Zukunftsmodell gesetzliche Krankenversicherung - Positionen des GKV-Spitzenverbandes für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung in der ...
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Zukunftsmodell gesetzliche Krankenversicherung Positionen des GKV-Spitzenverbandes für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung in der kommenden Legislaturperiode Berlin, den 27. Juni 2013
Impressum Herausgeber: GKV-Spitzenverband Reinhardtstraße 30 10117 Berlin Verantwortlich: Michael Weller, Stabsbereich Politik Stabsbereich Kommunikation Gestaltung: BBGK Berliner Botschaft Gesellschaft für Kommunikation mbH Fotonachweis: Medizinfotografie Hamburg, Sebastian Schupfner, www.schupfner.com (Titelbilder); Andrea Katheder | fotografie www.andreakatheder.de (Vorwort) Druck: Pinguin Druck GmbH, Berlin Auflage: 3.000 Stand: Juli 2013 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten. Der GKV-Spitzenverband ist der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 217a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Er ist zugleich der Spitzenverband Bund der Pflegekassen nach § 53 SGB XI. Der GKV-Spitzenverband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Name, Logo und Reflexstreifen sind geschützte Markenzeichen des GKV-Spitzenverbandes.
Zukunftsmodell gesetzliche Krankenversicherung Positionen des GKV-Spitzenverbandes für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung in der kommenden Legislaturperiode Berlin, den 27. Juni 2013
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6 1 Herausforderungen annehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Tragfähiges Fundament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 Entwicklungen vorantreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 2 Stärkung der Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 Gesetzgeber: Klares Bekenntnis zur Selbstverwaltung erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Selbstverwaltung: Bereit, Verantwortung zu übernehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 G-BA wichtigstes Entscheidungsgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . 10 3 Rahmenbedingungen für Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 Wettbewerbsordnung im Sozialgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Mehr Vertragswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4 Qualität und Innovationen mit Patientennutzen fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13 Innovationen zum Nutzen der Patientinnen und Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5 Ärztliche Versorgung und Honorierung reformieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15 Modernisierung der ambulanten Versorgungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Neues Honorierungssystem für Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Sachleistungsprinzip als Grundlage auch in der zahnmedizinischen Versorgung . . . . . . . . . . . . 16 Neuen ambulanten spezialfachärztlichen Leistungsbereich weiterentwickeln . . . . . . . . . . . . . . 17 6 Die Finanzierung der Krankenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18 7 Effizienzreserven des Arzneimittelmarktes weiter erschließen und Qualität der Heilmittelversorgung verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21 Vorhandene Steuerungsinstrumente des Arzneimittelmarktes wirken lassen . . . . . . . . . . . . . . . 21 Mehr Leistungsqualität und Wirtschaftlichkeit in der Heilmittelversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . 21 8 Bessere Ergebnisse notwendig: Hilfsmittelversorgung und Medizinprodukte . . . . . . . . . . 23 Hilfsmittelversorgung – Ergebnisqualität in den Mittelpunkt stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Höchste Priorität für Patientensicherheit bei Medizinprodukten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 9 Weichenstellungen in Prävention und Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Prävention und Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Teilhabeorientierung in der Rehabilitation fortsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 10 Infrastruktur für eine bessere Patientenversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Elektronische Gesundheitskarte – Für mehr Transparenz und Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . 27 Mehr Transparenz in der Gesundheitsversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 Telemedizin – großes Potenzial bei noch unklarem Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 Personalisierte Medizin – Nutzen erfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 4
Inhalt 11 Patientenrechte weiter verbessern – Schutz vor Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Patientenrechtegesetz ausbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 Fehlverhalten im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 12 Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Strukturelle Einnahmelücke schließen – Nachhaltige Finanzierungsreform überfällig . . . . . . . . 32 Finanzlage der Krankenkassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Finanzlage Gesundheitsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Bundesbeteiligung für versicherungsfremde Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Die soziale Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1 Versorgung weiterentwickeln: Qualität in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2 Bessere Transparenz über die Pflegequalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3 Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4 Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) – ein unverzichtbarer Bestandteil der sozialen Pflegeversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 5 Gute Pflege braucht qualifizierte Fachkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 5
Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, 70 Mio. gesetzlich Versicherte können im Krank- ausforderungen wie den technischen Fortschritt heitsfall darauf vertrauen, dass sie eine qualitativ und die Alterung der Bevölkerung angemessen zu hochwertige und wirtschaftliche Versorgung erhal- reagieren. Die notwendigen Veränderungsprozes- ten und am medizinisch-technischen Fortschritt se müssen in der nächsten Legislaturperiode ein- unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungs- geleitet und fortgeführt werden. Das gilt gleicher- fähigkeit partizipieren. Zu Recht zählt die gesetz- maßen für die Weiterentwicklung der gesetzlichen liche Krankenversicherung deshalb zu einem der Pflegeversicherung. leistungsfähigsten Gesundheitssysteme der Welt. Nicht zuletzt die Neuordnung des Arzneimittel- Es wird Aufgabe und Pflicht der kommenden marktes hat gezeigt, dass grundlegende Reformen Gesundheitspolitik sein – gemeinsam und in möglich sind. Dieser reformpolitische Meilenstein vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Selbst- hat zudem bewiesen, dass sich die Interessen der verwaltung – das Gesundheitssystem weiterzu- Patienten, der Beitragszahler und der Industrie entwickeln. Dabei gilt es, auf drängende Her- in Einklang bringen lassen. Den positiven Ansatz, 6
