Das deutsche Gesundheitssystem - Leistungsstark. Sicher. Bewährt.
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Vorwort Liebe Leserinnen, liebe Leser, es sind die Gesundheitssysteme, die in allen Ländern zurzeit im Mittelpunkt der Bemüh- ungen um eine Bewältigung der Covid-19-Pandemie stehen. Denn auch die wirtschaft- lichen und die sozialen Folgen dieser Pandemie wird man nicht politisch abfedern können, wenn es nicht gelingt, das Coronavirus einzudämmen. Gerade in einer solchen Krise zeigt sich, ob Strukturen und Prozesse außergewöhnlichen Belastungen standhalten und ob die Akteure ausreichende Handlungsspielräume haben, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen und dem Infektionsgeschehen, gegen das weder Impfung noch Therapie sofort verfügbar sind, wirksam zu begegnen. Wir alle müssen die Krise nutzen, um dort Ressourcen zu stärken, wo sich Mängel offenbart haben. Die nächste Pandemie oder vergleichbare gesundheitliche Notlage kommt bestimmt! Dabei hat die Covid-19-Pandemie sehr deutlich gemacht, dass die entsprechenden Heraus- forderungen nicht nur nationale sind. Das Virus kennt keine Grenzen. Die europäischen und globalen Dimensionen haben sich gerade auch bei der Versorgung mit Arzneimit- teln, Medizinprodukten und medizinischer Ausrüstung gezeigt.
Vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 hat Deutschland den Vorsitz des Rats der Europäischen Union (EU) inne und übernimmt damit eine wichtige Verantwortung im Gefüge der Union. Für den Bereich der Gesundheit bedeutet dies jetzt in erster Linie, diese Fragen im Ge- folge der gegenwärtigen Pandemie in ihrem europäischen Zusammenhang in den Blick zu nehmen – und die Lehren zu ziehen, die wir ziehen müssen, um künftig als Europa noch besser gewappnet zu sein. Doch es gibt auch andere drängende Themen im Gesundheitsbereich, die für die Zukunft Europas und seine Krisenfestigkeit von großer Bedeutung sind. So wollen wir in der Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Digitalisierung und die Nutzung von Big Data und Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen voranbringen, aber auch die Arznei- mittel- und Medizinprodukteversorgung in der EU sichern und verbessern. Gemeinsame europäische Lösungen funktionieren immer dann besonders gut, wenn sie nationale Besonderheiten berücksichtigen. Diese Besonderheiten sind oft historisch ge- wachsen und führen dazu, dass sich auf vielen Feldern Strukturen und Prozesse in den Mitgliedstaaten voneinander unterscheiden. Auch die Gesundheitssysteme haben sich in Europa an die unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten und Voraussetzungen ange- passt und sind deshalb verschieden. Diese Publikation gibt einen Überblick über das deutsche Gesundheitssystem und erläutert die wichtigsten Institutionen und Regelungsmechanismen. Wir hoffen, damit einen Bei- trag zum Verständnis der bestehenden Gesundheitssysteme in Europa zu leisten. Denn nur mit einem Verständnis füreinander können wir gerade in Zeiten gesundheitlicher Notlagen wie der Covid-19-Pandemie gemeinsam mit unseren Partnern in der EU und global die medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger sicherstellen, stetig ver- bessern und einen echten EU-Mehrwert schaffen. Jens Spahn Bundesminister für Gesundheit
Historisch verwurzelt: die Grundprinzipien des Gesundheitssystems 6 Vielschichtig vernetzt: die Akteure des Gesundheitssystems 14 Zuverlässig geschützt: die gesetzliche Krankenversicherung 22 Umfassend betreut: Gesundheitsversorgung und Pflege 28 Dynamisch ausgerichtet: Herausforderungen und Chancen 40 Zahlen zur deutschen Gesundheitsversorgung 48 Die Bundesgesundheitsministerinnen und Bundesgesundheitsminister von 1961 bis heute 50 Glossar 51 Quellenverzeichnis 54 Informationsangebote des Bundesgesundheitsministeriums 56 Impressum 61
Die Aufgabe ist gewaltig: Rund 83 Millionen weltweit erste staatliche Sozialversicherung, Bürgerinnen und Bürger werden in Deutsch- die der deutsche Reichskanzler Otto von land medizinisch versorgt. Dafür steht ihnen Bismarck im Jahr 1883 einführte. Sie legte ein Netzwerk unter anderem aus rund den Grundstein für die gesetzliche Kran- 1.900 Krankenhäusern1, rund 150.000 Ärz- kenversicherung in Deutschland, in der tinnen und Ärzten2 und circa 28.000 Psycho- die meisten Bürgerinnen und Bürger ver- therapeutinnen und Psychotherapeuten3, sichert sind. die in der ambulanten Versorgung tätig sind, sowie fast 19.500 Apotheken4 zur Ver- fügung. Die Kosten dieses Versorgungssys- tems sind hoch: Über 391 Milliarden Euro5 Die Gesundheitsver- wurden im Jahr 2018 – so die aktuellsten sorgung in Deutsch- Zahlen des Statistischen Bundesamtes – für Gesundheit in Deutschland ausgege- land basiert auf fünf ben. Das ist mehr als eine Milliarde Euro Grundprinzipien pro Tag. Damit geht mehr als jeder zehnte Euro des deutschen Bruttoinlandsprodukts Versicherungspflicht ins Gesundheitswesen. Mit Einführung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Das Gesundheitswesen wird über die gesetz- zum 1. April 2007 und in der privaten Kran- liche und die private Krankenversicherung kenversicherung (PKV) zum 1. Januar 2009 finanziert. Das heutige System ist histo- besteht für alle Bürgerinnen und Bürger risch gewachsen. So entstanden die ersten die Verpflichtung, einen Krankenversiche- Vorformen der solidarischen Krankenver- rungsschutz abzuschließen, wenn sie ihren sicherung schon im Mittelalter. Zünfte Wohnort oder ihren gewöhnlichen Aufent- und auch einige Unternehmen kümmerten haltsort in Deutschland haben. Insbeson- sich um die ärztliche und pflegerische Ver- dere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgung ihrer Mitglieder und Mitarbeite- sind in der GKV pflichtversichert, wenn ihr rinnen und Mitarbeiter. Die verschiedenen Einkommen eine bestimmte Grenze nicht Formen der sozialen Absicherung, die sich überschreitet (2020 liegt die Versicherungs- daraus über die Jahrhunderte entwickel- pflichtgrenze bei 5.212,50 Euro monatlich). ten, wurden während des 19. Jahrhunderts Übersteigt das monatliche Einkommen diese vereinheitlicht. Ein Meilenstein war die Grenze, können die Versicherten als frei- willig versichertes Mitglied in der GKV bleiben oder eine private Krankenversiche- rung wählen. Einige Personengruppen sind auch dann von der Versicherungspflicht in der GKV befreit, wenn ihr Einkommen Ein Netzwerk unterhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt. Dazu zählen zum Beispiel Beamtinnen unter anderem aus rund 1.900 Krankenhäusern, und Beamte sowie Selbstständige. rund 150.000 Ärztinnen und Ärzten und circa 28.000 Psychotherapeutinnen und Psycho therapeuten, die in der ambulanten Versorgung tätig sind, sowie fast 19.500 Apotheken versorgt rund 83 Millionen Bürgerinnen und B ürger in Deutschland. 8
