Das Weimarer Dreieck aus deutscher Sicht: Neuer Schwung, aber keine Überforderung - Stiftung ...

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Publikationsreihe

30 Jahre Weimarer Dreieck:
Idee von gestern oder Konzept für morgen?

N°3, 26. Mai 2021

Kai-Olaf Lang und Ronja Kempin
Das Weimarer Dreieck aus deutscher
Sicht: Neuer Schwung, aber keine
Überforderung

Das Weimarer Dreieck könnte für Deutschland                Deutschland und das Weimarer Dreieck: 30 Jahre
europapolitischen Mehrwert generieren. Der                 Ambivalenz
trilaterale Rahmen eignet sich, um drei wichtige
deutsche Anliegen voranzubringen: den Zusammen-            Aus der Perspektive der Bundesrepublik kommt dem
halt Europas zu sichern, die Legitimität deutscher         Weimarer Dreieck bis heute die Rolle eines Forums zu,
bzw. deutsch-französischer Europapolitik zu verbes-        das Vertrauen stiften, Trennlinien überbrücken und
sern und schwierige Entscheidungsfindungsprozes-           europäische Handlungsfähigkeit verbessern kann. In
se zu erleichtern. Die Erfahrungen aus drei                der Anfangsphase des Dreiecks ging es Berlin darum,
Jahrzehnten Weimarer Kooperation mahnen aber               durch gemeinsames Agieren mit Frankreich zu signali-
zur Vorsicht. Das Dreieck darf nicht überfrachtet          sieren, dass die neue Bundesrepublik keinen mitteleu-
werden, sondern sollte mittels gezielter Schwer-           ropäischen Sonderweg gehen und – lange vor der
punktsetzung mit Inhalten gefüllt werden.                  Osterweiterung von EU und NATO – Stabilität in einer
                                                           ungewissen geopolitischen Lage auf dem Kontinent
Es gibt wenige Konstrukte zwischenstaatlicher Koope-       fördern wollte. In der Periode der sich anbahnenden
ration in Europa, in denen Potenzial und Realität so       EU-Erweiterung wurde das Weimarer Dreieck als
weit auseinanderklaffen wie im Weimarer Dreieck. Den       Plattform gedacht, um Polens EU-Beitritt zu unterstüt-
weitreichenden Möglichkeiten einer vertieften Zusam-       zen. In dieser Frühphase zeigte sich jedoch bereits, dass
menarbeit zwischen Frankreich, Deutschland und             das Dreieck in der politischen Praxis eine eher unterge-
Polen steht eine ernüchternde Bilanz von drei Jahr-        ordnete Rolle spielte. Auch nach dem Vollzug des
zehnten trilateralen Engagements entgegen. Zu den          EU-Beitritts Polens konnte die Dreierzusammenarbeit
größten Schwachstellen des Formats gehört zweifels-        bis auf wenige Ausnahmen keinen rechten Schwung
frei, dass die Beziehungen zwischen den Partnern           entfalten. Dabei hätten die deutschen Interessen an
asymmetrisch sind. Während die deutsch-französische        »Weimar« profilierte Aktivitäten aus Berlin erwarten
Zusammenarbeit auf Grund ihrer Dichte ein Alleinstel-      lassen. Wie Frankreich befürchtete auch Deutschland,
lungsmerkmal besitzt, bleibt die deutsch-polnische         dass eine Aufwertung des Dreierbundes einhergehen
Partnerschaft bei aller Intensität störanfällig. Sie ist   würde mit einer Infragestellung des deutsch-französi-
überdies oft mit sich selbst beschäftigt. Die Beziehun-    schen Duos, seiner Exklusivität und Prägekraft. Bis
gen zwischen Frankreich und Polen schließlich bleiben      heute ist die deutsche Haltung zum Weimarer Dreieck
differenzbeladen und ausbaufähig. Doch auch die            ambivalent. Sie schwankt zwischen demonstrativer
deutsche Haltung hat maßgeblichen Anteil daran, dass       Offenheit und praktischer Zurückhaltung. Paris dräng-
das Weimarer Dreieck hinter seinen Möglichkeiten           te Berlin nicht dazu, sich stärker auf die polnische
bleibt.                                                    Nachfrage nach mehr Weimar einzulassen.
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30 Jahre Weimarer Dreieck:
Idee von gestern oder Konzept für morgen?

