Corporate Health Management - Gesundheit in Unternehmen - weiter gedacht - INSITE-Interventions

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Corporate
Health
Management
Gesundheit in Unternehmen
– weiter gedacht
Corporate Health Management | 3

Inhalt

1. Gesundheit im Unternehmen muss grundlegend
neu gedacht werden ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 6

2. Das Potenzial zur Förderung von Gesundheit
wird heute nicht ausgeschöpft ������������������������������������������������������������������������������� 13

3. Hürden auf dem Weg zum betrieblichen
Gesundheitsmanagement ��������������������������������������������������������������������������������������������� 16

4. Corporate Health Management als
langfristiger Erfolgsfaktor �������������������������������������������������������������������������������������������� 18

5. Die erfolgreiche Umsetzung erfordert einen
gesamtunternehmerisch integrierten Ansatz �������������������������������������� 21
4 | Corporate Health Management

Vorwort

                                                   Die Welt ist im Jahr 2020 eine andere geworden. Die
                                                Covid-­19-Pandemie hat binnen kürzester Zeit radikale
                                                Veränderungen notwendig gemacht – politisch, wirt-
                                                 schaftlich und gesellschaftlich. Noch ist nicht klar, wie
                                                lange die aktuelle Krise anhalten wird und wie schnell
                                                 sie überwunden werden kann. Klar ist aber bereits
                                                ­heute: Ein Zurück zur alten Normalität wird es nicht
                                                 ­geben, ­Covid-19 wird bleibende Spuren hinterlassen.
                                                 Dazu gehört auch: Nie war das Thema Gesundheit in
                                                Wirtschaft und Politik so präsent wie heute, nie muss-
                                                   ten sich Arbeitgeber so intensiv mit dem Thema Gesund-
                                                heitsschutz beschäftigen und nie war der Einfluss ­eines
                                                  ­effektiven Gesundheitsschutzes auf den wirtschaft­
                                                lichen Erfolg von Unternehmen so evident wie heute.

                                                Präventionsmaßnahmen sind in der Corona-Krise zur
                                                zwingenden Voraussetzung für jedwede wirtschaftliche
                                                Tätigkeit geworden. Die Frage ist: Erlebt das Betrieb­liche
                                                Gesundheitsmanagement (BGM) dadurch eine dauer-
                                                hafte Renaissance? Wird sich, wenn Schutzmasken und
                                                Abstandsregeln irgendwann einmal der Vergangenheit
                                                angehören, der Fokus wieder auf die vermeintlich här-
                                                teren Faktoren der betrieblichen Realität ver­lagern?
                                                Oder verankert sich langfristig in den Köpfen ein neues
                                                Bewusstsein dafür, dass nur gesunde Beschäftigte auch
                                                leistungsfähig sein und zum Unternehmenserfolg bei-
                                                tragen können?

                                                Die vorliegende Studie liefert eine Fülle von Argumen-
                                                ten für Letzteres. Die Idee dazu entstand lange vor Aus-
                                                bruch der Covid-19-Pandemie. Im Lichte der jüngsten
                                                Ereignisse haben die Ergebnisse der Studie jedoch an
                                                Brisanz und Bedeutung gewonnen. Das betriebliche
                                                Gesundheitsmanagement hatte vor Corona nicht den
                                                Stellenwert in den Unternehmen, den es verdient, die
Diese Studie wurde von der Asklepios Kliniken   bisherigen Maßnahmen konnten ihre volle Wirkung
GmbH bei Roland Berger in Auftrag gegeben.      nie entfalten. Nach ­Corona gibt es dafür keine Ausre-
Die Ergebnisse wurden unabhängig erarbeitet.    den mehr.
Corporate Health Management | 5

 Künftig wird es nicht mehr reichen, lediglich Fehlzeiten    Dafür muss das betriebliche Gesundheitsmanagement
 zu messen und den Fokus auf Unfälle und Unfallver-          neu gedacht werden. Die zentrale Empfehlung lautet:
 meidung zu legen. Es ist vielmehr möglich, die wesent-      weg vom Gießkannenprinzip hin zu einem auf einer
 lichen Einflussfaktoren für die körperliche und auch die    gründlichen Selbstanalyse basierenden ganzheitlichen
– bisher völlig vernachlässigte – psychische Gesundheit      Konzept mit individuell auf die Bedürfnisse der Be-
 im Unternehmen zu ermitteln. Und überdies dafür zu          schäftigten abgestimmten Maßnahmen.
 sorgen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch
 gezielte gesundheitsunterstützende Maßnahmen und            Asklepios engagiert sich schon seit einigen Jahren ver-
 gesundheitsförderliche betriebliche Rahmenbedingun-         mehrt in der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention
 gen dauerhaft und nachhaltig gesünder werden.               der Unternehmensgesundheit. Wir fühlen uns darin
                                                             durch die vorliegende Studie und die von Roland Berger
Die vorliegende Studie zeigt klar auf, dass die Potenziale   erarbeiteten Empfehlungen für Unternehmen, ihre Stra-
zur Förderung von Gesundheit heute bei Weitem nicht          tegien und ihre Führungskräfte bestätigt und bestärkt.
ausgeschöpft werden – und dass ein effektives betrieb-       Um die Potenziale der betrieblichen Gesundheit voll
liches Gesundheitsmanagement gleichzeitig entschei-          ausschöpfen zu können, sind ein neues Denken und
dend sowohl zum Unternehmenserfolg als auch zur              ein neuer, gesamtunternehmerischer Ansatz notwendig.
Leistungsfähigkeit des Einzelnen beitragen kann.             Dabei begleiten und unterstützen wir Sie gerne.

Sicher ist: Die nächsten Generationen von Beschäftig-        Viel Freude beim Lesen!
ten legen mehr denn je Wert auf sinnstiftende Tätigkeit,
selbstbestimmtes Arbeiten und eine gesunde Unter-
nehmenskultur. Sie legen Wert auf einen kooperativen
Managementstil, flache Hierarchien und eine gute Ar-
beitsatmosphäre. Dazu gehören auch ein achtsames             Kai Hankeln
Miteinander und attraktive Gesundheitsangebote. Äl-          CEO, Asklepios Kliniken GmbH & Co. KGaA
tere Arbeitnehmer, deren fachliches Know-how und
Erfahrung weiterhin maßgeblich zum Erfolg des Unter-
nehmens beitragen, brauchen wiederum andere Rah-
menbedingungen, um leistungsfähig und motiviert zu
bleiben. Die unterschiedlichen Bedürfnisse erfordern
somit eine Individualisierung der Programme und eine
bessere Einbettung in die jeweilige Unternehmensreali-
tät. Erfolgreich kann ein Gesundheitskonzept nur sein,
wenn es auf allen Organisationsebenen sowie über die
Führungskultur fest in den betrieblichen Strukturen
verankert wird.
1.Gesundheit im Unternehmen
          muss grundlegend
          neu gedacht werden

Viel zu oft wird Gesundheit von Arbeitgebern als "einfa-   Wahrscheinlichkeit bessere Leistungen im Arbeitsalltag.
che" Vermeidung von Krankheitstagen verstanden. Den        Herrschen umgekehrt hoher Druck und ein schlechtes
Anforderungen der modernen Arbeitswelt wird diese          Betriebsklima, wirkt sich das negativ auf die Fehltage
Herangehensweise längst nicht mehr gerecht. Gesund-        und Leistung der Beschäftigten aus. Von einem breiter
heit muss stattdessen ganzheitlich gedacht werden. Sie     gefassten Gesundheitsbegriff profitieren darum beide
muss stärker auf die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen      Seiten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich
und Mitarbeiter abgestimmt werden. Nur so können           wohler fühlen, sich stärker in ihrem Beruf verwirklichen
Unternehmen langfristig für eine zufriedenere und ge-      und werden gesünder sein. Die Unternehmen wiederum
sündere Belegschaft sorgen, was im Ergebnis zu einer       haben weniger Fehltage und bessere Leistungen zu ver-
insgesamt gesteigerten Leistungsfähigkeit aller Be-        zeichnen. Die Studienlage ist eindeutig: Unternehmens-
schäftigten und damit auch des Unternehmens führt.         erfolg und -kultur, der Stellenwert von Gesundheit und
Davon profitieren am Ende alle Beteiligten.                die Mitarbeitermotivation – all das hängt in vielfältiger

