Das "Neue Schloss" Gerzensee - Vom Herrschaftssitz zum Studienzentrum Festschrift anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Eröffnung des ...

 
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Das "Neue Schloss" Gerzensee - Vom Herrschaftssitz zum Studienzentrum Festschrift anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Eröffnung des ...
Das «Neue Schloss»
Gerzensee
Vom Herrschaftssitz zum Studienzentrum

Festschrift anlässlich des 25-jährigen Jubiläums
der Eröffnung des Studienzentrums Gerzensee
Das "Neue Schloss" Gerzensee - Vom Herrschaftssitz zum Studienzentrum Festschrift anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Eröffnung des ...
Impressum
Herausgeberin: Studienzentrum Gerzensee
Autorin: Sarah Pfister, lic. phil. hist., Studium der Deutschen Literaturwissenschaft und Kunstge-
schichte. Leiterin Museum Münsingen. Freie Kulturjournalistin. Kunst- und Kulturprojektleiterin.
Gestaltung: mediagrafik.ch, Thun
Reprofotografie: brandnewlivingpictures, Fritz Brand, Münsingen
Druck und Lithos: Ackermanndruck AG, Bern-Liebefeld
Auflage: 2000 Ex., Gerzensee 2011.
Inhaltsverzeichnis

Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Vom «Alten» ins «Neue» Schloss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Von der Gartendépendance zum «Neuen Schloss» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Von gnädigen Herren und begüterten Damen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Seesicht und Alpenblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Der Schlossgarten: Barocke Pracht und romantisches Arboretum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Neue Studien in alten Mauern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Literatur, Bildnachweis, Dank  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

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Vorwort
Mit Freude und Genugtuung dürfen wir das 25-jährige Jubiläum der Eröffnung des Studien­
zentrums Gerzensee, Stiftung der Schweizerischen Nationalbank, feiern. Als die National-
bank 1980 im Vorfeld ihres 75-jährigen Jubiläums das «Neue Schloss» mit den umliegenden
Besitzungen erwarb und nach intensiven Vorarbeiten 1984 in die neu gegründete Stiftung
einbrachte, verfolgten die Verantwortlichen der SNB eine klare Zielsetzung: Das Studienzen-
trum sollte als Ausbildungs- und Begegnungsstätte dienen und die historisch wertvollen
Liegenschaften sollten erhalten bleiben.
Die Weitsicht hinter den damaligen Entscheiden und das Engagement, mit dem sich der
Stiftungsrat, die Direktoren und die Mitarbeitenden des Studienzentrums während der ver-
gangenen zweieinhalb Jahrzehnte für die Erreichung dieser Zielsetzung eingesetzt haben,
lassen uns heute dankbar zurückblicken. Der exzellente Ruf im In- und Ausland, den sich das
Studienzentrum dabei erworben hat, erfüllt uns mit Genugtuung.
Die 25 Jahre seit dem ersten, im Mai 1986 durchgeführten Zentralbankkurs sind Anlass zur
Freude. Gleichzeitig dienen sie als Anstoss, über das Tagesgeschäft hinauszublicken und
die Geschichte des Studienzentrums aus einer längerfristigen Perspektive zu betrachten.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet die vorliegende Broschüre als bleibende Erinnerung
an das diesjährige Jubiläum die wechselhafte Geschichte des mittlerweile in vielen Län-
dern bekannten Kennzeichens und Sitzes des Studienzentrums: des «Neuen Schlosses» in
Gerzensee. Möge die Lektüre heute und auch noch in einigen Jahrzehnten viel Vergnügen
bereiten.
Thomas Jordan, Präsident des Stiftungsrates		         Dirk Niepelt, Direktor

                                         — 3 —
Gesamtanlage mit Garten                        Das ursprüngliche Wohnhaus (rechts im Bild)

Vom «Alten»                                    herrschaftliche Wohnsitze für ungewöhnli-
                                               chen Glanz in den Dorfstrassen. Das milde
ins «Neue» Schloss                             Klima und die Südlage des Hangs ziehen
                                               bis ins 19. Jh. patrizische Familien aus Bern
Die Herrschaft Gerzensee                       (Lerber, Graffenried, Luternau, Freudenreich,
Als «Perle im Bernerland» preist C.M. Reber    Büren) an, die zum Beispiel um 1805 bzw.
1919 das Dorf Gerzensee, das zu den «rei-      1857 die Sommersitze «Freudheim» und
zendsten Orten des bernischen Hügellan-        «Friedberg» bauen lassen.
des» gehöre. Auch heute erfreut das Dorf
am Südhang des Belpbergs den Besucher          Das heutige «Alte Schloss» am Fuss des Fes-
mit seinem ländlichen Charakter, dem See       ti-Hügels geht auf eine «veste» aus dem 13.
und der atemberaubenden Aussicht auf die       Jh. zurück. In diesem bewohnbaren Wehr-
Berner Alpen. Zum Reiz tragen auch beson-      bau mit Festungsgraben, Schutzmauern
dere Bauwerke bei: Sie erinnern an vergan-     und Turm richten die Ritter von Kramburg
gene Zeiten, in denen Gerzensee nicht nur      ihren Herrschaftssitz ein. Finster und feucht
ein Bauerndorf war, sondern einigen Fami-      muss das Gemäuer gewesen sein – kei-
lien der Berner Aristokratie als bevorzugter   ne angenehme Unterkunft für die ersten
Aufenthaltsort für die Sommermonate galt.      «Twingherren» zu Gerzensee. Im Lauf der
Mit nicht weniger als zwei Schlössern –        Jahrhunderte gehen die Herrschaftsrechte
manche zählen gar drei – wartet das Dorf       durch Erbschaft und Kauf an verschiedene
auf: Mit dem «Alten Schloss», dem «Neuen       Eigner über. Der Brand von 1518 zerstört
Schloss» und dem auf halber Strecke zwi-       den ungemütlichen Schutzbau. Jakob von
schen den beiden Schlössern gelegenen          Wattenwyl lässt das Gebäude im spätgoti-
Anwesen «Rosengarten» (um 1670) sorgen         schen Stil neu errichten – seither präsentiert

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F                      D
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   N

Plan der Schlossanlage

sich das «Alte Schloss» in seiner heutigen,       Legende
reizvollen Gestalt.
                                                  A Ältester Gebäudeteil: Ursprüngliche
Während in der Entstehungszeit des «Al-             Gartendependence des «Alten
ten Schlosses» Sicherheit und Schutz vor            Schlosses», vor 1700
feindlichen Kräften den Gebäudecharakter
                                                  B Ursprüngliches Herrenhaus, 1700
bestimmen, werden im Laufe der Zeit die
Umgebung und die bevorzugte Lage wich-            C Westlicher Innenflügel, 1718
tig: Man entdeckt die Schönheit der Natur.
                                                  D Westlicher Aussenflügel, 1738
So ist es nicht erstaunlich, dass an aussichts-
und sonnenreicher Südlage bald ein wei-           E Östlicher Aussenflügel, nach 1738
teres, herrschaftliches Gebäude entsteht:
                                                  F Ehemaliges Hallenbad; heute «Panora-
1700 legt Samuel Morlot auf einem neu
                                                    masaal», 1970-er Jahre
erworbenen Stück Land den Grundstein
zum «Neuen Schloss» – einem repräsenta-           G Gartenanlage
tiven Landsitz mit herrlichem Blick auf den
Gerzensee und die Berner Alpen. Bereits ein
halbes Jahrhundert später verlegt der da-
malige Herrschaftsherr zu Gerzensee seinen
Sitz vom «Alten» in das dank Erweiterungs-
bauten modernere und repräsentativere
«Neue Schloss».

