Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS

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Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
Schmerz
NACHRICHTEN
                                                                           Nr.2a|2020 • ISSN 2076-7625

ZEITSCHRIFT DER ÖSTERREICHISCHEN SCHMERZGESELLSCHAFT

Leonardo Ferraz-Leite, μ-Rezeptor 2018. Acryl auf Hartplatte, 84 x 72 cm

                        Das Management der
                        Opioid-induzierten Obstipation
Opioide sind ein fester und wertvoller Bestandteil des Therapiemanagements akuter und chronischer Schmer-
zen sowohl maligner als auch nicht-maligner Genese. Mit ihrer Einnahme sind jedoch häufig gastrointestinale
Nebenwirkungen verbunden, wobei insbesondere die Opioid-induzierte Obstipation (opioid-induced constipa-
tion, OIC) häufig unterschätzte Auswirkungen auf das Befinden von Schmerzpatienten hat. Ihr angemessenes
Management ist wesentlich für Compliance und Patientenzufriedenheit im Rahmen der Schmerztherapie.
Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
P
       atienten mit chronischen Schmer-                                                                                   Mindestens 15 Prozent der Bevölkerung
       zen werden häufig aufgrund der                                     AUTOREN:                                        leiden bereits vor Beginn einer Schmerz-
       begrenzten analgetischen Potenz                                                      Prim. Univ.-Prof. Dr.         therapie unter chronischer Verstopfung,9

                                               B&K / Anna Rauchenverger
und der Organtoxizität von Analgetika der                                                   RUDOLF LIKAR, MSc             bei pflegebedürftigen und älteren Patien-
WHO-Stufe 1 mit Opioiden der WHO-Stufe                                                      Vorstand der Abteilung für    ten liegt der Anteil sogar bei 50 bis 75
                                                                                            Anästhesiologie, allgemeine
2 (schwache Opioide) oder 3 (starke Opioi-                                                                                Prozent.4, 7, 9 Obstipation kann aber auch
                                                                                            lntensivmedizin, Notfall-
de) behandelt. Damit verbunden sind nicht                                                   medizin, interdisziplinäre    selbst ein Symptom einer schmerzhaften
selten Opioid-induzierte gastrointestinale                                                  Schmerztherapie und           Krankheit sein (Tumor, Apoplex, Morbus
Komplikationen („opioid-induced bowel                                                       Palliativmedizin, Klinikum    Parkinson, Multiple Sklerose, diabetische
dysfunction“ OIBD), allen voran die Opio-                                                   Klagenfurt am Wörthersee      Neuropathie). Des Weiteren kann sie auch
id-induzierte Obstipation (opioid-induced                                                                                 Folge und unerwünschte Wirkung von
constipation; OIC). Diese kann prinzipiell                                                  Dr. MARKUS                    medikamentöser Therapie mit Eisenprä-
unter allen nieder­- und hochpotenten                                                       KÖSTENBERGER                  paraten, Diuretika, Kalziumkanalblockern,
Opioidanalgetika der WHO-Stufen 2 und 3                                                     Abteilung für Anästhesio-     Antidepressiva, Parkinson-Mitteln, Anti-
auftreten, unabhängig vom Applikations-                                                     logie, allgemeine lntensiv-   histaminika und/oder einer Schmerzthe-
                                                                                            medizin, Notfallmedizin,
weg – also auch bei transdermaler Gabe.1                                                                                  rapie mit Analgetika und Co-Analgetika
                                                                                            interdisziplinäre Schmerz-
                                                                                            therapie und Palliativ-       sein.10, 11 Dazu kommt, dass eine gewisse
OIC ist mit 40 bis 90 Prozent die häufigs-                                                  medizin, Klinikum             Prädisposition bei Frauen, Patienten mit
te unerwünschte Opioidwirkung2, 3, wobei                                                    Klagenfurt am Wörthersee      eingeschränkter Mobilität, schlechtem
diese bei palliativmedizinischen Patienten                                                                                Allgemeinstatus oder Dehydrierung eine
häufiger auftritt als bei ambulanten Tu-                                                    Dr. STEFAN                    Obstipation begünstigt.4
                                               Kabeg