Breiteres Verständnis von Gesundheit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Ge-        A Abhängigkeiten zwischen Unternehmenserfolg,
sundheit wie folgt: "Gesundheit ist ein Zustand vollkom-   Gesundheit und Kultur
menen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefin-
dens und [stellt] nicht allein das Fehlen von Krankheit
und Gebrechen."1                                                                     Gesundheit

Wir plädieren dafür, den Begriff im betrieblichen Kon-
text in ähnlich umfassender Form zu verstehen. Der
Grad des Wohlbefindens ist ein Kontinuum. Je gesün-
                                                                                   UNTERNEHMEN
der sich Beschäftigte fühlen, umso mehr sind sie in der
Lage, die Aufgaben im beruflichen Kontext bestmöglich
zu erfüllen. Die Kultur eines Unternehmens spielt dabei
eine entscheidende Rolle. Beschäftigte, die von ihrem           Unternehmenserfolg                Kultur / Motivation
Arbeitgeber eine hohe Wertschätzung erfahren, füh-
len sich nachweislich wohler und erbringen mit hoher       Quelle: Roland Berger
Corporate Health Management | 7

Weise zusammen. Auf einige Studien werden wir in den          B Mehrwert durch effektives betriebliches
folgenden Abschnitten im Detail eingehen. A                   Gesundheitsmanagement

Unternehmenserfolg und Gesundheit

Eine Vielzahl an Studien aus dem vergangenen Jahr-
zehnt betont einen signifikanten Zusammenhang                         + 76 %                                           - 40 %
zwischen der Gesundheit von Mitarbeiterinnen und                                                     + 11 %
Mitarbeitern, ihrer Leistungsfähigkeit und dem Unter-
nehmenserfolg. Immer wieder wird festgestellt, dass
das Wohlbefinden einen positiven Einfluss auf deren                 Aktienwert                    Umsatz pro MA       Fluktuation
Konzentration, Gründlichkeit und Effizienz hat.2
                                                              Quelle: Grossmeier, Towers Watson
Grossmeier et al. berichten von einem höheren Aktien-
wert derjenigen Unternehmen, die zuvor hohe Investi­          Towers Watson berichtet im Rahmen einer Analyse von
tionen in die betriebliche Gesundheit getätigt haben.         350 Unternehmen (mit mehr als 1.000 Beschäftigten),
Um dies zu belegen, wurde sechs Jahre lang der Aktien­        dass die Gesundheit der Belegschaft einen signifikant
wert von 45 Unternehmen aus dem amerikanischen                positiven Einfluss auf die Unternehmensperformance
Leit­index S&P 5003, deren Gesundheitsmanagement              hat. So konnten Unternehmen mit einer guten Bewer-
überdurchschnittlich war, mit dem von Unternehmen             tung in diesem Bereich einen Anstieg der Rendite von
mit unterdurchschnittlicher Bewertung verglichen. Be-         14,8% in fünf Jahren verzeichnen. Demgegenüber sank
rücksichtigt wurden Themen wie das Engagement der             die Rendite bei Unternehmen mit einer schlechten Be-
Führungskräfte, die Gesundheitsprogramme oder die             wertung im selben Zeitraum um 10,1%. Allgemein galt:
Evaluation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im          Unternehmen konnten den Umsatz pro Mitarbeiterin
Ergebnis stieg der Aktienkurs bei Unternehmen mit gu-         oder Mitarbeiter durch effektive Gesundheitsmaßnah-
tem Gesundheitsmanagement in sechs Jahren im Schnitt          men um 11% steigern8, gleichzeitig konnte die Fluk­
um 76 Prozentpunkte4 schneller.5                              tuationsrate deutlich gesenkt werden. Die Wahrschein-
                                                              lichkeit, dass Beschäftigte in einem Unternehmen
Auch die Kundenzufriedenheit hängt von der Unter-             bleiben, lag um rund 40% höher9, sobald ein Arbeit­
nehmenskultur ab. Hier lässt sich ein signifikanter Zu-       geber entsprechende Gesundheitsprogramme durchge-
sammenhang nachweisen. Zu diesem Ergebnis kommt               führt hatte. B
eine Studie von Boyce et al., die den Einfluss auf die Ver-
kaufszahlen von 95 Franchise-Autohändlern in den USA          Gesundheit stärkt die Mitarbeiter­motivation
unter die Lupe nahm.6 Aussagen von Führungskräften
stützen diese These. In einer Umfrage der Harvard Bu-         Das Queen's University Centre for Business Venturing
siness Review mit 568 Führungskräften gaben 71% an,           hat in zehn Jahren Mitarbeiterumfragen speziell den
dass das Engagement der Beschäftigten essenziell für          Zusammenhang zwischen der Unternehmenskultur
den Unternehmenserfolg sei (dritthöchste Nennung).7           und dem Erfolg untersucht. Ein Kernergebnis: Je stär-
8 | Corporate Health Management

ker die Kultur auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter        In einer weiteren Studie analysiert Gallup, welche Fak-
abgestimmt ist, desto niedriger sind die Krankheits­       toren zu einem "high-performance workplace" führen.
raten in den Unternehmen. Firmen mit einer mitarbei-       Dabei zeigte sich, dass sich besonders Investitionen in
terfreundlichen Kultur kamen im Schnitt auf 20% we-        die Mitarbeiterentwicklung auszahlen und zu einer hö-
niger Fehltage als die Vergleichsgruppe.10 Eine positive   heren Motivation und damit auch zu einer gesteigerten
Unternehmenskultur lohnt sich doppelt: einerseits, weil    Leistungsfähigkeit führen. Nach Ansicht der Forscher
durch den Abbau von negativen Stressfaktoren die tat-      lassen sich dadurch im Schnitt Profitabilitätszuwächse
sächliche Krankheitsrate abnimmt. Andererseits, weil       in Höhe von 11% realisieren.
Anreize entfallen, Krankheiten vorzutäuschen, um dem
Arbeitsplatz fernzubleiben.                                Krekel et al. betrachteten im Rahmen einer Studie die
                                                           Produktivität von fast zwei Millionen Beschäftigten in
Laut einer Datenerhebung11 der Bundesanstalt für Ar-       230 Organisationen, verteilt auf 73 Länder. Auch sie
beitsschutz und Arbeitsmedizin sind gesunde Mitarbei-      maßen eine starke positive Korrelation zwischen dem
terinnen und Mitarbeiter grundsätzlich über verschie-      Wohlbefinden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
dene Dimensionen hinweg zufriedener und motivierter.       und ihrer Leistungsfähigkeit. Dies galt vor allem in
Konkret in Zahlen: Personen mit einem guten Gesund-        den Bereichen Kundenloyalität, Leistungsfähigkeit der
heitszustand empfinden zu 92% auch das Betriebskli-        Belegschaft und Profitabilität des jeweiligen Unterneh-
ma in ihrem Unternehmen als gut. Personen mit einem        mens. Die Fluktuation wiederum sank mit steigendem
schlechteren Gesundheitszustand hingegen nur in 72%        Wohlbefinden.15
der Fälle.
                                                           Die Bedürfnispyramide von Maslow liefert einen guten
Badura et al. berichten im Rahmen einer Repräsenta-        Erklärungsansatz zur Mitarbeitermotivation. Wer unzu-
tivbefragung12 von noch größeren Unterschieden. Dar-       frieden ist und nur in einem Unternehmen arbeitet, um
in heißt es, dass 80% der sehr gesunden Beschäftigten      Geld zu verdienen, bewegt sich auf der untersten Stufe
mit ihrem Arbeitgeber zufrieden sind. Bei den sehr         dieser Pyramide. Das heißt, er oder sie versucht, im Un-
ungesunden waren es hingegen nur 8%.13 Daraus lässt        ternehmen zu überleben. Beschäftigte dieser Kategorie
sich einmal mehr ableiten, dass gesündere Beschäftigte     werden alles tun, um ihre Arbeit mit dem geringsten
grundsätzlich zufriedener sind und damit auch moti-        Aufwand zu erledigen. Dem Unternehmen zum maxi-
vierter arbeiten.                                          mal möglichen Erfolg verhelfen sie nicht. Mitarbeite-
                                                           rinnen und Mitarbeiter, die sich dagegen hoch moti-
Der Gallup Engagement Index misst die Auswirkungen         viert auf der obersten Stufe (der Selbstverwirklichung)
von Motivation auf die Leistungsfähigkeit von Personen.    befinden, lieben ihren Job. Sie hoffen, durch ihre Arbeit
Mit einem dramatischen Ergebnis: Aus der Untersu-          Menschen zu inspirieren und Dinge zu verändern.16 Für
chung der Wissenschaftler geht hervor, dass der deut-      jedes Unternehmen kann das nur eines bedeuten: Es
schen Volkswirtschaft jedes Jahr rund 99 Milliarden        muss sich darum bemühen, möglichst viele Beschäftig-
Euro aufgrund einer mangelhaften Arbeitnehmermoti-         te so zu motivieren, dass sie die oberste Stufe der Pyra-
vation verloren gehen.14                                   mide erreichen.
Corporate Health Management | 9

