DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub

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DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
DEMOKRATIEBILDUNG IM
                      ETHIKUNTERRICHT

                                                              Masterarbeit
                                     zur Erlangung des akademischen Grades
                                                       Master of Arts (MA)
 der Studienrichtung Angewandte Ethik an der Karl-Franzens-Universität Graz

                                                                vorgelegt von
                                                    Mag. Brigitte HÖGLINGER

am Institut für Katechetik und Religionspädagogik an der Kath.-Theol. Fakultät
       Begutachter: Mag.theol. Dr.phil. Dr.theol. Feichtinger Christian MA MA

                                                                   Graz, 2021
DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
Brigitte Höglinger                                               Demokratiebildung im Ethikunterricht

Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst,
andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich
entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.
Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt
und auch noch nicht veröffentlicht.
Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

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Ort, Datum                                                               Unterschrift

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DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
Brigitte Höglinger                                             Demokratiebildung im Ethikunterricht

Abstract (Deutsch)
Diese Arbeit untersucht, inwiefern der Ethikunterricht in seiner Funktion als Werteunterricht einen
Beitrag zur Demokratiebildung leisten kann und worin die Notwendigkeit des Demokratielernens
besteht. Dazu wird einführend das Unterrichtsfach Ethik besprochen, ein Überblick über grundlegende
didaktische Modelle im Ethikunterricht im Hinblick auf Werteerziehung und Wertevermittlung erörtert
die strukturellen und fachdidaktischen Rahmenbedingungen, auf deren Hintergrund
Demokratiebildung im Ethikunterricht erfolgen kann.

Anschließend werden die Entwicklung der Demokratie und wesentliche Demokratieformen
zusammengefasst und verschiedene Bedeutungsebenen der Demokratie analysiert. Die Diskussion
ihrer Stärken und Schwächen gibt erste Hinweise auf die Frage nach der Notwendigkeit der
Demokratiebildung.

Das dritte Kapitel beleuchtet detaillierter die Grundwerte der Demokratie, eingeteilt in ethisch-
universelle Werte, demokratische Tugenden und sozio-moralische Grundlagen. Als Kernelement der
Demokratiebildung sind diese Grundwerte essentieller Bestandteil des Ethikunterrichtes in seiner
Funktion als Werteunterricht.

Als Synthese und Zusammenführung der vorherigen Kapitel beschäftigt sich das letzte Kapitel mit der
Demokratiebildung im Ethikunterricht. Zuerst wird untersucht, inwieweit das Thema als politische
Bildung im Lehrplan festgeschrieben bzw. allgemein in der Aufgabe von Ethikunterricht beinhaltet ist,
dann werden der Begriff der Demokratiekompetenz und die Notwendigkeit des Demokratielernens
erläutert und abschließend wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Lehrpersonen bei der
Vermittlung von demokratischen Kompetenzen einnehmen und wie Schule als demokratischer
Erfahrungsraum begriffen werden kann.

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DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
Brigitte Höglinger                                              Demokratiebildung im Ethikunterricht

Abstract (English)
This thesis examines whether Ethics lessons as values education can contribute to democracy
education and explores what constitutes the necessity of ’learning democracy’. In approaching this
topic, the thesis firstly discusses the school subject of Ethics and seeks to give an overview of the
fundamental didactic models for this subject regarding values education and communication and
outlines the structural and subject-didactic parameters for democracy education and ethics.

Subsequently, the historical development as well as different forms of democracy are summarised and
its implications are analysed on multiple levels. The mere discussion of democracy’s strengths and
weaknesses can already provide hints for answers to questions concerning the necessity of democracy
education.

The third chapter of this thesis examines in closer detail the basic values of democracy, which can be
categorised into three distinct groups, namely ethical-universal values, democratic ethos and socio-
moral foundations. As core elements of democracy education these basic values form an essential part
of Ethics lessons in their function as values education.

As a synthesis and consolidation of the previous chapters, the final chapter focuses on democracy
education in Ethics lessons. Firstly, this chapter provides a curriculum analysis in order to determine
to what extent democracy education is incorporated in the curriculum as political education and - more
generally - as an objective of the subject Ethics. Secondly, the concept of democracy competence is
outlined and the necessity of ‘learning democracy’ is discussed before, finally, this thesis approaches
the questions of what kind of roles teachers can assume in the conveyance of democratic competences
as well as how schools can become realms of experience for democracy education.

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DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
Brigitte Höglinger                                                                             Demokratiebildung im Ethikunterricht

Inhaltsverzeichnis

1.     Unterrichtsfach Ethik....................................................................................................................... 6
     1.1      Unterrichtsfach Ethik in Österreich ......................................................................................... 6
     1.2      Bedeutung und Strukturmerkmale des Lehrplans .................................................................. 7
       1.2.1         Bildungs- und Lehraufgabe .............................................................................................. 7
       1.2.2         Zentrale fachliche Konzepte ............................................................................................ 8
       1.2.3         Didaktische Grundsätze ................................................................................................... 8
       1.2.4         Kompetenzmodell, Kompetenzbereich, Kompetenzbeschreibungen ............................. 8
       1.2.5         Anwendungsbereiche ...................................................................................................... 9
     1.3      Wertklärung, Wertorientierung, Werteerziehung im Ethikunterricht .................................. 10
       1.3.1         Die formale Bewertungsethik........................................................................................ 13
       1.3.2         Die materiale Wertübermittlungsethik ......................................................................... 13
       1.3.3         Die Ethik des moralischen Urteilens .............................................................................. 13
       1.3.4         Folgerungen für den Ethikunterricht ............................................................................. 14
     1.4      Didaktische Modelle im Ethikunterricht................................................................................ 15
       1.4.1         Modelle ethischer Bildung............................................................................................. 15
           1.4.1.1       Wertübertragung....................................................................................................... 15
           1.4.1.2       Werterhellung ........................................................................................................... 15
           1.4.1.3       Wertentwicklung ....................................................................................................... 15
           1.4.1.4       Wertkommunikation ................................................................................................. 15
           1.4.1.5       Zusammenfassender Vergleich der Modelle............................................................. 16
       1.4.2         Didaktische Grundmodelle ............................................................................................ 16
           1.4.2.1       Die bildungstheoretische bzw. kritisch-konstruktive Didaktik .................................. 16
           1.4.2.2       Das curriculare Didaktikmodell ................................................................................. 17
           1.4.2.3       Die kritisch-kommunikative Didaktik......................................................................... 18
           1.4.2.4       Diskursmodell und integratives Reflexionsmodell .................................................... 19
2.     Demokratie .................................................................................................................................... 20
     2.1      Eckpunkte der Geschichte der Demokratie........................................................................... 20
       2.1.1 Demokratie in der Antike – athenische Demokratie ............................................................ 20
       2.1.2 Demokratie in der Neuzeit – Neuerfindung der Demokratie ............................................... 21
       2.1.3 Moderne Demokratie – liberal repräsentativer Verfassungsstaat....................................... 22
     2.2      Demokratieformen ................................................................................................................ 23
       2.2.1         Parlamentarische Demokratie ....................................................................................... 23
       2.2.2         Präsidentielle Demokratie ............................................................................................. 24
       2.2.3         Direkte Demokratie ....................................................................................................... 25
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       2.2.4         Regierungssystem in Österreich .................................................................................... 25
     2.3      Ebenen der Demokratie ........................................................................................................ 27
       2.3.1         Demokratie als Herrschaftsform ................................................................................... 27
       2.3.2         Demokratie als Gesellschaftsform................................................................................. 27
       2.3.3         Demokratie als Lebensform .......................................................................................... 28
       2.3.4         Folgerungen für Demokratiebildung und politischen Unterricht.................................. 28
     2.4      Stärken und Schwächen der Demokratie .............................................................................. 29
3.     Grundwerte der modernen Demokratie ....................................................................................... 33
     3.1      Ethisch-universell: Menschenwürde und Menschenrechte .................................................. 33
     3.2      Demokratische Tugend – politisch-demokratisches Ethos ................................................... 35
     3.3      Sozio-moralische Grundlagen................................................................................................ 39
     3.4      Zusammenschau und kritische Betrachtung ......................................................................... 40
4.     Demokratiebildung im Ethikunterricht ......................................................................................... 42
     4.1      Verankerung im Lehrplan ...................................................................................................... 42
       4.1.1         Beutelsbacher Konsens ................................................................................................. 43
       4.1.2         Frankfurter Erklärung zur politischen Bildung............................................................... 44
       4.1.3         Grundsatzerlass für das Unterrichtsprinzip Politische Bildung ..................................... 45
       4.1.4         Europarats-Charta zur Politischen Bildung und Menschenrechtsbildung..................... 47
     4.2      Demokratiekompetenzen...................................................................................................... 47
       4.2.1         Referenzrahmen des Europarats für Demokratiekompetenzen ................................... 47
       4.2.2         Kompetenzmodell Politische Bildung ............................................................................ 50
       4.2.3         Anforderungen an die Demokratiekompetenz ............................................................. 54
     4.3      Warum Demokratie Bildung braucht – Notwendigkeit des Demokratielernens .................. 55
     4.4      Die Rolle der Ethiklehrer*innen ............................................................................................ 58
     4.5      Schule als demokratischer Erfahrungsraum .......................................................................... 60
     4.6      Zusammenfassender Überblick ............................................................................................. 62
5.     Zusammenfassung ......................................................................................................................... 63
Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 65
Abbildungsverzeichnis ………………………………………………………………………………………………………….. 71