morpatienten oder Patienten mit chro-                                                       NEUWERSCH-
nischen Schmerzen anderer Genese. Mit                                                       SOMMEREGGER, MSc              Die OIC als sekundäre Form der Obstipati-
mehr als 11 Prozent ist die OIC auch ein                                                    Abteilung für Anästhesio-     on weist eine eigenständige Pathophysio-
                                                                                            logie, allgemeine lntensiv-
nicht zu vernachlässigender Grund für die                                                                                 logie auf. Dieser liegt eine Aktivierung von
                                                                                            medizin, Notfallmedizin,
Hospitalisierung von Palliativpatienten.4                                                   interdisziplinäre Schmerz-    peripheren µ-Opioidrezeptoren im Gastro-
Bei ambulanten Tumorpatienten ist sie                                                       therapie und Palliativ-       intestinaltrakt zugrunde, wobei sich die Re-
ähnlich hoch wie bei Patienten mit chroni-                                                  medizin, Klinikum             zeptoren vor allem im Plexus myentericus
schen Schmerzen nicht-maligner Genese.                                                      Klagenfurt am Wörthersee      und Plexus submucosus sowie im Epithe-
                                                                                                                          lium befinden. Diese Aktivierung der peri-
HOHE KRANKHEITSLAST                                                                                                       pheren µ-Opioid-Rezeptoren verursacht
UND GESUNDHEITSKOSTEN                                                                                                     unterschiedliche Mechanismen am Gastro-
Eine chronische OIC ist für die Mehrzahl                                  Sättigungsgefühl, typische Symptome für         intestinaltrakt (Tab. 2). So kommt es zur
der Patienten mit signifikanten Einschrän-                                den unteren Trakt (Kolon) das fehlende          Reduktion der gastrointestinalen Motilität
kungen des körperlichen und seelischen                                    Abgehen von Winden sowie das fehlen-            und Sekretion, zu einer vermehrten Flüs-
Wohlbefindens, der Funktionalität und                                     de Absetzen von Stuhl für mehr als drei         sigkeitsrückresorption aus dem Darm und
Lebensqualität verbunden5, 6 (Tab. 1).1 Auf-                              Tage. Die OIC ist nach aktuell geltendem        einem erhöhten Tonus des Analsphinkters,
grund des daraus resultierenden hohen                                     Verständnis als eine Änderung des Stuhl-        der die Defäkation zusätzlich erschwert.12, 13
Leidensdrucks brechen nicht wenige Pa-                                    gangs unter einer Opioidtherapie defi-          Ebenso wird der peristaltische Reflex ge-
tienten ihre an sich wirksame Opioidthe-                                  niert, die mindestens einen der folgenden       hemmt, verbunden mit einer verminderten
rapie aufgrund der OIC-Belastung ab.7, 3                                  Aspekte betrifft1:                              Aktivität der longitudinalen Muskulatur
                                                                          u Verminderung der Stuhlfrequenz                und gesteigerter Aktivität der zirkulären
Neben der gravierend verminderten Le-                                     u Härtere Stuhlkonsistenz                       Muskulatur. Dadurch verlängert sich die
bensqualität verursacht eine OIC jedoch                                   u Auftreten oder Verschlechterung der           oro-caekale Transitzeit, gepaart mit spas-
auch höhere Kosten für das Gesundheits-                                      Notwendigkeit des starken Pressens,          tischen Kontraktionen und Schmerzen.
system. 8 So ist bei Krebspatienten mit                                      um den Stuhl zu entleeren                    Wasser- und Elektrolyt- entzug aus dem
einer OIC eine doppelt so häufige Hos-                                    u Gefühl der inkompletten Stuhlentlee-          Darm infolge der verlängerten Verweil-
pitalisierung im Vergleich zu jenen ohne                                     rung                                         dauer führt dann auch zur Eindickung des
Obstipation notwendig.                                                                                                    Stuhls, einem verminderten Stuhlvolumen
                                                                          URSACHEN UND PATHOPHYSIOLOGIE                   und einer reduzierten und weniger koordi-
DEFINITION UND SYMPTOME DER OIC                                           DER OBSTIPATION BEIM SCHMERZ-                   nierten gastrointestinalen Motilität.
Gastrointestinale Motilitätsstörungen kön-                                PATIENTEN
nen den gesamten Gastrointestinaltrakt                                    Ursachen primärer Obstipation sind den          Neben den Ausscheidungsfunktionen sind
oder auch nur einzelne Bereiche betreffen.                                Darm betreffende Störungen, sekundäre           auch weitere gastrointestinale Funktionen
Anzeichen für Störungen im oberen Trakt                                   Obstipationen sind hingegen Begleiter-          betroffen, beispielsweise durch eine Ver-
(Magen und Dünndarm) sind beispiels-                                      scheinungen bei verschiedenen generali-         zögerung der Entleerung und Verringe-
weise Übelkeit, Erbrechen, frühzeitiges                                   sierten Erkrankungen.                           rung der Motilität des Magens. Folgen da-

