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CORAktuell Fachinformationsdienst zur Bekämpfung häuslicher und sexualisierter Gewalt in M-V JULI 2020 | 50. AUSGABE Lehren fotoART by Thommy Weiss / pixelio.de aus der Corona-Krise Digitale Beratung – Frauenhaus und Polizeilicher Opferschutz Chancen und Hürden Quarantäne in Zeiten der Krise
Editorial Liebe Leser*innen, Inhalt kaum ein Thema hat unsere Gesell- Digitale Beratung – schaft in den letzten Monaten so Chancen und Hürden . . . . . . . . 03 geprägt, wie der Schutz vor dem Corona-Virus bzw. der Krankheit CO- VID-19. Da auch die Hilfesysteme in Digitale Beratung – ihrer systemrelevanten Arbeit in be- Ideen für den sonderem Maße von Corona-bedingten praktischen Einsatz . . . . . . . . 06 Umstellungen betroffen waren, erschien es uns nur folgerichtig die 50. Ausgabe der CORAktu- ell dem Thema „Lehren aus der Corona-Krise“ zu widmen – Interview: auch wenn sich wahrscheinlich niemand eine „zweite Welle“ Frauenhaus und Quarantäne . . . 07 mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen wünscht. Des- halb wollten wir in dieser Ausgabe unserer Fachzeitschrift Maske 19 – bewusst den Schwerpunkt auf die Erfahrungen des Hilfe- Hilfe per Codewort . . . . . . . . . 08 systems bei häuslicher und sexualisierter Gewalt „im Krisen- modus“ legen. Andreas Wimmer, von der Onlineplattform Beranet, berichtet über die Chancen und Hürden der digita- Interview: len Beratung. Wiebke Bache ergänzt dies in ihrem Artikel um Polizeilicher Opferschutz praktische Ideen für die Online-Beratung aus Sicht einer Be- in Zeiten der Krise . . . . . . . . . . 10 raterin. Zudem stand uns Jacqueline Garske als Leiterin des Frauenschutzhauses Güstrow für ein Interview zum Thema „Frauenhaus und Quarantäne“ zur Verfügung. Über das Pro Zwischen-Fazit und Kontra zum Projekt „Maske 19“, bei dem sich Betroffene eines Mutausbruchs . . . . . . . . 12 von häuslicher Gewalt mittels Codewort in Apotheken Schutz holen können, schreibt Sarah Kesselberg in ihrem Beitrag. Im Infoteil . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Interview mit Achim Segebarth, dem Leiter der Polizeiinspek- tion Rostock, erfahren Sie Wissenswertes zum polizeilichen Opferschutz in Zeiten der Corona-Krise. Der Infoteil wiederum Termine . . . . . . . . . . . . . . . . 15 enthält fachspezifische Neuigkeiten aus Bund und Ländern. „Im Portrait“ lernen Sie diesmal Anne Haerting von der MISS. Im Portrait . . . . . . . . . . . . . . 16 Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt Stralsund ken- nen, die im Landkreis Vorpommern-Rügen als Psychosoziale Impressum . . . . . . . . . . . . . . 16 Prozessbegleiterin arbeitet. Wir wünschen Ihnen eine schöne Sommerzeit und dass Sie gesund bleiben! In eigener Sache Die langjährige Herausgeberin der CORAktuell und Trägerverein der Landeskoordinierungsstelle CORA, Frauen helfen Frauen e.V. Rostock, hat am 12. Juni sein 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Seit 30 Jahren macht sich der Verein in Mecklenburg-Vorpommern für ein gewaltfreies, selbstbestimmtes Leben stark und heißt nun auch so - STARK MACHEN e.V.. In einer Pressemitteilung erklärt der Verein am 12.6.2020: „Wenn gleich noch immer Frauen den weitaus größten Teil der Betroffenen ausmachen, beraten wir doch mittlerweile auch viele Kinder, Jugendliche, Männer und Transpersonen. Sie alle sollen sich angesprochen fühlen. Wir sind mächtig stolz auf unsere Geschichte und der Blick zurück erfüllt uns mit Freude. All das wurde nur möglich, weil wir eng vernetzt sind mit anderen Einrichtungen und Professionen, vor Ort, landes- und bundesweit. An dieser Stelle möchten wir all unseren Kooperationspartner*innen Danke sagen für diese erfolgreichen 30 Jahre. Darauf lässt sich für die Zukunft bauen.“ Wir haben die Angaben in unserem Impressum entsprechend angepasst. 2
Digitale Beratung – Chancen und Hürden Digitale Beratung – Chancen und Hürden Andreas Wimmer ist der Gründer und Geschäftsführer der digitalen Beratungslösun- gen „assisto“ und „beranet“. Er entwickelt Konzepte für die Online-Beratung mit seiner Agentur zone35 in Berlin und hat für die CORAktuell einen Text über digitale Beratung – auch vor dem Hintergrund der Corona-Krise – beigesteuert. Einstieg in die Online-Beratung in einer cherstellen zu können. Jedoch haben Berufs- Krisenzeit gruppen, welche in der sozialen, therapeuti- schen oder psychischen Beratung tätig sind, Als am 24. Februar 2020 in Bayern die ersten in den letzten 25 Jahren, seit Einführung der Fälle von Corona diagnostiziert wurden, war Online-Beratung, noch nicht alle Widerstän- vielen noch nicht klar, welche gesellschaftli- de abgebaut und stehen solchen Angeboten chen Herausforderungen solche Krisen mit sich bringen. Angehalten zu „Social Distancing“, hat sich das soziale Leben massiv durch Aus- gangsbeschränkungen und Kontaktverbote verändert. Digitale Kommunikationsangebote waren die Mittel erster Wahl, um die Selbst isolation zu bewältigen und mit Bezugsperso- nen, Freund*innen und der Familie in Kontakt zu bleiben. Noch bleibt abzuwarten, wie sich die Kontaktbeschränkungen auf die häusliche Situation auswirken. Manche Fachleute be- fürchten jedoch, dass nach dem Ende der Kon- taktbeschränkungen die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt erheblich ansteigen wird. Eine Umfrage unter Jugendämtern, initiali- siert durch die Süddeutsche Zeitung und den WDR, ergab, dass von den 231 Rückmeldungen ca. 43 % der Befragten angaben, dass die Zahl der Gefährdungsmeldungen rückläufig oder stark rückläufig ist. Der Druck in den Familien steigt zwar, aber die Situation rund um Corona oftmals noch sehr verhalten gegenüber. Fra- Quelle: gen rund um Anschaffungskosten, fehlende adel / pixelio.de und der Mangel an sozialen Kontakten, wirkt sich auf die Sichtbarkeit der Fälle aus. Daher Fortbildungskonzepte, die Scheu im Umgang ist aktuell schwer einzuschätzen, welche Aus- mit neuer Technologie, Unsicherheit bei der wirkungen dies auf die Beratungsangebote Entwicklung eines Online-Beratungskonzep- und deren Zulauf haben wird. Umso wichti- tes halten viele Berater*innen, aber auch die ger ist es neue digitale Versorgungsangebote Entscheider*innen auf Führungsebene, davon zu schaffen, die einen niedrigschwelligen und ab, diesen Schritt konsequent zu gehen. Die vor allem mobilen Zugang, wie beispielsweise explodierenden Nutzungsraten von Videosoft- über das Smartphone, ermöglichen. So können warelösungen wie ZOOM, Skype Business oder Berater*innen auch in dieser schwierigen und GoToMeeting offenbaren, dass die Corona Kri- vor allem neuen Situation auf vielfältige Weise se auch eine große Chance bietet, um den Pro- mit Klient*innen in Kontakt stehen, Beratun- zess der Digitalisierung voranzutreiben. Viele gen fortführen und neue aufnehmen. Settings wurden, aus Ermangelung an Alter- nativen, auf diese Kanäle verlegt. Ob Schule, Teammeetings oder Einzelgespräche – plötz- Hürden überwinden & Zielgruppen lich ist alles denkbar. Nicht nur auf Seiten der erreichen Klient*innen ist die Nutzung solcher Kommu- nikationskanäle enorm angestiegen, auch viele Gerade im Kontext der psycho-sozialen Bera- Berater*innen haben sich damit angefreundet tung ist die Online-Beratung eine Möglichkeit, und nutzen Messangerdienste, Videochats und ein flächendeckendes Versorgungsangebot si- Apps zum Austausch mit Gruppen. Die Auf- 3