Alle diese Studien haben eines gemeinsam: Sie zeigen              Ein Blick auf die Zahl der potenziellen Erwerbstätigen
eindringlich, wie sich für jedes Unternehmen durch                zeigt jedoch, dass dieses Problem deutschen Unterneh-
gezielte Investitionen im Bereich Gesundheitsmanage-              men bisher keine allzu großen Probleme bereitete. In
ment das Betriebsergebnis steigern lässt. Eine Erkennt-           den kommenden Jahren wird sich das allerdings radikal
nis, die naheliegt und trotzdem viel zu oft übersehen             ändern: Die "Babyboomer" gehen in Rente, durch Zu-
wird. Zu wenige Unternehmen in Deutschland haben                  wanderung aus dem Ausland können die Engpässe der
sie verinnerlicht. Eine Empfehlung können wir deshalb             geburtenschwachen Jahrgänge nicht mehr ausreichend
bereits jetzt aussprechen: "Corporate Health Manage-              aufgefangen werden.17 C
ment" muss in den Unternehmen endlich zur "Chefsa-
che" erklärt werden.                                              Empirische Untersuchungen stimmen wenig optimis-
                                                                  tisch. Eine Befragung unter Personalern ergab, dass
Wettbewerb um die besten Talente                                  55% den Fachkräftemangel bereits heute stark oder
                                                                  sehr stark spüren.18 Auch die Bundesagentur für Arbeit
Bereits 1997 rief Steven Hankin den "War for Talents"             bestätigt einen starken Nachfrageüberschuss.19 Außer-
aus. Er beschrieb damit die wachsende Kluft zwischen              dem heißt es, dass es für Unternehmen immer schwieri-
einer steigenden Nachfrage nach gut ausgebildeten Ar-             ger wird, die veränderten Bedürfnisse jüngerer Beschäf-
beitskräften und dem gleichzeitig gesunkenen Angebot.             tigter zu erfüllen.

C Entwicklung der potenziell Erwerbstätigen in Deutschland
[in Millionen]

50

45

40

35
        1950       1960   1970   1980     1990         2000          2010         2020           2030    2040     2050      2060

Quelle: Destatis                         Mögliche Erwerbstätige in Deutschland (25 – 67 Jahre)
10 | Corporate Health Management

D Krankentage pro Jahr in Deutschland                      E Verteilung der Erwerbstätigen nach Altersgruppe
[in Millionen]                                             [in Prozent]
                                                                                           73          63
                          +37%
                                 449

                   328

                                                                                                       37
                                                                                           27
                                                               Erwerbstätige ≤ 50
                                                               Erwerbstätige > 50

                   2008          2018                                               2008        2018

Quelle: Destatis                                           Quelle: Destatis

In kritischen Bereichen wird der "War for Talents" be-     Anstieg der Krankentage
reits heute mit deutlich härteren Bandagen ausge-
fochten. Die Nachfrage nach jungen Talenten in den         Wie eingangs ausgeführt, ist Gesundheit im Unterneh-
MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwis-            men mehr als die simple Reduzierung von Kranken­
senschaft, Technik) hat sich durch die Digitalisierung     tagen. Gleichwohl sind diese ein relevanter Faktor mit
noch einmal erhöht. Laut der Bundesagentur für Arbeit      zunehmender Bedeutung in den Betrieben. So sind die
kommen im MINT-Bereich aktuell 187 Arbeitslose auf         Krankentage in Deutschland von 2008 bis 2018 um rund
100 gemeldete nicht besetzte Stellen – im Durchschnitt     37% auf einen Stand von 449 Millionen Tagen angestie-
aller Fächer kommen 438 Arbeitslose auf 100 gemeldete      gen D
nicht besetzte Stellen. Gleichzeitig sind die Studieren-
denzahlen in diesem Bereich rückläufig. Im Rekord-Stu-     Die Zahl der Krankentage wird aus den Zahlen des Sta-
dienjahr 2011/2012 begannen noch rund 207.000 Stu-         tistischen Bundesamtes zu Erwerbstätigen und zum
dierende ein Studium in den MINT-Fächern. 2018/2019        Krankenstand in Deutschland errechnet, welches für
waren es nur noch 195.00020. Ein Rückgang von 12.000       beide Jahre Krankenstände von 3,4 bzw. 4,3% der ver-
Studierenden pro Jahr ist für sich genommen noch nicht     fügbaren Arbeitszeit über alle Erwerbstätigen angibt.22
alarmierend für Unternehmen. Eine Untersuchung des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie bestä-        Wir haben diese Zahlenbasis mit den Zahlen aus den
tigt aber den Fachkräfteengpass. 352 von 801 Berufsgat-    ­Gesundheitsberichten der Gesetzlichen Krankenver-
tungen sind inzwischen davon betroffen.21                   sicherung (GKV) abgeglichen, welche generell höher
Corporate Health Management | 11

F Krankenstand in Deutschland nach Alterskohorte [bezogen auf 249 Arbeitstage]
[in Prozent]
10           2008       2018

                                                                                                                               8,0

                                                                                                                   6,4

                                                                                                       5,3   5,3
                                                                                                                         4,9
 5                                                                                         4,5   4,3
                                                                               3,8
                                                                  3,3                3,5
             3,0              3,0                     2,9                3,1
       2,7              2,6               2,8               2,8
                                    2,3         2,5

 0
        15 – 19         20 – 24     25 – 29     30 – 34     35 – 39      40 – 44     45 – 49     50 – 54     55 – 59      > 60

Quelle: Destatis, GKV

liegen. Aus den verfügbaren Berichten, die ca. 91%                      gen. So ist die Zahl der Erwerbstätigen, welche jährlich
der GKV abdecken, ergibt sich ein Krankenstand von                      (wie die anderen für diese Berechnung verwendeten
5,1% für 2018. Grund für diese Abweichung ist die un-                   Zahlen) vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht
terschiedliche Populationsbasis. Die GKV enthält die                    wird, zum Beispiel im betrachteten Zeitraum von 38,7
Daten aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten                  Millionen (2008) auf 41,9 Millionen (2018) angestie-
inklusive der Arbeitslosen. Die offizielle Statistik erfasst            gen.23 Treiber hierfür waren der Rückgang der Arbeits-
die Arbeitslosen hingegen nicht, in der Regel weisen sie                losenzahlen von 3,2 auf 1,5 Millionen24 sowie das
einen höheren Krankenstand auf. Sehr wohl enthalten                     Wachstum der Bevölkerung von 80,8 Millionen auf 83,0
sind dafür aber die Privatversicherten, wo besonders bei                Millionen25 durch Zuwanderung.
den Selbstständigen eine hohe nicht erfasste Anzahl an
Krankheitstagen zu vermuten ist. Wir arbeiten im Wei-                   Gleichzeitig altern die Belegschaften. Das Durch-
teren mit den niedrigeren Zahlen von Destatis (4,3% vs.                 schnittsalter der Beschäftigten in Deutschland stieg
5,1% bei der GKV), sodass die Krankheitslast in Deutsch-                von 41 auf 43 Jahre.26 Die höheren Alterskohorten mit
land tendenziell eher etwas zu niedrig dargestellt wird.                größeren Krankenständen sind somit in der Erwerbs­
                                                                        bevölkerung überrepräsentiert. Die Altersgruppe der
Die Ursachen für die steigende Zahl der Krankentage                     über 50-Jährigen machte beispielsweise 2008 noch 27%
sind eine insgesamt wachsende Beschäftigtenzahl, die                    aus, zehn Jahre später waren es bereits 37% der Arbeit-
Alterung der Belegschaften und ein Anstieg der Krank-                   nehmer. Dieser demografische Wandel sorgt für 45 Mil-
heitshäufigkeit, besonders bei psychischen Erkrankun-                   lionen zusätzliche Krankentage. E
12 | Corporate Health Management

