Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.

Die Seite wird erstellt Mercedes Schulze
 
WEITER LESEN
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Das deutsche
Gesundheitssystem
Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Vorwort

                                        Liebe Leserinnen, liebe Leser,
    es sind die Gesundheitssysteme, die in allen Ländern zurzeit im Mittelpunkt der Bemüh-
    ungen um eine Bewältigung der Covid-19-Pandemie stehen. Denn auch die wirtschaft-
    lichen und die sozialen Folgen dieser Pandemie wird man nicht politisch abfedern können,
    wenn es nicht gelingt, das Coronavirus einzudämmen. Gerade in einer solchen Krise zeigt
    sich, ob Strukturen und Prozesse außergewöhnlichen Belastungen standhalten und ob
    die Akteure ausreichende Handlungsspielräume haben, um die Gesundheitsversorgung
    der Bevölkerung sicherzustellen und dem Infektionsgeschehen, gegen das weder Impfung
    noch Therapie sofort verfügbar sind, wirksam zu begegnen. Wir alle müssen die Krise
    nutzen, um dort Ressourcen zu stärken, wo sich Mängel offenbart haben. Die nächste
    Pandemie oder vergleichbare gesundheitliche Notlage kommt bestimmt!

    Dabei hat die Covid-19-Pandemie sehr deutlich gemacht, dass die entsprechenden Heraus-
    forderungen nicht nur nationale sind. Das Virus kennt keine Grenzen. Die europäischen
    und globalen Dimensionen haben sich gerade auch bei der Versorgung mit Arzneimit-
    teln, Medizinprodukten und medizinischer Ausrüstung gezeigt.
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 hat Deutschland den Vorsitz des Rats der Europäischen
Union (EU) inne und übernimmt damit eine wichtige Verantwortung im Gefüge der Union.
Für den Bereich der Gesundheit bedeutet dies jetzt in erster Linie, diese Fragen im Ge-
folge der gegenwärtigen Pandemie in ihrem europäischen Zusammenhang in den Blick
zu nehmen – und die Lehren zu ziehen, die wir ziehen müssen, um künftig als Europa
noch besser gewappnet zu sein.

Doch es gibt auch andere drängende Themen im Gesundheitsbereich, die für die Zukunft
Europas und seine Krisenfestigkeit von großer Bedeutung sind. So wollen wir in der Zeit
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Digitalisierung und die Nutzung von Big Data
und Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen voranbringen, aber auch die Arznei-
mittel- und Medizinprodukteversorgung in der EU sichern und verbessern.

Gemeinsame europäische Lösungen funktionieren immer dann besonders gut, wenn sie
nationale Besonderheiten berücksichtigen. Diese Besonderheiten sind oft historisch ge-
wachsen und führen dazu, dass sich auf vielen Feldern Strukturen und Prozesse in den
Mitgliedstaaten voneinander unterscheiden. Auch die Gesundheitssysteme haben sich in
Europa an die unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten und Voraussetzungen ange-
passt und sind deshalb verschieden.

Diese Publikation gibt einen Überblick über das deutsche Gesundheitssystem und erläutert
die wichtigsten Institutionen und Regelungsmechanismen. Wir hoffen, damit einen Bei-
trag zum Verständnis der bestehenden Gesundheitssysteme in Europa zu leisten. Denn
nur mit einem Verständnis füreinander können wir gerade in Zeiten gesundheitlicher
Notlagen wie der Covid-19-Pandemie gemeinsam mit unseren Partnern in der EU und
global die medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger sicherstellen, stetig ver-
bessern und einen echten EU-Mehrwert schaffen.

Jens Spahn
Bundesminister für Gesundheit
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Inhalt
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Historisch verwurzelt:
die Grundprinzipien des Gesundheitssystems                6

Vielschichtig vernetzt:
die Akteure des Gesundheitssystems                       14

Zuverlässig geschützt:
die gesetzliche Krankenversicherung                      22

Umfassend betreut:
Gesundheitsversorgung und Pflege                         28

Dynamisch ausgerichtet:
Herausforderungen und Chancen                            40

Zahlen zur deutschen Gesundheitsversorgung               48

Die Bundesgesundheitsministerinnen und
Bundesgesundheitsminister von 1961 bis heute             50

Glossar                                                  51

Quellenverzeichnis                                       54

Informationsangebote des Bundesgesundheitsministeriums   56

Impressum                                                61
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Historisch
verwurzelt:
die Grundprinzipien des
Gesundheitssystems
Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
Die Aufgabe ist gewaltig: Rund 83 Millionen    weltweit erste staat­liche Sozialversicherung,
                        Bürgerinnen und Bürger werden in Deutsch-      die der deutsche Reichskanzler Otto von
                        land medizinisch versorgt. Dafür steht ihnen   Bismarck im Jahr 1883 einführte. Sie legte
                        ein Netzwerk unter anderem aus rund            den Grundstein für die gesetzliche Kran-
                        1.900 Krankenhäusern1, rund 150.000 Ärz-       kenversicherung in Deutschland, in der
                        tinnen und Ärzten2 und circa 28.000 Psycho-    die meisten Bürgerinnen und Bürger ver-
                        therapeutinnen und Psychotherapeuten3,         sichert sind.
                        die in der ambulanten Versorgung tätig
                        sind, sowie fast 19.500 Apotheken4 zur Ver-
                        fügung. Die Kosten dieses Versorgungssys-
                        tems sind hoch: Über 391 Milliarden Euro5
                                                                       Die Gesundheitsver-
                        wurden im Jahr 2018 – so die aktuellsten       sorgung in Deutsch-
                        Zahlen des Statistischen Bundesamtes –
                        für Gesundheit in Deutschland ausgege-
                                                                       land basiert auf fünf
                        ben. Das ist mehr als eine Milliarde Euro      Grundprinzipien
                        pro Tag. Damit geht mehr als jeder zehnte
                        Euro des deutschen Bruttoinlandsprodukts       Versicherungspflicht
                        ins Gesundheitswesen.                          Mit Einführung der Versicherungspflicht in
                                                                       der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
                        Das Gesundheitswesen wird über die gesetz-     zum 1. April 2007 und in der privaten Kran-
                        liche und die private Krankenversicherung      kenversicherung (PKV) zum 1. Januar 2009
                        finanziert. Das heutige System ist histo-      besteht für alle Bürgerinnen und Bürger
                        risch gewachsen. So entstanden die ersten      die Verpflichtung, einen Krankenversiche-
                        Vorformen der solidarischen Krankenver-        rungsschutz abzuschließen, wenn sie ihren
                        sicherung schon im Mittelalter. Zünfte         Wohnort oder ihren gewöhnlichen Aufent-
                        und auch einige Unternehmen kümmerten          haltsort in Deutschland haben. Insbeson-
                        sich um die ärztliche und pflegerische Ver-    dere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
                        sorgung ihrer Mitglieder und Mitarbeite-       sind in der GKV pflichtversichert, wenn ihr
                        rinnen und Mitarbeiter. Die verschiedenen      Einkommen eine bestimmte Grenze nicht
                        Formen der sozialen Ab­sicherung, die sich     überschreitet (2020 liegt die Versicherungs-
                        daraus über die Jahrhunderte entwickel-        pflichtgrenze bei 5.212,50 Euro monatlich).
                        ten, wurden während des 19. Jahrhunderts       Übersteigt das monatliche Ein­kommen diese
                        vereinheitlicht. Ein Meilenstein war die       Grenze, können die Versicherten als frei-
                                                                       willig versichertes Mitglied in der GKV
                                                                       bleiben oder eine private Krankenversiche-
                                                                       rung wählen. Einige Personengruppen sind
                                                                       auch dann von der Versicherungspflicht in
                                                                       der GKV befreit, wenn ihr Einkommen
Ein Netzwerk                                                           unterhalb der Versicherungspflichtgrenze
                                                                       liegt. Dazu zählen zum Beispiel Beamtinnen
unter anderem aus rund 1.900 Krankenhäusern,                           und Beamte sowie Selbstständige.
rund 150.000 Ärztinnen und Ärzten und
­circa 28.000 Psycho­therapeutinnen und Psycho­
therapeuten, die in der ambulanten Versorgung
­tätig sind, sowie fast 19.500 Apotheken ­versorgt
rund 83 Millionen Bürgerinnen und B
                                  ­ ürger in
Deutschland.