2   SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a| Mai 2020
Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
von sind Beschwerden wie Übelkeit und
Reflux.                                            Tab. 1: GASTROINTESTINALE                       Tab. 2: FOLGEN DER AKTIVIERUNG
                                                   SYMPTOME UNTER OPIOIDEN1                        VON PERIPHEREN µ-OPIOID-
Basierend auf diesem Pathomechanismus                                                              REZEPTOREN IM GI-TRAKT1
kann eine OIC ab Beginn der Opioidthera-           u   Inappetenz
pie über den gesamten Verlauf auftreten,           u   Anorexie                                    u Ösophagus: Sphinkter-Dysfunktion
da sich keine Toleranz entwickelt.4, 14 Ihr        u   Gastroösophagealer Reflux                   u Magen: verminderte Motilität,
Auftreten ist unabhängig vom Wirkstoff,            u   Übelkeit/Erbrechen                            verzögerte Entleerung
der Dosierung und Darreichungsform des             u   Frühzeitige Sättigung, verbunden            u Dünndarm: gestörte Motilität,
Opioids.14, 15 Prinzipiell ist die OIC aber re-        mit einer Verlängerung der                    verminderte intestinale Sekretion,
versibel, wenn die periphere µ-Rezeptor­               Passagezeit/Rückstau
                                                                                                     verminderte Propulsion
Stimulation beendet wird.                          u   Völlegefühl
                                                                                                   u Dickdarm: erhöhte Flüssigkeits-
                                                   u   Schmerzen
Wegen ihrer Bedeutung wurde die OIC                                                                  rückresorption, gestörte Motilität,
                                                   u   Spasmen/Koliken
kürzlich in die Rom-IV-Klassifikation funk-                                                          verminderte Propulsion
                                                   u   Diarrhö
tioneller gastrointestinaler Störungen auf-                                                        u Anus: Sphinkter-Dysfunktion
                                                   u   Stuhlverhalten
genommen.16
                                                   u   Blähungen (Dünn- und Dickdarm)
                                                   u   Hämorrhoidenblutungen
DIAGNOSE
                                                   u   Veränderte Stuhlkonsistenz
Die Diagnostik bedarf einer genauen kli-
nischen Untersuchung sowie einer aus-
führlichen Anamnese. Dabei ist in jedem
Einzelfall zu prüfen, ob die Symptome             Diese Methode ist für Arzt und Patient          scher und nicht-onkologischer Schmerzen
dem Einsatz von Opioiden zuzuordnen               schnell erlernbar und gut anwendbar und         als Basismaßnahmen ballaststoffreiche
oder zumindest teilweise auf die Grund-           kann zu Hause durchgeführt werden. Es           Kost, Quellstoffe (Weizenkleie, Leinsa-
erkrankung zurückzuführen sind. Daher             werden drei Aspekte erfasst:                    men), reichlich Flüssigkeitszufuhr und kör-
sollte eine detaillierte Erhebung der De-                                                         perliche Aktivität empfohlen.7, 18, 19, 20
fäkationsprobleme, der Häufigkeit, des            u Leichtigkeit der Defäkation/Stuhlgang-
Aussehens und der Konsistenz des Stuhls,            entleerung (NAS: 0 = einfach bis 100 =        Eine Laxanzienanwendung ist bei jeglicher
der Ernährung und der täglichen Medika-             mit größter Schwierigkeit)                    Opioidtherapie von Beginn an und für die
menteneinnahme durchgeführt werden.               u Gefühl der inkompletten Entleerung            gesamte Therapiedauer indiziert.19, 20 Eine
Bei anhaltender Obstipation sollte der              (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100 =           kausale Therapie ermöglicht der Einsatz
Patient einer weiterführenden Diagnostik            sehr stark)                                   von Opioidrezeptor-Antagonisten. Eine
zugeführt werden (Koloskopie, Defäko-             u Persönliche Einschätzung der Obstipa-         Übersicht der verfügbaren Therapieprinzi-
graphie, Manometrie, Transit-Test).                 tion (NAS: 0 = überhaupt nicht bis 100        pien – in Analogie zur Therapie der chro-
                                                    = sehr stark)                                 nischen Obstipation – bei der OIC bietet
Viele Patienten sprechen die vielschichti-                                                        Tabelle 3, die laut Experten-Konsensus
gen gastrointestinalen Symptome und Be-           2. Praktische Obstipationsskala: Wenn           nach einem Stufenschema eingesetzt wer-
schwerden im Kontext mit einer OIC nicht          das objektive Kriterium „kein Stuhlgang         den sollen (Tab. 4).1 Therapieziel aus Pa-
von sich aus an. Gründe dafür sind häufig         >72 Stunden“ erfüllt ist und mindestens         tientensicht ist dabei eine Steigerung der
Scham oder unzureichende Information              ein subjektives Kriterium (z. B. Pressen,       Lebensqualität durch Verbesserung der
bzw. Patientenaufklärung. Daher hat sich          Defäkationsprobleme, Gefühl der unvoll-         Obstipationsbeschwerden, aus ärztlicher
die Strategie bewährt, dass der Arzt im           ständigen Entleerung mit NRS >5) bejaht         Sicht auch die Vermeidung der Reduktion
Gespräch Patienten bereits im Rahmen              wird und/oder eine harte Stuhlkonsistenz        oder des Absetzens der Opioid-Medika-
der Verordnung des Opioids über die               vorliegt, kann von einer OIC ausgegangen        tion durch die Patienten.
Möglichkeit einer OIC als häufiger Neben-         werden.17
wirkung der Schmerztherapie und über                                                              Stufe 0: Ausreichende Mobilisierung und
geeignete Gegenstrategien informiert.1            3. Als dritte Alternative kann, insbesonde-     Flüssigkeitszufuhr, sofern sich dies trotz
                                                  re bei geriatrischen oder Pflegeheim-Pa-        der zugrunde liegenden Erkrankung um-
BEURTEILUNG DER DARMFUNKTION                      tienten, die „Bristol Stool Form Scale“ an-     setzen lässt,21 prophylaktische Gabe eines
In der Praxis stehen drei einfache Scree-         gewendet werden, welche die Stuhlform           in den Leitlinien als Erstlinientherapie ein-
ning-Methoden zur Verfügung:                      bildlich darstellt.                             gestuften Laxans möglichst ab Beginn der
                                                                                                  Opioidtherapie.
1. Als einfaches Diagnose- und Kontrollins-       PROPHYLAXE UND DAUERTHERAPIE
trument hat sich der BFI (Bowel Function          Obwohl nicht evidenzbasiert und meist           Stufe 1 der medikamentösen OIC-Thera-
Index) erwiesen, der als einziger speziell        unzureichend wirksam, werden in vielen          pie: Laxanzien als Monotherapie oder als
für die OIC-Diagnose validiert wurde.2, 9         Leitlinien zur Opioidtherapie onkologi-         Kombination unterschiedlicher Laxan-

