www.tanznetz.de Das Spielzeitheft Nr. 6 2019 15€+Versand - elze

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w w w.t anzne t z .de   Das Spielzeithe f t Nr. 6             2019        15 €+Ver s and

                                                                              D a s
                                                    h e f t
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IMPRESSUM                             TANZERBE

            Herausgeberin             Die traurigste Nachricht für die Tanzwelt kam völlig überraschend
        tanznetz.de © 2019            ganz am Ende dieser gerade vergangenen Spielzeit. Hans Kresnik,
       V.i.S.d.P. Nina Hümpel         mit korrektem Vornamen Johann, verstarb ganz unerwartet im Alter
                                      von 79 Jahren an Herzversagen. Der „Berserker“ unter den Choreo-
            Redaktion                 grafen blieb von Anfang bis Ende der Idee „Den Körper in den Kampf
           tanznetz.de                zu werfen“ treu. Jährlich machte er auf die Ungerechtigkeiten, Kor-
       Dachauer Straße 112 d          ruption und Katastrophen unserer politischen Welt aufmerksam und
         80636 München                hätte heute noch so viel zu sagen gehabt. Wir werden ihn vermissen,
      redaktion@tanznetz.de           wie strapaziös und irritierend seine provokanten Bilderschlachten
                                      auch immer gewesen sein mögen.
         www.tanznetz.de
                                      Schmerzlich vermisst wird auch immer noch Pina Bausch, die vor
  Kundenbetreuung und Anzeigen
                                      zehn Jahren starb. Einige WegbegleiterInnen erinnern sich auf sehr
     marketing@tanznetz.de
                                      persönliche Weise an sie.
       Tel.: 0160 8022003
                                      Die erfreulichste Nachricht ist, dass Gert Weigelt im Herbst den
           Heftbestellung
                                      Deutschen Tanzpreis verliehen bekommt. Wir sind überaus stolz,
      marketing@tanznetz.de
                                      dass Weigelt, der das Gesicht von tanznetz.de mit seinen Fotos für
      Preis 15 Euro + Versand
                                      Kritiken sowie seinen zahlreichen Fotogalerien und Kolumnen seit
                                      so vielen Jahren prägt, den wichtigsten deutschen Preis der Szene
                                      erhält – als erster Fotograf überhaupt. Das ist doch mal ein Ding!

                                      Angesichts all der deutschen Schwergewichte, die wir in diesem
              Foto Cover              Heft porträtieren, haben wir mal den Blick von Außen gewagt. Wie
Reinhild Hoffmann und Ferenc Barbay   sehen internationale KuratorInnen und VeranstalterInnen eigentlich
    in „Traktate“ von Hans Kresnik    den zeitgenössischen Tanz aus Deutschland? Die Antworten aus
         Foto © Pierre Lepage         aller Welt sind zum Teil ganz erstaunlich.

                                      Also los, lesen! Denn bald beginnt die neue Saison und dann sitzen
                                      wir im Theater und schauen Tanz. Auf der Suche nach relevanten,
                                      strapaziösen, irritierenden, verstörenden, ästhetischen, am liebsten
                                      diese Welt veränderten Produktionen. Daran hat sich seit den letz-
                                      ten 50 Jahren nichts geändert – denke ich.

                                      Nina Hümpel

          Das Spielzeitheft 2019                                       3
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INHALT

                         Rückblick auf die Spielzeit 2018/2019                06
                                Beordert                                      08
                                Entschieden                                    10
                                Geehrt                                         13
                                Verabschiedet                                  16
                         Nachruf auf Johann Kresnik                            18
                         Tanzkongress 2019                                    26
                         Postmigrantische Interventionen im Tanz              42
                         Umfrage zur Spielzeit 2018/2019                      53
                         Zeitgenössischer Tanz aus Deutschland                60
                         Erinnerungen an Pina Bausch                           71
                         Tanzpreis Deutschland                                83
                         Copenhagen International Choreography Competition    96
                         Martin Schläpfer geht nach Wien                     104
                         Fotocredits                                          115
                         Team                                                 116

Das Spielzeitheft 2019                                     5
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RÜCKBLICK
auf die Spielzeit 2018/2019
von Natalie Broschat

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2019
                                                                                                                                                               deutscher
                                                           BEORDERT                                                                                            tanzpreis

                                                                                                           Der ehemalige Principal Dancer beim Alvin Ailey
Tarek Assam, Ballettdirektor des Stadtthea-                Tänzer und Choreograf Georg Reischl wird ab
ter Gießen, wurde zum kuratierenden Leiter                 der Spielzeit 2019/2020 Chefchoreograf am
                                                                                                           Dance Theater und zuletzt Künstlerischer Leiter
                                                                                                           des Cedar Lake Contemporary Ballet in New York,
                                                                                                                                                                     tanz-gala und
auf europäischer Seite für das 1. International            Theater Regensburg. Er wird damit Nachfolger    Benoit Swan Pouffer, wird neuer Künstlerischer           preisverleihung
Greater Bay Dance and Music Festival 2018                  von Yuki Mori, der zum Ende der Spielzeit das   Leiter der zeitgenössischen Londoner Kompanie
bestellt. Seit 2011 kooperiert er mit Tanzen-
sembles aus China und regelmäßig präsen-
                                                           Theater nach sieben Jahren verlässt.            Rambert.                                                 Gert Weigelt
tieren sich diese bei den jährlichen TanzArt
ostwest-Festivals. Zudem wurde Tarek As-
                                                           Die beiden Ex-TänzerInnen Wendy Whelan und
                                                                                                                                                                      19.10.2019, 18 Uhr,
                                                                                                           Der ehemalige Tänzer des Royal Danish Ballet
sam mit dem Gießener Theaterpreis denkmal
                                                           Jonathan Stafford übernahmen im März 2019                                                                  Aalto Theater, Essen
für besondere Verdienste um das Theater in                                                                 und Gründer der Copenhagen International
                                                           die Künstlerische Leitung des New York City     Choreography Competition, der Belgier Cédric
Gießen und sein Engagement für den Tanz im
                                                           Ballet (NYCB). Choreograf Justin Peck steht     Lambrette, wird mit der Spielzeit 2019/2020
Theater sowie die regionale wie internationale
Vernetzung der Tanzcompagnie geehrt.
                                                           ihnen als Berater zur Seite.                    Ballettmeister am Luzerner Theater.                              ehrungen

                                                           Der ehemalige Künstlerische Leiter des Zür-
                                                                                                                                                                  Isabelle Schad
Der choreografische Assistent am Nationalthe-                                                              Die renommierte irische Choreografin Marguerite
ater Mannheim, der Italiener Giuseppe Spota,
                                                           cher Theaterspektakels, Sandro Lunin, ist
                                                           neuer Künstlerischer Leiter des Theaterfesti-
                                                                                                           Donlon wird ab der Spielzeit 2019/2020 Ballettdi-
                                                                                                           rektorin und Chefchoreografin am Theater Hagen
                                                                                                                                                                     Jo Parkes /
                                                                                                                                                                  Mobile Dance
übernimmt zur Spielzeit 2019/2020 die Nach-
                                                           val Basel.                                      und löst Alfonso Palencia ab.
folge von Bridget Breiner als Ballettdirektor am
Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen.
                                                                                                                                                                     18.10.2019, 19 Uhr,
                                                           Der ehemalige Tänzer des Tanztheater Wup-
                                                           pertal Pina Bausch und Professor für Zeitge-
                                                                                                           Zur Spielzeit 2020/2021 tritt der argentinische         PACT Zollverein, Essen
Carlos Acosta, kubanischer Ballett- und Film-                                                              Choreograf Demis Volpi die Nachfolge von Martin
                                                           nössischen Tanz, Dr. Stephan Brinkmann, hat     Schläpfer als Ballettdirektor und Chefchoreograf
star (YULI), wird ab Januar 2020 die Leitung
                                                           im November 2018 nach einstimmiger Wahl
des Birmingham Royal Ballet übernehmen und
den derzeitigen Direktor David Bintley ablösen.
                                                           durch das Kollegium die Leitung des Instituts
                                                                                                           des Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg an.
                                                                                                                                                                         tagung
                                                           für Zeitgenössischen Tanz (IZT) der Folkwang
                                                           Universität der Künste in Essen übernommen.
                                                                                                                                                                    positionen: tanz
                                                                                                           Zum Sommersemester 2019 trat Dr. Katja
                                                                                                           Schneider die neue Professur für Tanzwissen-
                                                                                                                                                                      18./19.10.2019,
                                                                                                           schaft an der Hochschule für Musik und Darstel-         PACT Zollverein, Essen
                                                                                                           lende Kunst in Frankfurt am Main (HfMDK) an.