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DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
Brigitte Höglinger                                                          Demokratiebildung im Ethikunterricht

       1. Unterrichtsfach Ethik
Einführend in die vorliegende Arbeit wird das Unterrichtsfach Ethik besprochen, das in Österreich eine
gewisse Sonderstellung unter den Unterrichtsfächern einnimmt. Anhand einer Kurzfassung der
aktuellen Situation des Ethikunterrichtes in Österreich und den Strukturmerkmalen des Lehrplanes
wird versucht, diese Sonderstellung darzulegen. Weiters gibt dieses Kapitel einen Überblick über
grundlegende didaktische Modelle im Ethikunterricht im Hinblick auf Werteerziehung und
Wertevermittlung und erörtert so die strukturellen und fachdidaktischen Rahmenbedingungen, auf
deren Hintergrund Demokratiebildung im Ethikunterricht erfolgen kann.

       1.1 Unterrichtsfach Ethik in Österreich
Ethik als Unterrichtsfach gab es bislang in Österreich nur als Schulversuch. Seit über 20 Jahren wurde
dieser in Schulen der Sekundarstufe II, also allgemeinbildende höhere Schulen und berufsbildende
mittlere und höhere Schulen, durchgeführt. Im Schuljahr 2019/20 wurde Ethik als alternativer
Pflichtgegenstand laut Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung an 233 Standorten
erprobt. (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, kein Datum)
Immer wieder wurde die Einführung des Unterrichtsfaches Ethik als Regelfach diskutiert. Zuletzt haben
2011 eine parlamentarische Enquete und der daraufhin an den Nationalrat vorgelegte Bericht eine
Überführung der Schulversuche in den Regelbetrieb empfohlen, dieser Empfehlung folgte auch der
Rechnungshof nach einer Prüfung im Jahr 2015. (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und
Forschung, 2019)

Die Einführung von Ethik als Pflichtgegenstand für alle Schüler*innen, die keinen Religionsunterricht
besuchen, ist eines der aktuellen zentralen Reformen und bildungspolitischen Ziele. Im Schuljahr
2021/22 wird laut Beschluss des Nationalrates vom 20. November 20201 das Fach Ethik in den
Regelbetrieb überführt und aufsteigend in der AHS und den berufsbildenden mittleren und höheren
Schulen ausgerollt. (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, kein Datum)
Bildungsminister Heinz Faßmann sprach im März 2019 noch von einer Einführung ab Herbst 2020,
zuerst in der AHS-Oberstufe, ab 2021 dann auch in den Berufsbildenden Schulen und Berufsschulen.
Dass Ethik als Pflichtfach nur für Schüler*innen, die keinen Religionsunterricht besuchen, eingeführt
werden soll, erläuterte der Minister damals mit dem Konkordat zwischen der Republik Österreich und
dem Heiligen Stuhl. (kathpress, 2019)

Das Ministerium begründet die Einführung des Ethikunterrichtes mit der Forderung von verschiedenen
gesellschaftlichen Gruppierungen, auch für die immer größer werdende Anzahl von Jugendlichen, die
keinen Religionsunterricht besuchen oder keiner Religionsgemeinschaft angehören, einen staatlichen
Ethik- und Werteunterricht einzurichten. Dieser Ethikunterricht „soll Schülerinnen und Schüler zu
selbstständiger Reflexion im Hinblick auf Wege gelingender Lebensgestaltung befähigen, ihnen
Orientierungshilfen geben und sie zur fundierten Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Lebens
anleiten.“ (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, kein Datum) Außerdem soll
er durch die Beschäftigung mit verschiedenen weltanschaulichen, philosophischen, kulturellen und
religiösen Traditionen zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung beitragen und dabei die
Bereitwilligkeit zur Verantwortungsübernahme für das eigene Leben und das Zusammenleben mit
anderen im Hinblick auf soziale, ökologische, ökonomische, politische und kulturelle Kontexte stärken.
Als weiteres Ziel wird die Ermutigung von Schüler*innen, ihre persönlichen Krisenerfahrungen zu
reflektieren und sich als selbstwirksam Handelnde zu erleben, genannt. (Bundesministerium für
Bildung, Wissenschaft und Forschung, kein Datum)

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    Der Beschluss wurde gemeinsam von ÖVP, Grüne und FPÖ gefasst, eine demokratiepolitisch eher seltene Konstellation.
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Ebenfalls im März 2019 ging das Bundesministerium davon aus, dass ca. 1300 Lehrkräfte
weiterqualifiziert werden müssen. (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung,
2019) Die Universitäten Wien und Graz bieten bereits Masterstudienlehrgänge an, für die ersten
Bedarfsjahre wird zusätzlich von Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und Kirchlich-
pädagogischen Hochschulen gemeinsam ein Hochschullehrgang Ethik als berufsbegleitende Fort- und
Weiterbildung angeboten. Vorarbeiten für ein Lehramtsstudium an Universitäten und Hochschulen
sind derzeit am Laufen, jedoch ist frühestens mit Beginn des Studienjahres 2022/23 mit einem
tatsächlichen Studienangebot zu rechnen. (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und
Forschung, kein Datum) Ein früherer Beginn an einzelnen Hochschulstandorten ist jedoch möglich.

