DAS HAUS DER ERDE POSITIONEN FÜR EINE KLIMAGERECHTE ARCHITEKTUR IN STADT UND LAND - Bund Deutscher Architekten
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DAS HAUS DER ERDE POSITIONEN FÜR EINE KLIMAGERECHTE ARCHITEKTUR IN STADT UND LAND
DAS HAUS DER ERDE Dabei ist unsere Vorstellungskraft, unse- Neben den ökologischen werden auch re Phantasie zur Beantwortung der die sozialen Folgen des Klimawandels Frage, wie wir zukünftig leben wollen, immer deutlicher. Klimagerechtigkeit be- Positionen für eine von großer Bedeutung. Diese Zukunft trifft die gesamte Menschheit. Ein fried- gestalten wir jetzt. Eine Konzeption von liches Zusammenleben und das Vertrau- klimagerechte Architektur Städten, Infrastrukturen, Wohnhäusern, en in gesellschaftliche und politische in Stadt und Land Fabrikations- und Bürogebäuden ent- Systeme werden auf internationaler, ja scheidet, ob Menschen ihr Leben besser sogar auf europäischer Ebene immer in Einklang mit der Umwelt bringen kön- stärker von den weitreichenden Klima- nen. Architekten und Stadtplaner sind folgen bedroht. Prolog Impulsgeber, und ihre gebauten Werke können Katalysatoren für ein Umdenken Der Qualität der Architektur und des Der Traum vom ewigen Wachstum ist sein. Bauens kommt eine grundsätzliche Be- geplatzt. Reduktion ist keine modische deutung zu. Erst ein Gebäude, das sich Attitüde, sondern Überlebensnotwen Vor zehn Jahren haben Architekten, aufgrund seiner architektonischen Quali- digkeit. Ökologisches Umsteuern Stadtplaner und Ingenieure mit dem tät über Jahrzehnte in der Nutzung be- braucht Ideen und Kreativität. Klimamanifest „Vernunft für die Welt“ währt und damit die derzeit wirtschaft- eine Selbstverpflichtung formuliert, um lich kalkulierte Lebensdauer von 30 bis Was wollen wir hinterlassen? Wir haben gemeinsam mit Bauindustrie und 50 Jahren bei weitem übersteigt, wird nur diese eine Welt. Für ihren Erhalt tun Bauherren einen ökologischen Wandel dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht auch wir als Architektinnen und Archi- im Planen und Bauen zu erreichen und ist im Sinne der Gesellschaft tekten, als Stadtplanerinnen und Stadt- (www.klima-manifest.de). werthaltig. planer zu wenig. In den vergangenen zehn Jahren wurden Für die Umsetzung unserer Selbstver- zwar Veränderungen erreicht, doch die pflichtung brauchen wir ein gemeinsam Erfordernisse des Umweltschutzes wur- von öffentlichen und privaten Bauherren, den allenfalls an der Oberfläche berührt. von Bauindustrie und Handwerk sowie Dies ist auch Ergebnis einer stillschwei- von Immobilien- und Wohnungswirt- genden Rollenverteilung, wonach von schaft getragenes Bekenntnis zu einem der Politik Rahmenbedingungen erwar- Umsteuern. Die Wahrung unserer Le- tet werden, eigenverantwortliches Han- bensgrundlagen darf nicht dem freien deln darüber hinaus aber ausbleibt. Eine Spiel der Märkte anheimgestellt werden. Kombination aus milder Zerknirschung, Besorgnis um den eigenen Status und mangelndem Mut für eine radikale Än- derung unserer Lebenswirklichkeit, die immer noch vom Wachstumsgedanken getrieben wird, stößt – seit langem – an Grenzen. Wir müssen mehr tun, um der Verant- wortung unserer Profession und der Relevanz von Architektur angesichts der Klimakrise gerecht zu werden. Natürlich werden wir alleine die Welt nicht retten. Unsere Mitverantwortung für die globa- len Auswirkungen des stetig steigenden Ressourcenverbrauchs fordert uns jetzt als Vorreiter einer klimagerechten Archi- tektur. So können wir ein Umdenken im größeren Kontext initiieren.
