehenden Arbeitszeitmodells sind), sind nur möglich, wenn diese durch Abmachungen (z. B. zur Telearbeit) gelten als getroffene den Vorgesetzten veranlasst wurden und diesen vom Personal- Absprachen in diesem Sinne. wesen und Betriebsrat zugestimmt wurde. In diesen Fällen fallen für Tarifmitarbeiter die entsprechenden Zuschläge gemäß den tariflichen und betrieblichen Regelungen an. 1 Die Kodierung bezeichnet den Standort jeder Vereinbarung im Archiv Betriebliche Vereinbarungen der Hans-Böckler-Stiftung sowie das Jahr des Abschlusses. Bei Auswertungen wird streng auf Anonymität geachtet. www.boeckler.de/betriebsvereinbarungen.
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