Demenztest für Menschen mit Intelligenzminderung - Ostfalia

 
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Testbesprechung
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25

                                                                                                                                                                               Demenztest für Menschen mit
                                                                                                                                                                               Intelligenzminderung
                                                                                                                                                                               Jessica Wagner und Christoph Weber

                                                                                                                                                                               Hintergrund                                                  bzw. individuelle Cut-off-Werte zum Vergleich der Test-
                                                                                                                                                                                                                                            leistungen von Menschen mit IM mit und ohne Demenz.
                                                                                                                                                                               Menschen mit Intelligenzminderung (IM) erreichen heute       Bei Menschen mit IM ist aufgrund der starken Schwan-
                                                                                                                                                                               ein höheres Lebensalter und können ebenfalls häufiger        kungen des vorhandenen prämorbiden Niveaus ein Ver-
                                                                                                                                                                               eine Demenz entwickeln (vgl. Sappok & Diefenbacher,          gleich von Werten mit der Allgemeinbevölkerung nicht
                                                                                                                                                                               2011; Silverman, Zigman, Krinsky-McHale, Ryan & Schupf,      anwendbar (Kuske & Müller, 2019). Die Variabilität von
                                                                                                                                                                               2013). Sie sind im Vergleich zur durchschnittlichen Bevöl-   ersten Demenzanzeichen kann sich bei Menschen mit IM
                                                                                                                                                                               kerung einem bis zu fünffach erhöhten Risiko ausgesetzt,     unterscheiden, abhängig vom vorherigen Funktionsni-
                                                                                                                                                                               im Laufe ihres Lebens an einer Demenz zu erkranken           veau und der Ursache der IM. So wurden bei Menschen
                                                                                                                                                                               (Strydom, Chan, King, Hassiotis & Livingston, 2013).         mit Down-Syndrom eher Veränderungen der Persönlich-
                                                                                                                                                                               Menschen mit einer IM zeigen hinsichtlich der klinischen     keit, der Gefühlsregulation und Verhaltensveränderungen
                                                                                                                                                                               Symptome einer Demenz Unterschiede zu Menschen               wahrgenommen, bevor die sprachlichen Fähigkeiten oder
                                                                                                                                                                               ohne IM auf, was die Diagnose einer Demenz erschweren        das Gedächtnis betroffen waren. Im Gegensatz dazu be-
                                                                                                                                                                               kann (Sheehan, Ali & Hassiotis, 2014). Typische Symp-        richten Angehörige von Menschen mit IM ohne Down-
                                                                                                                                                                               tome einer Demenz – wie z. B. die Entwicklung von            Syndrom eher über einen allgemeinen Abbau und im Ver-
                                                                                                                                                                               Vergesslichkeit, Orientierungsschwierigkeiten, Lern- und     lauf von Verhaltens- und psychischen Veränderungen (vgl.
                                                                                                                                                                               Gedächtnisschwierigkeiten, Einschränkungen der alltags-      Sheehan et al., 2014).
                                                                                                                                                                               praktischen Fähigkeiten, u. a. Störungen der Exekutiv-          Das gestiegene Lebensalter, die überproportional an-
                                                                                                                                                                               funktionen (d. h. der Handlungs- und Planungsfunktio-        gestiegene Inzidenz von Demenzen bei Menschen mit
                                                                                                                                                                               nen), liegen bei Menschen mit IM auch ohne eine              IM und der verfrühte Krankheitsbeginn zeigen die Not-
                                                                                                                                                                               Demenzentwicklung meist vor. Kognitive Einschränkun-         wendigkeit der Weiterentwicklung von Testinstrumenten
                                                                                                                                                                               gen, die bei Menschen mit IM auf eine Demenz zurückge-       auf, um bei Menschen mit IM möglichst frühzeitig eine
                                                                                                                                                                               führt werden können, lassen sich nur im Verlauf feststel-    Demenzentwicklung diagnostizieren zu können. Es be-
                                                                                                                                                                               len, sodass individuell ein bisheriges Funktionsniveau       steht eine größere Bandbreite des Krankheitsverlaufs bei
                                                                                                                                                                               nicht mehr erreicht werden kann (Müller & Kuske, 2019).      Menschen mit IM (Müller & Kuske, 2019). Diese wieder-
                                                                                                                                                                               Standardisierte Testverfahren zur Erfassung kognitiver       um erfordert eine möglichst multidimensionale Heran-
                                                                                                                                                                               Einschränkungen, wie sie für Menschen ohne IM vorhan-        gehensweise bei der Diagnostik (Kruse et al., 2018).
                                                                                                                                                                               den sind, fehlen bisher, um kognitive Einschränkungen,       Überlappende Symptome einer psychiatrischen oder
                                                                                                                                                                               die im Rahmen einer Demenz auftreten können, einord-         neurologischen Störung oder deren Behandlung mit Psy-
                                                                                                                                                                               nen zu können. Bei gängigen Demenztests erzielen Men-        chopharmaka, die wiederum kognitive Störungen her-
                                                                                                                                                                               schen mit IM nur geringe Testwerte, sodass Bodeneffekte      vorrufen können, erschweren eine fundierte Diagnose
                                                                                                                                                                               auftreten. Die Aufgabenstellungen sind zu komplex oder       und können zu Fehldiagnosen und -behandlungen füh-
                                                                                                                                                                               abstrakt gestaltet, zudem sind viele der Aufgaben sprach-    ren (Sappok & Diefenbacher, 2011; Sappok, Diefenba-
                                                                                                                                                                               basiert oder erfordern ein Verständnis der sprachlichen      cher & Winterholler, 2019).
                                                                                                                                                                               Instruktionen oder eine sprachliche Reaktion, sodass eine       Mit dem Demenztest für Menschen mit Intelligenzmin-
                                                                                                                                                                               Übertragung nicht möglich ist (Kruse, Heinrich, Diefenba-    derung (DTIM) können Verdachtsmomente für das Vorlie-
                                                                                                                                                                               cher, Kaiser & Sappok, 2018). Bisher existieren nur wenige   gen einer Demenz nun standardisiert multidimensional
                                                                                                                                                                               Testverfahren, um die Diagnose einer Demenz bei Men-         erhoben werden.
                                                                                                                                                                               schen mit IM zu untermauern, und es fehlen Normwerte