N°3, 26. Mai 2021

Mehrwert für die deutsche Europapolitik:                         natürlich in vielen Angelegenheiten keine Patent-
Zusammenhalt – Legitimität – Kompromiss                          lösungen bieten, aber es kann als Vorab-Klärungs-
                                                                 stelle in Einzelfällen durchaus zum Abgleich und
Angesichts der Vielzahl an Krisen und Ungewissheiten,            Ausgleich von Interessen dienen. Ähnlich selektiv
mit denen Europa und die EU gegenwärtig konfrontiert             kann Weimar auch als Impulsgeber ins Spiel
sind, sollte sich Deutschland vor dem Hintergrund                gebracht werden. Mit seinem Gewicht kann es
seiner europapolitischen Interessen trotz aller Unzu-            zumindest Anstöße und Entwicklungsinitiativen
länglichkeiten wieder stärker auf Weimar besinnen.               präsentieren, die nicht ohne Weiteres ignoriert
Gerade bei wichtigen Zielkonstanten deutscher Europa-            werden können.
politik, nämlich der Fortentwicklung der europäischen
Integration bei Stärkung ihrer inneren und äußeren           Für Berlin könnte das Weimarer Dreieck schließlich
Handlungsfähigkeit unter akzeptanzsicherndem                 eine zusätzliche Dialogebene darstellen, über die die
Einbezug möglichst vieler Mitgliedstaaten, könnte das        teils schwierigen Beziehungen zu Polen um europapoli-
Weimarer Dreieck hilfreich sein. Mit seinem Gewicht          tische Themen ergänzt werden könnten. Insbesondere
und seiner Spannweite kann es, so der politische Wille       in für Deutschland wichtigen Fragen der Sicherheits-,
gesichert wird, mehr leisten als andere Gruppenbildun-       Außen- oder Wirtschaftspolitik könnte ein Gleichklang
gen in der EU. Für die deutsche Europapolitik sind drei      mit Polen im Weimarer Dreieck genutzt werden, um
Beiträge von besonderer Bedeutung:                           Frankreichs Einfluss auszubalancieren. Hier geht es
1. Sicherung des Zusammenhalts der EU: Das Dreieck           insbesondere darum, die für Deutschland so wichtige
     überbrückt die alte und abermals bedeutsame             Geschlossenheit der EU-27 zu bewahren und die
     Ost-West-Differenz in der EU. Es bezieht mit Polen      insbesondere von Frankeich befürwortete Differenzie-
     ein Mitgliedsland ein, das nicht Bestandteil der        rung der Integration zu vermeiden. Schließlich würde
     Eurozone ist und das aufgrund von Konflikten über       das Weimarer Dreieck Berlin auch die Möglichkeit
     Fragen der Rechtsstaatlichkeit mit Brüssel und          eröffnen, Themen trilateral zu besprechen, die deut-
     auch mit Berlin und Paris über Kreuz liegt. Mehr        schen Interessen entgegenstehen. Dazu gehört etwa die
     Weimar hieße daher symbolisch wie praktisch             französisch-polnische Kooperation in der Energiepoli-
     mehr Einheit der EU – eine Priorität der deutschen      tik, insbesondere beim Thema Atomkraft.
     Europapolitik.
2. Mehr Legitimität: Die dreiseitige Zusammenarbeit ist      Neue Akzente in der Außen-, Sicherheits- und
     vielleicht kein Gegenentwurf zur gerade in Polen,       Verteidigungspolitik
     aber auch in vielen anderen Mitgliedstaaten
     kritisierten (vermeintlichen) deutsch-französi-         Dem Weimarer Dreieck muss neuer Schwung verliehen
     schen Hegemonie in der Gemeinschaft, aber sie ist,      werden. Nur so wird es in der Lage sein, die genannten
     so sie aufgewertet würde, zumindest ein Beleg für       Beiträge zu erbringen. In der Außen-, Sicherheits- und
     ein ernsthaftes Bemühen, »Öffnungen« des                Verteidigungspolitik sollte Deutschland seine Partner
     deutsch-französischen Paares bzw. Andockstellen         zu einem realistischen Dialog über die strategische
     an den Dialog zwischen Paris und Berlin zu              Autonomie Europas einladen. Im Mittelpunkt der
     schaffen.                                               Verständigung sollten konzeptionelle Überlegungen
3. Forum zur Vorbereitung von Kompromissen in europäischen   stehen, die darauf abzielen, den Übergang zu mehr
     Verhandlungsprozessen: Dieses Anliegen ist ambitio-     Unabhängigkeit von den USA zu beschreiben. Alle drei
     niert, aber durchaus machbar. Weimar wird               Weimar-Staaten stimmen darin überein, dass Europa
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Idee von gestern oder Konzept für morgen?