                                                                                                                                                                  Tickets: 0201/8122 200
                                                                                                                                                                oder tickets@theater-essen.de
                                                                                                                                                                   Anmeldung zur Tagung:
                                                                                                                                                                  www.deutschertanzpreis.de

                                                                                                                                                               Gefördert durch Stadt Essen, das Ministerium für Kultur
                                                                                                                                                               und Wissenschaft NRW sowie aus Mitteln des Bundes;
                                                                                                                                                                    Medienpartner: tanz-Zeitschrift, tanznetz.de
                                             Das Spielzeitheft 2019                                                                                       9                        Abb. ©Gert Weigelt
www.tanznetz.de Das Spielzeitheft Nr. 6 2019 15€+Versand - elze
ENTSCHIEDEN

                                                                                                                               nar
                                                                                                                          ol
                                                                                                                      M

                                                                                                           y
                                                                                                         E m il
                                                                                                                                                           r v e S u tin             chef Ralf Rossa trat am 01.    und das Landesministerium
Das Staatstheater Cottbus         Künste, die zu den bedeu-        Alastair Macaulay, Chef-                                                           Vi                 e           April 2019 in den sofortigen   für Kultur und Wissenschaft
hat unter der Direktion von       tendsten in Deutschland          Tanzkritiker der New York

                                                                                                                                                                            n
                                                                                                                                                                                     Ruhestand. Kommissarisch       stellen der Kölner Tanzszene
Dirk Neumann eine eigene          zählen: Forum Freies Theater     Times, legt seinen Beruf                                                                                          übernahm Michal Sedláček,      905.000 Euro zur Verfügung.
Ballettsparte bekommen.           (Düsseldorf), HAU (Berlin),      nieder.                                                                                                           Erster Solist und stell-       Die Förderung findet im Rah-
                                  HELLERAU –                                                                                     Bet                                                 vertretender Direktor der      men des Programms Neue
                                  Europäisches Zentrum der                                                                          t in
                                                                                                                  n                                                                  Kompanie, die Leitung des      Wege statt. Im Gegenzug
                                  Künste (Dresden), Kampna-

                                                                                                     Chr t m an

                                                                                                                                       a
Am 9. November 2018 star-                                          Im Anschluss an eine Ab-                                                                                          nach seinem früheren Leiter    verpflichtet sich die Stadt

                                                                                                                                           Wa
                                  gel (Hamburg), Künstlerhaus                                                                                                                        benannten Ballett Rossa.       Köln ihren Betriebskostenzu-
tete die Kampagne Erklärung                                        schiedstournee wird sich im
                                  Mousonturm (Frankfurt

                                                                                                        is

                                                                                                                                           g e r- B
der Vielen. Angestoßen und                                         Frühjahr 2020 die Richard                                                                                                                        schuss für die Bühnen Köln
                                  am Main), PACT Zollverein                                                                                                                                                         in den beiden kommenden
entwickelt durch den im Juni                                       Alston Dance Company auf-
                                  (Essen) und tanzhaus nrw                                                                                                                                                          Spielzeiten um je 300.000
2017 gegründeten Verein DIE                                        lösen, die 1994 gegründet

                                                                                                                                       er
                                                                                                         er
                                  (Düsseldorf).                                                                   lt u d R o g
                                                                                                                                     ge
                                                                                                                                                                C ar                 Der Wuppertaler Stadtrat
VIELEN e.V. schlossen sich                                         wurde.                                                                                              lo                                           Euro zu erhöhen.
                                                                                                                      n                                                              hat im Dezember 2018 den
unter der Erklärung bundes-                                                                                                                                                          Durchführungsbeschluss

                                                                                                                                                                        s
weit Kultureinrichtungen in

                                                                                                                                                                            Ac
                                                                                                                                                                                     zum Bau des Tanzzentrums
regionalen und städtewei-         Der Haushaltsausschuss des

                                                                                                                                                                            o st a
                                                                   Die ehemalige stellvertre-                                                                                        Pina Bausch einstimmig         Für drei weitere Jahre ist
ten Verbünden zusammen,           Deutschen Bundestages hat                                                                                                                          angenommen. Dafür soll         Tarek Assam, Ballettdirektor
                                                                   tende Direktorin und Dra-
um mit einer Erklärung der        im November 2018 Mittel in                                                                                                                         das ehemalige, denkmal-        des Stadttheater Gießen, als
                                                                   maturgin des Bayerischen
Vielen ein Zeichen gegen          Höhe von bis zu 1,3 Millio-                                                                                                                        geschützte Schauspielhaus      Sprecher der Bundesdeut-
                                                                   Staatsballetts, Bettina
Rechtspopulismus und völ-         nen Euro für die Stärkung                                                                                                                          umgenutzt werden und der       schen Ballett- und Tanzthe-
                                                                   Wagner-Bergelt, übernahm
kisch-nationales Denken zu        der bundesweiten Kopro-                                                                                                                            Bau soll 2026 abgeschlos-      aterdirektoren Konferenz
                                                                   im Januar 2019 für die
setzen. Sie verpflichten sich     duktions- und Gastspielför-                                                                                                                        sen sein. Finanziert wird      (BBTK) bestätigt. Ins Präsidi-
                                                                   Dauer von zwei Jahren die
für die Vielheit und Freiheit     derung Tanz international                                                                                                                          das Projekt, das sich aus      um wurden John Neumeier
                                                                   künstlerische Leitung des
der Kunst einzustehen und         freigegeben. Das Förderpro-                                                                                                                        dem Tanztheater Wuppertal      (Hamburg), Dr. Christiane
                                                                   Tanztheater Wuppertal Pina
eine offene, plurale und de-      gramm wurde 2013 erstmalig                                                                                                                         Pina Bausch, dem Produkti-     Theobald (Berlin), Ivan Liška
                                                                   Bausch. Unterstützt wird sie,
mokratische Gesellschaft zu       aus Mitteln der Beauftragten                                                                                                                       onszentrum, der Pina-Bau-      (München), Honne Dohrmann
                                                                   in gleichberechtigter Positi-                      Der Kanadier Aaron S. Watkin
unterstützen.                     der Bundesregierung für Kul-                                                                                                                       sch-Stiftung und dem Forum     (Mainz), Steffen Fuchs (Kob-
                                                                   on als Geschäftsführer, von                        bleibt bis 2023 Ballettdi-
                                  tur und Medien (BKM) etab-                                                                                                                         Wupperbogen zusammen-          lenz), Alexandra Georgieva
                                                                   Roger Christmann, der seit                         rektor an der Semperoper
                                  liert und wird vom Nationalen                                                                                                                      setzt, von Land und Bund       (Berlin), Heather Jurgensen
                                                                   2012 als selbständiger Bera-                       Dresden.
                                  Performance Netzwerk (NPN)                                                                                                                         mit 58,4 Millionen Euro.       (Kiel) und Tarek Assam (Gie-
Der Vertrag von Ballettdirektor                                    ter im Kulturbereich tätig ist.
                                  getragen.                                                                                                                                                                         ßen) gewählt. Geschäftsfüh-
Karl Alfred Schreiner am
Münchner Gärtnerplatztheater                                                                                                                                                                                        rer bleibt Oliver Königsfeld
                                                                                                                      Der Kulturfonds Frankfurt                                                                     (Düsseldorf).
wurde bis 2021 verlängert.                                                                                                                                                           Im Mai 2019 stimmte der
                                                                   Die Finnin Virve Sutinen                           RheinMain unterstützt die
                                  Die gemeinsame Initiative                                                                                                                          Dresdner Stadtrat zu den
                                                                   bleibt bis 2022 Künstlerische                      Fortführung und Weiterent-
                                  von Kommunen, Bundeslän-                                                                                                                           Erbbaurechtsvertrag für die
                                                                   Leiterin des Berliner Festi-                       wicklung der Tanzplattform
                                  dern und der Beauftragten                                                                                                                          Villa Bautzner Straße 107,     Ab August 2020 wird die
Der Haushaltsausschuss des                                         vals Tanz im August.                               Rhein-Main von 2019 bis 2022
                                  der Bundesregierung für Kul-                                                                                                                       ehemals Tanzschule und         kanadische Tänzerin Emily
Deutschen Bundestages hat                                                                                             mit bis zu 1,08 Millionen Euro.
                                  tur und Medien, TANZPAKT                                                                                                                           Wohnhaus von Mary Wigman,      Molnar die Künstlerische
die Weiterförderung vom
                                  Stadt-Land-Bund, fördert                                                                                                                           mit dem Verein Villa Wigman    Leitung des Nederlands
Bündnis internationaler
                                  2019 mit rund 2,2 Millionen      Der Vertrag von Nina
Produktionshäuser in den                                                                                                                                                             für Tanz e.V. abzuschließen.   Dans Theater übernehmen
                                  Euro die Exzellenz im Tanz.      Hümpel für das DANCE,                              Der tschechische Ballett-
Jahren 2019 bis 2021 in Höhe                                                                                                                                                                                        und somit Paul Lightfoot
                                  Die sieben ausgewählten          internationales Festival für                       tänzer und Choreograf Jiří
von insgesamt 12 Millionen                                                                                                                                                                                          ablösen.
                                  Projekte kommen aus Dres-        zeitgenössischen Tanz der                          Kylián, der über zwei Jahr-
Euro beschlossen. Das Bünd-
                                  den, Berlin, Köln, Düsseldorf,   Landeshauptstadt München,                          zehnte als Künstlerischer
nis internationaler
                                  München, Bremen/Hannover         wurde bis 2021 verlängert.                         Direktor das Nederlands
Produktionshäuser ist ein
                                  und Stuttgart.                                                                      Dans Theater prägte, wurde
Zusammenschluss von sie-
                                                                                                                      im März 2019 neues Mitglied
ben Institutionen der zeit-
                                                                                                                      der Pariser Académie des
genössischen performativen
                                                                                                                                                                                     Das NRW-Kultursekretariat
                                                                                                                      Halles langjähriger Ballett-

                                          Das Spielzeitheft 2019                                                                                                                                  11
www.tanznetz.de Das Spielzeitheft Nr. 6 2019 15€+Versand - elze
GEEHRT

                                                                    Der Chefchoreograf und           Duett „We Are Nowhere Else      Das Ensemblemitglied beim         Bei der Biennale Danza in
                                                                    Künstlerische Direktor des       But Here“ sowie an den          Staatstheater Nürnberg Bal-       Venedig erhielt der italieni-
                                                                    Ballett am Rhein Düsseldorf      Tänzer Guido Dutilh vom         lett, Rachelle Anais Scott, ist   sche Choreograf Alessandro
                                                                    Duisburg, Martin Schläpfer,      NDT für seinen Part in Marco    im November 2018 in Mün-          Sciarroni den Goldenen Lö-
                                                                    wurde 2018 mit dem Ver-          Goeckes „Wir sagen uns          chen mit dem Bayerischen          wen für sein Lebenswerk.
                                                                    dienstorden der Bundesre-        Dunkles“.                       Kunstförderpreis der Sparte
                                         D u t il h                 publik Deutschland geehrt.                                       Tanz geehrt worden.
                                  do
                             ui                                     Die Verleihung fand zum Tag                                                                        Im März 2019 wurde John
                        G

