Central Park West von Woody Allen - Theater Kanton Zürich
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Woody Allen Allen Stewart Konigsberg kam 1935 als Seine frühen Filme waren oftmals eine Sohn des jüdischen Diamantschleifers Aneinanderreihung von komischen Epi- Martin Konigsberg und seiner Frau Net- soden. «Love and Death» (Die letzte tie im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf Nacht des Boris Grushenko) von 1975 gilt die Welt. Obwohl die Eltern selbst nicht als Übergang zu den ernsteren Filmen. orthodox waren, schickten sie ihren «Annie Hall» (Der Stadtneurotiker) wur- Sohn auf eine hebräische Schule. Als de 1977 zum künstlerischen Triumph Jugendlicher verdiente er, bereits unter und bescherte Woody Allen zwei Oscars dem Pseudonym Woody Allen, Geld als in den Kategorien «Beste Regie» und Gagschreiber. Von dem von ihm bewun- «Bestes Originaldrehbuch». Der Film be- derten Jazz-Klarinettisten Woody Her- trat inhaltlich wie formal Neuland und man übernahm er den Vornamen. Er der Autorenfilmer schuf hier ein eigenes begann Theaterstücke zu schreiben und Genre – den Woody-Allen-Film. versuchte sich als Stand-up-Comedian. Nachdem er 1965 erfolgreich das Dreh- Die New-York-Trilogie buch zu dem Film «Was gibt's Neues, Mit dem zweiten Film der New-York-Tri- Pussy?» geschrieben hatte, übernahm logie «Manhattan» knüpfte Woody Allen Allen 1969 erstmals auch die Regie bei 1979 an den Erfolg von «Der Stadtneuro- einem Film. «Woody der Unglücksrabe» tiker» an. Wieder stand ein jüdischer In- war die erste Mockumentary der Film- tellektueller mit einem komplizierten geschichte, ein Film, der wie ein echter Beziehungsleben im Zentrum. Der dritte Dokumentarfilm daherkam, aber fiktiv Film der Trilogie kam 1980 mit «Stardust war und das Genre parodierte. Memories» in die Kinos. Mit dem Episodenfilm «Was Sie schon Seit 1980 war Woody Allen mit der immer über Sex wissen wollten, aber bis- Schauspielerin Mia Farrow liiert. Sie her nicht zu fragen wagten» erlangte spielte zwischen 1982 und 1992 in zahl- Allen 1972 Kultstatus. Die satirische Ver- reichen seiner Filme die Hauptrolle, z. B. filmung eines damals berühmten Sexu- in «Hannah und ihre Schwestern», für alkunde-Buches, nahm den gesamten den Woody Allen 1987 den dritten Oscar Aufklärungswahn der 70er Jahre aufs («Bestes Originaldrehbuch»), bekam, so- Korn. Hier zeigte sich erstmals der starke wie in «The Purple Rose of Cairo». Einfluss Sigmund Freuds auf Woody Allens Schaffen. Bereits während seiner Die Beziehung endete 1992 in einem Ro- Studienzeit hatte Allen auf Rat seines De- senkrieg. Es war nach den kurzen Ehen kans einen Psychoanalytiker aufgesucht. mit der Philosophiestudentin Harlene 3
Rosen (1956–1962) und der Schauspiele- folgten weitere London-Filme, darunter rin Louise Lasser (1966–1969) seine drit- «Scoop – der Knüller», «Cassandras te Ehe. Grund für die Trennung war Woo- Traum» und «Ich sehe den Mann deiner dy Allens Beziehung mit der damals Träume». Für die Komödie «Midnight in 22-jährigen Soon-Yi Previn, der Adoptiv- Paris» mit Owen Wilson erhielt er 2012 tochter von Mia Farrow und ihrem vorhe- seinen vierten Oscar. Woody Allen reali- rigen Ehemann André Previn. In den USA siert im Schnitt jedes Jahr einen Film, war die Beziehung ein Skandal. Dazu zuletzt «A rainy day in New York» (2019). kam, dass untersucht wurde, ob Allen die gemeinsame Adoptivtochter Dylan Im Zuge der #MeToo-Debatte wurden missbraucht habe. Ein Gerichtsverfah- die Vorwürfe gegen Allen wieder laut: ren kam wegen dem Fehlen hinreichen- Seine Filme fanden in den USA keine der Beweise nie zustande. 