                                                                                                                                                                               © 2021 Hogrefe                                                             Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99
                                                                                                                                                                                                                                                                 https://doi.org/10.1024/1016-264X/a000322
96                                                                                                                           Testbesprechung

                                                                                                                                                                               Aufbau und Konzeption                                                        Durchführung
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25

                                                                                                                                                                               Der DTIM besteht aus einem neuropsychologischen Test-                        Die Untersuchung der Patientin oder des Patienten sollte
                                                                                                                                                                               teil und einer Fremdeinschätzung, die von Betreuungsper-                     gemeinsam mit einer vertrauten Begleitperson erfolgen.
                                                                                                                                                                               sonen zu beantworten ist. Der neuropsychologische Teil                       Diese dient der emotionalen Unterstützung der Patient_in-
                                                                                                                                                                               enthält Aufgaben zu den Funktionsbereichen: Orientie-                        nen, kann bei sprachlich beeinträchtigten Patient_innen
                                                                                                                                                                               rung, Sprache, Aufmerksamkeit & Konzentration, Ge-                           eine vermittelnde Funktion einnehmen und darüber hin-
                                                                                                                                                                               dächtnis, Planen & Handeln, Abstrakt-logisches Denken                        aus die Fragebögen zur Fremdbeurteilung bearbeiten. Die
                                                                                                                                                                               und Wahrnehmung & Konstruktion. Insgesamt bearbeitet                         oder der Untersuchende liest den Patient_innen die Items
                                                                                                                                                                               der die Patientin oder der Patient im Rahmen der neuro-                      in der durch den Protokollbogen vorgegebenen Reihenfol-
                                                                                                                                                                               psychologischen Untersuchung 43 Aufgaben, welche den                         ge vor und bewertet deren Antwort je nach Richtigkeit mit
                                                                                                                                                                               o. g. Funktionsbereichen zugeordnet werden können (sie-                      der entsprechenden Punktzahl. Zeigt sich im Untersu-
                                                                                                                                                                               he Tabelle 1 mit Beispielitems). Die Fremdeinschätzung                       chungsverlauf, dass die Patientin oder der Patient über
                                                                                                                                                                               erfolgt durch eine mit der Patientin oder dem Patienten                      eine Fähigkeit nicht verfügt (z. B. Lesefähigkeit), so kann
                                                                                                                                                                               vertraute Person. Sie besteht aus dem Dementia Scree-                        diese als „nicht vorhanden“ bewertet werden und fließt
                                                                                                                                                                               ning Questionnaire for Individuals with Intellectual Disa-                   nicht in die abschließende Gesamtbewertung mit ein. Die
                                                                                                                                                                               bilities (DSQIID; Deb, Hare, Prior & Bhaumik, 2007) zur                      Punkte werden im Anschluss auf dem Auswertungsbogen
                                                                                                                                                                               Erfassung des höchsten Leistungsniveaus, Verhaltensver-                      den verschiedenen Funktionsbereichen entsprechend ein-
                                                                                                                                                                               änderungen und allgemeinen Veränderungen der Patien-                         getragen und zusammengezählt. So ergeben sich sowohl
                                                                                                                                                                               tin oder des Patienten. Die Bögen zur Fremdbeurteilung                       individuelle Punktzahlen für die sieben verschiedenen
                                                                                                                                                                               sollten zu den Untersuchungen von der gleichen Person                        Funktionsbereiche als auch ein Gesamtwert. Der Gesamt-
                                                                                                                                                                               bearbeitet werden. Der DTIM ist ein Verfahren zur Ver-                       wert wird der potenziell erreichbaren maximalen Punkt-
                                                                                                                                                                               laufsdiagnostik, d. h., es sind mindestens zwei Erhebungs-                   zahl, welche sich aus den für die Patient_innen lösbaren
                                                                                                                                                                               zeitpunkte für eine diagnostische Urteilsbildung notwen-                     Aufgaben ergibt, gegenübergestellt. Die Dauer der neuro-
                                                                                                                                                                               dig. Der Test ist für Erwachsene (ab ca. 40 Jahren) mit                      psychologischen Untersuchung hängt den Erfahrungen der
                                                                                                                                                                               Intelligenzminderung unterschiedlicher Ätiologie konzi-                      Autor_innen nach stark von der Aufmerksamkeitsspanne,
                                                                                                                                                                               piert, bei denen es Hinweise auf das Vorliegen einer De-                     der Kooperationsbereitschaft und den sprachlich-kogniti-
                                                                                                                                                                               menz gibt. Bei der Durchführung sollte eine Betreuungs-                      ven Fähigkeiten der Patient_innen ab. Die Dauer der Tes-
                                                                                                                                                                               person zugegen sein. Den Testautorinnen zufolge kann                         tung kann hierdurch individuell stärker variieren, liegt
                                                                                                                                                                               das Verfahren auch bei Menschen ohne Sprachkompetenz                         meistens jedoch nach unserer klinischen Erfahrung mit der
                                                                                                                                                                               eingesetzt werden. Die Gesamtdauer liegt den Testauto-                       Testbatterie sogar oft kürzer als angegeben zwischen 30
                                                                                                                                                                               rinnen zufolge zwischen 45 bis 90 Minuten (Fremdbefra-                       und 50 Minuten. Die Dauer der Fremdbeurteilung beträgt
                                                                                                                                                                               gung alleine ca. 15 Minuten).                                                etwa 15 Minuten. Die Auswertung kann innerhalb von
                                                                                                                                                                                                                                                            5 Minuten erfolgen. Zur Beurteilung einer möglichen De-
                                                                                                                                                                                                                                                            menz sollten mehrere (mind. zwei) Untersuchungen durch-
                                                                                                                                                                                                                                                            geführt werden. Die Erfahrung zeigt, dass ein Abstand von
                                                                                                                                                                                                                                                            mindestens 6 Monaten zwischen den Untersuchungszeit-
                                                                                                                                                                                                                                                            punkten nicht ausreichend ist, um einen kognitiven Abbau

                                                                                                                                                                               Tabelle 1. Funktionsbereiche der neuropsychologischen Untersuchung und Beispielaufgaben

                                                                                                                                                                                Funktionsbereich                               Beispielaufgabe

                                                                                                                                                                                Orientierung                                   „In welcher Stadt leben Sie?“

                                                                                                                                                                                Sprache                                        „Zählen Sie so viele Tiere auf, wie Ihnen einfallen.“

