CORONA-SCHUTZMASS- NAHMEN UND MOBILITÄT - Infas

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CORONA-SCHUTZMASS- NAHMEN UND MOBILITÄT - Infas
ERGEBNISSE AUS BEOBACHTUNGEN PER REPRÄSENTATIVER
BEFRAGUNG UND ERGÄNZENDEM MOBILITÄTSTRACKING
BIS ENDE JANUAR AUSGABE 05.03.2021                 WZB

04
 CORONA-
 SCHUTZMASS-
 NAHMEN UND
 MOBILITÄT
 Eine Betrachtung der Reichweite
 von Corona-Schutzmaßnahmen
 anhand von Mobilitätskennziffern
CORONA-SCHUTZMASS- NAHMEN UND MOBILITÄT - Infas
Projekt:
7331
Bonn, März 2021
Version 4.0

Text: WZB, infas
Layout und Grafik: Astrid Blome und Birgit Geisler

Folgende Zitierweisen werden empfohlen:
Langform:
WZB, infas, MOTIONTAG (2021): Mobilitätsreport 04, Corona-Schutzmaßnahmen und Mobilität Eine Betrachtung der Reichweite von
Corona-Schutzmaßnahmen anhand von Mobilitätskennziffern Ausgabe 05.03.2021, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF.

Kurzfassung:
WZB, infas, MOTIONTAG (2021): Mobilitätsreport 04, Bonn, Berlin, mit Förderung des BMBF.
CORONA-SCHUTZMASS- NAHMEN UND MOBILITÄT - Infas
3    MOBILITÄTSREPORT 04
     AUSGABE 05.03.2021

    Im Projekt MOBICOR wird das Mobilitätsverhalten        sis zu den Kontakten, Zusammenhängen, Dauern
    vor, während und nach der Corona-Pandemie beob-        und damit verbundenen Infektionsrisiken ist derzeit
    achtet, um Hinweise über Veränderungen im Mo-          nicht vorhanden. Vor diesem Hintergrund können
    bilitätsverhalten in der Bevölkerung zu erhalten. In   die Mobilitätskennziffern stellvertretend genutzt
    einem innovativen Ansatz werden dazu unterschied-      werden, um Aussagen über das Verhalten zu treffen,
    liche Beobachtungsinstrumente kombiniert: Befra-       wohl wissend, dass auch eine eingeschränkte Mobi-
    gungen im Panel-Ansatz, Bewegungs-Tracking per         lität nicht unbedingt mit weniger Kontakten gleich-
    App und leitfadenbasierte Interviews.                  zusetzen ist.

    Die damit erhobenen Daten geben genaue Einblicke       Dennoch lohnt es, die derzeit diskutierten oder be-
    in die Dynamik des Mobilitätsverhaltens unter dem      reits in Kraft getretenen Maßnahmen auf ihre poten-
    Einfluss des Pandemiegeschehens. Die Maßnahmen         ziellen Signal- und Hebelwirkungen zu untersuchen.
    zur Eindämmung der Pandemie, wie die Empfeh-           Damit soll ein Beitrag zur Abwägung zwischen der
    lungen und Verordnungen zur Kontaktbeschrän-           potenziellen Reichweite einerseits und der Akzep-
    kung, verändern das Mobilitätsverhalten. Gleichzei-    tanz der Maßnahmen andererseits geleistet werden.
    tig weisen die MOBICOR-Ergebnisse auch auf eine        Diese Abwägung wird mit der Tragweite der Ein-
    Mobilitätsreduktion hin, die bereits vor Geltung der   schränkungen bedeutender, wenn die Maßnahmen
    Verordnungen einsetzt und auf eine freiwillige Be-     zunehmend als Belastung, gar als existenzbedrohend
    schränkung auf Wege untertags und im nahräumli-        wahrgenommen werden.
    chen Umfeld hindeuten.
                                                           Dieser Beitrag muss jedoch mit zwei Erläuterun-
    Dieser Zusammenhang zwischen Maßnahmen und             gen verbunden werden: Die erwähnte „Reichweite“
    Mobilitätsverhalten kann auch genutzt werden, um       ist nicht mit Wirksamkeit gleichzusetzen, sondern
    Anhaltspunkte und Hinweise über die Reichweite         bringt das Potenzial zum Ausdruck, positiv, negativ
    und damit auch zur Wirksamkeit der getroffenen         oder auch gar nicht auf das Infektionsgeschehen ein-
    Maßnahmen zu erhalten. Eine geeignete Datenba-         zuwirken. Zudem gibt es im Rahmen von MOBICOR
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    keine empirischen Belege zur Akzeptanz von Maß-        se Analysen müssen ergänzend zu anderen Studie-
    nahmen. Hier ist der Gedanke leitend, dass neben der   nergebnissen betrachtet werden, denn nur so kann
    theoretischen Wirksamkeit von Maßnahmen, eine          eine bestmögliche Einschätzung zur Wirksamkeit der
    hohe Akzeptanz und damit eine hohe Bereitschaft        Maßnahmen abgeleitet werden.
    zur praktischen Umsetzung eine wichtige Voraus-
    setzung ist, um die Pandemie wirksam zu begrenzen.     Neben der Frage, ob wir mobil sind, kommt auch der
    Diese Bereitschaft im Blick, werden zwei Maßnah-       Frage, wie wir uns bewegen, eine hohe Relevanz zu.
    men sowie eine Empfehlung auf Basis der beobach-       Deshalb soll zu Ende des Berichts auch ein Blick auf
    teten Alltagsmobilität bewertet:                       die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel gewor-
                                                           fen werden. Der ÖV ist vom Pandemie-Geschehen
    1. Eine Begrenzung des Bewegungsradius bei erhöh       mehrfach betroffen. Da dort viele Kontaktsituationen
       tem Infektionsgeschehen auf einen 15-Kilometer-     auftreten, wird er als Ort mit erhöhtem Infektionsri-
       Radius um den Wohnort bzw. die Gemeinde-            siko wahrgenommen. Bislang gibt es aber weder für,
       grenzen.                                            noch gegen diese Vermutung valide empirische Be-
    2. Eine nahezu vollständige Einschränkung außer        funde. Dennoch bestimmt die Wahrnehmung eines
       häuslicher Bewegungen zwischen 22 Uhr und           erhöhten Risikos das Verhalten, so lassen sich die
       5 Uhr.                                              Rückgänge der Fahrgastzahlen interpretieren. Diese
    3. Die eindringliche Empfehlung zur Wahrnehmung        sind im Frühjahr stark zurückgegangen und befin-
       und auch Ermöglichung von Homeoffice.               den sich seitdem auf sehr niedrigem Niveau. Dies ist
                                                           aus vielen Gründen kritisch zu sehen, nicht nur für
    Allen Maßnahmen liegt der gemeinsame Ansatz zu-        die ÖV-Unternehmen. Allerdings würde auch aus
    grunde, über Begrenzungen der Mobilität zwi-schen-     Maßnahmen zur Fahrgaststeigerung ein Zielkonflikt
    menschliche Kontakte zu reduzieren und damit die       entstehen: Zwischen einem von vielen Personen ge-
    Übertragungswege zu kappen. Analysiert werden die      nutzten ÖV und der Kontaktbegrenzung als Schutz-
    Auswirkungen auf die Bewegungen (Mobilität). Die-      maßnahme. In diesem Papier soll ein Anstoß zu einer
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    Diskussion über die Ziele gegeben werden, was der     cking-Stichprobe erfasst wurden, reichen über einen
    ÖV während der Pandemie leisten kann und sollte.      Radius von 15 Kilometern über das Gemeindegebiet
    Für dieses Vorhaben eignen sich die im Projekt MO-    hinaus. Gerade in Großstädten wie Berlin mit einer
    BICOR erhobenen Daten in besonderem Maße. Denn        großflächigen Ausdehnung finden die Wege und da-
    es handelt sich um individuelle Verhaltensdaten,      mit die sozialen Kontakte hauptsächlich innerhalb
    die Informationen über kleinräumige Bewegungen        des Stadtgebiets statt. Die Zahlen für das deutlich
    bieten und dabei zweck- und aufenthaltsbezogen        kleinere Münster als Vergleichsstadt fallen nur un-
    ausgewertet werden können. Die Daten wurden in        wesentlich höher aus. Die bisher wirksamen Maß-
    zwei Wellen im Panel-Ansatz repräsentativ für die     nahmen und Empfehlungen führen also bereits dazu,
    deutsche Wohnbevölkerung ab 16 Jahren erhoben.        dass die Menschen ihre Mobilität begrenzen, das
    Die Befragungen fanden im Mai/Juni und Oktober/       zeigt ein Vergleich mit den Zahlen aus dem Januar
    November 2020 statt und werden durch eine konti-      und Februar 2020. Und selbst bei einem 5-Kilometer-
    nuierliche Beobachtung der Mobilität über eine Tra-   Radius wären nur rund 5 Prozent der Wege in Berlin
    cking-Stichprobe mit Hilfe der mobico-App (https://   und Münster von dieser Einschränkung betroffen.
    www.mobicoapp.de/) von MOTIONTAG ergänzt.             Ähnliches gilt für die nächtliche Ausgangssperre. Sie
    Im Folgenden wird ein Überblick über die zentralen    hat nur geringe direkte Auswirkungen auf die All-
    Ergebnisse zu den Potenzialen von Homeoffice und      tagsmobilität der Personen ab 16 Jahren. Der größte
    Bewegungseinschränkungen, sowie zur Rolle des ÖV      Teil der Bevölkerung ist zwischen 22:00 und 5:00 Uhr
    in der Pandemie gegeben:                              nicht außer Haus unterwegs, folgt also den Empfeh-
                                                          lungen und Verhaltensregeln, ohne dass zuvor kon-
    1. Begrenzung der Bewegungsradien und nächt-          krete Verordnungen in Kraft getreten sind. Diskutiert
    liche Ausgangssperren können die Mobilität, wie       werden sollte aber, ob solche Einschränkungen zu
    sie sich aktuell darstellt, nur in geringem Umfang    einem Akzeptanzverlust bei den wichtigen und auch
    weiter reduzieren.                                    nachweislich wirksamen Maßnahmen führen könn-
    Nur ein geringer Anteil der Wege, die mit der Tra-    ten.