und wird zur Hälfte vom Arbeitgeber über- nommen. Privatversicherte können eben- falls einen Zuschuss von ihrem Arbeitgeber oder Rentenversicherungsträger erhalten. Anders als in der PKV sind Kinder und Ehepartnerinnen und Ehepartner, die kein oder nur ein geringes eigenes Einkommen Beitragsfinanzierung haben, in der GKV als Familienmitglieder GKV und PKV finanzieren sich über die mitversichert und brauchen keinen eigen- Beiträge ihrer Mitglieder. Während der ständigen Beitrag zu zahlen. Die Beiträge Beitrag in der PKV nach dem Gesundheits- von Arbeitslosengeld- sowie Sozialhilfe- zustand, dem Eintrittsalter und dem indi- empfängerinnen und -empfängern über- viduellen Risiko berechnet wird und die nimmt in der Regel der zuständige Sozial- Leistungen sowie mögliche Selbstbeteili- leistungsträger. gungen individuell vertraglich vereinbart werden, richten sich die Beiträge in der GKV nach dem Einkommen des Mitglieds. Alle Versicherten erhalten die gleichen Leistungen. Wer mehr verdient, zahlt auch mehr ein. Das macht das solidarische Ge- sundheitssystem in der GKV aus. Der allge- meine Beitragssatz in der GKV liegt bei 14,6 Prozent, von dem die Arbeitgeber die Hälfte zahlen. Jede Krankenkasse kann noch 83,3 Jahre einen Zusatzbeitrag erheben. Dieser liegt beträgt aktuell die zurzeit im Durchschnitt bei circa 1 Prozent Lebenserwartung für neugeborene Mädchen.6 78,5 Jahre beträgt aktuell die Lebenserwartung für neugeborene Jungen.6 9 Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems
30 % Selbstverwaltungsprinzip der Bürgerinnen und Bürger gehen Das Gesundheitssystem ist komplex. Im- drei- bis fünfmal pro Jahr zur Ärztin mer wieder stehen sich Interessen gegen- oder zum Arzt.7 über, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen: Die Patientinnen und Patienten wünschen sich eine optimale Behandlung, die Ärztinnen und Ärzte eine Solidaritätsprinzip moderne Technik und die Krankenkassen Das deutsche Gesundheitssystem wird müssen dafür sorgen, dass sie das alles durch die Solidargemeinschaft finanziert. mit den Versichertenbeiträgen finanzieren Das heißt: Alle gesetzlich Versicherten können. Wer soll das regeln? Macht’s der tragen gemeinsam die Kosten, die durch Staat? Entscheidet der Markt? Oder die Be- Krankheiten der einzelnen Mitglieder ent- teiligten selbst? stehen. Jede und jeder gesetzlich Versi- cherte hat den gleichen Anspruch auf Deutschland hat sich für die letzte Variante medizinische Versorgung – egal, wie hoch entschieden: das Selbstverwaltungsprinzip. ihr oder sein Einkommen ist und damit Das bedeutet: Der Staat gibt zwar die Rah- ihre oder seine Beiträge für die Kranken- menbedingungen und Aufgaben für die versicherung sind. Gesunde stehen also medizinische Versorgung vor. Er erlässt für Kranke ein, Reiche für Arme und Sin- Gesetze und Verordnungen dafür. Wie das gles für Familien. Zu dieser Solidarität ge- System dann aber genau organisiert und hört es auch, dass Berufstätige bei einer ausgestaltet wird und vor allem welche Erkrankung weiter ihren Lohn bekom- medizinischen Behandlungen, Operationen, men. Die ersten sechs Wochen zahlt der Therapien und Arzneimittel von den Kran- Arbeitgeber diesen in voller Höhe weiter. kenkassen finanziert werden und welche Wer länger krank ist, erhält von seiner nicht, das wird innerhalb des Gesundheits- Krankenkasse ein sogenanntes Kranken- wesens entschieden. Diese gemeinsame geld, das 70 Prozent des Bruttolohnes ent- Selbstverwaltung im Gesundheitswesen spricht. übernehmen die Vertreterinnen und Ver- treter der Ärzte-, Zahnärzte- und Psycho- Sachleistungsprinzip therapeutenschaft, der Krankenhäuser, Gesetzlich Versicherte werden ärztlich be- Krankenkassen und Versicherten gemeinsam. handelt, ohne dass sie dafür in finanzielle Ihr oberstes Gremium ist der Gemeinsame Vorleistung gehen müssen. Die Ärztinnen Bundesausschuss (G-BA). Vertreterinnen und Ärzte, Kliniken und Apotheken rech- und Vertreter von Patientenorganisationen nen die Therapien und Arzneimittel direkt haben ein Antrags- und Mitberatungsrecht mit den Krankenkassen ab. Die Versicher- im G-BA. Der G-BA konkretisiert in ver- ten haben damit – abgesehen von einzel- bindlichen Richtlinien den Leistungsan- nen gesetzlichen Zuzahlungen – Anspruch spruch der Versicherten in der Versorgung auf eine kostenfreie Behandlung. der gesetzlichen Krankenversicherung, zum Beispiel welche Behandlungen von der ge- setzlichen Krankenversicherung bezahlt werden. Neue Arzneimittel werden dabei regelhaft erstattet. Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems 10
Einordnung des deutschen Gesundheitssystems Sieht man sich die Gesundheitssysteme Als Drittes gibt es marktwirtschaftlich verschiedener Länder an, stellt man fest, orientierte Systeme: In ihnen spielt der dass sie sich grob in drei Kategorien ein- Staat eine nachgeordnete Rolle. Organi- teilen lassen: sation und Steuerung des Gesundheits- sektors sind Aufgaben der privaten Ak- teure. Auch finanziert wird alles privat: Es gibt staatliche Gesundheitssysteme, die Es gibt privatwirtschaftliche Versiche- vom Staat organisiert und über Steuer- rungsunternehmen, oder die Bürgerinnen gelder finanziert werden. In Großbritan- und Bürger bezahlen ihre Arztbehand- nien und Schweden ist es beispielsweise lung direkt selbst. Sie müssen auch selbst so. In diesen Ländern werden alle Opera- für ihren Lebensunterhalt sorgen, wenn tionen, Therapien und Arzneimittel aus sie wegen einer Krankheit längere Zeit dem Staatshaushalt bezahlt. Es gibt ledig- im Job ausfallen – Lohnfortzahlung gibt lich Zuzahlungen zu manchen Behand- es dann nicht. So ist es etwa in den USA. lungen. Der Staat organisiert in diesen Ländern auch die Versorgung mit Kran- kenhäusern und Gesundheitszentren. In anderen Ländern gibt es Sozialversi- cherungssysteme. In diesen finanzieren weitgehend Sozialversicherungen, also Krankenkassen, die medizinische Versor- gung. Dafür zahlen Unternehmen und Beschäftigte in die Krankenkassen ein – so wie es beispielsweise in Deutschland ist. Anders als in den staatlich organi- sierten Gesundheitssystemen sind private und öffentliche Anbieter nebeneinander tätig. In einem gesetzlich abgesteckten Rahmen regulieren sie ihre Beziehungen selbst. Das ist das sogenannte Selbstver- Circa 5,7 Mio. waltungsprinzip. Menschen sind im Gesundheitswesen beschäftigt – von den Arztpraxen über die Verwaltung bis hin zur pharmazeutischen Industrie.8 11 Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems
Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems 12