1997 heiratete Verleiher mehr, Amazon kündigte einen er Soon-Yi Previn. Später adoptierten sie Vertrag über vier Filme von Allen mit zwei Kinder. dem Hinweis auf die Missbrauchsvor- würfe, Schauspielerinnen und Schau- In der Folge des Skandals von 1992 dreh- spieler distanzierten sich von ihm und te Woody Allen ab 1996 oft außerhalb seinem Werk. Zuletzt erschien seine der USA. Der Musicalfilm «Alle sagen: I Autobiografie «Ganz nebenbei» love you» spielte mit der Starbesetzung Julia Roberts, Goldie Hawn und Drew Die meisten Theaterstücke Woody Al- Barrymore unter anderem in Venedig lens sind Adaptionen seiner Filme für die und Paris. Für seinen Film «Celebrity» Bühne. Der Einakter «Central Park West» konnte er zwei Jahre später Leonardo gehört zu seinen wenigen Stücken, die DiCaprio, Charlize Theron, Melanie Grif- genuin für die Bühne geschrieben wur- fith, Winona Ryder und Kenneth Branagh den und keine Verfilmung erlebten. gewinnen. Mit «Match point» (2005) er- «Central Park West» wurde 1995 zusam- fand sich Woody Allen noch einmal neu men mit je einem Einakter von David und drehte, inspiriert von Scarlett Jo- Mamet und Elaine May Off-Broadway hansson, einen düsteren Thriller. Es uraufgeführt. «Ich wurde im hebräischen Glauben geboren, aber als ich älter wurde bin ich zum Narzissmus konvertiert.» Scoop – Der Knüller 4
Versuch über das Komische Mit der Entwicklung eines feineren mo- Andererseits gibt es eine konstruktivere ralischen Sinnes und eines feineren In- und weisere Form, diese Bosheit zu bän- tellekts muss das Lachen problema- digen, weil sie die Befriedigung des un- tisch geworden sein. Irgendwann in der ausrottbaren und grundsätzlich ver- menschlichen Geschichte muss man nünftigen menschlichen Impulses zu begonnen haben, es als vulgär anzuse- lachen noch zulässt, nämlich die Kulti- hen, z. B. über eine ärmere oder hässli- vierung des Sinnes für das Komische chere Person zu lachen (wie dies auch in durch jene komischen Schauspieler und der Entwicklung der meisten Individuen Schriftsteller, die subtiler als andere wa- geschieht, denen beigebracht wird, ihre ren und die sich über die Vulgarität ihrer Schadenfreude und ihre oft grausamen Kollegen ärgerten, die schnelle Erfolge oder schmutzigen Formen des Lachens erzielten, z. B. indem sie einfach bucklige zu begrenzen, denen sich als Kinder hin- oder fette Personen nachahmten – man gaben). Die Bosheit, die, wie Bergson zu muss nur die Parabasen einiger Komö- Recht bemerkt, dem Lachen inhärent ist, dien des Aristophanes oder den Prolog wurde moralischer und ästhetischer Kri- zu Ben Jonsons «Volpone» lesen, um zu tik unterworfen. Das konnte auf eine sehen, wie Ekel über billigen Humor we- doppelte Weise geschehen: Einerseits sentlich zu den grossen Komikern ge- gibt es den ausschliesslich negativen hört. Ihnen verdanken wir weit mehr, als Zugang, den man bei jenen Moralisten man gewöhnlich meint, nämlich die Hu- findet, die jedes Sinnes für Humor er- manisierung unserer Gefühle. mangeln und die am liebsten das La- chen im Allgemeinen verboten hätten. Vittorio Hösle 5