Schließlich gibt es noch einen dritten Effekt: Der Kran-   G Gründe für den Anstieg der Krankentage
kenstand stieg nämlich auch in jeder einzelnen Al-         in Deutschland
terskohorte an. Die deutschen Arbeitnehmerinnen und        [in Millionen]
Arbeitnehmer sind bei einem Vergleich der Altersstufen
jeweils häufiger krank als noch zehn Jahre zuvor. F                      +37%
                                                                                      449
Dieser Effekt lässt sich fast vollständig auf das Wachs-
                                                                                       53     Anstieg psychischer Erkrankungen
 tum bei den psychischen Erkrankungen zurückführen.
                                                                                       45     Demografischer Wandel
Wurden 2008 pro Erwerbstätigen noch 1,6 Fehltage                 328                   27     Größere Arbeitnehmerschaft
­aufgrund psychischer Erkrankungen verzeichnet, ­waren
es im Jahr 2018 bereits 3,0.27 Ein Anstieg um 88% und
damit um 53 Millionen zusätzliche Krankentage pro
Jahr.                                                                                 328 Krankentage 2008

Die Zunahme der psychischen Erkrankungen ist hin-
länglich bekannt. Weiter diskutiert wird aber die Frage,
ob die Zahl der Erkrankten oder nur die Zahl der doku-                                 -4     Rückgang sonstiger Erkrankungen
mentierten Diagnosen zugenommen habe. Interessan-               2008                  2018
terweise ist die Zunahme im restlichen Gesundheits-
system geringer als bei den Krankentagen. In der GKV       Quelle: Destatis, GKV, eigene Berechnungen
stieg die Zahl der Diagnosen im gleichen Zeitraum nur
um 66%28 – und das obwohl dem Risikostrukturaus-           die früher beispielsweise als Rückenerkrankungen er-
gleich (RSA) eher ein Anreiz zur Überdiagnostizierung      fasst wurden, stärker auf psychische Ursachen zurück-
unterstellt wird. Die tatsächliche Inanspruchnahme         geführt werden. G
von Versorgungsleistungen stieg im gleichen Zeitraum
sogar noch geringer, nämlich um 42% in der ambu-           Volkswirtschaftlicher Schaden
lanten Psychotherapie und um 10% in der stationären
Versorgung.29 Ein mögliches Erklärungsmuster könnte        Mit den Krankentagen steigt auch der volkswirtschaftli-
also darin liegen, dass Versorgungsengpässe zu einer       che Schaden beziehungsweise die Kosten für die Gesell-
Erhöhung der Krankheitstage führen, weil längere War-      schaft. Im Jahr 2008 betrugen sie noch 45,4 Milliarden
tezeiten eine Chronifizierung der Beschwerden verursa-     Euro und 2018 bereits 78 Milliarden Euro, was einem
chen.                                                      Anstieg von 73% entspricht. Diese Zunahme ist teilwei-
                                                           se auf das gestiegene Durchschnittseinkommen (28.056
Zusammenfassung: Die beschriebenen drei Faktoren           Euro in 2008 vs. 36.084 Euro in 2018)30 bei gleichzeitig
 ergäben in Summe einen Anstieg der Krankheitstage,        leicht gesunkenen Lohnnebenkosten (23%/21%) zu-
 der um 4 Millionen höher liegen würde als bisher ange-    rückzuführen. Den größten Einfluss hat aber unbestrit-
 nommen. Dies kann allerdings auch auf ein verändertes     ten das starke Wachstum der Krankentage. Es besteht
­Diagnoseverhalten zurückzuführen sein, sodass Fälle,      also dringender Handlungsbedarf.
2.
Das Potenzial zur För­der­ung
von Gesundheit wird heute
nicht ausgeschöpft

Trotz zahlreicher naheliegender Gründe, sich als Unter-    langwierigen Prozess stellt das im Jahr 2016 in Kraft
nehmen umfassend um die Gesundheit von Mitarbei-           getretene Präventionsgesetz dar. Es verpflichtet die
terinnen und Mitarbeitern zu kümmern, werden die           Kranken- und Pflegekassen, über 500 Millionen Euro
Chancen eines aktiven Gesundheitsmanagements bis           im Jahr für Gesundheitsförderung und Prävention aus-
heute nicht ausreichend genutzt.                           zugeben.33

Entwicklung der betrieblichen Gesundheit                   Rückläufiges Interesse

Bemühungen von Arbeitgebern, die Gesundheit ihrer          Im Zeitraum von 2005 bis 2015 erschienen viele Publi-
Beschäftigten zu verbessern, gibt es bereits seit Anfang   kationen zu betrieblichem Gesundheitsmanagement.
der 1940er Jahre. In dieser Zeit kam das Thema "Emplo-     Nutzen und Rendite wurden sehr optimistisch beziffert,
yee Assistance Programs" (EAP) in den USA zum ersten       und ein "Return on Investment" (ROI) wurde mindes-
Mal auf. Hintergrund war, dass aufgrund des Zweiten        tens mit 2:1 oder 3:1, oft noch höher beziffert. Inzwi-
Weltkrieges und der wachsenden Perspektivlosigkeit         schen hat sich die Zahl der veröffentlichten Studien ge-
in einigen Bevölkerungsgruppen die Fälle von Alkohol-      rade seit Inkrafttreten des neuen Präventionsgesetzes
missbrauch zunahmen. Gleichzeitig stuften Mediziner        in Deutschland im deutschsprachigen Raum insgesamt
Sucht als Krankheit ein, die wie jede andere Erkran-       deutlich reduziert. Ein naheliegender Grund könnte in
kung behandelt werden musste. In dieser Zeit wurden        der schweren Umsetzbarkeit vieler Maßnahmen liegen
als erste Sofortmaßnahme sämtliche Beschäftigten von       und auf dem Nichterreichen der erwarteten Rendite.
Unternehmen geschult, Kollegen mit Suchtproblemen
zu identifizieren und sie von einer Behandlung zu über-    Eine aktuelle Metastudie zu den beschriebenen Effek-
zeugen.31                                                  ten kann nur auf ältere Publikationen verweisen.34 Aktu-
                                                           ell werden kaum noch Studien publiziert, die sich ganz
Einen stärkeren Fokus auf die präventive Gesundheits-      allgemein mit dem Thema befassen. Einzig die Zahl der
förderung legten die Behörden in Deutschland gegen         Publikationen mit Fokus auf psychische Gesundheit
Ende der 1980er Jahre. Großen Anteil daran hatte unter     und Digitalisierung nimmt weiter zu, was angesichts
anderem das 1989 geschaffene Gesundheitsreformge-          der steigenden Bedeutung psychischer Erkrankungen
setz, welches den Krankenkassen erstmals die Möglich-      verständlich ist.35 Der Anstieg ist vermutlich mit neuen
keit gab, präventive und gesundheitsfördernde Maß-         Möglichkeiten zu erklären, durch digitale Initiativen
nahmen durchzuführen.32 Ein Meilenstein in diesem          vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kostengüns-
14 | Corporate Health Management