                                                                    der Deutschen Einheit unter                                                                        Neumeier, Ballettdirek-
                                                                                                     Die Choreografin und Perfor-
                                                                    dem Motto „Kultur verbin-                                        Gabriel Figueredo, Schüler der    tor und Chefchoreograf
                                                                                                     merin Ofelia Jarl Ortega hat
                                                                    det!“ statt.                                                     John Cranko Schule Stuttgart,     des Hamburg Ballett, der
                                                                                                     für ihre Performance „B. B.“
                                                                                                     den ImPulsTanz – Young Cho-     gewinnt nicht nur den ersten      Freundschaftspreis der
                                                                                                     reographers Award erhalten.     Preis in der Classical Dance      Volksrepublik China verlie-
                                                                    Der undotierte Ideenpreis                                        Category beim Youth Ameri-        hen. Der stellvertretende
                                                                    Der Heinrich der Heinrich                                        ca Grand Prix, sondern auch       Wissenschaftsminister Jian-
                                                                    Böll Stiftung NRW ging 2018                                      als bester männlicher Tänzer      guo Zhang überreichte ihm
                                                                                                     Die Intendantin des Theater
u fl h a r d

                                                                    an das tanzhaus nrw in Düs-                                      den Prix de Lausanne und          die höchste Auszeichnung
                                                                                                     Kampnagel Hamburg, Amelie
                                                                    seldorf. Die Jury hat nach                                       den Dance Europe Magazine         des Landes für ausländische
                                                                                                     Deuflhard, ist Europäische
                                                                    Projekten gesucht, die sich                                      Award. Zudem wurde er mit         ExpertInnen, die in heraus-
                                                                                                     Kulturmanagerin des Jahres
   De

                                                                    künstlerisch mit dem Thema                                       dem Heinz-Bosl-Preis ausge-       ragender Weise zur wirt-
                                               b rie l Fig
                                                                                                     2018. Diese Ehrung erhielt
               li e                                                 Europa befassen und ins-                                         zeichnet.                         schaftlichen und sozialen
                      A me                Ga               u                                         sie auf dem Europäischen
                                                                    besondere junge Menschen                                                                           Entwicklung in China sowie
                                                           er

                                                                                                     Kulturmarken-Award, der im
                                                                    ansprechen.                                                                                        zur Zusammenarbeit und
                                                               ed

                                                                                                     November im Radialsystem
                                                                                                                                                                       dem Ausausch des Landes
                                                               o

                                                                                                     in Berlin stattfand. Sie ge-    Anlässlich der Finissage der
                                                                                                                                                                       mit der Welt beitragen.
                                                                                                     höre zu den herausragenden      Ausstellung „Gert Weigelt.
                                                                    Die zwei SchülerInnen der        AkteurInnen der deutschen       Autopsie in schwarz/weiß“
                       Chun Z                                       John Cranko Schule Stutt-        und europäischen Theater-       wurde Fotograf Gert Weigelt
                              h                                     gart, Yuki Wakabayashi und       landschaft und habe seit        zu Beginn des Jahres 2019 in      Matteo Miccini, Tänzer des
                                                                    Motomi Kiyota, gewinnen          Mitte der 1990er Jahre die      Köln mit dem Stiftungspreis       Stuttgarter Balletts, wurde
                                  an
                                       g

                                                                    jeweils den 1. Preis beim        internationale freie Szene      für Photographie im Anden-        im Rahmen des ApuliArtFes-
                                                                    Grand Prix Kiew 2019.            der darstellenden Künste        ken an Walter Boje ausge-         tivals in der Kategorie Bester
                                                                                                     entscheidend mitgeprägt.        zeichnet.                         italienischer Tänzer im Aus-
                                                                                                                                                                       land geehrt.
                                                                    „Lucky Bastards“ von Edan
                                                                    Gorlicki und „Supermann“         Gewinnerin des mit 25.000       Beim 23. Internationalen
                              l P it e

                                                                    vom La_Trottier Dance            Dollar dotierten Grand Prix     Solo-Tanz-Theater Festival        Den mit 20.000 Euro dotier-
                                                                    Collective erhalten den          de la Danse de Montréal         2019 in Stuttgart wurden          ten Deutschen Tanzpreis er-
                                  sta

                                                                    Tanz- und Theaterpreis der       2018 ist die kanadische Bal-    in der Kategorie Choreo-          hält im September 2019 der
                                   ry

                                          C                         Stadt Stuttgart und des          letttänzerin und Choreogra-     grafie Leila Ka (Frankreich),     Fotograf Gert Weigelt. Für
                                                                    Landes Baden-Württemberg.        fin Crystal Pite.               Nina Plantèfeve-Castryck          signifikante Entwicklungen
                                                                                                                                     (Belgien) und Shirly Barbie       im zeitgenössischen Tanz
                                                                                                                                     (Israel) ausgezeichnet. In        werden das Schaffen der
                                                                                                                                     der Kategorie Tanz gingen         Tanz- und Videokünstlerin
                                                                    Der renommierte niederlän-       Marian Walter, Erster So-
                                                                                                                                     Preise an Linda Cordero           Jo Parkes sowie der Tänzerin
                                                                    dische Tanzpreis Schwan          lotänzer des Staatsballetts
                                                                                                                                     Rijo (Italien), Seth Buckley      und Choreografin Isabelle
                                                                    ging im Oktober 2018 an          Berlin, erhält den Ehrentitel
                                                                                                                                     (Kanada) und Loretta Pelosi       Schad mit jeweils 5.000 Euro
                                                                    Stephen Shropshire für sein      „Berliner Kammertänzer“.
                                                                                                                                     Oliveira (Brasilien).             gewürdigt.

                                                                            Das Spielzeitheft 2019                                                                                  13
www.tanznetz.de Das Spielzeitheft Nr. 6 2019 15€+Versand - elze
DANCE!
     GEEHRT                                                                                                                                                      And Afterwards?
                                                                                                                                                                 We will be pleased to help
                                                                                                                                                                 you, free of charge.

                                                        Der Deutsche Theaterpreis         Pforzheims Ballettdirektor       Die Bielefelder Tänzerin
                                                        DER FAUST wurde 2018 in           Guido Markowitz wurde von        Noriko Nishidate erhielt den
                                                        der Kategorie Choreogra-          der Iwanson-Sixt-Stiftung        Dr. Otto-Kasten-Preis 2019,
                                                        fie an tanzmainz für „Soul        mit dem Isadora-Preis aus-       den wohl bedeutendsten
                                                        Chain“ von Sharon Eyal und        gezeichnet.                      deutschen Nachwuchspreis,
                                                        in der Kategorie Tanz an                                           der seit 1985 alle zwei Jahre
                                                        Ramon A. John vom Hessi-                                           von der Intendantengruppe
                                                        schen Staatsballett Wies-                                          des Deutschen Bühnenver-
                                                                                          Der Kurt-Jooss-Preis 2019
                                                        baden Darmstadt für die                                            eins vergeben wird. Erstmals
                                                                                          wurde an die chinesische
                                                        Rolle des Wanderers in „Eine                                       ging er an eine Tänzerin.
                                                                                          Tänzerin und Choreografin
                                                        Winterreise“ vergeben.
                                                                                          Chun Zhang für die Arbeit
                                                                                          „Being far away from“ ver-
                                                                                          geben.                           Im Juli 2019 hat die scheiden-
            A . John                                    Der diesjährige Tanzpreis der                                      de Direktorin des Badischen
         on                                                                                                                                                      Stiftung TANZ - Transition Zentrum Deutschland
     m                                                  Stadt München wurde im                                             Staatsballett Karlsruhe,              Kollwitzstraße 64 | 10435 Berlin | Tel: 030 - 32 667 141
Ra

                                                        Juni 2019 an Professorin Dr.                                       Birgit Keil, den „Goldenen            info@stiftung-tanz.com | www.stiftung-tanz.com
                                                                                          Beim 33. Internationalen Wett-
                                                        Claudia Jeschke vergeben.                                          Ehrenfächer“ der Kunst- und
                                                                                          bewerb für Choreographie                                               Spendenkonto: Konto 064978000 | BLZ 10070000 | Deutsche Bank
                                                        Der Tanzpreis ist mit 10.000                                       Theatergemeinde Karlsruhe
                                                                                          Hannover 2019 wurden Oscar
                                                        Euro dotiert. Ausgezeichnet                                        e.V. erhalten. Außerdem
                                                                                          Buthelezi (Südafrika), Danae
                                                        werden besondere Leistun-                                          erhielt sie die Stauferme-
                                       N is hi d                                          & Dionysios (Griechenland)
                                  ko               at   gen in allen Stilrichtungen                                        daille in Gold des Landes
                             ri                                                           und Giovanni Gava Leonar-
                                                        des Tanzes und Persön-                                             Baden-Württemberg.
                        No

                                                                                          duzzi (Italien) ausgezeichnet.
                                                    e

                                                        lichkeiten, die München als
                                                        Kulturstadt Geltung und
                                                        Ansehen verschaffen.
                                                                                                                           Tänzer, Choreograf und
                                                                                          Bei der 6. Ausgabe der Tanz-
                                                                                                                           Regisseur Johann Kresnik
                                                                                          plattform Bern, dem Festival
                                                                                                                           wurde im Juli 2019, im An-                                                                                                            Erste
                                                                                          für NachwuchschoreografIn-
                   S puck                               Zürichs Ballettdirektor
                                                                                          nen, gewann Po-Cheng Tsai
                                                                                                                           schluss an die Eröffnung des          Oktober                                                                               Spielzeithälfte
              an                                        Christian Spuck erhielt den
                                                                                          aus Taiwan den Jurypreis für
                                                                                                                           ImPulsTanz – Vienna Inter-            10. > 13. & 16. > 20.                                                                          Saison
         i
       st

                                                        Prix Benois de la Danse 2019                                       national Dance Festival, im
                                                                                          seine Choreografie „Orthrus“.                                          HELLERAU - Europäisrches Zentrum der Künste, Dresden
                                                                                                                                                                                                                                                            2019/2020
     C h ri