    1.2 Bedeutung und Strukturmerkmale des Lehrplans
        „Ein Lehrplan ist die staatlich verbindlich gemachte, geordnete Zusammenfassung von
        Lehrinhalten (Wissen, Können, Einstellungen, Verhalten) und Lehrzielen, die während eines
        bestimmten Zeitraumes an bestimmten Schulformen in bestimmten Fächern/Lernbereichen
        vermittelt werden sollen.“ (Wiater, 2011, S. 45)
Die Bedeutung des Lehrplanes lässt sich ganz grundsätzlich in vier verschiedene Aspekte
unterscheiden: erstens die Bedeutung als staatliche Vorgabe, zweitens die Bedeutung als Gegenstand
der Rezeption durch die Lehrer*innen, drittens die Bedeutung als Regulativ für den Unterricht und
viertens die Bedeutung als Hilfe für das Lernen der Schüler*innen, als Grundlage für die Lernplanung
sozusagen. (Wiater, 2011, S. 46)

Da Ethik in Österreich bislang nur als Schulversuch unterrichtet wurde, gibt es zahlreiche, vielfach
schulautonom und daher nur an einzelnen Schulstandorten angewendete Schulversuchs-Lehrpläne.
Zusätzlich dazu existiert ein Lehrplanentwurf der Bundes-ARGE Ethik. Auf Basis all dieser Lehrpläne
wird derzeit an einem Lehrplan für den zukünftigen Pflichtgegenstand Ethik gearbeitet.
(Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung) Da noch kein aktueller Lehrplan
vorliegt, gilt als Bezugspunkt für die folgenden Ausführungen der Lehrplanentwurf der Bundes-ARGE
Ethik vom 13. November 2019. (Bundes-ARGE Ethik, 2019)

Der Lehrplanentwurf ist in fünf unterschiedliche Abschnitte strukturiert, die im Folgenden genauer
erläutert werden. Ganz am Ende finden sich die konkreten Anwendungsbereiche, unterteilt nach
Klassen und Semester bzw. Kompetenzmodule im Hinblick auf die geplante flächendeckende
Modularisierung der Oberstufe (Semestrierte Oberstufe, bislang auch neue Oberstufe/NOST genannt).

    1.2.1 Bildungs- und Lehraufgabe
Die Bildungs- und Lehraufgabe beschreibt den Ethikunterricht als einen den Menschen- und
Freiheitsrechten verpflichteten Unterricht, der die Schüler*innen zum begründeten Argumentieren
und Reflektieren über Fragen der Ethik und Moral, zu selbstständiger Reflexion über Fragen der
gelingenden Lebensgestaltung und zu fundierter Auseinandersetzung mit Grundfragen der eigenen
Existenz befähigen soll. Indem er sich mit verschiedenen philosophischen, weltanschaulichen,
kulturellen und religiösen Menschenbildern beschäftigt, soll er dazu anleiten, die Würde des
Menschen zu achten, Verantwortung für das eigenen Leben zu übernehmen und eine Grundhaltung
von Toleranz und Offenheit zu verinnerlichen und so zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen.
Außerdem leitet er die Schüler*innen zu einer Beschäftigung mit eigenen Erfahrungen und zu
autonomem und selbstreflektiertem Urteilen und Handeln und kritischem Überprüfen eigener
Haltungen und moralischer Urteile an. In ihrer Eigenschaft als Integrationswissenschaft soll Ethik den
praktisch-philosophischen Austausch durch Ergebnisse der Bezugswissenschaften vertiefen und an die
lebensweltlichen Gegebenheiten zurückbinden. (Bundes-ARGE Ethik, 2019)

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Insbesondere die Hinweise auf die Menschen- und Freiheitsrechte, auf die Auseinandersetzung mit
verschiedenen weltanschaulichen und kulturellen Menschenbildern, auf die Übernahme von
Verantwortung für das eigenen Leben und einer Grundhaltung von Toleranz und Offenheit und auf
eine Rückbindung der ethischen Diskurse an die lebensweltlichen Gegebenheiten laden zu einer
Beschäftigung mit Demokratiebildung im Ethikunterricht ein.

    1.2.2 Zentrale fachliche Konzepte
Als zentrale fachliche Grundlage gilt die Praktische Philosophie. Die jeweiligen für die Lebensgestaltung
als wichtig erachteten Problemfragen werden aus den Anwendungsbereichen heraus entwickelt und
aus drei Perspektiven betrachtet und reflektiert, nämlich erstens aus der Perspektive des Einzelnen
(personale Perspektive), anknüpfend an Alltagserfahrungen und existenzielle Grunderfahrungen,
zweitens aus der gesellschaftlichen Perspektive betreffend das Zusammenleben sowohl im lokalen als
auch globalen Umfeld und drittens aus der ideengeschichtlichen Perspektive bezugnehmend auf
maßgebliche ethische Ansätze und Theorien sowie religiöse und kulturelle Konventionen. (Bundes-
ARGE Ethik, 2019)

Für die Demokratiebildung im Ethikunterricht ist insbesondere die gesellschaftliche Perspektive
interessant, insofern sie sich mit den verschiedenen Formen der Regelungen des Zusammenlebens
beschäftigt.

    1.2.3 Didaktische Grundsätze
Der Abschnitt über die didaktischen Grundsätze listet die im Unterricht anzuwendenden
Gestaltungsprinzipien auf. Erstens ist auf die Integration der Lebenswelt der Schüler*innen zu achten,
die durch Erkenntnisse der Bezugswissenschaften und mit Hilfe ethisch-philosophischer Theorien
reflektiert werden soll. Zweitens sollen die Themen diskursorientiert bearbeitet und vorgeschlagene
Antworten kritisch untersucht werden. Drittens muss der Pluralität von Weltanschauungen und
Menschenbildern respektvoll Rechnung getragen werden und es müssen im Unterricht mehrere
wohlbegründete, unterschiedliche Positionierungen möglich sein. Viertens dürfen der Ethikunterricht
und die Urteilsbildung der Schüler*innen nicht durch eine bestimmte weltanschauliche oder religiöse
Sichtweise von Seiten der Lehrer*innen beeinflusst werden. Und fünftens sind die
Kompetenzbeschreibungen, Anwendungsbereiche und zentralen fachlichen Konzepte von den
Lehrer*innen so zu verknüpfen, dass Themen altersgerecht und je nach Lerngruppe und
Unterrichtsintention unterschiedlich gewichtet in ihrer Perspektive behandelt werden können.
Außerdem wird explizit auf die Möglichkeit von Exkursionen zu außerschulischen Lernorten und
Expert*innengespräche hingewiesen. (Bundes-ARGE Ethik, 2019)

Auch aus den didaktischen Grundsätzen lassen sich Bezugspunkte zur Demokratiebildung herauslesen,
vor allem die Integration der Lebenswelt der Schüler*innen und deren ethische Reflexion, der Umgang
mit der Pluralität von Weltanschauungen und der Hinweis auf die Möglichkeit von begründeten,
unterschiedlichen Positionierungen eröffnen zahlreiche Möglichkeiten zum Demokratielernen.