      etwa

      1%
      der betrachteten Wege in
      Berlin verlassen den 15-Kilo-
      meterradius um das
      Gemeindegebiet. In Münster
      sind es 3 %.
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    2. Homeoffice: Ein gleich zweifach wirksames            sonen, wie es die MOBICOR-Daten für den Oktober
    Instrument dessen Potenzial ausgeschöpft werden         aufzeigen. Vor diesem Hintergrund ist der Empfeh-
    sollte?                                                 lungscharakter dieser Maßnahme zu diskutieren. Es
    Abgesehen von drastischen Kontaktreduzierungen          ist durchaus fraglich, ob harte Restriktionen wie z.B.
    am Arbeitsplatz und auf dem Weg dorthin, kann das       eine Pflicht zum Homeoffice sowohl für Arbeitgeber
    Arbeiten im Homeoffice auch die alltäglichen Bewe-      als auch Arbeitnehmer, die Wirksamkeit dieser Maß-
    gungsradien der Menschen räumlich begrenzen. Die-       nahme weiter erhöhen, also eine Reduzierung der
    se Homeoffice-bedingte Verlagerung auf Nahmobili-       Kontaktsituationen aufgrund weniger Mobilität, er-
    tät könnte helfen das Infektionsgeschehen räumlich      reichen könnte.
    leichter einzudämmen. Da jenseits der Arbeit jedoch
    ungefähr genauso viele Wege zurückgelegt wer-           3. Fokus ÖV: Was soll der ÖV in der Pandemie leis-
    den wie bei den Personen, die weiterhin in Präsenz      ten?
    arbeiten, kann nicht erwartet werden, dass sich die     Die Nutzung des Homeoffice ist nicht für alle Berufs-
    Kontaktsituationen außerhalb des Arbeitskontextes       gruppen gleichermaßen möglich. Vor diesem Hin-
    durch Homeoffice verringern lassen. Diese Maßnah-       tergrund würde eine Umsetzung der Vorschläge zur
    me sollte also nur Bestandteil eines umfassenden        Begrenzung der Fahrgastzahlen im öffentlichen Ver-
    Maßnahmen-Pakets sein. Dabei ist auch zu beachten,      kehr gerade diejenigen vor weitere Herausforderun-
    dass bestimmte Personengruppen, beispielsweise          gen stellen, die keinen Zugang zum Homeoffice ha-
    aus einkommensschwachen Haushalten, kaum von            ben. Die MOBICOR-Daten zeigen, dass es im Oktober
    Homeoffice profitieren können. Das theoretische         und November 2020 vor allem Personen mit nied-
    Potenzial für den Anteil der Erwerbstätigen, die im     rigem Einkommen sind, die den ÖPNV überhaupt
    Homeoffice arbeiten könnten, variiert je nach Quel-     noch und gerade zu beruflichen Zwecken nutzten.
    lenlage. Das ifo beziffert es auf 56 Prozent (Alipour   Andererseits: Wenn nur wenige Menschen das ÖV-
    et al. 2020) und damit um 30 Prozent über dem Ni-       Angebote wahrnehmen, verringert sich das Infekti-
    veau der tatsächlich im Homeoffice arbeitenden Per-     onsrisiko und die verbliebenen Fahrgäste sind besser

      20 %
      der Erwerbstätigen haben im
      Oktober/November 2020 von
      zu Hause gearbeitet
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    geschützt. Damit stellen die aktuellen Maßnahmen          gen Gemeindegebiets liegt. Die Auswirkungen wer-
    zur Eindämmung der Pandemie die mittel- und lang-         den im Vergleich der Städte Berlin und Münster be-
    fristigen Ziele der Verkehrswende in Frage. Hier ist      trachtet. Damit werden einerseits unterschiedliche
    eine Diskussion über die Ziele zu führen, was der ÖV      Gemeindegrößen mit in den Blick genommen: Die
    während der Pandemie leisten soll, ob ein Mehr oder       Metropole Berlin besitzt etwa die dreifache Fläche
    ein Weniger an Fahrgästen gewünscht ist und mit           der Großstadt Münster. Andererseits ist die Wahl der
    welchen Maßnahmen sich diese Ziele erreichen las-         Städte mit der Fallzahl an Tracking-Teilnehmenden
    sen. Eine notwendige, aber bislang fehlende Grund-        in Berlin und Münster begründet. Für diese lagen
    lage zur Diskussion dieser Fragen ist eine realistische   ausreichend Daten von Tracking-Teilnehmenden
    und zuverlässige Abschätzung zum Infektionsge-            vor, was für kleinere Gemeinden, in welchen die dis-
    schehen und Infektionsrisiko in den öffentlichen Ver-     kutierte 15-km-Regel im angegebenen Zeitraum be-
    kehrsmitteln.                                             reits galt, nicht zutraf. Insgesamt werden für den ge-
                                                              wählten Zeitraum rund 210.000 Wege ausgewertet.
    AUSWIRKUNGEN EINER BEGRENZUNG DES                         Die Trackingdaten sind nicht repräsentativ, verallge-
    BEWEGUNGSRADIUS AUF DIE MOBILITÄT                         meinernde Aussagen müssen deshalb mit größerem
                                                              Fehlerspielraum gelesen werden, geben aber wich-
                                                              tige Hinweise, die in den Diskursen zu den Corona-
    Im Bund-Länder-Beschluss vom 5. Januar 2021 wur-
                                                              Schutzmaßnahmen Berücksichtigung finden sollten.
    den zusätzliche Maßnahmen zur Begrenzung der In-
    fektionsdynamik vereinbart. Eine davon begrenzt den
    Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort,
    wenn in Landkreisen die 7-Tages-Inzidenz auf über
    200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen             Anteil der „15-Plus-Wege“ in Berlin und Münster
                                                              entlang der drei betrachteten Phasen
    und Einwohnern ansteigt (vgl. Bundesregierung             Anteil der Wege, die den 15-Kilometerradius überschreiten.
    2021). Die genaue Ausgestaltung obliegt den Bun-          Angaben in Prozent (Mittelwerte pro Phase)
    desländern. Und auch in der praktischen Anwendung
    ergeben sich für die Bewohnerinnen und Bewohner
    betroffener Gemeinden große Unterschiede in der
    tatsächlichen Beschränkung abhängig von der Größe
    und der Lage der Gemeinde, zum Beispiel in Grenznä-                                                   5
    he. Doch unabhängig davon ist mit dieser Maßnah-
    me ein Eingriff in die Bewegungsfreiheit und damit                             4
    in die Grundrechte gegeben. Vor diesem Hintergrund
    stellt sich die Frage, wie wirksam eine solche Maß-                                           3                                 3
    nahme sein kann und wie weit sie die alltägliche Mo-
    bilität beeinflusst.