                                                        für sein Ballett „Winterreise“.                                    Volkstheater das Goldene              BALLETTABEND
                                                                                          Der Publikumspreis ging an
                                                                                                                           Verdienstzeichen des Landes           mit einer Dresdenpremiere von Jacopo Godani
                                                                                          „Trial“ des vietnamesischen
                                                                                                                           Wien verliehen.
                                                                                          Tänzers und Choreografen Tu                                            November
                                                        Der Fonds Darstellende            Ngoc Hoang.
                                                                                                                                                                 2., 3.
                                                        Künste verlieh im Mai 2019
                                                                                                                                                                 Frankfurt LAB, Schmidtstraße 12
                                                        den Tabori Preis an Monster                                        Bei der 12. Copenhagen                Zu Gast aus Tel Aviv
                                                        Truck und zwei Auszeich-                                           International Choreography
                                                                                                                                                                 Gil Kerer, Nitsan Margaliot, Roni Chadash
                                                        nungen an die Ben J. Riepe                                         Competition 2019 (CICC)
                                                                                                                                                                 In Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main
                                                        Kompanie und machina eX.                                           wurden Kwame Asafo-Adjei              im Rahmen der Jüdischen Kulturwochen 2019
                                                                                                                           (Großbritannien), Gil Kerer
                                                                                                                           (Israel), Lotem Regev (Israel,        Dezember
                                                                                                                           Ungarn) und Giovanni Insaudo          12. > 15. & 18. > 22.
                                                                                                                           (Italien) ausgezeichnet.              Bockenheimer Depot, Frankfurt am Main
                                                                                                                                                                 Uraufführung
                                                                                                                                                                 DRESDEN FRANKFURT DANCE COMPANY
                                                                                                                                                                 MEETS ENSEMBLE MODERN
                                                                                                                                                                 Choreografie Jacopo Godani
                                                                                                                                                                 Dirigent Josep Planells Schiaffino
                                                                                                                                                                 Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Gesellschaft zur
                                                                                                                                                                 Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL)
                                                                                                                                                                                                                                              dresdenfrankfurtdancecompany.de
                                                                                                                                                                  Gefördert durch die Landeshauptstadt Dresden und den Freistaat Sachsen sowie die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen. Company-in-
                                                                                                                                                                             Residence in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste in Dresden und im Bockenheimer Depot in Frankfurt am Main.
                                                                 Das Spielzeitheft 2019                                                                     15
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VERABSCHIEDET

                         Am 01. Juli 2018 ist die Choreografin vom Musi-         Der 23-jährige, armenische Balletttänzer Vahagn
                         cal „Cats“, Gillian Lynne, mit 92 Jahren im Lon-        Margaryan erliegt am 20. November 2018 den
                         doner Princess Grace Hospital verstorben.               Folgen eines schweren Autounfalls.

                         Der 1930 in Amerika geborene Choreograf Paul            Der langjährige Professor für Modernen Tanz
                         Taylor ist am 29. August 2018 im Alter von 88           der Folkwang Universität der Künste in Essen,
                         Jahren in New York an einem Nierenversagen              Jean Cébron, verstarb im Februar 2019 mit 91
                         gestorben. Nach einer Tanzausbildung an der             Jahren in seinem Heimatland Frankreich. Als
                         New Yorker Juilliard School schloss er sich             Pädagoge und Choreograf beeinflusste er die
                         1955 der Martha Graham Company an. Außer-               deutsche Tanzlandschaft der letzten Jahr-
                         dem war er 1959 als Gastkünstler am New York            zehnte maßgeblich.
                         City Ballet auf Einladung von George Balanchi-
                         ne tätig. Zu den bekanntesten Werken zählen
                         „Aureole“ (1962), „Esplanade“ (1975), „Sunset“
                                                                                 Der ehemalige Direktor des Semperoper Bal-
                         (1983) und zuletzt „Beloved Renegade“ (2008).
                                                                                 letts, Thomas Hartmann, verstarb im Februar
                         50 seiner Arbeiten sind mit Labanotation do-
                                                                                 2019 im Alter von 66 Jahren. Ausgebildet an
                         kumentiert.
                                                                                 der Palucca-Schule in Dresden war er seit 1972
                                                                                 als Solist und später als Direktor dem Ballett
                                                                                 der Semperoper für mehr als zwanzig Jahre
                         Am 19. September 2018 verstarb im Alter von             verbunden. Auch das Ballett in Plauen-Zwickau
                         84 Jahren der gebürtige New Yorker Arthur               gestaltete er als Ballettmeister und Choreograf
                         Mitchell, Gründer und langjähriger Künstleri-           maßgeblich.
                         scher Leiter des Dance Theatre of Harlem. Er
                         wurde an der School of American Ballet aus-
                         gebildet und gab 1955 sein Debüt bei George
                                                                                 Der Hollywood-Musical-Regisseur Stanley Donen
                         Balanchines New York City Ballet. Arthur Mit-
                                                                                 ist am 21. Februar im Alter von 94 Jahren ge-
                         chell war einer der ersten afroamerikanischen
                                                                                 storben. Er kam als Broadwaytänzer und Assis-
                         Balletttänzer; trotz noch deutlich vorhande-
                                                                                 tent von Gene Kelly nach Hollywood und schuf
                         ner Rassentrennung wurde er aufgrund sei-
                                                                                 mit ihm 1952 den legendären Film „Singin‘ in
                         ner brillanten Technik und seines darstelleri-
                                                                                 the Rain“.
                         schen Könnens zum Ersten Solisten ernannt.
                         Er kämpfte nicht nur als Tänzer, sondern auch
                         als Pädagoge und Kompaniedirektor für die
                         Gleichstellung afroamerikanischer TänzerInnen           Im März 2019 ist überraschend Regine Popp,
                         und eine unabhängig von der Hautfarbe statt-            deutsche Jazztänzerin, Sportlehrerin im Tanz
                         findende Bewertung des klassischen Balletts.            und ehemalige Assistentin von Matt Mattox, im
                                                                                 Alter von 71 Jahren verstorben.

                         Der britische Tänzer und Choreograf Philip
                         Lansdale ist am 10. Oktober 2018 überra-
                         schend gestorben. Seine siebenjährige Ballet-
                         tausbildung erhielt der 1952 Geborene an der
                         renommierten Royal Ballet School in London.
                         Von 1998 bis 2005 war er Ballettdirektor am
                         Theater Bielefeld, wo er 16 abendfüllende Cho-
                         reografien erarbeitete.

Das Spielzeitheft 2019                                                      17
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JOHANN KRESNIK
                                                               IST TOT

                                                               Ein persönlicher Abschied von Heide-Marie Härtel

                                                                       Hans Kresnik flüchtete aus seinem Geburtsland Österreich,
                                                               als ihn das Bundesheer einziehen wollte. „Den Körper in den Kampf
                                                               werfen“, – sein späteres Motto, das wollte er auf den Schlacht-
                                                               plätzen der aktuellen Weltgeschichte nicht. Zu Beginn des Zwei-
                                                               ten Weltkriegs als Bauernsohn geboren, war er früh ungewollt zum
                                                               Zeitzeugen einer grausamen Kriegsmaschinerie geworden. Seinen
                                                               Vater, Wehrmachtssoldat des schon angeschlossenen Hitlerreichs,
                                                               erschossen Partisanen als Hans drei Jahre alt war.

                                                                     Ob wir noch erfahren werden, warum ausgerechnet Bre-
                                                               men als Fluchtpunkt des jungen Tänzers galt? Im Theater war
Heide-Marie Härtel und Falco Dreyer                            Bremen damals eher Provinz, auch im Tanzbereich. Es fehlten
bei Proben zu „Traktate“                                       immer Männer im Ballett, er hätte es sich aussuchen können.
© Pierre Lepage
                                                                       Das Zentrum der westdeutschen Tanzwelt war in den
                                                               1960er Jahren nicht Bremen, sondern Köln. Hier wollte man sich
                                                               abnabeln vom Ruf des sogenannten „Deutschen Ballettwunders“
                                                               in Stuttgart. Das gelang prächtig. Maurice Béjart, Martha Graham,
                                                               alle Größen der internationalen modernen Szene gastierten hier
                                                               und die Sommerakademie bot jedes Jahr 500 TänzerInnen die
                                                               Chance, die TanzlehrerInnen der Welt kennenzulernen. Kresnik
                                                               war da und blieb als Tänzer unter der Leitung von Aurel von Mil-
                                                               loss, trainiert von Leon Woizikowsky und Peter Appel, der später
                                                               auch die Kompanieleitung übernahm. In Köln hat das Naturtalent
                                                               Kresnik seine eigentliche Tanzausbildung erhalten. Hier ist er mir,
                                                               der Tanzstudentin der Kölner Tanzakademie, aufgefallen. Er war
                                                               schnell, sprunggewaltig, risikobereit. Seine Double-Touren sollen
                                                               gerüchteweise das Ergebnis einer Wette um einen Kasten Bier
                                                               gewesen sein.

                                                                      Peter Appel war als Kompaniechef kein Choreograf, aber
                                                               er lud die Welt ein, um für seine TänzerInnen zu choreografieren.
                                                               Selbst Balanchine kam. Aber er gab auch seinen TänzerInnen die
                                                               Chance, etwas Eigenes zu machen. Mit sehr kurzen Probenzeiten
                                                               mussten sie dann alleine weiterkämpfen.

                                                                      Keine drei Monate nach dem Attentat auf Rudi Dutschke
                                                               im April 1968 formulierte der junge Kresnik seine choreografierte
                                                               Meinung dazu, lautstark, für die Ballettwelt unüberhörbar, weil
                                                               im Kontext des „Internationalen Choreographenwettbewerbs“
                                                               in Köln. Die gehasste Bild-Zeitung segelte vom Himmel auf die
                                                               „Tänzer-Demo“ nieder. Kresnik alias Dutschke wurde angeschos-
                                                               sen, – mein Held war geboren. Eine Brücke gebaut zwischen
                                                               der Kunst, die wir liebten und der Realität der Wirtschaftswun-
                                                               der-Ära, freudlos, farblos, genussfeindlich. Ich las Adorno und
                                                               Marcuse, sang auf Demos in Köln die Internationale und tanzte
                                                               trotzdem mit Hingabe den Schwan.