Allens heilige Dreifaltigkeit: Gott, Tod und die Sinnfrage Die Existenz oder Nichtexistenz eines zen. In «Boris Gruschenko» taucht er als verantwortlichen Gottes beschäftigt weisser Sensenmann auf. Boris gewinnt Woody Allen durch sein gesamtes Werk. ihm trotz der Bedrohung positive Seiten In dem Theaterstück «Gott» zum Bei- ab: Es ist für ihn eine Möglichkeit, weni- spiel erscheint Gott zum Schluss zwar, ger Geld auszugeben. Im übrigen be- hat aber einen Unfall und stirbt. «Es gibt hauptet er: «Es gibt schlimmere Dinge nicht nur keinen Gott, sondern versuch als den Tod. Wer einmal einen Abend mal am Wochenende einen Klempner mit einem Versicherungsvertreter ver- zu kriegen». bracht hat, weiss genau, was ich mei- ne.» – «Wie ist das, tot?» wird er an an- Die Suche nach Gott ist in Allens Filmen derer Stelle gefragt. «Du kennst doch die anwesend, ohne dass die dargestellten Hühner in Tresky’s Restaurant. Es ist Personen religiös wären. Boris Gru- schlimmer.» Ganz so gelassen, wie es schenko zweifelt an Gottes Existenz, nach diesen Zitaten scheinen mag, ist solange dieser kein Zeichen gibt. Ein das Verhältnis Allens zum Tod nicht. Ge- kleines Wunder, etwa «ein brennender rade ihn, der in seinen Filmen häufig ei- Busch, wie sich das Meer vor mir teilt, nen Hypochonder spielt, lässt die Angst wie mein Onkel eine Rechnung be- vor dem Ende nicht los. In «Schläfer» zahlt» würde dem Glauben eine we- scheint er mit einem eingefrorenen und sentlich verbesserte Rechtfertigungs- wieder aufgetauten Helden die Aufer- grundlage geben. Er bezweifelt auch, stehung zu proben. Alle nur möglichen dass er, wie alle Menschen nach Gottes Varianten des Sterbens tauchen in Al- Ebenbild geschaffen wurde, weil das lens Filmen auf: Durch Irrtum, wie bei bedeutete, «dass Gott eine Brille tragen «Boris Gruschenko», Herzschlag beim würde». Liebesakt in der «Sommernachts-Sex- komödie» bis zum Mord in «Verbrechen Das Thema «Tod» ist bei dieser Frage und andere Kleinigkeiten». Zudem hat er nach Gottes Existenz natürlicherweise auf seine späten Jahre die Liebe für die integriert und Allen widmet sich diesem Kriminalkomödie entdeckt: «Manhattan ausgiebig. Gott schickt den Tod häufig in Murder Mystery», «Bullets over Broad- Allens Filme, um die Probleme anzuhei- way» oder sein Film «Schmalspur- 6
«Sei doch nicht so pessimistisch! Du siehst das Glas immer halb leer!» «Das stimmt doch gar nicht! Ich seh das Glas immer ganz voll! Voller Gift!» Scoop – Der Knüller 7
ganoven» beschäftigen sich mit genau das alles Teil irgendeines unergründli- diesem Thema. chen, kosmischen Plans.» Und in «Star- dust Memories» erläutert Sandy Bates «Alle Bücher über Tod und Sterben ge- die Sinnfrage so: «Wenn Du nichts zu hören Dir» erklärt Annie Hall im «Stadt- essen hast, wird das zu Deinem Haupt- neurotiker», als sie Alvy (Allen) verlässt. problem. Aber was passiert, wenn Du in Dieser bekennt: «Der Tod ist die grosse einer Wohlstandsgesellschaft lebst, wo Obsession hinter allem, was ich ge- Du Dich zum Glück nicht darum küm- macht habe». mern musst, zu überleben und so tau- chen ganz andere Probleme auf, zum Angesichts dieser ständigen Bewusst- Beispiel: Wie kann ich mich verlieben, werdung der Sterblichkeit rückt auch oder warum werde ich älter und sterbe die Frage nach dem Sinn des Lebens in und welche Bedeutung hat mein Leben den Vordergrund. «Natürlich ist alles überhaupt?» Die existenziellen Fragen psychisch» wie Leonard Zelig meint, schlagen bei Allen mitunter haarscharf «aber was ist mit der Berufung des Men- in den Alltag durch: «Gibt es eine Welt schen? Sind die Menschen dazu be- des Unsichtbaren? Und wie weit ist sie stimmt, sich, wenn sie essen, hin und vom Stadtzentrum Manhattans ent- wieder zu verschlucken? Vielleicht ist fernt?»