tig Zugang zu Gesundheitsmaßnahmen zu ermöglichen.           im Bereich der betrieblichen Gesundheit zurückgreifen
Auch die grundsätzliche Aktualität des Themas Digitali-      können.37
sierung dürfte eine entscheidende Rolle spielen.
                                                             Haufe berichtet dagegen noch 2019, dass vor allem im
Der Status quo in Deutschland                                Mittelstand nur wenige Unternehmen diese Maßnah-
                                                             men überhaupt anbieten. Primärer Hintergrund sei,
Mit Blick auf die stark ansteigenden Krankentage kann        dass diese Unternehmen hier von einer Bringschuld
davon ausgegangen werden, dass in den vergangenen            der Beschäftigten ausgehen. In diesem Zusammenhang
Jahren zu wenig in den Bereich der betrieblichen Ge-         wird von einer allgemeinen Teilnahmerate in Höhe von
sundheit investiert wurde. Betroffene Unternehmen            50% gesprochen.38 Das deckt sich mit einer Mehrthe-
hätten stärker und effizienter handeln können und            menbefragung von Statista aus dem Jahr 2017. Darin
sollen. Allerdings berichtet eine Statista-Mehrthemen-       heißt es, dass nur 50% der Beschäftigten von der Mög-
befragung aus dem Jahr 2017 auch, dass nur rund zwei         lichkeit zur Teilnahme am betrieblichen Gesundheits-
Drittel der Beschäftigten diese Angebote – sofern sie vor-   management Gebrauch machen.39
handen sind – auch wahrnehmen.36
                                                             Zusätzlich zu dieser relativ geringen Teilnahmerate ge-
Bei Weitem nicht allen Beschäftigten werden Maßnah-          ben die Unternehmen heutzutage nur wenig Geld für
men in diesem Bereich angeboten. Ein wichtiger Grund         vorbeugende Maßnahmen aus. Ein großes Pharmaun-
könnte darin liegen, dass viele Unternehmen nicht an         ternehmen gibt beispielsweise an, den Beschäftigten
die Wirksamkeit der Maßnahmen glauben. Langsam               Trainings, Präventionskurse, Vorträge, Vorsorgetermine
findet aber ein Umdenken statt. Die Teilnahmerate der        und Trainingspläne über eine eigene Gesundheitsplatt-
Unternehmen an entsprechenden Programmen ist in              form anzubieten. Die kostenpflichtigen Leistungen auf
den letzten Jahren leicht angestiegen, liegt aktuell aber    dieser Plattform erhalten die Beschäftigten zu vergüns-
noch unter 65%. Eine genaue Bezifferung ist schwie­          tigten Konditionen. Darüber hinaus gibt das Unterneh-
rig. Es handelt sich um Eigenangaben der Beschäftigten,      men an, bis zu 25 Euro im Jahr pro Beschäftigten für
sodass die tatsächliche Zahl vermutlich überschätzt          zertifizierte Präventionskurse auszugeben.
wird.
                                                             Eine andere Untersuchung kommt auf Ausgaben in
In vielen Unternehmen werden auch punktuelle Maß-            Höhe von rund 60 Euro pro Mitarbeiter/-in und Jahr.40
nahmen (wie zum Beispiel das Bereitstellen von Obst)         In den geführten Expertengesprächen geben mehrere
als Bemühung in diesem Bereich angegeben. Die pronova        Unternehmen an, über 100 Euro im Jahr (teilweise sogar
BKK führte zum Thema der betrieblichen Gesundheit            deutlich mehr) in diesem Bereich aufzuwenden. Hier
eine Umfrage durch, bei welcher untersucht wurde, was        muss jedoch beachtet werden, dass die befragten Un­
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre Gesundheit         ternehmen vermutlich eine höhere Affinität für prä­
tun und ob der Arbeitgeber sie bei diesem Bestreben un-      ventives Gesundheitsmanagement aufweisen als der
terstützt. Eines der Ergebnisse der Befragung von 1.650      Durchschnitt. Um dies in Relation zu setzen: Haufe
Beschäftigten verschiedenster Unternehmen ist, dass          schätzt, dass ein Unternehmen 350 bis 500 Euro pro Per-
rund zwei Drittel in ihrem Unternehmen auf Angebote          son ausgeben müsste, um gesundheitliche Probleme
Corporate Health Management | 15

der Beschäftigten zu lösen und gesundheitliche Risi­      Um diese Zahl einzuordnen, hilft ein Vergleich mit
ken in der Zukunft zu vermeiden.41 Diese Zahlen kön-      den Präventionsausgaben der Deutschen Gesetzlichen
nen als Anhaltspunkte genutzt werden, geben jedoch        Unfallversicherung. In diesem System werden aktuell
nur eine isolierte und individuelle Literaturmeinung      ­circa 1,2 Milliarden Euro aufgewandt.44 Eine Zahl, die
wieder.                                                   die niedrigen Ausgaben der Unternehmen und GKVen
                                                          für ­Gesundheit und Prävention klein erscheinen lässt.
Die große Diskrepanz zwischen rational gebotenen und      Denn Unfälle verursachen in Deutschland nur 5,8% der
den tatsächlich getätigten Ausgaben kann als Indikator    Krankentage und somit einen volkswirtschaftlichen
dafür angesehen werden, dass die Unternehmen heut-         Schaden von 4,4 Mrd. Euro.45 H
zutage zurückhaltend mit Investitionen sind und aus
diesem Grund viel Potenzial ungenutzt lassen.

Größe des Marktes                                         H Verhältnis von Verteilung der Krankentage
                                                          zu den Ausgaben
Diese Skepsis der Unternehmen spiegelt sich auch im       [in Prozent]                             [in Millionen]
aktuellen Marktvolumen in Deutschland wider. Das             Sonstige Krankentage                     Unternehmen und GKVen
Volumen quantifizieren wir über eine Approximation           Unfälle                                  Unfallversicherung
über die Einzelausgaben der beteiligten Akteure (Unter­
nehmen und gesetzliche Krankenversicherungen).
                                                                  94,2      5,8                        1.200               958
Unternehmen in Deutschland stellten 2019 33,4 Millio-
nen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte an.42 Als
Anteil der durch Maßnahmen erreichten Beschäftigten
verwenden wir den Mittelwert der drei genannten Stu-
dien (55,6%). Gleiches gilt für die Ausgaben pro Mitar­
beiter/-in und Jahr (42,5 Euro). Insgesamt investieren
die Unternehmen in Deutschland demnach 788 Mil­
lionen Euro pro Jahr. Die gesetzlichen Krankenversiche-
rungen geben laut GKV-Spitzenverband noch einmal
170 Millionen Euro zusätzlich für Betriebliches Gesund-    Verteilung der Krankentage                    Ausgaben für
heitsmanagement (BGM) aus43. So ergibt sich ein aktu-                                                Gesundheit/Prävention
elles Marktvolumen in Höhe von 958 Millionen Euro.
Hinzu kommen die schwer zu beziffernden internen          Quelle: GKV, DGUV, eigene Berechnungen
Ausgaben der Unternehmen in Form von Investitionen
und Personalkosten, sodass sich ein Gesamtwert von
über einer Milliarde Euro ergibt. Dies allerdings steht
im Verhältnis zu volkswirtschaftlichen Verlusten von
78 Milliarden Euro allein durch Fehltage.
3.
           Hürden auf dem Weg zum
          ­betrieb­lichen Gesundheits­
           management