                                      Das Spielzeitheft 2019                                  21
Die Tanzkritik rebellierte mit. Sogar             mit Notstandsgesetzgebung, Vietnamkrieg,          mittelalterlicher Patriarch, ohne Tabus, nicht            maligen Direktor der Bremer Landesbank. Das
Klaus Geitel, Kritikerpapst der WELT, schrieb             Aufrüstung, Woodstock, Studentenunruhen.          wie bei Pina Bausch, die auch mir so arg „hei-            brillante Stück sparte nicht mit Kritik an der
zu Kresniks Stück „Susi Cremechees“ 1968:                 In Bremen redeten die SchauspielerInnen der       lig“ schien. Er liebte seine TänzerInnen, er mu-          Wohlstandsgesellschaft und ihrer Reaktion auf
„Ein Stück für Tausendfüßler und Trampeltie-              Hübner-Ära wie Bruno Ganz, Mechthild Gross-       tete ihnen zu, das ganze Elend und die Ver-               die Verzweiflungstaten einer ehemals renom-
re. Beinsalat wird angerichtet; die Absurdität            mann, Hannelore Hoger und viele andere in der     kommenheit der Gesellschaft auf die Bühne                 mierten Journalistin. Es endete mit der verbo-
des Balletts ironisch potenziert.“ Kresnik gilt           Kantine über Mitbestimmungsmodelle im The-        zu bringen. Ein Tollhaus! Man stritt sich und             tenen Strophe der deutschen Nationalhymne,
als Hoffnungsträger für die Sparte: ”Der Tanz             ater. Die Tänzerinnen und Tänzer wollten sich     vertrug sich wieder, ging weg, kam wieder. Oft            gesungen von Heino. Mir wurde immer mul-
tritt nicht mehr auf der Stelle, er erobert sich          mehr auf ihre Hauptarbeit an Stücken konzen-      schmerzhaft, immer mit viel Energie und auch              miger zumute. Jetzt würde er es übertreiben,
neue Ausdrucksmittel und versucht, sie gezielt            trieren, verhandelten über Befreiung von der      Ängsten verbunden. Wir waren die Farben sei-              fürchtete ich. Geradezu frenetischer Beifall,
einzusetzen.”                                             Arbeit in Oper und Operette. Kresnik führte so-   ner lebenden Gemälde.                                     auch von meinen beiden Sitznachbarn been-
                                                          weit es ging gleiche Verträge für alle ein.                                                                 dete den Abend. Ich war ratlos.
       Die Plattform, die die Kölner Tanzsze-                                                                       Kresnik wollte eigentlich Maler werden.
ne bot, erwies sich auch für Kresnik als Kar-                    Es entstanden Stücke wie „PigAsUs“ ge-     Sein Stiefvater, KPÖ-Mitglied, hat dies abge-                    Kresnik lieferte seine Kreationen schier
rieresprungbrett. Der Schauspieler Rolf Becker,           gen den Rassenhass in den USA, „Kriegsanlei-      lehnt. Kresniks erstes Talent und seine Leiden-           endlos, immer pünktlich bis letztes Jahr.
damals Oberspielleiter der Bremer Oper wurde              tung für Jedermann“ gegen den Vietnamkrieg,       schaft fürs Zeichnen zieht sich trotzdem durch            Nach Bremen kamen Engagements in Heidel-
vom Intendanten Kurt Hübner aus Bremen ge-                „Schwanensee A.G.”, wo der Prinz mit Panzern      sein ganzes weiteres Künstlerleben. Er belebt             berg, dann wieder Bremen, Berlin und Bonn
schickt, sich diesen Jungen Wilden einmal an-             spielte oder „Bilder des Ruhms“ über den Mas-     seine Bilder, verblendet, verfremdet, verzerrt            zuletzt. Dazu seine überregionale Regiearbeit
zuschauen, denn die alte Bremer Ballettgarde              senmörder und Kinderschänder Gilles de Rais       sie wie ein George Grosz oder Egon Schiele.               in Oper und Schauspiel. Das Goethe-Institut
passte nicht so recht in das Avantgarde-En-               aus dem 15. Jahrhundert. Die Wucht seiner Ide-    Die Kritik, dass Kresnik allzu oft „holzschnittar-        schickte ihn mit seiner Kompanie durch die
semble mit Regisseuren wie Peter Zadek, Peter             en war auch getrieben vom „Prinzip Hoffnung”,     tig“ in seinen Kreationen wird, kann ihn kaum             Welt, insbesondere Südamerika hat er geliebt
Stein, Wilfried Minks, Rainer Werner Fassbinder.          dem wegweisenden Hauptwerk des Philoso-           treffen, denn er denkt vom Bildermachen her.              und die Menschen dort ihn. Aber er bleibt ein
                                                          phen Ernst Bloch, mit dem Kresnik übrigens                                                                  Einzelkämpfer im Tanz, einmal abgesehen von
      Kresnik nahm alles mit, was Köln ihm                gelegentlich eine Partie Schach spielte.                Ich erinnere mich wie heute an die Pre-             der bemerkenswerten Arbeit der japanischen
geboten hatte, das exzellente Training, den                                                                 miere von „Ulrike Meinhof“ 1990. Kresnik war              Choreografin und ehemaligen Kresnik-Tänzerin
Emanzipationsgedanken des Tanzes als gleich-                     Kresniks Leiden an der Menschheit fiel     nach Bremen zurückgekehrt. Ich saß zufälliger-            Yoshiko Waki. Während Pina Bausch sich als
berechtigte Sparte im Stadttheater, den mo-               katholisch aus, gepaart mit Sinnenfreude bis      weise zwischen einem früheren Kultursenator,              Direktorin der Tanzabteilung der Folkwang-
dernen Unterricht, den Jazztanz der Sommer-               Wollust. Er war wild, oft auch unberechenbar.     der Kresniks Arbeit gegenüber nicht gerade                schule über Jahrzehnte den eigenen inter-
akademie und seine Wut auf die Politik der Zeit           Unser „Tanzpapst“ lebte und arbeitete wie ein     sympathisch gesonnen schien, und dem da-

                                            Das Spielzeitheft 2019                                                                                               23
30 Jahre
nationalen Nachwuchs                                                           stituts Bremen, in dem                                            Tanzfilm-ProdukTion                      Tanzfilm-archiv
schaffen konnte und                                                            wir auch Kresnik-Pro-
thematisch keine regi-                                                         duktionen filmisch do-
onalbezogenen politi-                                                          kumentierten,     seine
schen Themen anging,                                                           Videosammlung      digi-
blieb Kresnik seiner Me-                                                       talisierten und 2017 in
thode treu - es musste                                                         der Reihe „Zeugen des
weh tun, um das Publi-                                                         Tanzes“ eine filmische
kum aufzurütteln.                                                              Biografie zu Hans pro-
                                                                               duzierten. In diesem
       Jedes Jahr ein
                                                                               Jahr feiert das Deut-
neuer aktueller Anlass
                                                                               sche Tanzfilminstitut,
in Politik und Gesell-
                                                          das inzwischen Europas größtes Tanzfilmar-
schaft für ein neues Stück oder eine Person,
                                                          chiv beherbergt, seinen 30-jährigen Geburts-          video-digiTalisierung            video-resTauraTion                       lecTures
dessen Lebenswerk ihn interessierte. Die Zahl
                                                          tag - leider ohne Hans.
der Auftritte in einem Drei-Sparten-Haus wa-
ren für uns TänzerInnen nicht immer zufrie-                      Hans Kresnik starb am 27. Juli 2019 in
denstellend. Repertoirepflege kam uns in den              Klagenfurt. Plötzlich und für uns alle unerwar-
1970ern nicht in den Sinn, schien altbacken.              tet. Für den Knall müssen wir jetzt selber sor-
Lieber etwas Neues machen. Ich ging, um zu                gen. Das hat er sich verdient.                                                   Das Deutsche Tanzfilminstitut Bremen
studieren. Pina Bausch wäre die einzige Alter-
native gewesen. Das passte nun nicht mehr.                                                                                                 • ist ein nationales Archiv zur Sammlung und Produktion audiovisueller Tanzdoku-
Ich wollte diese Zeit trotzdem nicht verlieren.                                                                                            mente • ist eine Präsenzmediathek für Tanztheater und zeitgenössischen Tanz mit
Durch die Schnelllebigkeit von Kresniks Pro-                        Heide-Marie Härtel, 1971-1978 Tänzerin                                 mehr als 35.000 Titeln • ist eine Filmproduktion mit fünf digitalen und analogen
duktionsweise, befürchtete ich, würde man                           bei Johann Kresnik, Kulturwissenschaft-                                Schnittplätzen • produziert Videodokumentationen, Tanzfeatures und Tanzbe-
uns nie mehr glauben, dass wir mit Geweh-                           lerin, Filmemacherin, 1989 Gründerin       Tanzfilm-mediaThek          richterstattung für Theater, Tanzveranstalter und TV • restauriert und digitalisiert
ren aus Holz auf der Bühne gestanden hatten,                        des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen                                 alte Videoformate mit historisch wertvollen Tanzfilmdokumenten • realisiert eine
um gegen den Vietnamkrieg zu agitieren, dass                                                                                               innovative, multimediale Tanzdatenbank • unterstützt Choreographen und Thea-
unser Schwanensee-Prinz mit Panzern spielte                                                                                                ter bei der Rekonstruktion von Tanzvorstellungen • präsentiert Vortragsreihen zur
oder dass wir aus den Schwänen gestresste
                                                                                                                                           deutschen Tanzgeschichte weltweit • entwickelt web-basierte Mediatheken für
Hühner gemacht hatten.
                                                                                                                                           Festivals, Museen und Tanzakademien • unterstützt Tanz- und Theaterforscher bei
       „Man muss das sehen!“ Dieser Gedanke                                                                                                ihrer Recherchearbeit • hilft Tanzstudenten und Tänzern bei der Entwicklung von
und meine Ausbildung in Köln unter anderem                                                                                                 Medienkompetenz • kooperiert mit nationalen und internationalen Tanzarchiven
bei Kurt Peters, der die damals größte Tanz-
bibliothek des Landes aufgebaut hatte (heute                                                                   Tanz-daTenbank
Deutsches Tanzarchiv Köln), führten schließ-
lich zur Gründung des Deutschen Tanzfilmin-