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«Gartensaal» im ältesten Teil des Schlosses      Detail der Chinoiserietapete im «Gartensaal»

Von der Garten-                                  Er erweitert das bestehende Gartenhaus an
                                                 dessen Westseite mit einem zweigeschossi-
dépendance zum                                   gen, barocken Herrenhaus, das – heute drei-
«Neuen Schloss»                                  geschossig – im Mittelpunkt der Gesamtan-
                                                 lage steht. Damit schafft der junge Bauherr
Samuel Morlot baut sich einen                    die Grundlage für das «Neue Schloss». Mit
Herrschaftssitz                                  der Betonung der kubischen Grundform,
Zum «Alten Schloss» gehört ursprünglich          der ruhigen Fassadengestaltung und den
eine kleine Gartendépendance – ein Bel-          ausgewogenen Proportionen weist es den
vedere am Südhang mit Sicht auf den Ger-         damals vorherrschenden, präklassizistischen
zensee und die Alpenkette. Samuel Morlot,        Grundzug der bernischen Architektur auf.
Spross einer regimentsfähigen Familie der
Stadt Bern mit Wurzeln in Lothringen, er-          Villeggiatura:
wirbt das kleine Gebäude samt Umschwung            Der Adel in der Sommerfrische
um 1700 vom damaligen Teilhaber an den             Der baulustige Adel lässt im 18. Jh. zahlrei-
Gütern der Herrschaft Gerzensee. Im selben         che Sommersitze errichten: Rund um Bern
Jahr schliesst er seine Karriere in holländi-      entstehen in die Landschaft eingebettete
schen Solddiensten ab, heiratet Maria Mag-         Campagnen – behäbig und bescheiden
dalena von Graffenried und beginnt den             die einen, prunkvoll und der Selbstdarstel-
Dienst im bernischen Staat. Zum standes-           lung verpflichtet die anderen. In den Som-
gemässen Leben eines Adeligen gehört ein           mermonaten zieht sich die Oberschicht
Landsitz – eine sogenannte «Campagne».             auf den Landsitz zurück und pflegt die
Da kommt dem erfolgreichen, jungen Mann            Zeit der «villeggiatura» – den Rückzug ins
das Stück Land in Gerzensee gerade recht:          ländliche Idyll.

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Vedute mit «Neuem Schloss» und Kirche (18. Jh.)   Porträt von Samuel Morlot (1703)

Dieses repräsentative, gegen Süden aus-             Samuel Morlot:
gerichtete Wohnhaus – das «Corps de lo-             Erster Herr im «Neuen Schloss»
gis» – ergänzt er mit einer Gartenanlage:           Die Familie Morlot gehörte zur dritten
Am gegen den See abfallenden Hang legt              Klasse der sog. «Vesten» Familien des
er zwei Terrassen an. Ein Lustgarten im ba-         Staates Bern. Samuel Morlot (27.1.1670 –
rocken Stil entsteht. Als Bindeglied zwischen       19.3.1763) amtet ab 1701 als Grossrat, 1715-
Wohnhaus und Gartenanlage dient die                 20 ist er Landvogt zu Grandson, ab 1726 ist
«Sala terrena»: der ebenerdige Gartensaal,          er Mitglied des Kleinrates, 1731-34, 1751-56
der charakteristisch ist für den Schlossbau         und 1763 ist er Venner zu Metzgern so-
des 18. Jahrhunderts und der meist in der           wie 1734-40 Welschseckelmeister. 1727-39
Hauptachse des Gebäudes liegt. Man darf             wirkt er als Gesandter an bernisch-freibur-
annehmen, dass der junge Schlossherr sei-           gischen Tagsatzungen. 1700 erbaut er in
nen Gartensaal von der nun ein wenig im             Gerzensee das «Neue Schloss» und 1723
Abseits liegenden, alten Gartendépendance           den Sommersitz Märchligen in Allmen-
in den neu gebauten Teil verlegt, wo die            dingen.
Bewohner mit einigen Schritten zwischen
Innen- und Aussenraum wechseln können.
Damit verfügt Samuel Morlot über ein klei-
nes Bijou, das ganz dem zeitgenössischen
Geschmack verpflichtet ist. Denn auch im
ländlich geprägten Staat Bern lässt sich der
wohlhabende Adel vom alles überstrahlen-
den, architektonischen Idol des Barock be-
eindrucken – von Schloss Versailles.

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Plan über die Besitzungen von Rudolf Sinner mit Vignette der Schlossanlage (nach 1738)

Von gnädigen Herren und begüterten Damen
Die Schlossbesitzer
1700 - 1718                                          1700 Bau des zweigeschossigen Herrenhau-
Samuel Morlot (1670 - 1763)                          ses, westlich angrenzend an die ehemalige
                                                     Gartendépendance des «Alten Schlosses».
1718 - 1738                                          1718 Anbau des westlichen Innenflügels, so
Bernhard von Graffenried (1684 - 1747)               dass ein Hof entsteht.
ab 1738                                              1738 Anbau des niedrigeren westlichen
Johann Rudolf Sinner (1699 - 1744)                   Aussenflügels mit Arkaden im Erdgeschoss.
                                                     Später folgt der Parallelbau auf der Ost-
                                                     seite. Die «Cour d‘Entrée» und die «Cour
                                                     d’Honneur» entstehen. Die Aussenflügel
                                                     beherbergen Stallungen, Remisen und
                                                     Scheunen.
ab 1755                                              Der Sitz der Herrschaft Gerzensee geht 1755
Franz Emanuel Anton von Graffenried                  vom «Alten Schloss» ins «Neue Schloss»
(1728 - 1778)                                        über.
bis 1813                                             Veräusserung der nach 1798 verbliebenen
Franz von Graffenried (1765 - 1837)                  Rechte an den Staat Bern.

                                              — 8 —
Historischer Plan des Gerzensees

Karl Emanuel von Erlach (1776 - 1862)          Die Schlossscheune, die im 18. Jh. am Platz
                                               der heutigen Springbrunnen stand, brennt
                                               ab und wird auf der anderen Strassenseite
                                               wieder aufgebaut.
Karl Franz Eugen von Erlach (1810 - 1866)      1863 wird das zweigeschossige Hauptge-
                                               bäude um ein Stockwerk erhöht und mit
                                               einem flachen Walmdach gedeckt.
bis 1918                                       Verkauf des Anwesens wegen finanziellen
Johann Rudolf Berthold von Erlach              Problemen.
(1856 - 1929)
1918 - 1934                                    Die Familie des Baumwollhändlers Hugo
Hugo und Helène Adèle Lindemann-Merkle         Lindemann bewohnt das «Neue Schloss».
1934 - 1938                                    Der Bankier Edmund von Ernst verwaltet
Bank Misr, Kairo                               Anwesen und Ländereien.
1938 - 1951                                    1940 wird der aufgestockte Hauptbau mit
Eugen und Yvonne Losinger-von Ernst            einem steilen Vollwalmdach gedeckt; die
                                               Höhe des obersten Geschosses wird redu-
                                               ziert. Neubau des Bootshauses am Nordu-
                                               fer des Sees. Diverse Renovationsarbeiten,
                                               Erneuerungsbauten und Gartengestaltung.

                                            — 9 —
Bassin im Park                               Kunst in der Gartenanlage

1951 - 1980                                  Neubau der Wirtshäuser «Goldenes Kreuz»
Vinzenz und Samra Losinger-Zschokke          und «Bären» (mit J. Stuker) sowie des Gärt-
                                             nerhauses. Diverse Erneuerungsbauten,
                                             Umbauten und Renovationsarbeiten. Sa-
                                             nierung der Schlossscheune. Intensive
                                             Landschafts- und Gartengestaltung. Ein-
                                             richtung von öffentlichen Badeplätzen am
                                             See. Erweiterung des Baumbestandes an
                                             der Ostseite der Anlage zum Arboretum.
1980 - 1984                                  Kauf des gesamten Anwesens durch die
Schweizerische Nationalbank                  Schweizerische Nationalbank. Fritz Leut-
                                             wiler, Präsident des Direktoriums der Na-
                                             tionalbank, regt die Gründung eines Aus-
                                             bildungs- und Forschungszentrums für
                                             Zentralbankfachleute an. Unter dem dama-
                                             ligen Stellvertretenden Vorsteher des III. De-
                                             partements und späteren Präsidenten des
                                             Direktoriums der Nationalbank Hans Meyer
                                             werden die Pläne umgesetzt.
Seit 1984                                    Gründung der Stiftung. Bis 1986 Gesamtum-
Studienzentrum Gerzensee, Stiftung der       bau: Es entstehen Seminar- und Büroräume.
Schweizerischen Nationalbank                 Erweiterung der Anlage durch einen Hotel-
                                             neubau.