                                                                                                                                                                                Aufmerksamkeit                                 Das Erinnern von Zahlenketten

                                                                                                                                                                                Gedächtnis                                     Das Erinnern dreier Bildkarten unmittelbar und nach einem 10-minütigen Zeitintervall

                                                                                                                                                                                Planen & Handeln                               „Machen Sie den Stift mit der Kappe zu.“

                                                                                                                                                                                Abstrakt-logisches Denken                      Lösen von Matrizen

                                                                                                                                                                                Wahrnehmung & Konstruktion                     Nachzeichnen geometrischer Figuren

                                                                                                                                                                               Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99                                                                          © 2021 Hogrefe
Testbesprechung                                                                                                                 97

                                                                                                                                                                               nachvollziehbar darstellen zu können und gleichzeitig Ler-    im Manual aufgeführt. Für bestimmte Aufgaben (z. B.
                                                                                                                                                                               neffekte zu minimieren. Aus unserer Erfahrung empfehlen       Teilbereich Aufmerksamkeit: Schlüssel) sind im Testma-
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25

                                                                                                                                                                               wir daher eine Wiederholung nach ca. 1 Jahr. Wurden Fä-       nual Fotos oder Bilder enthalten, die die Durchführung
                                                                                                                                                                               higkeiten (z. B. Lesefähigkeit) als nicht vorhanden bewer-    verständlich machen.
                                                                                                                                                                               tet, dürfen die entsprechenden Aufgaben bei folgenden
                                                                                                                                                                               Untersuchungen nicht noch einmal gestellt werden. Die         Auswertungsobjektivität
                                                                                                                                                                               Ergebnisse der neuropsychologischen Untersuchungen            Die Items werden während der Bearbeitung dem entspre-
                                                                                                                                                                               werden auf Ebene der einzelnen Funktionsbereiche und          chenden Ergebnis nach bewertet. Es ist genau festgelegt,
                                                                                                                                                                               auf Ebene des Gesamtwertes unter Miteinbeziehung der          welche Punktzahl pro Item erzielt werden kann. Für die
                                                                                                                                                                               Ergebnisse der Fremdbeurteilungen verglichen.                 Gesamtauswertung wird jeweils ein Summenwert für die
                                                                                                                                                                                  Da im Rahmen der neuropsychologischen Untersu-             einzelnen neuropsychologischen Bereiche gebildet, die
                                                                                                                                                                               chung verschiedene Funktionsbereiche getestet werden,         am Ende zu einem Gesamtwert addiert werden.
                                                                                                                                                                               ist es bis zu einem gewissen Ausmaß auch möglich, Men-
                                                                                                                                                                               schen mit sensorischen und sprachlichen Beeinträchti-         Interpretationsobjektivität
                                                                                                                                                                               gungen zu untersuchen. Auf die aufgrund der Beeinträch-       Typische Fallstricke bei der Interpretation einzelner Aufga-
                                                                                                                                                                               tigungen nicht untersuchbaren Funktionsbereiche wird          ben werden im Testhandbuch erläutert. Für die Interpreta-
                                                                                                                                                                               zugunsten der durchführbaren Testinhalte sowie der            tion des Gesamtergebnisses des neuropsychologischen
                                                                                                                                                                               Fremdbeurteilung verzichtet. So kann eine blinde Patien-      Tests sind mindestens zwei Testungen notwendig, um diese