Vorwort die gesundheitliche und pflegerische Versorgung stärker am Patientennutzen auszurichten, gilt es fortzuführen und zu verstetigen. Der GKV-Spitzenverband beteiligt sich mit dem vorliegenden Positionspapier aktiv an der Weiter- entwicklung des deutschen Gesundheitswesens und der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die gesundheitspolitischen Positionen mit dem Titel „Zukunftsmodell gesetzliche Krankenversicherung“ stützen sich dabei auf einen breiten Konsens aller 134 Krankenkassen. Wir freuen uns, mit Ihnen auf dieser Basis in einen gemeinsamen Dialog zu treten und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Mit freundlichen Grüßen Christian Zahn Dr. Volker Hansen 7
1 Herausforderungen annehmen Die deutsche gesetzliche Krankenversicherung Diese Leitplanken der gesetzlichen Krankenversi- braucht derzeit keinen Vergleich mit anderen cherung sind für ein patientenorientiertes Gesund- Gesundheitssystemen der Welt zu scheuen. heitswesen unentbehrlich und stellen gleichzeitig Die ökonomischen, sozialen, demografischen, einen entscheidenden Standortfaktor für die technologischen und epidemiologischen Rahmen- deutsche Gesundheitswirtschaft und die deutsche bedingungen ändern sich allerdings laufend. In Wirtschaft insgesamt dar. Eine auf diesen Säulen der neuen Legislaturperiode müssen daher zügig stabilisierte und weiterentwickelte gesetzliche notwendige Veränderungsprozesse eingeleitet Krankenversicherung ist auch vor dem Hinter- oder konsequent weitergeführt werden. Das Ge- grund neuer Technologien und Geschäftsmodelle sundheitswesen ist dabei vor allem an die sozio- zukunftsfähig. demografischen Veränderungen anzupassen. Die gesundheitliche Versorgung muss sich zukünftig Entwicklungen vorantreiben viel stärker an ihren Ergebnissen und damit am Die gesetzlichen Krankenkassen werden sich aktiv Nutzen der Intervention messen lassen. Vernetzte für eine Gesetzgebung einsetzen, die bereits ein- Versorgungsmodelle, aus denen Patientinnen und geleitete richtige und wichtige Entwicklungen im Patienten die für sie Gesundheitswesen vorantreibt und verstetigt: Die gesundheitliche Versorgung muss sich am besten geeignete zukünftig viel stärker an ihren Ergebnissen Versorgung wählen • Förderung des informierten, messen lassen. können, müssen selbstbestimmten Patienten die fragmentierten Die Patientinnen und Patienten haben einen Formen der Behandlung ersetzen. Prävention Anspruch auf alle verfügbaren Informationen und Gesundheitsförderung, Krankenbehandlung, rund um ihre gesundheitliche Versorgung. Rehabilitation, Pflege und soziale Dienste müssen Insbesondere Instrumente der Patientenbera- besser vernetzt werden, um die Qualität, Effek- tung und des Gesundheitscoachings helfen den tivität und Effizienz der gesundheitlichen und Patientinnen und Patienten und unterstützen pflegerischen Versorgung spürbar zu steigern. Vor damit auch die Therapietreue. allem die immer älter werdenden Patientinnen • Mehr Transparenz und Patienten benötigen geeignete Versorgungs- Die Transparenz des gesamten Versorgungs- modelle, die darauf abzielen, die Gesundheit im geschehens ist aus Sicht der Patientinnen und Alter zu stützen und das Selbstmanagement zu Patienten sowie der Beitragszahler durch einen fördern. Die Infrastruktur des Gesundheitswesens besseren Informationsaustausch und transpa- muss sich in den nächsten Jahren besser auf das rentes Management zu erhöhen. veränderte Morbiditätsspektrum einstellen. • Kooperation verbessern Die gesundheitliche und pflegerische Versor- Tragfähiges Fundament gung muss viel stärker aus der Patientenper- Garanten für ein leistungsfähiges Gesundheitssys- spektive gestaltet werden. Notwendig ist ein tem und damit zugleich Leitplanken für Refor- durchgängiges Schnittstellenmanagement men in der nächsten Legislaturperiode sind die zwischen den einzelnen Versorgungsbereichen Strukturprinzipien der gesetzlichen Krankenversi- und Sozialversicherungsträgern. cherung: • Stärkung der Kosten-Nutzen-Bewertung • die am medizinischen Bedarf orientierte Um alle Patientinnen und Patienten auch in gesundheitliche Versorgung, Zukunft am medizinischen und medizinisch- • das Solidaritätsprinzip, technischen Fortschritt teilhaben zu lassen, • das Sachleistungsprinzip und bedarf es einer konsequenten Bewertung des • die Steuerung durch Selbstverwaltung. 8
Herausforderungen annehmen Nutzens neuer Diagnostik und Therapien – auch im Verhältnis zu den Kosten. • Entbürokratisierung vorantreiben Um die begrenzten Ressourcen möglichst wirtschaftlich zum Wohle der Patientinnen und Patienten einzusetzen, sind die notwendigen bürokratischen Verfahren der Leistungsge- währung, Dokumentation und Abrechnung im Sinne einer wirtschaftlich gebotenen Ent- bürokratisierung auf den Prüfstand zu stellen. Hier müssen die technischen Möglichkeiten elektronischer Verfahren (Telematik) und die Potenziale moderner Arbeitsorganisation stärker genutzt werden, um die unmittelbar mit der Behandlung und Pflege der Menschen befassten Gesundheitsberufe bei Verwal- tungstätigkeiten zu entlasten und zugleich die Kranken- und Pflegekassen noch effizienter aufstellen zu können. Neben den notwendigen Reformmaßnahmen zur Gestaltung der Versorgung mit besseren und/ oder wirtschaftlicheren Konzepten muss es in der neuen Legislaturperiode außerdem gelingen, das fiskalische Dilemma zwischen Wachstumsschwä- che der Finanzierungsbasis und Dynamik der Gesundheitsausgaben zu überwinden. Aktuelle Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversiche- rung dürfen hierüber nicht hinwegtäuschen. 9