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Blick vom Garten zum ehemaligen Wohnhaus        «Cour d‘Entrée» und «Cour d’Honneur»

Wer das schmiedeeiserne Tor zum neuen           Aussenflügel auf der Westseite und später
Schloss passiert, geniesst einen beeindru-      auf der Ostseite dessen Pendant. «Cour
ckenden Anblick. Eine kurze Allee wird          d’Entrée» und «Cour d’Honneur» gehen auf
von zwei aus Bassins schiessenden Spring-       diese Zeit zurück. Im 18. Jh. gehört es zur
brunnen flankiert. Sie führt in die beiden      aristokratischen Lebensart, mit der Kutsche
Höfe – die «Cour d’Entrée» und die «Cour        zu reisen. Der Bau von Hofanlagen erlaubt
d’Honneur» – und hin zum «Corps de logis»,      es den Reisenden, mit der Kutsche bis vor
dem ehemaligen Wohngebäude. Die Anlage          die Haustüre zu fahren. Und auch Pferde
macht einen geschlossenen Eindruck – trotz      und Gefährt sind bequem zu versorgen: In
den zahlreichen An- und Umbauten der            den beiden Aussenflügeln mit den markan-
verschiedenen Schlossherren.                    ten Rundbogen waren damals Stallungen,
                                                Remisen und Scheunen untergebracht.
Die Herren von Gerzensee                        Das «Neue Schloss» ist nach diesen Erwei-
Bereits der zweite Schlossherr hinterlässt      terungsbauten zu einer derart repräsentati-
markante architektonische Spuren. Acht-         ven Anlage gediehen, dass sich der nächste
zehn Jahre nach dem Bau seines Sommer-          Besitzer, Franz Emanuel Anton von Graffen-
sitzes verkauft Samuel Morlot das Anwesen       ried (1728 - 1778), entschliesst, seinen Herr-
an Bernhard von Graffenried (1684 - 1747).      schaftssitz vom «Alten Schloss» ins «Neue
Dieser lässt 1718 den westlichen Innenflügel    Schloss» zu verlegen. Damit verfügt Franz
als Pendant zum ältesten Gebäudeteil, dem       Emanuel Anton von Graffenried über aus-
ehemaligen Belvedere des «Alten Schlos-         gedehnte Güter und alle damit verbunde-
ses», bauen. Dadurch entsteht ein erster Hof.   nen Rechte.
Zwanzig Jahre später, 1738, errichtet Johann
Rudolf Sinner (1699 - 1744) den niedrigeren

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Vedute mit «Neuem Schloss» und Kirche (vor 1738)

  Entre cour et jardin                             Der nachfolgende Besitzer, Franz von
  Das «Neue Schloss» Gerzensee hat sich            Graffenried (1765 - 1837), ist der letzte Herr-
  durch die Anbauten aus der ersten                schaftsherr von Gerzensee. Nach dem Un-
  Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem             tergang des «Alten Bern» 1798 verliert er
  Anwesen entwickelt, das dem damali-              die Gerichtsrechte und verkauft die noch
  gen Ideal des Herrschaftshauses «entre           verbleibenden Rechte an den Staat Bern.
  cour et jardin» entspricht: Es liegt an          1813 gibt er auch seine ausgedehnten Gü-
  einzigartiger, aussichtsreicher Lage, das        ter samt See und Schlossdomäne aus der
  «Corps de logis» – das Wohnhaus – ist            Hand. Herr Vaucher von Fleurier erwirbt das
  mit einem hohen Walmdach gedeckt                 Anwesen für seinen Schwiegersohn Karl
  und liegt im Zentrum der Anlage. Auf der         Emanuel von Erlach (1776 - 1862) zum Preis
  Schauseite des «Corps de logis» öffnen           von 153 000 alten Franken und 200 Louis
  sich die Gartenanlagen. Die Seitenflügel         d‘or Trinkgeld: Eine gewaltige Summe! Ein
  rahmen die Höfe. Das Anwesen wird von            grosses Bauernhaus mit Schöpfen wech-
  einer Hauptachse dominiert: Sie beginnt          selte damals für 3 000 Franken den Besitzer;
  als Zugangsallee, führt durch die Mitte          ein Stöckli samt Back- und Waschhaus galt
  des Wohnhauses und setzt sich auf der            2 000 Franken.
  gegenüberliegenden Seite in der Garten-
  anlage fort. Im «Neuen Schloss» reicht
  die Hauptachse gar bis an den See: In
  präziser Verlängerung der hofseitigen
  Zugangsallee erstrecken sich ausgehend
  vom Garten lange Baumreihen bis zum
  Ufer.

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Das Anwesen wird für 153 000 alte Franken und 200 Louis d‘or verkauft (Eintrag im Urbar von 1813)

  Schultheiss und Räte                                   Der Untergang des «Alten Bern» -
  Der Schultheiss war der oberste städtische             ein neues Zeitalter bricht an
  Richter. Ihm unterstanden der Grosse und               Im Berner Bürgertum fanden die Ideen der
  der Kleine Rat. Die Zugehörigkeit zum                  französischen Revolution von 1789 viele
  Grossen Rat war für die adligen Familien               Anhänger. Man wollte sich der Machtha-
  lebensnotwendig, denn sie ermöglichte                  ber aus den adligen Familien entledigen,
  den Zugang zu einträglichen Ämtern (z.B.               um selbst am politischen Leben teilneh-
  Landvogteien).                                         men zu können. Denn auch für wohl-
  Ab 1735 hatten die Berner Schultheissen                habende Bürger waren politische Ämter
  einen Thron, ganz nach dem Vorbild des                 unerreichbar, da sie nicht über die erfor-
  französischen Königs. Im 17. Jh. entwi-                derliche, patrizische Herkunft verfügten.
  ckelte sich endgültig ein städtisches, ge-             Nach dem Sieg auf dem Schlachtfeld im
  schlossenes Patriziat, das regierende Ober-            Grauholz und in Fraubrunnen 1798 zogen
  schicht war. Die wichtigen Entscheide                  Napoleons Truppen in Bern ein und be-
  wurden zunehmend im kleinen Rat gefällt,               schlagnahmten den sagenhaften Schatz
  er entwickelte sich zur de-facto-Regierung.            des reichen Staates. Die drei Bären aus
  Der Grosse Rat wurde zur blossen Akkla-                dem Bärengraben führten sie in einem Tri-
  mationsversammlung degradiert. Der Rat                 umphzug durch die Stadt. Einer der Bären
  wählte sich selbst. Bern wurde im Ancien               wurde zur Verspottung des letzten Schult-
  Régime zum Modell einer Aristokratie mit               heissen von Bern, Niklaus Friedrich von
  oligarchischen Tendenzen. 1749 wurde                   Steiger, auf dessen Namen getauft und
  eine Verschwörung von nicht ratsfähigen                trug das Siegelbeutel um den Hals.
  Bürgern (Henzi-Verschwörung) aufge-
  deckt und schwer bestraft.

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Aufgestocktes Wohnhaus unter flachem Walmdach    Rötelzeichnung von Adolf Tièche