Digitale Beratung – Chancen und Hürden bruchstimmung gilt es zu nutzen, um quali- muss die zeitversetzte Beratung, wie E-Mail tätsorientierte Beratungskonzepte zu etablie- Beratung und die Echtzeitberatung, unabhän- ren. gig ob vor Ort, via Telefon, im Textchat oder als Videochat für Berater*innen, in einem System zur Verfügung stehen und nutzbar sein. Der 20 Jahre Erfahrungen in der Online- gesamte Beratungsprozess muss dokumen- Beratung tierbar und revisions- und datensicher abbild- bar sein. Dieser Herausforderung stellten wir zone35 ist als Projektagentur seit 20 Jahren uns bereits 2018 im Rahmen unterschiedlicher mit der Online-Beratungsplattform beranet Projekte. der meist genutzte Systemanbieter für psy- cho-soziale Online-Beratung. Die mittlerwei- Eine große Herausforderung war es, die fach- le klassischen Beratungsangebote wie E-Mail lichen und gesetzlichen Anforderungen an die Beratung, Einzelchat- und Gruppenchat sowie Online-Beratung abbilden zu können. Dies be- Online Foren wurden vielfach umgesetzt und trifft sowohl die datenschutz-rechtlichen (Ein- erprobt. Mit über 300 bundesweit tätigen Be- haltung der DSGVO) als auch die berufs-recht- ratungsangeboten wurden sowohl vorhande- lichen (Lösch- und Aufbewahrungsfristen) ne Beratungsstrukturen virtualisiert als auch Kriterien. Ferner muss sichergestellt werden, neue Formen der digitalen Zusammenarbeit dass die Lösung auch in den Berufsalltag gut geschaffen. Diese Erfahrungswerte veran- integrierbar ist. Somit konnte nur ein ganzheit- lassten zone35 dazu, bereits im Jahr 2018 mit liches Konzept diese Anforderungen erfüllen. neuen Methoden von digitalen Beratungsan- geboten im Rahmen von Pilotprojekten erste Erfahrungen zu sammeln. Neben den klassi- Modulare Online-Beratungskonzepte schen Online-Beratungsangeboten, welche Mit assisto ist es nicht nur möglich, die über den Internet Browser verfügbar sind, hat Klient*innenverwaltung, das gesamte Termin- sich besonders das Smartphone und Tablet als management, alle Beratungskanäle und die Kommunikationsmedium etabliert. Die Ver- klassische E-Mail Beratung abzubilden, son- wendung von Apps führt in der Mediennutzung dern auch das Angebot als Webseite oder App zu einem neuen Anwenderverhalten: Singulä- umzusetzen. Daher wurden drei unterschiedli- re Services mit optimaler Benutzerführung via che Kernangebote entwickelt: • assisto Web: Eine klassische virtuelle Bera- tungsstelle mit einer komfortablen Termin- verwaltung, den Beratungskanälen vor Ort, Telefon, Textchat und Videochat, aber auch einer erweiterbaren Oberfläche, welche E- Mail Beratung als zeitversetzte Komponen- te berücksichtigt. Eine sichere Dokumen- tenbox ermöglicht zudem den Austausch von sensiblen Informationen. • assisto Messenger: Ein als modularer Bau- kasten entworfenes App Konzept, mit dem vergleichbar wie „WhatsApp“ schnell und einfach kommuniziert werden kann. Mittels Push-Benachrichtigungen können Klient*innen informiert und aktiviert wer- Quelle: App stehen im Gegensatz zu den Angeboten den. Die komfortable Auswahl ermöglicht Rainer Sturm / einer umfangreichen Webseite. Besonders di- zudem die Zuordnung nach Beratungskom- pixelio.de petenzen oder Regionen. gitale Beratungsangebote müssen durch Ihre Niedrigschwelligkeit im Zugang überzeugen und den Anforderungen der Anwender*innen • assisto Groups: Eine Baukasten-App, mit entsprechen. Daher entstand ein komplett neu der Peer-to-Peer Netzwerke aufgebaut und gedachtes Online-Beratungsprodukt: assisto. die Vernetzung von speziellen Betroffenen- So wie beranet bisher vorhandene Kanäle er- gruppen oder Netzwerken einfach realisiert gänzte, soll assisto nun den gesamten Bera- werden kann. Mit offenen und geschlosse- tungsprozess digitalisieren, unabhängig davon nen Gruppen können Personen gesucht und welcher Beratungskanal verwendet wird. So die Gruppenbildung gefördert werden. 4
Digitale Beratung – Chancen und Hürden Zum eigenen Beratungsangebot Die Etablierung eines Online-Beratungsange- botes für eigene Einrichtungen oder Träger ist nun eine Anforderung, welche an viele Füh- rungskräfte herangetragen oder von diesen aufgrund der Krise angegangen wird. Hierbei gilt immer der Grundsatz, dass bestehende An- gebote digitalisiert und wenn möglich Prozesse vereinfacht werden sollen. Mitarbeiter*innen müssen Sorgen genommen werden und es sollten bewährte Konzepte zum Einsatz kom- men. Entscheidend für die Akzeptanz bei Kolleg*innen ist die nahtlose Integration in die bestehende Arbeitsumgebung, Erfüllung aller Arbeitsschutzverordnungen, Abbildung des bestehenden Datenschutzkonzeptes, eine gute Einführung der Software und ein mögli- cher Ausbau der Kommunikationskanäle. Es sollte berücksichtigt werden, dass E-Mail Be- ratung, digitale Echtzeitberatung in Form von Text- und Videochat aber auch die bestehende Telefon- und vor Ort Beratung mit der Software abgebildet werden kann. Idealerweise kann die Software auch die Dokumentationspflichten und erforderliche Jahresstatistiken generieren und mit den Anforderungen mitwachsen. Eine große Herausforderung ist es, interdisziplinäre Teams abzubilden und die fachübergreifende Beratung der Klient*innen sicherzustellen. Kosten und Planungszeit Quelle: Alexandra H. / In den vielen Jahren, in denen wir uns mit der pixelio.de Online-Beratung beschäftigen, hat es sich be- Ausblick währt, oftmals einen einfachen Einstieg zu empfehlen, da dieser Hemmschwellen senkt Die nun schnell voranschreitende Digitalisie- und die Komplexität des Projektes reduziert. rung erfordert ein neues Bewusstsein, um die Sobald die ersten Erfahrungen gemacht sind, Zielgruppen auch künftig erreichen zu können. kann im Team das weitere Anforderungsprofil Besonders das Smartphone kann in einer so erarbeitet und die Software erweitert werden. schwierigen Zeit ein starkes Bindeglied zwi- Die Entscheidung, welche Beratungskanäle schen Klient*innen und Berater*innen sein. und welche