                                                                                                SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a | Mai 2020        3
Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
gleichbare Wirksamkeit bei der Behand-
    Tab. 3: THERAPIEPRINZIPIEN BEI OIC1                                                              lung der OIC unabhängig vom Opioid-Typ,
                                                                                                     der Dosierung oder Dauer der Opioidgabe
    u Lebensstilmodifikation: mehr Bewegung, vermehrte Flüssigkeitszufuhr                            vor Behandlungsbeginn.27 Trotz nur ein-
    u Klassische Laxanzien (beeinflussen nicht die Ursachen einer OIC)                               mal täglicher Gabe führt Naloxegol selbst
      u Ballaststoffe: vergrößern die Stuhlmenge durch Absorption von Wasser und                     bei OIC-Patienten mit nicht ausreichen-
           fördern indirekt die Peristaltik, z. B. Flohsamen, Weizenkleie.                           dem Ansprechen auf Laxanzien im Median
      u Stimulierende Laxanzien: hemmen die Absorption von Wasser und fördern                        innerhalb von 7,6 Stunden nach der oralen
           die Sekretion von Wasser und Elektrolyten, z. B. Bisacodyl, Natriumpicosulfat.            Gabe zu einer spontanen Stuhlentleerung.
      u Stuhlerweichende Substanzen: binden Wasser, damit wird die Stuhlmenge                        Auch die Lebensqualität der Patienten
                                                                                                     bessert sich nachhaltig. 28 In Österreich
           vergrößert und erweicht.
                                                                                                     ist Naloxegol nur bedingt erstattungsfä-
      u Osmotische Laxanzien: ziehen Wasser mittels osmotischen Gradienten und
                                                                                                     hig (gelbe Box) mit Regeltext-Indikation:
           fördern indirekt die Peristaltik, z. B. Macrogole.
                                                                                                     Behandlung einer OIC, wenn mindestens
    u Prokinetika (beeinflussen nicht die Ursachen einer OIC): verstärken die Darmmo-
                                                                                                     zwei erstattungsfähige orale Laxanzien
      torik, z. B. Prucaloprid.                                                                      aus dem grünen Bereich versagt haben.
    u PAMORA: wirken als Antagonisten an peripheren μ-Opioidrezeptoren und stellen
      die Propulsion des Stuhls her, z. B. Naloxegol, Methylnaltrexon, kausale Therapie              Methylnaltrexon s.c.: Ein subkutan zu in-
      der OIC.                                                                                       jizierender kompetitiver Opioidrezep-
    u Orale systemische Opioid-Antagonisten: Die Substanz kann zur Behandlung einer                  tor-Antagonist, der die Blut-Hirn-Schranke
      OIC verwendet werden, da sie wegen des First-Pass-Effekts nahezu ausschließlich                nicht durchdringt und daher die analge-
      im Darm wirkt, z. B. retardiertes orales Naloxon.                                              tische Opioidwirkung nicht beeinträch-
                                                                                                     tigt. Seine Wirksamkeit bei OIC ist durch
                                                                                                     placebokontrollierte Studien belegt, der
                                                                                                     rasche Wirkeintritt erfolgt innerhalb von
zientypen. Nach ihrem Wirkmechanismus           der hemmenden Opioidwirkung den peris-               4 Stunden. In Österreich ist Methylnal-
werden osmotische Laxanzien (Macrogol           taltischen Reflex oft nicht ausreichend an-          trexon nur eingeschränkt erstattungsfähig