Von der Herrschaft zum Besitz:                   Eugen Losinger korrigiert wird. Der nächste
Familie von Erlach                               Spross der Familie von Erlach, der das «Neue
In den kommenden nahezu hundert Jahren           Schloss» sein eigen nennen darf, ist Johann
ist das «Neue Schloss» im Besitz der Familie     Rudolf Berthold von Erlach (1856 - 1929). Die-
von Erlach (1813 - 1918). Karl Emanuel von       ser geachtete Mann macht sich früh um die
Erlach, Oberstleutnant bei der Berner Miliz,     Stromversorgung in Gerzensee verdient. Die
erweitert den Raum vor den beiden Höfen.         finanziellen Probleme der Familie zwingen
Die Schlossscheune, die im 18. Jh. am Platz      ihn, seinen geliebten Besitz in Gerzensee zu
der heutigen Springbrunnen stand, lässt er       verkaufen.
nach einem Brand auf der anderen Strassen-
seite neu aufbauen. Sein Sohn, Karl Franz        Zwischen Alexandria und Gerzensee:
Eugen von Erlach (1810 - 1866), nimmt einen      Familie Lindemann
aus heutiger Sicht unglücklichen baulichen       Im 20. Jh. prägen zwei verwandtschaftlich
Eingriff vor, der die Ausgewogenheit der         verbundene Familien die Geschicke des
Anlage stark beeinträchtigt: 1863 lässt er das   «Neuen Schlosses»: die Familien Lindemann
Hauptgebäude um ein ganzes Stockwerk             und Losinger. Der Deutsche Hugo Linde-
erhöhen. Darüber lässt er ein flaches Walm-      mann, ein gebildeter und weltgewandter
dach errichten. Unter dem niedrigen Dach         Kaufmann, gründet in Ägypten eine Baum-
erscheint der aufgestockte Hauptbau gera-        woll-Exportfirma und gelangt zu Reichtum.
dezu klotzig; gegenüber den Seitenflügeln        1904 oder 1905 heiratet er Helène Adèle
wirkt er zu mächtig – die ausgewogenen           Merkle aus Basel, die Tochter eines Baum-
Proportionen zwischen Herrenhaus und Sei-        wollhändlers. Nach Anbruch des 1. Weltkrie-
tenflügeln sind dahin. Ein architektonischer     ges muss die Familie Ägypten verlassen und
Fehlgriff, der erst hundert Jahre später unter   zieht nach Deutschland. Bei Besuchen der

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Postkarte aus der Heimatschutz-Serie «Bernische Schlösser»

Familie von Ernst in Bern – Helène Linde-               Der schönste Tag im Leben
manns Schwester ist mit dem Banquier Ed-                von Polier Messerli
mond von Ernst verheiratet – entdeckt Hugo              «D’ Lindemänni» – so nannten die Leu-
Lindemann das «Neue Schloss» in Gerzensee               te aus dem Dorf die Schlossherrin – hielt
und erwirbt es samt den zugehörigen Pacht-              vier Pferde, die von Michael Höngg, ei-
gütern, Wald und See von Johann Rudolf                  nem ehemaligen deutschen Kavalleris-
Berthold von Erlach. 1919 zieht die Familie             ten, gepflegt wurden. Sie liebte es, mit
Lindemann nach Gerzensee und wohnt                      dem Vier- oder Zweispänner die Umge-
vorerst das ganze Jahr dort. Die von Ernst-             bung zu erkunden und unternahm regel-
Kinder von Helène Lindemanns Schwester                  mässig Ausfahrten – stets in Begleitung
verbringen viele Ferientage in Gerzensee.               ihrer wild kläffenden Hundemeute. Eine
Für die Lindemann-Nichte Yvonne Losinger-               dieser Ausfahrten führte die Schlossherrin
von Ernst, die Ehefrau des späteren Besitzers           am Bauernhäuschen der Familie Messerli
Eugen Losinger, gleichen diese Aufenthalte              in Uetendorf vorbei. Die Hundemeute
bei ihrer Tante Helène und ihrem Taufpaten              stürzte sich sofort auf die Kaninchen und
Hugo Lindemann einem «Paradies-Mär-                     biss viele tot. Frau Lindemann lud darauf-
chen». Die im Dorf für viel Aufsehen sorgen-            hin einen Buben der Familie Messerli – der
de Schlossherrin Helène Lindemann lebt als              später Polier in der Firma Losinger werden
veritable «Grande Dame». Der offenkundige               sollte – nach Gerzensee ein: Er durfte aus
Reichtum der Lindemanns schien seine Wir-               der Zucht des Gutsbetriebes Kaninchen
kung nicht zu verfehlen: Wenn auf der Ge-               auslesen und erhielt überdies eine Ent-
meinde Gerzensee eine Rechnung eingetrof-               schädigung von fünf Franken. Dies sei der
fen sei, habe man sie erst einmal ins Schloss           schönste Tag in seinem Leben gewesen,
geschickt – so will es zumindest ein Bonmot.            pflegte Polier Messerli zu erzählen.

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Eugen und Yvonne Losinger (Mitte) mit Edmond und Alice von Ernst

Diesen guten Zeiten setzt der «Black Friday»       Bauherren im Schloss:
der US-Börse, der 25. Oktober 1929, ein jä-        Die Familie Losinger
hes Ende. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise         Mit dem Kauf des «Neuen Schlosses»
verliert Hugo Lindemann sein gesamtes              durch den Bauingenieur Eugen Losinger
Vermögen. Die Besitzungen in Gerzensee             (1891 - 1951) 1938 kehrt reges Leben in das
gehen als Schuldpfand an die ägyptische            verwaiste Gebäude zurück. Er bindet das
Bank Misr. Die Familie Lindemann verlässt          Anwesen in seine Firma ein: Eigentümerin
daraufhin die Schweiz und führt im badi-           ist die Frelo AG (nach «Franz Eugen Losin-
schen Nussbaum ein äusserst bescheidenes           ger»), eine Tochtergesellschaft des Mutter-
Leben.                                             hauses Losinger AG. Mitten im 2. Weltkrieg
Die Berner Bank von Ernst verwaltet die Gü-        nimmt der neue Schlossherr grössere Um-
ter im Auftrag der Bank Misr. Hier kreuzen         gestaltungs- und Bauvorhaben an die Hand.
sich die Schicksale der beiden verwandt-           Den markantesten Eingriff nimmt er im
schaftlich verbundenen Familien Linde-             Sinne einer Rekonstruktion des ehemaligen
mann und von Ernst erneut. Der Bankier             Zustandes vor: Er versieht den 1863 aufge-
Edmond von Ernst, dessen Frau Alice die            stockten Hauptbau mit einem hohen Ber-
Schwester von Helène Lindemann ist, über-          ner Dach und reduziert im obersten Stock-
nimmt als Prinzipal der Bank von Ernst die         werk die Raumhöhe. Damit gelingt es dem
Verwaltung der Liegenschaft, die nun fast          Bauherren und seinem Architekten Rudolf
zehn Jahre lang leer stehen wird.                  Sinner (1890 – 1960), die einstige Harmonie
                                                   der Anlage zumindest teilweise wiederher-
                                                   zustellen.

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Familien Losinger und von Ernst im Sommer 1937    Intérieur in den 1940-er Jahren

  Eugen Losinger (1891 - 1951)                    Eugen Losinger und seine Frau Yvonne
  1910 - 1917 Bauingenieurstudium mit As-        – die Tochter des einstigen Verwalters Ed-
  sistententätigkeit an der ETH Zürich. Mit       mond von Ernst – lassen in den über zwan-
  seinem Bruder Oskar gründet er 1920             zig Jahren als Schlossbesitzer unzählige
  eine Baufirma. Nach dem frühen Tod des          Arbeiten an Gebäuden und Umschwung
  Bruders 1924 führt er die Firma alleine         ausführen. Dazu gehören etwa die Pflaste-
  weiter. Die Losinger AG wird zu einer der       rung des Hofes mit Unterwalliser Masson-
  bedeutendsten Bauunternehmungen der             gez-Steinen, die Erneuerung der Chinoise-
  Schweiz. Zu den wichtigsten Tätigkeits-         rie-Tapete im Gartensaal, die Restaurierung
  bereichen zählen Verkehrs- (u.a. Lorraine-      von Wandbekleidungen im 1. Stock, der
  brücke in Bern, Bahnlinie Požarevac-            Einbau historischer Kachelöfen, die Reno-
  Kučevo in Serbien, Grindelwald-First-Bahn,      vation aller Räume im Ostflügel, der Bau ei-
  Flughafen Kloten) und Kraftwerkbauten           nes neuen Bootshauses, die Ufergestaltung
  (u.a. Staumauern bzw. -dämme Oberaar            und schliesslich 1951 die Erneuerung der
  im Berner Oberland, Sambuco und Luzzo-          Schlossscheune samt Modernisierung der
  ne im Tessin, Mauvoisin, Moiry und Gran-        Ställe und Neubau des Wohnteiles.
  de Dixence im Wallis).                          In den sorgfältig renovierten Schlossräumen
                                                  pflegt der Hausherr die vornehme Tugend
                                                  der Gastfreundschaft – sie sei für ihn das
                                                  A und O gewesen, hält seine Frau, Yvonne
                                                  Losinger(-von Ernst), in ihren Erinnerungen
                                                  fest. Eugen Losinger führt ein offenes Haus
                                                  für alle Menschen in Not – insbesondere
                                                  auch für die Verwandten aus Deutschland