Digitalformate genutzt werden Die sich hieraus ergebenden neuen Beratungs- sollen und wie das Team online interagiert, ist formate sollten sich jedoch immer dem Bera- Das Team als Prozess zu verstehen und kann mit assisto tungszweck unterordnen. Die Online-Beratung E-Beratung von zone35 wachsen. So ist mit beranet ein Einstieg unter wird in den kommenden Jahren deutlich an- (v.l.n.r. 1000 Euro möglich, bei assisto ist mit mindes- wachsen und Beratungsangebote ohne digi- Luis Ziegler, tens 1.500 Euro an einmaligen Kosten zu pla- tale Kommunikationskanäle werden sich nur Maximilian Ort, nen. Allerdings bietet assisto standardmäßig schwer behaupten können. Canan Bulut auch die Integration von Videochats sowie eine und Chris-Ella Kosobutzki) umfangreiche Terminverwaltung mit möglicher Outlookanbindung, welche den Arbeitsprozess gut begleiten kann. Durch die umfangreichen Dokumentationsfunktionalitäten ist es mög- ANDREAS WIMMER lich, die Entwicklung der Online-Beratung an- zone35 GmbH & Co. KG hand von validen Kriterien zu bewerten und Wilhelmstraße 118, 10963 Berlin weiter zu entwickeln. Für komplexere Online- Tel.: 030 4401360 Beratungsprojekte empfehlen wir die Durch- info@beranet.de führung von Konzeptionsworkshops und eine www.assisto.de / www.beranet.de begleitende Betreuung. 5
Digitale Beratung – Ideen für den praktischen Einsatz Digitale Beratung – Ideen für den praktischen Einsatz Wiebke Bache ist Mitarbeiterin in der Beratungsstelle für Betroffene von häuslicher Ge- walt in Kröpelin, deren Träger der Internationale Bund e.V. ist. Sie berät Betroffene von häuslicher Gewalt im Landkreis Rostock. Für die CORAktuell hat sie einen Artikel über den praktischen Einsatz digitaler Beratung aus Sicht einer Beraterin geschrieben. Der Gedanke, Online-Beratung – im Sinne von Chat- effekt). Auch wenn es um reine Informationsan- und Mailberatung - als zusätzliches Angebot bei fragen geht, bietet sich die Online-Beratung an. der IB-Beratungsstelle anzubieten, reift seit 2018 Weiter positiv ist, dass Ratsuchende ihre Anlie- und wird derzeit aktiv vorangetrieben. Sprich, es gen bspw. bei der Mailberatung rund um die Uhr werden die technischen Voraussetzungen (Hard- „loswerden“ können und durch das Verschriftli- und Software), die Finanzierung und die Zusatz- chen ihrer Gedanken und Sorgen sich schon erste qualifikationen geschaffen, geklärt und erlangt, Lösungswege selbstständig entwickeln können. bevor die Online-Beratung beim Internationalen Online-Beratung kann für Ratsuchende also zeit- Bund e.V. (IB) an den Start gehen kann. Es gibt lich flexibler sein und überwindet dabei mühelos derzeit beim IB noch keine Praxiserfahrungen mit räumliche Distanzen. der Online-Beratung. Die Chancen und Risiken dieser Beratungsform sind jedoch abgewogen und auch die Umsetzung ist schon klar definiert. Ein Austausch zu be- reits praktizierenden Beratungs- stellen, wie der Opferhilfe M-V und Quelle: Tony Hegewald / pixelio.de Sachsen, half hierbei. Bislang ist die Beratung in den Köpfen vieler pro- Für die Berater*in ist es ebenso von Vorteil, dass fessioneller Helfer*innen stark am persönlichen sich vor allem bei der Mailberatung mehr Zeit für Gespräch orientiert. Wenn aber die Kommunikati- eine wohlüberlegte Antwort genommen werden on dabei in den Fokus gerückt wird, dann ergeben kann. Im virtuellen Raum ist es für die Berater*in sich viele neue Spielräume für das Beratungsset- dadurch auch einfacher, sich nicht in „Neben- ting mit verschiedensten Vorteilen für Ratsu- schauplätzen“ der Hilfesuchenden zu verfangen, chende und die Berater*innen. Klient*innen, die sondern sich auf das wesentliche Problem zu kon- von häuslicher Gewalt betroffen waren oder sind, zentrieren. Und hier liegt eine der Schwierigkei- schämen sich oftmals sehr stark für das Erlebte. ten von Online-Beratung versteckt. Abgesehen Es kann für Hilfesuchende unglaublich erleich- von den Ratsuchenden, die gewisse (intellektu- ternd sein, wenn sie bei der Suche nach Unter- elle) Fähigkeiten in der schriftlichen Kommunika- stützung im virtuellen Raum weder Name, Alter, tion besitzen müssen, verlangt Online-Beratung Geschlecht, Wohnort, Stimme oder IP-Adresse - Mimik und Gestik als unterstützende Kommuni- Preis geben müssen und komplett anonym blei- kationskanäle fallen ja komplett weg - vor allem ben können (bei Nutzung von datenschutzsiche- von den Berater*innen große Fertigkeiten ab. rer Software). Durch die Anonymität im virtuel- Denn das schriftliche Wort birgt einige Gefahren, len Raum und die Reduzierung auf die schriftliche Fallstricke und Missverständnisse in sich, wel- Kommunikation kann es für Betroffene einfacher ches unbedacht einigen Schaden bei den Ratsu- sein, offen und aufrichtig über die schambesetz- chenden anrichten kann. Eine Zusatzqualifikation ten Themen zu schreiben (Online-Enthemmungs- zur*zum Online-Berater*in ist dementsprechend mehr als empfehlenswert für eine qualitativ WIEBKE BACHE hochwertige Online-Beratung. Neben den Kosten für Hard- und Software, ist dies ein weiterer Kos- Beratungsstelle für Betroffene tenpunkt, den die Einrichtung bei der Umsetzung von häuslicher Gewalt von Online-Beratung jedoch bedenken muss. Internationaler Bund - Freier Träger der Kurz um: Auch mit all seinen Vorteilen soll und Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V kann Online-Beratung die persönliche Beratung Am Wasserwerk 1, 18236 Kröpelin Tel.: 038292 8267816 nicht ersetzen, sondern als erweitertes Angebot beratungsstelle-kroepelin@ib.de für Betroffene – im Sinne von Blended Counceling www.ib-nord.de - dienen, die bisher durch das Hilfenetz noch nicht erreicht wurden. 6
Interview: Frauenhaus und Quarantäne Interview: Frauenhaus und Quarantäne Das Frauenschutzhaus Güstrow wird vom Trägerverein Arche e.V. – für Frau und Familie geführt und besteht seit 1992. Es ist das einzige Frauenhaus im Landkreis Rostock und seit jeher eine wichtige Anlaufstelle für Frauen und Kinder, die sich in einer Notsituation befinden und Schutz vor Gewalt benötigen. Für unser Interview stand uns die Leiterin Jacqueline Garske (nachfolgend J.G.) zur Verfügung. CORA: Hat die Corona-Pandemie zu Veränderun- Frauen, Kindern und ihren Bezugsbetreuerinnen gen eurer Arbeit im Frauenhaus geführt? Wenn ja, ist im Haus selbst kein so genannter „Lagerkoller“ zu welchen? entstanden. J.G.: Die Corona-Pandemie hat alles beeinflusst und so natürlich auch unsere Arbeit im Frauenschutz- CORA: Was war besonders herausfordernd für euch haus. Dabei geht es aber nicht um die Zusammen- Mitarbeiterinnen, aber auch für die Bewohnerinnen arbeit mit den Frauen und ihren Kindern und die und deren Kinder? täglichen