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nicht in ein sicherheits- und verteidigungspolitisches     Herausarbeitung eines neuen Narrativs für realistische
Vakuum geraten darf.                                       Entwicklungsmöglichkeiten der ÖP beitragen und
                                                           dabei Aussichten vor allem für die an einer weiteren
Parallel dazu sollte Berlin die verteidigungspolitische    Annäherung an die EU interessierten Länder mit
Zusammenarbeit vorantreiben: Polen sollte die Mög-         Assoziierungsabkommen formulieren.
lichkeit eröffnet werden, sich am deutsch-französi-
schen Panzerprojekt Main Ground Combat System (MGCS)       Impulse bei Zukunftsthemen: Klima,
zu beteiligen. Französische Streitkräfte sollten an das    Digitalisierung, Industriepolitik
Multinationale Korps Nord-Ost (MNC NE) in Stettin
entsandt und ein polnischer Heeresverband in die           Das Weimarer Dreieck sollte schließlich Impulse setzen
deutsch-französische Brigade integriert werden. Im         bei den Zukunftsthemen Klimaschutz, Digitalisierung
Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenar-            und Industriepolitik. Wie alle anderen Mitgliedstaaten
beit der EU sollte Deutschland schließlich Projekte        stehen Frankreich, Deutschland und Polen vor vielfälti-
vorschlagen, an denen Frankreich, Polen und Deutsch-       gen Herausforderungen mit der anstehenden Transfor-
land beteiligt sind. Im Mittelpunkt könnte der Aufbau      mation von Industrie, Energiesektoren, Mobilität und
von Fähigkeiten stehen, die Cyberangriffe und Desin-       zahlreichen anderen Bereichen des Wirtschaftslebens.
formationskampagnen verhindern.                            Angesichts ihrer starken produzierenden Basis und
                                                           einer hohen Weltmarktintegration haben die drei
In der Nachbarschaftspolitik sollte Berlin einen Vorstoß   Länder trotz abweichender industrieller und energie-
zur Abstimmung des ostpolitischen Handelns machen.         wirtschaftlicher Profile ein gemeinsames Interesse an
Belarus bietet sich als Testfall besonders an, obgleich    einer entschlossenen und raschen Modernisierung
sich die Interessen der Weimar-Staaten hier bereits        ihrer Volkswirtschaften durch die Stärkung von Inno-
stark gleichen. Im Zusammenhang mit den Ereignissen        vationsvermögen, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit.
auf dem Kiewer Maidan zeigten die Außenminister des        Die Wirtschaftsministerien der drei Länder hatten
Weimarer Dreiecks 2014, dass das Dreieck auch in           bereits im Juli 2019 eine gemeinsame Initiative zur
einem heißen Konflikt eine Rolle spielen kann. Derlei      EU-Wettbewerbspolitik vorgelegt. Angesichts der
Fähigkeiten könnten punktuell auch in anderen              Anpassungserfordernisse des Green Deal sowie des
herausfordernden Situationen in der europäischen           digitalen Wandels könnten sie unter Bezugnahme auf
Nachbarschaft genutzt werden. Es wäre aber vermes-         die zwischenzeitlich vorgelegte Industriestrategie der
sen, das Weimarer Dreieck zu einem Instrument des          EU einen neuerlichen Vorstoß unternehmen, bei dem
Krisenmanagements hochzustilisieren. Wegen ihrer           die Förderung strategischer Industriezweige sowie die
unterschiedlichen geopolitischen Prioritäten würden        Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unter den neuen
die Partner des Dreiecks an dieser Aufgabe scheitern. In   Rahmenbedingungen und in Anbetracht der Erfahrung
der Politik der Östlichen Partnerschaft (ÖP) könnte das    der Corona-Pandemie berücksichtigt werden.
Weimarer Dreieck gleichwohl auf der Grundlage der im
März 2020 veröffentlichten Gemeinsamen Mitteilung          Über diesen Kontext hinausreichend könnten die
der EU mit ihren fünf Prioritäten für die ÖP nach 2020     Partner des Weimarer Dreiecks gemeinsam über die
(die vermutlich auch nach dem 2021 anstehenden             Zukunft der energiewirtschaftlichen Basis klimaorien-
ÖP-Gipfel Bestand haben werden) Perspektiven für           tierten Wirtschaftens in der EU nachdenken. Die sich
deren Weiterentwicklung eröffnen. Gemeinsame               abzeichnende Annäherung Frankreichs und Polens in
Erklärungen auf hoher politischer Ebene könnten zur        Fragen der Kernenergie (Polen plant, in die Atomkraft
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30 Jahre Weimarer Dreieck:
Idee von gestern oder Konzept für morgen?