                                            — 17 —
Der Maler Martin A. Christ an der Arbeit im Freien   Die Schlossküche in den 1940-er Jahren

von der Lindemann-Seite. So weilt etwa die             Hausfrau zu sein war kein Schimpf-
Tochter von Hugo und Helène Lindemann,                 wort!
Marianne Lindemann, 1943/1944 in Gerzen-               Erinnerungen von Yvonne Losinger-von
see. Sie musste Deutschland nach ihrem an-             Ernst
ti-nazistischen Engagement fluchtartig ver-            «Die folgenden Generationen können
lassen. Zwei Tanten aus Indien sind zu Gast,           nicht wissen, was es alles braucht, um
aber auch viele Freunde, Mitarbeiter der Fir-          eine Vielfalt von Angehörigen, Angestell-
ma, Gäste von nah und fern, Musiker, Maler             ten und Gästen zu ernähren: sterilisierte
und Bildhauer. Ab 1939 gibt es militärische            Gemüse und Früchte, Gedörrtes, auch
Einquartierungen; Kriegsflüchtlinge aus Po-            Pilze, (…) eingelegte Eier, Surchabis, Ein-
len, Jugoslawien, England und Deutschland              gekellertes, süsser Apfelmost in Bonbon-
leben zeitweilig im Schloss und auch drei              nen, Schweinefett, ausgelassene Butter….
Rotkreuzkinder finden für einige Wochen                Das Brennen von eigenem Schnaps aus
Ruhe und Erholung.                                     Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen, Äpfeln
Nach dem Tod seines Vaters übernimmt                   gehörte auch dazu. Und Heilkräuter! (…)
Vinzenz Losinger das «Neue Schloss». In                Den Frigidaire kannte und schätzte man.
den nahezu dreissig Jahren, die er mit seiner          Der Turmix war ein Wunderding. Wasch-
Frau Samra und den neun Kindern in Ger-                oder Abwaschmaschine? Unbekannt, das
zensee lebt, kümmert er sich intensiv um               Tiefkühlen erst recht. Und der Kaffee! Die
Erneuerung und Erhalt des Anwesens.                    rohen Bohnen röstete man selber und
                                                       mahlte die jeweils nötige Portion. Nesca-
                                                       fé? Unvorstellbar. Hausfrau zu sein war
                                                       kein Schimpfwort!»

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Intérieur in den 1970-er Jahren

Vinzenz Losinger modernisiert die Anlage            Vinzenz Losinger (*1935)
und realisiert mehrere grosse Bauprojekte:          Studium in Lausanne und an der ETH
Gemeinsam mit Jürg Stuker, dem Besitzer             Zürich, 1958 Bauingenieur. 1959 Eintritt in
des «Alten Schlosses», baut er die Gasthöfe         die Losinger AG, ab 1962 Vorsitzender der
«Goldenes Kreuz» und «Bären». Das alte, in-         Geschäftsleitung, 1970 - 1986 Delegierter
zwischen zu kleine Gärtnerhaus wird abgeris-        und 1970-1991 Präsident des Verwaltungs-
sen und am neuen Standort auf der Ostseite          rats. Unter Vinzenz Losingers Vorsitz entwi-
der Anlage neu gebaut. Es entsteht eine Reit-       ckelt sich die Firma zur grössten, weltweit
halle. Die Stallungen verlegt er vom Ostflügel      tätigen schweizerischen Baufirma dank
in die Schlossscheune. Der nun freie Ostflü-        Bauleistungen aller Art. 1965 Gründung
gel wird renoviert und dient als Bürotrakt. Das     einer Generalunternehmung, 1968 Bör-
frühere Peristyl – eine seitlich offene, über-      senkotierung. 1980 beschäftigt die Firma
deckte Säulenhalle – das an der Westseite des       5400 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen
Haupthauses die Gartenterrasse begrenzt,            Umsatz von 650 Mio. Franken. 1991 tritt
baut er zu einem Schwimmbad aus.                    Vinzenz Losinger aus der Firma aus und
1980 verkauft Vinzenz Losinger das «Neue            beteiligt sich an einer Beratungsfirma. Er
Schloss» und zieht mit seiner Familie in die Ber-   ist Mitbegründer der Gruppe der schweiz.
ner Altstadt. Die Schweizerische Nationalbank       Bauindustrie und der Schweiz. Bauwirt-
erwirbt das gesamte Anwesen mit dem Ziel,           schaftskonferenz, Mitglied der Schweiz.
ein Ausbildungszentrum für Bankfachkräfte           Handelskammer, Präsident des Handels-
aus aller Welt aufzubauen, Veranstaltungen mit      und Industrievereins des Kantons Bern
wissenschaftlichem Anspruch aus dem Interes-        und Mitglied des Wirtschaftsausschusses
senbereich der Zentralbanken zu garantieren         der FDP Schweiz.
und ein Forum für Drittnutzung zu bieten.

                                             — 19 —
Das Organisationskommittee des Dorffestes 1953   Intérieur in den 1970-er Jahren (Neubau)

  Schlossherr im Bauerndorf                       dert. Nach den Kindheits- und Schuljahren
  In einer bäurisch-ländlichen Gemeinde           in Gerzensee gehörte er zum Dorf. Ledig-
  wie Gerzensee, wo gesellschaftlichen            lich sein aussergewöhnliches ‹Wohnhaus›,
  Hierarchien noch mehr Beachtung ge-             später seine Ausbildung und das interna-
  schenkt wurde, war man als Schlossbe-           tionale berufliche Engagement liessen ihn
  sitzer schon etwas «Besonderes», erinnert       zu einem etwas besonderen Dorfbewoh-
  sich Vinzenz Losinger. Vor allem sein           ner werden: Ein Weltenbürger mit Wurzeln
  Grossvater, Edmond von Ernst, habe noch         im Bauerndorf.
  auf der aristokratischen Autorität beharrt.
  Sein Vater, Eugen Losinger, habe als Res-
  pektsperson gegolten, stammte aber im
  Gegensatz zum Grossvater von Ernst aus
  einem bürgerlichen Haushalt. Man habe
  zu den Zeiten seines Vaters zwar alle im
  Dorf gekannt, aber eine gewisse Distanz
  habe dennoch bestanden. Seine Mutter,
  Yvonne Losinger, habe am Dorfleben An-
  teil genommen: Ein grosser Teil des Dorf-
  festes zur Einweihung des neuen Schul-
  hauses fand im Schloss und im Schlosshof
  statt und Yvonne Losinger engagierte sich
  im Vorbereitungskomitee.
  Als Vinzenz Losinger selbst Herr im «Neuen
  Schloss» wurde, hatten sich die Zeiten geän-

                                            — 20 —
Liste der zum «Neuen Schloss» gehörenden Gebäude (Eintrag im Urbar von 1813)

Seesicht                                              Grundbesitz und Magistratur
                                                      Das Patriziat schafft sich seinen eigenen
und Alpenblick                                        Lebensstil, der sich von der bürgerlichen
                                                      Lebensweise unterscheidet. Man wohnt
Die Besitzungen
                                                      in prächtigen Villen in der Stadt und auf
des «Neuen Schlosses»
                                                      dem Land. Die Patrizier nehmen die fran-
Nachdem Franz Emanuel Anton von Graf-                 zösische Sprache und Kultur an, pflegen
fenried (1728 - 1778) den Herrschaftssitz 1755        höfische Umgangsformen – am Hof wird
vom «Alten» ins «Neue Schloss» verlegt hat,           man «höflich». In Bern wird der Handel als
ergibt sich eine für schweizerische Verhält-          eines Adligen unwürdig betrachtet und
nisse beachtliche Ansammlung von Land,                ist deshalb für alle Mitglieder des Rates
Wald und Liegenschaften. Auch der ganze               verboten. Der Stolz des Patriziats liegt im
Gerzensee samt einem umlaufenden Ufer-                Grundbesitz und in der Magistratur. So
stück gehört zu den Besitzungen.                      bilden denn auch der Grundbesitz, der
So verzeichnet das Urbar im Jahr 1813 eine            Dienst in fremden Heeren und die Beklei-
umfangreiche Liste «An Gebäuden», «An                 dung von Staatsämtern die Basis der gros-
Brunnen» und «An Erdrich». Zu den «Ge-                sen Vermögen.
bäuden» gehören «Das Schloss mit seinen
angefügten Flügeln», der «Hoof» mit dem
«Portal», «zwei Brunnen» und «zwei Spring-
brunnen», die «Terrasse mit dem Cabinet,
der Springbrunnen» und die «Gärten». Zum
Gut gehören weiter «Das Lehenhaus», «Das
Küherhaus», «Das Back- und Waschhaus»,