    1.2.4 Kompetenzmodell, Kompetenzbereich, Kompetenzbeschreibungen
Das Kompetenzmodell gliedert sich grundsätzlich in fünf für alle Schulstufen geltende
Kompetenzbereiche, die in allen Schulstufen so entwickelt werden sollen, dass ihr Ausprägungsgrad
mit aufsteigender Schulstufe komplexer und differenzierter wird. Die Schüler*innen sollen
Wahrnehmen und Perspektiven einnehmen, Analysieren und Reflektieren, Argumentieren und Urteilen,
Interagieren und Sich-Mitteilen und Handlungsoptionen entwickeln. Das heißt, sie sollen Fragen der
Lebenswelt wahrnehmen und sich mit Sichtweisen anderer auseinandersetzen, ethische Texte
erschließen und verfassen und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Fachgebieten aufeinander und auf
ethische Positionen bezogen reflektieren, ethische Konzepte darstellen und Argumente kritisch

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DEMOKRATIEBILDUNG IM ETHIKUNTERRICHT - unipub
Brigitte Höglinger                                                    Demokratiebildung im Ethikunterricht

überprüfen und begründet urteilen, Gedankengänge versprachlichen und Konflikte diskursiv und
gewaltfrei behandeln sowie zu moralischen Problemen reflektiert Stellung beziehen und die
erworbenen Kompetenzen in der eigenen Lebensrealität verwirklichen können. (Bundes-ARGE Ethik,
2019)

In der Auflistung dieser Kompetenzen finden sich eindeutig solche, die auch für die Demokratiebildung
entscheidend sind, insbesondere sich mit Sichtweisen anderer auseinandersetzen können, Argumente
kritisch prüfen können, begründet urteilen können und Konflikte diskursiv und gewaltfrei behandeln
können.

    1.2.5 Anwendungsbereiche
Die angeführten Anwendungsbereiche (Themen) sind verbindlich zu lehren, außerdem soll auch Raum
für aktuelle Themen bleiben. Sollten Gruppen schulstufenübergreifend geführt werden, müssen alle
Anwendungsbereiche unterrichtet werden, die Reihung obliegt allerdings der Lehrkraft, bei
fünfjährigen Schulformen sind die Kompetenzen und Anwendungsbereiche zu vertiefen. Insbesondere
ist auch auf den Schwerpunkt der jeweiligen Schulform einzugehen, indem z.B. weitere
Bereichsethiken wie die Sportethik thematisiert werden. In der folgenden Tabelle werden die
Anwendungsbereiche nach Klassen gegliedert aufgelistet. (Bundes-ARGE Ethik, 2019)
 5. Klasse (1. und 2.       Grundbegriffe und Perspektiven der Ethik
 Semester)                  Ethik und Moral, Gut und Böse, Tugenden und Laster, Wert und Würde, Freiheit
                            und Verantwortung, Rechte und Pflichten, Gewissen und moralische Emotionen
                            Basiswissen zu Menschenrechten
                            Menschenwürde, Grundrechte, Kinderrechte
                            Soziale Beziehungen
                            Formen von Familie, Partnerschaft und Freundschaft; Autoritäten, Vorbilder,
                            Jugendkultur
                            Glück
                            Glücksvorstellungen, Glücksethiken, Glücksforschung
                            Sucht und Selbstverantwortung
                            Suchtprävention, Abhängigkeit, die Verantwortung des Einzelnen und der
                            Gesellschaft
                            Natur und Mensch
                            Umweltmodelle, globale und lokale Umweltthemen, Nachhaltigkeit, Klima
                            Religion und Weltanschauung
                            Religionsgemeinschaften und säkulare Weltanschauungen in Österreich; Religion
                            und Staat
 6. Klasse (3. Semester –   Prinzipien normativer Ethik
 Kompetenzmodul 3)          Zweck, Nutzen, guter Wille, Gerechtigkeit, Mitleid, Care
                            Medien und Kommunikation
                            Pressefreiheit, digitale Welt, Wahrheit und Manipulation
                            Umgang mit Tieren
                            moralischer Status von Tieren, Tierrechte, Tierschutz
                            Liebe und Sexualität
                            Sex und Gender, moralische Dimensionen von Liebe und Sexualität
 6. Klasse (4. Semester –   Judentum, Christentum, Islam
 Kompetenzmodul 4)          Glaubensgrundlagen, moralische Richtlinien
                            Beginn des Lebens
                            Schwangerschaft, Reproduktionsmedizin
                            Konflikte und Konfliktbewältigung
                            Konfliktforschung, Konfliktlösung, gewaltfreie Kommunikation, Respekt und
                            Toleranz
 7. Klasse (5. Semester –   Grundkonzepte der Ethik
 Kompetenzmodul 5)          Tugendethik, deontologische Ethik, teleologische und konsequentialistische Ethik,
                            utilitaristische Ethik

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Brigitte Höglinger                                                  Demokratiebildung im Ethikunterricht

                            Menschenwürde, Menschenrechte, Menschenpflichten
                            philosophische Grundlagen der Menschenrechte, historische Entwicklung, aktuelle
                            Situation
                            Krankheit und Gesundheit, Ende des Lebens
                            ärztliches und pflegerisches Berufsethos, Umgang mit Alter, Sterben und Tod
                            Fernöstliche Religionen und Weltanschauungen
                            Glaubensgrundlagen und moralische Richtlinien im Hinduismus, Buddhismus und
                            Konfuzianismus
 7. Klasse (6. Semester –   Das Fremde
 Kompetenzmodul 6)          interkulturelle Erfahrungen, Diversität, Stereotype, Diskriminierung
                            Identität und Moralentwicklung
                            Konzepte der Identität, Theorien der Moralentwicklung
                            Wirtschaft und Konsum
                            Markt und Moral, Unternehmensethik, Konsumverhalten
 8. Klasse (7. Semester –   Positionen und Begriffe der Ethik
 Kompetenzmodul 7)          Diskursethik, ethischer Relativismus, Verantwortungs- und Gesinnungsethik,
                            Fähigkeitenansatz –gutes Leben, feministische Ethik
                            Krieg und Frieden
                            Ursachen von Krieg und Terrorismus, Theorien des gerechten Krieges,
                            Friedenssicherung, Völkerrecht
                            Moral und Recht
                            Naturrecht und Positives Recht, ethische Dimensionen des Strafrechts, Recht auf
                            Widerstand
                            Technik und Wissenschaft
                            Verantwortung der Wissenschaften, Technikfolgenabschätzung und -bewertung,
                            Trans-und Posthumanismus
 8. Klasse (8. Semester –   Religions-und Moralkritik, Humanismus
 Kompetenzmodul 7)          Atheismus, Agnostizismus, kritische Religiosität; Esoterik und neue religiöse
                            Bewegungen; säkulare Gesellschaft, humanistische Lebensgestaltung
Abbildung 1: Anwendungsbereiche (Bundes-ARGE Ethik, 2019)

Für die Thematik der vorliegenden Arbeit sind insbesondere die Themen Basiswissen zu
Menschenrechten, Religion und Weltanschauung, Konflikte und Konfliktbewältigung, Menschenwürde
– Menschenrechte – Menschenpflichten, Krieg und Frieden und Moral und Recht von besonderer
Relevanz, da sich hier auffallend viele Anknüpfungspunkte zu Diskursen rund um die Thematik
Demokratie, Demokratieverständnis und Demokratiebildung finden lassen. Als Orientierungspunkte
geben diese Anwendungsgebiete auch den Anlass für eine Beschäftigung mit Demokratiebildung von
der 5. bis zur 8. Klasse.