2 Stärkung der Selbstverwaltung Gesetzgeber: Klares Bekenntnis zur ist nicht in der Lage, die meist hochkomplexen Selbstverwaltung erforderlich und in ihren Wirkungen für die gesundheitliche Selbstverwaltung im umfassenden Sinne bedeutet Versorgung der Patientinnen und Patienten oft die Regelung und Steuerung im Gesundheits- gravierenden Entscheidungen so praxisnah zu wesen in eigener Verantwortung. Sie steht damit treffen und gleichzeitig die vielfältigen, teilweise für einen leistungsfähigen Weg, der sich von rein kleinteiligen Wirkungen zu berücksichtigen. Die staatlicher Steuerung oder rein privatwirtschaft- Selbstverwaltung als Steuerungsprinzip ist dabei licher Allokation abgrenzt. Die Selbstverwaltung keineswegs Selbstzweck: Sie muss vielmehr ihre steht für Solidarität und bildet die Grundlage für herausgehobene und zentrale Stellung in der ge- die institutionelle Mitbestimmung der Beteiligten setzlichen Krankenversicherung tagtäglich durch durch Versicherte und Arbeitgeber bei den Kran- die Fähigkeit zur adäquaten Lösung und Erfüllung kenkassen und ihren Verbänden. Diese Form der der ihr übertragenen Aufgaben legitimieren. Steuerung ergänzt und stärkt das demokratische Prinzip des Grundge- G-BA wichtigstes Entscheidungsgremium Die Selbstverwaltung steht für setzes. Im internatio- der gemeinsamen Selbstverwaltung Solidarität und bildet die Grundlage nalen Vergleich zeigen Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen, den Ärz- für die institutionelle Mitbestimmung sich die Stärken von ten, Zahnärzten und Krankenhäusern im Rahmen der Beteiligten durch Versicherte und selbstverwalteten des SGB V das Recht zur Selbstverwaltung und Arbeitgeber bei den Krankenkassen und Gesundheitssystemen, Gestaltung durch Vereinbarungen eingeräumt. ihren Verbänden. in denen Beteiligte Die Vertreter dieser Selbstverwaltungseinrichtun- verantwortlich an gen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft Entscheidungsprozessen teilhaben, besonders wirken im Gemeinsamen Bundesausschuss deutlich: Während in einem staatlichen Gesund- (G-BA) als Selbstverwaltungsgremium zusammen. heitssystem die Versorgung darunter leidet, dass Während der Gesetzgeber den Rahmen vorgibt, nicht die beteiligten Akteure Entscheidungen im ist es die Aufgabe dieser gemeinsamen Selbst- Verhandlungsprozess treffen und die gesundheitli- verwaltung, den Rahmen auszufüllen und für che Versorgung vom Staatshaushalt abhängig ist, die alltagstaugliche Umsetzung der gesetzlichen kann ein rein marktwirtschaftliches System eine Vorgaben zu sorgen. Soweit die mit dem Ver- bedarfsgerechte und bezahlbare Versorgung nicht sorgungsstrukturgesetz vorgenommenen Ände- für alle Versicherten sicherstellen. Die Rechte der rungen einer Verbesserung der Transparenz und Selbstverwaltung müssen deshalb gestärkt und der Arbeitsfähigkeit des G-BA dienen, sind diese weiter ausgebaut werden. umzusetzen und auszubauen. Gestoppt und um- gekehrt werden muss die stärkere Abhängigkeit Selbstverwaltung: Bereit, von der Politik, insbesondere bei der Entschei- Verantwortung zu übernehmen dung über die Unparteiischen Vorsitzenden des In der nächsten Legislaturperiode braucht es G-BA. Für die patientenorientierte Gestaltung der gesetzgeberische Klarstellungen für eine Steue- gesundheitlichen Versorgung ist die Überführung rung des Gesundheitswesens durch die soziale des G-BA in sektorbegrenzende Strukturen und Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenver- Vetorechte nicht zielführend. Es ist sicherzustel- sicherung einerseits und die gemeinsame Selbst- len, dass sich die Beteiligten im G-BA der gemein- verwaltung im Gesundheitswesen andererseits. In samen Verantwortung für das Versorgungssystem einem permanenten Veränderungsprozess kann stellen und gemeinsam nach am Patientenwohl nur die Selbstverwaltung Versorgungsqualität, orientierten Lösungen suchen. Wenn Vernetzung die am Patientenwohl orientiert ist, sachgerecht und mehr integrierte Versorgung keine leeren und praxisnah fortentwickeln. Der Gesetzgeber politischen Worthülsen bleiben sollen, müssen 10
Stärkung der Selbstverwaltung die Grundlagen hierfür auch im G-BA geschaffen werden. Die sektoren- und einrichtungsübergrei- fende Struktur und Aufgabenstellung des G-BA ist deshalb wieder herzustellen. In sich widersprüch- liche gesetzliche Rahmenbedingungen, die es dem G-BA schwer machen, seine Gestaltungsauf- gaben zu meistern, sind zu verändern. Hier sind insbesondere der Bereich der Steuerung von nicht medikamentösen Innovationen und die ambulante spezialfachärztliche Versorgung zu nennen. 11
3 Rahmenbedingungen für Wettbewerb Wettbewerbsordnung im Sozialgesetzbuch Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversi- Die wettbewerbliche Weiterentwicklung der cherung muss bei den Sozialgerichten liegen. gesetzlichen Krankenversicherung erfordert einen einheitlichen Ordnungsrahmen für alle Mehr Vertragswettbewerb wettbewerblichen Rechtsbeziehungen. Dies gilt Für den Wettbewerb in der gesetzlichen Kran- auch für das Wettbewerbsverhältnis der Kranken- kenversicherung sollte in Zukunft neben dem kassen untereinander. Es sind klare Spielregeln Preis vor allem die Qualität der gesundheitlichen notwendig, die den Wettbewerb zwischen den Versorgung das Unterscheidungsmerkmal sein. Krankenkassen in einer Weise regulieren, die dem Selektivverträge sind daher als wettbewerbliche besonderen Charakter der sozialen Krankenver- Versorgungsform zu fördern. Dadurch wird die sicherung gerecht wird. Der Wettbewerbsrahmen Innovationskraft für neue Versorgungsangebote muss den Besonderheiten des sozialversiche- freigesetzt, und die hinsichtlich ihrer Ergebnisqua- rungsrechtlichen Gesundheitsmarktes Rechnung lität besten Anbieter(netze) können sich durch- tragen, zu denen der gesetzlich vorgegebene setzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Se- Leistungskatalog, der Kontrahierungszwang, das lektivverträge verbindliche Vereinbarungen über gesetzliche Zusammenarbeitsgebot sowie der Qualitätsver- gesetzliche Versorgungsauftrag der Krankenkas- In Zukunft sollte neben dem besserungen sen zählen. Deshalb dürfen zentrale Normen des Preis vor allem die Qualität und deren Kartellrechts nicht als neuer Ordnungsrahmen der gesundheitlichen Evaluierung für den Wettbewerb der Krankenkassen unterein- Versorgung das enthalten. ander für anwendbar erklärt werden. Das würde Unterscheidungsmerkmal Informati- keinen adäquaten Ordnungsrahmen schaffen, sein. onen über sondern unvereinbare Wertungswidersprüche die Qualität, erzeugen. Während in der gesetzlichen Kranken- insbesondere bei der sektorenübergreifenden ge- versicherung das sozialgesetzliche Zusammenar- sundheitlichen Versorgung, fehlen bisher. Rechts- beitsgebot die erste Maxime des Kassenhandelns sichere Grundlagen sind deshalb zu schaffen. darstellt, gilt im privatwirtschaftlich ausgerichte- Selektive Verträge müssen in den ordnungspoliti- ten Wettbewerbsrecht als Grundsatz das Kon- schen Rahmen zur flächendeckenden Sicherstel- kurrenzprinzip. Was in der lung der medizinischen Versorgung eingebunden Der Wettbewerbsrahmen Krankenversicherung die und Qualitätssicherungsdaten allgemein zur muss den Besonderheiten des Regel ist, stellt im Wettbe- Verfügung gestellt werden. sozialversicherungsrechtlichen werbsrecht die Ausnahme Gesundheitsmarktes Rechnung tragen. dar. Eine angemessene In Zukunft ist auch der stationäre Sektor in die Wettbewerbsordnung, wettbewerbliche Vertragssteuerung einzube- mit der das Verhältnis der ziehen, um Qualitäts- und Effizienzpotenziale Krankenkassen untereinander und im Verhältnis zu heben. Das bedeutet konkret: Für elektive zu den Versicherten geregelt wird, sollte daher Leistungen, z. B. planbare Operationen, und die konsequenterweise unmittelbar im Sozialgesetz- ambulante spezialfachärztliche Versorgung sind buch verankert werden. Die undifferenzierten der Kontrahierungszwang zu lockern und ein Ver- Verweisungen in das Kartellrecht werden der dem tragsspielraum zu eröffnen. Außerdem gehören Solidarprinzip verpflichteten Krankenversicherung die Vorschriften des Krankenhausrechts, des Apo- nicht gerecht. Zudem sollte die staatliche Auf- theken- und Arzneimittelrechts auf den Prüfstand. sicht allein von den sozialrechtlichen Behörden Auch hier ist mehr Wettbewerb zu ermöglichen: wahrgenommen werden. Der Rechtsweg für die Selektivvertragliche Regelungen dürfen nicht unnötig behindert werden. 12