Die Psychoanalyse lich hatte ich einen Orgasmus, aber Ohne Psychoanalyse kommt Woody Al- mein Arzt sagte mir, es war der falsche.» len nicht aus. Sein Verhältnis zu den oder «Mein Analytiker warnte mich, aber Vertretern dieses Berufsstandes ist al- Du warst so schön, dass ich mir einen lerdings sehr zwiespältig. Der Erfolg ih- anderen Analytiker nahm.» – doch darin rer Arbeit besteht meist in einer noch deutet sich bereits Kritik an der Bereit- grösseren Verwirrung des Patienten. willigkeit der Patienten an, die Allen spä- Und viel Verstand traut Allen dem Psy- ter sein Film-Ego Isaac Davis wie folgt chiater sowieso nicht zu. Der Arzt, der in formulieren lässt: «Die Menschen in die Neigung eines Patienten zu einem Manhattan schaffen sich dauernd selbst Schaf heilend eingreifen soll, verliebt ihre Probleme, die sie davon abhalten, sich selbst in das Tier und ruiniert sich mit erschreckenderen, unlösbaren schliesslich aus unglücklicher Liebe Problemen der Welt zu befassen.» seine eigene Existenz («Alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten»). Bertram Hacke «Manhattan» schliesslich geht einen entscheidenden Schritt weiter: Zwar wie- derholen sich Allens bissige Witze gegen die Psychiatrie in Sätzen wie «Schliess-
«Alle guten Psychiater sind besetzt.» Stadtneurotiker
Midlife- Crisis Geschichte eines miss- verstandenen Konzepts Die Midlife-Crisis wird heute zumeist schen im Alter zwischen 40 und 50 un- auf Männer bezogen. Dabei beginnt zufriedener und neigen stärker zu De- ihre Geschichte mit der Frauenbewe- pressionen als in den Jahren davor oder gung in den 1970er-Jahren. Mit ihrem danach. Primatologen wollen sogar he- Buch «Passages» (In der Mitte des rausgefunden haben, dass selbst Lebens) machte die New Yorker Jour- Schimpansen und Orang-Utans mit der nalistin Gail Sheehy die Midlife-Crisis Lebensmitte kämpfen. bekannt als ein Konzept, das auf Frauen und Männer gleichermassen Andere hingegen sehen in der Midlife- zutrifft und das Ende traditioneller Crisis nichts als eine Erfindung und lä- Geschlechterrollen im mittleren Al- cherliche Entschuldigung für verantwor- ter beschreibt. Ihr Buch wurde ein tungsloses Verhalten. Sie spotten über Bestseller, der sich über Jahre hin- das Klischee vom roten Sportwagen und weg millionenfach verkaufte. Heute Affären mit jüngeren Frauen. Doch aus ist Sheehys ursprüngliche Idee der ihrem Lachen spricht oft bittere Erfah- Midlife-Crisis nahezu vergessen. rung. In einem vielbeachteten Essay hat die amerikanische Publizistin Susan Gibt es die «Midlife-Crisis» wirklich, je- Sontag von der gesellschaftlichen nen plötzlichen Drang, mitten in den «Doppelmoral des Alterns» gespro- besten Jahren noch einmal ganz von chen: Die «besten Jahre» gereichen vie- vorn zu beginnen? Frauen, Männer und len Männern zum Vorteil, sind aber für Wissenschaftler streiten darüber seit Frauen häufig mit Problemen verbun- Jahrzehnten. Einige behaupten, es den. Nicht selten sind sie die Leidtragen- handle sich um eine biologisch vorpro- den, wenn Männer zu neuen Ufern auf- grammierte Umbruchsphase, die alle brechen. Menschen durchlebten – gewissermas- sen eine zweite Pubertät. Diese Position Doch selbst Kritikerinnen und Kritiker wird nicht nur am Stammtisch vertreten, des Konzepts fragen nicht, woher die sondern auch in der Wissenschaft, wo Idee der Krise in der Lebensmitte eigent- Verhaltensforscher eine «U-Kurve» des lich kommt und wer sie geprägt hat. Der Lebens berechnen. Demnach sind Men- Blick zurück in die Geschichte wirft neu- 12
