Demenztest für Menschen mit Intelligenzminderung - Ostfalia
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Testbesprechung https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25 Demenztest für Menschen mit Intelligenzminderung Jessica Wagner und Christoph Weber Hintergrund bzw. individuelle Cut-off-Werte zum Vergleich der Test- leistungen von Menschen mit IM mit und ohne Demenz. Menschen mit Intelligenzminderung (IM) erreichen heute Bei Menschen mit IM ist aufgrund der starken Schwan- ein höheres Lebensalter und können ebenfalls häufiger kungen des vorhandenen prämorbiden Niveaus ein Ver- eine Demenz entwickeln (vgl. Sappok & Diefenbacher, gleich von Werten mit der Allgemeinbevölkerung nicht 2011; Silverman, Zigman, Krinsky-McHale, Ryan & Schupf, anwendbar (Kuske & Müller, 2019). Die Variabilität von 2013). Sie sind im Vergleich zur durchschnittlichen Bevöl- ersten Demenzanzeichen kann sich bei Menschen mit IM kerung einem bis zu fünffach erhöhten Risiko ausgesetzt, unterscheiden, abhängig vom vorherigen Funktionsni- im Laufe ihres Lebens an einer Demenz zu erkranken veau und der Ursache der IM. So wurden bei Menschen (Strydom, Chan, King, Hassiotis & Livingston, 2013). mit Down-Syndrom eher Veränderungen der Persönlich- Menschen mit einer IM zeigen hinsichtlich der klinischen keit, der Gefühlsregulation und Verhaltensveränderungen Symptome einer Demenz Unterschiede zu Menschen wahrgenommen, bevor die sprachlichen Fähigkeiten oder ohne IM auf, was die Diagnose einer Demenz erschweren das Gedächtnis betroffen waren. Im Gegensatz dazu be- kann (Sheehan, Ali & Hassiotis, 2014). Typische Symp- richten Angehörige von Menschen mit IM ohne Down- tome einer Demenz – wie z. B. die Entwicklung von Syndrom eher über einen allgemeinen Abbau und im Ver- Vergesslichkeit, Orientierungsschwierigkeiten, Lern- und lauf von Verhaltens- und psychischen Veränderungen (vgl. Gedächtnisschwierigkeiten, Einschränkungen der alltags- Sheehan et al., 2014). praktischen Fähigkeiten, u. a. Störungen der Exekutiv- Das gestiegene Lebensalter, die überproportional an- funktionen (d. h. der Handlungs- und Planungsfunktio- gestiegene Inzidenz von Demenzen bei Menschen mit nen), liegen bei Menschen mit IM auch ohne eine IM und der verfrühte Krankheitsbeginn zeigen die Not- Demenzentwicklung meist vor. Kognitive Einschränkun- wendigkeit der Weiterentwicklung von Testinstrumenten gen, die bei Menschen mit IM auf eine Demenz zurückge- auf, um bei Menschen mit IM möglichst frühzeitig eine führt werden können, lassen sich nur im Verlauf feststel- Demenzentwicklung diagnostizieren zu können. Es be- len, sodass individuell ein bisheriges Funktionsniveau steht eine größere Bandbreite des Krankheitsverlaufs bei nicht mehr erreicht werden kann (Müller & Kuske, 2019). Menschen mit IM (Müller & Kuske, 2019). Diese wieder- Standardisierte Testverfahren zur Erfassung kognitiver um erfordert eine möglichst multidimensionale Heran- Einschränkungen, wie sie für Menschen ohne IM vorhan- gehensweise bei der Diagnostik (Kruse et al., 2018). den sind, fehlen bisher, um kognitive Einschränkungen, Überlappende Symptome einer psychiatrischen oder die im Rahmen einer Demenz auftreten können, einord- neurologischen Störung oder deren Behandlung mit Psy- nen zu können. Bei gängigen Demenztests erzielen Men- chopharmaka, die wiederum kognitive Störungen her- schen mit IM nur geringe Testwerte, sodass Bodeneffekte vorrufen können, erschweren eine fundierte Diagnose auftreten. Die Aufgabenstellungen sind zu komplex oder und können zu Fehldiagnosen und -behandlungen füh- abstrakt gestaltet, zudem sind viele der Aufgaben