    1.3 Wertklärung, Wertorientierung, Werteerziehung im Ethikunterricht
Die Ethik als Wissenschaft beschäftigt sich mit der Überprüfung von Normen und Werten „auf das
diese begründende Verständnis von Moralität/Sittlichkeit“ (Wiater, 2011, S. 17) und so ist die
Weitergabe von Wissen und die Diskussion über Werte und Weltanschauungen ein wesentlicher Teil
des Ethikunterrichts. So häufig der Begriff Werte allerdings erwähnt wird, so unterschiedlich sind die
Vorstellungen davon. In einer multikulturellen Gesellschaft gibt es eine große Wertepluralität, doch so
groß die Pluralität auch sein mag, in jedem Lehrplan ist von Werteerziehung als Aufgabe der Schule die
Rede. Häufig findet man sie in den allgemeinen Bildungszielen oder auch als Verpflichtungen in
Schulordnungen oder Klassenregeln. Dennoch bleiben sie meist unbestimmt und diffus, es scheint eine
Hemmung da zu sein, diese Werte auch eindeutig zu bestimmen und für verbindlich zu erklären.
(Wiater, 2011, S. 60-61)

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In der Rechtsvorschrift zum Lehrplan der allgemeinbildenden höheren Schulen findet sich im ersten
Teil (Allgemeines Bildungsziel) unter Punkt 2. Gesetzlicher Auftrag ganz eindeutig die Vermittlung von
Werten als Aufgabe der Schule:

        „Die allgemein bildende höhere Schule hat im Sinne des § 2 des Schulorganisationsgesetzes an
        der Heranbildung der jungen Menschen mitzuwirken, nämlich beim Erwerb von Wissen, bei der
        Entwicklung von Kompetenzen und bei der Vermittlung von Werten. Dabei ist die Bereitschaft
        zum selbstständigen Denken und zur kritischen Reflexion besonders zu fördern. Die
        Schülerinnen und Schüler sind in ihrem Entwicklungsprozess zu einer sozial orientierten und
        positiven Lebensgestaltung zu unterstützen.“ (RIS, 2018)
Unter Punkt 3. Leitvorstellungen wird noch einmal explizit auf die Beschäftigung mit ethischen und
moralischen Werten hingewiesen:

        „Den Fragen und dem Verlangen nach einem sinnerfüllten Leben in einer menschenwürdigen
        Zukunft hat der Unterricht mit einer auf ausreichende Information und Wissen aufbauenden
        Auseinandersetzung mit ethischen und moralischen Werten und der religiösen Dimension des
        Lebens zu begegnen. Die jungen Menschen sind bei der Entwicklung zu eigenverantwortlichen
        Persönlichkeiten zu fördern und in der Herausforderung, in ihrem Dasein einen Sinn zu finden,
        zu stützen.“ (RIS, 2018)
Im nächsten Absatz werden auch einige der hier gemeinten Werte direkt aufgelistet:

        „Die Würde jedes Menschen, seine Freiheit und Integrität, die Gleichheit aller Menschen sowie
        die Solidarität mit den Schwachen und am Rande Stehenden sind wichtige Werte und
        Erziehungsziele der Schule.“ (RIS, 2018)

Weitere Werte lassen sich indirekt aus den restlichen Erläuterungen des Punktes 3. Leitvorstellungen
ableiten, im Folgenden in aus dem Gesetzestext herausgenommenen Stichwörtern aufgelistet:

    -   sozialer Zusammenhalt
    -   Verteilungsgerechtigkeit
    -   interkulturelle Begegnungen
    -   Geschlechtergleichstellung
    -   Weltoffenheit
    -   Akzeptanz
    -   Respekt
    -   gegenseitige Achtung
    -   Diskursfähigkeit
    -   individuelle Grundrechte
    -   vorurteilsfreie Begegnung der Kulturen auf der Grundlage einer offenen und respektvollen
        Auseinandersetzung
    -   Wahrnehmung von demokratischen Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten
    -   Befähigung zu sach- und wertbezogenen Urteilsbildung
    -   Übernahme sozialer Verantwortung
    -   Selbstsicherheit
    -   selbstbestimmtes und selbst organisiertes Lernen und Handeln
    -   Teilnahme am sozialen Geschehen
    -   kritische rationale Auseinandersetzung mit deren [Anm. der Informationstechnologien]
        Wirkungsmechanismen
        (RIS, 2018)

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Fast alle hier genannten Werte tragen auch zur Demokratiebildung bei, vor allem wo es um sozialen
Zusammenhalt, Verteilungsgerechtigkeit, Geschlechtergleichstellung, Respekt und gegenseitige
Achtung, Diskursfähigkeit, individuelle Grundrechte, Wahrnehmung von demokratischen Mitsprache-
und Mitgestaltungsmöglichkeiten, Befähigung zur Urteilsbildung, Übernahme sozialer Verantwortung
und Teilnahme am sozialen Geschehen geht.

Es liest sich ganz selbstverständlich, dennoch ist es schwierig, diese Werte im Unterricht zum expliziten
Thema zu machen, Diskussionen gibt es vor allem im Hinblick auf die Frage, „ob Werte in der Schule
nur geklärt oder ob sie erzieherisch auch vermittelt und den Schüler/Schülerinnen zur Beachtung und
Verinnerlichung aufgegeben werden sollen.“ (Wiater, 2011, S. 62)

Margit Stein (Stein, 2010) hat den Diskurs der Fachdidaktik Ethik bezüglich der Frage, ob und wie zu
Werten erzogen werden soll, in folgender Übersicht über die Werterziehungsansätze
zusammengeführt:

 Name des Werterziehungsmodells            Beschreibung des Vorgehens
 Ablehnung der Moralerziehung              Pflicht zur absoluten Neutralität im Unterricht
                                           Annahme, dass Unterrichtsinhalte wertfrei vermittelt werden können
 Modell des öffentlichen                   Schaffung eines starken, gemeinsam geteilten öffentlichen
 Wertklimas                                Wertklimas in Schule und Gesellschaft sowie Stützung der Familie
 Wertelernen am                            Begegnungen mit Personen, die moralisch hohe Standards vertreten
 außergewöhnlichen Modell                  und Außergewöhnliches leisten/leisteten
                                           Analyse von „moralischen Helden“ in der Geschichte
                                           „Lernen am Modell“
 Wertevermittlungsmodell                   Einweisung in den objektiven Wertekanon; Hilfestellung bei
                                           Wertumsetzungen
                                           „Direct Teaching“
 Wertklärungsmodell                        Hilfestellung, z.B. durch gruppendynamische Übungen, eigene
                                           Wertepräferenzen herauszukristallisieren und sie umsetzen
                                           „Gärtner-Pädagogik“
 Wertfühlungsmodell                        Förderung von Sympathie und Einfühlungsvermögen; gefühlsmäßige
                                           Einfühlung in den Mitmenschen
 Wertanalysemodell                         Wertekonflikte werden jeweils mit ihren Voraussetzungen und Folgen
                                           für alle Beteiligte beleuchtet
 Werteentwicklungsmodell                   Hilfestellung für den Einzelnen, moralische Autonomie zu erlangen
                                           und sich aus Konventionen zu befreien
                                           Konfrontationen mit moralischen Dilemmasituationen, um das
                                           moralische Urteil zu schulen
 Wertediskursansatz                        Realistischer Diskurs im Forum
                                           Inbeziehungsetzen divergierender Ansichten zu den Basisprinzipien
                                           Gerechtigkeit, Fürsorge, Wahrhaftigkeit und Friedfertigkeit
                                           Lehrkräfte als Teil der Gruppe
 Modell zu Sensibilisierung für eine       Vermittlung einer breiten Wissensbasis über Natur, Umwelt, Mitwelt
 Überlebensverantwortung                   (Globalisierung, Eine-Welt-Themen etc.)
 Wertelernen durch soziale                 Vermittlung von sozialen Werten über das Kennenlernen sozialer
 Tätigkeiten                               Schicksale und der Perspektivenübernahme; zusätzlich Vermittlung
                                           einer Wissensbasis durch begleitende Mentorinnen
Abbildung 2: Werteerziehungsmodelle (Stein, 2010, S. 250)