4 Qualität und Innovationen mit Patientennutzen fördern Alle Versicherten haben Anspruch auf eine qua- bewusst Leistungserbringer auswählen können. litativ hochwertige gesundheitliche Versorgung. Auch im ambulanten Bereich sollte es künftig Insgesamt bedarf das Gesundheitssystem daher mehr Transparenz über Qualitätsdaten geben. Die einer stärkeren Fokussierung auf patientenre- Berichterstattung über Ergebnisse der Qualitäts- levante Ergebnisse. Medizinische Innovationen sicherung muss für die Versicherten verständlich mit nachge- und für ihre Entscheidungen nutzbar sein. Auch Qualitätssicherung über wiesenem den Ärzten sind diese Qualitätsergebnisse zur Ver- Ergebnisindikatoren ist Zusatznutzen fügung zu stellen, damit sie ihre eigene Leistung eine Voraussetzung für müssen allen im Vergleich mit anderen Leistungserbringern be- gezielte Innovationen in Versicherten werten und zielgerichtet weiterentwickeln können den Versorgungsstrukturen. zur Verfügung (Benchmark). Für den anzustrebenden Qualitäts- stehen. Qua- wettbewerb in der Gesundheitsversorgung sind litätssicherung über Ergebnisindikatoren ist eine transparente, zuverlässige Informationen eine Voraussetzung für gezielte Innovationen in den Grundvoraussetzung. Versorgungsstrukturen. Qualitätssicherung benötigt einheitliche Qualitätsmessung schließt auch die Standards in der Dokumentation Verlaufsbeobachtung ein Qualitativ hochwertige Versorgung muss von Die meisten Fragestellungen in der Qualitätssi- schlechter Versorgung unterscheidbar gemacht cherung der medizinischen Versorgung lassen werden. Als Grundlage für solche Bewertungen sich sinnvoll nur mit einer sektorenübergreifen- sind verlässliche und überprüfbare Daten über die den Qualitätssicherung abbilden. Heute beruhen Versorgungsrealität erforderlich. Die Dokumen- die meisten Qualitätssicherungsverfahren auf tationsanforderungen haben sich am Prinzip der einmaligen und punktuellen Datenerhebungen. Datensparsamkeit unter Beachtung des Informati- Tritt nach der Entlassung aus dem Krankenhaus onsnutzens auszurichten. So können Schwachstel- eine Komplikation auf oder muss die Patientin len identifiziert und Versorgungsabläufe effektiv oder der Patient nach einiger Zeit erneut im verbessert werden. Zurzeit gibt es jedoch große Krankenhaus behandelt werden, werden diese Er- Unterschiede zwischen den Dokumentationsan- eignisse bisher nicht zusammenhängend erfasst. forderungen in den verschiedenen Versorgungsbe- Damit gehen wesentliche Informationen über die reichen. Um Qualitätsdaten sinnvoll vergleichen Qualität des Versorgungsgeschehens verloren. zu können, muss sichergestellt werden, dass die Deshalb ist es notwendig, die Qualitätssicherung grundlegenden Regeln zur Kodierung und Doku- auf Längsschnittbetrachtungen auszudehnen. Die mentation von Behandlungsfällen sektorenüber- dafür notwendigen, zum Teil auch gesetzlichen, greifend und vertragsunabhängig gelten. Voraussetzungen sind so schnell wie möglich zu schaffen. Innovationen zum Nutzen der Patientinnen und Patienten Ergebnisse der Qualitätssicherung sind Prozessinnovationen fördern öffentlich zu machen Innovationen im Gesundheitswesen ergeben sich Patientinnen und Patienten, Versicherte und Kran- nicht nur durch die Entwicklung und Einführung kenkassen haben Anspruch auf Informationen neuer Produkte und Behandlungsmethoden, über die Prozesse und Ergebnisse der Qualitäts- sondern auch durch die Verbesserung von sicherung. Wir brauchen Offenheit über aktuelle Behandlungsprozessen und Versorgungsstruktu- Ergebnisse zu allen verfügbaren Qualitätsdaten, ren sowie durch Transparenz über tatsächliche damit sich die Betroffenen informieren und Leistungsqualität. Damit können sowohl bessere 13
Qualität und Innovationen mit Patientennutzen fördern Ergebnisse in der gesundheitlichen Versorgung perspektiven für Krankenkassen, die schrittweise der Patientinnen und Patienten als auch finan- Überwindung des Kontrahierungszwanges bei zielle Einsparungen erzielt werden. Deshalb ist elektiven Leistungen im Krankenhaus und die eine der wichtigsten Herausforderungen in der Weiterentwicklung und Implementierung funktio- neuen Legislaturperiode, Organisationsstruktu- nierender Bereinigungsverfahren zur Vermeidung ren (z. B. durch integrierte Versorgungsverträge) der Doppelfinanzierung von Leistungen. im Gesundheitswesen zu fördern, in denen eine gemeinsame Verantwortung für die Gesundheits- ergebnisse übernommen wird. Patientenrelevanter Nutzen entscheidend Bei der flächendeckenden Einführung medizi- nischer Innovationen muss die Sicherheit der Patientinnen und Patienten Vorrang haben. Medizinische Innovationen müssen in Zukunft den patientenrelevanten Nutzen vor ihrer flächen- deckenden Einführung belegen. Dabei sind vor allem folgende Fragen zu Bei der flächendeckenden Einführung beantworten: Ist die neu- medizinischer Innovationen muss este Methode wirklich die die Sicherheit der Patientinnen und beste? Was wissen wir über Patienten Vorrang haben. den tatsächlichen Nutzen? Wie wirkt die Innovation im Vergleich zur Standardtherapie – auch im Hinblick auf Nebenwirkungen und das Risiko von Folge- erkrankungen? Reformziel muss es sein, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, über deren Nutzen und Schaden wir noch nicht genug wissen, künftig nur noch in klinischen Studien einzusetzen. Damit werden wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wohle der Patientinnen und Patienten gewonnen, bevor sie flächendeckend zur Anwendung kommen. Abbau von Innovationshindernissen Zur Förderung der Innovationsbereitschaft im Ge- sundheitswesen sind Anreize und Instrumente für einen innovationsfördernden Vertragswettbewerb kontinuierlich und konsequent auszubauen. Heute werden Krankenkassen und andere potenzielle Investoren durch eine Reihe von Hindernissen oder durch sprunghafte Gesetzgebung behindert. Hier ist deutlich mehr Planungssicherheit für alle Beteiligten erforderlich. Zu Anreizen und Instru- menten gehören u. a. nachhaltige Finanzierungs- 14