sprach- ren (Sappok & Diefenbacher, 2011; Sappok, Diefenba- basiert oder erfordern ein Verständnis der sprachlichen cher & Winterholler, 2019). Instruktionen oder eine sprachliche Reaktion, sodass eine Mit dem Demenztest für Menschen mit Intelligenzmin- Übertragung nicht möglich ist (Kruse, Heinrich, Diefenba- derung (DTIM) können Verdachtsmomente für das Vorlie- cher, Kaiser & Sappok, 2018). Bisher existieren nur wenige gen einer Demenz nun standardisiert multidimensional Testverfahren, um die Diagnose einer Demenz bei Men- erhoben werden. schen mit IM zu untermauern, und es fehlen Normwerte © 2021 Hogrefe Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99 https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000322
96 Testbesprechung Aufbau und Konzeption Durchführung https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25 Der DTIM besteht aus einem neuropsychologischen Test- Die Untersuchung der Patientin oder des Patienten sollte teil und einer Fremdeinschätzung, die von Betreuungsper- gemeinsam mit einer vertrauten Begleitperson erfolgen. sonen zu beantworten ist. Der neuropsychologische Teil Diese dient der emotionalen Unterstützung der Patient_in- enthält Aufgaben zu den Funktionsbereichen: Orientie- nen, kann bei sprachlich beeinträchtigten Patient_innen rung, Sprache, Aufmerksamkeit & Konzentration, Ge- eine vermittelnde Funktion einnehmen und darüber hin- dächtnis, Planen & Handeln, Abstrakt-logisches Denken aus die Fragebögen zur Fremdbeurteilung bearbeiten. Die und Wahrnehmung & Konstruktion. Insgesamt bearbeitet oder der Untersuchende liest den Patient_innen die Items der die Patientin oder der Patient im Rahmen der neuro- in der durch den Protokollbogen vorgegebenen Reihenfol- psychologischen Untersuchung 43 Aufgaben, welche den ge vor und bewertet deren Antwort je nach Richtigkeit mit o. g. Funktionsbereichen zugeordnet werden können (sie- der entsprechenden Punktzahl. Zeigt sich im Untersu- he Tabelle 1 mit Beispielitems). Die Fremdeinschätzung chungsverlauf, dass die Patientin oder der Patient über erfolgt durch eine mit der Patientin oder dem Patienten eine Fähigkeit nicht verfügt (z. B. Lesefähigkeit), so kann vertraute Person. Sie besteht aus dem Dementia Scree- diese als „nicht vorhanden“ bewertet werden und fließt ning Questionnaire for Individuals with Intellectual Disa- nicht in die abschließende Gesamtbewertung mit ein. Die bilities (DSQIID; Deb, Hare, Prior & Bhaumik, 2007) zur Punkte werden im Anschluss auf dem Auswertungsbogen Erfassung des höchsten Leistungsniveaus, Verhaltensver- den verschiedenen Funktionsbereichen entsprechend ein- änderungen und allgemeinen Veränderungen der Patien- getragen und zusammengezählt. So ergeben sich sowohl tin oder des Patienten. Die Bögen zur Fremdbeurteilung individuelle Punktzahlen für die sieben verschiedenen sollten zu den Untersuchungen von der gleichen Person Funktionsbereiche als auch ein Gesamtwert. Der Gesamt- bearbeitet werden. Der DTIM ist ein Verfahren zur Ver- wert wird der potenziell erreichbaren maximalen Punkt- laufsdiagnostik, d. h., es sind mindestens zwei Erhebungs- zahl, welche sich aus den für die Patient_innen lösbaren zeitpunkte für eine diagnostische Urteilsbildung notwen- Aufgaben ergibt, gegenübergestellt. Die Dauer der neuro- dig. Der Test ist für Erwachsene (ab ca. 40 Jahren) mit psychologischen Untersuchung hängt den Erfahrungen der Intelligenzminderung unterschiedlicher Ätiologie konzi- Autor_innen nach stark von der Aufmerksamkeitsspanne, piert, bei denen es Hinweise auf das Vorliegen einer De- der Kooperationsbereitschaft und den sprachlich-kogniti- menz