                                                                                                                                                                               tin beispielsweise zwar nicht die Unteraufgaben der Funk-     im individuellen Vergleich interpretieren zu können. Nach
                                                                                                                                                                               tionsbereiche „Wahrnehmung & Konstruktion“ sowie              Testhandbuch wird eine Abnahme der neuropsychologi-
                                                                                                                                                                               „Gedächtnis“ bearbeiten, da dafür Bildmaterial benötigt       schen Testwerte (Gesamtwert) um mindestens fünf Punkte
                                                                                                                                                                               wird. Dafür bleiben die Aufgaben einiger anderer Funkti-      (T1T4) als kritisch angesehen. Für die Interpretation der
                                                                                                                                                                               onsbereiche, wie „Orientierung“ „Planen & Handeln“ na-        Ergebnisse der neuropsychologischen Teilbereiche liegen
                                                                                                                                                                               hezu uneingeschränkt durchführbar. So kann eine mögli-        bislang keine differenzierten Vorgaben vor. Zur Interpreta-
                                                                                                                                                                               che Leistungsabnahme über die Untersuchungszeitpunkte         tion der Testergebnisse werden sowohl die Ergebnisse der
                                                                                                                                                                               nachvollzogen werden. Einschränkend muss allerdings           neuropsychologischen Testung, die Ergebnisse der DSQI-
                                                                                                                                                                               darauf hingewiesen werden, dass eine stark ausgeprägte        ID-Fremdbefragung und des Anamnesebogens benötigt.
                                                                                                                                                                               sprachliche Beeinträchtigung, wie sie bei Patient_innen       Im Testhandbuch sind dazu verschiedene Fallbeispiele ent-
                                                                                                                                                                               mit schwerer oder schwerster Intelligenzminderung häu-        halten, die das Vorgehen verständlicher machen.
                                                                                                                                                                               fig anzutreffen ist, den Erfahrungen der Autor_innen zufol-
                                                                                                                                                                               ge die Durchführung und Auswertung der Testung er-
                                                                                                                                                                               schwert. Entsprechend empfiehlt sich in der Praxis das        Reliabilität
                                                                                                                                                                               Verfahren auf Patient_innen mit einer leichten oder mittel-
                                                                                                                                                                               gradigen Intelligenzminderung und einem zumindest mo-         Da es sich bei dem zu untersuchenden Merkmal um die
                                                                                                                                                                               derat vorhandenen Sprachverständnis zu beschränken.           Bewertung eines Prozesses (möglicher kognitiver Abbau)
                                                                                                                                                                                                                                             handelt, ist eine Darstellung von klassischen Reliabilitäts-
                                                                                                                                                                                                                                             werten (Retest-Reliabilität, Split-Half-Reliabilität) nicht
                                                                                                                                                                                                                                             geeignet. Aufgrund der besonderen Variabilität der Perso-
                                                                                                                                                                               Gütekriterien                                                 nengruppe, geben die Testautorinnen ein methodisch un-
                                                                                                                                                                                                                                             konventionelles Vorgehen an (randomisiertes, prospekti-
                                                                                                                                                                               Normierung: Es existieren Vergleichswerte von 102 Men-        ves Longitudinaldesign). Weitere Reliabilitätswerte wie
                                                                                                                                                                               schen mit Intelligenzminderung im Alter von 41 bis            die interne Konsistenz oder Interrater-Reliabilität sind
                                                                                                                                                                               96 Jahren.                                                    nicht im Testmanual benannt.