                                                                                                                   8
und wird zur Hälfte vom Arbeitgeber über-
                                                nommen. Privatversicherte können eben-
                                                falls einen Zuschuss von ihrem Arbeitgeber
                                                oder Rentenversicherungsträger erhalten.
                                                Anders als in der PKV sind Kinder und
                                                Ehepartnerinnen und Ehepartner, die kein
                                                oder nur ein geringes eigenes Einkommen
Beitragsfinanzierung                            haben, in der GKV als Familienmitglieder
GKV und PKV finanzieren sich über die           mitversichert und brauchen keinen eigen-
Beiträge ihrer Mitglieder. Während der          ständigen Beitrag zu zahlen. Die Beiträge
Beitrag in der PKV nach dem Gesundheits-        von Arbeitslosengeld- sowie Sozialhilfe-
zustand, dem Eintrittsalter und dem indi-       empfängerinnen und -empfängern über-
viduellen Risiko berechnet wird und die         nimmt in der Regel der zuständige Sozial-
Leistungen sowie mögliche Selbstbeteili-        leistungsträger.
gungen individuell vertraglich vereinbart
werden, richten sich die Beiträge in der
GKV nach dem Einkommen des Mitglieds.
Alle Versicherten erhalten die gleichen
Leistungen. Wer mehr verdient, zahlt auch
mehr ein. Das macht das solidarische Ge-
sundheitssystem in der GKV aus. Der allge-
meine Beitragssatz in der GKV liegt bei
14,6 Prozent, von dem die Arbeitgeber die
Hälfte zahlen. Jede Krankenkasse kann noch
                                                                                               83,3 Jahre
einen Zusatzbeitrag erheben. Dieser liegt                                                      beträgt aktuell die
zur­zeit im Durchschnitt bei circa 1 Pro­zent                                                  Lebenserwartung für
                                                                                               neugeborene Mädchen.6

                                                                                               78,5 Jahre
                                                                                               beträgt aktuell die
                                                                                               Lebenserwartung für
                                                                                               neugeborene Jungen.6

9                                                                              Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems
30 %                                                                        Selbstverwaltungsprinzip
der Bürgerinnen und Bürger gehen                                            Das Gesundheitssystem ist komplex. Im-
drei- bis fünfmal pro Jahr zur Ärztin                                       mer wieder stehen sich Interessen gegen-
oder zum Arzt.7                                                             über, die miteinander in Einklang gebracht
                                                                            werden müssen: Die Patientinnen und
                                                                            Patienten wünschen sich eine optimale
                                                                            Behandlung, die Ärztinnen und Ärzte eine
                             Solidaritätsprinzip                            moderne Technik und die Krankenkassen
                             Das deutsche Gesundheitssystem wird            müssen dafür sorgen, dass sie das alles
                             durch die Solidargemeinschaft finanziert.      mit den Versichertenbeiträgen finanzieren
                             Das heißt: Alle gesetzlich Versicherten        können. Wer soll das regeln? Macht’s der
                             tragen gemeinsam die Kosten, die durch         Staat? Entscheidet der Markt? Oder die Be-
                             Krankheiten der einzelnen Mitglieder ent-      teiligten selbst?
                             stehen. Jede und jeder gesetzlich Versi-
                             cherte hat den gleichen Anspruch auf           Deutschland hat sich für die letzte Variante
                             medizinische Versorgung – egal, wie hoch       entschieden: das Selbstverwaltungsprinzip.
                             ihr oder sein Einkommen ist und damit          Das bedeutet: Der Staat gibt zwar die Rah-
                             ihre oder seine Beiträge für die Kranken-      menbedingungen und Aufgaben für die
                             versicherung sind. Gesunde stehen also         medizinische Versorgung vor. Er erlässt
                             für Kranke ein, Reiche für Arme und Sin-       Gesetze und Verordnungen dafür. Wie das
                             gles für Familien. Zu dieser Solidarität ge-   System dann aber genau organisiert und
                             hört es auch, dass Berufstätige bei einer      ausgestaltet wird und vor allem welche
                             Erkrankung weiter ihren Lohn bekom-            medizinischen Behandlungen, Operationen,
                             men. Die ersten sechs Wochen zahlt der         Therapien und Arzneimittel von den Kran-
                             Arbeitgeber diesen in voller Höhe weiter.      kenkassen finanziert werden und welche
                             Wer länger krank ist, erhält von seiner        nicht, das wird innerhalb des Gesundheits-
                             Krankenkasse ein sogenanntes Kranken-          wesens entschieden. Diese gemeinsame
                             geld, das 70 Prozent des Bruttolohnes ent-     Selbstverwaltung im Gesundheitswesen
                             spricht.                                       übernehmen die Vertreterinnen und Ver-
                                                                            treter der Ärzte-, Zahnärzte- und Psycho-
                             Sachleistungsprinzip                           therapeutenschaft, der Krankenhäuser,
                             Gesetzlich Versicherte werden ärztlich be-     Krankenkassen und Versicherten gemeinsam.
                             handelt, ohne dass sie dafür in finanzielle    Ihr oberstes Gremium ist der Gemeinsame
                             Vorleistung gehen müssen. Die Ärztinnen        Bundesausschuss (G-BA). Vertreterinnen
                             und Ärzte, Kliniken und Apotheken rech-        und Vertreter von Patienten­­organisationen
                             nen die Therapien und Arzneimittel direkt      haben ein Antrags- und Mitberatungsrecht
                             mit den Krankenkassen ab. Die Versicher-       im G-BA. Der G-BA konkre­tisiert in ver-
                             ten haben damit – abgesehen von einzel-        bindlichen Richtlinien den Leistungsan-
                             nen gesetz­lichen Zuzahlungen – Anspruch       spruch der Versicherten in der Versorgung
                             auf eine kostenfreie Behandlung.               der gesetzlichen Krankenversicherung, zum
                                                                            Beispiel welche Behandlungen von der ge-
                                                                            setzlichen Krankenversicherung bezahlt
                                                                            werden. Neue Arzneimittel werden dabei
                                                                            regelhaft erstattet.

Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems                                                                           10
Einordnung des
deutschen
Gesundheitssystems
Sieht man sich die Gesundheitssysteme            Als Drittes gibt es marktwirtschaftlich
verschiedener Länder an, stellt man fest,          orientierte Systeme: In ihnen spielt der
dass sie sich grob in drei Kategorien ein-         Staat eine nachgeordnete Rolle. Organi-
teilen lassen:                                     sation und Steuerung des Gesundheits-
                                                   sektors sind Aufgaben der privaten Ak-
                                                   teure. Auch finanziert wird alles privat:
 Es gibt staatliche Gesundheitssysteme, die      Es gibt privatwirtschaftliche Versiche-
   vom Staat organisiert und über Steuer-          rungsunternehmen, oder die Bürgerinnen
   gelder finanziert werden. In Großbritan-        und Bürger bezahlen ihre Arztbehand-
   nien und Schweden ist es beispielsweise         lung direkt selbst. Sie müssen auch selbst
   so. In diesen Ländern werden alle Opera-        für ihren Lebensunterhalt sorgen, wenn
   tionen, Therapien und Arzneimittel aus          sie wegen einer Krankheit längere Zeit
   dem Staatshaushalt bezahlt. Es gibt ledig-      im Job ausfallen – Lohnfortzahlung gibt
   lich Zuzahlungen zu manchen Behand-             es dann nicht. So ist es etwa in den USA.
   lungen. Der Staat organisiert in diesen
   Ländern auch die Versorgung mit Kran-
   kenhäusern und Gesundheitszentren.

 In anderen Ländern gibt es Sozialversi-
   cherungssysteme. In diesen finanzieren
   weitgehend Sozialversicherungen, also
   Krankenkassen, die medizinische Versor-
   gung. Dafür zahlen Unternehmen und
   Beschäftigte in die Krankenkassen ein –
   so wie es beispielsweise in Deutschland
   ist. Anders als in den staatlich organi-
   sierten Gesundheitssystemen sind private
   und öffentliche Anbieter nebeneinander
   tätig. In einem gesetzlich abgesteckten
   Rahmen regulieren sie ihre Beziehungen
   selbst. Das ist das sogenannte Selbstver-

                                                                     Circa 5,7 Mio.
   waltungsprinzip.