5 Ärztliche Versorgung und Honorierung reformieren Modernisierung der ambulanten • Zulassung von Ärzten und Psychotherapeuten Versorgungsstrukturen in Zukunft zeitlich befristet ermöglichen. Mit Wohnortnahe hausärztliche Versorgung dem bisherigen starren Bedarfsplanungssystem sichern und dem nicht mehr zeitgemäßen Zulassungs- Der mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz verfahren können Arztsitze in der Regel nur eingeschlagene Weg einer Differenzierung des dauerhaft neu geschaffen werden. Die zzt. Raumbezugs nach hausärztlichem, allgemein bestehende Beschränkung einer befristeten Zu- fachärztlichem und spezialisiertem fachärztlichen lassung nur in Planungsgebieten, die einen Ver- Bereich ist richtig und muss konsequent weiter sorgungsgrad von 100 bis 110 Prozent aufwei- beschritten werden. Der Schwerpunkt muss sen, ist nicht ausreichend wirksam und muss hierbei auf deshalb verschärft werden. Dies ist dringend Unter- und Überversorgung die Ausge- erforderlich, da sich die Versorgungsbedarfe sind zwei Seiten einer staltung einer angesichts der demografischen Entwicklung in Medaille, deshalb wird wohnortnahen Zukunft deutlich verändern werden. das zukünftige Problem hausärztlichen • Stärkung der Steuerung durch Preise mit der der Sicherstellung Versorgung Wiedereinführung von Abschlägen auf den einer wohnortnahen im ländlichen Orientierungswert in überversorgten Regionen. hausärztlichen Raum gelegt Versorgung nur gelöst werden. Ins- Klare Regelungskompetenzen für Landes- werden können, wenn besondere in und Bundesebene ärztliche Überversorgung dünn besiedel- Die mit dem Versorgungsstrukturgesetz neu stringenter als bisher ten Regionen geschaffene Möglichkeit, auf Landesebene wegen ausgeschlossen wird. muss durch regionaler Besonderheiten bei der Bedarfsplanung eine neue Ar- von Vorgaben des Gemeinsamen Bundesaus- beitsteilung zwischen qualifizierten Gesundheits- schusses abzuweichen, führt zu Überschnei- berufen die hausärztliche Versorgung ergänzt und dungen bei den Regelungskompetenzen von gestärkt werden. Hier sind populationsbezogene Bundes- und Landesebene. Als Lösung bietet sich Angebotsstrukturen zu schaffen, z. B. durch den eine Makrosteuerung der Arztzahlen durch den Aufbau von regionalen Versorgungszentren. Gemeinsamen Bundesausschuss und eine Fein- steuerung der Verteilung auf der regionalen Ebene Überversorgung abbauen an; eine entsprechende rechtliche Verankerung Da Unterversorgung und Überversorgung zwei muss hierfür implementiert werden. Seiten einer Medaille sind, wird das zukünftige Problem der Sicherstellung einer wohnortnahen Kooperation verbessern – hausärztlichen Versorgung nur gelöst werden Vorfahrt für integrierte Versorgung können, wenn ärztliche Überversorgung strin- Die Entwicklung der Medizin erfordert aus genter als bisher ausgeschlossen wird. Es gilt fachlichen wie aus wirtschaftlichen Gründen daher, bestehende Anreize für eine Niederlassung integrierte Versorgungsformen, seien es Medizini- in bereits überversorgten Gebieten abzubauen. sche Versorgungszentren oder Versorgungsnetze In der nächsten Legislaturperiode sind weitere von Arztpraxen und Krankenhäusern. Ein aktives gesetzgeberische Schritte erforderlich: Versorgungsmanagement mit der bewussten Förderung von Kommunikation, Koordination • Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigun- und Kooperation zwischen den Beteiligten ist zu gen zum Aufkauf und zur Stilllegung von Arztsit- entwickeln. Ziele sind nicht nur die Verbesserung zen, die in überversorgten Regionen frei werden. und Standardisierung der Versorgungsqualität 15
Ärztliche Versorgung und Honorierung reformieren sowie die Optimierung der Ressourcenallokation len Risiken verbunden. Mehrfachverhandlungen im Gesundheitswesen, sondern auch die Stärkung auf Bundes- und Landesebene über ähnliche oder der Position der Patientinnen und Patienten. sogar gleiche Sachverhalte machen das System Dieser Ansatz muss gesetzgeberisch konsequent intransparent und nur noch schwer kalkulier- weiter verfolgt und ausgebaut werden. bar. Eine Vergütungsreform muss sich daher auf wenige Anpassungsfaktoren konzentrieren, die Für den Versorgungsalltag sind bessere Voraus- Mehrfachfinanzierungen ausschließen, einheitli- setzungen für indikationsbezogene Strukturen che Rahmenbedingungen für die Fortentwicklung zur gesundheitlichen Versorgung chronisch und der Vergütungen schaffen und auf Landesebene psychisch Kranker zu schaffen. In der psychia- in diesem Rahmen Gestaltungsspielräume für trischen Versorgung sowie bei der Versorgung die Ausgestaltung der ambulanten medizinischen multimorbider und chronisch Kranker müssen Versorgung eröffnen. Die gegenwärtige morbi- Versorgungsnetze gemeindenahe und stationäre ditätsorientierte Vergütungsordnung auf Basis Angebote einbeziehen. In beiden Versorgungs- einer Diagnosekodierung weist darüber hinaus strukturen ist die Einbindung der Rehabilitation erhebliche Mängel auf, die nur zum Teil auf eine zu gewährleisten. Das Prinzip „Reha vor Pflege“ fehlende ambulante Kodierrichtlinie zurückzufüh- muss gestärkt werden. ren sind. Die Messung der Morbidität muss daher künftig auf der Grundlage besser geeigneter und Neues Honorierungssystem für Ärzte objektivierbarer Kriterien erfolgen. Ziel der Honorarreform: Mehr Patientenorientierung Stärkung der hausärztlichen Versorgung Wesentliche Zielsetzung eines Vergütungssys- Die neue Honorarordnung soll die hausärztliche tems ist es, Anreize zu einem effektiven und Versorgung durch eine bessere Justierung der Ge- effizienten Ressourceneinsatz für einen bestehen- samtvergütungen stärken. Grundlage hierfür sind den medizinischen Bedarf im entsprechenden die auch bisher vorgesehenen Pauschalen, die im Versorgungssystem Hinblick auf die Versorgungsrelevanz geprüft und Die dem Vergütungssystem zugrunde zu schaffen. Dazu mit Qualitätssicherungsmaßnahmen und qua- liegende Gebührenordnung muss muss die dem Vergü- litätsbezogenen Vergütungsanteilen kombiniert grundsätzlich patientenorientiert gestaltet tungssystem zugrunde werden müssen. werden. liegende Gebühren- ordnung grundsätzlich Sachleistungsprinzip als Grundlage auch in patientenorientiert gestaltet werden. Hierzu der zahnmedizinischen Versorgung gehört auch, das bestehende Missverhältnis in Patientinnen und Patienten vor finanzieller der Honorierung zwischen „sprechender Medi- Überforderung schützen zin“ und „apparativer Diagnostik“ ohne zusätz- Die Mundgesundheit hat sich in Deutschland in liche finanzielle Belastung der Beitragszahler den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert. abzubauen. Schließlich muss die Komplexität des Damit wird nicht zuletzt das hohe Qualitätsniveau bestehenden Honorierungssystems reduziert wer- der zahnmedizinischen präventiven und kon- den. Ein neues Honorarsystem muss im Ergebnis servierend-chirurgischen Versorgung belegt, zu Vergütungsstrukturen schaffen, die eine qualitativ der die gesetzliche Krankenversicherung sowohl hochwertige Versorgung fördern. mit der Finanzierung als auch mit der Leistungs- definition den entscheidenden Beitrag leistet. Die Stabiles, konsistentes Vergütungssystem Ausweitung privat zu finanzierender Leistungen, Das ärztliche Vergütungssystem ist in seiner der- insbesondere infolge des Festzuschuss-Systems zeitigen Ausgestaltung mit erheblichen finanziel- beim Zahnersatz, gefährdet jedoch zunehmend 16