    Für die Analysen werden die im MOBICOR-Projekt                       1                                                 1
    und im Projekt „Münster bewegt“ erhobenen Tra-
    ckingdaten genutzt. Die Trackingdaten sind für einen           01.11-15.12.2020         16.12-01.01.2021          02.01-24.01.2021
    solchen Vergleich besonders geeignet, da sich auf-
    grund der räumlichen Abbildung der Bewegungen                         Berlin         Münster
    genau die Wege identifizieren lassen, die über den
    15 Kilometerradius hinausreichen. Betrachtet wer-         Datenbasis: rund 210.000 Wege im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
    den alle Wege im Zeitraum vom 1.11.2020 bis zum           Quelle: MOBICOR und „Münster bewegt“(ein Projekt von MOTIONTAG in Kooperation mit
                                                              der Deutschen Bahn (https://muenster-bewegt.de/))
    24.1.2021, deren Startpunkt innerhalb des jeweili-
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    ZUR DYNAMIK DER MOBILITÄT WÄHREND DES „CORONA-JAHRES 2020“ UND DARÜBER HINAUS

    Im MOBICOR-Projekt wurden bislang zwei reprä-        überwunden zu sein und es lassen sich erste
    sentative Befragungen durchgeführt, im Frühjahr      Anzeichen einer wieder ansteigenden Mobilität
    und im Herbst 2020. Beide Wellen waren von           erkennen.
    einer hohen Dynamik im Mobilitätsgeschehen
    gekennzeichnet. Während der Feldzeit der ersten      Die Abbildung (auf Seite 9 unten) zeigt die jewei-
    Welle wurde nach und nach der harte Lockdown         ligen Tageskilometer pro Tag und Person entlang
    aufgehoben. Die zweite Welle fand unmittel-          der genutzten Verkehrsmittel. Dabei lässt sich
    bar vor dem Beginn des zweiten Lockdowns im          erkennen, dass sich insbesondere während der
    Herbst und Winter 2020/2021 statt, wurde also        Lockdown-Phasen der Verkehrsmittelmix zu-
    unter dem Eindruck steigender Infektionszah-         gunsten des Autoverkehrs verschoben hat. Die
    len und nahender Einschränkungen des Alltags         Anteile des ÖV hingegen haben sich überpro-
    und damit auch der Mobilität durchgeführt. Um        portional reduziert. Am Ende der Zeitreihe zeigt
    diese Dynamiken besser einordnen zu können,          sich nun eine Zunahme der täglichen Kilometer
    werden die Befragungen durch ein Mobilitätstra-      pro Person. Das gilt besonders für die Nutzung
    cking ergänzt. Dazu werden Tracking-Daten von        des Autos, während der ÖV-Anteil gering bleibt.
    MOTIONTAG genutzt, die für das gesamte Jahr          Die Maßnahmen zur Eindämmung des Infekti-
    2020 bis zum aktuellen Zeitpunkt zur Verfügung       onsgeschehens haben auch zu einem anhalten-
    stehen und das Mobilitätsgeschehen kontinuier-       den Rückgang der ÖV-Nutzung geführt. Diese
    lich abbilden.                                       Ergebnisse legen nahe, dass frühzeitig Konzepte
                                                         entwickelt werden sollten, um den ÖV nach der
    Die Abbildung (auf Seite 9 oben) zeigt die Unter-    Pandemie wieder zu stärken.
    wegszeit pro Tag und Person entlang der genutz-
    ten Verkehrsmittel an. Dabei lässt sich zum einen    Das Mobilitätstracking bietet über diese Zeitrei-
    erkennen, dass die Unterwegszeit im Frühjahr         henanalysen hinaus vielfältige Auswertungs-
    sehr plötzlich, im Herbst dagegen langsamer          möglichkeiten. Die Analyse von Bewegung im
    zurückgegangen ist. Im Frühsommer zeigt sich         Raum, zum Beispiel zur Abschätzung der Wir-
    dann ein sehr hohes Mobilitätsniveau, dass über      kung begrenzter Bewegungsradien, findet in
    die gewöhnliche Unterwegszeit hinausweist.           diesem Bericht Anwendung. Mit der Analyse von
    Als Referenzwert dienen hier die Monate Januar       Aufenthaltsorten (POI-Analysen), Relationen oder
    und Februar, jahreszeitliche Effekte bleiben dabei   differenzierte Betrachtungen von Intermodalität
    allerdings unberücksichtigt. Dieses Mobilitäts-      können weitere wichtige Erkenntnisse über die
    hoch hält bis zum Beginn des Oktobers an und         Dynamik der Mobilität in Zeiten der Corona-
    verringert sich dann langsam. Zu Beginn des          Pandemie gewonnen werden. Um sich an dem
    Jahres 2021 wurde ein neuer Tiefpunkt erreicht,      Mobilitätstracking zu beteiligen, kann die mobi-
    der dabei weniger deutlich ausfällt, als es im       co-App aus den Apple App-Store oder Play Store
    Frühjahr 2020 zu beobachten war. Die Dauer der       für Android heruntergeladen werden. Weitere
    Phase eingeschränkter Mobilität ist im Herbst        Informationen zur mobico-App finden Sie hier:
    und Winter dagegen deutlich länger. Gegen Ende       https://www.mobicoapp.de/
    Februar 2021 scheint die ausgedehnte Talsohle
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9    MOBILITÄTSREPORT 04
     AUSGABE 05.03.2021

    Unterwegszeit pro Tag und Person
    Angaben in Stunden pro Person und Tag

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                04.05. deutliche Reduzierung Shutdown
                                                                                                                                  02.11. Lockdown Light
                                         11.04. Ostersamstag
                16.03. Beginn Shutdown

        2,5
                                                                                                                                                                                                                            Fahrrad

                                                                                                                                                                                                                            zu Fuß
        2,0
                                                                                                                                                                                                                            ÖV

                                                                                                                                                                                                                            Auto
        1,5
                                                                                                                                                                                                                             MiD-Baseline
                                                                                                                                                                                                                          (Mobilität in Deutschland
        1,0                                                                                                                                                                                                               infas, BMVI)

        0,5

        0,0
                                                                                                                     01.08.2020

                                                                                                                                    01.09.2020
                             01.02.2020

                                               01.03.2020

                                                                           01.05.2020

                                                                                                                                                                                               01.01.2021

                                                                                                                                                                                                             01.02.2021
               01.01.2020

                                                             01.04.2020

                                                                                         01.06.2020

                                                                                                       01.07.2020

                                                                                                                                                     01.10.2020

                                                                                                                                                                   01.11.2020

                                                                                                                                                                                 01.12.2020

            Datenbasis: rund 2.000 Personen bundesweit im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)

    Tageskilometer pro Person
    Angaben in Mittelwerten (Kilometer pro Person)
                                                                                                                                                 16.12. verschärfter Lockdown
               04.05. deutliche Reduzierung Shutdown
                                                                                                                                  02.11. Lockdown Light

       90
                                     11.04. Ostersamstag                                                                                                                                                                    Fahrrad
               16.03. Beginn Shutdown
                                                                                                                                                                                                                            zu Fuß
       80
                                                                                                                                                                                                                            ÖV
       70
                                                                                                                                                                                                                            Auto
       60
                                                                                                                                                                                                                             MiD-Baseline
       50                                                                                                                                                                                                                 (Mobilität in Deutschland
                                                                                                                                                                                                                          infas, BMVI)
       40

       30

       20

       10

        0
                                                                                                                    01.08.2020

                                                                                                                                   01.09.2020
                            01.02.2020

                                              01.03.2020

                                                                          01.05.2020

                                                                                                                                                                                              01.01.2021

                                                                                                                                                                                                            01.02.2021
              01.01.2020

                                                            01.04.2020

                                                                                        01.06.2020

                                                                                                      01.07.2020

                                                                                                                                                    01.10.2020

                                                                                                                                                                  01.11.2020

                                                                                                                                                                                01.12.2020

         Datenbasis: rund 2.000 Personen bundesweit im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
CORONA-SCHUTZMASS- NAHMEN UND MOBILITÄT - Infas
10    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     Im angegebenen Zeitraum sind zwei Ereignisse zu                                                                     Deutlich wird, dass die 15-Plus-Wege nur einen
     berücksichtigen: Das Inkrafttreten der verschärften                                                                 geringen Anteil von maximal 5 Prozent an der Ge-
     Corona-Maßnahmen zum 16.12. sowie die Feiertage                                                                     samtzahl der Wege umfassen. In Münster sind die
     über Weihnachten und Neujahr. Aus diesem Grund                                                                      Werte in allen drei Phasen höher als in Berlin, was
     ist der Zeitraum in drei Phasen unterteilt: Die ers-                                                                für eine stärkere Stadt-Umland-Verflechtung spricht
     te Phase des „Lockdown light“ vom 1.11.20 bis zum                                                                   und zudem die unterschiedlichen Gemeindegrößen
     15.12.20 umfasst zunächst nur geringe Einschrän-                                                                    zum Ausdruck bringt.
     kungen. Die zweite Phase vom 16.12.20 bis 1.1.21 ist
     durch das Inkrafttreten der verschärften Maßnah-                                                                    In Münster liegt die Schwankungsbreite der 15-Plus-
     men, aber auch von den Feiertagen zu Weihnachten                                                                    Wege innerhalb der betrachteten Zeiträume zwi-
     und Neujahr gekennzeichnet. Der Zeitraum vom                                                                        schen 3 und 5 Prozent, in Berlin ist sie mit Werten
     2.1.21 bis zum 24.1.21. kann als Alltag unter ver-                                                                  zwischen 1 und 3 Prozent deutlich geringer. Die
     schärften Corona-Schutzmaßnahmen bezeichnet                                                                         höchsten Werte werden jeweils in der zweiten Pha-
     werden. Die Abbildung auf Seite 7 unten zeigt den                                                                   se, im Zeitraum vom Inkrafttreten der verschärften
     prozentualen Anteil der Wege, die jenseits des 15                                                                   Maßnahmen bis Neujahr erzielt. Dieser Zeitraum
     Kilometerradius lagen und von der Maßnahme be-                                                                      ist durch vermehrte Besuche von Verwandten und
     troffen wären. Diese werden im weiteren Bericht als                                                                 Freundinnen und Freunden geprägt, die oft mit
     „15-Plus-Wege“ bezeichnet.                                                                                          Reisen verbunden sind. Ab dem 2. Januar sinkt der
                                                                                                                         Anteil auf 1 Prozent in Berlin und auf 3 Prozent in
                                                                                                                         Münster. In Berlin wäre damit nur jeder 100. Weg,