                                                                                                                                                                               Objektivität                                                  Validität

                                                                                                                                                                               Durchführungsobjektivität                                     Eine größere Validierungsstudie steht noch aus. Durch die
                                                                                                                                                                               Der oder dem Untersuchenden werden Formulierungen             schrittweise Auswertung der Testprofile über die Zeit
                                                                                                                                                                               zur Patienteninstruktion vorgegeben. Die Reihenfolge          (T1T4) und die Gegenüberstellung mit dem Außenkriteri-
                                                                                                                                                                               der Itembearbeitung ist ebenfalls festgelegt, was die         um (Vorliegen einer Demenzdiagnose) ergaben sich vier
                                                                                                                                                                               Durchführungsobjektivität gewährleistet. Typische Fall-       Profilgruppen (Verdacht bestätigt, kein Verdacht bestätigt,
                                                                                                                                                                               stricke bei der Durchführung einzelner Aufgaben werden        Verdacht nicht bestätigt, früher Verdacht).

                                                                                                                                                                               © 2021 Hogrefe                                                               Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99
98                                                                                                          Testbesprechung

                                                                                                                                                                                  Insgesamt wird ein Demenzverdacht nicht nur durch die        sche/akute Erkrankungen, kürzlich erfolgte kritische Er-
                                                                                                                                                                               Auswertung im DTIM als bestätigt angesehen, sondern             eignisse und Medikamente.
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25