Das föderale System Deutschlands Als das Coronavirus Deutschland erreicht Um beim Beispiel Coronapandemie zu hatte, konnte man beobachten, dass der bleiben: Der Bundesgesetzgeber hat für den Kampf gegen den Erreger auf zwei Ebenen Infektionsschutz den Rahmen in Deutsch- erfolgte: Die Bundesregierung hat emp- land vorgegeben. Welche Behörden dazu fohlen, dass die sozialen Kontakte aller tätig werden und wie die Vorschriften im Bürgerinnen und Bürger beschränkt wer- Einzelnen umgesetzt werden, regeln dann den sollten. Die einzelnen Bundesländer aber die Länder für ihr Gebiet im Detail. haben dann unter anderem festgelegt, ob Der Gedanke dahinter ist, dass die Politik und wann sie Schulen, Museen und Res- möglichst bürgernah sein soll. Deshalb sind taurants zum Infektionsschutz schließen. die staatlichen Aufgaben in Deutschland nach dem Subsidiaritätsprinzip verteilt, Das war Ausdruck des föderalen Systems, auch Nachrangigkeitsprinzip genannt: Zu- nach dem die Bundesrepublik und damit nächst sind die Kommunen für ihre Bür- auch das Gesundheitssystem aufgebaut sind. gerinnen und Bürger zuständig, dann die Im Mittelpunkt des Föderalismus steht die Länder. Der Bund setzt den politischen enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Rahmen in bestimmten Bereichen. Ländern. Die Länder beteiligen sich unter anderem über den Bundesrat an der Gesetz- gebung und setzen Bundesgesetze um. 13 Die Grundprinzipien des Gesundheitssystems
Vielschichtig vernetzt: die Akteure des Gesundheitssystems
Jeder Mensch soll im Krankheitsfall schnelle medizinische Hilfe bekommen. Dafür braucht es viele verschiedene Ak- teure und dazu gehören unter anderem 1. Rahmensetzung durch staatliche Vor- Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und gaben: Bund, Länder und Kommunen Therapeuten, Gesundheits- und Kranken- analog zur föderalen Struktur Deutsch- pflegerinnen und -pfleger, Krankenhäuser, lands Rehabilitationseinrichtungen sowie Apo- theken. Und deren Leistungen müssen be- 2. Ausgestaltung der Gesundheitsversor- zahlt werden. Das wiederum übernehmen gung durch die Selbstverwaltung mit die Krankenkassen. Aber welche Behand- ihren Körperschaften und Verbänden lungen genau? Das alles muss entschieden, geregelt und koordiniert werden. Das Ge- 3. Konkrete Versorgung durch Kranken- sundheitssystem ist komplex. Es lässt sich kassen, Ärzteschaft, die unterschied- in drei Ebenen unterteilen: lichsten Gesundheitsberufe, Kranken- häuser und Apotheken, die ihre Inte- ressen jeweils durch Verbände vertre- ten lassen Wechselnde Aufgaben Auch wenn das BMG seit 1961 oberste Bundes- behörde im Bereich der Gesundheit ist, haben seine Zuständigkeiten im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Änderungen erfahren. Zwischen 1969 und 1991 wurde das BMG mit dem heuti- gen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zusammengelegt. Nachdem es 1991 wieder eigenständig wurde, war es von 2002 bis 2005 kurzfristig auch für den Bereich Soziales (und damit die Rentenversicherung) zuständig, der anschließend wieder in die Zu- ständigkeit des Ministeriums für Arbeit rückte. Die Akteure des Gesundheitssystems 16
Die erste Ebene: der gesetzliche Rahmen Das Bundesministerium für Gesundheit der Bundesregierung für Pflege sowie die Innerhalb der Bundesregierung ist das Beauftragten der Bundesregierung für Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Drogenfragen und für die Belange von federführend im Bereich der Gesundheits- Patientinnen und Patienten. politik. Es ist damit für die Ausarbeitung der entsprechenden Gesetzesvorhaben, Ver- Neben dem Deutschen Bundestag und der ordnungen und Verwaltungsvorschriften Bundesregierung ist der Bundesrat der dritte zuständig. Dem auf der Bundesebene zu- entscheidende Akteur der Gesundheitspo- ständigen Bundesgesundheitsministerium litik auf Bundesebene. Er ist als „2. Kam- untersteht eine Reihe von Institutionen, mer“ die Institution der Länder, in der sich die sich mit übergeordneten gesundheit- die einzelnen Landesregierungen auch zu lichen Aufgabenstellungen befassen: das gesundheitspolitischen Fragen äußern. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi- zinprodukte (BfArM), das Paul-Ehrlich- Der Gesetzgeber und die staatliche Gesund- Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und heitspolitik setzen den Rahmen, in dem biomedizinische Arzneimittel (PEI), das die Partner im Gesundheitswesen ihre Ent- Robert Koch-Institut (RKI) und die Bundes- scheidungen treffen können. Dabei gilt es, zentrale für gesundheitliche Aufklärung gesundheitspolitische Prioritäten und eine (BZgA). Zur Seite stehen dem Bundesgesund- bedarfsgerechte Verwendung der finanzi- heitsminister außerdem der Bevollmächtigte ellen Mittel in Einklang zu bringen. 17 Die Akteure des Gesundheitssystems
Die Bundesländer Die Kommunen Die Bundesländer verfügen über eigene Die Menschen, die zur Ärztin beziehungs- Kompetenzen zur Gesetzgebung. Sie sind weise zum Arzt oder zur Physiotherapeutin verantwortlich für die Durchführung der beziehungsweise zum Physiotherapeuten Bundesgesetze sowie für die Planung und gehen, suchen diese in erster Linie in Finanzierung der stationären Versorgung. ihrem eigenen Dorf oder ihrer Stadt auf. Darüber hinaus haben sie die Fach- und Das ist ihr unmittelbares Umfeld, in dem Dienstaufsicht über den kommunalen sie auch medizinisch versorgt werden wol- Öffentlichen Gesundheitsdienst. len. Deswegen sind die Kommunen als kleinster politischer Ordnungsrahmen so Zwar liegt die Zuständigkeit für die gesetz- wichtig: Sie agieren nah am Menschen liche Krankenversicherung überwiegend und sind damit verantwortlich für die Ge- beim Bund. Gleichwohl sind für die Auf- sundheitsversorgung vor Ort. Auch für die sicht über die regionalen Kassen die Länder Prävention, also die Gesundheitsvorsorge: zuständig. Auch die Heilberufe-Kammern Die Kommunen bieten viele niedrigschwel- (Landesärzte-, Landeszahnärzte-, Landes- lig zugängliche Angebote an, wie zum Bei- apotheker- sowie Landespsychotherapeu- spiel psychosoziale Beratung im Krisenfall. tenkammern) sowie die Kassenärztlichen Sie stellen damit Chancengleichheit im und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen deutschen Gesundheitswesen sicher. fallen in den Aufsichtsbereich der Länder. Auch die kommunalen Gesundheitsämter sind wichtiger Bestandteil der deutschen Gesundheitsvorsorge. Sie sind nah dran an den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Bei der aktuellen Coronakrise beispielsweise dokumentieren sie alle Neuinfektionen und verfolgen die Infektionsketten nach, um den Verlauf der Virusverbreitung in ihrer Kommune zu beobachten. Sie regeln auch Landesgesund- mit den Krankenhäusern, inwiefern diese Betten für Coronapatientinnen und -patien- heitspolitik ten bereithalten und dafür womöglich andere Behandlungen wie planbare Ope- Institutionell ist die Zuständigkeit für Landesge- rationen verschieben müssen. Die Kom- sundheitspolitik in der Regel in einem Landes munen sind selbst vielfach Träger von ministerium gebündelt. Die Landesgesundheits- Krankenhäusern. ministerinnen und Landesgesundheitsminister tagen regelmäßig im Rahmen der Gesundheits- ministerkonferenz der Länder (GMK). Kommunen Die deutschen Kommunen bieten ihre Beratungs- angebote überwiegend kostenlos für alle an, so etwa im Bereich der Schwangerschaftsberatung, der HIV-Vorsorge, der Suchtberatung und der psychologischen und psychiatrischen Hilfe. 18