     Anteile der 15-Plus-Wege in Berlin und Münster
     Angaben in Prozent (Mittelwerte pro Tag)

                   			                            Lockdown light		                                      Lockdown und Feiertage                       Lockdown und Alltag
     12

     10

       8

       6

       4

       2

                                                                                                                                                                                              Berlin

       0                                                                                                                                                                                      Münster
                                                                                                                                        03.01.2021

                                                                                                                                                       10.01.2021

                                                                                                                                                                    17.01.2021

                                                                                                                                                                                 24.01.2021
                                                                                                                           27.12.2020
           01.11.2020

                        08.11.2020

                                     15.11.2020

                                                    22.11.2020

                                                                 29.11.2020

                                                                                           13.12.2020

                                                                                                            20.12.2020
                                                                              06.12.2020

     Datenbasis: rund 210.000 Wege im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
     Quelle: MOBICOR und „Münster bewegt“(ein Projekt von MOTIONTAG in Kooperation mit der Deutschen Bahn (https://muenster-bewegt.de/))
11    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     in Münster jeder 33. Weg von den Einschränkungen         meterradius überschritten, in Berlin etwa jeder 14.
     betroffen.                                               Weg. An Silvester und Neujahr ist hingegen kein
                                                              deutlicher Anstieg der 15-Plus-Wege zu erkennen.
     Die Abbildung auf Seite 10 gibt Auskunft über die        Mit Beginn des neuen Jahres sinkt ihr Anteil unter
     Entwicklung des Anteils an 15-Plus-Wegen im Zeit-        das Niveau der beiden Vormonate.
     verlauf. Die ausgewiesenen Daten auf der x-Achse
     markieren die Sonntage im betrachteten Zeitraum.         Ein Vergleich der genutzten Verkehrsmittel auf den
     Auf der vertikalen y-Achse ist der durchschnittliche     15-Plus-Wegen zeigt einen höheren Anteil des MIV
     Anteil an Wegen abgebildet, die am jeweils betrachte-    gegenüber dem ÖV (Abbildung auf Seite 12 oben).
     ten Tag den Radius von 15 Kilometern überschritten       Wieder ist auf der y-Achse der mittlere Anteil an We-
     haben. Im Zeitverlauf zeigt sich, dass an Wochenen-      gen abgebildet, die in der jeweils betrachteten Phase
     den und Feiertagen der Anteil der 15-Plus-Wege ge-       den Radius von 15 Kilometern überschritten. Wie
     genüber den Anteilen an gewöhnlichen Werktagen           sich zeigt ist die Differenz zwischen MIV und ÖV in
     deutlich ansteigt. Es ist zu vermuten, dass dieser Un-   Münster deutlicher ausgeprägt als in Berlin. Insbe-
     terschied auf Freizeitaktivitäten wie Ausflugsfahrten    sondere in Phase 2, die den Beginn des Lockdowns
     und Besuche zurückzuführen ist. Das zeigt sich in        bis zum Anfang des neuen Jahres abbildet, steigt der
     Berlin besonders deutlich am 13. und 20. Dezember.       MIV-Anteil in Münster enorm an und erreicht im
     Weiter lässt sich in beiden Städten am 24. Dezember      Mittel einen Anteil von 4 Prozent an allen Wegen.
     ein extremer Ausschlag erkennen. In Münster hat an       Der ÖV bleibt in dieser Phase in Münster hingegen
     diesem Tag mehr als jeder zehnte Weg den 15 Kilo-        unverändert. In Berlin steigen die MIV- und ÖV-
12    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     Verkehrsmittelanteile (MIV, ÖV) auf 15-Plus-Wegen in Berlin und Münster
     Angaben in Prozent (Mittelwerte pro Phase)

       4,00

       3,50

       3,00

       2,50

       2,00

       1,50

                                                                                                                                                                                         MIV (Berlin)
       1,00
                                                                                                                                                                                         ÖV ( Berlin)
       0,50
                                                                                                                                                                                         MIV (Münster)

       0,00                                                                                                                                                                              ÖV ( Münster)
                           01.11.2020-15.12.2020                               16.12.2020-01.01.2021                                02.01.2021-24.01.2021

     Datenbasis: rund 210.000 Wege im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
     Quelle: MOBICOR und „Münster bewegt“(ein Projekt von MOTIONTAG in Kooperation mit der Deutschen Bahn (https://muenster-bewegt.de/))

     Anteil der 15-Plus-Wege und 5-Plus-Wege für Berlin und Münster
     Angaben in Prozent (Mittelwerte pro Tag)

      16

      14

      12

      10

       8                                                                                                                                                                                 15-Plus-Wege
                                                                                                                                                                                         Berlin
       6                                                                                                                                                                                 5-Plus-Wege
                                                                                                                                                                                         Berlin
       4
                                                                                                                                                                                         15-Plus-Wege
                                                                                                                                                                                         Münster
       2
                                                                                                                                                                                         5-Plus-Wege
       0                                                                                                                                                                                 Münster
                                                                                                                                     03.01.2021

                                                                                                                                                  10.01.2021

                                                                                                                                                               17.01.2021

                                                                                                                                                                            24.01.2021
                                                                                                                       27.12.2020
              01.11.2020

                           08.11.2020

                                        15.11.2020

                                                     22.11.2020

                                                                  29.11.2020

                                                                                             13.12.2020

                                                                                                          20.12.2020
                                                                                06.12.2020

     Datenbasis: rund 210.000 Wege im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
     Quelle: MOBICOR und „Münster bewegt“(ein Projekt von MOTIONTAG in Kooperation mit der Deutschen Bahn (https://muenster-bewegt.de/))
13    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     Anteile in dieser Phase gleichmäßig an. Mit Beginn        kraft der vorliegenden Daten berücksichtigen. Dabei
     des neuen Jahres dreht sich in Berlin das Verhältnis      unterstützen die Ergebnisse die Aussage, dass der He-
     zwischen den Verkehrsmitteln um und der ÖV- über-         bel zur Begrenzung des Infektionsgeschehens durch
     steigt den MIV-Anteil an den 15-PlusWegen.                die Begrenzung des Bewegungsradius eher gering
                                                               ist, auch wenn die wichtige Information über die An-
     Wie zuvor erwähnt, ist der Anteil der 15-Plus-Wege        zahl der Kontakte, die mit der Maßnahme reduziert
     an Wochenenden und Feiertagen höher als an ge-            würden, fehlt. Dementsprechend wäre auch eine In-
     wöhnlichen Werktagen. Die Abbildung auf Seite 13          terpretation der Ergebnisse möglich, dass trotz der
     unten veranschaulicht diesen Umstand und zeigt für        geringen Anzahl an Wegen, die den 15-Kilometer-Ra-
     Berlin einen dreimal so hohen Anteil. In Münster be-      dius überschreiten, das Virus über Landkreisgrenzen
     trägt der Unterschied wie in Berlin 2 Prozentpunkte,      hinaus verbreitet werden könnte, wenn diese von
     bewegt sich aber auf einem höheren Niveau.                hochgradig ansteckenden Personen erbracht werden.
                                                               Diese Perspektive spielt vor allem bei der Eindäm-
     In der Diskussion um Maßnahmen, die auf die Ein-          mung lokaler Cluster und bei großen Unterschieden
     dämmung des Corona-Virus abzielen, haben Exper-           in den Infektionszahlen eine wichtige Rolle.
     tinnen und Experten gefordert, den Radius auf fünf
     Kilometer zu begrenzen, damit der Inzidenzwert            Zu diskutieren, möglichst auch mit Empirie zu hinter-
     schneller sinkt und Neuinfektionen wirkungsvoller         legen, wäre die Frage, welche symbolische Wirkung
     unterbunden werden. Die Abbildung auf Seite 12            von der Maßnahme ausgeht. So kann einerseits eine
     unten zeigt den Anteil der Wege, die davon betroffen      höhere Compliance erzielt werden, da mit der Maß-
     wären. Dabei lässt sich erkennen, dass die Anteile        nahme auch ein dringendes Handlungserfordernis
     weiter ansteigen und dabei in Berlin einen Durch-
     schnitt von etwa 5 Prozent, in Münster von etwa 6         Anteil der 15-Plus-Wege nach Wochentagen
     Prozent erreichen. Wird nur der Zeitraum ab dem           Angaben in Prozent (Mittelwerte)
     2.1.21 betrachtet, so sinkt der Wert für Berlin unter 5
     Prozent, für Münster auf 5 Prozent.