                                                                                                                                                                               dann, wenn neben nach ICD-10 kodierten Demenzkriteri-
                                                                                                                                                                               en (Demenzdiagnose oder Demenzverdacht) sowohl eine
                                                                                                                                                                               Zunahme des Summenscores im DSQIID (Cut-off-Wert
                                                                                                                                                                               ≥ 20) als auch eine Abnahme der Testleistung erfolgt            Abschließende Bewertung
                                                                                                                                                                               (s. o.). Weitere relevante Aspekte aus dem Anamnesebo-
                                                                                                                                                                               gen (z. B. bestehende psychische Erkrankungen, Medikati-        Wie oben beschrieben ist mit dem DTIM auch die neuro-
                                                                                                                                                                               on, chronische/akute Erkrankungen, Hör- oder Sehbehin-          psychologische Untersuchung von Patient_innen mit sen-
                                                                                                                                                                               derungen) sowie ergänzende medizinische Marker                  sorischen Beeinträchtigungen eingeschränkt durchführ-
                                                                                                                                                                               (MRT-Ergebnisse, Liquor-Untersuchungen, Blutergebnis-           bar. Die Erfahrung zeigt, dass das Vorhandensein einer
                                                                                                                                                                               se etc.) sollten hinzugezogen werden.                           schwersten Intelligenzminderung sowie starke sprachli-
                                                                                                                                                                                  Weitere Gütekriterien: Störanfälligkeit, Unverfälsch-        che Beeinträchtigungen die Durchführung der neuropsy-
                                                                                                                                                                               barkeit, Skalierung:                                            chologischen Untersuchung erschweren. Das verwendete
                                                                                                                                                                                  Für die neuropsychologische Testung ist eine Störanfäl-      Bildmaterial ist einfach und übersichtlich gehalten.
                                                                                                                                                                               ligkeit aufgrund situativer, struktureller oder persönlicher       Kritikpunkte betreffen Teile der Patienteninstruktion:
                                                                                                                                                                               Umstände möglich, die jedoch durch die gleichzeitige            Der überwiegende Anteil der Instruktionen ist in leichter
                                                                                                                                                                               Fremderhebung relativiert werden kann. Eine Verfälsch-          Sprache gestaltet und gut anwendbar. Einzelne Aufgaben-
                                                                                                                                                                               barkeit ist aus klinischer Sicht denkbar, jedoch in Bezug auf   stellungen zeigten sich jedoch in der praktischen Umset-
                                                                                                                                                                               die Intentionalität eher fraglich. Auch hier kann die Fremd-    zung als schwerer verständlich (z. B. Zahlen nachsprechen).
                                                                                                                                                                               befragung relevante Informationen zur Einordnung liefern.       Für die klinische Umsetzung könnten ggf. ergänzende In-
                                                                                                                                                                               Ob die resultierenden Testwerte die empirischen Verhal-         formationen oder eine Begrenzung der Informationen auf
                                                                                                                                                                               tensrelationen adäquat widerspiegeln, ist ebenfalls indivi-     die wesentliche Fragestellung zu einem verbesserten Ver-
                                                                                                                                                                               duell durch die Kombination aus Fremderhebung, Testung          ständnis führen. Auch der Einbezug der Betreuenden und
                                                                                                                                                                               und Außenkriterium (ICD-Kriterien) einzuordnen.                 Hinweise zur individuellen Sprachkompetenz könnten sich
                                                                                                                                                                                                                                               als hilfreich erweisen. Einige der Items erzeugen deutliche
                                                                                                                                                                                                                                               Bodeneffekte, wie etwa das Item „Machen Sie den Stift mit
                                                                                                                                                                                                                                               der Kappe zu“ (Funktionsbereich „Planen & Handeln“). Für