                                                                                                                                                                      info@deutsches-tanzfilminstitut.de
                                                                                                                                                                      Am Wall 201, 28195 Bremen
                                                                                                                                                                      +49 (0) 421 24 05 50

                                                                                                                                                                      www.deutsches-tanzfilminstitut.de
                                                                                                               Tanzsalon                recherche

                                                                                                              Förderer:

                                           Das Spielzeitheft 2019                                                                                                25
Tanzkongress
                         ALLES ANDERS
                         Ein Kongress als Choreografie
                         - der Tanzkongress 2019
                         in Hellerau

Das Spielzeitheft 2019                27
Alles
              sollte anders werden bei
        diesem Tanzkongress – tänzerischer,
     künstlerischer, performativer… Das erste
     Mal beauftragte die Kulturstiftung des Bun-
    des eine Künstlerin mit der Ausrichtung des
   alle drei Jahre stattfindenden Branchentref-            Monatelang war der Homepage              wenn man es denn schaffen würde, einen der              Titel und Beschreibung der einzelnen Formate
  fens. Und zwar die Künstlerin   , die letztes Jahr        des Tanzkongress nichts zu ent-         begehrten Plätze zu bekommen, war ja nach               nicht, vor allem dann nicht, wenn man sich
                                                            nehmen als einzelne zum Teil            wie vor völlig unklar. Nur der Name ‚Meg Stu-           nicht gut auskannte in der Esoterik-Szene und
 gemeinsam mit ihrer Kompanie beim Deutschen                 kryptische Statements wie „We          art‘ stand im Raum – und dieser Name war/               die Verbindungen zu Performance nicht nach-
Tanzpreis    als   „Herausra gende   InterpretI nnen“         is a problematic word“ oder           ist selbstverständlich viel mehr als ein ‚nur‘ -        vollziehen konnte. Was war von einer Grup-
geehrt wurde: Meg Stuart. Dass diese Besetzung
                                                              „Chaos is not a problem“. Das         er steht für die Anfänge des Zeitgenössischen           penhypnose zu erwarten, was von „Dancing
                                                              Menü war als bewegte Schlan-          Tanzes in Brüssel, für die Suche nach einem             and Planting“, was von „Transindividual Tant-
   für Aufmerksamkeit in der Tanzszene sor-                  genlinie gestaltet, Bewegung           neuen Umgang mit Körper, Bewegung und                   ra“ oder „Dreaming Reality“? Vorträge gab es
      gen würde, war vorauszusehen, zählt Meg             sollte anscheinend eine große
                                                         Rolle spielen. Schon bald wurde
                                                                                                    Theater. Und für die „Übersetzung choreogra-
                                                                                                    fischer Ideen oder Strategien in andere Medi-
                                                                                                                                                            nicht, Aufführungen gab es nicht – es schien
                                                                                                                                                            wirklich alles anders zu werden.
        Stuart doch seit nun gut 30 Jahren             zwischen KollegInnen diskutiert, was         en und Formen“, wie Melanie Suchy anlässlich
           zu den Größen des Zeitgenössi-            dieser  Kongress wohl bringen würde,           des Tanzpreises über Stuarts Arbeit schreibt.
                                                                                                                                                            Anja K. Arend
                                                   ob man hinfahre oder nicht. Für Viele war        Nach der Öffnung der Akkreditierung am 6.
             schen Tanzes. Sie würde al-         sofort klar, dass man da hinfahren muss,           März war am 7. März schon nichts mehr zu
                  les anders machen.            denn immerhin richte Meg Stuart diese fünf          machen – der Kongress war ausgebucht. 500
                                                    Tage aus und das dürfe man sich unter keinen    TänzerInnen, ChoreografInnen, PerformerIn-
                                                  Umständen entgehen lassen, es musste einfach      nen, DramaturgInnen usw. hatten sich direkt
                                                 spannend werden.                                   hinter den Computer geklemmt, um dabei zu
                                                 Und dann, als die ersten Informationen durch-      sein. Viele andere hatten den kurzen Zeitslot,
                                                 sickerten, der Schock: die Zahl der Teilnehmen-    in dem die Anmeldung möglich war, schlicht-
                                                 den war auf 500 begrenzt. 500 Tanzschaffende       weg verpasst. Das war neu, das war überra-
                                                 ist angesichts der Größe und Internationalität     schend, das sorgte für Gesprächsstoff.
                                                 der Tanzszene nicht viel. Das hatte es bei die-    Sich einlassen, Mitmachen, Erfahren war und
                                                 sem Kongress, zumindest seit seiner Neuauflage     blieb die Devise. Information gehörte nicht
                                                 2006, noch nie gegeben. Tummelten sich 2016 in     zum Konzept. Erst ein paar Tage vor Beginn
                                                 Hannover doch mehr als 800 FachbesucherInnen       trudelten ein bis zwei Mails mit Informatio-
                                                 und 2013 in Düsseldorf mehr als 1000 Tanzschaf-    nen bei den TeilnehmerInnen ein. Es sollte
                                                 fende. Es klang durchaus vielversprechend, mit     losgehen am Mittwochnachmittag und enden
                                                 einer festen Gruppe über einzelne, gegenwärtig     Sonntagnacht. Auf der Einpackliste standen
                                                 in der Tanzszene brennende Themen zu disku-        eine Wasserflasche, ein Becher, eine Yogamat-
                                                 tieren und zusammen daran zu arbeiten. Weg         te, ein Buch zum Tauschen und eine Pflanze.
                                                 von einem großen Treffen hin zu einer wirklichen   Auch das wieder ein bisschen kryptisch. Und
                                                 Auseinandersetzung, die noch intensiviert wer-     dann endlich das Programm. Nun konnte aus-
                                                 den würde durch die Bedingung, die gesamten        gewählt, angestrichen, eingekreist und die ei-
                                                 fünf Tage anwesend zu sein. Doch das alles blieb   genen Planungen wieder und wieder verworfen
                                                 Spekulation. Was einen tatsächlich erwartete,      werden. Denn so richtig schlau wurde man aus

                                       Das Spielzeitheft 2019                                                                                          29
>KREISE(N )<
Zum Tanzkongress 2019

       Juni 2019. Wir diskutierten. Während des
Kongresses mit KollegInnen aus Tanzwissenschaft
und Journalismus, mit Studierenden, mit neuen Be-
kanntschaften, die während der fünf Tage in Hellerau
geschlossen wurden. Zurück in unseren Arbeitsstät-
ten diskutieren wir weiter - mit KollegInnen, die Teil
dieses Happenings oder Mysteriums, wie es auch ge-
nannt wurde, waren und mit denen, die nicht dabei
waren. Das Motto einer „long lasting affair“ hat sich
eingelöst, die Erinnerungen und Erfahrungen an die-
sen Kongress in Hellerau werden wir so schnell nicht
wieder los. Während einige begeistert berichten, sind
wir irritiert. Dieser Irritation Ausdruck zu verlei-
hen, sie zur Diskussion zu stellen und ein Format
zu hinterfragen, das uns nicht zuletzt auch positive
Momente bescherte, an dieser Stelle auch zu kritisch
anmutenden Worten. Letztlich sind diese jedoch eine
Reaktion auf eine radikale Form des Tanzkongresses.