es Licht auf die Midlife-Crisis. Denn zur Der Philosoph Kieran Setiya, der am Debatte steht nicht nur die Existenz der Massachusetts Institute of Technology Midlife-Crisis, sondern vielmehr ihre De- lehrt, präsentiert in seinem 2017 veröf- finition. Wer hat eine Midlife-Crisis, wie fentlichten, vielbeachteten Buch «Mid- sieht sie aus – und wer darf darüber ent- life» die Frage nach dem Sinn des Le- scheiden? bens als eine, die in erster Linie Männer zu betreffen scheint: den Autor selbst – New Yorker Geschichten der im Alter von 35 Jahren in eine Krise Die meisten Midlife-Geschichten han- stürzte – sowie eine Reihe grosser Phi- deln von Männern. Frauen spielten in losophen von John Stuart Mill bis Arthur diesen Schilderungen nur illustrative Schopenhauer, dazu zahlreiche Roman- Nebenrollen – die Verlassene, der Sei- charaktere. Als Leser Leo Tolstois inter- tensprung. Eine Midlife Crisis hatten die essiert den Moralphilosophen Setiya Männer. Wenig hat sich seitdem geän- das Schicksal Alexej Wronskijs, nicht das dert. der Titelheldin Anna Karenina. «Der Trick ist, das Leben zu geniessen, indem man vorher akzeptiert, dass es keinerlei Bedeutung hat.» Vicky Cristina Barcelona 13
Dabei waren die Erfahrungen von Frauen ihre Erfahrungen und Perspektiven auf zentral für die Anfänge der Idee einer Ehe und Partnerschaft, Familie und Be- Midlife-Crisis. Es war die New Yorker ruf. Die meisten der Befragten lebten in Journalistin Gail Sheehy, die die Midlife- New York, andere in Los Angeles, Wa- Crisis in den USA und international be- shington, DC und Dayton, Ohio – der kannt machte. Geboren 1937, schrieb Stadt, die unter Meinungsforschern als Sheehy seit den 1960er-Jahren für meh- Heimat des durchschnittlichen amerika- rere Zeitungen und Zeitschriften, insbe- nischen Paares galt. Doch wo Sheehy sondere für die «New York Herald Tribu- 30- und 40-jährige befragte, dominier- ne». Seit 1968 war sie Redakteurin des ten Unzufriedenheit und ein Gefühl der neu gegründeten «New York Magazine». Stagnation. Sheehys Buch hiess «Passages», zu Sheehy erschien dieses Unbehagen be- Deutsch «In der Mitte des Lebens». Sie deutungsvoll. In der Fachliteratur stiess interviewte dafür 115 Frauen und Männer sie auf einen Begriff, den der Londoner im Alter zwischen 17 und Ende 50 über Psychoanalytiker und Berater Elliott
Jaques 20 Jahre zuvor geprägt hatte, der Mutterschaft und legte zugleich nahe, jedoch weitgehend unbeachtet geblie- dass auch Männer davon profitierten, ben war: «mid life crisis». Jaques unter- ihre Prioritäten und Lebensmuster zu suchte unter anderem die Lebensläufe überdenken. Zusammengenommen Dantes und Raphaels, Beethovens und markierten die weibliche und männli- Goethes und beschrieb ein Muster einer che Midlife-Crisis das Ende der klassi- Schaffenskrise, die Künstler im Alter von schen Rollenverteilung. ungefähr 35 Jahren durchlebten. Viele der Männer gingen aus dieser Krise ge- Sheehys Buch «Passages» war eine stärkt hervor. Für den Psychoanalytiker Sensation. In mehr als 25 Sprachen war die «mid-life crisis» deshalb weniger übersetzt zog Sheehys Buch Kreise weit ein Problem, sondern vielmehr Aus- über die USA hinaus. druck eines Entwicklungsschubes. Als die deutsche Übersetzung von Sheehy wandte die Idee der Midlife Crisis Sheehys Buch Anfang des Jahres 1977 auf Frauen und Männer an und definier- erschien, war Sheehys Konzeption der te den Begriff damit komplett neu: Sie Midlife-Crisis nicht zuletzt deshalb er- beschrieb eine Veränderung der Ge- folgreich, weil sie in Zeiten des gesell- schlechterrollen. schaftlichen Umbruchs von Aufbruch und Neubeginn kündete. Im Alter von ungefähr 35 Jahren über- dachten die Frauen, die Sheehy inter- Doch die einflussreichste Kritik an Shee- viewte, ihr Leben. Viele von ihnen hatten hys Modell der Midlife-Crisis kam aus die Rolle der Hausfrau und Mutter satt. den Reihen der