Postulate I Politisch denken und sich einmischen III Achtung des Bestands Es ist genug. Täglich verstoßen wir, ver- Bauen muss vermehrt ohne Neubau aus- stoßen Gesellschaft und Politik gegen kommen. Priorität kommt dem Erhalt den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. und dem materiellen wie konstruktiven Mit der westlichen Lebenseinstellung, Weiterbauen des Bestehenden zu und alles jederzeit machen und haben zu nicht dessen leichtfertigem Abriss. Die können, ist es vorbei. Unser Leben muss „graue Energie“, die vom Material über sich an einem neuen, ökologisch vertret- den Transport bis zur Konstruktion in Be- baren Maß ausrichten. standsgebäuden steckt, wird ein wichti- ger Maßstab zur energetischen Bewer- Wir dürfen nicht länger warten, bis sich tung sowohl im Planungsprozess als das von Lobbyisten beeinflusste Zögern auch in den gesetzlichen Regularien. Wir und Abwarten ändert. Wir müssen poli- brauchen eine neue Kultur des Pflegens tisch denken und handeln, müssen uns und Reparierens. einmischen, Eigeninitiative entwickeln IV und zivilen Ungehorsam proben. Wir müssen zeigen, dass der tägliche Um- weltwahnsinn, wie beispielsweise der ungebremste Flächenfraß, der Vorrang Einfach intelligent von Neubauten oder der Fetisch Mobili- tät, nicht alternativlos ist. Ansonsten Die technische Aufrüstung zu „intelligen- brauchen wir über eine Zukunft nicht ten Gebäuden“ und das Übermaß oft- mehr nachzudenken. Wir sind dran. mals ökologisch fragwürdiger Dämmma- terialien führen nicht zu langlebigen und II energetisch nachhaltigen Bauten. Eine dem Klimawandel gerecht werdende Ar- chitektur nutzt und reguliert mit typolo- Erzählungen für ein neues Zukunftsbild gischen, konstruktiven und thermischen Strukturen die jeweiligen klimatischen Wir sind aufgefordert, ein ökologisch Bedingungen für ein Wohlbefinden der verantwortliches Leben zu imaginieren, Nutzer. Referenz können dabei tradierte zu ermöglichen und mitzugestalten. Mit regionale Bauweisen sein. Das Einfache Phantasie, mit kreativem und konzeptio- ist letztlich übertechnisierten Konzepten nellem Denken können Architekten und überlegen. Stadtplaner ein motivierendes und be- geisterndes Zukunftsbild entwerfen. Damit ökologische Verhaltensweisen ak- zeptiert und praktiziert werden, müssen sie vorstellbar und erlebbar werden – sinnlich und wirklichkeitsnah. Architek- tur kann in Städten und Regionen ein starker Motivator für ein ökologisches Umdenken sein, das nicht als Verzicht, sondern als Gewinn sowohl für den Ein- zelnen als auch für die Gesellschaft er- fahrbar wird.
V Bauen als materielle Ressource VII Neue Mobilitätsformen IX Kultur des Experimentierens Alle zum Bauen benötigten Materialien Mobilität ist nicht allein eine infrastruk- Ideen und Vorschläge für klimagerechte müssen vollständig wiederverwendbar turelle Aufgabe. Hier entscheidet sich, Lebens- und Verhaltensweisen, mit de- oder kompostierbar sein. Nur so kann wie umweltverträglich wir uns bewegen nen wir nachfolgenden Generationen die gigantische Menge an Verpackun- und über welche Lebensqualität Städte eine Zukunft auf der Erde bewahren kön- gen, Umverpackungen und Materialien verfügen. Mobilität muss als konzeptio- nen, waren noch nie so vielfältig wie im Bauprozess und für das Gebäude nelle und gestalterische Aufgabe von Ar- heute. Durch Experimentieren und Ler- selbst reduziert werden. Es gehört zum chitekten und Stadtplanern verstanden nen, durch Navigieren und Korrigieren architektonischen Entwurf, Rezyklate im werden, um grundsätzlich ein ökologisch dieser Ideen entstehen Innovationen, die Neu- und Umbau mit einem gestalteri- und klimatisch verträgliches Mobilitäts- Angebote für einen ökologischen Verhal- schen Anspruch einzusetzen