     Insgesamt zeigt die Analyse der Daten, dass nur ein                                                                    5
     geringer Anteil an allen Wegen von einer Begrenzung
     des Bewegungsradius betroffen wäre. Insbesondere
     ab dem Jahresbeginn scheint sich die Mobilität zu-
     nehmend ins wohnräumliche Umfeld zu verlagern.                                           3                   3
     Auch finden viele 15- bzw. 5-Plus-Wege am Wochen-
     ende statt und sind damit mehrheitlich dem Segment
     der Freizeitwege zuzuordnen. Der hohe Anteil an
     Fußwegen, der sich in der MOBICOR-Erhebung zeigt                            1
     (vgl. Follmer 2020, Follmer, Schelewsky 2020, Zehl,
     Weber 2020), kann als Ausdruck eines Bewegungs-                                 Berlin                        Münster
     bedürfnisses wie auch als eine stärkere Nahraumo-
     rientierung interpretiert werden, um zum einen der                         Werktage            Wochenende / Feiertage
     Enge von Homeoffice und zum anderen fehlenden
     Freizeit- und Sportmöglichkeiten zu begegnen. Eine
     Einschätzung der Auswirkungen auf die Verbreitung
     des Corona-Virus kann an dieser Stelle nur mit großer     Datenbasis: rund 210.000 Wege im Tracking von MOTIONTAG (Partner im MOBICOR-Projekt)
                                                               Quelle: MOBICOR und „Münster bewegt“(ein Projekt von MOTIONTAG in Kooperation mit
     Vorsicht erfolgen und muss die begrenzte Aussage-         der Deutschen Bahn (https://muenster-bewegt.de/))
14    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     kommuniziert wird. Oder aber die Akzeptanz gegen-                                       durchschnittliche Personen ab 16 Jahren in Deutsch-
     über den getroffenen Maßnahmen sinkt generell, da                                       land berechnet.
     Mittel und Wirkung für die Betroffenen nicht mehr
     im Einklang stehen würden.                                                              Insgesamt sind von 1.000 Personen ab 16 Jahren in
                                                                                             Deutschland rund 790 an einem Tag zu mindestens
     NÄCHTLICHE AUSGANGSSPERREN UND DEREN                                                    einem Weg unterwegs gewesen. Das sind rund 60
     EINFLUSS AUF DIE MOBILITÄT                                                              Personen weniger als im Vergleichszeitraum 2017.
                                                                                             Die Abbildung auf Seite 14 zeigt, wie viele Menschen
     Der Mobilitätsreport im Dezember 2020 hat bereits                                       zu den verschiedenen Tageszeiten zu mindestens
     gezeigt, dass die Alltagsmobilität im Oktober 2020 im                                   einem Weg aufgebrochen sind und vergleicht diese
     Vergleich zum Vor-Corona-Niveau weiterhin deutlich                                      Zahlen mit dem Vor-Corona-Niveau. Dabei werden
     reduziert war. So wird im Folgenden der Anteil an                                       nur Wege zur Arbeitsstelle oder Bildungseinrichtung,
     allen Personen ab 16 Jahre betrachtet, die im Okto-                                     zum Einkaufen, für Erledigungen, Freizeitzwecke und
     ber/November 2020 zu verschiedenen Tageszeiten                                          Begleitungen berücksichtigt. Wege, die im Rahmen
     zu mindestens einem Weg aufgebrochen sind. Diese                                        der üblichen Dienstausübung unternommen wer-
     Analyse bietet auch eine Grundlage zur Abschätzung                                      den (zum Beispiel regelmäßige berufliche Wege von
     möglicher positiver und negativer Auswirkungen ei-                                      Paketzustellern oder Busfahrern), bleiben unberück-
     ner diskutierten nächtlichen Ausgangssperre, denn                                       sichtigt.
     sie richtet den Blick auf jene Personen, die davon in
     ihrem Alltag unmittelbar betroffen wären. Um die                                        An der grundsätzlichen Verteilung der Mobilitätsak-
     Daten besser fassen zu können, wurden sie für 1.000                                     tivitäten über den Tag hat sich nur wenig verändert.

     Wenn es 1.000 Deutsche ab 16 Jahre gäbe … würden so viele von ihnen pro Tageszeit zu min. 1 Weg aufbrechen
     Anzahl der Personen, die zu der Tageszeit mindestens 1 Weg beginnen

                                                                                    430                       440

                                                           370                              370                     360
                                                                   330

         280
                                  260
                220                      210
                                                                                                                          190
                                                                                                                                160

                                                                                                                                          80
                                                                                                                                                50

       frühmorgens                 morgens                vormittags           mittags           nachmittags           abends               nachts
      (5 bis vor 8 Uhr)       (8 bis vor 10 Uhr)      (10 bis vor 13 Uhr) (13 bis vor 16 Uhr) (16 bis vor 19 Uhr) (19 bis vor 22Uhr)   (22 bis vor 5Uhr)

            MiD 2017: Oktober/November 2017                     MOBICOR: Oktober/November 2020

     Betrachtet werden alle Wege, außer Wege, die im Rahmen der üblichen Dienstausübung unternommen wurden,
     Angaben in absoluten Zahlen pro 1.000 Personen ab 16 Jahre, Werte auf ganze 10er Stelle gerundet
15   MOBILITÄTSREPORT 04
     AUSGABE 05.03.2021

                           37 %
                           der Menschen waren im
                           Oktober/November 2020
                           maximal gleichzeitig
                           unterwegs.
16    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     Die meisten sind zwischen 10:00 Uhr und 19:00 Uhr         Zu den Tagesspitzen ist die Reduktion dagegen gerin-
     unterwegs. Die Vor-Corona-Spitze lag zwischen 13:00       ger. Damit blieb es im Herbst 2020 zu den üblichen
     und 19:00 Uhr. In diesem Zeitraum brachen durch-          Stoßzeiten weiter vergleichsweise voll auf den Stra-
     schnittlich rund 430 bzw. 440 von 1.000 Personen zu       ßen und Wegen.
     mindestens einem Weg auf. In den Tagesrandzeiten
     und vor allem nachts waren deutlich weniger Men-          Die Auswertung zeigt, dass eine nächtliche Aus-
     schen unterwegs. Zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr          gangssperre nur einen kleinen Teil der Wege und
     begannen lediglich 80 von 1.000 Personen einen Weg.       Personen betreffen würde. Geht man davon aus, dass
     Die Abbildung auf Seite 14 verdeutlicht auch, dass im     berufsbedingte Wege und Wege zur Arbeitsstelle von
     Oktober/ November 2020 zu jeder Tageszeit sichtbar        einer solchen Ausgangssperre ausgenommen blie-
     weniger Menschen unterwegs waren als im selben            ben, reduziert sich diese Zahl noch einmal deutlich.
     Zeitraum 2017. Der Rückgang fällt in den Tagesrand-       Denn berufsbedingte Wege und Wege zur Arbeits-
     zeiten deutlicher aus als in der Tagesmitte. In der Ta-   stelle machen fast die Hälfte der nächtlichen Wege
     geshochzeit zwischen 13:00 und 19:00 Uhr starteten        aus. Eine solche Ausgangssperre zwischen 22:00 Uhr
     durchschnittlich 370 bzw. 360 von 1.000 Personen          und 5:00 Uhr würde auf etwa 25 von 1.000 Personen
     mindestens einen Weg, also 60 bis 80 Personen weni-       ab 16 Jahre in Deutschland eine unmittelbare Aus-
     ger als im Vor-Corona-Zeitraum. In den Tagesrandzei-      wirkung haben.
     ten und vor allem nachts sinkt der Anteil der mobilen
     Personen deutlich. Zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr        Die Frage inwieweit ein Verbot dieser Wege positiv
     waren im Herbst 2020 lediglich 50 von 1.000 Perso-        auf das Infektionsgeschehen wirkt, kann mit der rei-
     nen unterwegs.                                            nen Personenzahl nicht genau beziffert werden. Da-
                                                               bei kommt es vielmehr auf die Art der Aktivitäten an
     Die reduzierte Mobilität betrifft also den gesamten       und es macht einen Unterschied, ob die Menschen al-
     Tag; sie fällt aber in den Tagesrandzeiten, zu denen      lein unterwegs sind oder sich mit anderen Personen
     bereits vor der Corona-Pandemie vergleichsweise           treffen. Da private Treffen bereits stark reglementiert
     wenige Menschen unterwegs waren, deutlicher aus.          sind, ist ein weiterer direkter positiver Effekt auf das
                                                               Infektionsgeschehen durch eine nächtliche Aus-
                                                               gangssperre eher nicht zu erwarten.