      von Miriam Althammer und Anja K. Arend

                                          Das Spielzeitheft 2019   33
Kongresses spür- und sichtbar, thematisiert
                         Point Zero                                             wird es jedoch nicht. Auch nicht die kritisch
                                                                                erscheinenden Aspekte. Alles bleibt auf der
                                                                                Ebene der Erfahrung, Reflexionen des Erleb-
                                 Etwas zu seinen Wurzeln zurückzu-              ten gibt es nicht. Und Tanz ist in diesem so-
                         führen, kann vieles bedeuten. Bei Meg Stuart           zial-utopischen Prozess nur noch eine Ran-
                         und ihrem Team scheint die Rückbesinnung               derscheinung. In einem Prozess, der darauf
                         auf das historische Erbe des Ortes Hellerau,           abzielt, zumindest für wenige Tage „a society
                         der eng mit den Tanz- und Lebensreformbe-              like we want it to be“ zu kreieren. Doch wer
                         wegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts                ist dieses Wir?
                         verbunden ist, auch eine Art Tabula Rasa zu
                         sein: weg mit allem, was da ist, und her mit                  Es scheint in jedem Fall klar defi-
                         der Utopie. Sich der Vergangenheit, Gegen-             niert zu sein. Denn in dieser „intentional
                         wart und zum Teil auch der Zukunft zu ent-             community“ finden zwar zu gesellschaftli-
                         ledigen, ähnlich der schlechten Energien, die          chen Minderheiten zuzurechnende Positio-
                         in manchen Formaten des diesjährigen Tanz-             nen der Queer-Szene und ‚People of Color‘
                         kongresses mit Salbei-Räucherwerk oder                 ihren Platz,    doch sind dies lange nicht
                         Waschungen vertrieben wurden, scheint einer            alle                benachteiligten Gesell-
                         der Grundgedanken zu sein. „We don’t know                                   schaftsgruppen wie be-
                         if there will be another congress… I hope, I                                reits Marita Matzk in
                         really hope… with my heart.“ So in etwa                                     Bezug auf KünsterInnen
                         formuliert die US-amerikanische                                             mit Familie oder vier
                         Choreografin Meg Stuart am                                                 VerfasserInnen eines of-
                         Ende die Zukunft des                                                       fenen Briefes in Bezug
                         Tanzkongresses.                                                           auf Inklusion von Men-
                         Sollte es in drei                                                         schen mit Behinderungen
                         Jahren weiter-                                                           formulieren. Und sollte es
                         gehen,     sollte                                                        nicht viel eher grundsätz-
                         die    Kulturstif-                                                      lich um den Umgang mit
                         tung des Bun-                                                           Benachteiligung gehen, als
                         des den vergangenen                                                     darum einzelne Positionen
                         Kongress genau analy-                                                  zentral zu setzen?
                         sieren und reflektieren. Zu
                         befremdlich und radikal waren                                                    In einer Zeit, in der
                         die fünf Tage kollektiver Erfahrung                                      sich die Gesellschaft zuneh-
                         der in Hellerau kreierten „intentional                                   mend polarisiert, scheint es
                         community”, wie das Konzept während                                     äußerst fragwürdig, sich mit
                         der Eröffnung vorgestellt wird.                                         einem Kongress, bei dem es
                                                                                                um eine bundesweite und
                                                                                                internationale     Repräsenta-
                         „The Tanzkongress happens now                                         tion und Wahrnehmung ei-
                                                                                               ner Tanzszene gehen könnte,
                         – thank you for taking part in                         kon-        zeptuell und thematisch abzu-
                         being changed.”                                        grenzen, anstatt eine Öffnung vorzunehmen.
                                                                                Denn Offenheit vollzog sich bei diesem Kon-
                                                                                gress nur innerhalb eines im Vorhinein fest-
                                Verändert, transformiert und Teil von           gelegten Verständnisses und Systems. Die
                         etwas zu werden, das ist – vor allem in der            500 Teilnehmenden wurden mit ihrer Kon-
                         Tanzwelt – kein unbekanntes und erstmal                gressanmeldung Teil einer Gemeinschaft,
                         durchaus vielversprechend klingendes Vo-               ohne vorher in die während des Kongresses
                         kabular. Doch „intentional communities“ (als           deutlich und kompromisslos gelebten Werte
                         feststehender Begriff weist dieser auf Ge-             und Gemeinsamkeiten eingewilligt zu haben.
                         meinschaften wie Ökodörfer, Kommunen,                  Gut, die Bereitschaft sich auf das Unbekann-
                         Aschrams, Kibbuze und andere Kooperativen              te einzulassen, wurde von Beginn an klar
                         hin) folgen einer klaren Logik des Teilens –           kommuniziert. Doch sollte nicht gerade des-
                         von individuellem Wissen, Fähigkeiten, Wer-            halb der Bereitschaft der Teilnehmenden sich
                         ten, Materiellem – und damit gleichzeitig der          darauf einzulassen mit dem größtmöglichen
                         Logik von vielgestaltigen Abhängigkeitsver-            Respekt und der größtmöglichen Offenheit
                         hältnissen. Es gibt also, wie so oft, zwei Sei-        begegnet werden? Sich aufeinander einzu-
                         ten der Medaille. All dies wird im Laufe des           lassen, eine gegenseitige Neugier zu etab-

Das Spielzeitheft 2019                                                     35
lieren und die Strukturen der fünf gemeinsa-                          Überhaupt sind gruppenbildende Maß-      gtes LOVE – zu versammeln. So kann man                 Form sicherlich erst während des Kongresses
men Tage auszuhandeln, wäre vielleicht eine                   nahmen wie gemeinsam Essen, Schweigen,           die Auflösungserscheinungen des Samstags               ihr ganzes (auch radikales) Potential entfaltet
Möglichkeit gewesen. So wurde der Tanzkon-                    Berührungen oder kollektiv gestaltete rhyth-     ganz gut verdrängen. Vielleicht war es auch            und offengelegt. Getragen von verschiedenen
gress jedoch lediglich zum Kristallisations-                  mische Aktionen wie Gehen oder Klatschen         ein Test, inwieweit die Gruppe ohne äußeren            Gemeinschaften und Einzelpersonen, die sich
punkt einiger weniger Diskurse, die in Teilen                 zentrales Element der ganzen fünf Tage. Eine     Rahmen bereits gefestigt ist? Wenn ja, hätte           seit Jahren in Meg Stuarts Umfeld bewegen,
der Gesellschaft geführt werden, sich mit                     große Rolle spielen dabei Stimulierungen der     diesen ein Großteil nicht bestanden.                   entstand etwas, das trotz der hermetischen
‚dem Rest‘ aber nicht direkt auseinanderset-                  Sinne, wenn etwa beim Hellerau-Walk, einem                                                              Rigidität Freiräume für Positionierungen der
zen oder austauschen (wollen?).                               mit persönlichen Geschichten und roman-                  Für uns lässt sich das Wort der Ge-            Eingeladenen ließ – seien es esoterische oder
                                                              tischen Lieder untermalten Gang durch die        meinschaft bzw. der gemeinschaftlichen                     links-aktivistische Ideen. Für anderes war
                                                              Gartenstadt, alle Teilnehmenden Lavendelöl       Erfahrung nach diesem Kongress                                 wenig Platz. Meg Stuart verschwindet
                                                              auf ihre Schläfen geträufelt bekommen oder       kaum mehr neutral denken. Zu                                      meist unter den Teilnehmenden
Gruppenstrukturen                                             wenn Räume über Nebel, Räucherstäbchen           eng wird Gruppenerfahrung                                          und meidet in all den Tagen ihre
                                                              oder bis ins Detail durchdachte Lichtkonzep-     hier mit sozialen und politi-                                        Exposition, und doch ist sie die
                                                              te atmosphärisch verdichtet werden und über      schen Ansichten verknüpft.                                            Figur, um die sich alles dreht.
        Durch Ziehen einer spell-Karte (eng-                  Augen, Nase, Ohren und Haut Eingang in den       Im Konzept Meg Stuarts                                                 Ihre Nähe wird gesucht, ge-
lisch für Fluch) zu Kongressbeginn wird man                   Körper finden. Als singuläre Ereignisse wirken   scheint Tanz der Weg zu                                                nauso wie ein Raunen durch
per Zufall einer der 25 Gruppen von Meg Stu-                  diese Aktionen harmlos, in ihrer Gesamtheit      sein, um über Körperlich-                                              den Saal geht, wenn sie dur-
arts ‚Branches‘ (GruppenleiterInnen) zugeor-                  über fünf Tage als kleine, wiederkehrende        keit bestimmte Haltungen,                                              ch die Tür tritt. Auch das ist
dnet. Mit einher geht ein Motto für die folgen-               Bestandteile des Kongresses wird das ge-         Wertesysteme und Weltan-                                              ein bewährtes Mittel, um Ge-
den fünf Tage wie etwa „Cleansing/Charging“,                  forderte Einschwören auf eine Gemeinschaft       schauungen zu vermitteln.                                             meinschaft zu kreieren, im ge-
„Salad & Cake“, „No Shame“ oder „Sharing Pre-                 zunehmend übergriffig. Die geschaffenen At-      Dass unsere Welt keine ideale                                       meinsamen Warten und in der
sence“. Jede Gruppe beginnt mit einem eige-                   mosphären erlauben kaum ein Ausweichen.          ist, ist selbstverständlich. Ob                                   Bewunderung für eine so nah ers-
nen Ritual, das mal mehr mystisch-reinigend                   Natürlich lässt sich Nein-Sagen zu diesen An-    wir uns und sie in diesem Format                                cheinende und gleichzeitig so uner-
ausgerichtet ist, mal die Selbstsorge fokus-                  geboten, doch im selben Moment entstehen         ‚heilen‘ können - ein Wort, das im                           reichbare Figur.
siert oder mit körperlichen Manifestationen                   Schuldgefühle und Zweifel an sich selbst.        Kontext des Tanzkongresses und der ein-
durch gemeinsame Berührungen arbeitet,                        Ist man etwa nicht offen genug, wenn man         zelnen Workshops äußerst häufig auftaucht
und schon ist man Mitglied der Gru-                           an dieser Form des Zusammenlebens nicht          -, und ob ‚Heilung‘ anstatt Veränderung der            Politik - Kunst / Kunst - Politik
ppe und bereit für die Prozesse der                           teilnehmen möchte? Außerdem kommt ein            passende Ansatz ist, bleibt eine weitere Fra-
nächsten Tage. Nicht nur spirituell                           Nein in der (Wohlfühl-)Atmosphäre des ge-        ge, die wir aus diesen Tagen mitnehmen.
sind diese ‚spells’ gedacht, auch                              meinschaftlichen Tuns und der permanen-         Denn wer bestimmt, wie eine gesunde oder                       Das alles hat irgendwie politische Di-
praktische Aufgaben knüpfen                                        ten Emotionalisierung von Ereignissen ei-   geheilte Gemeinschaft aussieht? Und schon              mensionen. Nicht nur in der Entwicklung ei-
sich daran wie Frühstück berei-                                       ner totalen Verweigerung und Abwehr      taucht erneut die Frage nach dem ‚Wir‘ auf.            ner sozialen Utopie, auch im künstlerischen
ten, Abwaschen und Aufräumen,                                            gleich.                                                                                      Verständnis. „Activism as art“, heißt es im
Gemüse schneiden, die Teekü-                                                                                                                                          Vorübergehen in einer der vielen den Kon-
che betreuen. Der Clou an der                                                                                  Happening                                              gress beschließenden „Conventions“, die sich
Sache: Nur als Gruppe erhält                                                       Manche sind begeistert                                                             als offene Gesprächsrunden verstehen. Und
man mittags und abends sein                                                          von den körperlichen                                                             Aktivisten agieren politisch - das ist richtig
Essen, die Organisation bleibt                                                          Erfahrungen,     an-          Das, was da fünf Tage lang in Hel-              so und wichtig. Doch Kunst allgemein als ak-
Verhandlungssache,       Aufga-                                                             dere     nehmen    lerau vollzogen wurde, ist ein ‚Takeover‘, ein         tivistisch zu deklarieren, ist eventuell etwas
ben werden aufgeteilt und es                                                                   das Angebot     Kapern des Formats. Der Tanzkongress als               übergriffig angesichts der Heterogenität der
müssen sich alle aufeinander                                                                    als eine Art   „Happening“, wie es im Programm heißt, ist             zeitgenössischen Kunstszene. Und wofür je-
verlassen können – so wird                                                                      Retreat an,    eine gut geplante Improvisation des sich               de/r einzelne/r KünstlerIn politisch steht,
in den ersten beiden Tagen                                                                      oft geht es    selbst Zelebrierens. Ja, hier geschieht et-            sollte vielleicht eine persönliche Entschei-
die Nahrungsaufnahme zu                                                                       darum     sich   was im Sinne von ‚it happens‘, das ist nicht           dung bleiben. Wir hatten nicht den Eindruck,
einem der bestimmenden                                                                    wohlzufühlen,        zu verleugnen. Neues geschieht dabei je-               dass diese persönliche Positionierung gewün-
Themen, angelehnt an das                                                            und irgendwie machen       doch wenig. So entsteht eine Blase, die sich           scht ist. Sich hermetisch abzuschließen, um
Beuys‘sche Konzept der                                                         alle mit. Eine Vereinzelung     langsam, aber sicher über das Festspielhaus            alle auf eine gemeinsame Basis einzuschwö-
sozialen Plastik. Mit die-                                               setzt dann aber ein, und das ziem-    Hellerau stülpt und die sich immer stärker             ren – das sind keine neuen Konzepte. Und ob
ser Organisation des Es-                                          lich rasch, als am Samstag der Kongress      um sich selbst dreht.                                  es die Zukunft der Tanzszene sein kann bzw.
sens nutzt der Kongress                                       geöffnet wird: durch Walks in Hellerau, zur                                                             soll, wagen wir zu bezweifeln.
eines der fundamentalen                                       ehemaligen Villa Mary Wigmans und danach                 Man hört, die Planung des Kongresses
Bedürfnisse des Menschen                   zur                                                                 sei lange im Vagen geblieben. So sei eben Meg                 In jedem Fall folgt das Format einer
                                                              an die Elbe, um auch in der Stadt Präsenz
Generierung sozialer Struktu- ren. Da gibt                                                                     Stuarts Arbeitsweise, prozessorientiert und            ausgeklügelten Dramaturgie, geht durch ver-
                                                              zu zeigen. Wie schnell die Gemeinschaft in
es kaum ein Entkommen. Diese gipfelt im ge-                                                                    umgeben mit allen zur Verfügung stehen-                schiedene Phasen des Ankommens („Impro-
                                                              sich zusammenfallen kann, zeigt eben je-
meinsamen mehrgängigen Dinner aller Anwe-                                                                      den Möglichkeiten und Materialien. War den             vising the Past / Opening the Portal“), des
                                                              ner Tag. Am Sonntag kehrt man wieder zu-
senden am Freitagabend, das sich nur durch                                                                     Mitveranstaltenden und den Mitgliedern des             Auswählens aus dem Programm („Radical
                                                              rück nach Hellerau, bildet ein weiteres Mal in
das Engagement jedes Einzelnen und jeder                                                                       Leitungsteams also ebenso wenig bewusst,               Scheming / Collective Dreaming“), des sich
                                                              den als „Conventions“ titulierten Abschluss-
Einzelnen für die gegenseitige Versorgung                                                                      auf welche Vision sie sich da einlassen würden,        Öffnens mit einer Reihe von durch Rituale
                                                              runden kleine Grüppchen, um sich am Ende
vollziehen kann. Als „social choreography“ ist                                                                 wie den Teilnehmenden? Die Struktur, die über          geschaffenen Initiationsmomente vom Toten-
                                                              in der großen Abschlussrunde – um ein
dieser Abend ja auch angekündigt.                                                                              zwei Jahre geplant wurde, hat in ihrer offenen         tanz-Ritual bis hin zur Clubnacht („Down by
                                                              aus pink-violetten Leuchtstoffröhren gele-