Sozialwahlen Die zweite Ebene: Was vielen Bürgerinnen und Bürgern in Selbstverwaltung Deutschland nicht bewusst ist: Durch die alle sechs Jahre stattfindenden Sozialwahlen Ein wichtiges Element im deutschen können Beitragszahlende der deutschen Sozial Gesundheitssystem ist es, dass die Akteure versicherungen die Zusammensetzung der selbst darüber entscheiden, welche medi- Gremien der Selbstverwaltung mitbestimmen. zinischen Leistungen von den Leistungs- erbringern zu Lasten der Solidargemein- schaft – also den Krankenkassen – erbracht und finanziert werden. Hierbei orientieren sie sich an dem Grundsatz des Wirtschaft- Der G-BA lichkeitsgebots. Das bedeutet, Leistungen wird in seiner Arbeit durch zwei wissenschaft- müssen ausreichend, zweckmäßig und liche Institute unterstützt: Das Institut für wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) be- Notwendigen nicht überschreiten. Für da- wertet vor allem Nutzen und Kosten von rüber hinausgehende Leistungen müssen Arzneimitteln und Behandlungsmethoden in Versicherte in der Regel selbst aufkommen. der GKV. Das Institut für Qualität und Trans parenz (IQTIG) ist das zentrale Institut für die Bei vielen Behandlungen ist ohnehin klar, gesetzlich verankerte Qualitätssicherung im dass sie von der gesetzlichen Krankenver- Gesundheitswesen. sicherung übernommen werden: Wer einen Herzinfarkt erleidet, wird sofort von einer Notärztin oder einem Notarzt versorgt. Das bezahlt die Krankenkasse. Auch wer beim Sport umknickt, gibt bei der Ortho- Behandlungsmethoden, moderne Medizin- pädin oder beim Orthopäden seine Kran- technik, neue Heilmittel oder alternative kenversicherungskarte ab, wird geröntgt Heilmethoden bezahlen sollen. Für neue und bekommt bei Bedarf den Fuß banda- Arzneimittel wird eine Nutzenbewertung giert. Es gibt aber auch Grenzfälle. Was, durchgeführt. Neue Arzneimittel werden wenn eine Patientin oder ein Patient nach dabei regelhaft erstattet. einer orthopädischen Verletzung statt einer physiotherapeutischen eine osteopathische Der G-BA setzt sich aus folgenden Mitglie- Behandlung in Anspruch nehmen möchte? dern zusammen: dem GKV-Spitzenverband, Wenn sie oder er keine Schmerztabletten, der Kassenärztlichen und der Kassenzahn- sondern homöopathische Arzneimittel ärztlichen Bundesvereinigung sowie der nehmen möchte? Dann muss jemand ent- Deutschen Krankenhausgesellschaft. Doch scheiden, ob auch diese Leistungen von den auch die Patientinnen und Patienten sollen Krankenkassen übernommen werden. Dafür ihre Interessen selbst einbringen. Deshalb gibt es den Gemeinsamen Bundesausschuss. haben auch Vertreterinnen und Vertreter von Patienten- und Behindertenorganisa- Der Gemeinsame Bundesausschuss tionen ein Mitberatungs- und Antragsrecht Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im G-BA. Sie dürfen dort zu allen Themen mit Sitz in Berlin ist das wichtigste Gre- mitberaten, beispielsweise ob die Kassen mium der gemeinsamen Selbstverwaltung die Ernährungsberatung für Patientinnen im Gesundheitswesen. Im G-BA beraten und Patienten mit Diabetes bezahlen, Vertretungen der Krankenkassen, Ärztin- welche neuen Behandlungsmethoden in die nen und Ärzte und Krankenhäuser gemein- Versorgung aufgenommen werden oder wel- sam darüber, ob die Krankenkassen neue chen Zahnersatz die Kassen finanzieren. 19 Die Akteure des Gesundheitssystems
Die Krankenkassen und der Spitzen- verband Bund der Krankenkassen In Deutschland gibt es eine breite Auswahl an Möglichkeiten, um sich krankenzuver- sichern. Die gesetzliche Krankenversiche- Die Kassenärztlichen und Kassenzahn- rung mit ihren aktuell 1059 Krankenkassen ärztlichen Bundesvereinigungen zählt die meisten Versicherten. Gesetzlich Für die Sicherstellung der ambulanten Krankenversicherte können Mitglied einer medizinischen beziehungsweise psycho- Orts-, Betriebs-, Innungskrankenkasse oder therapeutischen und zahnmedizinischen Ersatzkasse sein oder sind über die landwirt- Versorgung der gesetzlich Krankenversi- schaftliche Krankenkasse oder die Knapp- cherten in Deutschland sind die jeweiligen schaft versichert. Darüber hinaus gibt es auch Kassen- und Kassenzahnärztlichen Ver- private Krankenversicherungsunternehmen. einigungen (KVen und KZVen) sowie die jeweilige Bundesorganisation (Kassenärzt- Die Krankenkassen sind in einem Spitzen- liche Bundesvereinigung [KBV] und Kassen- verband zusammengeschlossen, dem Spit- zahnärztliche Bundesvereinigung [KZBV]) zenverband Bund der Krankenkassen (GKV- verantwortlich. Neben diesem Sicherstel- Spitzenverband). Über diesen oder über ihre lungsauftrag vertreten sie die Interessen der Regionalverbände schließen sie Verträge mit Ärztinnen und Ärzte sowie der Psychothe- Ärzteverbänden, Kliniken und Apotheken rapeutinnen und -therapeuten und der Zahn- und regeln, wie viel Geld sie für die einzel- ärztinnen und Zahnärzte, die an der vertrags- nen medizinischen Behandlungen zahlen. (zahn-)ärztlichen Versorgung teilnehmen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft Die einzelnen Krankenhäuser vertreten ihre Interessen nicht individuell, sondern über ihre Verbände. Auf Landesebene sind die Krankenhäuser in Landeskrankenhaus- gesellschaften organisiert. Die Landesver- bände wiederum sind in der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG) zu- sammengeschlossen. Die übernimmt ge- setzliche Aufgaben im Rahmen der Selbst- verwaltung im Gesundheitswesen. Die Akteure des Gesundheitssystems 20