                                                               ÜBER DEN TELLERRAND GESCHAUT: RAUS AUS
                                                               DEM KONJUNKTIV, REIN INS HOME-OFFICE?

                                                               Physische Kontakte und damit das Ansteckungsrisiko
                                                               zu reduzieren, ist das Hauptziel der Corona-Maßnah-
                                                               men. Gleichzeitig sollen dabei das tägliche Leben und
                                                               die sozialen Begegnungen weitestgehend erhalten
                                                               bleiben. Virtuelle Mobilität ermöglichst dies, indem
                                                               alltägliche Wege durch digitale Alternativen ersetzt
                                                               werden: Onlineshopping statt Einkaufsbummel,
                                                               Videochat statt realem Treff und Homeoffice statt
                                                               Pendeln in den Betrieb. Bei letztgenanntem scheiden
                                                               sich jedoch die Geister, wenn es um die Umsetzung
                                                               geht. So wurde von einer Homeoffice-Pflicht bislang
                                                               abgesehen, da u.a. die Produktivität des Zuhause Ar-
                                                               beitens in Frage gestellt wurde.
17    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     Dennoch haben einige Arbeitgeber das Arbeiten von        Bereich bis 15 Kilometer. Die mittlere Weglänge be-
     zuhause als Option oder sogar obligatorisch einge-       trägt bei ihnen mit knapp 6 Kilometern (schwarze
     führt. Etwa 20 Prozent der Erwerbstätigen gaben in       Linie in Abbildung Seite 17) fast 2 Kilometer mehr als
     der jüngsten MOBICOR-Erhebung im Oktober und             bei den zuhause Arbeitenden. Längere Wege entfal-
     November 2020 an, ganz oder überwiegend von zu-          len also oder werden durch kürzere ersetzt.
     hause zu arbeiteten. Im Schnitt verbrachten sie dabei
     3,8 Tage pro Woche am heimischen Schreibtisch. Für       Im Mittel sparen Personen, die zuhause arbeiten, 19
     sie war das Homeoffice zu diesem Zeitpunkt bereits       Minuten pro Tag bei den Arbeitswegen ein. Sie sind
     Alltag: 97 Prozent von ihnen waren bereits in der ers-   jedoch mit durchschnittlich 73 Minuten nur 7 Mi-
     ten MOBICOR-Erhebung im Mai 2020 im Homeoffice.          nuten weniger außer Haus als zur Arbeit pendelnde
     In erster Linie entfallen dadurch natürlich Arbeits-     Menschen. Die gewonnene Zeit wird zum Beispiel
     und Dienstwege. Eine Person im Homeoffice spart          durch häufigere und längere Spaziergänge ausgegli-
     72 Prozent dieser Wege ein. Darüber hinaus lassen        chen (Abbildung auf Seite 18). Ansonsten hat das Ar-
     sich jedoch auch Veränderungen der Mobilitätsmus-        beiten von zuhause wenig Einfluss auf die Verkehrs-
     ter abseits der Arbeit beobachten. So fällt beispiels-   mittelwahl. Durch die wegfallenden Arbeitswege
     weise der mittlere Einkaufsweg mit 2 Kilometern          nehmen Fußwege nun jedoch einen deutlich größe-
     um einen Kilometer kürzer aus als bei Pendlerinnen       ren Anteil am Modal Split ein: 35 Prozent der Wege
     und Pendlern. Einkäufe werden zudem seltener auf         werden zu Fuß zurückgelegt, etwa doppelt so viele
     dem Arbeitsweg erledigt, sondern als separate Tour       wie bei Pendlerinnen und Pendlern. Bei mehr als der
     in Wohnortnähe. Diese insgesamt kleineren Bewe-          Hälfte der im Homeoffice Beschäftigten mit eigenem
     gungsradien zeigen sich durch einen Vergleich der        Auto blieb dieses am Stichtag ungenutzt.
     Verteilung der Weglängen (Abbildung Seite 17): Bei
     Homeoffice-Nutzenden sind 75 Prozent der Wege            Was die MOBICOR-Daten aus Oktober und November
     kürzer als 10 Kilometer. Bei Pendlerinnen und Pend-      darüber hinaus verraten: Es könnten potenziell deut-
     lern verteilen sich diese 75 Prozent bereits auf einen   lich mehr Beschäftigte von zuhause arbeiten als es

     Boxplot zur Verteilung der Wegelängen nach Homeoffice-Nutzung (MOBICOR Oktober/November 2020;
     Personen ab 16 Jahren)
     Angaben in Wegekilometer der einzelnen Wege

     Verteilung der Weglängen nach Homeoffice-Nutzung

     ganz oder überwiegend
             im Homeoffice

         kein oder vereinzelt
                 Homeoffice

                                0   5       10          15    20      25       30       35      40       45      50
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                       AUSGABE 05.03.2021

         bislang der Fall ist. Ob die Erwerbsarbeit ins Home-                                                fund liegt damit auf ähnlichem Niveau wie der vom
         office verlagert werden kann, hängt dabei maßgeb-                                                   ifo-Institut berechnete Wert von 56 Prozent (vgl. Ali-
         lich vom jeweiligen Tätigkeitsprofil ab. So lassen                                                  pour et al. 2020).
         sich Arbeiten am Computer und Telefon leichter von
         zuhause erledigen als manuelle Tätigkeiten (Merge-                                                  Das Homeoffice erfüllt seinen Zweck als Corona-
         ner 2020). Vor diesem Hintergrund wurden in der                                                     Schutzmaßnahme gleich in zweifacher Hinsicht: Es
         jüngsten MOBICOR-Erhebung auch die beruflichen                                                      werden physische Kontakte am Arbeitsplatz und auf
         Tätigkeitsfelder in fünf Kategorien abgefragt. Die                                                  Arbeitswegen drastisch reduziert. Gleichzeitig ließe
         verwendete Kurzskala weist eine hohe Erklärungs-                                                    sich das etwaige Infektionsgeschehen, so ist zu ver-
         kraft für die Homeoffice-Nutzung auf und erlaubt                                                    muten, durch die kleineren Bewegungsradien räum-
         darüber hinaus auch das ungenutzte Potenzial abzu-                                                  lich effektiv begrenzen und somit potenziell leichter
         schätzen: Neben den 20 Prozent, die bereits ganz oder                                               eindämmen. Indem aber der tatsächlich genutzte
         überwiegend von zuhause arbeiten, stehen weitere                                                    Homeoffice-Anteil deutlich hinter seinen Möglich-
         30 Prozent mit ausschließlich kognitiven Tätigkeiten,                                               keiten bleibt (30 Prozent) und im Jahresverlauf 2020
         welche am Computer ausgeübt werden. Die andere                                                      sogar sank (Zehl, Weber 2020), werden diese poten-
         Hälfte der Erwerbstätigen arbeitet entweder gänzlich                                                tiellen Chancen vertan. Weitere Investitionen und
         ohne Computer oder benötigt wenigstens teilweise                                                    Zuschüsse für eine Verbesserung der digitalen Infra-
         spezielle Geräte oder Räumlichkeiten (Abbildung Sei-                                                struktur, sowohl in privaten Haushalten als auch in
         te 18). Damit kann von einem Homeoffice-Potenzial                                                   den Betrieben, könnten dazu beitragen den Anteil zu
         von circa 50 Prozent ausgegangen werden. Dieser Be-                                                 erhöhen. Da das Homeoffice aber nur eine ergänzende

         Häufigkeit und Länge der Spaziergänge nach                                                          Anteil der Personen die (nicht) ins Homeoffice wechseln
         Homeoffice-Nutzung                                                                                  könnten (MOBICOR Oktober/November 2020)
                                                                                                             Angaben in Prozent; Personen ab 16 Jahren

                                                                                                             Homeoffice-Potenzial auf Basis der Tätigkeiten
                                                 Spaziergänge

                                 0,5                                         5

                                                                                                                                  20
                                 0,4                                         4
                                                                                 Kilometer pro Spaziergang
     Anzahl pro Person pro Tag

                                 0,3                                         3                                                                           50

                                 0,2                                         2                                               30

                                 0,1                                         1
                                            Berlin

                                 0,0                                         0
                                                                                                                             kein Zugang
                                       kein oder selten Homeoffice                                                           Potenziell Homeoffice
                                       ganz oder überwiegend im Homeoffice                                                   Homeoffice genutzt
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      AUSGABE 05.03.2021