Arbeitsabläufe im Haus, sondern eher um J.G.: Die Arbeit in unserem Haus ist jeden Tag eine die strukturellen und institutionellen Einschrän- Herausforderung und wir nehmen sie immer wie- kungen, Anforderungen bzw. Veränderungen. Wir der gern an. Aber anders war die zusätzliche Angst hatten jeden Tag unsere üblichen Tätigkeiten und und Sorge der Frauen. Die Anforderungen zu erledigen. „Nebenbei“ war es Frauen leben ja nicht ohne da eine große Herausforderung für uns schnellst- Grund bei uns und kennen möglich alle nötigen Schutzvorkehrungen zu tref- Furcht haben ganz genau. fen bzw. ausreichend Schutzartikel zu bekommen, Aber nun kam Angst bei sich immer wieder aktuell zu informieren, einen dem Gedanken an CORO- Pandemieplan und auch Quarantäneplan für unser NA dazu und sie machten Haus samt Mitarbeiterinnen zu entwerfen - mit sich große Sorgen, dass den dazugehörigen Vorbereitungen wie z.B. Ein- ihre Kinder sich anstecken käufe, Schaffen von zusätzlichen Räumlichkeiten, könnten. Ebenso der gan- Absprachen mit Kooperationspartnern. ze Schulausfall war immer Zusätzlich kam dazu, dass ja die Frauen nichts wieder ein wichtiges Thema. Die meisten unserer mehr selbständig erledigen konnten. Persönliche Kinder im Haus waren noch nicht an Schulen an- Termine bei Ämtern und anderen Einrichtungen gemeldet und bekamen so natürlich auch keine wurden abgesagt. Alle nötigen Kontakte bzw. An- Aufgaben für zu Hause. Die Mütter waren traurig. forderungen zu den verschiedensten Institutionen Die Schulbildung ihrer Kinder ist ihnen wichtig und mussten nun in dieser Zeit über Telefon, Mail bzw. sie hatten Bedenken, was passiert, wenn die Kin- Fax erledigt werden und natürlich benötigten die der so viel verpassen. Auch hier versuchten wir mit Frauen dazu unsere Hilfe. Der Zeitaufwand war Aufgaben und einem kleinen Ersatzunterricht zu enorm und eine Mehrbelastung. Dennoch konnten helfen. wir hier auch etwas Positives mitnehmen. Durch Für uns war es zusätzlich herausfordernd die stän- die vielen persönlichen Kontakte und dadurch auch digen Veränderungen von Vorschriften umzuset- zusätzlichen intensiven Gesprächen zwischen den zen bzw. in der ersten Zeit ohne klare Vorgaben und Mittel Schutzvorkehrungen zu treffen. Täglich mussten schnelle individuelle Lösungen gefunden werden, wie z. B. Umzüge innerhalb des Hauses, finanziell nicht eingeplante Möbelbeschaffung, oder auch eine Desinfektionsmittelvergabe ohne Spender. Natürlich haben wir gemeinsam mit den Frauen immer wieder Lösungen gefunden, aber es war natürlich auch kräftezehrend. Vergessen werden wir nie den Fall der körperlich eingeschränkten Frau, die wir zu Beginn dieser Zeit aufgenommen hatten. Die nicht begutachtet wer- den konnte, obwohl sie einen Pflegedienst brauch- te und keine finanziellen Mittel sowie keine Kran- kenversicherung hatte. Die Mühlen der Bürokratie in dieser Zeit zu überwinden wirkte aussichtslos Quelle: Jernej Furman / Flickr.de und benötigte täglich eine Personalstelle. 7
Interview: Frauenhaus und Quarantäne CORA: Wie habt ihr euch auf die Quarantäne des der Frauenhauskoordinierung Berlin sehr hilfreich Frauenhauses vorbereitet, falls eine Bewohnerin und haben diese für unseren Arbeitsalltag immer oder Mitarbeiterin an COVID-19 erkrankt wäre? wieder genutzt. J.G.: Da war die Lösung sehr schnell gefunden. Ge- Die wöchentliche Telefonkonferenz mit der Leit- meinschaftlich mit Frauen und Mitarbeiterinnen stelle Frauen und Gleichstellung/Frauen in Krisen- wurde entschieden, bei einem Vorfall zusammen situationen war ebenso wichtig und informativ, da in Hausquarantäne zu gehen. Es wurde ein kleiner wir auf diesem Weg aktuelle Schwierigkeiten an- Lebensmittelvorrat angelegt, die Gemeinschafts- sprechen konnten und Neuigkeiten unseres Bun- räume so umstrukturiert, dass sie den Mitarbeite- deslandes erfahren haben. rinnen als Schlafplatz hätten dienen können und Gefreut haben wir uns sehr darüber, dass auch eine separate Küche vorbereitet. Die Frauen sind die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises innerhalb des Hauses so umgezogen, dass wir für Rostock, Frau Starck, und die Leiterin des Schul- eine eventuell betroffene Frau eine Extra-Woh- verwaltungs- und Sozialamtes der Stadt Güstrow, nung gehabt hätten. Wir haben nur zwei Wasch- Frau Mater, immer mit uns in Verbindung standen, maschinen und die stehen in Wohnungen von Hilfe angeboten und auch gegeben haben. Bewohnerinnen. Somit wurde eine Wohnung mit Waschmaschine geräumt und die anderen Frauen CORA: Wenn ihr auf eure Erfahrungen der letzten hätten sich dann eine Waschmaschine geteilt. Wochen zurückblickt – was nehmt ihr für die Zu- kunft daraus mit? CORA: Was war unterstützend und hilfreich in der J.G.: Was nehmen wir mit aus dieser Zeit!? Erstens, Zeit der Pandemie? dass ein gutes Team alles schaffen kann und dass J.G.: Wir fanden die stetigen Mails mit aktuellen es besonders wertvoll ist, dies auch anzuerkennen Informationen, Vorgaben und Arbeitsanregungen und zu pflegen. Zweitens, dass Frauen zusammen stark sind und auch in einem Haus wie unserem mit Demokratie, Zusammenhalt und Offenheit JACQUELINE GARSKE schwierigste Situationen einfach meistern und jeden Tag nach vorne gucken. Und drittens, dass Frauenschutzhaus Güstrow wir noch so viel planen und uns auf alles Mögliche Arche e.V. - für Frau und Familie vorbereiten können, Flexibilität und unsere Ein- PF 1120, 18261 Güstrow Tel.: 03843 683186 stellung, diese Arbeit meistern zu wollen, sind das archeev@web.de Wichtigste. www.arche-ev.de CORA: Vielen Dank für das Interview. Maske 19 – Hilfe per Codewort Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leo- somit weniger Gelegenheit gibt Hilfe zu rufen. Eine poldina veröffentlichte am 13. April 2020 die der wenigen Gelegenheiten, in Zeiten von Aus- Empfehlung „Coronavirus-Pandemie – Die Krise gangs- und Kontaktbeschränkungen, ist der Gang nachhaltig überwinden“. In dieser Veröffentlichung zum Supermarkt oder zur Apotheke. In Frankreich werden, neben vielen anderen Bereichen des ge- und Spanien sollte die Direkthilfe in Apotheken ge- sellschaftlichen Lebens, der Stellenwert und die schehen. Mit dem Codewort „Maske19“ können Be- potenzielle Belastung für Frauen in der Krise the- troffene auf ihre Situation aufmerksam machen. matisiert. Als Empfehlung wird auf Seite 10 be- Apotheker*innen sind angehalten, in dem Fall über schrieben, dass die „…in Frankreich getroffenen den Notruf die Polizei zu kontaktieren. Zusam- Maßnahmen wie Anlaufstellen für häusliche Ge- menfassend wurde hier ein kompensatorisches walt und andere familiäre Notsituationen in Su- Angebot geschaffen, welches niedrigschwellig Hil- permärkten und Apotheken erwogen…“ werden fe bei häuslicher Gewalt ermöglichen soll. sollten. Die Leopoldina bezieht sich hierbei auf In der Zeit einer weltweiten Pandemie, deren Aus- das Projekt „Maske 19“, welches von Spanien und wirkungen unsere Gesellschaft massiv betrifft und Frankreich umgesetzt wurde. vielschichtige Probleme aufzeigt, ist es strategisch Dieses Projekt beruht auf der Vorstellung, dass die hilfreich voneinander zu lernen. Aufgrund der zeit- gewaltausübende Tatperson in Zeiten von Maß- lichen Abfolge haben verschiedene Länder zu un- nahmen wie Quarantäne oder Ausgangssperre die terschiedlichen Zeitpunkten Erfahrungswerte, die Wohnung weniger verlässt und es für Betroffene andere nutzen können. 8