Die Aufgabe der Wertorientierung der Schule kann konzeptionell auf drei Richtungen zurückgeführt
werden kann, nämlich auf die Sichtweise, Wertorientierung mit Wertklärung gleichzusetzen, auf die
Ansicht, Wertorientierung sei wesentlich die Vermittlung von bestimmten Werten an die
Schüler*innen und auf die Fokussierung des moralischen Urteilens. Werner Wiater hat diese drei
Positionen einer grundsätzlichen Kritik unterzogen beziehungsweise ergänzt, wie in den folgenden
Absätzen erläutert wird. (Wiater, 2011, S. 62-66)
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    1.3.1 Die formale Bewertungsethik
Der Ansatz der formalen Bewertungsethik setzt rein auf die Eigenverantwortung eines jeden für seine
Werte und Wertprioritäten und auf Gleich-Gültigkeit aller subjektiven Wertsetzungen. Die Lehrkraft
verhilft maximal dazu, sich der eigenen subjektiven Wertvorstellungen bewusst zu werden, sie zu
reflektieren und Widersprüche bzw. Konflikte zu erkennen. Die Schüler*innen sollen also allenfalls
darin angeleitet werden, die getroffene Werteauswahl in ihren Konsequenzen zu bedenken und dann
aus Überzeugung danach zu handeln. Eine solche Werteerziehung, die sich quasi mit dem Akt des
Wertens und Bewertens schon zufriedengibt, ist für die Schulpraxis kaum tauglich. Angesichts der
Bildungs- und Lehraufgabe müssen Lehrer*innen aktiv für die Würde des Menschen und die daraus
abgeleiteten Grundwerte und Menschenrechte Partei ergreifen und sie notfalls gegenwirkend sichern.
(Wiater, 2011, S. 62-64)

    1.3.2 Die materiale Wertübermittlungsethik
Diese Richtung geht davon aus, dass es durch Wertepluralismus, Überschätzung der Vernunft,
Überbetonung von Einzelinteressen und Hedonismus zu einer Wertekrise in der Gesellschaft
gekommen ist und daher in der Schule den Schüler*innen ein Kanon an Werten und Tugenden
anerzogen werden soll. Diese Wertüberzeugungen gelten als übertragbar, kulturspezifisch definiert
und verinnerlichbar. Die Vermittlung erfolgt im Wesentlichen über emotionale Bindung, praktisches
Einüben und Habitualisierung. In diesem Modell wird jedoch durch die gesteuerte Weitergabe einer
dogmatischen Moral die Erziehung zu moralischer Mündigkeit und Selbstverantwortung vernachlässigt
und es ist damit mit dem im modernen Schulsystem vertretenen Menschenbild (im Sinne der
Aufklärung) nicht vereinbar. (Wiater, 2011, S. 64-65)

    1.3.3 Die Ethik des moralischen Urteilens
Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Modellen findet die von L. Kohlberg entwickelte
moralpädagogische Entwicklungstheorie große Beachtung in der Schulpädagogik. Im Wesentlichen
geht Kohlberg davon aus, dass die Moralentwicklung stufenweise (und zwar hierarchisch) erfolgt und
eng an die kognitive Entwicklung gekoppelt ist. (Wiater, 2011, S. 65)

Abbildung 3: Stufen der Moralentwicklung nach Kohlberg (Universität Lüneburg, 2017)

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Kohlberg geht davon aus, dass ganz zu Beginn der Moralentwicklung Kinder nach dem Prinzip handeln,
dass das gerecht ist, was ihnen guttut. Etwas später, also in der präkonventionellen Phase, kommt es
zu einer Fremdbestimmung des Verhaltens, indem sie sich an Strafen und Gehorsam orientieren und
schließlich kommt es zu einem individualistischen Denken im Sinne von „Wie du mir, so ich dir!“. In der
darauf folgenden konventionellen Phase beeinflussen wechselseitige Beziehungen und Erwartungen
das moralische Handeln, etwas später orientieren sich die Jugendlichen an der sozialen Ordnung. In
der postkonventionellen Phase sind der Gesellschaftsvertrag und individuelle Rechte
Orientierungspunkte für moralische Entscheidungen und erst in der letzten Stufe spielen universale
ethische Prinzipien wie Menschenwürde oder Gleichheitsrechte die entscheidende Rolle. (Wiater,
2011, S. 65)

Allerdings erreicht laut Kohlberg nur eine Minderheit der Erwachsenen die Stufe des
postkonventionellen Denkens, auch die Argumentationen innerhalb der einzelnen Stufen können
sowohl heteronom, sozial als auch autonom sein. Und allein die Tatsache, über eigene moralische
Handlungsurteile auf hohem intellektuellem Niveau reflektieren zu können, sagt noch nichts aus über
das tatsächliche moralische Handeln. Häufig wird Kohlberg auch dahingehend kritisiert, dass sein
Ansatz die kulturelle Dimension moralischen Urteilens zu wenig berücksichtigt, vor allem in der
postkonventionellen Stufe. (Wiater, 2011, S. 65-66)

    1.3.4 Folgerungen für den Ethikunterricht
Die vermittelnde Position zwischen den verschiedenen Konzeptionen der Werteerziehung nimmt die
These des seine Werte ko-konstruktiv erlernenden Kindes ein, das sich also aktiv aus seiner Umwelt
ein internes Bild der Außenwelt konstruiert und nicht einfach ein Produkt seiner Milieuumstände
bleibt. Demzufolge lernen Kinder Werte bei der Sozialisation und Erziehung in Familie, Peergroup,
Freizeit, Medien, Gesellschaft etc. und auch die Schule soll und muss eine solche Lernumgebung
bereitstellen. Der demokratisch legitimierte und gesellschaftlich beauftragte Ansatz der Schule geht
davon aus, dass Werte eben nicht nur Gegenstand des individuellen Beliebens sind, sondern dass es
über das Subjekt hinausgehende Verbindlichkeiten gibt, die als Orientierung kommunizierbar,
begründbar und vertretbar sind. Und diese Werte sollen im Ethikunterricht erlernt werden. Sie müssen
ein Minimalkonsens sein, der jenseits aller definierten Weltanschauungen tragfähig ist und durch zwei
Prinzipien abgesichert ist, nämlich dem Prinzip der Verallgemeinerbarkeit und dem Prinzip der
Gleichbehandlung und Fairness. Die Schlüssigkeit der Logik dieser formalen Prinzipien liegt, zumindest
in demokratischen Gesellschaften, auf der Hand. Zusätzlich muss noch ein materiales Prinzip gelten,
nämlich „das Prinzip, dass alles Tun und Lassen in der demokratischen Gesellschaft Europas der
Humanität dienen muss, d.h. der Selbst- und Höherentwicklung des Menschen, dem Schutz und der
Würde des Einzelnen und der Menschheit insgesamt.“ (Wiater, 2011, S. 68) Diese Prinzipien können in
der ethischen Diskussion nicht widerspruchsfrei negiert werden, egal, welche Weltanschauung
vertreten wird. Daneben gibt es sicherlich noch einer Reihe anderer Normen und Wertpräferenzen,
die Menschen religiös, politisch oder persönlich rechtfertigen, Ansichten, die jedoch das
Lebenserhaltungsinteresse, die Selbstbestimmung, die Rechtsgleichheit aller, den Schutz der
persönlichen Würde und die Freiheit sowie das Recht auf Teilhabe ablehnen, sind konsequent den
Schüler*innen gegenüber als nicht diskursfähig zu vertreten. Hier ist eben auch die pädagogische und
didaktische Kompetenz der Lehrkraft gefordert, im Sinne einer Forderung und Förderung der
persönlichen Sittlichkeit, die die überlieferten Wertvorstellungen auch kritisch reflektieren, vernünftig
modifizieren und weiterentwickeln kann, zu handeln. (Wiater, 2011, S. 66-68) Und genau hier findet
sich auch die Legitimation und Begründung der Wichtigkeit von Demokratiebildung im Ethikunterricht.