     Maßnahme eines umfassenden Maßnahmen-Pakets               globalen Pandemie, Sorgenkind und Stellschraube
     sein kann, muss diskutiert wer-den, ob eine Pflicht       zugleich. Wurde im Frühjahr und Sommer 2020 mit
     zum Homeoffice für Arbeitgeber wirklich einen po-         reduzierten Regionalverbindungen eher auf die sin-
     sitiven Beitrag auf das Pandemiegeschehen ausüben         kenden Fahrgast- als auf die steigenden Corona-Fall-
     könnte. Dies ist einerseits insofern fraglich, als dass   zahlen reagiert, verlässt sich der Gesetzgeber zurzeit
     Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die ihnen er-          auf die allgemeinen Hygieneregeln in Bus und Bahn:
     möglichte Arbeit am heimischen Schreibtisch auch          Abstand halten und Maske tragen, außerdem alle Tü-
     annehmen müssten. Andererseits wird es nie allen,         ren zum Ein- und Ausstieg nutzen. Da die Infektions-
     sondern nur einem Teil der Bevölkerung möglich            zahlen aber nach wie vor zu hoch sind und ein Beitrag
     sein, von zuhause aus zu arbeiten. Dass Homeoffice        des öffentlichen Verkehrs auf das Infektionsgesche-
     also trotz aller Vorteile die Gefahr birgt, bestehende    hen nicht ausgeschlossen werden kann, rücken mit
     soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft noch wei-      Beginn des neuen Jahres zusätzliche Maßnahmen im
     ter zu verschärfen, ist ein potentielles Problem das in   ÖV in den Fokus. Das oberste Ziel, die Kontaktredu-
     kommenden Maßnahmendiskussion zum Homeof-                 zierungen im Blick, wird die konkrete Forderung nach
     fice nicht unberücksichtigt bleiben sollte.               „weniger Menschen im öffentlichen Verkehr“ auch
                                                               vom Bundeskanzleramt unterstützt. Zur Diskussion
     STELLSCHRAUBE ÖFFENTLICHER VERKEHR?                       steht dabei die Idee der Göttinger Forscherin Viola
                                                               Priesemann, die Auslastung im ÖPNV auf ein Drittel
     Seit Beginn der Corona-Krise ist der öffentliche Per-     zu begrenzen (Redaktionsnetzwerk Deutschland).
     sonentransport, mit Blick auf die Auswirkungen der
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      AUSGABE 05.03.2021

     Dabei ist nicht nur das Verkehrsaufkommen in Bus-                            im Rauschen des geringen ÖPNV-Verkehrsaufkom-
     sen und Bahnen im Vergleich zum Corona-freien Jahr                           mens in der Stichprobe unbeobachtet blieben. Damit
     2017 bereits deutlich zurückgegangen (vgl. Follmer                           scheint der erst kürzlich getätigte Appell an die ver-
     2020, Follmer, Schelewsky 2020, Zehl, Weber 2020).                           bliebenen ÖV-Nutzenden, „Fahrten mit dem ÖPNV,
     Auch veranschaulichen die jüngsten MOBICOR-Da-                               wenn möglich auf außerhalb der üblichen Stoßzei-
     ten, dass sich die Wege im öffentlichen Nahverkehr                           ten [zu legen]“ das aktuelle Fahrgastaufkommen zu
     bereits weniger stark zu bestimmten Tagesstunden                             den gewöhnlichen Verkehrsspitzen zu überschätzen.
     kumulieren. Nachfolgende Abbildung (Seite 20) spie-
     gelt den prozentualen Anteil der per ÖV, Rad, Fuß                            Trotz der geringen Fahrgastzahlen im ÖPNV und auch
     und MIV zurückgelegten Wege zu verschiedenen                                 im ÖV wird aktuell über zusätzliche Stell-schrauben
     Uhrzeiten wider. Im Gegensatz zum MIV sowie zum                              diskutiert, um weniger Kontaktsituationen im öf-
     Fuß- und Radverkehr sind im Herbst 2020 keine deut-                          fentlichen Verkehr zu erreichen. Die begrenzte Fahr-
     lichen Tagesspitzen und damit Stoßzeiten im ÖPNV                             gastbesetzung von Bussen und Bahnen resultiert aus
     erkennbar. Somit gleichen die vor Corona, im Oktober                         der Idee, „wenn die Schulen geschlossen seien, und
     2017, erkennbaren Morgen- und Feierabendspitzen                              wenn die meisten Menschen im Homeoffice arbeite-
     der ÖPNV-Tagesganglinien unter dem Einfluss der                              ten, dann könne man die Auslastung des ÖPNV redu-
     Corona-Pandemie eher einem von morgens bis in die                            zieren und habe dadurch einen zusätzlichen Effekt“
     Feierabendstunden reichenden Plateau (Abbildung                              (ebd.). Diese Überlegung grenzt aber all diejenigen
     Seite 21). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass                         systematisch aus, die weder zur Schule gehen noch
     mögliche Stoßzeiten im öffentlichen Nahverkehr                               im Homeoffice arbeiten (können). Dass dabei gerade

     Startzeiten der Wege im Tagesverlauf nach Verkehrsmittel
     MOBICOR-Oktober und -November, Angaben in Prozent, Personen ab 16 Jahre

      30
                                                                                                                             zu Fuß
                                                                                                                             Fahrrad

      25                                                                                                                     MIV-Fahrer
                                                                                                                             ÖPNV

      20
                                18                                           20
                17                                            19
                                               17
      15

      10
                                                                                                8

       5

                                                                                                               2
       0
            5.00 - 7.59     8.00 - 9.59   10.00 - 12.59   13.00 - 15.59   16.00 - 18.59 19.00 - 21.59   22.00 - 4.59   Tagesstunden
               Uhr             Uhr            Uhr             Uhr             Uhr           Uhr             Uhr
21    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     die Bedeutung des ÖPNV für viele Arbeitnehmerin-                          Charakteristiken mit denjenigen, die den ÖPNV ver-
     nen und Arbeitnehmer nicht zu unterschätzen ist,                          stärkt nutzen. Wird der Modal Split entlang verschie-
     zeigt sich in den MOBICOR-Daten (Abbildung Seite                          dener sozialer Dimensionen betrachtet (Abbildung
     22 oben): 58 Prozent der im Oktober/November 2020                         Seite 22 unten), fällt nicht nur auf, dass vor den Schul-
     getätigten ÖPNV-Wege beginnen oder enden an der                           schließungen im Oktober/November 2020 verstärkt
     Ausbildungs- oder Arbeitsstätte. Dieser Anteil lag                        Menschen unter 30 Jahren, Personen im Rentenalter
     vor Corona, im Oktober 2017, noch bei 49 Prozent.                         sowie Frauen im ÖPNV fuhren. Vielmehr spaltet sich
     Durch die Corona-Krise tritt also vor allem die obli-                     der Anteil des ÖPNV am Modal Split deutlich entlang
     gatorische und oftmals beruflich bedingte Nutzung                         des verfügbaren Äquivalenzeinkommens auf. Liegt
     des ÖPNV in den Vordergrund. Trotz der gesunkenen                         der Modal-Split-Anteil der ÖPNV-Wege bei Personen
     Fahrgastzahlen würden Einschränkungen im Beset-                           mit hohem Einkommen (über 2.200 € netto) bei 2 Pro-
     zungsgrad von Bussen und Bahnen somit weniger                             zent, kommt er bei Personen mit niedrigem Einkom-
     Personen tangieren, die den ÖPNV zu Freizeitzwe-                          men (bis 1.300 € netto) auf 9 Prozent. Die Einführung
     cken nutzen, als vielmehr diejenigen betreffen, die                       von Passagierobergrenzen würde also nicht nur die
     auf Grund fehlender Homeoffice-Möglichkeiten für                          Gruppe der im Präsenzbetrieb arbeitenden Personen
     ihren Arbeits- und Ausbildungsweg auf den ÖPNV                            treffen, sondern insbesondere einkommensschwa-
     angewiesen sind.                                                          che Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

     Darüber hinaus teilen die Menschen, die nicht im                          Vor diesem Hintergrund wirkt die Begründung für
     Homeoffice arbeiten (können), bestimmte soziale                           die Forderung nach Passagierobergrenzen zynisch:

     Startzeiten der ÖPNV-Wege im Tagesverlauf – MiD-Oktober und MOBICOR-Oktober/November
     Angaben in Prozent, Personen ab 16 Jahre

       25                                                                                                                    ÖPNV
                                                                             23                                              Oktober 2017
                                                              22
                                                                                                                             ÖPNV Oktober/
                                                                             20                                              November 2020
       20                                                     19
                               18
                17                            17

       15       16
                                              15

                               12
       10

                                                                                                8

        5
                                                                                                              4

                                                                                                              2

        0

             5.00 - 7.59    8.00 - 9.59   10.00 - 12.59   13.00 - 15.59   16.00 - 18.59 19.00 - 21.59   22.00 - 4.59   Tagesstunden
                Uhr            Uhr            Uhr             Uhr             Uhr           Uhr             Uhr
22    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     ÖPNV-Wege im MiD-Oktober 2017 und MOBICOR-Oktober/November 2020 nach Wegezweck
     Angaben in Prozent; Personen ab 16 Jahren

          Oktober 2017                        26                          13                          13           9          12                         26                2

            Oktober/
                                                   32                                        16               10         9               15                   16           3
       November 2020

                            0            10             20            30                     40             50          60          70            80           90          100

                                Arbeit             dienstlich            Ausbildung                    Einkauf          Erledigung            Freizeit        Begleitung