Maske 19 - Hilfe per Codewort Die Handlungsfähigkeit der Apotheker*innen Quelle: Ivan Radic / Flickr.de nimmt in der Umsetzung eine signifikante Rolle ein. Aufgaben, die nicht ihrem beruflichen Hand- lungsfeld entsprechen, müssen standardisiert und kommuniziert werden. Sie müssen grundle- gende Kenntnisse über häusliche Gewalt haben und wissen, welche Schritte sie einleiten müssen, wenn sich Betroffene an sie wenden. Darüber hi- naus ist stets ihre Rolle als Lots*innen zu verste- hen und nicht als Parallelstruktur zu bestehenden Angeboten. An dieser Stelle sollen Vorüberlegungen getrof- fen werden, ob und wie ein solches Projekt in Deutschland umgesetzt werden könnte – hin zu einer Strategie, die auch nach der Pandemie einen Bedarf zielgerichtet deckt. Maske19 zentriert den Bedarf der niedrigschwel- ligen kompensatorischen Unterstützung durch Dritte: Betroffene, die sich keine Hilfe rufen kön- Quelle: Last Hero / Flickr.de nen oder nicht über soziale Unterstützung verfü- gen, dies für sie zu leisten, können situativ Hilfe erfahren. Der Bedarf ist essentiell und wird auch Tatsächliche Niedrigschwelligkeit nach der Pandemie nicht an Relevanz verlieren. Abschließend ist es relevant, das Alleinstellungs- Maske19 bedarf in seiner Umsetzung gewisser Vo- merkmal für ein solches Projekt zu bedenken. Es raussetzungen, die unabdingbar für ein nachhalti- ist wenig nutzbringend Parallelstrukturen zu er- ges Angebot sind. Folgende Aspekte sind denkbar: öffnen, die keinen tatsächlichen Nutzen für die Betroffenen haben. Der Kerngedanke scheint der Bewusstsein und öffentliche Verantwortung! geebnete Zugang zu Unterstützungs- und Hilfs- Häusliche Gewalt ist ein enormes gesellschaftli- angeboten für Betroffene zu sein. Selbstver- ches Problem, welches eines Paradigmenwechsels ständlich kann es genauso hürdenreich für Betrof- im gesellschaftlichen Bewusstsein bedarf - weg fene sein, ein Codewort zu verwenden, als wenn von einer „privaten Familienangelegenheit“ hin sie selbst die Polizei oder das Beratungs- und zu einem achtsamen solidarischen Verständnis. Hilfenetz kontaktieren. Wahrscheinlich ist dieser Dieser Paradigmenwechsel hin zur bewussten Zugang nicht passend für jede*n Betroffene*n, gesamtgesellschaftlichen Verantwortung ist an- dennoch stellt es einen weiteren Weg bereit, sich zustreben. Wenn, wie im Projekt Maske 19, hand- Hilfe einzufordern. Wichtig ist es, erste Schritte lungsfeldferne Akteur*innen der Gesundheitsver- zu gehen. sorgung Aufgaben der Kommunikation für von häuslicher Gewalt Betroffene übernehmen, kann Zusammenfassend wirft dieses Projekt, initiiert dies nur gelingen, wenn diese Mitarbeiter*innen es im Moment einer Krise, den Blick auf Menschen, nicht als „zusätzliche arbeitsferne Mehrbelastung“ die ein gewaltvolles und fremdbestimmtes Leben verstehen, sondern dies als selbstverständlich führen. Unabhängig der Pandemie gibt es Bedarfe, anerkennen. ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für ge- schlechtsspezifische Gewalt zu entwickeln. Unab- Solidarität statt nach unten gesteuerter hängig davon, ob ein solches Projekt in Deutsch- Arbeitsaufträge! land in der Zeit der Pandemie so umgesetzt wird, Um dies umzusetzen, ist die Freiwilligkeit der ist die Reflexion der Bedarfe und Zugänge von Apotheker*innen essentiell. Mitarbeiter*innen Betroffenen von häuslicher Gewalt zu Hilfsange- sollten sich dieser Aufgabe solidarisch und freiwil- boten wichtig. Ein Gedankenspiel, welches fortge- lig annehmen und nicht verpflichtet werden. Diese setzt werden sollte… solidarische Verantwortungsübernahme zielt da- rauf ab, sich der Handlungsaufgabe bewusst zu widmen und eine intrinsische Verpflichtung hin- SARAH KESSELBERG sichtlich von häuslicher Gewalt betroffenen Men- schen einzunehmen. Dies bedeutet nicht, dass Landeskoordinierungsstelle CORA STARK MACHEN e.V. die strukturelle Leitung nicht von Dachverbänden Heiligengeisthof 3, 18055 Rostock oder den Unternehmen übernommen werden soll- Tel.: 0381 4010229 te. Vielmehr ist hier die Selbstbestimmung und cora@stark-machen.de der Einbezug der Mitarbeiter*innen oder einzelner www.stark-machen.de Apotheken oder Unternehmen wichtig. 9
Interview: Polizeilicher Opferschutz in Zeiten der Krise Interview: Polizeilicher Opferschutz in Zeiten der Krise Achim Segebarth ist Polizeidirektor und seit August 2019 Leiter der Polizeiinspektion Rostock. Zuvor war er mehrere Jahre u.a. in der Kriminalitätsbekämpfung und der po- lizeilichen Präventionsarbeit tätig – hierbei auch im Bereich der Prävention von häusli- cher Gewalt. Ihn verbindet eine langjährige und gute Zusammenarbeit mit der Interven- tionsstelle Rostock. Wir freuen uns, dass Herr Segebarth (nachfolgend A.S.) uns für die CORAktuell zu einem Interview bereitstand. CORA: Zunächst einmal grundsätzlich – ist ein Betroffene hoch, die Gewalt in den eigenen vier Trend in der Zu- oder Abnahme von Polizeieinsät- Wänden überhaupt anzuzeigen. Wir gehen wei- zen zu häuslicher Gewalt in den letzten Jahren in terhin von einer hohen Dunkelziffer aus, was sich M-V erkennbar? auch in den Dunkelfeldstudien des Landeskrimi- A.S.: Anhand der Kriminalitätsstatistik, die jedes nalamtes so abzeichnet. Jahr veröffentlicht wird, können wir als Polizei erkennen, in welchem Bereich sich Tendenzen CORA: Wie müssen sich die Leser*innen einen Po- entwickeln. Sind solche Tendenzen erkennbar, lizeieinsatz zu häuslicher Gewalt vorstellen? Gibt setzen wir gezielt polizeiliche Maßnahmen ein. es überhaupt so etwas wie „DEN“ Polizeieinsatz Betrachtet man das monatliche Jahresmittel der im Bereich der (Ex-/)Partnerschaftsgewalt? Fälle von häuslicher Gewalt, ist im Verlauf der A.S.: Für unsere Einsatzkräfte ist jeder Fall, bei vergangenen Jahre seit 2016 im Bereich Rostock dem ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt wird, eine steigende Tendenz zu erkennen. Einen Be- individuell. Der Erstkontakt erfolgt häufig am Te- zug zu einer Region der Stadt, in der die Fälle am lefon, nämlich dann, wenn die Betroffenen in ei- häufigsten auftreten, können wir nicht herstel- ner Notfallsituation die 110 wählen. Dann fahren len. Aus dem Vergleich der Fallzahlen des ersten die Kollegen zum Einsatzort und sorgen zunächst Quartals 2020 mit denen der vorherigen Jahre für die Beendigung einer akuten Gefahrensitua- lässt sich kein eindeutiger Aufwärts- oder Ab- tion. Danach schließt sich meist die Befragung wärtstrend ableiten. Da die Täter aus dem famili- der geschädigten Person und die Aufnahme einer ären Umfeld kommen, ist die Hemmschwelle für Strafanzeige an. Auch kommt es vor, dass die Be- 10