Inwieweit Demokratiebildung als politische Bildung im Lehrplanentwurf festgeschrieben bzw.
allgemein in der Aufgabe von Ethikunterricht beinhaltet ist, wird detaillierter im Kapitel 4.1
Demokratiebildung im Ethikunterricht – Verankerung im Lehrplan erläutert.
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Brigitte Höglinger                                             Demokratiebildung im Ethikunterricht

    1.4 Didaktische Modelle im Ethikunterricht
Aus den vorhergehenden Kapiteln erschließt sich der Auftrag der Schule und damit auch im
besonderen Maße des Ethikunterrichtes zu ethischer Bildung und zur Vermittlung und Weitergabe von
Werten an Schüler*innen. Wie diese ethische Bildung erfolgen kann, wird im Folgenden mittels zweier
Konzeptionen von didaktischen Modellen der ethischen Bildung diskutiert, zum einen die Modelle
ethischer Bildung, die Hans-Georg Ziebertz vorstellt (Ziebertz, 2001), zum anderen die von Volker
Pfeifer analysierten didaktischen Grundmodelle. (Pfeifer, 2009).

    1.4.1 Modelle ethischer Bildung
Hans-Georg Ziebertz kristallisiert vier Modelle heraus, mit denen im Unterricht Werte und Normen
behandelt werden können: Wertübertragung, Werterhellung, Wertentwicklung und
Wertkommunikation, die im Folgenden überblicksartig erläutert und in einer Tabelle
zusammenfassend verglichen werden. (Ziebertz, 2001)

    1.4.1.1 Wertübertragung
Das Konzept der Wertübertragung geht davon aus, dass Lehrer*innen aus der Vielfalt von
Wertkonzepten eine Selektion vornehmen, die durch die damit verbundenen Ziele als legitimiert gilt
und anhand derer die Einstellungen der Schüler*innen geformt und ihr Handeln beeinflusst wird. Von
einer kognitiven Akzentuierung des Modells spricht man dann, wenn das Erlernen, Reproduzieren und
Klassifizieren von Werten im Vordergrund steht. Wird Lernen von Werten und Normen vor allem als
Internalisierungsvorgang begriffen, spricht man von affektiver Akzentuierung, hier wird häufig auch
Lernen am Modell eingesetzt. Ist das Ziel, auf die Willensausrichtung der Jugendlichen Einfluss zu
nehmen, im Fokus, also das Ausformen bestimmter Haltungen, spricht man von voluntativer
Akzentuierung. (Ziebertz, 2001, S. 407-408)

    1.4.1.2 Werterhellung
Das Konzept der Werterhellung geht im Gegensatz zur Wertübertragung nicht von bestehenden
Werten und Normen aus, sondern von den bereits verinnerlichten Werten. Im Fokus steht der Einzelne
und seine persönliche Werte-Biographie. Ziel ist die reflexive Bearbeitung der eigenen Werttradition,
durch Bewusstmachung und Wahrnehmung von Konsistenzen und Inkonsistenzen soll eine Einheit von
Denken, Fühlen und Handeln hergestellt werden und so die persönliche Identität gefunden und
stabilisiert werden. (Ziebertz, 2001, S. 408-409)

    1.4.1.3 Wertentwicklung
Das Konzept der Wertentwicklung entspricht im Wesentlichen der unter Punkt 1.3.3 erläuterten
Richtung. Ansätze, die auf diesem Konzept aufbauen, rücken die ethische Urteilskompetenz der
Schüler*innen in den Mittelpunkt des Interesses. Die Aufgabe der Lehrkraft besteht hauptsächlich
darin, durch Bearbeitung von Dilemma-Geschichten herauszufinden, auf welcher Stufe (nach
Kohlberg) sich die Schüler*innen befinden und durch Argumentationsformen der nächsten Stufe einen
Stufenwechsel zu initiieren. (Ziebertz, 2001, S. 409-410)

    1.4.1.4 Wertkommunikation
Der ausschlaggebende Faktor für den Erwerb von Werten und Normen ist in diesem Konzept die
Interaktion bzw. Kommunikation. Ziel ist, durch die Kommunikation über Werte und Normen
argumentative Verfahren zu erlernen und so die Ausbildung einer Urteilskompetenz zu fördern.
Schüler*innen sollen ermutigt werden, differente Werte zu begründen und abzuwägen, aus der
Diskrepanz von Ist- und Soll-Zustand gezogene Schlussfolgerungen kritisch zu prüfen und so die
individuelle ethische Kompetenz zu erhöhen. (Ziebertz, 2001, S. 410-412)

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    1.4.1.5 Zusammenfassender Vergleich der Modelle
                     Wertübertragung             Werterhellung            Wertentwicklung          Wertkommunikation
 Ziel              Jugendliche sollen        Jugendliche sollen         Jugendliche sollen ihre    Jugendliche sollen die
                   vorab ausgewählte         erworbene moralische       moralische                 Wünschbarkeit und
                   Werte und Normen          Einstellungen erkennen     Urteilskompetenz           Haltbarkeit von Werten
                   übernehmen                und sich ggf. davon        stufenweise erhöhen        und Normen aus einer
                                             emanzipieren                                          ethischen Optik
                                                                                                   beurteilen
 Methode/         Weitergabe von             Bewusstmachung von         Diskussion moralischer     Teilnahme an
 Verfahren        Werten und Normen          und Konfrontation mit      Konflikte anhand von       argumentativen
                  auf direktem Weg           erworbenen Werten          Dilemma-Geschichten        Diskussionsprozessen
                  durch kognitive,           und Normen                                            mit
                  affektive und volitive                                                           Perspektivenwechsel
                  Lernprozesse
 Wert-            liegt in den Inhalten      liegt in der Optimierung   liegt im Aufbau eines      liegt im Ziel der
 orientierung („dem Wert“) der               des subjektiven            Prinzipien-geleiteten      ethischen Mündigkeit
                  Werte und Normen,          Denkens, Fühlens und       ethischen Urteils          des Jugendlichen, die
                  die tradiert werden        Handelns                                              Ziel und Methode ist
                  sollen
 Wert-            wird auf jene Werte        wird auf die Werte         kommt in ausgesuchten      ist Ausgangspunkt und
 pluralität       reduziert, die von         reduziert, die             Dilemmata in               Gegenstand der
                  Jugendlichen               individuell bedeutsam      funktionaler Absicht zur   Kommunikation über
                  übernommen werden          sind                       Sprache                    Werte und Normen
                  sollen
Abbildung 4: Modelle ethischer Bildung (Ziebertz, 2001, S. 413)