                                             Das Spielzeitheft 2019                                                                                              37
the water / Grounding Earth / Planting Seeds
                         / serious pleasure / Fusing Bonding / Connec-         Reflexion - nicht gewünscht?
                         ting“) sowie des Ausklingens und Ausschlei-
                         chens am letzten Tag („New Constellations“).
                         Das alles ist professionell gemacht und funk-                  Das Spiel mit Gruppendynamiken, das
                         tioniert. Es entstehen Dynamiken, Atmo-               Hervorheben einzelner Diskurse, die Rück-
                         sphären und Erfahrungen. Und es hat seinen            bindung an Lebensreformbewegungen und
                         Reiz. Wäre es ein Kunstprojekt Meg Stuarts,           eine enge Verschränkung von Tanz und Le-
                         könnte man diese Vision einer sich durch Be-          benskonzept sind Themen, die ihre Rele-
                         wegung heilenden Gemeinschaft so stehen               vanz haben, die zum Nachdenken anregen
                         lassen, sie annehmen, kritisieren, diskutie-          und Diskussionen in Gang setzen können.
                         ren. Doch haben wir mit unserer Anmeldung             Doch Eines fällt eklatant auf: ein wirkliches
                         im März (wohlgemerkt ohne das Programm                reflexives Moment über die über fünf Tage
                         oder Hintergründe dessen zu kennen) wirk-             geschaffenen Strukturen der temporären
                         lich eingewilligt, Teil eines Kunstwerks wer-         Gemeinschaft und ihren Anliegen wird nicht
                         den zu wollen, statt Kongressteilnehmende             angeboten und stellt sich nicht ein, soll sich
                         zu sein? Wie verhält sich diese Inszenierung          wohl auch gar nicht einstellen. Alles bleibt im
                         einer Gemeinschaft zu den politischen Ideen,          Vagen, Begriffe schwirren durch die Luft, nicht
                         die während der fünf Tage immer wieder ihre           selten auch hohle Phrasen des immer glei-
                         Wege finden? Wieviel davon ist intendiert,            chen Institutionen- und Kapitalismus-Bas-
                         wieviel davon im festen Glauben an eine                hings. Raum für Erkenntnisse und eine rea-
                         Verbesserung der Welt durch ein ganz                      listische Anknüpfung an eine Wirklichkeit
                         bestimmtes Konzept von Tanz und                              sind kaum gegeben. Wir sind ja auch
                         Bewegung entstanden? Die Unsi-                                  eingeladen zum Träumen. Oder eben
                         cherheit über ein Konzept, das                                     zum Praktizieren, Tanzschaffen.
                         unter dem Deckmantel eines                                           Inhalte, neue Strategien oder
                         Kongresses daherkommt,                                                 Konzepte braucht es – vor
                         gar keiner sein will und                                                  dem Hintergrund sich als
                         doch wiederum so                                                             Gemeinschaft zu spüren
                         verstanden werden                                                             – anscheinend keine,
                         sollte, ist enorm.                                                             weder in Hinblick auf
                         Denn     der Tanz-                                                             Tanzszenen noch Ge-
                         kongress ist kein                                                             sellschaftsordnungen.
                         Kunstwerk – oder
                                                                                                       Es geht uns nicht um die
                         sollte es zumindest
                                                                                                    Kritik an einzelnen Prak-
                         nicht sein. Vielmehr stellt
                                                                                                 tiken, sondern um die un-
                         er eine der wenigen bun-
                                                                                              hinterfragte und damit auch
                         desweiten und internationalen
                                                                                            gefährliche Verknüpfung körper-
                         Austauschmöglichkeiten dar, die
                                                                                         lich-gemeinschaftlicher Erfahrungen
                         es für die Tanzszene gibt. Und er
                                                                                       mit esoterischen Positionen und po-
                         ist kein privates Projekt, sondern wird
                                                                                   litischen Ideen im Rahmen des Formats
                         durch öffentliche Gelder finanziert. In
                                                                                ‚Tanzkongress‘. Wann ist das „agreement“,
                         diesem Kontext erscheint Meg Stuarts Kon-
                                                                               dass jede/r TeilnehmerIn zu Beginn gegeben
                         zept, so gut es auch durchdacht war und funk-
                                                                               hat, nicht mehr Ausrede und Entschuldigung,
                         tioniert haben mag, unpassend – wenn nicht
                                                                               um auf Reflexionsräume verzichten zu kön-
                         gar problematisch. Dem Tanzkongress als ei-
                                                                               nen, in denen Kritik geäußert werden oder
                         nem der wichtigsten und wohl bestgeförder-
                                                                               neue Ideen entstehen könnten?
                         ten Formate für die Tanzszene Deutschlands
                         diesen so ausschnitthaften und tendenziösen                   Kann man als Teilnehmende/r dieses
                         Stempel aufzudrücken und mit zahlreichen              Prozedere um Gruppenstrukturen und esote-
                         esoterischen (in ihrer Extra-Version als „Pri-        rische Positionen einfach ausblenden? Sich
                         vate Sessions“ auch kostenpflichtigen) oder           stattdessen voll und ganz der durchaus ange-
                         gruppenideologischen Praktiken aufzuladen,            nehmen, körperlichen Erfahrung der Morgen-
                         ist unverantwortlich – gegenüber den Teil-            meditation, des gemeinsamen Yogas, Boxtrai-
                         nehmenden, den verwendeten öffentlichen               nings, Social Dancings widmen? Wir wollten
                         Geldern und einer Tanzszene, die so viel mehr         das nicht. Zu stark war das Gefühl des Unbe-
                         Vielfalt und Bandbreite zu bieten hat.                hagens gegenüber und innerhalb dieser ange-
                                                                               leiteten Gruppenaufgaben, des Instrumenta-
                                                                               lisiert- und Manipuliert-Werdens.

Das Spielzeitheft 2019                                                    39
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