Psychologie, Psychiatrie Wie damals verbreitet, hatten sie mit und Psychoanalyse. Sie richtete sich Anfang 20 geheiratet, oft ohne ihr Studi- nicht gegen die Midlife-Crisis an sich, um zu beenden. Selbst das jüngste Kind sondern eignete sich die Idee an und besuchte mittlerweile die weiterführen- stellte sie auf den Kopf. de Schule. Jetzt wollten die Frauen ihr Leben in die Hand nehmen: Studienab- Psychologie und die Krise schlüsse nachholen, Weiterbildungskur- der Männlichkeit se belegen oder sich neu orientieren, ins Im Gefolge von Sheehys Buch veröffent- Berufsleben zurückkehren. lichten die Psychiater George Vaillant und Roger Gould und der Psychologe In Sheehys Darstellung war die Unzufrie- Daniel Levinson ihre eigenen Studien denheit der Mittdreissiger der Beginn zum Thema. Doch sie beschrieben eine eines Neuanfangs. Ihr Konzept der Mid- völlig andere «Midlife-Crisis». Wie Shee- life-Crisis normalisierte die Lebensent- hy schilderten die drei Experten einen würfe von Frauen jenseits von Ehe und tiefgreifenden Wandel der Lebensein- 15
stellung im mittleren Alter. Doch dabei zierung eines Mannes von seiner Familie beschrieben sie die Midlife-Crisis als verlangte und das Ende der Monogamie ein ausschliesslich männliches Phäno- bedeutete, entsprechend der Ablösung men und verteidigten traditionelle Ge- des Jugendlichen vom Elternhaus. Da- schlechterverhältnisse. bei war die Abwendung eines Mannes von seiner Ehefrau zentral. Wie ein Kind In seinem Buch «Werdegänge: Erkennt- sich von den Eltern löst, sollte sich ein nisse der Lebenslaufforschung», veröf- Mann von seiner Frau lösen. fentlicht 1977, beschrieb der Harvard- Psychiater George Vaillant Männer in Vaillants Beobachtungen schlossen an den besten Jahren, die ihre Jobs kündig- die Studien des Psychologen Daniel Le- ten und ihre Familien verliessen, um sich vinson an, dem einflussreichsten der mit aufregenden Affären, extravaganten drei Fachmänner. Der stellte die Tren- Autos, Bauprojekten und Reisen an exo- nung eines Mannes von seiner Frau als tische Orte Lebensträume zu erfüllen. ein Zeichen von Reife und Erkenntnis Der Psychiater stellte die Midlife-Crisis dar. Wie er in seinem Buch «Das Leben als eine «zweite Adoleszenz» dar: eine des Mannes» schrieb, war es für einen Phase der Selbstfindung, die die Distan- Mann in der Lebensmitte endlich mög- 16
«So eine Beziehung ist wie ein Fluss, sie muss sich ständig weiter bewegen, oder sie versiegt. Und, äh, ich denke, das, was wir haben, ist ein toter Arm.» Stadtneurotiker lich zu sehen, dass «die Ehe von Anfang verständnis. Dies wurde besonders dar- an Mängel hatte. Er hat nicht aus grosser an deutlich, wie die drei Experten über Liebe, sondern aus anderen Gründen Frauen sprachen. Sie betonten die Be- geheiratet, sei es, dass die Familie ihn deutung von Ehe und Familie für die Kar- drängte oder dass die Konvention es riere eines Mannes. erforderte, dass er aufbegehrte, sich den sozialen Aufstieg erhoffte oder einfach Levinson unterstrich die Unterschiede Schuldgefühle hatte. Nun ist plötzlich zwischen getrennten Lebensaufgaben – der grosse Nebel der Illusion verflogen.» männlicher Versorger, weibliche Fürsor- gerin – für die berufliche Entwicklung Der Psychologe berief sich auf C. G. Jungs eines Mannes, indem er die «besonde- Konzept der psychischen Polaritäten, re» mit der «emanzipierten» Frau kont- um für die psychodynamische Bedeu- rastierte, deren Einbindung in eine Kar- tung von Affären mit jüngeren Frauen zu riere zu ehelichen Konflikten führe und argumentieren: dem Lebensglück entschieden im Wege stehe: «Wenn wir die aussereheliche Bezie- hung (mit einer jüngeren Frau) besser «Es ist schwierig genug, eine Lebens- verstehen wollen, müssen