                                                                     Menschen sind im Gesundheitswesen beschäftigt –
                                                                     von den Arztpraxen über die Verwaltung bis hin zur
                                                                     pharmazeutischen Industrie.8

11                                                                               Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems
Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems   12
Das föderale System
Deutschlands
Als das Coronavirus Deutschland erreicht     Um beim Beispiel Coronapandemie zu
hatte, konnte man beobachten, dass der       bleiben: Der Bundesgesetzgeber hat für den
Kampf gegen den Erreger auf zwei Ebenen      Infektionsschutz den Rahmen in Deutsch-
erfolgte: Die Bundesregierung hat emp-       land vorgegeben. Welche Behörden dazu
fohlen, dass die sozialen Kontakte aller     tätig werden und wie die Vorschriften im
Bürgerinnen und Bürger beschränkt wer-       Einzelnen umgesetzt werden, regeln dann
den sollten. Die einzelnen Bundesländer      aber die Länder für ihr Gebiet im Detail.
haben dann unter anderem festgelegt, ob      Der Gedanke dahinter ist, dass die Politik
und wann sie Schulen, Museen und Res-        möglichst bürgernah sein soll. Deshalb sind
taurants zum Infektionsschutz schließen.     die staatlichen Aufgaben in Deutschland
                                             nach dem Subsidiaritätsprinzip verteilt,
Das war Ausdruck des föderalen Systems,      auch Nachrangigkeitsprinzip genannt: Zu-
nach dem die Bundesrepublik und damit        nächst sind die Kommunen für ihre Bür-
auch das Gesundheitssystem aufgebaut sind.   gerinnen und Bürger zuständig, dann die
Im Mittelpunkt des Föderalismus steht die    Länder. Der Bund setzt den politischen
enge Zusammenarbeit zwischen Bund und        Rahmen in bestimmten Bereichen.
Ländern. Die Länder beteiligen sich unter
anderem über den Bundesrat an der Gesetz-
gebung und setzen Bundesgesetze um.

13                                                                           Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems
Vielschichtig
vernetzt:
die Akteure des Gesundheitssystems
Jeder Mensch soll im Krankheitsfall
                             schnelle medizinische Hilfe bekommen.
                             Dafür braucht es viele verschiedene Ak-
                             teure und dazu gehören unter anderem            1. Rahmensetzung durch staatliche Vor-
                             Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und              gaben: Bund, Länder und Kommunen
                             Therapeuten, Gesundheits- und Kranken-               analog zur föderalen Struktur Deutsch-
                             pflegerinnen und -pfleger, Krankenhäuser,            lands
                             Rehabilitationseinrichtungen sowie Apo-
                             theken. Und deren Leistungen müssen be-         2. Ausgestaltung der Gesundheitsversor-
                             zahlt werden. Das wiederum übernehmen                gung durch die Selbstverwaltung mit
                             die Krankenkassen. Aber welche Behand-               ihren Körperschaften und Verbänden
                             lungen genau? Das alles muss entschieden,
                             geregelt und koordiniert werden. Das Ge-        3. Konkrete Versorgung durch Kranken-
                             sundheitssystem ist komplex. Es lässt sich           kassen, Ärzteschaft, die unterschied-
                             in drei Ebenen unterteilen:                          lichsten Gesundheitsberufe, Kranken-
                                                                                  häuser und Apotheken, die ihre Inte-
                                                                                  ressen jeweils durch Verbände vertre-
                                                                                  ten lassen

                                                     Wechselnde
                                                     Aufgaben
                                                     Auch wenn das BMG seit 1961 oberste Bundes-
                                                     behörde im Bereich der Gesundheit ist, haben
                                                     seine Zuständigkeiten im Laufe der Jahrzehnte
                                                     immer wieder Änderungen erfahren. Zwischen
                                                     1969 und 1991 wurde das BMG mit dem heuti-
                                                     gen Bundesministerium für Familie, Senioren,
                                                     Frauen und Jugend zusammengelegt. Nachdem
                                                     es 1991 wieder eigenständig wurde, war es von
                                                     2002 bis 2005 kurzfristig auch für den Bereich
                                                     Soziales (und damit die Rentenversicherung)
                                                     zuständig, der anschließend wieder in die Zu-
                                                     ständigkeit des Ministeriums für Arbeit rückte.

Die Akteure des Gesundheitssystems                                                                                   16
Die erste Ebene: der
gesetzliche Rahmen
Das Bundesministerium für Gesundheit          der Bundesregierung für Pflege sowie die
Innerhalb der Bundesregierung ist das         Beauftragten der Bundesregierung für
Bundesministerium für Gesundheit (BMG)        Drogenfragen und für die Belange von
federführend im Bereich der Gesundheits-      Patientinnen und Patienten.
politik. Es ist damit für die Ausarbeitung
der entsprechenden Gesetzesvorhaben, Ver-     Neben dem Deutschen Bundestag und der
ordnungen und Verwaltungsvorschriften         Bundesregierung ist der Bundesrat der dritte
zuständig. Dem auf der Bundesebene zu-        entscheidende Akteur der Gesundheitspo-
ständigen Bundesgesundheitsministerium        litik auf Bundesebene. Er ist als „2. Kam-
untersteht eine Reihe von Institutionen,      mer“ die Institution der Länder, in der sich
die sich mit übergeordneten gesundheit-       die einzelnen Landesregierungen auch zu
lichen Aufgabenstellungen befassen: das       gesundheitspolitischen Fragen äußern.
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi-
zinprodukte (BfArM), das Paul-Ehrlich-        Der Gesetzgeber und die staatliche Gesund-
Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und   heitspolitik setzen den Rahmen, in dem
biomedizinische Arzneimittel (PEI), das       die Partner im Gesundheitswesen ihre Ent-
Robert Koch-Institut (RKI) und die Bundes-    scheidungen treffen können. Dabei gilt es,
zentrale für gesundheitliche Aufklärung       gesundheitspolitische Prioritäten und eine
(BZgA). Zur Seite stehen dem Bundesgesund-    bedarfsgerechte Verwendung der finanzi-
heitsminister außerdem der Bevollmächtigte    ellen Mittel in Einklang zu bringen.

17                                                                                   Die Akteure des Gesundheitssystems
Die Bundesländer                               Die Kommunen
                        Die Bundesländer verfügen über eigene          Die Menschen, die zur Ärztin beziehungs-
                        Kompetenzen zur Gesetzgebung. Sie sind         weise zum Arzt oder zur Physiotherapeutin
                        verantwortlich für die Durchführung der        beziehungsweise zum Physiotherapeuten
                        Bundesgesetze sowie für die Planung und        gehen, suchen diese in erster Linie in
                        Finanzierung der stationären Versorgung.       ihrem eigenen Dorf oder ihrer Stadt auf.
                        Darüber hinaus haben sie die Fach- und         Das ist ihr unmittelbares Umfeld, in dem
                        Dienstaufsicht über den kommunalen             sie auch medizinisch versorgt werden wol-
                        Öffentlichen Gesundheitsdienst.                len. Deswegen sind die Kommunen als
                                                                       kleinster politischer Ordnungsrahmen so
                        Zwar liegt die Zuständigkeit für die gesetz-   wichtig: Sie agieren nah am Menschen
                        liche Krankenversicherung überwiegend          und sind damit verantwortlich für die Ge-
                        beim Bund. Gleichwohl sind für die Auf-        sundheitsversorgung vor Ort. Auch für die
                        sicht über die regionalen Kassen die Länder    Prävention, also die Gesundheitsvorsorge:
                        zuständig. Auch die Heilberufe-Kammern         Die Kommunen bieten viele niedrigschwel-
                        (Landesärzte-, Landeszahnärzte-, Landes-       lig zugängliche Angebote an, wie zum Bei-
                        apotheker- sowie Landespsychotherapeu-         spiel psychosoziale Beratung im Krisenfall.
                        tenkammern) sowie die Kassenärztlichen         Sie stellen damit Chancengleichheit im
                        und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen         deutschen Gesundheitswesen sicher.
                        fallen in den Aufsichtsbereich der Länder.
                                                                       Auch die kommunalen Gesundheitsämter
                                                                       sind wichtiger Bestandteil der deutschen
                                                                       Gesundheitsvorsorge. Sie sind nah dran an
                                                                       den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Bei
                                                                       der aktuellen Coronakrise beispielsweise
                                                                       dokumentieren sie alle Neuinfektionen
                                                                       und verfolgen die Infektionsketten nach,
                                                                       um den Verlauf der Virusverbreitung in ihrer
                                                                       Kommune zu beobachten. Sie regeln auch
Landesgesund-                                                          mit den Krankenhäusern, inwiefern diese
                                                                       Betten für Coronapatientinnen und -patien-
heitspolitik                                                           ten bereithalten und dafür womöglich
                                                                       andere Behandlungen wie planbare Ope-
Institutionell ist die Zuständigkeit für Landesge-                     rationen verschieben müssen. Die Kom-
sundheitspolitik in der Regel in einem Landes­                         munen sind selbst vielfach Träger von
ministerium gebündelt. Die Landesgesundheits-                          Krankenhäusern.
ministerinnen und Landesgesundheitsminister
tagen regelmäßig im Rahmen der Gesundheits-
ministerkonferenz der Länder (GMK).