gibt. Bei der Durchführung sollte eine Betreuungs- ven Fähigkeiten der Patient_innen ab. Die Dauer der Tes- person zugegen sein. Den Testautorinnen zufolge kann tung kann hierdurch individuell stärker variieren, liegt das Verfahren auch bei Menschen ohne Sprachkompetenz meistens jedoch nach unserer klinischen Erfahrung mit der eingesetzt werden. Die Gesamtdauer liegt den Testauto- Testbatterie sogar oft kürzer als angegeben zwischen 30 rinnen zufolge zwischen 45 bis 90 Minuten (Fremdbefra- und 50 Minuten. Die Dauer der Fremdbeurteilung beträgt gung alleine ca. 15 Minuten). etwa 15 Minuten. Die Auswertung kann innerhalb von 5 Minuten erfolgen. Zur Beurteilung einer möglichen De- menz sollten mehrere (mind. zwei) Untersuchungen durch- geführt werden. Die Erfahrung zeigt, dass ein Abstand von mindestens 6 Monaten zwischen den Untersuchungszeit- punkten nicht ausreichend ist, um einen kognitiven Abbau Tabelle 1. Funktionsbereiche der neuropsychologischen Untersuchung und Beispielaufgaben Funktionsbereich Beispielaufgabe Orientierung „In welcher Stadt leben Sie?“ Sprache „Zählen Sie so viele Tiere auf, wie Ihnen einfallen.“ Aufmerksamkeit Das Erinnern von Zahlenketten Gedächtnis Das Erinnern dreier Bildkarten unmittelbar und nach einem 10-minütigen Zeitintervall Planen & Handeln „Machen Sie den Stift mit der Kappe zu.“ Abstrakt-logisches Denken Lösen von Matrizen Wahrnehmung & Konstruktion Nachzeichnen geometrischer Figuren Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99 © 2021 Hogrefe
Testbesprechung 97 nachvollziehbar darstellen zu können und gleichzeitig Ler- im Manual aufgeführt. Für bestimmte Aufgaben (z. B. neffekte zu minimieren. Aus unserer Erfahrung empfehlen Teilbereich Aufmerksamkeit: Schlüssel) sind im Testma- https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25 wir daher eine Wiederholung nach ca. 1 Jahr. Wurden Fä- nual Fotos oder Bilder enthalten, die die Durchführung higkeiten (z. B. Lesefähigkeit) als nicht vorhanden bewer- verständlich machen. tet, dürfen die entsprechenden Aufgaben bei folgenden Untersuchungen nicht noch einmal gestellt werden. Die Auswertungsobjektivität Ergebnisse der neuropsychologischen Untersuchungen Die Items werden während der Bearbeitung dem entspre- werden auf Ebene der einzelnen Funktionsbereiche und chenden Ergebnis nach bewertet. Es ist genau festgelegt, auf Ebene des Gesamtwertes unter Miteinbeziehung der welche Punktzahl pro Item erzielt werden kann. Für die Ergebnisse der Fremdbeurteilungen verglichen. Gesamtauswertung wird jeweils ein Summenwert für die Da im Rahmen der neuropsychologischen Untersu- einzelnen neuropsychologischen Bereiche gebildet, die chung verschiedene Funktionsbereiche getestet werden, am Ende zu einem Gesamtwert addiert werden. ist es bis zu einem gewissen Ausmaß auch möglich, Men- schen mit sensorischen und sprachlichen Beeinträchti- Interpretationsobjektivität gungen zu untersuchen. Auf die aufgrund der Beeinträch- Typische Fallstricke bei der Interpretation einzelner Aufga- tigungen nicht untersuchbaren Funktionsbereiche wird ben werden im Testhandbuch erläutert. Für die Interpreta- zugunsten der durchführbaren Testinhalte sowie der tion des Gesamtergebnisses des neuropsychologischen Fremdbeurteilung verzichtet. So kann eine blinde Patien- Tests sind mindestens zwei Testungen notwendig, um diese tin beispielsweise zwar nicht die Unteraufgaben der Funk- im individuellen Vergleich interpretieren zu können. Nach tionsbereiche „Wahrnehmung & Konstruktion“ sowie Testhandbuch wird eine Abnahme der neuropsychologi- „Gedächtnis“ bearbeiten, da dafür Bildmaterial benötigt schen Testwerte (Gesamtwert) um mindestens fünf Punkte wird. Dafür bleiben die Aufgaben einiger anderer Funkti- (T1T4) als kritisch angesehen. Für die Interpretation der onsbereiche, wie „Orientierung“ „Planen & Handeln“ na- Ergebnisse der neuropsychologischen Teilbereiche liegen hezu uneingeschränkt durchführbar. So kann eine mögli- bislang keine differenzierten Vorgaben vor. Zur Interpreta- che Leistungsabnahme über die Untersuchungszeitpunkte tion der Testergebnisse werden sowohl die Ergebnisse der nachvollzogen werden. Einschränkend muss allerdings neuropsychologischen Testung, die Ergebnisse der DSQI- darauf hingewiesen werden, dass eine stark ausgeprägte ID-Fremdbefragung und des Anamnesebogens benötigt. sprachliche Beeinträchtigung, wie sie bei Patient_innen Im Testhandbuch sind dazu verschiedene Fallbeispiele ent- mit schwerer oder schwerster Intelligenzminderung häu- halten, die das Vorgehen verständlicher machen. fig anzutreffen ist, den Erfahrungen der Autor_innen zufol- ge die Durchführung und Auswertung der Testung er- schwert. Entsprechend empfiehlt sich in der Praxis das Reliabilität Verfahren auf Patient_innen mit einer leichten oder mittel- gradigen Intelligenzminderung und einem zumindest mo- Da es sich bei dem zu untersuchenden Merkmal um die derat vorhandenen Sprachverständnis zu beschränken. Bewertung eines Prozesses (möglicher kognitiver Abbau) handelt, ist eine Darstellung von klassischen Reliabilitäts- werten (Retest-Reliabilität, Split-Half-Reliabilität) nicht geeignet. Aufgrund der besonderen Variabilität der Perso- Gütekriterien nengruppe, geben die Testautorinnen ein methodisch un- konventionelles Vorgehen an (randomisiertes, prospekti- Normierung: Es existieren Vergleichswerte von 102 Men- ves Longitudinaldesign). Weitere Reliabilitätswerte wie schen mit Intelligenzminderung im Alter von 41 bis die interne Konsistenz oder Interrater-Reliabilität sind 96 Jahren. nicht im Testmanual benannt. Objektivität Validität Durchführungsobjektivität Eine größere Validierungsstudie steht noch aus. Durch die Der oder dem Untersuchenden werden Formulierungen schrittweise Auswertung der Testprofile über die Zeit zur Patienteninstruktion vorgegeben. Die Reihenfolge (T1T4) und die Gegenüberstellung mit dem Außenkriteri- der Itembearbeitung ist ebenfalls festgelegt, was die um (Vorliegen einer Demenzdiagnose) ergaben sich vier Durchführungsobjektivität gewährleistet. Typische Fall- Profilgruppen (Verdacht bestätigt, kein Verdacht bestätigt, stricke bei der Durchführung einzelner Aufgaben werden Verdacht nicht bestätigt, früher Verdacht). © 2021 Hogrefe Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99
98 Testbesprechung Insgesamt wird ein Demenzverdacht nicht nur durch die sche/akute Erkrankungen, kürzlich erfolgte kritische Er- Auswertung im DTIM als bestätigt angesehen, sondern eignisse und Medikamente. https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25 dann, wenn neben nach ICD-10 kodierten Demenzkriteri- en (Demenzdiagnose oder Demenzverdacht) sowohl eine Zunahme des Summenscores im DSQIID (Cut-off-Wert ≥ 20) als auch eine Abnahme der Testleistung erfolgt Abschließende Bewertung (s. o.). Weitere relevante Aspekte aus dem Anamnesebo- gen (z. B. bestehende psychische Erkrankungen, Medikati- Wie oben beschrieben ist mit dem DTIM auch die neuro- on, chronische/akute Erkrankungen, Hör- oder Sehbehin- psychologische Untersuchung von Patient_innen mit sen- derungen) sowie ergänzende medizinische Marker sorischen Beeinträchtigungen eingeschränkt durchführ- (MRT-Ergebnisse, Liquor-Untersuchungen, Blutergebnis- bar. Die Erfahrung zeigt, dass das Vorhandensein einer se