3350, Lactulose, Sorbitol), hydragoge Sti-      stoßen, zudem können Nebenwirkungen                  (gelbe Box) für die Palliativbehandlung
mulanzien (Sennesfrüchte, Bisacodyl, Na-        wie Elektrolytentgleisungen, Meteorismus,            mit Regeltext-Indikation: Behandlung
triumpicosulfat) und der enterokinetische       Hypomagnesiämie, Hypokalzämie, Hyper-                einer OIC bei palliativen Patienten, wenn
spezifische Serotonin-Rezeptor-Agonist          phosphatämie und Dehydration auftre-                 mindestens zwei erstattungsfähige orale
Prucaloprid unterschieden.7, 9, 10, 22          ten.24 Als kausale Therapie kommen daher             Laxanzien aus dem grünen Bereich ver-
                                                als nächste Behandlungsstufe PAMORA                  sagt haben. Bei schwerer Nieren- oder
Laxans der ersten Wahl ist Macrogol, da         (peripher wirkende Opioidrezeptor-Anta-              Leberinsuffzienz ist die Dosis zu halbieren.
es zu keinen Elektrolytentgleisungen führt      gonisten) als Monotherapie zum Einsatz
und insgesamt ein gutes Sicherheitspro-         (Methylnaltrexon, Naloxegol). PAMORA                 Stufe 3 der medikamentösen OIC-Thera-
fil aufweist. Eine Meta-Analyse zeigt das       haben sich in klinischen Studien und einer           pie: Bei weiterhin nicht ausreichendem
günstige Profil von Macrogol in Hinblick        Meta-Analyse bei OIC (mit und ohne zu-               Ansprechen sollten PAMORA mit klas-
auf Stuhlfrequenz, Stuhlform, Erleichte-        grunde liegender Tumorerkrankung) als                sischen Laxanzien kombiniert werden.
rung von abdominellen Schmerzen und             effektiv erwiesen.2, 3, 7, 18-22, 25, 26 Entschei-   Alternativ kann auch geprüft werden, ob
der Notwendigkeit der Einnahme von              dend an diesem Therapieansatz ist, dass              eine Umstellung der Analgesie oder eine
weiteren Laxantien.23 Alternativ kann ein       diese die Ursachen der OIC, nämlich die              Opioidrotation zu Oxycodon-Naloxon-Fix-
stimulierendes Laxans wie Natriumpico-          periphere μ-Opioidrezeptor-Aktivierung               kombination oder Tapentadol (MOR-NRI)
sulfat oder Bisacodyl eingesetzt werden.        mit der daraus resultierenden Hemmung                möglich ist.
Eine Kombination von zwei osmotischen           der Darmmotorik und -sekretion angrei-
oder zwei stimulierenden Laxanzien un-          fen, gleichzeitig jedoch nicht die analgeti-         Retardierte orale Formulierung einer Oxy-
tereinander ist jedoch nicht sinnvoll, wohl     sche Wirkung der Opioide im ZNS beein-               codon-Naloxon-Fixkombination (2:1-Ver-
aber die Kombination der jeweiligen Subs-       trächtigen, also die Blut-Hirn-Schranke              hältnis): Dabei handelt es sich um einen
tanzklassen miteinander, z. B. von oralem       nicht in pharmakologisch relevantem Aus-             systemischen Opioid-Antagonist, der bei
Macrogol mit Bisacodyl.                         maß passieren.                                       oraler Gabe aufgrund eines ausgeprägten
Prucaloprid, ein hochselektiver Seroto-                                                              First-Pass-Effekts nahezu ausschließlich im
nin-Agonist (5-HT4), ist bei refraktärer,       Naloxegol oral: Bei Naloxegol handelt es             Darm wirkt.29, 30, 31 Allerdings ist für die Ver-
nicht allein opioidbedingter Obstipation        sich um ein pegyliertes Derivat von Na-              wendung eine intakte Leberfunktion erfor-
eine Therapieoption.                            loxon. Dieses echte und oral anwendbare              derlich. In Österreich befindet sich das Prä-
                                                PAMORA wird einmal täglich angewendet.               parat nicht im Erstattungskodex (No Box),
Stufe 2 der medikamentösen OIC-Thera-           Naloxegol ist mit jedem Opiat frei kombi-            kann aber auf individuellen Antrag von den
pie: Laxanzien können jedoch aufgrund           nierbar. Naloxegol 25 mg zeigt eine ver-             Krankenkassen erstattet werden.