Die dritte Ebene: die einzelnen Akteure und ihre Interessen- vertretungen Und wo werden jetzt tatsächlich Menschen behandelt, die Patientinnen und Patienten versorgt? Das passiert auf der dritten Ebene durch Ärztinnen und Ärzte, Therapeutin- nen und Therapeuten, Krankenhäuser und Rehakliniken. Damit diese in der unmit- telbaren Patientenversorgung tätigen Ak- teure auch politisch Gehör finden, sind sie in Standesorganisationen sowie Berufs- und Unternehmensverbänden organisiert. Hier sind etwa die Bundes- und Landes- kammern der verschiedenen Heilberufe oder auch die Bundesvereinigung Deut- scher Apothekerverbände (ABDA) zu nen- nen. Des Weiteren sind hier Patientenorga- nisationen, die Berufs- und Interessenver- bände der Ärzteschaft, die Verbände der nicht ärztlichen Heilberufe, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Verbände der Arzneimittelhersteller angesiedelt. 21 Die Akteure des Gesundheitssystems
Zuverlässig geschützt: die gesetzliche Krankenversicherung
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Dabei blickt das deutsche System der ist ein zentrales Element des deutschen Krankenversicherung auf eine lange Tradi- Gesundheitssystems. Ihr Auftrag reicht von tion zurück. Die GKV hat ihren Ursprung in der Gesundheitsförderung und Vorsorge der bereits erwähnten Bismarck’schen Sozial- über die konkrete Krankenbehandlung bis gesetzgebung des 19. Jahrhunderts. Anfangs hin zur Rehabilitation. Das Gesetz definiert war sie als selbstverwaltete und beitragsfi- die Aufgaben so: Die Krankenkasse soll die nanzierte Versicherung ausschließlich für Gesundheit der Versicherten erhalten, im Arbeiter konzipiert. Im Jahr 1911 wurde die Krankheitsfall wiederherstellen und allge- GKV auch auf die Angestellten ausgeweitet. mein ihren Gesundheitszustand verbessern. Heute sind rund 90 Prozent der Bürgerin- nen und Bürger in der GKV versichert. Krankenversicherungsschutz der Bevölkerung10 in Prozent und Millionen, 2018 GKV 87,7 % circa 72,8 Mio. Einwohner: 83.019.200 Versicherte: GKV**: 72.781.399 PKV***: 8.736.300 Sonstige: 1.501.501 Sonstige* PKV 1,8 % 10,5 % circa 1,5 Mio. circa 8,7 Mio. * Sonstige: Anspruch auf Krankenversorgung als Sozialhilfeempfänger, Kriegsschadenrentner, Empfänger von Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich, freie Heilfürsorge der Polizei und Bundeswehr, nicht krankenversicherte Personen, ohne Angabe zum Vorhandensein einer Krankenversicherung. ** Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) *** Private Krankenversicherung (PKV) Die gesetzliche Krankenversicherung 24
Seit 1996 können die Bürgerinnen und und Krankenhäusern auch Einzelverträge Bürger ihre Krankenkasse bis auf wenige (sogenannte Selektivverträge) für kassen- Ausnahmen frei wählen. Um einen fairen individuelle Leistungen abzuschließen. Wettbewerb zwischen den Krankenkassen sicherzustellen, wurde der Risikostruktur- Hierzu gehört, dass die Krankenkassen mit 35.000 ausgleich (RSA) eingeführt. Dieser gleicht Arzneimittelherstellern Rabattverträge ab- die Risiken der unterschiedlichen Versi- schließen können. Darin gewährt ein Phar- chertenstrukturen der Kassen aus und mahersteller einer Krankenkasse einen verhindert, dass sich eine ungleiche Ver- Rabatt auf sein Arzneimittel. Im Gegenzug Ende des 19. Jahrhunderts teilung von besser und schlechter ver- versorgen Krankenkassen ihre Versicher- gab es in Deutschland dienenden, jüngeren und älteren, gesun- ten über die Apotheken exklusiv mit den etwa 35.000 Krankenkassen;11 den und kranken Versicherten sowie von Arzneimitteln ihrer Vertragslieferanten. inzwischen sind es 105.12 Singles und Familien negativ auf die finan- Damit wollte der Gesetzgeber die Arznei- zielle Situation einzelner Kassen auswirkt. mittelausgaben der GKV senken – und damit auch die Beiträge, die Arbeitnehmerinnen In den letzten 25 Jahren wurde die Struktur und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberin- der GKV immer wieder reformiert. Das nen und Arbeitgeber zu zahlen haben. Ziel war, das Gesundheitssystem stärker an Effizienz und Ergebnisqualität auszu- richten. Die Krankenkassen bekamen da- bei schrittweise die Möglichkeit, mit Ärz- tinnen und Ärzten, Ärztevereinigungen 25 Die gesetzliche Krankenversicherung
Der Gesundheitsfonds Die gesetzliche Krankenversicherung wird seit 2009 über den Gesundheitsfonds finan- ziert. In ihn fließen die Beiträge der Arbeit- Bundesagentur Deutsche geber, der anderen Sozialversicherungsträ- für Arbeit Rentenversicherung ger und der Mitglieder der Krankenkassen sowie ein Bundeszuschuss. Aus dem Fonds Staat Beiträge für erhalten die Krankenkassen – reguliert Arbeitslose über den bereits erwähnten Risikostruk- sowie Rentne- turausgleich – die Mittel, die sie benötigen, rinnen und um die Leistungen für ihre Versicherten zu finanzieren. Neben dem einheitlichen Rentner Beitragssatz, der in den Gesundheitsfonds fließt (aktuell 14,6 Prozent des Brutto- Zuschuss aus Gesundheits- lohns), ist die Erhebung eines kassenindi- viduellen Zusatzbeitrags als wettbewerb- liches Element möglich, der direkt an die Steuermitteln fonds 15 einzelnen Kassen geht. Gesamtvolumen rund 222,2 Mrd. Euro Auszahlung Grundpauschale pro versicherter Person Weiterleitung Zusatzbeiträge oder + Zuschläge der Beiträge + Verwaltungskosten Rückerstattungen Rund 4,34 % möglich der Erwerbstätigen waren 2019 pro Tag durchschnittlich arbeitsunfähig erkrankt.13 Krankenkassen Circa 4,9 Mrd. Beiträge Zahlung von Arzneimitteln, Im Jahr 2019 konnten die Krankenkassen durch einheitlich 14,6 % Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 7,3 % Behandlungen Rabattverträge ihre Arzneimittelausgaben um Versicherte Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber 7,3 % etc. Ärztinnen und Ärzte, insgesamt circa 4,9 Milliarden Euro senken.14 Krankenhäuser etc. 26 27 Die gesetzliche Krankenversicherung
Umfassend betreut: Gesundheitsversorgung und Pflege
Man könnte meinen, es sei doch ganz ein- ambulant als auch stationär erbracht. An- fach: Werden Menschen krank, gehen sie gebote, die beide Bereiche verbinden, stel- zur Ärztin oder zum Arzt. Wer schwerer len eher die Ausnahme der medizinischen erkrankt, wird im Krankenhaus behandelt. Versorgung dar. 112 Dank medizinischem Fortschritt aber sind die Behandlungsmöglichkeiten inzwischen Alle Behandlungen, Reha-Maßnahmen und wesentlich vielfältiger. So gibt es heutzutage Therapien, die außerhalb von Kliniken er- In lebensbedrohlichen auch Menschen mit chronischen Erkran- bracht werden, gehören zur ambulanten Notfällen ist der kungen, die nahezu ohne Beeinträchtigun- Versorgung. Aber auch Kliniken können Rettungsdienst unter gen ein normales Leben führen können. eine ambulante Versorgung anbieten, bei- der Rufnummer 112 spielsweise in Krankenhausambulanzen. zu verständigen. Das deutsche Gesundheitssystem gliedert Zudem sind einige niedergelassene Ärz- sich in ambulante und stationäre Behand- tinnen und Ärzte als Belegärztinnen und lungen. Sowohl die medizinische Versor- Belegärzte zeitweise im Krankenhaus tätig. gung als auch die Pflege werden sowohl Gesundheitsleistungen in Deutschland16 Anteil ausgewählter Leistungsarten an den Gesamtausgaben für Leistungen der GKV im Jahr 2018 in Höhe von 226,22 Mrd. Euro in Prozent Ärztliche Behandlung 17,4 % Krankenhausbehandlung 34,1 % Arzneimittel 17,1 % Heil- und Hilfsmittel 7,1 % Zahnärztliche Behandlung Sonstige 6,4 % 17,9 % Gesundheitsversorgung und Pflege 30