Ärztliche Versorgung und Honorierung reformieren das Leistungsangebot der gesetzlichen Kranken- und Patienten sowie Kostenträger zunehmend versicherung und droht, die Versicherten finanzi- auf Angebote verschiedener Akteure zurückgrei- ell zu überfordern. Zum Schutz der Versicherten fen. Diese Entwicklung ist auch mit Blick auf die sind daher eine gesetzliche Begrenzung der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung Steigerungssätze im Rahmen der Gebührenord- positiv zu bewerten. nung für Zahnärzte (GOZ) oder aber erweiterte Vertragsmöglichkeiten der Krankenkassen durch Medizinisch ungerechtfertigte Öffnungsklauseln notwendig. Eine weitere Aus- Mengenentwicklung vermeiden dehnung des Festzuschuss-Systems ist abzuleh- Der Gesetzgeber hat in der 17. Wahlperiode in nen. Der Leistungskatalog muss aktuell und das einem ersten Schritt den intersektoralen Leis- Sachleistungsprinzip muss auch zukünftig die tungsbereich der ambulanten spezialfachärztli- Grundlage der zahnmedizinischen Versorgung chen Versorgung definiert. Weiterhin bedarf es sein. jedoch einer Vereinheitlichung der gesetzlichen Vorgaben für ambulante Krankenhausleistungen. Qualitätssicherungsverfahren in der Eine medizinisch nicht gerechtfertigte, unkontrol- zahnmedizinischen Versorgung lierte Mengenausweitung und eine Doppelfinan- Für eine weitere Verbesserung der zahnmedizini- zierung müssen vermieden werden, indem die schen Versorgung ist es unerlässlich, in diesem Vergütung auf die tatsächlich versorgte Morbidität Bereich rasch eine Qualitätssicherung einzufüh- beschränkt wird. Hierzu sind geeignete Rahmen- ren. Dabei sind ausdrücklich auch Privatleistun- bedingungen für eine Bereinigung der morbiditäts- gen in die Qualitätssicherung einzubeziehen, bedingten Gesamtvergütung um die ambulante für die die Krankenkassen einen Teil der Kosten spezialfachärztliche Versorgung zu schaffen. übernehmen. Grundlage für mehr Qualität ist Nachgewiesene Leistungsverlagerungen von der mehr Transparenz. Dies kann durch die Einfüh- vertragsärztlichen Versorgung in den ambulanten rung einer einrichtungsübergreifenden Qualitäts- spezialfachärztlichen Bereich müssen aus den sicherung sowie durch die Übermittlung unkodier- morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen heraus- ter Zahnarztdaten im Rahmen der Abrechnung gelöst werden können. erreicht werden. Neuen ambulanten spezialfachärztlichen Leistungsbereich weiterentwickeln Vorfahrt für ambulante Leistungserbringung Immer mehr medizinische Leistungen, die früher stationär erfolgten, können heute ambulant erbracht werden. Das ist in der Regel patienten- gerechter und zugleich wirtschaftlicher. Diese Leistungen Immer mehr medizinische werden sowohl Leistungen, die früher von niederge- stationär erfolgten, lassenen Ärzten können heute ambulant als auch von erbracht werden. Krankenhäusern Das ist in der Regel angeboten. patientengerechter und Damit können zugleich wirtschaftlicher. Patientinnen 17
6 Die Finanzierung der Krankenhäuser Zielgerichtet Krankenhausleistungen Krankenkassen, die Finanzierung der Investi- finanzieren tionen der Krankenhäuser hingegen durch die Die wirtschaftliche Situation der Kliniken ist Bundesländer vor. Die Bundesländer kommen insgesamt gut. Unabhängige Veröffentlichungen ihrer Finanzierungsverpflichtung kaum noch wie der Krankenhaus Rating Report oder die nach. Im Jahr 1991 betrug der Finanzierungsanteil Branchenreporte von Banken belegen diesen der Bundesländer an den Gesamtausgaben der Umstand eindrucksvoll. Unabhängig davon kann Krankenhäuser noch 8,9 Prozent. Heute ist der die Gewinnsituation der Krankenhäuser kein Beitrag der Länder auf eine Restgröße von unter Kriterium für die Notwendigkeit zusätzlicher 3,6 Prozent geschrumpft. Insgesamt wurden im finanzieller Mittel sein, solange die Frage der Be- Jahr 2011 lediglich ca. 2,7 Mrd. Euro Investitions- darfsnotwendigkeit der Krankenhauskapazitäten mittel bereitgestellt. Im gleichen Zeitraum sind und –strukturen nicht zufriedenstellend geklärt die Krankenhausausgaben der Krankenkassen um ist. Mit zusätzlichen Investitions- und Betriebs- 15,4 Mrd. Euro gestiegen. Betriebsmittel, die die mitteln nicht bedarfsnotwendige Strukturen zu gesetzliche Krankenversicherung für die Kranken- finanzieren, muss im Interesse der Beitragszahler versorgung bereitstellt, werden zunehmend für vermieden werden. notwendige Investitionen zweckentfremdet. Die duale Finanzierung ist unter den heute geltenden Orientierungswert – Produktivität der Rahmenbedingungen gescheitert. Am Ende dieses Krankenhäuser einbeziehen Jahrzehnts ist nicht mehr mit einem nennenswer- Die Veränderung der Krankenhauspreise wird ten Beitrag der Länder zur Krankenhausfinanzie- gesetzlich nach oben begrenzt. Diese Art der rung zu rechnen. Die Bundesländer agieren im Preissetzung ist sinnvoll, um den größten Ausga- Bereich der Krankenhausplanung zunehmend benbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ohne finanzielle Rücksichtnahme gegenüber steuern zu können. Die langjährige Bindung der der gesetzlichen Krankenversicherung. Das von Ausgabenobergrenze an die Grundlohnrate wurde den Bundesländern geplante Niveau der Ge- durch den Veränderungswert ab 2013 abgelöst. sundheitsversorgung zementiert alte und schafft Die Grundlohnrate war das geeignetere Instru- neue Überkapazitäten. Die Rolle der gesetzlichen ment zur Umsetzung einer einnahmeorientierten Krankenversicherung darf nicht zu Zwecken Ausgabenpolitik. Basis des neuen „Veränderungs- der Struktur- und Arbeitsmarktförderung in den wertes“ ist der durch das Statistische Bundesamt Bundesländern missbraucht werden. An die Stelle ermittelte sogenannte „Orientierungswert“. Die der klassischen bettenorientierten Kapazitätspla- neutrale Ermittlung des Wertes ist richtig, da sich nung müssen andere Steuerungsmechanismen so die Entwicklung der Kosten der Krankenhäuser treten. Sofern weiterhin Kapazitätssteuerung mit quantifizieren lässt. Problematisch ist allerdings, den Landeskran- dass bei der Ermittlung des Orientierungswertes In Ballungsgebieten kenhausplänen die Entwicklung der Produktivität der Kranken- sollte den Krankenkassen erfolgen soll, häuser nicht einbezogen wird. Eine künftige Ober- die Auswahl effizienter dürfen diese grenze sollte deshalb die Entwicklung der Kosten und qualitativ guter nicht mehr je Fall abbilden. Häuser erlaubt werden. uneingeschränkt einen Kontrahie- Investitionsfinanzierung der Länder rungszwang nach sich ziehen. In Ballungsgebieten gescheitert – neue Steuerungsmechanismen sollte den Krankenkassen die Auswahl effizienter gefordert und qualitativ guter Häuser erlaubt werden. Die duale Finanzierung sieht die Finanzierung der Betriebsmittel der Krankenhäuser durch die 18