wir sie von struktur auf dem Traum einer Person der Entwicklung her betrachten. Sie re- aufzubauen. Eine Struktur aufzubauen, flektiert das Ringen eines Mannes mit die die Träume beider Partner enthalten der Polarität von JUNG und ALT: Er de- kann, ist tatsächlich eine gewaltige monstriert seine jugendliche Vitalität zu Aufgabe, auf die Evolution und Ge- einem Zeitpunkt, wo er fürchtet, dass schichte uns nur unzureichend vorberei- das JUNGE in ihm von dem vertrockne- tet haben.» ten, sterbenden ALTEN zugedeckt wird.» Die drei Experten nahmen Frauen von Das neue, psychologische Konzept der ihrem Konzept der Midlife-Crisis aus- männlichen Midlife-Crisis zementierte drücklich aus. Sie gingen nicht einfach und verteidigte ein traditionelles Rollen- davon aus, dass Männer den Massstab 17
der menschlichen Natur bildeten. Son- dern sie begrenzten die Idee der Per- sönlichkeitsentwicklung auf Männer. Levinson, Vaillant und Gould untersag- ten es Frauen, ihr Leben zu überdenken und zu verändern. Damit stellten sie die Prämissen von Sheehys ursprünglicher Idee der Midlife-Crisis auf den Kopf. Je länger man sich mit der Geschichte der Midlife-Crisis befasst, desto klarer wird: Die Krise in der Lebensmitte ist nur nicht ein psychologisches, sondern auch ein politisches Konzept. Wenn heute in wissenschaftlichen Studien, in Diskussionsrunden und beim Smalltalk von der «Midlife-Crisis» die Rede ist, geht es meistens um die Definition von Levin- son, Vaillant und Gould. Selten ist den- jenigen, die die männliche Midlife-Crisis verteidigen, deren antifeministische Ver- gangenheit bewusst. Der Blick zurück ist auch deshalb aufschlussreich, denn er fördert ein alternatives Verständnis der Midlife-Crisis zutage, dass wir nahezu vergessen haben. Viel hat sich seit den 1970er-Jahren verändert. Doch wenn sich Sheehys ursprüngliche Idee auch nicht eins zu eins auf heute übertragen lassen mag, so ermutigt sie doch dazu, unsere Vorstellung von der Lebensmit- te-Krise zu überdenken. Susanne Schmidt 18
Central Park West von Woody Allen Deutsch von Nils Tabert. Schweizer Erstaufführung Phyllis Katharina von Bock Premiere am Carol Miriam Wagner 18. September 2020 im Howard Andreas Storm Theater Kanton Zürich Sam Pit Arne Pietz Dauer der Aufführung: Juliet Julka Duda ca. 1½ Stunden, keine Pause. Regie Rüdiger Burbach Die Aufführungsrechte liegen Bühne & Kostüme Beate Fassnacht beim S. Fischer Verlag, Licht Patrick Hunka Frankfurt a. Main. Dramaturgie Ann-Marie Arioli Wir bitten Sie ganz herzlich, Regieassistenz Katharina Stark während der Vorstellung auf Hospitanz Katja Natterer Bild- und Tonaufnahmen zu verzichten. Technische Leitung Flurin Ott Stefan Schwarzbach Probenfotos: Tanja Dorendorf Bühnenbau Stefan Schwarzbach Beleuchtung Janos von Kwiatkowski Impressum: «Versuch über das Benno Kick Komische», aus: Woody Allen: Ton Patrick Schneider Versuch über das Komische, Janne Wrigstedt Vittorio Hösle, München, 2001; Gewandmeisterinnen Graziella Galli «Allens heilige Dreifaltigkeit: Franziska Lehmann Gott, Tod und die Sinnfrage, Mitarbeit Kostümatelier Iris Barmet Vortrag von Bertram Hacke, Requisite Moira Rodriguez Humboldt-Gesellschaft, Bühnentechnik Daniela Fehr 20.11.2000, «Midlife-Crisis; Benno Kick Geschichte eines missverstan- Janos von Kwiatkowski denen Konzepts», Susanne Mato Rajic Schmidt, Deutschlandfunk, Patrick Schneider 12.08.2018. Sascha Simic Janne Wrigstedt Programmheft Nummer 64 Herausgeber: Theater Kanton Zürich Intendant: Rüdiger Burbach Redaktion: Ann-Marie Arioli Grafik: Iwan Raschle, raschle & partner Druck: Jost Druck AG www.theaterkantonzuerich.ch raschlepartner.ch präsentiert von | 006141
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