Kommunen
Die deutschen Kommunen bieten ihre Beratungs-
angebote überwiegend kostenlos für alle an,
so etwa im Bereich der Schwangerschaftsberatung,
der HIV-Vorsorge, der Suchtberatung und
der psychologischen und psychiatrischen Hilfe.

                                                                                                                18
Sozialwahlen
Die zweite Ebene:                                                      Was vielen Bürgerinnen und Bürgern in
Selbstverwaltung                                                       Deutschland nicht bewusst ist: Durch die alle
                                                                       sechs Jahre statt­findenden Sozialwahlen
 Ein wichtiges Element im deutschen                                    können Beitragszahlende der deutschen Sozial­
­Gesundheitssystem ist es, dass die Akteure                            versicherungen die Zusammensetzung der
 selbst darüber entscheiden, welche medi-                              Gremien der Selbstverwaltung mitbestimmen.
 zinischen Leistungen von den Leistungs-
 erbringern zu Lasten der Solidargemein-
 schaft – also den Krankenkassen – erbracht
 und finanziert werden. Hierbei orientieren
 sie sich an dem Grundsatz des Wirtschaft-
                                                                      Der G-BA
 lichkeitsgebots. Das bedeutet, Leistungen                             wird in seiner Arbeit durch zwei wissenschaft-
 müssen ausreichend, zweckmäßig und                                    liche Institute unterstützt: Das Institut für
 wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des                           Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) be-
 Notwendigen nicht überschreiten. Für da-                              wertet vor allem Nutzen und Kosten von
 rüber hinausgehende Leistungen müssen                                 Arzneimitteln und Behandlungsmethoden in
Versicherte in der Regel selbst aufkommen.                             der GKV. Das Institut für Qualität und Trans­
                                                                       parenz (IQTIG) ist das zentrale Institut für die
Bei vielen Behandlungen ist ohnehin klar,                              gesetzlich verankerte Qualitätssicherung im
dass sie von der gesetzlichen Krankenver-                              Gesundheitswesen.
sicherung übernommen werden: Wer einen
Herzinfarkt erleidet, wird sofort von einer
Notärztin oder einem Notarzt versorgt.
Das bezahlt die Krankenkasse. Auch wer
beim Sport umknickt, gibt bei der Ortho-       Behandlungsmethoden, moderne Medizin-
pädin oder beim Orthopäden seine Kran-         technik, neue Heilmittel oder alternative
kenversicherungskarte ab, wird geröntgt        Heilmethoden bezahlen sollen. Für neue
und bekommt bei Bedarf den Fuß banda-          Arzneimittel wird eine Nutzenbewertung
giert. Es gibt aber auch Grenzfälle. Was,      durchgeführt. Neue Arzneimittel werden
wenn eine Patientin oder ein Patient nach      dabei regelhaft erstattet.
einer orthopädischen Verletzung statt einer
physiotherapeutischen eine osteopathische      Der G-BA setzt sich aus folgenden Mitglie-
Behandlung in Anspruch nehmen möchte?          dern zusammen: dem GKV-Spitzenverband,
Wenn sie oder er keine Schmerztabletten,       der Kassenärztlichen und der Kassenzahn-
sondern homöopathische Arzneimittel            ärztlichen Bundesvereinigung sowie der
nehmen möchte? Dann muss jemand ent-           Deutschen Krankenhausgesellschaft. Doch
scheiden, ob auch diese Leistungen von den     auch die Patientinnen und Patienten sollen
Krankenkassen übernommen werden. Dafür         ihre Interessen selbst einbringen. Deshalb
gibt es den Gemeinsamen Bundesausschuss.       haben auch Vertreterinnen und Vertreter
                                               von Patienten- und Behindertenorganisa-
Der Gemeinsame Bundesausschuss                 tionen ein Mitberatungs- und Antragsrecht
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)          im G-BA. Sie dürfen dort zu allen Themen
mit Sitz in Berlin ist das wichtigste Gre-     mitberaten, beispielsweise ob die Kassen
mium der gemeinsamen Selbstverwaltung          die Ernährungsberatung für Patientinnen
im Gesundheitswesen. Im G-BA beraten           und Patienten mit Diabetes bezahlen,
Vertretungen der Krankenkassen, Ärztin-        welche neuen Behandlungsmethoden in die
nen und Ärzte und Krankenhäuser gemein-        Versorgung aufgenommen werden oder wel-
sam darüber, ob die Krankenkassen neue         chen Zahnersatz die Kassen finanzieren.

19                                                                                     Die Akteure des Gesundheitssystems
Die Krankenkassen und der Spitzen-
                             verband Bund der Krankenkassen
                             In Deutschland gibt es eine breite Auswahl
                             an Möglichkeiten, um sich krankenzuver-
                             sichern. Die gesetzliche Krankenversiche-        Die Kassenärztlichen und Kassenzahn-
                             rung mit ihren aktuell 1059 Krankenkassen        ärztlichen Bundesvereinigungen
                             zählt die meisten Versicherten. Gesetzlich       Für die Sicherstellung der ambulanten
                             Krankenversicherte können Mitglied einer         medizinischen beziehungsweise psycho-
                             Orts-, Betriebs-, Innungskrankenkasse oder       therapeutischen und zahnmedizinischen
                             Ersatzkasse sein oder sind über die landwirt-    Versorgung der gesetzlich Krankenversi-
                             schaftliche Krankenkasse oder die Knapp-         cherten in Deutschland sind die jeweiligen
                             schaft versichert. Darüber hinaus gibt es auch   Kassen- und Kassenzahnärztlichen Ver-
                             private Krankenversicherungsunternehmen.         einigungen (KVen und KZVen) sowie die
                                                                              jeweilige Bundesorganisation (Kassenärzt-
                             Die Krankenkassen sind in einem Spitzen-         liche Bundesvereinigung [KBV] und Kassen-
                             verband zusammengeschlossen, dem Spit-           zahnärztliche Bundesvereinigung [KZBV])
                             zenverband Bund der Krankenkassen (GKV-          verantwortlich. Neben diesem Sicherstel-
                             Spitzenverband). Über diesen oder über ihre      lungsauftrag vertreten sie die Interessen der
                             Regionalverbände schließen sie Verträge mit      Ärztinnen und Ärzte sowie der Psychothe-
                             Ärzteverbänden, Kliniken und Apotheken           rapeutinnen und -therapeuten und der Zahn-
                             und regeln, wie viel Geld sie für die einzel-    ärztinnen und Zahnärzte, die an der vertrags-
                             nen medizinischen Behandlungen zahlen.           (zahn-)ärztlichen Versorgung teilnehmen.

                             Die Deutsche Krankenhausgesellschaft
                             Die einzelnen Krankenhäuser vertreten
                             ihre Interessen nicht individuell, sondern
                             über ihre Verbände. Auf Landesebene sind
                             die Krankenhäuser in Landeskrankenhaus-
                             gesellschaften organisiert. Die Landesver-
                             bände wiederum sind in der Deutschen
                             Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG) zu-
                             sammengeschlossen. Die übernimmt ge-
                             setzliche Aufgaben im Rahmen der Selbst-
                             verwaltung im Gesundheitswesen.

Die Akteure des Gesundheitssystems                                                                                      20
Die dritte Ebene:
die einzelnen Akteure
und ihre Interessen-
vertretungen
Und wo werden jetzt tatsächlich Menschen
behandelt, die Patientinnen und Patienten
versorgt? Das passiert auf der dritten Ebene
durch Ärztinnen und Ärzte, Therapeutin-
nen und Therapeuten, Krankenhäuser und
Rehakliniken. Damit diese in der unmit-
telbaren Patientenversorgung tätigen Ak-
teure auch politisch Gehör finden, sind sie
in Standesorganisationen sowie Berufs-
und Unternehmensverbänden organisiert.
Hier sind etwa die Bundes- und Landes-
kammern der verschiedenen Heilberufe
oder auch die Bundesvereinigung Deut-
scher Apothekerverbände (ABDA) zu nen-
nen. Des Weiteren sind hier Patientenorga-
nisationen, die Berufs- und Interessenver­-
bände der Ärzteschaft, die Verbände der
nicht ärztlichen Heilberufe, der Verband
der Privaten Krankenversicherung und
die Verbände der Arzneimittelhersteller
angesiedelt.