und zu er- verhalten zu erreichen. tenswandel auf unterschiedlichen Ebe- reichen, dass ganze Bauteile später nen eröffnen. Dafür können dezentrale selbst wieder zur Ressource werden. Die „Stadt der kurzen Wege“ weist als und miteinander vernetzte Reallabore als Verbunden ist damit ein ökologischer gültiges Leitmotiv einer gesamtheitlichen Katalysatoren wirken, in denen Architek- Anspruch an die Materialien und deren Entwicklung Fußgängern, Radfahrern ten und Stadtplaner gemeinsam mit ver- Verwendung. und dem öffentlichen Nahverkehr eine schiedenen Akteuren experimentell an Priorität gegenüber dem motorisierten intelligenten und kollektiven Lösungen VI Individualverkehr zu. In Verbindung mit arbeiten. attraktiven öffentlichen Räumen entste- X hen so wieder lebendige Städte. Ebenso Vollständige Entkarbonisierung ist der Zusammenhang zwischen Stadt und Region zu denken, der statt einer Zu- Eine Entkarbonisierung erfordert einen nahme des Verkehrs eine neue Infra- Politische Versuchsräume Paradigmenwechsel im Material- und struktur schafft, die die Voraussetzung Energieeinsatz. Der Verzicht auf Materi- für neue Mobilitätsformen bildet. Neue Ideen brauchen angemessene po- alien, die in ihrer Herstellung viel CO2 litische Räume für ihre Erprobung. Expe- VIII emittieren, tritt als wichtiges ökologi- rimentierklauseln im rechtlichen Rah- sches Kriterium an die Stelle der Ener- men schaffen den nötigen Freiraum für gieeffizienz. Statt energieintensiv er- Innovationen und für die Anpassung von zeugter Materialien wie Beton und Stahl Polyzentralität stärken politischen Regulierungen an neue Ent- liegt der Schwerpunkt auf natürlichen wicklungen. Insofern sind solche Experi- Materialien wie Stein, Holz und Lehm. Die gewachsene Polyzentralität Deutsch- mentierräume ein wichtiger Pfeiler für Ebenso verlangt eine Entkarbonisierung lands muss gestärkt werden, um das kon- eine zeitgemäße, dem Nachhaltigkeits- den Einsatz emissionsfreier Baumaschi- junkturinduzierte Wachstum der Städte gedanken verpflichtete Politik und nen im Bauprozess und eine CO2-neutra- einerseits und den rasant zunehmenden Verwaltung. le Energieversorgung der Gebäude. Pendlerverkehr andererseits zu begren- zen. Klein- und Mittelstädte sind dafür als Wohn- und Arbeitsorte mit hoher Le- bensqualität in ihrem kulturellen und so- zialen Angebot und ihrer wirtschaftlichen Basis zu festigen. Städtebau und Archi- tektur sind Bausteine für ein neues öko- logisch orientiertes Verständnis von Ge- meinschaft und Region und stützen so die Vielfalt von klimatisch verträglichen Lebensmöglichkeiten in Deutschland.
Perspektiven Architektinnen und Architekten, Stadt- Auf dem 15. BDA-Tag am 25. Mai 2019 in planerinnen und Stadtplaner arbeiten Halle / Saale beschlossen. kreativ und gestalterisch. Gute Gestal- tung wird dabei zu einem sinnlich wahr- nehmbaren Ausdruck für das neue Ver- antwortungsgefühl, das die Bauten sichtbar vertreten. Den Zukunftsglauben an eine nachhaltige Entwicklung können wir stärken, indem wir zeigen, dass durch kreatives Unterlassen und Redu- zieren neue Lebenswelten entstehen. Ein konzeptionelles Weiterdenken des be- reits Vorhandenen in unseren Städten und Regionen wird dann zu einem wich- tigen Teil des gesellschaftlichen Narra- tivs, das nicht moralisiert, sondern den Gewinn der ökologischen Wende betont. Dafür müssen wir die Chancen neuer Tä- tigkeitsfelder aufnehmen und uns kom- plexeren Prozessen stellen.
Herausgeber Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA Bundesgeschäftsstelle Wilhelmine-Gemberg-Weg 6 10179 Berlin Tel 030 278799-0 Fax 030 278799-15 kontakt@bda-bund.de www.bda-architekten.de Berlin 2019 3. Auflage, 2020
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