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Der eingesunkene Bootsunterstand               Das neue Bootshaus

«Das Backofenhaus», «Die Behausung», «Das      das Herrenhaus. Im «Mühlestöckli» werden
Ofenhaus» und schliesslich «Der Schiff-        das Getreide aus dem Gutsbetrieb und die
Scherm am See».                                Ernte der Bauern aus dem Dorf gemahlen.
Als die Familie Lindemann 1918 das «Neue       Die Versorgung mit elektrischem Strom
Schloss» erwirbt, gehören vier Pachtgüter      setzt dem wasserbetriebenen Müllereige-
(Schlossgut, Seescheune, Turmgut und           werbe ein Ende; der Mühlebach wird einge-
Mühlegut), Wald und der See dazu. Die          dolt. Berthold von Erlach, der sich früh um
Bank Misr verkauft zwei der vier Pacht-        die Versorgung mit elektrischem Strom be-
güter: das Turmgut kommt in den Besitz         müht, verlegt den Abfluss des Gerzensees
der Basler Familie Senn. Das Mühlegut,         zur Stromproduktion in eine Druckleitung
wo einst eine Müllerei betrieben wurde,        und baut im Gürbetal ein kleines Kraftwerk.
geht an die Familie von Fischer. Eugen         Das offene Gerinne, an dem in Mühledorf
Losinger dehnt die Besitzungen wieder          die Mühle stand, verschwindet.
aus: Er kauft das «Alte Schloss» von der Fa-   Die Einführung der Stallhaltung, die ge-
milie von May, um das zugehörige Land          zielte Viehzucht und der Einsatz von
und den Wald zu erhalten. Das Gebäude          Düngemitteln bringen im 19. Jh. markan-
selbst gibt er bald wieder aus der Hand:       te Ertragssteigerungen, so dass die land-
Der Antiquar Jürg Stuker wird neuer Herr       wirtschaftliche Nutzung willkommene
im «Alten Schloss».                            Zusatzeinnahmen bringt. Der Stellenwert
Wie die meisten Landsitze wurde auch das       der Selbstversorgung wächst während
«Neue Schloss» als Landgut mit Pachtgü-        den Kriegsjahren: Eugen Losinger lässt
tern, Landbesitz und Ökonomiegebäuden          während des 2. Weltkriegs einen grossen
angelegt. Der landwirtschaftliche Betrieb –    Gemüsegarten anlegen und betreibt eine
meist von einem Pächter geführt – versorgt     kleine «Anbauschlacht» mittels eines neu

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Eugen Losinger war ein passionierter Fischer

erstellten Gewächshauses, Treibbeeten, ei-         stand zu verflüssigen. Die heftigen Erschüt-
ner Orangerie und einer Humusanlage.               terungen bei der Sprengung der Baum­
Vinzenz Losinger legt später die See- und          strünke lassen das Ufer einbrechen: Der
die Schlossscheune – zwei bislang eigen-           den See umfassende Uferstreifen im Besitz
ständige Landwirtschaftsbetriebe – zusam­          des Schlossherrn Eugen Losinger sinkt auf
men und lässt sie von einem Verwalter              einem langen Stück samt Bootsunterstand
führen. Vinzenz Losinger verhilft Gerzensee        ein. Die Familie de Meuron, die das «Freud-
zu einer modernen Wasserversorgung: In-            heim» besitzt, darf sich unverhofft über
dem er die Wasserrechte auf dem Belpberg           den neuen, direkten Seezugang freuen! Ein
günstig an die Gemeinde verkauft, leistet er       Zustand, den der Schlossherr nicht dulden
einen entscheidenden Beitrag zur Entwick-          kann. Doch man einigt sich gütlich: Eugen
lung des Dorfes.                                   Losinger verzichtet auf eine Klage wegen
                                                   der Sprengung und die Familie de Meuron
Sorgen rund um den See                             gibt dem Nachbarn den ‹neuen› Uferstrei-
Ganz im Sinne der «Anbauschlacht» agiert           fen zurück. Als Gegenleistung baut Eugen
auch der Pächter des «Freudheims», als er          Losinger einen neuen Bootsunterstand.
im Winter 1944 zur Gewinnung von Land-             Das Westufer des Sees wird später neu ge-
wirtschaftsland in der Ebene am westlichen         staltet – Vater und Sohn Losinger pflanzen
Seeufer Bäume fällt und die Baumstrünke            einen schönen Baumbestand an.
wegsprengt. Die Aktion mündet in eine
kleine Katastrophe. Die baumbestandene
Ebene liegt auf einer Schicht Seekreide. Die-
se Masse hat die Eigenart, im Ruhezustand
fest zu sein, sich aber im Erschütterungszu-

                                               — 23 —
Bis in die 1970-er Jahre war der See ein «Schlöfli»-Paradies

  Fischers Fritz fischt frischen Hecht…                  Unter Schutz
  Als leidenschaftlicher Fischer pflegte Eu-             Der See macht den Schlossbesitzern mehr-
  gen Losinger den Fischbestand. Da der See              mals Sorgen. Nach der beträchtlichen Aufre-
  zum privaten Schlossbesitz gehört, störte              gung, die der Ufereinbruch verursacht, tritt
  ihn die illegale Fischerei, die insbesondere           ein übel riechendes Problem auf: Ende der
  während des 2. Weltkrieges einsetzte und               1940-er Jahre breitet sich zum ersten Mal
  die vornehmlich dem Hecht galt, der sich               die Burgunderalge auf der Seeoberfläche
  im Gerzensee tummelte. Eugen Losinger                  aus. Wie damals üblich wird das Abwasser
  löste das Problem elegant: Der Dorfpoli-               des ganzen Dorfes ungeklärt direkt in den
  zist von Gerzensee, ein Freund und ebenso              See geleitet. Die Verschmutzung lässt die
  passionierter Fischer, erhielt die Fischerei-          Alge blühen: Bald bedeckt sie den ganzen
  erlaubnis vom Schlossherrn. Damit war                  See und verwandelt das vormals herrlich fri-
  eine gewisse Ordnung sichergestellt, wie               sche Gewässer in eine rotleuchtende, faulig
  sich Vinzenz Losinger erinnert. Der Hecht              riechende Kloake. Diesem unerfreulichen
  diente während der Kriegsjahre als be-                 Zustand setzen Yvonne Losinger und die
  liebter Fleischersatz – auch im Schloss sei            Gemeinde Gerzensee gemeinsam ein Ende:
  kaum Fleisch, aber regelmässig Hecht auf-              Die Gemeinde erstellt unbürokratisch und
  getischt worden.                                       schnell eine Abwasserleitung für das Dorf
                                                         und rettet den See vor weiteren Verschmut-
                                                         zungen. Die Abwasserleitung führt – heute
                                                         undenkbar – in ein anderes Gewässer: in die
                                                         Aare.
                                                         Bald droht Unbill von ganz anderer Seite:
                                                         In den 1960-er Jahren gefährdet ein Bau-