Interview: Polizeilicher Opferschutz in Zeiten der Krise troffenen sich nach der Gewalttat vertrauensvoll CORA: Wohin gehen gewalttätige und übergriffi- an unsere Kollegen wenden und ihre Situation im ge Personen, die der Wohnung verwiesen werden? persönlichen Gespräch schildern. In beiden Fällen A.S.: Ausschlaggebend für eine Wegweisung verlangt es ein besonderes Einfühlungsvermö- ist, ob die Beamten vor Ort eine erhöhte Gefahr gen unserer Kollegen, denn nicht selten sind die erneuter Gewalttätigkeiten feststellen. Grund- Opfer traumatisiert und tragen langfristige kör- sätzlich hat sich die weggewiesene Person selbst perliche und psychische Schäden davon. Bis zur um eine alternative Unterkunft zu kümmern. In- ersten Anzeige können mitunter Jahre vergehen. nerhalb der Zeit der Wegweisung wohnen diese Deshalb raten wir Betroffenen, sich an die Polizei dann meist bei Freunden oder Bekannten oder oder spezialisierte Beratungsstellen und Hilfsein- anderen Familienmitgliedern. Sofern dies nicht richtungen zu wenden. Dort besteht möglich ist, können neben Hotels und Pensionen auch die Möglichkeit, sich auch gesonderte Unterkünfte der Stadt genutzt anonym Hilfe zu suchen. werden. Je nach Sachlage ergrei- fen die Polizisten CORA: Gibt es Erfahrungswerte bei der Polizei, ob die notwendigen sich dies im Rahmen der Corona-Pandemie ver- Maßnahmen zum ändert hat? Schutz der Betrof- A.S.: Während der Kontaktbeschränkungen fenen und spre- konnten wir feststellen, dass sich die Bürger ins- chen z.B. eine gesamt verstärkt zu Hause aufgehalten haben. Wegweisung an Mit Blick auf das tägliche Einsatzgeschehen der die verursachen- Polizei können wir aber nicht bestätigen, dass de Person aus. In sich hier Veränderungen in Bezug auf das Weg- einem Zeitraum weisen gewalttätiger Personen aus dem häusli- von bis zu zwei chen Umfeld ergeben haben. Wochen darf die- se die Wohnung dann CORA: Hat die Corona-Krise zu neuen Erkenntnis- nicht mehr betreten. Der sen im Bereich der Prävention häuslicher Gewalt Wohnungsschlüssel wird geführt – für den Fall einer nächsten Epidemie ebenso sichergestellt. Den Betrof- bzw. Infektionswelle? fenen wird so ermöglicht, sich über die eigenen A.S.: Prinzipiell ist unser Anliegen, die Bürger weiteren Schritte klar zu werden und beim Ge- unabhängig von Krisenzeiten für das Thema der richt einen Antrag auf Wohnungszuweisung zu häuslichen Gewalt zu sensibilisieren und im fa- stellen oder gegebenenfalls eine neue Unter- miliären Umfeld oder in der Nachbarschaft auf- kunft aufzusuchen. Hier arbeiten wir eng mit den merksam zu sein. Opfern häuslicher Gewalt raten städtischen Frauenhäusern zusammen. wir immer, spezialisierte Beratungsstellen aufzu- suchen oder sich auch anderweitig Hilfe zu holen. Daneben zeigt sich aber auch, wie wichtig es ist, CORA: Hat die Corona-Pandemie zu einem An- im Alltag eine verlässliche Kinderbetreuung und stieg der Einsätze geführt? neben der Schulzeit auch erreichbare Freizeitan- A.S.: Aktuell gibt es in Rostock eine Erhöhung gebote für Jugendliche und Erwachsene verfüg- der Einsatzzahlen. Jedoch muss hierbei berück- bar zu haben. Diese schaffen Möglichkeiten zur sichtigt werden, dass es auch schon zu früheren Reduzierung von psychischen Belastungen und Zeiten Monate mit vergleichbaren Zahlen gege- auch Ausweichmöglichkeiten bei bestehenden ben hat. Eine eindeutige Verbindung zur Pande- Konflikten. miesituation lässt sich daher noch nicht sicher ableiten. CORA: Vielen Dank für das Interview. CORA: Mussten die polizeilichen Schutzmaßnah- men, wie z.B. die Wegweisung gewalttätiger Per- sonen aus einer Wohnung, aufgrund von Quaran- tänemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen angepasst werden? ACHIM SEGEBARTH A.S.: Praktische Probleme gab es hier bisher auf- Polizeidirektor grund der wenigen Infizierten nicht. Allerdings Polizeipräsidium Rostock, haben wir im Zusammenwirken mit der Stadt- Polizeiinspektion Rostock verwaltung Vorkehrungen geschaffen, um z.B. Ulmenstraße 54, 18057 Rostock auch Wegweisungen von Personen, die zugleich Tel.: 0381 4916 3000 unter Quarantäneanordnungen stehen, umset- pi.rostock@polmv.de zen zu können. 11
Zwischen-Fazit eines Mutausbruchs Zwischen-Fazit eines Mutausbruchs „Mutausbruch“, so bezeichnet das Team der Landeskoordinierungsstelle CORA rückbli- ckend das, was die Kolleg*innen im Hilfenetz gegen häusliche und sexualisierte Gewalt M-V in den letzten Wochen alles hoch engagiert geleistet haben, um den Kontakt zu den gewaltbetroffenen Klient*innen nicht zu verlieren. Hier lesen Sie das Resümee. Seit März 2020 waren wir durch die Corona- lich sind. Die vertrauensvolle Beziehungsebene Pandemie plötzlich konfrontiert mit einem Ar- zur Berater*in und das geschützte Gefühl kann beits- und Lebensalltag, der geprägt war von per Video oder Telefon ggf. nicht so hergestellt wechselnden politischen Entscheidungen und werden oder braucht vorab einen persönlichen Maßnahmen, von Unsicherheiten und von Ein- Erstkontakt. schränkungen - insbesondere im Kontakt mit Menschen. In den Momenten des fast schon wie- Doch bringt die Online-Beratung als neue Ent- der routinierten Alltages heute vergessen wir da- wicklung natürlich auch Vorteile mit sich, bei- bei zu leicht, dass wir uns gerade einen Weg und spielsweise die der nicht zu beschreitenden Wege neue Routinen in einem weltweiten Ausnahme- über Land oder die kurzfristige Erreichbarkeit im zustand gesucht haben. Krisenfall. Die Nutzung der digitalen Medien ist somit Chance und Heraus- forderung zugleich und ist als (erstmal) neue Arbeits- welt anzuerkennen. Elementar ist hierbei selbstverständlich die Ar- beitsgrundlage: sowohl die Hardware (Serverzugänge, PCs, Headsets oder trag- fähige Internetverbindun- gen) als auch „Software“, unsererseits interpretiert als Handlungskompetenz der Berater*innen, muss nachgerüstet und entwi- ckelt werden. Beratung per Video stellt auf vielen Ebenen neue Herausfor- derungen und Kompetenz- bedarfe dar, die in Wei- terbildungen angemessen entwickelt