                                                                                                                                                                               Äußere Testgestaltung                                           den Erhalt der Testmotivation der Patient_innen stellten
                                                                                                                                                                                                                                               sich solche „Erfolgserlebnisse“ im Verlauf der Untersu-
                                                                                                                                                                               Der Test besteht aus Manual, Instruktionsheft, 15 Anam-         chung jedoch als durchaus dienlich heraus. Des Weiteren ist
                                                                                                                                                                               nese- und Auswertungsbögen, 45 Protokollbögen Neuro-            die Testdauer von mindestens 30 Minuten zwar knapp ge-
                                                                                                                                                                               psychologische Testung, Vorlagenmappe, Materialiensatz          halten, überschreitet dennoch die Aufmerksamkeitsspanne
                                                                                                                                                                               und Koffer. Die Materialien sind einfach und übersichtlich      einiger Patient_innen mit ausgeprägten Aufmerksamkeits-
                                                                                                                                                                               und somit anwenderfreundlich gestaltet. Das verwendete          und Konzentrationsbeeinträchtigungen. Als hinderlich er-
                                                                                                                                                                               Bildmaterial ist groß und verfügt über scharfe Konturen         weist sich das Fehlen von Vorgaben zur Beurteilung etwai-
                                                                                                                                                                               und ist dementsprechend auch im Falle leichter bis mittel-      ger Leistungsunterschiede sowie das Fehlen zeitlicher
                                                                                                                                                                               gradiger Visusminderungen gut erkennbar. Die Materiali-         Angaben zur Wiederholungstestung.
                                                                                                                                                                               en sind leicht, schnell aufbaubar und einfach (im Koffer)          Fazit: Mit dem DTIM kann ein Leistungsabbau mit Hin-
                                                                                                                                                                               zu transportieren. Der Protokollbogen vereinfacht den           blick auf unterschiedliche Funktionsbereiche nachvollzo-
                                                                                                                                                                               Vergleich der zu den verschiedenen Untersuchungszeit-           gen werden. Die Fremdbeurteilungen können, soweit sie
                                                                                                                                                                               punkten erbrachten Leistungen, da die Ergebnisse in be-         von der gleichen Person ausgefüllt wurden, wichtige Hin-
                                                                                                                                                                               nachbarten Spalten dokumentiert werden. Das Instru-             weise auf demenztypische Verhaltensveränderungen lie-
                                                                                                                                                                               ment zur Fremdbeurteilung (DSQIID) ist nicht direkt im          fern. Welche Form von Demenz vorliegen könnte, ist jedoch
                                                                                                                                                                               Testumfang enthalten, kann aber kostenlos bezogen wer-          aktuell nicht durch den DTIM genauer erfassbar. Durch die
                                                                                                                                                                               den. Ein Link zur deutschen Übersetzung findet sich auf         Multidimensionalität des Verfahrens könnte dies jedoch für
                                                                                                                                                                               der Bestellseite im Hogrefe-Verlag. Auf dem Auswertungs-        zukünftigen Studien geeignet sein. Dabei ist die Untersu-
                                                                                                                                                                               bogen können sechs Untersuchungen dokumentiert und              chung zeitlich ökonomisch und vom Anforderungsniveau
                                                                                                                                                                               gegenübergestellt werden. Außerdem können hier ver-             auf die Möglichkeiten der meisten Patient_innen mit Intelli-
                                                                                                                                                                               schiedene Angaben zur Patientin bzw. zum Patienten ge-          genzminderung angepasst. Kritikpunkte betreffen in erster
                                                                                                                                                                               macht werden, welche einen Einfluss auf eine mögliche           Linie die bisher z. T. subjektive Beurteilung der Leistungs-
                                                                                                                                                                               Demenzdiagnose haben, wie z. B. vorhandene psychische           entwicklung (z. B. die Bewertung vom Abbau einzelner Ska-
                                                                                                                                                                               Erkrankungen, sensorische Beeinträchtigungen, chroni-           len, während die Leistung in anderen kompensiert wird)