21                                             Die Akteure des Gesundheitssystems
Zuverlässig
geschützt:
die gesetzliche Krankenversicherung
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)                                     Dabei blickt das deutsche System der
                              ist ein zentrales Element des deutschen                                       Krankenversicherung auf eine lange Tradi-
                              Gesundheitssystems. Ihr Auftrag reicht von                                    tion zurück. Die GKV hat ihren Ursprung in
                              der Gesundheitsförderung und Vorsorge                                         der bereits erwähnten Bismarck’schen Sozial-
                              über die konkrete Krankenbehandlung bis                                       gesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Anfangs
                              hin zur Rehabilitation. Das Gesetz definiert                                  war sie als selbstverwaltete und beitragsfi-
                              die Aufgaben so: Die Krankenkasse soll die                                    nanzierte Versicherung ausschließ­lich für
                              Gesundheit der Versicherten erhalten, im                                      Arbeiter konzipiert. Im Jahr 1911 wurde die
                              Krankheitsfall wiederherstellen und allge-                                    GKV auch auf die Angestellten ausgeweitet.
                              mein ihren Gesundheitszustand verbessern.                                     Heute sind rund 90 Prozent der Bürgerin-
                                                                                                            nen und Bürger in der GKV versichert.

                              Krankenversicherungsschutz der Bevölkerung10
                              in Prozent und Millionen, 2018

                              GKV
                              87,7 %
                              circa 72,8 Mio.

Einwohner:
83.019.200

Versicherte:
GKV**: 72.781.399
PKV***: 8.736.300
Sonstige: 1.501.501

                                                                             Sonstige*                                         PKV
                                                                             1,8 %                                             10,5 %
                                                                                     circa 1,5 Mio.                            circa 8,7 Mio.

                             * Sonstige: Anspruch auf Krankenversorgung als Sozialhilfeempfänger, Kriegsschadenrentner, Empfänger von Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich,
                                freie Heilfürsorge der Polizei und Bundeswehr, nicht krankenversicherte Personen, ohne Angabe zum Vorhandensein einer Krankenversicherung.
                            ** Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) *** Private Krankenversicherung (PKV)

Die gesetzliche Krankenversicherung                                                                                                                                               24
Seit 1996 können die Bürgerinnen und          und Krankenhäusern auch Einzelverträge
Bürger ihre Krankenkasse bis auf wenige       (sogenannte Selektivverträge) für kassen-
Ausnahmen frei wählen. Um einen fairen        individuelle Leistungen abzuschließen.
Wettbewerb zwischen den Krankenkassen
sicherzustellen, wurde der Risikostruktur-    Hierzu gehört, dass die Krankenkassen mit

                                                                                           35.000
ausgleich (RSA) eingeführt. Dieser gleicht    Arzneimittelherstellern Rabattverträge ab-
die Risiken der unterschiedlichen Versi-      schließen können. Darin gewährt ein Phar-
chertenstrukturen der Kassen aus und          mahersteller einer Krankenkasse einen
verhindert, dass sich eine ungleiche Ver-     Rabatt auf sein Arzneimittel. Im Gegenzug     Ende des 19. Jahrhunderts
teilung von besser und schlechter ver-        versorgen Krankenkassen ihre Versicher-       gab es in Deutschland
dienenden, jüngeren und älteren, gesun-       ten über die Apotheken exklusiv mit den       etwa 35.000 Kranken­kassen;11
den und kranken Versicherten sowie von        Arzneimitteln ihrer Vertragslieferanten.      inzwischen sind es 105.12
Singles und Familien negativ auf die finan-   Damit wollte der Gesetzgeber die Arznei-
zielle Situation einzelner Kassen auswirkt.   mittelausgaben der GKV senken – und damit
                                              auch die Beiträge, die Arbeitnehmerinnen
In den letzten 25 Jahren wurde die Struktur   und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberin-
der GKV immer wieder reformiert. Das          nen und Arbeitgeber zu zahlen haben.
Ziel war, das Gesundheitssystem stärker
an Effizienz und Ergebnisqualität auszu-
richten. Die Krankenkassen bekamen da-
bei schrittweise die Möglichkeit, mit Ärz-
tinnen und Ärzten, Ärztevereinigungen

25                                                                                 Die gesetzliche Krankenversicherung
Der Gesundheitsfonds
                        Die gesetzliche Krankenversicherung wird
                        seit 2009 über den Gesundheitsfonds finan-
                        ziert. In ihn fließen die Beiträge der Arbeit-
                                                                                                                                                       Bundesagentur            Deutsche
                        geber, der anderen Sozialversicherungsträ-                                                                                       für Arbeit        Rentenversicherung
                        ger und der Mitglieder der Krankenkassen
                        sowie ein Bundeszuschuss. Aus dem Fonds
                                                                            Staat                                                                               Beiträge für
                        erhalten die Krankenkassen – reguliert                                                                                                  Arbeitslose
                        über den bereits erwähnten Risikostruk-                                                                                                 sowie Rentne-
                        turausgleich – die Mittel, die sie benötigen,
                                                                                                                                                                rinnen und
                        um die Leistungen für ihre Versicherten
                        zu finanzieren. Neben dem einheitlichen
                                                                                                                                                                Rentner
                        Beitragssatz, der in den Gesundheitsfonds
                        fließt (aktuell 14,6 Prozent des Brutto-              Zuschuss aus
                                                                                                                       Gesundheits-
                        lohns), ist die Erhebung eines kassenindi-
                        viduellen Zusatzbeitrags als wettbewerb-
                        liches Element möglich, der direkt an die
                                                                              Steuermitteln
                                                                                                                         fonds 15
                        einzelnen Kassen geht.                                                                                    Gesamtvolumen rund

                                                                                                                             222,2 Mrd. Euro

                                                                                                                                                                Auszahlung
                                                                                                                                                                Grundpauschale
                                                                                                                                                                pro versicherter Person
                                                                                                                Weiterleitung
                                                                             Zusatzbeiträge oder                                                                + Zuschläge
                                                                                                                der Beiträge                                    + Verwaltungskosten
                                                                             Rückerstattungen
Rund 4,34 %                                                                  möglich

der Erwerbstätigen waren 2019 pro Tag
durchschnittlich arbeitsunfähig erkrankt.13

                                                                                                                               Krankenkassen

Circa 4,9 Mrd.                                                                                     Beiträge                                                  Zahlung von
                                                                                                                                                             Arzneimitteln,
Im Jahr 2019 konnten die Krankenkassen durch
                                                                                                   einheitlich 14,6 %
                                                                                                   Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 7,3 %                  Behandlungen
Rabattverträge ihre Arzneimittelausgaben um                              Versicherte               Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber 7,3 %                    etc.           Ärztinnen und Ärzte,
insgesamt circa 4,9 Milliarden Euro senken.14
                                                                                                                                                                             Krankenhäuser etc.

                                                                                              26       27                                                                     Die gesetzliche Krankenversicherung
Umfassend
betreut:
Gesundheitsversorgung und Pflege
Man könnte meinen, es sei doch ganz ein-          ambulant als auch stationär erbracht. An-
                             fach: Werden Menschen krank, gehen sie            gebote, die beide Bereiche verbinden, stel-
                             zur Ärztin oder zum Arzt. Wer schwerer            len eher die Ausnahme der medizinischen
                             erkrankt, wird im Krankenhaus behandelt.          Versorgung dar.