werden müs- Gerade weil persönliche Kontakte eingeschränkt sen. Die Umsetzung und Sicherheit im Umgang bis kaum möglich waren, bestand die Sorge, dass mit der Digitalisierung in der sozialen Arbeit kann häusliche Gewalt und/oder sexualisierter Miss- demnach nicht ohne den Einsatz von (zusätzli- brauch ansteigt und Betroffene nicht den Weg chen) Ressourcen ablaufen. zu Hilfsangeboten finden. Die Umstände sorgten außerdem dafür, dass die Digitalisierung mit ei- Schließlich gilt es zu würdigen, was viele Men- nem Knall Einzug in die psychosoziale Beratung schen im Opferschutz in den letzten Monaten gehalten hat. Denn in dem Moment, als die Maß- geleistet haben: Den Balanceakt zwischen dem nahmen des Kontaktverbotes galten, war der Gewährleisten individueller Hilfs- und Unter- persönliche Kontakt von Berater*in und Betrof- stützungsangebote - in Zeiten von politischen fenen kaum mehr möglich. Maßnahmen und Einschränkungen. Die Beglei- tung und Beratung von Betroffenen von häusli- Beratungs- und Unterstützungsangebote finden cher und sexualisierter Gewalt in dieser Zeit war in der Regel im direkten Face-to-Face Kontakt hierbei stets geprägt durch eine zentrale und statt. Die Vorteile der direkten Beratung sind, wichtige Botschaft des Hilfenetzes M-V: Wir sind dass neben dem gesprochenen Wort auch non- hier. Wir sind noch da. Und dass wird sich auch verbale Kommunikation und Augenkontakt mög- zukünftig nicht ändern. 12
Informationen Informationen Stärker als Gewalt – Initiative perliche Gewalt und in 6,5 % der Haushalte wur- informiert über Hilfsangebote den Kinder von einem Haushaltsmitglied körper- lich bestraft. 3,6 % der Frauen wurden von ihren „Stärker als Gewalt“ ist eine Initiative des Bun- Partnern vergewaltigt. 3,8 % der Frauen fühlten desministeriums für Familie, Senioren, Frauen sich von ihrem Partner bedroht. 2,2 Prozent durf- und Jugend und wurde im November 2019 ins ten ihr Haus nicht ohne Leben gerufen. Die Initiative will erreichen, dass seine Erlaubnis verlassen. mehr Menschen im Umfeld von gewaltbetroffe- In 4,6 Prozent der Fälle re- nen Personen für häusliche Gewalt sensibilisiert gulierte der Partner Kon- Die Technische Universität Mün- sind und ihre Hilfe anbieten. In der Corona-Krise takte der Frauen mit an- chen (TUM) stellt eine Zusammen- hat die Initiative darüber hinaus die Aktion „Zu- deren Personen, darunter fassung der Studienergebnisse hause nicht sicher?“ gestartet. Die neue Poster- auch digitale Kontakte wie kostenfrei online als PDF unter Aktion will Kund*innen im Supermarkt ebenso Messenger-Dienste. folgendem Link zur Verfügung: wie Nachbar*innen in ihren Hausfluren auf Hilfs- angebote aufmerksam machen. „Wir alle sind in Die Wissenschaftlerinnen https://drive.google.com/file/ dieser Zeit besonders aufgefordert, auf Alarmsi- fanden im Rahmen ihrer d/19Wqpby9nwMNjdgO4_FCqql- gnale häuslicher Gewalt in unserer Umgebung zu Untersuchung auch Risi- fYyLJmBn7y/view achten und dagegen aktiv zu werden.“, heißt es kofaktoren für die häus- von Seiten der Initiative. Alle weiteren Informa- liche Gewalt während der tionen sowie kostenfreies Kampagnenmaterial Corona-Pandemie heraus. finden Sie auf der Website unter: www.staerker- So war die Zahl der Betroffenen sowohl bei Frau- als-gewalt.de en als auch Kindern (noch) höher, wenn sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden; die Familie akute finanzielle Sorgen hatte; eine*r der Partner*innen aufgrund der Pandemie in Kurz- arbeit war oder den Arbeitsplatz verloren hatte; eine*r der Partner*innen Angst oder Depressi- ZUHAUSE onen hatte oder sie in Haushalten mit Kindern unter 10 Jahren lebten. Hieraus leiten die Wissen- schaftlerinnen mehrere Empfehlungen für beste- NICHT SICHER? hende und eventuelle künftige Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während einer mögli- chen „zweiten Welle“ der Pandemie ab. In einer Sind Sie akut von Gewalt zuhause betroffen oder Pressemitteilung vom 2. Juni 2020 erklärt Janina kennen Sie jemanden, der betroffen ist? Steinert: „Es sollten Notbetreuungen für Kinder Hier finden Sie alle wichtigen Infos dazu, was Sie tun können und wo Sie Hilfe finden: geschaffen werden, die nicht nur Eltern in sys- stärker-als-gewalt.de temrelevanten Berufen zur Verfügung stehen“ und „Da Depressionen und Angstzustände das Gewaltpotential erhöhen, sollten psychologische Beratungen und Therapien auch online angebo- ten und ohne Hürden genutzt werden können. Studie zu Gewalt in Deutschland Frauenhäuser und andere Stellen, die Hilfen an- während der Corona-Pandemie bieten, müssen systemrelevant bleiben.“ Janina Steinert, Professorin für Global Health an Anfragen beim Hilfetelefon der Technischen Universität München (TUM), und „Gewalt gegen Frauen“ gestiegen Dr. Cara Ebert vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung haben in ihrer Studie zu Das bundesweite Hilfetelefon verzeichnete 2019 häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie einen Anstieg von Beratungsnachfragen von ca. 3.800 Frauen, zwischen 18 und 65 Jahren, on- 6,5 % im Vergleich zu 2018. Insgesamt hatten line nach ihren Erfahrungen befragt. Die Studie sich ca. 44.700 Ratsuchende, Betroffene und ist hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Unterstützer*innen, im vergangenen Jahr an das Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für Beratungsangebot gewandt. Allein zum Thema Deutschland. Die Frauen wurden für den Zeitraum häusliche Gewalt haben rund 20.000 Beratungen der bis dato strengsten Ausgangs- und Kontakt- stattgefunden. Zweithäufigstes Thema war se- beschränkungen befragt. Demnach erlebten 3,1 xualisierte Gewalt mit rund 4.400 Beratungen. % der Frauen zu Hause mindestens einmal kör- Mit rund 3.500 Beratungen stieg auch die Nach- 13