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einzusteigen) steht im Gegensatz zu Deutschlands
Ausstiegsplänen. Hierbei würde es nicht darum gehen,
die jeweils anderen Seiten von ihrer Grundsatzent-
scheidung abzubringen, aber über die energie-, klima-
und europapolitischen Folgen abweichender Strukturen
im Energiemix nachzudenken.

Bei all diesen Projekten gilt gleichsam: Die Weimarer
Zusammenarbeit darf nicht überfordert werden. Die
Erfahrungen aus den letzten dreißig Jahren mahnen zu
Bescheidenheit und Realismus. Die Weimarer Zusam-
menarbeit gelingt, wenn sie sichtbar und spürbar ist,
aber vor allem mit Schwerpunktsetzungen und einem
Gespür für das Machbare betrieben wird.
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Autoren                                                         Herausgeber
Ronja Kempin und Kai-Olaf Lang sind Senior Fellows in der       Stiftung Genshagen
Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft            Am Schloss 1
und Politik (SWP) in Berlin                                     D-14974 Genshagen
                                                                www.stiftung-genshagen.de
Die Publikationsreihe                                           institut@stiftung-genshagen.de
Die Reihe »30 Jahre Weimarer Dreieck – Idee von gestern
oder Konzept von morgen?« beleuchtet die Entwicklung            © Stiftung Genshagen, 2021
und gegenwärtige Verfasstheit dieses trilateralen Formats
aus verschiedenen Blickwinkeln und formuliert Ideen             Stiftung Genshagen
für seine zukünftige Ausgestaltung. Während im ersten           Die Stiftung Genshagen ist eine gemeinnützige Stiftung
Teil der Reihe das Weimarer Dreieck aus deutscher,              bürgerlichen Rechts. Stifter sind die Beauftragte der
französischer und polnischer Perspektive ergründet wird,        Bundesregierung für Kultur und Medien und das Land
fokussiert der zweite Teil auf seine Wirkung in den             Brandenburg. Die Stiftung ist eine Plattform des Aus-
Bereichen internationaler, grenzüberschreitender und            tauschs zwischen Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissen-
kulturell-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit.               schaft, Kultur und Zivilgesellschaft. Sie fördert den Dialog
                                                                zwischen Deutschland, Frankreich und Polen im Sinne
#SGWeimarTriangle30                                             des »Weimarer Dreiecks«. Wichtigster Drittmittelgeber ist
                                                                das Auswärtige Amt.
Diese Publikationsreihe gibt ausschließlich die Meinung
der Autorinnen und Autoren wieder. Alle Rechte vorbe-           Möchten Sie die Arbeit der Stiftung Genshagen
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Bisherige Publikationen                                         Kontakt: foerderverein@stiftung-genshagen.de

No 1: Jakub Wiśniewski: Back to basics – ein Neustart
für das Weimarer Dreieck                                        Unsere Stifter:

No 2: Paul Maurice: Das Weimarer Dreieck – ein geopolitisches
Zukunftsmodell aus französischer Perspektive

                                                                Die vorliegende Publikationsreihe erscheint mit freundlicher
                                                                Unterstützung von:
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