4     SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a| Mai 2020
Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
Tab. 4: STUFENSCHEMA DER
 MEDIKAMENTÖSEN THERAPIE
 EINER OIC11
 Stufe 1: Klassische Antiobstipativa
 der Stufe 1: osmotische (bevorzugt
 Macrogol) und/oder stimulierende
 Laxanzien, z. B. Natriumpicosulfat >
 und/oder (zusätzlich) Prucaloprid
 (Vorsicht bei Darmstenosen).

 Stufe 2: Unzureichendes Anspre-
 chen: PAMORA als kausale Therapie:
 jedes Opioid + oraler PAMORA, z. B.
 Naloxegol, oder bei Oxycodon-The-
 rapie: Fixkombination Oxycodon +
 Naloxon.

 Stufe 3: Unzureichendes Anspre-
 chen: PAMORA s.c.: Methylnal-
 trexon, ggf. Kombinationstherapie
 PAMORA + Laxanzien/Prucaloprid;
 ggf. Sekretagoga ± PAMORA.
 Überprüfung, ob eventuell Umstel-
 lung der Analgesie möglich ist!

Tapentadol (MOR-NRI): Diese Substanz
vereinigt zwei Wirkprinzipien in einem Mo-
lekül: einen μ-Opioidrezeptor-Agonismus        Leonardo Ferraz-Leite, μ -Rezeptoren in der Darmwand 2018. Acryl auf Hartplatte, 75 x 103 cm
(MOR) und eine Noradrenalin-Wieder-
aufnahme-Hemmung (NRI). Mit Tapen-             zen häufigste unerwünschte Wirkung               der Laxanzien-Therapie erfolgt nach dem
tadol ist eine signifikante Reduktion von      einer Schmerztherapie mit Opioiden und           Stufenschema eine zielgerichtete und
Obstipation und Nausea im Vergleich zu         beeinträchtigt die Lebensqualität und den        kausale medikamentöse OIC-Therapie mit
äquianalgetischen Dosen herkömmlicher          Analgesieerfolg erheblich.                       einem peripher aktiven μ-Opioidrezeptor-
Opioide (Morphin, Oxycodon) bei onko-                                                           Antagonisten (PAMORA). Erste Wahl ist
logischem und nicht-onkologischem chro-        Die OIC zeigt keine Toleranzentwicklung          dabei ein oraler PAMORA, bei Patienten
nischem Schmerz möglich. Tapentadol ist        und muss daher aktiv von Beginn an               unter Oxycodon-Therapie kann alterna-
mit einer maximalen Tagesdosis bis 500         konsequent über die gesamte Therapie-            tiv eine Fixkombination aus retardiertem
mg weltweit (FDA, EMA, Schweiz, Aus-           dauer mit nicht-pharmakologischen und            Naloxon plus Oxycodon gegeben werden.
tralien, Japan, Südamerika) zugelassen.        vor allem geeigneten medikamentösen              Bei Unmöglichkeit einer oralen Verabrei-
In Österreich befindet sich das Präparat       Mitteln bekämpft werden, da diese ein li-        chung kann ein subkutan zu applizieren-
nicht im Erstattungskodex (No Box), kann       mitierender Faktor für das Erreichen einer       der PAMORA eingesetzt werden. Reicht
aber auf individuellen Antrag von den          wirksamen Opioiddosierung und entspre-           auch dies nicht aus, sollte der PAMORA
Krankenkassen erstattet werden.                chender Patientenzufriedenheit ist. Ent-         mit Laxanzien der Stufe 1 kombiniert wer-
                                               scheidend ist ein aktives Abfragen der           den. Dessen ungeachtet ist eine Rotation
Bei Erfolglosigkeit aller drei Stufen können   Beschwerden beim Patienten von Beginn            zum neuen MOR-NRI Tapentadol oder zu
versuchsweise im Off-Label-Use Medika-         an und im Therapieverlauf. Da Ballast-           Oxycodon-Naloxon-Fixkombinationsprä-
mente wie Erythromycin oder Amidotri-          stoffe allein in der Regel nicht ausreichen,     paraten auf jeder Therapiestufe eine zu-
zoeessigsäure eingesetzt oder manuelle         können Laxanzien prophylaktisch gege-            sätzliche Option.
Ausräumungen (ggf. mit diagnostischer          ben werden, spätestens bei Symptomen
Abklärung) vorgenommen werden.                 einer OIC sollten diese verschrieben wer-        Literatur:

                                               den. Bei Versagen wäre das Prokinetikum          1   Storr M et al. Thieme Praxis Report 2017; 9 (11 ): 1-12
ZUSAMMENFASSUNG                                Prucaloprid eine weitere symptomatische          2   Nelson AD et al. Ther Adv Chronic Dis 2016; 7:121–
                                                                                                    34;
Die OIC ist die bei Patienten mit chroni-      Alternative bei einer nicht allein Opio-         3   Pergolizzi JV et al. Patient Prefer Adherence 2017;
schen Tumor- und Nicht-Tumor-Schmer-           id-induzierten Obstipation. Bei Versagen             11:107–19

                                                                                              SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a | Mai 2020                      5
Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
Heber Ferraz-Leite, Mechanismus, 2018, Acryl auf Hartplatte, 108 x 78 cm.

4    Wirz Set al. Eur j Cancer Care 2012; 21: 131-140     17 Wirz S et al. Eur j of Pain 2009; 13: 737-743         28 Chey WD et al. N Engl j Med. 2014; 370: 2387-2396
5    Camilleri Met al. Neurogastroenterol Motil 2014;     18 Brenner DM et al. Curr Gastroenterol Rep 2017;        29 Simpson K et al. Curr Med Res Opin 2008; 24:
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6    Veiga DR et al. Pain Res Treat. 2018 Jul             19 Argoff CE et al. Pain Medicine 2015; 16:2324–37       30 Löwenstein O et al. Expert Opin Pharmacother
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     [Epub ahead of print]                                22 Rao SSC et al. Nature Reviews Gastroenterol He-
9    Poulsen JL et al. Ther Adv Gastroenterol 2015;          patol 2016; 13:295–305
     8:360–72                                             23 Lee-Robichaud H. et al, Cochrane Database Syst        LECTURE BOARD:
10   Müller-Lissner S et al. UNI-MED, Bremen 2001            Rev, 2017 (7) p. CD007570
11   Wald A. JAMA 2016; 315:185–91                        24 Papagallo M. Am j Surg 2001; 182: 11-18               OÄ DR. WALTRAUD STROMER
12   Camilleri M. Am j Gastroenterol 2011; 106: 835-842   25 Hale M et al. Lancet Gastroenterol Hepatol 2017;      Abteilung für Anästhesie und Allgemeine Intensiv-
13   Wirz S. Z Gastroenterol 2017; 55: 394-400               2:555–64                                              medizin, Landesklinikum Horn
14   Becker G et al. Lancet 2009; 373: 1198-1206          26 Ford AC et al. Am j Gastroenterol 2013; 108: 1566-
15   Wirz S. Bremen: Uni-Med Verlag; 2010                    1574                                                  UNIV.-PROF. DR. WILFRIED ILIAS
16   Schmulson MJ et al., J Neurogastroenterol Motil      27 Nalamachu S et al, J Opioid Manag. 2018 May/          Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie, Facharzt
     2017; 23:151–63                                         Jun;14(3):211-221                                     für Anästhesiologie u. Intensivmedizin in Wien

Gender-Mainstreaming-Policy: Wir sind bemüht, in den Texten Männer wie Frauen in gleicher Weise sichtbar zu machen und verwenden daher an
vielen Stellen sowohl die männliche als auch die weibliche Personen- oder Berufsbezeichnung. Im Interesse der Lesbarkeit wird aber auch immer
wieder nur eine Form verwendet, wobei es sich ausdrücklich um keine Bevorzugung eines Geschlechts handelt.