Die Finanzierung der Krankenhäuser Mehr Vertragswettbewerb im Forschungsauftrag zu vergeben und gemeinsame Krankenhausbereich Lösungsvorschläge zu der Problematik bis Mitte Für ein definiertes Spektrum von planbaren Kran- 2013 für die Umsetzung im Jahr 2015 zu erarbei- kenhausleistungen sollte für Krankenkassen die ten. Dieser Forschungsauftrag ist zu begrüßen, Möglichkeit geschaffen werden, Direktverträge mit er ändert aber nichts an der Tatsache, dass „der zugelassenen Krankenhäusern abzuschließen. Da- Preis die Menge macht“: Je höher die Preise für mit soll ein Einstieg in das selektive Kontrahieren Krankenhausleistungen sind, desto eher werden auf freiwilliger Basis auch im stationären Bereich Krankenhäuser aus ökonomischen Gründen Mehr- ermöglicht werden. In definierten Versorgungsre- leistungen erbringen. Die gegenwärtige Verhand- gionen, insbesondere in Ballungsräumen, könnten lung des Preises für Krankenhausleistungen auf Krankenhausleistungen ausgeschrieben werden. der Landesebene unter Berücksichtigung der Men- Qualität, Menge und Preis wären dann verpflich- genentwicklung muss daher bestehen bleiben. tender Bestandteil der Ausschreibung. Ein Katalog geeigneter DRGs existiert bereits seit 2007. Direkt- Bessere Rahmenbedingungen bei verträge ermöglichen den Ausschluss schlechter Rechnungsprüfung Qualität vom Markt, erschließen Effizienzreserven Rechnungsprüfungen sind immanenter Bestandteil und ermöglichen eine Kompensation der Mengen- jeglicher Abrechnungsverfahren und dienen der steigerung durch Versorgungssteuerung. Vermeidung fehlerhafter Abrechnungen. Das gilt insbesondere auch für Krankenhausleistungen, Mengensteuerung: Mengenexplosion und die im Jahr 2013 etwa 64 Mrd. Euro der GKV- struktureller Erstarrung entgegentreten Ausgaben verursachen werden. Die Kranken- Die Summe der Krankenhausleistungen wächst kassen sind gesetzlich zur Prüfung verpflichtet. seit Jahren deutlich stärker, als dies die Demo- Dabei müssen sie in bestimmten Fällen eine grafie erwarten lässt. Lediglich ein Drittel der gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen zusätzlichen Leistungen lässt sich so erklären. Um Dienstes der Krankenkassen einholen, was bei den wahrscheinlich primär ökonomisch moti- etwa zwölf Prozent der Fälle geschieht. Entgegen vierten Anteil am Leistungsmengenzuwachs der aller im sonstigen Prüfrecht üblichen Gepflogen- Krankenhäuser mit Risiken für die Patientinnen heiten werden die Krankenkassen jedoch mit und Patienten durch unnötige Operationen zu einer Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro beschränken, sieht das Gesetz derzeit Mehrleis- je Fall belastet, wenn die Rechnungsprüfung eines tungsabschläge Krankenhausfalles nicht zur Minderung des Rech- Die Summe der vor. Diese Maß- nungsbetrages führt. In der Hälfte der geprüften Krankenhausleistungen nahme senkt den Fälle stellten die Krankenkassen im Jahr 2011 wächst seit Jahren Preis für zusätz- notwendige Rechnungskorrekturen fest. In diesen deutlich stärker, als lich erbrachte Fällen zahlen die Krankenhäuser lediglich die zu dies die Demografie Leistungen und viel erlösten Beträge zurück, müssen darüber hi- erwarten lässt. trifft so gezielt naus jedoch keine Sanktionen befürchten. Damit Krankenhäuser schützen die bestehenden Rahmenbedingungen mit besonders starken Mengensteigerungen. Der Falschabrechner und Mehrleistungsabschlag setzt aber auch ungewollte reglementieren Kran- In der Hälfte der geprüften Fälle Anreize, da er nicht ausreichend zwischen der kenkassen. Mangels stellten die Krankenkassen im Jahr 2011 Vermeidung ökonomisch motivierter Mengenstei- drohender Sanktionen notwendige Rechnungskorrekturen fest. gerungen und gewollten Mengensteigerungen, haben die Kranken- z. B. im Wettbewerb, unterscheidet. Die gemein- häuser kaum Anlass, ihr Abrechnungsverhalten same Selbstverwaltung ist beauftragt, einen zu ändern. Dies zeigt die wachsende Zahl der als 19
Die Finanzierung der Krankenhäuser fehlerhaft bewerteten Krankenhausrechnungen. Abrechnungsfehler werden bei mehr als jeder zweiten geprüften Rechnung festgestellt. Der aktuelle wirtschaftliche Gesamtschaden durch fehlerhafte Krankenhausabrechnungen beläuft sich mittlerweile auf ca. 2 Mrd. Euro jährlich. Ein Anreiz für Krankenhäuser zur korrekten Abrech- nung ist längst überfällig und würde die Zahl der fehlerhaften Abrechnungen und damit auch die Prüfungen deutlich reduzieren. Die Politik ist aufgefordert, hierfür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die symmetrische Ausgestaltung der Aufwands- pauschale, damit ein Anreiz zur sachgerechten Abrechnung besteht. Die Krankenhäuser zahlen dann bei fehlerhafter Abrechnung die Aufwands- pauschale an die Krankenkassen. 20
7 Effizienzreserven des Arzneimittelmarktes weiter erschließen und Qualität der Heilmittelversorgung verbessern Vorhandene Steuerungsinstrumente des Leistungsgerechte Finanzierung der Apotheken Arzneimittelmarktes wirken lassen Ein „Apothekensterben“ in Deutschland gibt es Positiver Meilenstein: nicht. Vielmehr dürfen unwirtschaftliche Struktu- Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz ren, etwa durch eine Konzentration auf Ballungs- In der vergangenen Legislaturperiode wurde räume, den Beitragszahlern nicht durch übermä- mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz ßige Erhöhungen der (AMNOG) eine wichtige Weichenstellung getätigt: Apothekenvergütung Der Charakter des Apothekenabschlages Die frühe Nutzenbewertung und die Verhandlung aufgebürdet werden. als „Großkundenrabatt“ zugunsten der von Erstattungsbeträgen für patentgeschützte Die bisher parallelen gesetzlichen Krankenversicherung muss Arzneimittel sind ein Meilenstein für eine quali- Wege zur Anpassung erhalten bleiben. tätsorientierte und wirtschaftliche Arzneimittel- der Apothekenvergü- versorgung. Nach dem ersten Verhandlungsjahr tung – einerseits über die Arzneimittelpreisverord- ist festzustellen, dass das Verfahren funktioniert. nung, andererseits über den Apothekenabschlag Ein „Aufweichen“ der AMNOG-Regelungen ist der Krankenkassen – sind deshalb zukünftig über daher abzulehnen. Perspektivisch ist eine Weiter- die Preisvorschrift festzulegen. Der Charakter des entwicklung zu prüfen, die die Nutzenbewertung Apothekenabschlages als „Großkundenrabatt“ neuer Arzneimittel zeitlich vor den Markteintritt zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung stellt. Von besonderer Bedeutung und Umset- muss erhalten bleiben. Zur nachhaltigen Dämp- zungsrelevanz ist die eindeutige gesetzliche fung der Preisentwicklung muss außerdem die Festlegung des Erstattungsbetrags als Bezugs- prozentuale Apothekenvergütung – wie beim phar- größe für