112
                             Dank medizinischem Fortschritt aber sind
                             die Behandlungsmöglichkeiten inzwischen           Alle Behandlungen, Reha-Maßnahmen und
                             wesentlich vielfältiger. So gibt es heutzutage    Therapien, die außerhalb von Kliniken er-
In lebensbedrohlichen        auch Menschen mit chronischen Erkran-             bracht werden, gehören zur ambulanten
Notfällen ist der            kungen, die nahezu ohne Beeinträchtigun-          Versorgung. Aber auch Kliniken können
Rettungsdienst unter         gen ein normales Leben führen können.             eine ambulante Versorgung anbieten, bei-
der Rufnummer 112                                                              spielsweise in Krankenhausambulanzen.
zu verständigen.             Das deutsche Gesundheitssystem gliedert           Zudem sind einige niedergelassene Ärz-
                             sich in ambulante und stationäre Behand-          tinnen und Ärzte als Belegärztinnen und
                             lungen. Sowohl die medizinische Versor-           Belegärzte zeitweise im Krankenhaus tätig.
                             gung als auch die Pflege werden sowohl

                             Gesundheitsleistungen in Deutschland16
                             Anteil ausgewählter Leistungsarten an den Gesamtausgaben für Leistungen der GKV
                             im Jahr 2018 in Höhe von 226,22 Mrd. Euro in Prozent

                                      Ärztliche Behandlung

                                          17,4 %                                                     Krankenhausbehandlung

                                                                                                     34,1 %
                                   Arzneimittel

                              17,1 %

                          Heil- und Hilfsmittel

                                   7,1 %

                                        Zahnärztliche Behandlung                          Sonstige

                                                    6,4 %                                 17,9 %
Gesundheitsversorgung und Pflege                                                                                       30
Die ambulante medizi-                             Die stationäre medizi­
nische Versorgung                                 nische Versorgung
Ambulant behandeln die niedergelassenen           In den rund 1.900 Krankenhäusern17 in
Haus-, Fach-, Zahnärztinnen und Zahn-             Deutschland werden Patientinnen und
ärzte, Psychotherapeutinnen und Psycho-           Patienten stationär versorgt. Dabei be-
therapeuten sowie die Fachkräfte aus nicht-       handeln die meisten Krankenhäuser alle
ärztlichen Heilberufen wie etwa Physio-           Bürgerinnen und Bürger, egal ob diese
therapeutinnen und Physiotherapeuten oder         gesetzlich oder privat versichert sind.
Logopädinnen und Logopäden.                       Diese müssen dafür nur eine Überweisung

                                                                                                116 117
                                                  einer Ärztin oder eines Arztes vor-
Die meisten niedergelassenen Ärztinnen            legen – außer natürlich im Notfall, in
und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte            dem die Kliniken sofort behandeln. Die
sowie Psychotherapeutinnen und Psycho-            Patientinnen und Patienten können sich        Unter der Rufnummer 116 117
therapeuten nehmen an der vertragsärzt-           das Krankenhaus ihrer Wahl aussuchen.         erhalten Patientinnen und
lichen Versorgung teil (Kassenzulassung).         Die GKV übernimmt die Kosten, wenn die        Patienten auch im akuten Fall
Das heißt, sie haben eine Zulassung zur           Einrichtung zur Versorgung von gesetz-        medizinische Hilfe in der gebo-
Teilnahme an der vertragsärztlichen Ver-          lich Versicherten zugelassen ist. Die über-   tenen Leistungsumgebung.
sorgung erhalten, sind somit Mitglied in          wiegende Mehrheit der Krankenhäuser           Grundsätzlich können sie sich
einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV)           ist auf diese Weise zugelassen. Die Träger-   über diesen Service beraten und
bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigung             schaft der Krankenhäuser teilt sich aktuell   Arzttermine vermitteln lassen.
(KZV) und dürfen damit gesetzlich versi-          zu etwa gleichen Teilen in private, freige-
cherte Patientinnen und Patienten behan-          meinnützige und kommunale Häuser auf.
deln. Des Weiteren bedeutet es, dass diese
Zulassung an den Praxisstandort und so-           Bei einer stationären Behandlung müssen
mit die jeweilige KV-Region beziehungs-           gesetzlich Versicherte eine Zuzahlung für
weise KZV-Region und deren Bedarfspla-            Unterbringung und Verpflegung leisten.
nung gebunden ist.                                Dies wird vor der Behandlung im Kran-
                                                  kenhausvertrag zwischen Patientin oder
Außerhalb der Sprechstunden bietet die            Patient und Klinik festgehalten.
niedergelassene Ärzteschaft und Zahnärzte-
schaft einen ärztlichen sowie einen zahn-
ärztlichen Bereitschaftsdienst an.

                        Freie Arztwahl
                        Bei einer Erkrankung ist der erste Ansprech-
                        partner für Patientinnen und Patienten zumeist
                        die Hausärztin oder der Hausarzt. Grundsätz-
                        lich können gesetzlich Versicherte jedoch jede
                        Ärztin und jeden Arzt aufsuchen, der zur ver-
                        tragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Es
                        besteht freie Arztwahl.

31                                                                                       Gesundheitsversorgung und Pflege
Fast 19.500
Apotheken in Deutschland versorgen täglich
3,5 Millionen Menschen mit Arzneimitteln.18

                             Arzneimittelversorgung
                             Bekommt jemand in der Arztpraxis ein            Wichtig zu wissen ist: Die Patientinnen
                             Rezept ausgestellt, geht sie oder er damit      und Patienten können mit ihrem Rezept in
                             in die Apotheke. Für das verschriebene          jede Apotheke gehen. Die Arzneimittel kos-
                             Arzneimittel trägt die Krankenkasse den         ten in allen Apotheken dasselbe. Das stellt
                             wesentlichen Anteil der Kosten. GKV-Ver-        die Arzneimittelpreisverordnung sicher. Sie
                             sicherte müssen sich mit einer Zuzahlung        regelt, dass es für verschreibungspflichtige
                             von 10 Prozent des Verkaufspreises beteili-     Arzneimittel überall einen einheitlichen
                             gen, mit mindestens 5 Euro und höchstens        Abgabepreis gibt.
                             10 Euro. Würde eine Patientin also beispiels-
                             weise das Schilddrüsenhormon eines Arz-         Dass der gleiche Wirkstoff hingegen mal
                             neimittelherstellers bekommen, das in der       teurer und mal billiger ist, hat einen anderen
                             Apotheke 17,80 Euro kostet, würde sie den       Grund. Grundsätzlich entscheiden pharma-
                             Mindestbetrag von 5 Euro bezahlen. Braucht      zeutische Unternehmer über die Preise für
                             sie ein Rheumamittel, das 70 Euro kostet,       ihre Arzneimittel selbst. Es gibt Arzneimit-
                             zahlt sie als Eigenanteil 10 Prozent, in der    tel, bei denen der Patentschutz abgelaufen
                             Summe also 7 Euro dazu.                         ist (sogenannte Altoriginale), und es gibt
                                                                             sogenannte Generika. Das sind Arzneimit-
                             Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebens-      tel, die den Originalpräparaten nachent-
                             jahr sind von der Zuzahlung ausgenom-           wickelt, aber eben nicht das Original und
                             men. Ansonsten gelten Belastungsgrenzen         deswegen oftmals sehr viel günstiger sind.
                             für Versicherte. Zuzahlungen sind danach        Um die Arzneimittelkosten zu begrenzen,
                             höchstens in Höhe von 2 Prozent (bei            legen die Krankenkassen oft fest, welche
                             chronisch kranken Versicherten 1 Prozent)       Arzneimittel ihre Mitglieder verschrieben
                             der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Le-          bekommen dürfen, sofern die behandeln-
                             bensunterhalt zu leisten. Ob die Belas-         de Ärztin oder der behandelnde Arzt dies
                             tungsgrenze erreicht ist, ist durch die zu-     nicht ausgeschlossen hat. So kann es vor-
                             ständige Krankenkasse zu prüfen. Hierfür        kommen, dass die Apothekerin oder der
                             ist ein Antrag bei der Krankenkasse durch       Apotheker plötzlich das Arzneimittel eines
                             die Versicherten zu stellen.                    anderen Herstellers abgibt, als in den Jahren
                                                                             zuvor. Diese Generika wirken aber genau
                                                                             gleich – und die Patientinnen und Patienten
                                                                             können davon sogar profitieren, weil ihre
                                                                             Zuzahlung geringer ist.