Die ambulante medizi- Die stationäre medizi nische Versorgung nische Versorgung Ambulant behandeln die niedergelassenen In den rund 1.900 Krankenhäusern17 in Haus-, Fach-, Zahnärztinnen und Zahn- Deutschland werden Patientinnen und ärzte, Psychotherapeutinnen und Psycho- Patienten stationär versorgt. Dabei be- therapeuten sowie die Fachkräfte aus nicht- handeln die meisten Krankenhäuser alle ärztlichen Heilberufen wie etwa Physio- Bürgerinnen und Bürger, egal ob diese therapeutinnen und Physiotherapeuten oder gesetzlich oder privat versichert sind. Logopädinnen und Logopäden. Diese müssen dafür nur eine Überweisung 116 117 einer Ärztin oder eines Arztes vor- Die meisten niedergelassenen Ärztinnen legen – außer natürlich im Notfall, in und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte dem die Kliniken sofort behandeln. Die sowie Psychotherapeutinnen und Psycho- Patientinnen und Patienten können sich Unter der Rufnummer 116 117 therapeuten nehmen an der vertragsärzt- das Krankenhaus ihrer Wahl aussuchen. erhalten Patientinnen und lichen Versorgung teil (Kassenzulassung). Die GKV übernimmt die Kosten, wenn die Patienten auch im akuten Fall Das heißt, sie haben eine Zulassung zur Einrichtung zur Versorgung von gesetz- medizinische Hilfe in der gebo- Teilnahme an der vertragsärztlichen Ver- lich Versicherten zugelassen ist. Die über- tenen Leistungsumgebung. sorgung erhalten, sind somit Mitglied in wiegende Mehrheit der Krankenhäuser Grundsätzlich können sie sich einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist auf diese Weise zugelassen. Die Träger- über diesen Service beraten und bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigung schaft der Krankenhäuser teilt sich aktuell Arzttermine vermitteln lassen. (KZV) und dürfen damit gesetzlich versi- zu etwa gleichen Teilen in private, freige- cherte Patientinnen und Patienten behan- meinnützige und kommunale Häuser auf. deln. Des Weiteren bedeutet es, dass diese Zulassung an den Praxisstandort und so- Bei einer stationären Behandlung müssen mit die jeweilige KV-Region beziehungs- gesetzlich Versicherte eine Zuzahlung für weise KZV-Region und deren Bedarfspla- Unterbringung und Verpflegung leisten. nung gebunden ist. Dies wird vor der Behandlung im Kran- kenhausvertrag zwischen Patientin oder Außerhalb der Sprechstunden bietet die Patient und Klinik festgehalten. niedergelassene Ärzteschaft und Zahnärzte- schaft einen ärztlichen sowie einen zahn- ärztlichen Bereitschaftsdienst an. Freie Arztwahl Bei einer Erkrankung ist der erste Ansprech- partner für Patientinnen und Patienten zumeist die Hausärztin oder der Hausarzt. Grundsätz- lich können gesetzlich Versicherte jedoch jede Ärztin und jeden Arzt aufsuchen, der zur ver- tragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Es besteht freie Arztwahl. 31 Gesundheitsversorgung und Pflege
Fast 19.500 Apotheken in Deutschland versorgen täglich 3,5 Millionen Menschen mit Arzneimitteln.18 Arzneimittelversorgung Bekommt jemand in der Arztpraxis ein Wichtig zu wissen ist: Die Patientinnen Rezept ausgestellt, geht sie oder er damit und Patienten können mit ihrem Rezept in in die Apotheke. Für das verschriebene jede Apotheke gehen. Die Arzneimittel kos- Arzneimittel trägt die Krankenkasse den ten in allen Apotheken dasselbe. Das stellt wesentlichen Anteil der Kosten. GKV-Ver- die Arzneimittelpreisverordnung sicher. Sie sicherte müssen sich mit einer Zuzahlung regelt, dass es für verschreibungspflichtige von 10 Prozent des Verkaufspreises beteili- Arzneimittel überall einen einheitlichen gen, mit mindestens 5 Euro und höchstens Abgabepreis gibt. 10 Euro. Würde eine Patientin also beispiels- weise das Schilddrüsenhormon eines Arz- Dass der gleiche Wirkstoff hingegen mal neimittelherstellers bekommen, das in der teurer und mal billiger ist, hat einen anderen Apotheke 17,80 Euro kostet, würde sie den Grund. Grundsätzlich entscheiden pharma- Mindestbetrag von 5 Euro bezahlen. Braucht zeutische Unternehmer über die Preise für sie ein Rheumamittel, das 70 Euro kostet, ihre Arzneimittel selbst. Es gibt Arzneimit- zahlt sie als Eigenanteil 10 Prozent, in der tel, bei denen der Patentschutz abgelaufen Summe also 7 Euro dazu. ist (sogenannte Altoriginale), und es gibt sogenannte Generika. Das sind Arzneimit- Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebens- tel, die den Originalpräparaten nachent- jahr sind von der Zuzahlung ausgenom- wickelt, aber eben nicht das Original und men. Ansonsten gelten Belastungsgrenzen deswegen oftmals sehr viel günstiger sind. für Versicherte. Zuzahlungen sind danach Um die Arzneimittelkosten zu begrenzen, höchstens in Höhe von 2 Prozent (bei legen die Krankenkassen oft fest, welche chronisch kranken Versicherten 1 Prozent) Arzneimittel ihre Mitglieder verschrieben der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Le- bekommen dürfen, sofern die behandeln- bensunterhalt zu leisten. Ob die Belas- de Ärztin oder der behandelnde Arzt dies tungsgrenze erreicht ist, ist durch die zu- nicht ausgeschlossen hat. So kann es vor- ständige Krankenkasse zu prüfen. Hierfür kommen, dass die Apothekerin oder der ist ein Antrag bei der Krankenkasse durch Apotheker plötzlich das Arzneimittel eines die Versicherten zu stellen. anderen Herstellers abgibt, als in den Jahren zuvor. Diese Generika wirken aber genau gleich – und die Patientinnen und Patienten können davon sogar profitieren, weil ihre Zuzahlung geringer ist. Gesundheitsversorgung und Pflege 32
Neue Arzneimittel müssen nicht nur gründ- lich getestet und medizinisch zugelassen werden. Sie müssen auch hinsichtlich ihres Nutzens bewertet werden, damit die GKV sie bezahlt. Seit Inkrafttreten des Arznei- mittelmarktneuordnungsgesetzes im Jahr 2011 bewertet der G-BA daher den Nutzen eines neuen Arzneimittels im Vergleich zu anderen Arzneimitteln für die gleiche Er- 78 % krankung. Auf Grundlage dieser Bewer- tung vereinbaren der jeweilige pharma- zeutische Unternehmer und der GKV- Spitzenverband einen nutzenadäquaten der Menge aller in der Preis für das neue Arzneimittel. gesetzlichen Kranken- versicherung verordne- ten Arzneimittel ent fielen im Jahr 2018 auf Generika. Insbesondere für Generika können die Krankenkassen Rabatt- verträge abschließen.19 33 Gesundheitsversorgung und Pflege