Angesichts des großen wirtschaftlichen Potenzials be-          I46 Hürden für erfolgreiches betriebliches
trieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) wäre zu               Gesundheitsmanagement47
vermuten, dass jedes Unternehmen verstärkte Maßnah-            [in Prozent]
men in diesem Bereich ergreift. Unternehmen stehen
jedoch vor einer Reihe von Hürden, die sie an der Ein-         Vorrang des
                                                                                                                     61
                                                               Tagesgeschäftes
führung und Umsetzung eines BGM hindern.
                                                               Fehlende Ressourcen
                                                                                                                56
Vorrang des Tagesgeschäftes                                    für BGM
und fehlende Ressourcen                                        Fehlendes Wissen
                                                                                                           38
                                                               über Umsetzung
Die beiden ersten Hürden hängen zusammen: 61%                  Kein persönliches
der Un­ternehmen geben an, dass sie bei der Verteilung des                                                 37
                                                               Engagement
Personals im Zweifelsfall immer dem Tagesgeschäft den
                                                               Umsetzung zu
Vorrang geben – es fehlt schlicht an der Zeit, sich mit dem                                               34
                                                               kostspielig
Thema zu befassen. 56% der Unternehmen geben fehlen-
de interne Ressourcen als Hürde für ein erfolgreiches BGM      Kein Wissen über
                                                                                                      33
                                                               externe Unterstützung
an. Diese Ressourcen werden dann weiter in drei Teilprob-
leme unterteilt, an erster Stelle das fehlende spezialisier-   Fehlende Motivation
                                                                                                      33
                                                               der Belegschaft
te48 Personal. Es mangelt demnach an dedizierten Beschäf-
tigten, die sich über einen längeren Zeitraum mit dem          Fehlendes Wissen
                                                                                                     29
Thema beschäftigen, ein Konzept erstellen und dieses           über Anbieter
umsetzen. Zweiter Unterpunkt sind die finanziellen Mittel      Unbekannter
                                                                                                23
für Maßnahmen der be­trieblichen Gesundheit. Den Unter-        Bedarf
nehmen ist nicht klar, ob und wie sich ihre Investitionen
                                                               Keine Unterstützung
refinanzieren. Drittens fehle das Know-how für die selbst-                                 11
                                                               durch Betriebsrat
ständige Umsetzung von Programmen sowie das Wissen,
                                                               Andere
welche Anbieter und welche Angebote es in diesem Be-                                   5
                                                               Hürden
reich gibt. Eine weitere Hürde für die Einführung von BGM
besteht laut IGA-Studie im fehlenden persönlichen En-
gagement der Führungskräfte49. I                               Quelle: IGA
Corporate Health Management | 17

Einzelmaßnahmen bremsen ganzheitliches                        große Motivation darstellen würden, die Maßnahmen
Corporate Health Management                                   im Unternehmen auszuweiten beziehungsweise erste
                                                              Maßnahmen zu initiieren54.
Darüber hinaus gibt es in vielen Unternehmen heut­
zutage bereits Maßnahmen zur Förderung der Gesund-            Unklare Bedürfnisse
heit. So werden beispielsweise häufig Mahlzeiten in
der Kantine oder die Mitgliedschaft im Fitnessstudio          Hinzu kommt, dass Unternehmen häufig nicht wissen,
subventioniert. Zu häufig bleibt es jedoch bei solchen        mit welchen Maßnahmen sie konkrete Erfolge im Sinne
einzelnen, nicht in ein umfassendes Programm inte­            der Steigerung von Wirtschaftlichkeit und Mitarbeiter-
grierten Maßnahmen. Dabei ist gerade die Ganzheitlich-        zufriedenheit erreichen können. Im Rahmen einer Um-
keit eines Programms der entscheidende Erfolgsfaktor          frage geben 44% der Unternehmen an, dass sie fehlen-
eines modernen Corporate Health Managements. Ein-             des Wissen über die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen
seitige Programme führen nämlich häufig zu geringen           und Mitarbeiter an der Umsetzung eines betrieblichen
oder gar keinen positiven Ergebnissen. Ein ganzheit­          Gesundheitsmanagements hindert55. Dieses Problem
liches Programm baut auf drei Säulen auf: Arbeits- und        tritt noch stärker im Bereich der Unternehmenskultur
Gesundheitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung          auf. Hier haben Führungskräfte sehr große Schwierig­
und Eingliederungsmanagement50.                               keiten, die Wünsche und Bedürfnisse der ­Belegschaft
                                                              zu erkennen.
Unklarheit über positive Effekte
                                                              Fehlende Motivation der Beschäftigten
Das Engagement der Unternehmen wird außerdem da-
durch gebremst, dass sich der Mehrwert ganzheitlicher         In einer Studie der IGA geben 33% der Unternehmen
Programme nicht eindeutig bestimmen lässt. Studien,           die fehlende Motivation der Mitarbeitenden als Grund
welche den ROI im Bereich der betrieblichen Gesund-           an, den Ausbau von Maßnahmen der betrieblichen Ge-
heit untersuchen, kommen zu unterschiedlichen Ergeb-          sundheit nicht weiter voranzutreiben56. Dies darf jedoch
nissen. So wird von möglichen ROIs zwischen 2,7 (IGA)51       nicht zwangsläufig als Defizit seitens der Beschäftig-
und 5,56 (Chapman)52 berichtet. Diese Werte liegen sehr       ten ge­wertet werden. Laut Oliver Walle von der Deut-
weit auseinander.                                             schen Hochschule für Prävention und Gesundheits­
                                                              management besteht ein starker Zusammenhang
 Außerdem sind sie deutlich höher als normalerweise er-       zwischen der Führungskultur in einem Unternehmen
 reichbare ROIs – vielen Unternehmen erscheinen sie da-       und dem Interesse der Beschäftigten an solchen Ange-
 her als unrealistisch. Der durchschnittliche ROI liegt für   boten. Bei schlechter Unternehmens- und Führungs-
"normales" unternehmerisches Handeln im deutschen             kultur ist eine offene Befassung mit Krankheit und Ge-
 Mittelstand im Schnitt bei ungefähr 0,153. Diese Unsi-       sundheit nicht möglich. Die Angst, sich angreifbar zu
 cherheit spiegelt sich ebenfalls in der Umfrage der IGA      machen, ist zu groß. Eine mögliche Lösung sind externe
 aus dem Jahr 2011 wider. Hier geben 47% der deutschen        Angebote wie EAP. Darüber hinaus können digitale An-
 Unternehmen an, dass zusätzliche Informationen über          gebote die Anonymität und damit das Vertrauen und die
 den tatsächlichen Mehrwert solcher Maßnahmen eine            Akzeptanz der Beschäftigten steigern.57
4.
              Corporate Health
              Management als
              langfristiger Erfolgsfaktor

Wenn Unternehmen die beschriebenen Hürden über-            Die Studien von Grossmeier et al. und Yu & Bang zeigen,
winden, können sie ihren Erfolg durch abgestimmte          dass sich die Aktienkurse von denjenigen Unternehmen
Maßnahmen im Bereich der betrieblichen Gesundheit          besser entwickeln, die im Bereich der betrieblichen Ge-
langfristig steigern. Sie erhöhen die Leistungsfähig-      sundheit gut bewertet werden. Der Kurs dieser Unter-
keit der Belegschaft, senken die Krankheitskosten und      nehmen stieg pro Jahr um 10 Prozentpunkte stärker an.
verbessern zudem ihre Position am Arbeitsmarkt. Das        Gleichzeitig wurde ein um 11% höherer Umsatz pro Mit-
erleichtert es ihnen, qualifizierte Mitarbeitende zu ge-   arbeiter/-in in Unternehmen mit effektiven Gesundheits-
winnen und zu halten.                                      maßnahmen ermittelt.