etc.) sollten hinzugezogen werden. schwersten Intelligenzminderung sowie starke sprachli- Weitere Gütekriterien: Störanfälligkeit, Unverfälsch- che Beeinträchtigungen die Durchführung der neuropsy- barkeit, Skalierung: chologischen Untersuchung erschweren. Das verwendete Für die neuropsychologische Testung ist eine Störanfäl- Bildmaterial ist einfach und übersichtlich gehalten. ligkeit aufgrund situativer, struktureller oder persönlicher Kritikpunkte betreffen Teile der Patienteninstruktion: Umstände möglich, die jedoch durch die gleichzeitige Der überwiegende Anteil der Instruktionen ist in leichter Fremderhebung relativiert werden kann. Eine Verfälsch- Sprache gestaltet und gut anwendbar. Einzelne Aufgaben- barkeit ist aus klinischer Sicht denkbar, jedoch in Bezug auf stellungen zeigten sich jedoch in der praktischen Umset- die Intentionalität eher fraglich. Auch hier kann die Fremd- zung als schwerer verständlich (z. B. Zahlen nachsprechen). befragung relevante Informationen zur Einordnung liefern. Für die klinische Umsetzung könnten ggf. ergänzende In- Ob die resultierenden Testwerte die empirischen Verhal- formationen oder eine Begrenzung der Informationen auf tensrelationen adäquat widerspiegeln, ist ebenfalls indivi- die wesentliche Fragestellung zu einem verbesserten Ver- duell durch die Kombination aus Fremderhebung, Testung ständnis führen. Auch der Einbezug der Betreuenden und und Außenkriterium (ICD-Kriterien) einzuordnen. Hinweise zur individuellen Sprachkompetenz könnten sich als hilfreich erweisen. Einige der Items erzeugen deutliche Bodeneffekte, wie etwa das Item „Machen Sie den Stift mit der Kappe zu“ (Funktionsbereich „Planen & Handeln“). Für Äußere Testgestaltung den Erhalt der Testmotivation der Patient_innen stellten sich solche „Erfolgserlebnisse“ im Verlauf der Untersu- Der Test besteht aus Manual, Instruktionsheft, 15 Anam- chung jedoch als durchaus dienlich heraus. Des Weiteren ist nese- und Auswertungsbögen, 45 Protokollbögen Neuro- die Testdauer von mindestens 30 Minuten zwar knapp ge- psychologische Testung, Vorlagenmappe, Materialiensatz halten, überschreitet dennoch die Aufmerksamkeitsspanne und Koffer. Die Materialien sind einfach und übersichtlich einiger Patient_innen mit ausgeprägten Aufmerksamkeits- und somit anwenderfreundlich gestaltet. Das verwendete und Konzentrationsbeeinträchtigungen. Als hinderlich er- Bildmaterial ist groß und verfügt über scharfe Konturen weist sich das Fehlen von Vorgaben zur Beurteilung etwai- und ist dementsprechend auch im Falle leichter bis mittel- ger Leistungsunterschiede sowie das Fehlen zeitlicher gradiger Visusminderungen gut erkennbar. Die Materiali- Angaben zur Wiederholungstestung. en sind leicht, schnell aufbaubar und einfach (im Koffer) Fazit: Mit dem DTIM kann ein Leistungsabbau mit Hin- zu transportieren. Der Protokollbogen vereinfacht den blick auf unterschiedliche Funktionsbereiche nachvollzo- Vergleich der zu den verschiedenen Untersuchungszeit- gen werden. Die Fremdbeurteilungen können, soweit sie punkten erbrachten Leistungen, da die Ergebnisse in be- von der gleichen Person ausgefüllt wurden, wichtige Hin- nachbarten Spalten dokumentiert werden. Das Instru- weise auf demenztypische Verhaltensveränderungen lie- ment zur Fremdbeurteilung (DSQIID) ist nicht direkt im fern. Welche Form von Demenz vorliegen könnte, ist jedoch Testumfang enthalten, kann aber kostenlos bezogen wer- aktuell nicht durch den DTIM genauer erfassbar. Durch die den. Ein Link zur deutschen Übersetzung findet sich auf Multidimensionalität des Verfahrens könnte dies jedoch für der Bestellseite im Hogrefe-Verlag. Auf