Bei Ziebertz findet man obenstehenden Vergleich der Modelle, welches davon für den Ethikunterricht
am bestens einsetzbar ist, ist sicher auch abhängig von der Altersstufe und dem besprochenen Thema,
in der Praxis wird es meist eine Schnittmenge der verschiedenen Modelle sein. Auf jeden Fall muss
ethische Bildung in der Schule die beiden Pole Rigidität (die der Gefahr der Indoktrination unterliegt)
und Gewährenlassen (was zu einem sozialen Vakuum führen kann) vermeiden. Ethikunterricht soll vor
allem zur Bildung eigener Urteilen und zum Treffen eigener Entscheiden auffordern und nicht zur
Übernahme der Urteile und Entscheidungen anderer, die meisten Umsetzungsmöglichkeiten dieses
Anspruches bieten hier die Modelle Wertentwicklung und Wertkommunikation. (Ziebertz, 2001, S.
412-413)

    1.4.2 Didaktische Grundmodelle
Volker Pfeifer analysiert die im Folgenden überblicksartig erläuterten drei didaktischen Modelle - die
bildungstheoretische bzw. kritisch-konstruktive Didaktik, das curriculare Didaktikmodell und die
kritisch-kommunikative Didaktik - auf ihre Relevanz für den Ethikunterricht und stellt als Fazit das
Diskursmodell und integrative Reflexionsmodell vor. (Pfeifer, 2009, S. 57-83)

     1.4.2.1 Die bildungstheoretische bzw. kritisch-konstruktive Didaktik
Der Kern der bildungstheoretischen Didaktik (nach Wolfgang Klafki) ist der Bildungsbegriff, der mit drei
Grundfähigkeiten beschrieben wird: der Fähigkeit zur Selbstbestimmung, der Fähigkeit zur
Mitbestimmung und der Fähigkeit zur Solidarität. Zusammengefasst wird Bildung definiert als „die
Fähigkeit eines Menschen, sachkompetent, selbstbewusst, kritisch und solidarisch zu denken und zu
handeln“ (Pfeifer, 2009, S. 60). Materiale Bildungstheorien klären die Wissensinhalte, die bedeutend
genug sind, um an Schüler*innen weitergegeben zu werden, formale Bildungstheorien erörtern die
Frage nach den Fähigkeiten, die gegenwärtig oder zukünftig für die Schüler*innen wichtig sind. Zentral
ist hier der Begriff der Allgemeinbildung, der von Klafki in drei Bedeutungsmomente unterschieden
wird: als Voraussetzung für Selbstbestimmung muss Bildung für alle gleich sein, weiters dient
Allgemeinbildung der Erforschung der die Gesamtgesellschaft betreffenden Probleme und
Fragestellungen und nicht zuletzt meint Allgemeinbildung auch „Bildung in allen Grunddimensionen
menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ (Pfeifer, 2009, S. 61). Durch die Beschäftigung mit zentralen

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Problemen der Gegenwart sollen die Schüler*innen insbesondere vier Fähigkeiten entwickeln:
Kritikfähigkeit inklusive der Bereitschaft zu Selbstkritik, Argumentationsfähigkeit und -bereitschaft,
Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und die Bereitschaft und Fähigkeit vernetzt bzw. in
Zusammenhängen zu denken. (Pfeifer, 2009, S. 59-62)

Durch die Aufnahme von Elementen der lerntheoretischen Didaktik entwickelt Klafki den Ansatz
kritisch-konstruktiv weiter, kritisch im Sinne der Orientierung an der Zielbestimmung (der Entwicklung
der Fähigkeit zu Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität), die wichtiger als Inhaltsfragen
ist, konstruktiv, weil sich alle Unterrichtskonzepte und -modelle an der Praxis einer humaneren und
demokratischeren Schule messen lassen müssen. Die Aufgabe einer kritisch-konstruktiven Didaktik ist
die Analyse von fachwissenschaftlich relevanten Inhalten auf ihre fachdidaktische Bedeutung. (Pfeifer,
2009, S. 62-64)

Kritisiert an diesem Ansatz wird immer wieder der Bildungsbegriff: die einen tun ihn als Statusmerkmal
eines Bildungsbürgertums ab, von anderen wird Klafkis Definition als Verkürzung und Weg zur
Halbbildung gesehen und insbesondere von Heinz Schmitt wird die Unbestimmtheit der Begriffe
Selbstbestimmung und Solidarität kritisiert. Nichtsdestotrotz findet man im bildungstheoretischen
Modell eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für die Didaktik des Ethikunterrichts. Die
Schüler*innen sollen im Ethikunterricht insbesondere auch Diskursfähigkeit, Argumentationsfähigkeit,
kritische Wahrnehmungsfähigkeit und Fähigkeit zum Perspektivenwechsel einüben, die Fähigkeit zur
Selbstbestimmung gehört zweifellos zu den Voraussetzungen der gegenwärtigen Ethik, der kulturelle
Prozess der Demokratisierung mit einer immer größer werdenden Pluralität an
Partizipationsmöglichkeiten erfordert die Fähigkeit der Mitbestimmung und die Fähigkeit zur
Solidarität ist maßgebend für die Idee von Humanität. (Pfeifer, 2009, S. 64-68)

     1.4.2.2 Das curriculare Didaktikmodell
Im curricularen Didaktikmodell, auch lernzielorientiertes Modell, stehen die Lernziele im Fokus.
Bezugnehmend auf den Behaviorismus wird Lernen als Verhaltensänderung definiert, das Lernziel ist
das gewünschte Endverhalten der Schüler*innen. Die curriculare Didaktik fragt also nach den
Unterrichtsarrangements, die bestimmte Erfahrungsmöglichkeiten schaffen, die dann zu diesen
Verhaltensänderungen führen, der Inhalt wird hier als Stimulus, das Verhalten als Reaktion betrachtet,
die im kognitiven, emotionalen oder aktionalen Bereich liegen kann. Dementsprechend wird zwischen
kognitiven, affektiven und pragmatischen Lernzielen unterschieden. Pfeifer schlägt in einem
Lernzielraster für den Ethikunterricht vor, zwischen vier Zielfeldern zu unterscheiden, die wiederum in
aufeinander aufbauende Anforderungsprofile gegliedert werden. (Pfeifer, 2009, S. 69-72)

 I.        Wissen (Informationen)                   Einblicke liefern, Überblicks-Wissen aufbauen
                                                    Bildung fester Kenntnisse durch Differenzierung der Inhalte und
                                                    Betonung der Zusammenhänge
 II.       Erkennen (Probleme)                      Problemerfassung und Bewusstmachung
                                                    Einsicht in eine mögliche Lösung
                                                    Problemverständnis durch kritische Überprüfung der Lösung und
                                                    Übertragung auf andere Zusammenhänge
 III.      Können (Operationen)                     Moralisch-ethische Ich-Kompetenzen (sich der eigenen
                                                    Wahrnehmung bewusst sein und kritisch beurteilen können), Du-
                                                    Kompetenzen       (kommunikativ-diskursive    und     soziale
                                                    Kompetenzen)      und   Sachkompetenzen        (argumentative
                                                    Kompetenzen)
 IV.       Werten (Einstellungen)                   Kompetenzaspekt einerseits (Aussagen begründen können), zu
                                                    erreichende Grundhaltungen andererseits (z.B. Offenheit,
                                                    Respekt, Fairness, Toleranz, Zivilcourage)
Abbildung 5: Lernzielraster für den Ethikunterricht (Pfeifer, 2009, S. 72)
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