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Historische Aufnahme des Sees

projekt für Liegenschaften in Seenähe das         laufen. Bis in die 1970-er Jahre sei der See
Paradies für Tier- und Pflanzenwelt am See-       regelmässig zugefroren, erinnert sich Vin-
ufer. Vinzenz Losinger ergreift die Initiative,   zenz Losinger. Das «Schlöfliparadies» Ger-
um den ganzen See und das Seeufer unter           zensee lockte Besucher aus dem ganzen
Naturschutz stellen zu lassen. Das Vorhaben       Kanton Bern an; die Seegasse sei jeweils
gelingt. Seit 1965 sind der See und der ge-       völlig von wild parkierten Autos überstellt
samte Uferbereich geschützt.                      gewesen. Bald einmal stellte sich die Frage
                                                  nach der Sicherheit: die Gemeinden rund
«Schlöfli-» und Badeparadies                      um den See platzierten gemeinsam Warn-
Seen sind wunderbare Badegewässer – auch          tafeln und Rettungsgeräte.
wenn sie in Privatbesitz sein mögen. Vin-
zenz Losinger mochte der Bevölkerung
aus den Seeanstössergemeinden das Ver-
gnügen eines sommerlichen Bades nicht
verwehren: die Badeplätze in Kirchdorf
und Mühledorf gehen auf seine Initiative
zurück. Allerdings ist das Baden der Bevöl-
kerung dieser Gemeinden vorbehalten –
man fürchtet auch heute noch einen Besu-
cheransturm, wie er in früheren Zeiten bei
einer «Seegfrörni» (zugefrorene Seeober-
fläche) herrschte. Die Besucher kamen in
der Winterzeit natürlich nicht zum Baden,
sondern zum «Schlöfle», zum Schlittschuh-

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Gartenanlage mit Terrasse                        Brunnenbecken auf dem 1. Parterre

Der Schlossgarten:                               Gartenanlage bis zur Seeallee.
                                                 Dieser klare Aufbau steht im Dienst einer
Barocke Pracht                                   sinnbildlichen, für die Barockzeit charakte-
und romantisches                                 ristischen Aussage, die in Schloss Versailles
                                                 ihre Vollendung fand: Der Schlossherr ist
Arboretum                                        das Zentrum, dem sich alle unterzuordnen
                                                 haben. Selbst die Natur spiegelt die Ord-
 Die Gartenanlage geht auf den Erbauer des       nungsmacht des barocken Herrschers: Bis
 «Neuen Schlosses», Samuel Morlot, zurück.       gegen Ende des 18. Jahrhunderts werden
 Am gegen den See abfallenden Südhang            die oft anzutreffenden Eiben präzise zu
– zu Füssen des neu errichteten Herrschafts-     Kugeln oder spitz auslaufenden Säulen ge-
 hauses – lässt er zwei Terrassen anlegen.       schnitten. Um 1800 wird diese strikte Form-
 Zweiläufige Freitreppen verbinden die           gebung als altmodisch empfunden – die
 Parterres mit der grossen Terrasse vor dem      starren Formen werden aufgebrochen. Die
 Herrschaftshaus. Nicht erhaltene Pavillons      Anlagen entwickeln sich zu Landschafts-
 rahmen beidseitig die barocke Balustrade.       gärten und werden in die freie Landschaft
 Die Anlage folgt dem zeitgenössischen           hinaus erweitert. Der Blick auf die Alpen
 Geschmack und ist den strengen, formalen        wird wichtig: 1729 zelebriert Albrecht von
 Kriterien des Barock verpflichtet: Im Mittel-   Haller in seinem Gedicht «Die Alpen» einen
 punkt liegt das Schloss, um das sich alles      gefühlsbetonten Zugang zur Natur. Natur
 gruppiert. Die Parterres, Bassins und Alleen    wird nicht mehr beherrscht und bezwun-
 fügen sich einer streng entlang einer Achse     gen. Sie wird vielmehr bestaunt – man gibt
 aufgebauten Symmetrie – diese weist von         sich vor grandiosem Panorama der «rêverie»
 der Eingangsallee durch die Höfe hin zur        hin. Hier hat das Peristyl eine wichtige Auf-

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Die Allee führt vom Garten direkt an den See       Wahrzeichen von Gerzensee: Pappeln am Dorfrand

gabe. Diese seitlich offene, überdeckte Säu-       «Eine Landschaft
lenhalle, die den westlichen Teil der Terrasse     wie auf alten Bildern…»
begrenzte, zeigt den fliessenden Übergang          «Eine Landschaft wie auf alten Bildern»
zwischen Innen- und Aussenraum an: die             schwebt Vinzenz Losinger bei der Gestal-
Menschen öffnen sich der Schönheit der Na-         tung der Landschaft und des Gartens vor.
tur und geben sich ihren Empfindungen hin.         An der Seegasse lässt er viele verschiedene
                                                   Eichenarten als Allee anpflanzen. An der
  Die Alpen                                        Ostseite der Gartenanlage erweitert er den
  Die empfindsame Hirten-Begeisterung der          Baumbestand zu einem Arboretum mit
  Salons und aufklärerisches Streben nach          Baumarten aus aller Welt: Nutka-Scheinzy-
  Wissen finden in den Alpen ein gemeinsa-         presse, Schnurbaum, Hängeform der Fichte,
  mes Objekt. Die Elite Europas unternimmt         Blutbuche, Mammutbaum, Scheinzypres-
  Reisen in die Schweiz. Die Begeisterung          se, Amerikanischer Amerbaum, Perücken-
  für die unverdorbene Welt der Alpen und          strauch, Chinesischer Rotholz, Hiba-Lebens-
  Hirten prägt das Selbstbewusstsein der           baum, Bluthasel, Parrotie, Silberpappel sind
  Eidgenossen. Albrecht von Haller, der be-        zu einem romantischen, lichten Wald her-
  deutendste Gelehrte der Schweiz im 18. Jh.,      angewachsen. Er führt damit fort, was sein
  trifft die Alpen-Begeisterung in seinem Ge-      Vater begann: Dieser liess die zum See hi-
  dicht «Die Alpen»: es stellt das naturnahe       nunterführende Allee neu bepflanzen; das
  Leben der Alpenbewohner den verdorbe-            nördliche Seeufer erfuhr eine Neugestal-
  nen Sitten der Städter gegenüber.                tung mit Einbezug des alten Baumbestan-
  Die Alpen verstärken die Idee einer ge-          des. Auf der zweiten Terrasse wurden neue
  meinsamen Geschichte, sie sind das Herz          Fruchtspaliere gesetzt und der befreundete
  des Landes und das Symbol der Freiheit.          Bildhauer Max Fueter schuf zu Beginn der

                                               — 27 —
Vernissage des Brunnenbeckens von Max Fueter      Yvonne Losinger im Findlingsgarten

1950-er Jahre für die erste Terrasse ein neu-
es Brunnenbecken.

  Frau Lindemanns Findlinge
  Helène Lindemann sammelte zu ihren
  Zeiten als Schlossherrin leidenschaftlich
  Findlinge. Sie platzierte die Steine sorgfäl-
  tig in einem grossen Teil des Gartens auf
  der Ostseite. Yvonne und Eugen Losinger
  teilten die steinerne Leidenschaft ihrer
  Vorgängerin nicht. Sie liessen sämtliche
  Findlinge entfernen – vier volle Camion-
  ladungen – und vermauerten sie in einem
  Anwesen am Murtensee.

Der prächtige Baumbestand des «Neu-
en Schlosses» ist zum weithin sichtbaren
Wahrzeichen von Gerzensee herangewach-
sen: Die fünfzehn markanten Pappeln beim
Dorfeingang werden 1951 von Eugen Lo-
singers Witwe, Yvonne Losinger-von Ernst,
gepflanzt.