     Modal Split im MOBICOR-Oktober/November 2020 nach Äquivalenzeinkommen, Alter und Geschlecht
     Angaben in Prozent; Personen ab 16 Jahren

                            Modal Split Oktober/November 2020

               bis 1.300                       29                            8                8                              43                                    9      4

         1.300 bis 2.200                  24                        11                   4                                   54                                          6 1

             über 2.200                  21                     9                8                                           59                                           21

         16 bis 29 Jahre                      26                         12                       9                           41                                    12

         39 bis 49 Jahre                 23                         10               5                                       58                                           31

         50 bis 64 Jahre                 21                  7           5                                                   63                                          22

              + 65 Jahre                       29                            8                8                               43                                   9      4

                Männer                   21                      12              3                                           58                                          4 2

                 Frauen                   27                             8                   9                                49                                         6 1

                Gesamt                   24                         9                6                                        54                                       5 2

                            0            10             20            30                     40             50          60          70            80           90          100

                                zu Fuß             Fahrrad          MIV-Mitfahrer                          MIV-Fahrer        ÖPNV         anderer ÖV
23    MOBILITÄTSREPORT 04
      AUSGABE 05.03.2021

     Da die vollen Beförderungskapazitäten aktuell              kehrsmittel in und nach der Pandemie finden sollten.
     nicht erforderlich sind, kann dieser „Deckel“ zu einer     Dass mit Blick auf den ÖV bislang hauptsächlich über
     Gleichverteilung der Fahrgäste auf die Transportge-        Erweiterungen oder Reduzierungen des Bus- und
     fäße führen und damit zu einer Reduzierung der Kon-        Bahnverkehrs debattiert wird, zeigt wie vereinfacht
     taktsituationen beitragen. Damit sind auch die ver-        die Rolle des öffentlichen Verkehrs in der Pandemie
     bliebenen Fahrgäste besser geschützt. Also alles gut?      betrachtet wird. Es wird sich vor allem auf die Frage
     Was fehlt ist eine Diskussion der Ziele, was der ÖV        konzentriert, wie sehr aktuell Mehr vom Gleichen,
     während der Pandemie leisten soll und wie diese            also Bussen oder Bahnen etwas bringt, anstatt einen
     Ziele zu erreichen sind. Ist eine ÖV-Grundversorgung       Blick über den Tellerrand zu wagen. Grundlegende
     für die Personen, die auf ihn angewiesen sind, aus-        Änderungen in Form von Preis- oder Tarifanpassun-
     reichend? Ist es gegeben falls sogar erstrebenswert,       gen im ÖV oder die Einführung des längst überfälli-
     die Fahrgastzahlen noch weiter zu reduzieren, um die       gen, flächendeckenden E-Tickets bleiben hingegen
     Kontaktsituationen noch stärker zu begrenzen, auch         unberührte Thematiken (dazu mehr: Knie 2021).
     wenn es bislang keine empirischen Belege für ein er-       Statt aber auf diese Weise zur Pflege der eigenen,
     höhtes Infektionsrisiko im ÖV gibt, aber eben auch         immer kleiner werdenden Nische beizutragen, lohnt
     nicht dagegen? Welche Maßnahmen sind geeignet,             gerade jetzt ein Größer-Denken im ÖV. Eine Debatte
     um den verbliebenen Fahrgästen eine sichere Beför-         um die Frage, unter welchen Rahmenbedingungen
     derungsleistung anzubieten, die als eine solche auch       Pooling- und Sharing-Dienste zusammen mit Bussen
     wahrgenommen wird?                                         und Bahnen einen Beitrag für den ÖV selbst und mit
                                                                Blick auf die Eindämmung der Corona-Krise leisten
     Hier lässt sich ein Zielkonflikt erkennen, der sich zwi-   können, wäre hierbei ein guter Anfang.
     schen den verbliebenen ÖV-Nutzerinnen und -Nut-
     zern und den ÖV-Unternehmen einerseits und den
     Maßnahmen zur wirkungsvollen Eindämmung der
     Infektionszahlen andererseits entspinnt. Die Zahlen
     aus dem MOBICOR-Projekt zeigen, dass der ÖV der-
     zeit auch aus Gründen des wahrgenommenen Infek-
     tionsrisikos gemieden wird. Der Anteil derer, die auch
     bei umfassenden Hygienemaßnahmen nicht mehr
     in den ÖV zurückkehren würden, liegt bei etwa 50
     Prozent. Die Hälfte der Personen, die aktuell den ÖV
     nutzen, würde gerne auf andere Verkehrsmittel aus-
     weichen, es stehen ihnen jedoch keine Alternativen
     zur Verfügung. Wie ist es unter diesen Bedingungen
     um die langfristigen Perspektiven des ÖV bestellt? Ab
     wann ist der richtige Zeitpunkt gegeben, um die Nut-
     zung des ÖVs wieder zu fördern? Und welche Maß-
     nahmen sind dafür geeignet?

     Ob Passagierobergrenzen dazu brauchbar sind oder
     es dadurch einfach nur längere Wartezeiten auf den
     sich füllenden Bahnsteigen kommt, wäre zu untersu-
     chen. Davon abgesehen ist die hier aufgegriffene Ka-
     pazitätsfrage nur einer der Aspekte, die Einzug in die
     Diskussionen rund um die Zukunft öffentlicher Ver-
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      AUSGABE 05.03.2021

     WIE WEITER?                                              Mobilität selbst, nur ein einzelner Baustein im kom-
                                                              plexen Unterfangen die Pandemie einzudämmen.
     Die Auswertungen der MOBICOR-Befragungsdaten             Zudem sind bei Forderungen nach Einschränkungen
     und Tracking-Stichprobe legen nahe, dass allein mit      der individuellen Mobilität, auch Bemühungen um
     der Beschränkung von Bewegungsradien und nächt-          die Aufrechterhaltung der Bereitschaft sich an diese
     lichen Ausgangssperren kein Weiterkommen im              Maßnahmen zu halten und damit die Wahrung einer
     Kampf gegen das Virus zu erreichen ist. Schließlich      gemeinschaftlichen Solidarität zu bedenken.
     sind die Menschen bereits mehrheitlich kompakt
     und in ihrem nahräumlichen Umfeld unterwegs, so          Die hier vorgestellten Ergebnisse und Einschätzun-
     dass Bewegungsradien und nächtliche Ausgangs-            gen basieren auf Mobilitätsdaten des MOBICOR-Pro-
     sperren die Mobilität, wie sie sich aktuell darstellt,   jekts, die im Oktober erhoben wurden sowie auf Da-
     nur in geringem Umfang begrenzen würden. Anstatt         ten des Mobilitätstracking, das kontinuierlich Daten
     hauptsächlich auf Maßnahmenerweiterungen im              liefert. Die vorgestellten Ergebnisse sollen die aktuell
     privaten Bereich zu verharren und so womöglich die       geführten Diskussionen zu Maßnahmen bzw. deren
     Bereitschaft, sich an die getroffenen Maßnahmen zu       Ausweitung oder Aufhebung anreichern und mit da-
     halten, aufs Spiel zu setzen, erscheint es lohnenswert   tenbasierten Erkenntnissen hinterlegen. Die genutz-
     stärkere Kontaktreduzierungen auf dem Weg zum            ten Daten sind verhaltensbasiert und nicht statisch
     und am Arbeitsplatz anzuvisieren. Dabei bietet das       oder modelliert, sie verändern sich mit den gegebe-
     Homeoffice gute Möglichkeiten. Die Erwerbsarbeit         nen Rahmenbedingungen. Erforderlich ist deshalb
     im Homeoffice zu verrichten ist aber nicht allen zu-     eine kontinuierliche Beobachtung des Mobilitätsver-
     gänglich und kann damit nur ein Beitrag zur Reduzie-     haltens und dessen Bewertung im Zusammenhang
     rung der Kontakte leisten, der von anderen Ansätzen      mit Anpassungen der Corona-Schutzmaßnahmen.
     zu ergänzen ist. Neben der möglichst vollständigen       Dadurch können Verhaltensänderungen zeitnah er-
     Ausschöpfung des Homeoffice-Potenzials sind auch         fasst und Maßnahmen nachjustiert werden, damit
     Schutzkonzepte für die Personen ohne Möglichkeit         sie größtmögliche Wirkung entfalten bzw. wenig
     zum Homeoffice zu diskutieren und umzusetzen. Die        wirksame Maßnahmen nicht zur Belastung werden.
     Begrenzung der Auslastungen im ÖV scheint dabei          Damit, so die Annahme, lässt sich die Compliance er-
     insofern nicht zielführend, wenn diese Personen sich     höhen. Die Akzeptanz und die Befolgung der getrof-
     dann an den Haltestellen und Bahnhöfen ansam-            fenen Maßnahmen sind ein wichtiges Gut auf dem
     meln. Genauso wie das Homeoffice, ist aber auch die      Weg zur Bewältigung der Pandemie.
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