IMPRESSUM: SCHMERZNACHRICHTEN. Zeitschrift der Österreichischen Schmerzgesellschaft; Herausgeber: Österreichische Schmerzgesellschaft;
Medieninhaber und Verlag: B&K Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung GmbH; Medieninhaber-, Verlags- und Redaktionsadresse: 1090 Wien,
Liechtensteinstr. 46a/1/1/9; A-7100 Neusiedl, Untere Hauptstraße 99/3/2; Geschäftsführung und Chefredaktion: Mag. Roland Bettschart, Dr. Birgit
Kofler; Hersteller: Donau Forum Druck; Verlags- und Herstellungsort: Wien; Lektorat: Susanne Hartmann; Projektmanagement: Monica Friedmann,
BA; Grafische Gestaltung: Patricio Handl
Diese DFP-Fortbildung erschien in der Ausgabe 4/2018-1/2019 der Schmerznachrichten. Dieser Fortdruck wird mit freundlicher Unterstützung von
Grünenthal publiziert.                             							                                                            M-MOV-AT-04-20-0001

6     SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a| Mai 2020
Das Management der Opioid-induzierten Obstipation - SchmerzNr.2a|2020 ISSN 2076-7625 - PAINS
KT    E
                                                                                                                2 DFP-PUN

DFP-Literaturstudium in den Schmerznachrichten
Fragebogen – „Das Management der Opioid-induzierten Obstipation“
So machen Sie mit: Entsprechend
den Richtlinien der ÖÄK finden
                                                1.   Welche Aussage stimmt? (drei richtige Antworten)
Sie im Anschluss an den Fortbil-
                                                     a) IC bedeutet opioid-induced constipation.
dungsartikel Multiple-Choice-
                                                     b) OIC bedeutet opioid inhibiting calculation.
Fragen. Eine Frage gilt dann als
richtig beantwortet, wenn Sie von                    c) OIBD bedeutet opioid-induced bowel dysfunction.
den vorgegebenen Antworten                           d) OIC ist eine seltene Opiat-Nebenwirkung.
alle richtigen angekreuzt haben.                     e) OIC tritt bei Palliativpatienten häufiger auf.
Für eine positive Beantwortung
ist erforderlich, dass sie drei der             2. Die OIC ist definiert durch (drei richtige Antworten)
fünf Fragen richtig beantworten.                   a) niedrige Stuhlfrequenz
                                                   b) komplette Stuhlentleerung
Bei korrekter Beantwortung
                                                   c) härtere Stuhlkonsistenz
werden zwei DFP-Punkte
                                                   d) Verschlechterung der Notwendigkeit des starken Pressens
angerechnet.
                                                   e) Stuhlfrequenz 24 Stunden“ erfüllt ist.
Internet: Diesen Artikel sowie eine                c) Die „Bristol Stool Form Scale" stellt die Stuhlform bildlich dar.
Reihe weitere Fortbildungsartikel                  d) Der BFI (Bowel Function Index) erfasst den Aspekt der Stuhlentleerung.
finden Sie auch auf www.oesg.at
                                                   e) Für den BFI (Bowel Function Index) ist keine persönliche Einschätzung des Patienten notwendig.
sowie der Plattform „DFP-Online“
der Österreichischen Akademie der
                                                5. Welche therapeutischen Optionen stehen zur Verfügung? (drei richtige Antworten)
Ärzte unter www.meindfp.at,
wo Sie die Fragen auch online                      a) ausreichende Mobilisierung und Flüssigkeitszufuhr
beantworten können.                                b) Laxans der ersten Wahl ist Prucaloprid.
                                                   c) Eine Kombination von mehreren Laxanzien unterschiedlicher Substanzklassen ist möglich.
Ihre Teilnahmebestätigung ist                      d) Naloxegol ist mit jedem Opiat frei kombinierbar.
auf www.meindfp.at unter „Meine                    e) Methylnaltrexon wird per os verabreicht.
Statistik“ downloadbar, wenn Sie
ein Fortbildungskonto haben.

Gültig bis: 12/2021

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        Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin
        Facharzt/Fachärztin für
        Ich besitze ein gültiges DFP-Diplom
        Bitte informieren Sie mich über neue DFP-Angebote der ÖSG (Literaturstudium, Webinar) unter folgender E-Mail-Adresse:

                                                                                                                       SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a | Mai 2020   7
8   SCHMERZ NACHRICHTEN Nr. 2a| Mai 2020
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