Gesundheitsversorgung und Pflege                                                                                        32
Neue Arzneimittel müssen nicht nur gründ-
lich getestet und medizinisch zugelassen
werden. Sie müssen auch hinsichtlich ihres
Nutzens bewertet werden, damit die GKV
sie bezahlt. Seit Inkrafttreten des Arznei-
mittelmarktneuordnungsgesetzes im Jahr
2011 bewertet der G-BA daher den Nutzen
eines neuen Arzneimittels im Vergleich zu
anderen Arzneimitteln für die gleiche Er-

                                                    78 %
krankung. Auf Grundlage dieser Bewer-
tung vereinbaren der jeweilige pharma-
zeutische Unternehmer und der GKV-
Spitzenverband einen nutzenadäquaten                 der Menge aller in der
Preis für das neue Arzneimittel.                     gesetzlichen Kranken-
                                                     versicherung verordne-
                                                     ten Arzneimittel ent­
                                                     fielen im Jahr 2018 auf
                                                     Generika. Insbesondere
                                                     für Generika können die
                                                     Krankenkassen Rabatt-
                                                     verträge abschließen.19

33                                            Gesundheitsversorgung und Pflege
Die Pflegegrade                      Pflege
    1                                   Ist ein Mensch physisch oder psychisch
    geringe Beeinträchtigung der        nicht in der Lage, sich im Alltag selbst zu
    Selbstständigkeit                   versorgen, kann er Pflege in Anspruch
                                        nehmen. Dieser Schritt fällt niemandem
    2                                   leicht, aber eine gute Pflege soll dazu bei-
    erhebliche Beeinträchtigung         tragen, trotz Einschränkungen ein mög-
    der Selbstständigkeit               lichst selbstständiges und selbstbestimm-
                                        tes Leben zu führen, das der Würde des
    3                                   Menschen entspricht. Um in dieser schwie-
    schwere Beeinträchtigung der        rigen Situation die Pflegebedürftigen und
    Selbstständigkeit                   ihre Angehörigen bestmöglich zu unter-
                                        stützen, wurde am 1. Januar 1995 eine um-
    4                                   fassende Versicherungspflicht für alle ge-
    schwerste Beeinträchtigung          setzlich und privat Versicherten für das
    der Selbstständigkeit               Pflegerisiko eingeführt.

    5                                   Die soziale Pflegeversicherung wird pari-
    schwerste Beeinträchtigung der      tätisch von Arbeitgebern sowie von Arbeit-
    Selbstständigkeit mit besonderen    nehmerinnen und Arbeitnehmern finan-
    Anforderungen an die pflegerische   ziert. Der Beitragssatz liegt seit dem
    Versorgung                          1. Januar 2019 bei 3,05 Prozent des Brutto-
                                        einkommens, bei Kinderlosen bei 3,3 Pro-
                                        zent. Privat Krankenversicherte müssen
                                        sich in der privaten Pflegepflichtversiche-
                                        rung absichern.

                                         Die Pflegeversicherung deckt allerdings
                                         nicht alle Kosten der Pflege ab. Den Rest
                                         tragen die Pflegebedürftigen oder ihre
                                        ­Angehörigen selbst beziehungsweise im
                                         Bedarfsfall die Sozialhilfe. Die Pflegever-
                                         sicherung wird deshalb auch als „Teil-
                                         kosten­versicherung“ bezeichnet.

                                        Seit ihrer Einführung wurde die Pflegever-
                                        sicherung immer wieder überarbeitet und
                                        den neuen Erfordernissen angepasst. Ein
                                        bedeutender Schritt war die Neufassung
Die Pflege-                             des Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit einer
                                        differenzierten Betrachtung der Selbst-
versicherung                            ständigkeit (anstelle von zeitlichen Bedarfen
                                        an körperlicher Unterstützung) als Grund-
ist ein eigenständiger Zweig der        lage der Begutachtung.
Sozialversicherung (SGB XI).

Gesundheitsversorgung und Pflege                                                  34
Dieser aufgefächerte Blick auf den einzel-      mit Demenz Unterstützung bei der Gestal-
nen Pflegebedürftigen ermöglicht heute für      tung und Bewältigung ihres Alltags. Seit
alle Pflegebedürftigen eine Aufteilung der      2017 werden nun neben körperlichen auch
Leistungsansprüche in fünf Pflegegrade.         geistige und psychische Einschränkungen
Zuvor waren die Bedarfslagen von Men-           der Selbstständigkeit, wie sie etwa bei Alz-
schen mit Demenz beim Zugang zu Pflege-         heimer und anderen demenziellen Erkran-
leistungen nicht ausreichend berücksich-        kungen vorkommen, berücksichtigt. Mit
tigt worden. Denn auch wenn sie körper-         der Umsetzung der Nationalen Demenz-
lich oft keine schwerwiegenden Einschrän-       strategie ab 2020 wird die Situation für
kungen haben, benötigen viele Menschen          Menschen mit Demenz weiter verbessert.

                       Rund 3,92 Mio.
                        Menschen nehmen jeden Monat Leistungen der
                        Pflegeversicherung in Anspruch. Die meisten,
                        rund 2,9 Millionen, werden ambulant behandelt.
                        Stationär wurden 2018 rund 780.000 Menschen
                        versorgt, so die Statistik der Pflegekassen und
                        privaten Pflegeversicherungen.20

35                                                                                      Gesundheitsversorgung und Pflege
Rund 5,7 Mrd.
Die Ausgaben der GKV für alle Leistungen, die der
Krankheitsverhütung dienen, wie insbesondere
Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten
und Schutzimpfungen, lagen 2018 bei rund
5,7 ­Milliarden Euro. Davon investierte die GKV
­circa 544 ­Millionen Euro in Primärprävention
und Gesundheitsförderung.21

Gesundheitsversorgung und Pflege                    36
Prävention und
Gesundheitsförderung
Wir alle wünschen uns Gesundheit, für        können. Ernährungsberatung, gesundheits­
uns und unsere Angehörigen. Dafür kön­       orientierte Bewegungsprogramme, Entspan­
nen wir etwas tun, indem wir uns etwa        nungsübungen, Rauchentwöhnung, Redu­
ausgewogen ernähren, Sport treiben und       zierung des Alkoholkonsums – all das hilft
versuchen, einen gesunden Ausgleich zwi­     dabei, gesund zu bleiben und Erkrankun­
schen Job und Freizeit zu schaffen.          gen schon im Vorfeld zu vermeiden. Viele
                                             Krankenkassen bieten ihren Versicherten
Auch das Gesundheitssystem und andere        Präventionskurse an, um sie zu motivieren
Sozialleistungsbereiche haben sich Präven­   und zu befähigen, ihre Möglichkeiten einer
tion und Gesundheitsförderung, also die      gesunden Lebensführung auszuschöpfen.
Verhütung von Krankheiten, zur Aufgabe
gemacht. Dafür haben sich 2015 die Spit­     Außerdem unterstützen sie die Gesund­
zenorganisationen der gesetzlichen Kran­     heit der Versicherten mit gesundheitsför­
ken-, Unfall-, Renten- und Pflegeversiche­   derlichen Leistungen in ihren alltäglichen
rung sowie der Verband der privaten          Lebenswelten, also dort, wo die Menschen
Krankenversicherungsunternehmen e. V.        leben, lernen und aufwachsen. Darüber
in der „Nationalen Präventionskonferenz“     hinaus haben sie in den Bundesländern
zusammengefunden und eine nationale          Beratungs- und Unterstützungsangebote
Präventionsstrategie vereinbart. Gemein­     für kleine und mittlere Unternehmen und
sam haben sie sich darauf verständigt, mit   insbesondere Krankenhäuser und Pflege­
ihren Leistungen folgende gemeinsame         einrichtungen zur betrieblichen Gesund­
Ziele zu verfolgen: Die Menschen sollen      heitsförderung aufgebaut. Auch die Ge­
gesund aufwachsen, leben und arbeiten        sundheits- und Früherkennungsuntersu-
und auch im Alter gesund bleiben. Kurzum:    chungen für Kinder, Jugendliche und
Die Gesundheit soll in allen Lebensphasen    Erwachsene wurden mit dem Präventions­
gefördert werden. Um das zu er­reichen,      gesetz weiterentwickelt. Ein stärkeres Au­
wurden zudem konkrete Handlungsfelder        genmerk liegt auch auf individuellen Be­
genannt, in denen die Sozialversiche­        lastungen und auf Risikofaktoren für das
rungsträger und die private Krankenver­      Entstehen von Krankheiten. Ärztinnen
sicherung die Bürgerinnen und Bürger in      und Ärzte haben die Möglichkeit erhalten,
ihren Lebenswelten wie Kindergärten,         Präventionsempfehlungen zu geben und
Schulen, Betrieben und Pflegeheimen in       damit zum Erhalt und zur Verbesserung
der Gesundheitsförderung unterstützen        der Gesundheit ihrer Patientinnen und
                                             Patienten beizutragen.