dem Auswertungs- zukünftigen Studien geeignet sein. Dabei ist die Untersu- bogen können sechs Untersuchungen dokumentiert und chung zeitlich ökonomisch und vom Anforderungsniveau gegenübergestellt werden. Außerdem können hier ver- auf die Möglichkeiten der meisten Patient_innen mit Intelli- schiedene Angaben zur Patientin bzw. zum Patienten ge- genzminderung angepasst. Kritikpunkte betreffen in erster macht werden, welche einen Einfluss auf eine mögliche Linie die bisher z. T. subjektive Beurteilung der Leistungs- Demenzdiagnose haben, wie z. B. vorhandene psychische entwicklung (z. B. die Bewertung vom Abbau einzelner Ska- Erkrankungen, sensorische Beeinträchtigungen, chroni- len, während die Leistung in anderen kompensiert wird) Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99 © 2021 Hogrefe
Testbesprechung 99 sowie fehlende Angaben zum zeitlichen Abstand zwischen zwei Untersuchungen. In der Gesamtbetrachtung bleibt https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25 festzuhalten, dass – auch unter Berücksichtigung des Man- gels an Alternativen – der DTIM eine wertvolle Ergänzung zur diagnostischen Einordnung einer Demenz darstellt. Es besteht allerdings noch weiterer Forschungsbedarf, um die diagnostische Validität sicherzustellen. Literatur Deb, S., Hare, M., Prior, L. & Bhaumik, S. (2007). Dementia Scree- ning Questionnaire for individuals with intellectual disabilities. British Journal of Psychiatry, 190, 440–444. https://doi. org/10.1192/bjpbp.106.024984 Kruse, B., Heinrich, M., Diefenbacher, A., Kaiser, H. & Sappok, T. (2018). Demenz bei Down-Syndrom: Ein häufiger psychiatri- scher Vorstellungsgrund. Fortschritte der Neurologie · Psychiat- rie, 86, 402–409. https://doi.org/10.1055/s-0043-124592 Kuske, B. & Müller, S. V. (2019). Demenzdiagnostik. In T. Sappok (Hrsg.), Psychische Gesundheit bei intellektueller Entwicklungs- störung. Ein Lehrbuch für die Praxis (S. 324–330). Stuttgart: Kohlhammer. Müller, S. V. & Kuske, B. (2019). Demenz. In T. Sappok (Hrsg.), Psy- chische Gesundheit bei intellektueller Entwicklungsstörung. Ein Lehrbuch für die Praxis (S. 88–94). Stuttgart: Kohlhammer. Sappok, T. & Diefenbacher, A. (2011). Demenz und geistige Behin- derung: Differentialdiagnostik und behandelbare Demenzen. Zeitschrift Medizin für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung, 8(Suppl. 1), 39–45. Sappok, T., Diefenbacher, A. & Winterholler, M. (2019). The medical care of people with intellectual disability. Deutsches Ärzteblatt International, 116, 809–816. https://doi.org/10.3238/ arztebl.2019.0809 Sheehan, R., Ali, A. & Hassiotis, A. (2014). Dementia in intellectual disability. Current Opinion In Psychiatry, 27, 143–148. https:// doi.org/10.1097/YCO.0000000000000032 Silverman, W. P., Zigman, W. B., Krinsky-McHale, S. J., Ryan, R. & Schupf, N. (2013). Intellectual disability, mild cognitive impair- ment, and risk for dementia. Journal of Policy and Practice in Intellectual Disabilities, 10, 245–251. https://doi.org/10.1111/ jppi.12042 Strydom, A., Chan, T., King, M., Hassiotis, A. & Livingston, G. (2013). Incidence of dementia in older adults with intellectual disabili- ties. Research in Developmental Disabilities, 34, 1881–1885. ht- tps://doi.org/10.1016/j.ridd.2013.02.021 Jessica Wagner Christoph Weber Behandlungszentrum für psychische Gesundheit bei Entwicklungsstörungen Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge Herzbergstr. 79 10365 Berlin Deutschland je.wagner@keh-berlin.de c.weber@keh-berlin.de © 2021 Hogrefe Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99
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