                                             — 28 —
Die Bibliothek wird auch für Empfänge genutzt       Business Lunch in historischer Ambiance

Neue Studien                                        Denkmalpflege das Innere des «Neuen
                                                    Schlosses» um – modernste Technik hält in
in alten Mauern                                     den alten Mauern Einzug. Georg Rich, der
                                                    damalige Chefökonom der Nationalbank,
Im Vorfeld ihres 75-jährigen Jubiläums              ist verantwortlich für die Planung der inhalt-
prüft die Schweizerische Nationalbank ver-          lichen Ausrichtung des Studienzentrums.
schiedene Möglichkeiten, dieses Ereignis            Fritz Leutwiler regt die Gründung einer
gebührend zu feiern: Die Platzierung eines          Stiftung an: Mitte 1984 wird die juristisch
Kunstwerks oder die Finanzierung eines              selbständige Stiftung «Studienzentrum Ger-
Lehrstuhls gehörten zu den ersten Ideen.            zensee, Stiftung der Schweizerischen Natio-
Schliesslich entscheiden sich die Verant-           nalbank» ins Leben gerufen. Im Mai 1986
wortlichen für den Kauf des «Neuen Schlos-          ist es dann soweit: Das Studienzentrum
ses» Gerzensee mit dem Ziel, im geschichts-         Gerzensee empfängt die ersten Vertreter
trächtigen Anwesen ein Studienzentrum               von 24 verschiedenen Zentralbanken aus
für Bankfachleute einzurichten. Dabei gilt          allen Teilen der Welt. Seither treffen sich im
es, den ehemaligen Herrschaftssitz mit              Studienzentrum Zentralbankmitarbeitende,
sanften Umbauten und Renovationen den               Bankfachleute, Forscher und Doktorieren-
Anforderungen eines Ausbildungszentrums             de zu Kursen und internationalen Konfe-
anzupassen. Das Architekturbüro Hebei-              renzen. Diverse Firmen und Verwaltungen
sen und Vatter gewinnt den von der Natio-           schätzen die ruhige und aussichtsreiche
nalbank ausgeschriebenen Wettbewerb.                Lage sowie die moderne Infrastruktur des
Unter der Ägide von Hans Meyer gestaltet            Studienzentrums und führen ihre Seminare
das Architekturbüro unter Mitwirkung der            und Tagungen im «Neuen Schloss» durch.
Gemeindebehörden und der kantonalen                 Mit seinen bemerkenswerten Aktivitäten

                                                — 29 —
Unterricht im PC-Labor                          Konferenz in der Aula

hat sich das Studienzentrum Gerzensee im        «Beginners’ Program» hat Mitte der 1990-er
In- und Ausland einen hervorragenden Ruf        Jahre die volkswirtschaftliche Doktoranden-
erworben. Vertreter aus rund 130 Ländern        ausbildung in der Schweiz revolutioniert. Mit
und allen Kontinenten haben Gerzensee-          dem Programm zogen moderne Ausbildungs-
Kurse bis heute besucht. «Gerzensee» ist in-    inhalte und -formen ein. Seit 1995 haben 275
ternational ein Begriff. Zahlreiche Notenban-   Doktoranden das «Beginners’ Program» er-
ken delegieren jedes Jahr Kaderleute zu den     folgreich durchlaufen und nochmals so viele
Kursen in Gerzensee, denen sie ein hohes Ni-    haben einzelne Blöcke davon abgeschlossen.
veau attestieren. Mittlerweile nehmen auch
Teilnehmer aus hochentwickelten Ländern         Erhalt der Liegenschaften
daran teil.                                     Einen erheblichen Teil der personellen und
Nach und nach wurde das Kursprogramm            finanziellen Ressourcen der Stiftung bean-
erweitert. Durch seine Ausbildungsangebo-       sprucht die Erfüllung des dritten Stiftungs-
te für Mitarbeitende von Finanzinstitutio-      zwecks, der Erhaltung der Liegenschaften.
nen konnte sich das Studienzentrum einen        Nebst der Instandhaltung und Erneuerung
Namen auch im Inland machen.                    der Infrastruktur werden laufend zahlreiche
1988 wurden die besonders beliebten Dok-        Investitionen getätigt. Dazu zählen der Neu-
torandenkurse eingeführt. Im «Beginners’        bzw. Umbau des Gutsbetriebs, die Renatu-
Program» erhalten Doktoranden schweize-         rierung des Seezuflusses, die Erweiterung
rischer Universitäten das theoretische Rüst-    der Cafeteria, die Sanierung des Tennisplat-
zeug. Daneben werden auch Doktoranden-          zes und des Mühleweihers, die Pflege der
kurse für Fortgeschrittene durchgeführt. Den    Gartenanlage und die Erneuerung des Reb-
Unterricht bestreiten Professoren weltweit      bergs, die Sanierung des Bootsstegs, des
führender Universitäten. Insbesondere das       Schlosshofes usw.

                                         — 30 —
Trompe-l’œil-Malereien (Details)

Literatur                                       Stettler, Michael: Lob des Landsitzes, in:
                                                Bernerlob, Versuche zur heimischen Über-
Einwohnergemeinde Gerzensee und Denk-
                                                lieferung. Bern 1963
malpflege des Kantons Bern (Hrsg.): Bauin-
ventar der Gemeinde Gerzensee, Bern 1992.       Languetin, Pierre: Bemerkungen zur Eröff-
                                                nung des Studienzentrums Gerzensee. Ger-
Engler, Claudia: Bibliothek Neues Schloss
                                                zensee, 6. Mai 1986.
Gerzensee. Stadt- und Universitätsbiblio-
thek Bern, Bern 2000.                           Braun, Hans: Morlot, [von], in: Historisches
                                                Lexikon der Schweiz, Bd. 8, Basel 2008, S.
Schnell, Dieter: Berner Architektur im 18.
                                                738-739.
Jahrhundert, in: Berns goldene Zeit. Das
18. Jahrhundert neu entdeckt. Bern 2008, S.     Zürcher, Christoph: Losinger, Eugen, in:
302-311.                                        Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 8, Ba-
                                                sel 2008, S. 47.
Schweizer, Jürg: Schlösser, Landsitze, Cam-
pagnen, in: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahr-   Zürcher, Christoph: Losinger, Vinzenz, in:
hundert neu entdeckt. Bern 2008, S. 316-326.    Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 8, Ba-
                                                sel 2008, S. 48.
Vollwenweider, Franz: Gerzensee. Berner
Heimatbücher III. Verlag Paul Haupt, Bern       Diverse historische Dokumente aus dem Ar-
1972.                                           chiv des Studienzentrums Gerzensee.
Reber, C.M.: Gerzensee. Ein Stück alter und
neuer Berner Geschichte. Wyss, Bern 1919.

                                         — 31 —
Eugen Losinger versah die Räume mit historischen Kachelöfen

Bildnachweis                                        Dank
Burgerbibliothek Bern:                              Vinzenz Losinger für seine Auskünfte, die
S. 7 rechts (Neg. M3); S. 14 (Neg. FN.G.C.362       Öffnung seines Privatarchivs und die inter-
u. Gr.C 202).                                       essierte und hilfreiche Begleitung der Arbeit
                                                    an der Jubiläumsschrift sowie für die kriti-
Fotoarchiv Studienzentrum Gerzensee:
                                                    sche Durchsicht der Manuskriptentwürfe.
Umschlagseite vorne; S. 2, 3, 4, 6, 10, 11, 26,
27, 29, 30, 31.                                     Daniel Schmutz vom Historischen Museum
                                                    Bern für seine Hinweise zur Kaufkraft alter
Reproduktionen historischer Dokumente
                                                    Währungen.
und Bildträger aus dem Archiv des Studien-
zentrums Gerzensee:                                 Andrea Arnold von der Burgerbibliothek
S. 7 links (Ausschnitt), S. 8, 9, 12, 13 (Aus-      Bern für Ihre Unterstützung bei der Suche
schnitt), 21 (Ausschnitt), Umschlagseite hin-       nach Bildern und Dokumenten zum Neuen
ten (Ausschnitt).                                   Schloss Gerzensee.
Privatarchiv Vinzenz Losinger:
S. 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25, 28.
Sammlung Museum Münsingen:
S. 15 (Inv.-Nr. 6574).

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Vom Herrschaftssitz zum Studienzentrum
Wo einst gnädige Herren und wohlhabende Damen residierten, bilden sich heute Zentralbank-
fachleute aus aller Welt weiter: Das «Neue Schloss» Gerzensee – der ehemalige Herrschafts-
sitz des bäuerlichen Dorfes – ist heute der Sitz des Studienzentrums Gerzensee, einer Stiftung
der Schweizerischen Nationalbank. Die Festschrift anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der
Eröffnung des Studienzentrums Gerzensee lässt die wechselvolle Geschichte des «Neuen
Schlosses» und seiner Besitzer Revue passieren: Im altehrwürdigen Anwesen aus dem frühen
18. Jh. lebten Generationen des Berner Adels, wohlhabende Kaufleute und rührige Bauun-
ternehmer.

Detail aus dem Plan über die Besitzungen von Rudolf Sinner mit Schlossanlage (nach 1738)
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