                                                                                                                                                                               Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99                                                        © 2021 Hogrefe
Testbesprechung                                                     99

                                                                                                                                                                               sowie fehlende Angaben zum zeitlichen Abstand zwischen
                                                                                                                                                                               zwei Untersuchungen. In der Gesamtbetrachtung bleibt
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1016-264X/a000322 - Wednesday, May 26, 2021 12:21:31 AM - Ostfalia Hochschule Braunschweig Wolfenbüttel IP Address:141.41.72.25

                                                                                                                                                                               festzuhalten, dass – auch unter Berücksichtigung des Man-
                                                                                                                                                                               gels an Alternativen – der DTIM eine wertvolle Ergänzung
                                                                                                                                                                               zur diagnostischen Einordnung einer Demenz darstellt. Es
                                                                                                                                                                               besteht allerdings noch weiterer Forschungsbedarf, um die
                                                                                                                                                                               diagnostische Validität sicherzustellen.

                                                                                                                                                                               Literatur
                                                                                                                                                                               Deb, S., Hare, M., Prior, L. & Bhaumik, S. (2007). Dementia Scree-
                                                                                                                                                                                  ning Questionnaire for individuals with intellectual disabilities.
                                                                                                                                                                                  British Journal of Psychiatry, 190, 440–444. https://doi.
                                                                                                                                                                                  org/10.1192/bjpbp.106.024984
                                                                                                                                                                               Kruse, B., Heinrich, M., Diefenbacher, A., Kaiser, H. & Sappok, T.
                                                                                                                                                                                  (2018). Demenz bei Down-Syndrom: Ein häufiger psychiatri-
                                                                                                                                                                                  scher Vorstellungsgrund. Fortschritte der Neurologie · Psychiat-
                                                                                                                                                                                  rie, 86, 402–409. https://doi.org/10.1055/s-0043-124592
                                                                                                                                                                               Kuske, B. & Müller, S. V. (2019). Demenzdiagnostik. In T. Sappok
                                                                                                                                                                                  (Hrsg.), Psychische Gesundheit bei intellektueller Entwicklungs-
                                                                                                                                                                                  störung. Ein Lehrbuch für die Praxis (S. 324–330). Stuttgart:
                                                                                                                                                                                  Kohlhammer.
                                                                                                                                                                               Müller, S. V. & Kuske, B. (2019). Demenz. In T. Sappok (Hrsg.), Psy-
                                                                                                                                                                                  chische Gesundheit bei intellektueller Entwicklungsstörung. Ein
                                                                                                                                                                                  Lehrbuch für die Praxis (S. 88–94). Stuttgart: Kohlhammer.
                                                                                                                                                                               Sappok, T. & Diefenbacher, A. (2011). Demenz und geistige Behin-
                                                                                                                                                                                  derung: Differentialdiagnostik und behandelbare Demenzen.
                                                                                                                                                                                  Zeitschrift Medizin für Menschen mit geistiger oder mehrfacher
                                                                                                                                                                                  Behinderung, 8(Suppl. 1), 39–45.
                                                                                                                                                                               Sappok, T., Diefenbacher, A. & Winterholler, M. (2019). The medical
                                                                                                                                                                                  care of people with intellectual disability. Deutsches Ärzteblatt
                                                                                                                                                                                  International,     116,     809–816.      https://doi.org/10.3238/
                                                                                                                                                                                  arztebl.2019.0809
                                                                                                                                                                               Sheehan, R., Ali, A. & Hassiotis, A. (2014). Dementia in intellectual
                                                                                                                                                                                  disability. Current Opinion In Psychiatry, 27, 143–148. https://
                                                                                                                                                                                  doi.org/10.1097/YCO.0000000000000032
                                                                                                                                                                               Silverman, W. P., Zigman, W. B., Krinsky-McHale, S. J., Ryan, R. &
                                                                                                                                                                                  Schupf, N. (2013). Intellectual disability, mild cognitive impair-
                                                                                                                                                                                  ment, and risk for dementia. Journal of Policy and Practice in
                                                                                                                                                                                  Intellectual Disabilities, 10, 245–251. https://doi.org/10.1111/
                                                                                                                                                                                  jppi.12042
                                                                                                                                                                               Strydom, A., Chan, T., King, M., Hassiotis, A. & Livingston, G. (2013).
                                                                                                                                                                                  Incidence of dementia in older adults with intellectual disabili-
                                                                                                                                                                                  ties. Research in Developmental Disabilities, 34, 1881–1885. ht-
                                                                                                                                                                                  tps://doi.org/10.1016/j.ridd.2013.02.021

                                                                                                                                                                               Jessica Wagner
                                                                                                                                                                               Christoph Weber
                                                                                                                                                                               Behandlungszentrum für psychische Gesundheit bei
                                                                                                                                                                               Entwicklungsstörungen
                                                                                                                                                                               Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge
                                                                                                                                                                               Herzbergstr. 79
                                                                                                                                                                               10365 Berlin
                                                                                                                                                                               Deutschland

                                                                                                                                                                               je.wagner@keh-berlin.de
                                                                                                                                                                               c.weber@keh-berlin.de

                                                                                                                                                                               © 2021 Hogrefe                                                            Zeitschrift für Neuropsychologie (2021), 32 (2), 95–99
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