Steigerung der Leistungsfähigkeit                          Badura et al. berichten darüber hinaus von höherer geis-
                                                           tiger Leistungsfähigkeit und stärkerer Stressresistenz in
Das größte Potenzial eines neu gedachten Corporate         Unternehmen, in denen es ein an die Beschäftigten an-
­Health Managements besteht in der Leistungssteigerung     gepasstes und verhaltensbasiertes betriebliches Gesund-
 der Beschäftigten und damit des gesamten Unternehmens.    heitsmanagement gibt58. J

J Ergebnisse des Ausbaus von betrieblicher Gesundheit

Erhöhung der Leistungsfähigkeit            Senkung der Krankheitskosten                  Verbesserung der
                                                                                  Positionierung am Arbeitsmarkt

Quelle: Roland Berger
Corporate Health Management | 19

Die von uns befragten Unternehmen bestätigen diesen           tig angesetzt weitere 5% der restlichen Krankheitskosten
Zusammenhang: Ein umfassendes Gesundheitsmanage-              abgesenkt werden, was eine Einsparung in Höhe von 2,9
ment wirkt sich positiv auf die Leistungsfähigkeit der Mit-   Milliarden Euro bedeuten würde. Unter Einbeziehung
arbeitenden und damit auf die Leistungsfähigkeit des Ge-      dieser Werte ist eine potenzielle Reduktion des volkswirt-
samtunternehmens aus.                                         schaftlichen Schadens in einer Größenordnung von 9,0
                                                              Milliarden Euro p. a. denkbar.
Senkung der Krankheitskosten
                                                               KOSTEN             EINSPARPOTENZIAL
Betriebliches Gesundheitsmanagement steigert nicht nur                            in % in Millionen in Milliarden
  die Leistung der Beschäftigten. Großes Potenzial zeigt                               Tagen        Euro
BGM auch in der Senkung der Krankentage. Vor allem             Erkrankungen        20        8,9           1,3
­Erkrankungen von Psyche und Rücken können durch               des Rückens
 ­frühe Interventionen verhindert werden. Hier ist der
                                                               Erkrankungen        20       24,9          3,6
 Einfluss auf das Unternehmensergebnis am einfachsten          der Psyche
  ­direkt messbar.
                                                               Weitere              3        8,4           1,2
                                                               Erkrankungen
Wir weisen die Potenziale hier in Form einer Modell­
rechnung aus: Bei konsequenter Prävention und früher           Mögliche             5       20,3          2,9
                                                               Abstrahleffekte
Behandlung psychischer Erkrankungen und Rücken­
leiden kann eine Einsparung in Höhe von 20% der Krank-         Gesamt                       62,5          9,0
heitskosten erwartet werden. Insgesamt sind diese beiden
Krank­heitsgruppen in Deutschland für 151 Millionen           Darüber hinaus sind bei einer mittelfristigen Betrachtung
Krankentage59 und somit für rund 33% der Krankentage          noch deutlich höhere Einsparungen sichtbar. Eine aktu-
verantwortlich. Umgerechnet könnten bei psychischen           elle Untersuchung (Forbes 2020) schätzt, dass sogar eine
Erkrankungen 3,6 Milliarden Euro und bei Erkrankun-           Senkung von 20% über alle Krankentage möglich wäre. Da
gen des Rückens 1,3 Milliarden Euro pro Jahr eingespart       sich viele gesundheitliche Beschwerden über Jahre erstre-
­werden. Dies entspricht insgesamt einem Einsparpoten­        cken, hat eine frühzeitige Verbesserung mithilfe von BGM
 zial von 33,8 Millionen Krankheitstagen oder 4,9 Milliar-    nicht nur Auswirkungen auf die direkten Fehltage, son-
den Euro.                                                     dern auch auf den Krankheitsverlauf und die Fehltage in
                                                              den Folgejahren.
Bei weiteren Erkrankungen (bspw. Herz/Kreislauf) sind
ebenfalls Effekte zu vermuten, wenn auch schwieriger zu       Anwerben und Halten von Beschäftigten
erzielen. Daher setzen wir hier nur 3% der Krankheits­
kosten oder 1,2 Milliarden Euro an. Schließlich entstehen     Neben der Senkung der Krankheitskosten können Unter-
Abstrahleffekte über alle Krankheitsarten. Wie beschrie-      nehmen von einer besseren Positionierung am Arbeits-
ben kann durch eine höhere Motivation und Zufriedenheit       markt, einer höheren Arbeitgeberattraktivität und einer
der Mitarbeitenden die Krankheitsrate gesenkt werden60.       damit einhergehenden geringeren Fluktuationsrate pro-
Nach den oben zitierten Einschätzungen könnten vorsich-       fitieren.
20 | Corporate Health Management

In einer Umfrage aus dem Jahr 2017 geben 80% der Be-           angemessener und ist in ihrer Größenordnung auch auf
fragten an, dass Gesundheit für sie sehr wichtig und erstre-   die Situation in Deutschland übertragbar.
benswert ist. Dies stellt in der Befragung den Höchstwert
dar61. Allerdings erwarten gerade die jungen Generationen      Bei einer Unternehmensgröße von 1.000 verlassen also
(Gen Z/Millennials) von Unternehmen keine klassischen          ­jedes Jahr 110 Personen ihren Arbeitgeber. Laut einer Stu-
Maßnahmen betrieblicher Gesundheit wie beispielsweise           die von Oxford Economics in ausgewählten Wirtschafts-
Sportangebote; diese werden als Teil der Freizeit und da-       sektoren liegen die durchschnittlichen Kosten einer Neu-
mit unabhängig vom Unternehmen gesehen62. Vielmehr              einstellung bei rund 34.000 Euro67. Die Kosten entstehen
sind jüngeren Mitarbeitergenerationen ein gesundes Be-          zum einen durch den Ausfall der Arbeitskraft bis zur Neu-
triebsklima und die Möglichkeit, sich selbst um die Ge-         besetzung, zum anderen durch die Rekrutierungs- und
sundheit zu kümmern, wichtig.                                  Einarbeitungskosten. Die Fluktuationskosten bei 1.000
                                                               Mitarbeitenden und 110 unfreiwilligen Abgängen betra-
Bei den angebotenen Maßnahmen müssen die Unterneh-              gen also rund 3,7 Millionen Euro im Jahr. Wenn durch
men deshalb darauf achten, dass diese zu den Wünschen           gutes Gesundheitsmanagement und eine gesunde Unter-
und Bedürfnissen der jungen Generationen passen. So hat         nehmens- und Führungskultur die Fluktuation um 20%
eine Studie des Zukunftsinstituts aus dem Jahr 2013 ge-         gesenkt werden kann68, können diese Vergleichsunter­
zeigt, dass gerade der Generation Y (Geburtsjahrgang ca.        nehmen 748.000 Euro pro Jahr beziehungsweise 748 Euro
1985 – 1999) vor allem die Themen Unabhängigkeit und            pro Mitarbeiter/-in und Jahr einsparen.69
Spaß, gerade in Bezug auf die Arbeit, wichtig sind63.

Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt macht sich also eher an
einer gesunden Unternehmenskultur und "gesunder Füh-
rung" fest, weniger an Rückenmassagen am Arbeitsplatz.
Gesunde Führung beschreibt in diesem Zusammenhang
einen Führungsstil, der die Gesundheit der Beschäftigten
als zentrales Gut für das Unternehmen berücksichtigt. Das
heißt, dass unternehmerische Entscheidungen auch mit
Blick auf ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Be-
schäftigten bewertet werden.

Ein gesundes Betriebsklima und ein gesunder Führungs-
stil tragen auch zum Halten von Arbeitskräften bei. Die
durchschnittliche Fluktuationsrate in Deutschland lag
laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2017 bei 32,4%64, 65.
Dies schließt allerdings Kündigungen durch den Arbeit­
geber mit ein. Eine Studie von Deloitte spricht dagegen in
Österreich von einer ungewollten Fluktuation in Höhe von
11%66. Diese Zahl scheint uns für die weitere Berechnung
5.
Die erfolgreiche Umsetzung
­erfordert einen gesamtunter­
 nehmerisch integrierten Ansatz

Die Potenziale eines Corporate Health Managements                heitsmanagement als Beitrag zum Unternehmenserfolg
können nur mithilfe eines breiten Ansatzes und der Ein-          und setzt die entsprechenden Verantwortlichkeiten
bindung des gesamten Unternehmens erzielt werden.                und Berichtsroutinen ein wie bei anderen erfolgskriti-
Konkret kann ein erfolgreiches Gesundheitsmanage-                schen Faktoren. Damit dies gelingt, muss man die Un-
ment in fünf Schritten umgesetzt werden. K                       ternehmensleitung für diese Aufgabe sensibilisieren
                                                                 und schulen. Dazu gehört, den klaren Mehrwert des
Positionierung als authentisches                                 Gesundheitsmanagements aufzuzeigen und erreichba-
C-Level-Thema                                                    re Teilziele zu setzen.

Im ersten Schritt muss Corporate Health Management               Die Unternehmensleitung allein kann die Umsetzung
auf der Agenda der Unternehmensleitung positioniert              eines ganzheitlichen Ansatzes allerdings nicht ohne
werden. Das Ziel: Das Topmanagement sieht Gesund-                breite Unterstützung aus dem Unternehmen leisten.