Die Pflegegrade Pflege 1 Ist ein Mensch physisch oder psychisch geringe Beeinträchtigung der nicht in der Lage, sich im Alltag selbst zu Selbstständigkeit versorgen, kann er Pflege in Anspruch nehmen. Dieser Schritt fällt niemandem 2 leicht, aber eine gute Pflege soll dazu bei- erhebliche Beeinträchtigung tragen, trotz Einschränkungen ein mög- der Selbstständigkeit lichst selbstständiges und selbstbestimm- tes Leben zu führen, das der Würde des 3 Menschen entspricht. Um in dieser schwie- schwere Beeinträchtigung der rigen Situation die Pflegebedürftigen und Selbstständigkeit ihre Angehörigen bestmöglich zu unter- stützen, wurde am 1. Januar 1995 eine um- 4 fassende Versicherungspflicht für alle ge- schwerste Beeinträchtigung setzlich und privat Versicherten für das der Selbstständigkeit Pflegerisiko eingeführt. 5 Die soziale Pflegeversicherung wird pari- schwerste Beeinträchtigung der tätisch von Arbeitgebern sowie von Arbeit- Selbstständigkeit mit besonderen nehmerinnen und Arbeitnehmern finan- Anforderungen an die pflegerische ziert. Der Beitragssatz liegt seit dem Versorgung 1. Januar 2019 bei 3,05 Prozent des Brutto- einkommens, bei Kinderlosen bei 3,3 Pro- zent. Privat Krankenversicherte müssen sich in der privaten Pflegepflichtversiche- rung absichern. Die Pflegeversicherung deckt allerdings nicht alle Kosten der Pflege ab. Den Rest tragen die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen selbst beziehungsweise im Bedarfsfall die Sozialhilfe. Die Pflegever- sicherung wird deshalb auch als „Teil- kostenversicherung“ bezeichnet. Seit ihrer Einführung wurde die Pflegever- sicherung immer wieder überarbeitet und den neuen Erfordernissen angepasst. Ein bedeutender Schritt war die Neufassung Die Pflege- des Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit einer differenzierten Betrachtung der Selbst- versicherung ständigkeit (anstelle von zeitlichen Bedarfen an körperlicher Unterstützung) als Grund- ist ein eigenständiger Zweig der lage der Begutachtung. Sozialversicherung (SGB XI). Gesundheitsversorgung und Pflege 34
Dieser aufgefächerte Blick auf den einzel- mit Demenz Unterstützung bei der Gestal- nen Pflegebedürftigen ermöglicht heute für tung und Bewältigung ihres Alltags. Seit alle Pflegebedürftigen eine Aufteilung der 2017 werden nun neben körperlichen auch Leistungsansprüche in fünf Pflegegrade. geistige und psychische Einschränkungen Zuvor waren die Bedarfslagen von Men- der Selbstständigkeit, wie sie etwa bei Alz- schen mit Demenz beim Zugang zu Pflege- heimer und anderen demenziellen Erkran- leistungen nicht ausreichend berücksich- kungen vorkommen, berücksichtigt. Mit tigt worden. Denn auch wenn sie körper- der Umsetzung der Nationalen Demenz- lich oft keine schwerwiegenden Einschrän- strategie ab 2020 wird die Situation für kungen haben, benötigen viele Menschen Menschen mit Demenz weiter verbessert. Rund 3,92 Mio. Menschen nehmen jeden Monat Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch. Die meisten, rund 2,9 Millionen, werden ambulant behandelt. Stationär wurden 2018 rund 780.000 Menschen versorgt, so die Statistik der Pflegekassen und privaten Pflegeversicherungen.20 35 Gesundheitsversorgung und Pflege
Rund 5,7 Mrd. Die Ausgaben der GKV für alle Leistungen, die der Krankheitsverhütung dienen, wie insbesondere Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten und Schutzimpfungen, lagen 2018 bei rund 5,7 Milliarden Euro. Davon investierte die GKV circa 544 Millionen Euro in Primärprävention und Gesundheitsförderung.21 Gesundheitsversorgung und Pflege 36
Prävention und Gesundheitsförderung Wir alle wünschen uns Gesundheit, für können. Ernährungsberatung, gesundheits uns und unsere Angehörigen. Dafür kön orientierte Bewegungsprogramme, Entspan nen wir etwas tun, indem wir uns etwa nungsübungen, Rauchentwöhnung, Redu ausgewogen ernähren, Sport treiben und zierung des Alkoholkonsums – all das hilft versuchen, einen gesunden Ausgleich zwi dabei, gesund zu bleiben und Erkrankun schen Job und Freizeit zu schaffen. gen schon im Vorfeld zu vermeiden. Viele Krankenkassen bieten ihren Versicherten Auch das Gesundheitssystem und andere Präventionskurse an, um sie zu motivieren Sozialleistungsbereiche haben sich Präven und zu befähigen, ihre Möglichkeiten einer tion und Gesundheitsförderung, also die gesunden Lebensführung auszuschöpfen. Verhütung von Krankheiten, zur Aufgabe gemacht. Dafür haben sich 2015 die Spit Außerdem unterstützen sie die Gesund zenorganisationen der gesetzlichen Kran heit der Versicherten mit gesundheitsför ken-, Unfall-, Renten- und Pflegeversiche derlichen Leistungen in ihren alltäglichen rung sowie der Verband der privaten Lebenswelten, also dort, wo die Menschen Krankenversicherungsunternehmen e. V. leben, lernen und aufwachsen. Darüber in der „Nationalen Präventionskonferenz“ hinaus haben sie in den Bundesländern zusammengefunden und eine nationale Beratungs- und Unterstützungsangebote Präventionsstrategie vereinbart. Gemein für kleine und mittlere Unternehmen und sam haben sie sich darauf verständigt, mit insbesondere Krankenhäuser und Pflege ihren Leistungen folgende gemeinsame einrichtungen zur betrieblichen Gesund Ziele zu verfolgen: Die Menschen sollen heitsförderung aufgebaut. Auch die Ge gesund aufwachsen, leben und arbeiten sundheits- und Früherkennungsuntersu- und auch im Alter gesund bleiben. Kurzum: chungen für Kinder, Jugendliche und Die Gesundheit soll in allen Lebensphasen Erwachsene wurden mit dem Präventions gefördert werden. Um das zu erreichen, gesetz weiterentwickelt. Ein stärkeres Au wurden zudem konkrete Handlungsfelder genmerk liegt auch auf individuellen Be genannt, in denen die Sozialversiche lastungen und auf Risikofaktoren für das rungsträger und die private Krankenver Entstehen von Krankheiten. Ärztinnen sicherung die Bürgerinnen und Bürger in und Ärzte haben die Möglichkeit erhalten, ihren Lebenswelten wie Kindergärten, Präventionsempfehlungen zu geben und Schulen, Betrieben und Pflegeheimen in damit zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheitsförderung unterstützen der Gesundheit ihrer Patientinnen und Patienten beizutragen. 37 Gesundheitsversorgung und Pflege