37                                                                                  Gesundheitsversorgung und Pflege
Ambulante und                                Misch- und Sonder-
                             stationäre Rehabilita-                       formen medizinischer
                             tionseinrichtungen                           Leistungen
                             Eine schwere Krankheit, lange Therapie­      Ambulant und stationär, hausärztliche und
                             zeiten oder eine Operation markieren tiefe   fachärztliche Versorgung, Akutmedizin und
                             Einschnitte im Leben eines Menschen. Oft­    Rehabilitation, Prävention und Langzeit­
                             mals haben sie auch langwierige Folgen.      therapie – das deutsche Gesundheitssystem
                             Um den Patientinnen und Patienten zu er­     ist vielfältig. Dabei setzt sich zunehmend
                             möglichen, möglichst schnell wieder am       eine Erkenntnis durch: Die Versorgung
                             Alltag teilzunehmen, gibt es ein breites     von Patientinnen und Patienten ist eine
                             Spektrum an Rehabilitationsangeboten, am­    Mannschaftsleistung. Wer etwa altersbe­
                             bulant und stationär: physiotherapeutische   dingte Hüftgelenkschmerzen hat, wird
                             Behandlungen, psychologische Betreuung       ambulant orthopädisch untersucht, muss
                             sowie Unterstützung beim Umgang mit          womöglich stationär operiert werden, an­
                             Hilfsmitteln. Darüber hinaus bietet das      schließend in eine Rehaklinik und nach
                             deutsche Gesundheitssystem Rehabilita­       der Entlassung zur Physiotherapeutin oder
                             tionseinrichtungen für spezielle Indikati­   zum Physiotherapeuten vor Ort. Das ist
                             onen wie beispielsweise Essstörungen oder    nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt:
                             Suchterkrankungen an.                        Medizinische Behandlungen gehen oft über
                                                                          die einzelnen Sektoren hinaus. Gerade auch
                                                                          chronisch kranke Menschen profitieren
                                                                          von Angeboten, die Bausteine ambulanter
                                                                          und stationärer Therapien zur individuell
                                                                          optimalen Behandlung zusammensetzen.
                                                                          Dafür sind in den vergangenen Jahren ganz
                                                                          neue Versorgungsmodelle entstanden.

Neuntes Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB IX)
Die ambulante und stationäre Rehabilitation wird
gesetzlich weitgehend im Rahmen des SGB IX erfasst
und ist damit ebenfalls ein eigenständiger Bereich im
deutschen Sozialversicherungsrecht.

Gesundheitsversorgung und Pflege                                                                                 38
Beispiele aus der Praxis:
1.                       3. 
Für bestimmte chronische Krankheiten,            In Hausarztverträgen werden die Haus­
unter anderem Diabetes mellitus Typ 1            ärztinnen und Hausärzte zu Lotsen ihrer
und Typ 2, Brustkrebs, koronare Herz­            Patientinnen und Patienten. Sie steuern
krankheit, Asthma bronchiale und chro­           die gesamte Versorgung. Die freie Arzt­
nisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD),        wahl, eigentlich Grundlage des deutschen
bieten die Krankenkassen strukturierte           Systems, ist hier zwar aufgehoben. Dafür
Behandlungsprogramme. Das Besondere:             wird die gesamte Behandlung von einer
Die ganze Therapie wird aus einer Hand           Person des Vertrauens koordiniert. Die
koordiniert. An diesen sogenannten Disease-      Krankenkassen schließen solche Hausarzt­
Management-Programmen (DMP) können               verträge für ihre Versicherten ab. Ziel ist
chronisch Kranke freiwillig teilnehmen. Bei      die verbesserte Koordinierung von Fach­
diesen Programmen können auch Kran­              ärztinnen und Fachärzten, Krankenhäu­
kenhäuser zur ambulanten Behandlung              sern und anderen. Etwa 7,4 Millionen22
berechtigt sein.                                 Versicherte nehmen zurzeit an solchen
                                                 Programmen teil.
2.
„Integrierte Versorgung“ erlaubt es Ärz­         4.
tinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern,          Die Ambulante Spezialfachärztliche Ver-
gemeinsame Versorgungskonzepte zu erar­          sorgung (ASV) ist ein Behandlungsange­
beiten, über die Grenzen von ambulant und        bot für Patientinnen und Patienten mit
stationär hinaus. Mit den Kassen schließen       seltenen oder schweren Erkrankungen mit
sie Verträge ab, sodass diese ihren Versicher­   besonderem Krankheitsverlauf (etwa Tuber­
ten die Behandlungen anbieten können.            kulose, Mukoviszidose oder Morbus Wil­
                                                 son). Die Behandlung erfolgt durch inter­
                                                 disziplinäre Ärzteteams aus der ambulan-
                                                 ten fachärztlichen und der stationären
                                                 Versorgung.

                                                 Eine der neuesten Entwicklungen, die struk­
                                                 turelle Innovationen im deutschen Gesund­
                                                 heitssystem ermöglichen soll, ist der 2015
                                                 eingerichtete Innovationsfonds. Der Fonds,
                                                 der sich aus Mitteln der Krankenkassen und
                                                 des Gesundheitsfonds speist, finanziert
                                                 Versorgungsforschungsprojekte und neue
                                                 ambulant-stationäre Versorgungsformen.

39                                                                                      Gesundheitsversorgung und Pflege
Dynamisch
ausgerichtet:
Herausforderungen und Chancen
Besondere Herausforderung:
                           die Coronapandemie
                           Das Jahr 2020 hat uns mit einer Herausfor­      Ärzteschaft und Pflegeheime mussten da­
                           derung konfrontiert, die es so noch nie gab:     für allerdings auf andere Einnahmen, et­
                           die Coronapandemie.                              wa durch langfristig geplante Operationen,
                                                                            Reha-Maßnahmen oder die Aufnahme
                                                                            ­
                           Das Bundesministerium für Gesundheit             neuer Heimbewohner, verzichten. Um da­
                           (BMG) hat reagiert und frühzeitig Gesetze        für einen Ausgleich zu schaffen, hat der
                           und Maßnahmen initiiert, um die Verbrei­         Deutsche Bundestag im März 2020 das
                           tung des neuartigen Coronavirus (SARS-          ­Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz
                           CoV-2) einzudämmen.                              verabschiedet. Das sichert den Versorgern
                                                                            finanzielle Unterstützung während der
                           Schon im März 2020, also unmittelbar nach        Coronapandemie zu.
                           dem Auftreten der ersten Coronafälle in
                           Deutschland, hat die Bundesregierung Ein-       Besonderen Belastungen waren Menschen
                           und Ausreisebeschränkungen oder Einflug­        mit chronischen Erkrankungen ausgesetzt.
                           verbote für einzelne Länder verhängt.           Dazu gehören auch die mehr als 8 Millionen
                                                                           suchtkranken Erwachsenen23 sowie deren
                           In der Zeit ist deutlich geworden, dass das     Angehörige. Auf Initiative der Drogenbeauf­
                           BMG in der Lage sein muss, selbst die Ver­      tragten wurden die Regeln für die Sub­sti­
                           sorgung mit persönlicher Schutzausrüs­          tutionsbehandlung durch die SARS-CoV-2-
                           tung und Desinfektionsmitteln, Medizin­         Arzneimittelverordnung am 20. April 2020
                           produkten und Arzneimitteln in Deutsch-         so flexibilisiert, dass auch in der Pandemie
                           land zu organisieren. Dafür wurde am            die Versorgung gesichert bleiben kann. Pa­
                           27. März 2020 das Infektionsschutzgesetz        rallel hat der Deutsche Bundestag das „Ge­
                           entsprechend geändert. Die Bundesregie­         setz zum Schutz der Bevölkerung bei einer
                           rung kann seither die Einfuhr von Schutz­       epidemischen Lage von nationaler Trag­
                           ausrüstungen eigenständig regeln.               weite“ erlassen. Der Bund hat für die Zeit­
                                                                           dauer der Pandemie die Kompetenz be­
                           Um einen Überblick über die Anzahl an           kommen, durch Verordnungen selbst Vor­-
                           Beatmungsbetten zu erhalten, hat das BMG        kehrungen zum Schutz der Bevölkerung
                           im April 2020 mit einer Verordnung die          zu treffen, beispielsweise Reisebeschränkun­
                           Kliniken bundesweit verpflichtet, alle freien   gen oder Melde- und Untersuchungspflich­
                           Intensivbetten zu melden. Bei Bedarf wur­       ten bei Verdacht einer Coronainfektion.
                           de steuernd eingegriffen, etwa durch das
                           Verschieben planbarer Operationen.              Am 29. April 2020 wurde das „Zweite Ge­
                                                                           setz zum Schutz der Bevölkerung bei einer
                           Durch diese Maßnahmen war die medizi­           epidemischen Lage von nationaler Trag­
                           nische Versorgung aller Patientinnen und        weite“ auf den Weg gebracht. Das sollte in
                           Patienten bisher jederzeit gesichert. Die       erster Linie ermöglichen, Coronainfizierte
                           Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen,         noch schneller zu identifizieren und zu

Herausforderungen und Chancen                                                                                       42
Sie können auch lesen