K Mögliche Hebel zur Einführung eines effektiven Programms

                                                                                                                      5
                                                                      3                      4    Bedarfsbezogene

                        1                        2     Verankerung in
                                                                            Entwicklung
                                                                            einer modernen
                                                                                                  Nutzung digitaler
                                                                                                  Angebote
                            Unternehmens-              der Unternehmens-    Unternehmens-
 Positionierung             bezogene                 ­­strategie            kultur
 als authentisches          Individualisierung
 C-Level-                   der Programme
 Thema

Quelle: Roland Berger
22 | Corporate Health Management

Neben ­einem spezialisierten Bereich für Planung und           beitenden und die Altersgruppen der Mitarbeitenden. Die
Koordination des Gesundheitsmanagements muss jede              besten Erfolge werden erzielt, wenn die Ebenen der Or-
einzelne Führungskraft mitgenommen, überzeugt und              ganisation, der Führungskräfte und der Mitarbeitenden
befähigt werden, die Gesundheit ihrer Teams und eine           parallel und aufeinander abgestimmt adressiert werden.
gesunde Teamkultur zu fördern.
                                                               Um eine solche unternehmensindividuelle Anpassung
Zusätzlich ist es wichtig, dass die Beschäftigten in die       des Instrumentenbaukastens vorzunehmen, bietet sich
Ausgestaltung von Gesundheitsprogrammen eingebun-              die Einbeziehung von spezialisierten Dienstleistern an.
den werden. So ist es möglich, eine neue Kultur erleb-         Dies gilt insbesondere für kleine und mittlere Unterneh-
bar zu machen, die richtigen Maßnahmen zu finden               men (KMU). Große Unternehmen verfügen häufig über
und eine hohe Akzeptanz zu schaffen. Schließlich fin-          eigene Ressourcen in diesem Bereich und wissen daher
det man in Unternehmen mit hoher Mitarbeiterparti-             oftmals, wo sie welche Instrumente benötigen und was
zipation grundsätzlich eine bessere Fehlerkultur vor.          sie ihren Mitarbeitenden genau zur Verfügung stellen
So ist es möglich bei einem Programm im Bereich der            sollten. Diese Unternehmen benötigen typischerweise
betrieblichen Gesundheit schnell etwaige Schwächen             Unterstützung bei der Bereitstellung von Angeboten
aufzuzeigen und zu beheben70. Hier kommt es auch da-           und zur kritischen Überprüfung der definierten Strate-
rauf an, sämtliche Beschäftigten anzusprechen und zu           gien und Maßnahmen (Sparring).
erreichen, nicht nur diejenigen, die sich ohnehin schon
um ihre Gesundheit kümmern.                                    KMU dagegen benötigen in der Regel Unterstützung bei
                                                               der Konzeption und Umsetzung eines ganzheitlichen
Im Rahmen unserer Expertengespräche wurde deutlich,            Ansatzes. Besonderen Mehrwert bieten hierbei Dienst-
dass das Thema Gesundheit in vielen Unternehmen                leister, welche für jedes Unternehmen eine individu-
nur unregelmäßig mit der Unternehmensleitung ab-               elle ­Lösung aus vielen Bausteinen zusammenstellen.
gestimmt wird. Die Experten sind der Ansicht, dass ein         So kann die auf das jeweilige Unternehmen bestmög-
stärkeres und stetiges Engagement der Unternehmens-            lich angepasste Instrumentenkombination ausgewählt
leitung die Wirkung der Maßnahmen deutlich erhöhen             werden.
kann. Dies bestätigen diejenigen Befragten, in deren
Unternehmen Gesundheit als Thema auf der Leitungs­             Verankerung in der ­Unternehmensstrategie
ebene verankert ist: Sie sehen darin einen wichtigen
Faktor für den Erfolg.                                         Die Verankerung des Themas Gesundheit in der Orga-
                                                                nisation und der Unternehmensstrategie ist der dritte
Unternehmensbezogene                                           Erfolgsfaktor für Corporate Health Management. Initia-
Individualisierung der Programme                                tiven und Programme, welche dies nicht tun, schöpfen
                                                                nicht das volle Potenzial aus71. Bereits heute geben 80%
Die Inhalte der Programme sind auf die individuellen           der Unternehmen an, dass sich die Personalstrategie
Bedürfnisse der Unternehmen und der jeweiligen Beleg-          ­direkt aus der Unternehmensstrategie und -kultur ablei-
schaft abzustimmen, also bspw. auf die Art der Arbeit, typi-    tet. Daran anschließend müssen Unternehmen auch Ge-
sche Überlastungsprobleme, Ausbildungsgrade der Mitar-          sundheit eng mit der Unternehmensstrategie verzahnen.
Corporate Health Management | 23

Das Thema Mitarbeitergesundheit muss in Strukturen,         Vielzahl möglicher Maßnahmen, wir stellen im Folgen-
Prozesse und Anreizsysteme eingebunden werden, um           den die am häufigsten genannten vor.
nicht im Tagesgeschäft unterzugehen. Dies ist nach un-
serem Eindruck aus Expertengesprächen selbst in sehr        Zunächst muss bedacht werden, dass eine funktionie-
fortschrittlichen Unternehmen nicht immer der Fall.         rende Unternehmenskultur nicht "von oben" angeord-
                                                            net werden kann. Doch mit der Fokussierung auf die
Entwicklung einer modernen                                  richtigen Themen und Initiativen kann das Manage-
­Unternehmenskultur                                         ment Impulse dafür setzen, dass sich die Kultur im
                                                            Unternehmen in die gewünschte Richtung entwickelt.
Wir haben auf den vorhergehenden Seiten bereits darge-         L
stellt, dass eine gesunde Unternehmenskultur ein wich-
tiger Teil des Gesundheitsmanagements ist. 98,4% der
Arbeitnehmer in Deutschland nennen das Wohlfühlen
am Arbeitsplatz als wichtigsten Faktor. Es folgen eine      L Maßnahmen für eine moderne Unternehmenskultur
gute Zusammenarbeit mit den Kollegen (97,9%) und
ein gutes Betriebsklima (96,8%)72 – alle drei Faktoren                              Dauerhaftes Lernen
hängen stark von der Unternehmenskultur ab.

                                                             Zeitgemäße                                     Fokus auf
Boyce et al. beschreiben, dass vier Bereiche eine gute
                                                              Führung                                       Ergebnisse
und damit auch die Gesundheit der Beschäftigten för-
dernde Unternehmenskultur ausmachen: Beteiligung
der Beschäftigten, Konsistenz, Anpassungsfähigkeit
und Mission. Die Beteiligung der Beschäftigten be-
                                                                Fördern
schreibt dabei, inwieweit ein Unternehmen die team-                                                         Wohlfühlen
                                                              Teamkultur
basierte Zusammenarbeit und das individuelle Lernen/
die individuelle Entwicklung fördert. Konsistenz ist der
Grad, zu dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den
                                                                                    Aufbrechen von Silos
Werten eines Unternehmens übereinstimmen. Die An-
passungsfähigkeit beschreibt, wie gut Organisationen
auf Anforderungen der Kunden, Wettbewerber und Be-          Quelle: Roland Berger
schäftigte reagieren. Die Mission betrachtet, inwieweit
eine Organisation eine klar formulierte strategische               Zeitgemäßes Führungsverhalten: Das Verständnis
Richtung sowie Ziele hat, anhand derer die Beschäftig-             vom richtigen Verhältnis zwischen Mitarbeiterin-
ten die Umsetzung der Strategie verfolgen können73.                nen bzw. Mitarbeitern und Vorgesetzten ändert
                                                                   sich mit der Zeit – von Unternehmen wird erwartet,
Darüber hinaus gibt es verschiedene Maßnahmen, mit                 diese Veränderungen mitzutragen und umzusetzen.
deren Hilfe Unternehmen eine effektive Unternehmens-               Studien zeigen, dass der Führungsstil generell eine
kultur schaffen können. In der Literatur findet sich eine          große Auswirkung auf die Gesundheit der Beschäf-
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