Handelsstufen und Zuzahlungen sowie mazeutischen Großhandel – auf einen Höchst- die Schaffung einer validen Datengrundlage für betrag begrenzt werden. alle Beteiligten. Apothekenmarkt liberalisieren Festbeträge und Rabattverträge weiterhin Die deutsche Apothekenlandschaft ist noch immer unverzichtbar eine weitgehend wettbewerbsfreie Zone. Weil Arzneimittel sind mit rd. 29,4 Mrd. Euro der markt- und wettbewerbswidrig, ist insbesondere zweitgrößte Ausgabenbereich der gesetzlichen das Mehr- und Fremdbesitzverbot bei Apotheken Krankenversiche- abzuschaffen. Neue Vertriebswege geben den Die frühe Nutzen- rung. Nachhaltige Versicherten die Chance auf flexiblere Angebots- bewertung und die Preispolitik bleibt strukturen. Für ein Verbot von Pick-up-Stellen Verhandlung von das Gebot der besteht keine Notwendigkeit, der Versandhandel Erstattungsbeträgen Stunde. Unver- ist zu stärken, soweit für alle Vertriebswege die für patentgeschützte zichtbar zur Sicherheit der Versorgung gewährleistet ist. Arzneimittel sind ein Erschließung von Meilenstein für eine Effizienzreserven Mehr Leistungsqualität und qualitätsorientierte sind die bewähr- Wirtschaftlichkeit in der und wirtschaftliche ten Steuerungs- Heilmittelversorgung Arzneimittelversorgung. instrumente der Anbieter- und Mengenstruktur in der Festbeträge sowie Heilmittelversorgung steuern der Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Der Ausgabenanstieg im Heilmittelbereich lag in Pharmaunternehmen. den vergangenen Jahren mit jeweils über 6 Pro- zent deutlich über den durchschnittlichen Stei- gerungsraten der gesetzlichen Krankenversiche- rung. Die vorhandenen Steuerungsinstrumente, 21
Effizienzreserven des Arzneimittelmarktes weiter erschließen und Qualität der Heilmittelversorgung verbessern wie Heilmittel-Richtlinien, Vereinbarungen zu Heilmittel-Ausgabenvolumina je Kassenärztlicher Vereinigung sowie die getroffenen Vereinbarun- gen zu Richtgrößen, wirken offensichtlich nicht ausreichend. Ein Reformziel muss es daher sein, stringentere gesetzliche Rahmenbedingun- gen zu schaffen, die zu einem sachgerechteren Verordnungsverhalten der Vertragsärzte, zu einer deutlich höheren Ergebnisqualität und zu einer besseren Vernetzung der einzelnen Ver- sorgungsbereiche beitragen. Zudem sind derzeit Heilmittelerbringer zwingend zuzulassen, wenn sie die notwendigen Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Dabei ist es unerheblich, ob für eine weitere Praxis tatsächlich Bedarf besteht. Das Zulassungsverfahren in der jetzigen Form ist daher umzugestalten. Geeignete Instrumente zur Steuerung der Anbieter- und Mengenstruktur in der Heilmittelversorgung sind zu entwickeln. Um Qualitätspotenziale auszuschöpfen und Wirt- schaftlichkeitsreserven zu heben, benötigen die Krankenkassen bessere einzelvertragliche Gestal- tungsmöglichkeiten. 22
8 Bessere Ergebnisse notwendig: Hilfsmittelversorgung und Medizinprodukte Hilfsmittelversorgung – Ergebnisqualität in dynamischen und innovativen Märkten müssen den Mittelpunkt stellen nicht mehr zeitgemäße gesetzliche Bestimmungen Den Versicherten steht ein umfassendes Leis- zugunsten der Patientensicherheit weiterentwickelt tungsspektrum an medizinisch-technischen bzw. werden. Das Medizinprodukterecht weist gerade in therapeutischen Produkten zur Verfügung, von Bezug auf das Zulassungsverfahren, die klinischen denen mehr als 20.000 im Hilfsmittelverzeichnis Prüfungen und die Überwachung bereits auf dem gelistet sind. Durch die Veränderung der Alters- Markt befindlicher Medizinprodukte Defizite auf. und Morbiditätsstruktur der Bevölkerung, der steigenden Versorgungsansprüche aufgrund des Unabhängige behördliche Zulassung statt medizinisch-technischen Fortschritts sowie durch Selbsterklärung der Hersteller die Ausdehnung des Leistungsrahmens durch die Medizinprodukte werden von den Herstellern Rechtsprechung wird der Bedarf an Hilfsmitteln eigenverantwortlich auf den Markt gebracht und kontinuierlich wachsen. Der Gesetzgeber hat im mit einer Selbsterklärung versehen. Bei Medi- Zuge mehrerer Reformen das Ziel verfolgt, den zinprodukten höherer Risikoklassen überprüfen Vertragswettbewerb im Hilfsmittelbereich zu stär- sogenannte „Benannte Stellen“ die Verkehrsfähig- ken. Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass sich keit. Problematisch sind hier die Intransparenz systemische Fehlanreize, zum Teil divergierende des Prüfvorgangs, der erhebliche Ermessens- Interessenlagen, eine zu geringe Patientensou- spielraum sowie die wirtschaftliche Abhängigkeit veränität, aber auch mangelnde Kontrollmecha- dieser Zertifizierungsstellen. Außerdem haben nismen negativ auf das Qualitätsniveau und die „Benannte Stellen“ keine Möglichkeit, Überwa- Ausgabenentwicklung auswirken. Darüber hinaus chungsstudien nach Markteinführung anzuordnen. ist ein Trend zu immer aufwendigerer Versorgung Für Medizinprodukte mit hohem Anwendungs- festzustellen, ohne dass eine entsprechende Nut- risiko ist daher ein klar geregeltes zentrales und zenmehrung für die Versicherten erkennbar wäre. einheitliches behördliches Zulassungsverfahren Ein wichtiges Reformziel muss es daher sein, vorzusehen, wie es beispielsweise bei Arzneimit- die Hilfsmittelversorgung unter wirtschaftlichen teln gesetzlich vorgeschrieben ist. Aspekten qualitätsorientiert weiterzuentwickeln. Dazu bedarf es gesetzlicher Regeln, die den Ver- Klinische Prüfung von Hochrisiko- tragswettbewerb weiter vorantreiben. Die Auswei- Medizinprodukten qualitativ verbessern und tung der Festzuschüsse auf weitere Hilfsmittel ist transparent gestalten nicht zielführend, die Qualitätsprobleme würden Grundsätzlich müssen die Hersteller die Eignung hiermit nicht gelöst: Die Problematik der finanziel- ihres Medizinproduktes anhand klinischer Daten len Eigenbeteiligungen würde weiter verschärft. nachweisen, wobei sie sich auf Fremdstudien berufen können. Wenn eigene klinische Prüfun- Höchste Priorität für Patientensicherheit bei gen durchgeführt werden, sind diese häufig nicht Medizinprodukten geeignet, um das Nutzen- oder Schadenspotenzial Medizinprodukterecht anpassen gegenüber der Standardbehandlung zu evaluieren. Angesichts der rasant fortschreitenden technologi- Sofern jedoch Daten aus klinischen Studien zu schen Entwicklung von Medizinprodukten in hoch- ähnlichen Produkten bereits vorliegen, besteht die Möglichkeit, das eigene Produkt aufgrund seiner Das Medizinprodukterecht weist gerade „Gleichartigkeit“ ohne weitere Studie auf den in Bezug auf das Zulassungsverfahren, Markt zu bringen. Gerade vor dem Hintergrund die klinischen Prüfungen und die des technologischen Fortschritts ist die derzeitige Überwachung bereits auf dem Markt Prüfpraxis unzureichend und inakzeptabel. Im befindlicher Medizinprodukte Defizite auf. Sinne der Patientensicherheit sind daher obliga- 23
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