Informationen frage nach fremdsprachiger Beratung deutlich an. Hilfetelefon „Gewalt an Männern“ In mehr als 60 Prozent aller Beratungen konnten gestartet Ratsuchende an Beratungsstellen vor Ort und in ca. 22 Prozent an Frauenhäuser weitervermittelt Die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfa- werden. Die Bundesfrauenministerin, Dr. Franzis- len haben gemeinsam das Hilfetelefon „Gewalt an ka Giffey, erklärte in einer Pressemitteilung am Männern“ gestartet, bei dem sich gewaltbetrof- 5.5.2020 dazu: „Die Zahlen für 2019 zeigen aufs fene Männer, Angehörige und Fachkräfte unter Neue, wie wichtig diese erste Anlaufstelle für die der Rufnummer 0800 1239900 oder per E-Mail Betroffenen ist und dass das Hilfetelefon in sei- unter beratung@maennerhilfetelefon.de über ner Rolle als Vermittler zwischen Ratsuchenden Beratungsangebote und Unterstützungsstruk- und Beratungseinrichtungen vor Ort ankommt. turen in den beiden Bundesländern informieren können. Das Hilfetelefon berät zu verschiedenen Gewaltformen wie häusliche Gewalt, sexualisier- te Gewalt, physischen Misshandlungen in der Kindheit, Zwangsverheiratung, Mobbing, Stal- king/Cyberstalking, psychische Gewalt, Gewalt im öffentlichen Raum und Gewalt mit Diskrimi- nierungsbezug (z.B. aufgrund des Alters, einer Behinderung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, einer Religionszugehörigkeit oder aus rassistischen Gründen). Die Betreiber*innen des Hilfetelefons hoffen, dass sich weitere Bun- desländer anschließen werden. Weitere Informa- tionen erhalten Sie auf der Website unter www. maennerhilfetelefon.de In der aktuellen Corona-Krise ist die Bedeutung dieses europaweit einzigartigen Beratungsange- bots sogar noch gewachsen. Umso wichtiger ist es, dass die Erreichbarkeit des Hilfetelefons rund um die Uhr auch in diesen schwierigen Zeiten aufrechterhalten werden kann.“ Sonderinformation zum Coronavirus Die Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) hat am 16. März die erste Sonderinformation zum Coronavi- rus in Frauenhäusern und zur Pandemieplanung in Schutzunterkünften online veröffentlicht. Mit Fallzahlen aus M-V veröffentlicht Blick auf die aktuellen Entwicklungen hat die FHK anschließend weitere Sonderinformationen ver- Die Fallzahlen 2019 des Beratungs- und Hilfe- öffentlicht, die wichtige Informationen und Hin- netzes in M-V für Betroffene von häuslicher weise im Umgang mit dem Coronavirus für Frauen- und sexualisierter Gewalt, Menschenhandel und haus-Mitarbeiter*innen Zwangsverheiratung wurden veröffentlicht. Im enthalten. Die Arbeits- Vergleich zum Vorjahr ist ein minimaler Rück- hilfen sollen die Fachpra- gang der Fallzahlen zu verzeichnen. Insgesamt Die Sonderinformationen finden xis im Umgang mit der 4.531 Fälle von Gewalt gegen Erwachsene wur- Sie zum Nachlesen und kostenfrei- Ausnahmesituation un- den 2019 im Beratungs- und Hilfenetz erfasst en Download auf der FHK-Website terstützen. Themen der (zum Vergleich: 2018: 4.593 / 2017: 4.182). Zudem unter: Sonderinformationen wa- wurden insgesamt 4.153 Kinder und Jugendliche www.frauenhauskoordinierung.de/ ren u.a.: Risikoeinschät- im Beratungs- und Hilfenetz verzeichnet, die publikationen/arbeitshilfen zung bei der Aufnahme in mit häuslicher Gewalt, sexualisierter Gewalt, mit ein Frauenhaus, Umgang Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Aus- mit Verdachtsfällen und beutung oder Zwangsverheiratung konfrontiert Umgang mit nachgewie- waren (2018: 4.210 / 2017: 3.830). Einen Anstieg senen Corona-Infektionen im Frauenhaus, An- der Fallzahlen innerhalb des Beratungs- und Hil- onymität des Frauenhauses bei Meldungen an fenetzes M-V verzeichneten 2019 die Interventi- das Gesundheitsamt, Aufnahmestopps in Frau- onsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking enhäusern, Kita- und Schul-Notbetreuung für sowie die Fachberatungsstelle ZORA – gegen Mitarbeiter*innen von Frauenhäusern, uvm. Zwangsverheiratung und Menschenhandel zum 14
Informationen Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Die vollstän- Mehr Polizeieinsätze in MV während dige Auswertung und Aufschlüsselung inklusive Corona-Lockdown Diagramme finden Sie online unter: www.cora- mv.de Laut der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LIN- KE aus dem Landtag M-V vom 19. Juni, „Frauen- häuser und Beratungsstellen für Betroffene von häuslicher Gewalt im Kontext der Corona-Pan- demie“ (Drucksache 7/4979), gab es im Zeitraum März bis Mai 2020 einen Anstieg der Polizeiein- sätze zu häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vor- jahr. Während es im April 2019 etwa 145 Einsätze in M-V aufgrund häuslicher Gewalt gab, waren es im April 2020 - und damit in Zeiten der bis dato strengsten Ausgangs- und Kontaktbeschränkun- gen – 238 Polizeieinsätze. Unklar bleibt, ob der Anstieg gleichbedeutend einer Zunahme häus- licher Gewalt ist und/oder Nachbar*innen wäh- rend des Lockdowns vielleicht häufiger die Poli- zei bei einem Verdacht gerufen haben, weil diese häufiger zuhause waren und die Gewalt mehr „AktenEinsicht. Geschichten von Frau- bemerkten. en und Gewalt“ erschienen Die Kleine Anfrage thematisiert auch die Auslas- Bereits im März 2020 wurde das Buch „Akten- tung der Frauenhäuser in M-V. Demnach kam es Einsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt“ im März 2020 zu einer Überbelegung von zwei der Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm im Frauenhäusern im Bundesland. Das Frauen- Verlag Kunstmann veröffentlicht. Die Autorin, schutzhaus Schwerin verzeichnete demzufolge Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht, zwar eine kurzzeitige Überbelegung, die vorhan- arbeitet als Strafverteidigerin und als Neben- denen Räumlichkeiten des Frauenschutzhauses klagevertreterin von Betroffenen sexualisierter, waren jedoch ausreichend. Die Schaffung zusätz- häuslicher und rassistisch motivierter Gewalt. licher Unterbringungsmöglichkeiten wurde je- Seit Jahren steht sie an der Seite gewaltbetrof- doch in der Hansestadt Rostock notwendig. Das fener Frauen und Kindern, kämpft vor Gericht dortige Frauenhaus fand in einem ansässigen um deren Rechte. In ihrem Buch schildert sie Hostel eine Kooperationspartnerin, in dem seit exemplarisch Fälle, deren Entwicklung und lässt Ende März zeitweise vier Frauen und fünf Kinder die Leser*innen natürlich auch an den Gerichts- untergebracht waren. verfahren teilhaben. Parteilich und empowernd blickt sie hierbei auf die Betroffenen, deren Ge- schichten berühren und betroffen machen. Sen- sibilisiert für Intersektionalität sind die betrof- fenen Frauen im Buch gleichermaßen divers. Die Termine eine ist Mutter, die andere Sexarbeiterin, noch • eine andere geflüchtete Frau. Ihnen allen gemein 3./4.9.2020, online ist der Mut, dass sie die Gewalt hinter sich las- 10. Fachforum mit dem Schwerpunkt sen wollten und sich ge- „Aktuelle Herausforderungen für gen die Täter*innen zur das Hilfesystem für gewaltbetroffene Frau- Wehr gesetzt haben en und ihre Kinder“ – auch juristisch, unter- von der Frauenhaus- stützt von der engagier- koordinierung (FHK) e.V. ten Anwältin Clemm. www.frauenhauskoordinierung.de Das Buch ist unsere un- bedingte Leseempfeh- • lung für all diejenigen, 15.10.2020, Berlin die einen schonungslo- Konferenz “digital und real - sen Einblick in Gerichts Unterstützung, Beratung und verfahren in Fällen Empowerment bei digitaler Gewalt” geschlechtsspezifischer vom bff: Frauen gegen Gewalt e.V. Gewalt in Deutschland www.frauen-gegen-gewalt.de bekommen wollen. 15
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