Ambulante und Misch- und Sonder- stationäre Rehabilita- formen medizinischer tionseinrichtungen Leistungen Eine schwere Krankheit, lange Therapie Ambulant und stationär, hausärztliche und zeiten oder eine Operation markieren tiefe fachärztliche Versorgung, Akutmedizin und Einschnitte im Leben eines Menschen. Oft Rehabilitation, Prävention und Langzeit mals haben sie auch langwierige Folgen. therapie – das deutsche Gesundheitssystem Um den Patientinnen und Patienten zu er ist vielfältig. Dabei setzt sich zunehmend möglichen, möglichst schnell wieder am eine Erkenntnis durch: Die Versorgung Alltag teilzunehmen, gibt es ein breites von Patientinnen und Patienten ist eine Spektrum an Rehabilitationsangeboten, am Mannschaftsleistung. Wer etwa altersbe bulant und stationär: physiotherapeutische dingte Hüftgelenkschmerzen hat, wird Behandlungen, psychologische Betreuung ambulant orthopädisch untersucht, muss sowie Unterstützung beim Umgang mit womöglich stationär operiert werden, an Hilfsmitteln. Darüber hinaus bietet das schließend in eine Rehaklinik und nach deutsche Gesundheitssystem Rehabilita der Entlassung zur Physiotherapeutin oder tionseinrichtungen für spezielle Indikati zum Physiotherapeuten vor Ort. Das ist onen wie beispielsweise Essstörungen oder nur ein Beispiel unter vielen, das zeigt: Suchterkrankungen an. Medizinische Behandlungen gehen oft über die einzelnen Sektoren hinaus. Gerade auch chronisch kranke Menschen profitieren von Angeboten, die Bausteine ambulanter und stationärer Therapien zur individuell optimalen Behandlung zusammensetzen. Dafür sind in den vergangenen Jahren ganz neue Versorgungsmodelle entstanden. Neuntes Buch Sozial- gesetzbuch (SGB IX) Die ambulante und stationäre Rehabilitation wird gesetzlich weitgehend im Rahmen des SGB IX erfasst und ist damit ebenfalls ein eigenständiger Bereich im deutschen Sozialversicherungsrecht. Gesundheitsversorgung und Pflege 38
Beispiele aus der Praxis: 1. 3. Für bestimmte chronische Krankheiten, In Hausarztverträgen werden die Haus unter anderem Diabetes mellitus Typ 1 ärztinnen und Hausärzte zu Lotsen ihrer und Typ 2, Brustkrebs, koronare Herz Patientinnen und Patienten. Sie steuern krankheit, Asthma bronchiale und chro die gesamte Versorgung. Die freie Arzt nisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD), wahl, eigentlich Grundlage des deutschen bieten die Krankenkassen strukturierte Systems, ist hier zwar aufgehoben. Dafür Behandlungsprogramme. Das Besondere: wird die gesamte Behandlung von einer Die ganze Therapie wird aus einer Hand Person des Vertrauens koordiniert. Die koordiniert. An diesen sogenannten Disease- Krankenkassen schließen solche Hausarzt Management-Programmen (DMP) können verträge für ihre Versicherten ab. Ziel ist chronisch Kranke freiwillig teilnehmen. Bei die verbesserte Koordinierung von Fach diesen Programmen können auch Kran ärztinnen und Fachärzten, Krankenhäu kenhäuser zur ambulanten Behandlung sern und anderen. Etwa 7,4 Millionen22 berechtigt sein. Versicherte nehmen zurzeit an solchen Programmen teil. 2. „Integrierte Versorgung“ erlaubt es Ärz 4. tinnen und Ärzten sowie Krankenhäusern, Die Ambulante Spezialfachärztliche Ver- gemeinsame Versorgungskonzepte zu erar sorgung (ASV) ist ein Behandlungsange beiten, über die Grenzen von ambulant und bot für Patientinnen und Patienten mit stationär hinaus. Mit den Kassen schließen seltenen oder schweren Erkrankungen mit sie Verträge ab, sodass diese ihren Versicher besonderem Krankheitsverlauf (etwa Tuber ten die Behandlungen anbieten können. kulose, Mukoviszidose oder Morbus Wil son). Die Behandlung erfolgt durch inter disziplinäre Ärzteteams aus der ambulan- ten fachärztlichen und der stationären Versorgung. Eine der neuesten Entwicklungen, die struk turelle Innovationen im deutschen Gesund heitssystem ermöglichen soll, ist der 2015 eingerichtete Innovationsfonds. Der Fonds, der sich aus Mitteln der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds speist, finanziert Versorgungsforschungsprojekte und neue ambulant-stationäre Versorgungsformen. 39 Gesundheitsversorgung und Pflege
Dynamisch ausgerichtet: Herausforderungen und Chancen
Besondere Herausforderung: die Coronapandemie Das Jahr 2020 hat uns mit einer Herausfor Ärzteschaft und Pflegeheime mussten da derung konfrontiert, die es so noch nie gab: für allerdings auf andere Einnahmen, et die Coronapandemie. wa durch langfristig geplante Operationen, Reha-Maßnahmen oder die Aufnahme Das Bundesministerium für Gesundheit neuer Heimbewohner, verzichten. Um da (BMG) hat reagiert und frühzeitig Gesetze für einen Ausgleich zu schaffen, hat der und Maßnahmen initiiert, um die Verbrei Deutsche Bundestag im März 2020 das tung des neuartigen Coronavirus (SARS- Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz CoV-2) einzudämmen. verabschiedet. Das sichert den Versorgern finanzielle Unterstützung während der Schon im März 2020, also unmittelbar nach Coronapandemie zu. dem Auftreten der ersten Coronafälle in Deutschland, hat die Bundesregierung Ein- Besonderen Belastungen waren Menschen und Ausreisebeschränkungen oder Einflug mit chronischen Erkrankungen ausgesetzt. verbote für einzelne Länder verhängt. Dazu gehören auch die mehr als 8 Millionen suchtkranken Erwachsenen23 sowie deren In der Zeit ist deutlich geworden, dass das Angehörige. Auf Initiative der Drogenbeauf BMG in der Lage sein muss, selbst die Ver tragten wurden die Regeln für die Substi sorgung mit persönlicher Schutzausrüs tutionsbehandlung durch die SARS-CoV-2- tung und Desinfektionsmitteln, Medizin Arzneimittelverordnung am 20. April 2020 produkten und Arzneimitteln in Deutsch- so flexibilisiert, dass auch in der Pandemie land zu organisieren. Dafür wurde am die Versorgung gesichert bleiben kann. Pa 27. März 2020 das Infektionsschutzgesetz rallel hat der Deutsche Bundestag das „Ge entsprechend geändert. Die Bundesregie setz zum Schutz der Bevölkerung bei einer rung kann seither die Einfuhr von Schutz epidemischen Lage von nationaler Trag ausrüstungen eigenständig regeln. weite“ erlassen. Der Bund hat für die Zeit dauer der Pandemie die Kompetenz be Um einen Überblick über die Anzahl an kommen, durch Verordnungen selbst Vor- Beatmungsbetten zu erhalten, hat das BMG kehrungen zum Schutz der Bevölkerung im April 2020 mit einer Verordnung die zu treffen, beispielsweise Reisebeschränkun Kliniken bundesweit verpflichtet, alle freien gen oder Melde- und Untersuchungspflich Intensivbetten zu melden. Bei Bedarf wur ten bei Verdacht einer Coronainfektion. de steuernd eingegriffen, etwa durch das Verschieben planbarer Operationen. Am 29. April 2020 wurde das „Zweite Ge setz zum Schutz der Bevölkerung bei einer Durch diese Maßnahmen war die medizi epidemischen Lage von nationaler Trag nische Versorgung aller Patientinnen und weite“ auf den Weg gebracht. Das sollte in Patienten bisher jederzeit gesichert. Die erster Linie ermöglichen, Coronainfizierte Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen, noch schneller zu identifizieren und zu Herausforderungen und Chancen 42
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