Begegnungen 20 20 - Internationale Familienzentrum eV

Die Seite wird erstellt Nepomuk Christ
 
WEITER LESEN
Begegnungen 20 20 - Internationale Familienzentrum eV
IFZ e. V.   2020 / 2021

Begegnungen
    im
Abstand
            20
          20 21                   1
Begegnungen 20 20 - Internationale Familienzentrum eV
IFZ e. V.   2020 / 2021

                                                    				Internationales Familienzentrum e.V.

                                                    Geschäftsstelle: 		 Hahnstr. 70
                                                    				60528 Frankfurt am Main
                                                    				                Telefon: 069 - 26 48 62 -0

                                                    				E-Mail: info@ifz-ev.de
                                                    				Internet: www.ifz-ev.de

    Begegnungen
                                                    Träger:				Internationales Familienzentrum e.V.
                                                    				Gemeinnütziger Verein
                                                    				Mitglied des Caritasverbandes Frankfurt

                                                    Bankverbindung:		 Postbank

        im
                                                    				Frankfurt am Main
                                                    				              IBAN: DE23 5001 0060 009 9216 06
                                                    				BIC: PBNKDEFFXXX

    Abstand
                                                    Vorstand:			 Stefan Gebauer, Vorsitzender
                                                    				         Dr. Elisabeth Gebhardt-Jaekel, stellv. Vorsitzende
                                                    				Paul Friese
                                                    				Martin Ostmann
                                                    				Dr. Michael Kühn
             Internationales Familienzentrum e.V.
                                                    Geschäftsführer:		     Karsten Althaus

                 20
                                    www.ifz-ev.de

               20 21
                                                    Redaktion: 			  Jens Dohrmann

                                                    Gestaltung: 			 Janin Stötzner / www.janin-stoetzner.de

                                                    Auflage: 			    1.800 Exemplare

2                                                                                                                                  3
Begegnungen 20 20 - Internationale Familienzentrum eV
IFZ e. V.   2020 / 2021

    Wo steht was?

    Kartenübersicht - Standorte						 6

    Einführung: Stefan Gebauer und Karsten Althaus				 8

    BEREICH JUGEND, SCHULE UND BERUF					                                    14      BEREICH KINDERTAGESBETREUUNG					48
    Einleitung: Hafida Allouss							                                        16      Einleitung: Marion Ring							50
    Begegnungen im Abstand an der ESB Frauenhofschule: 			                   19		    Umgang mit Nähe und Distanz im KiFaZ Niederrad: 				           52
    Hellei Qureischi und Sara Zahir                                                  Michaela Backes, Uschi Perry und Zehra Akın-Yavuz

    Heroes and Borders – Zwei Schulen, zwei Sprachen, ein Buch:			           22		    Marte Meo in Corona-Zeiten: 						59
    Alexander Klett                                                                  Claudia Minoliti und Rouhie Becker
    Begegnungen im Abstand – wie immer eine Frage der Haltung:			            26
    Jasmin Sadiq, Heike Gabriel, Fehmi Odabaş, Santiago Palau Herrero                BEREICH HILFEN ZUR ERZIEHUNG					64
                                                                                     Einleitung: Bernd Hormuth							66
    				                                                                             Eine weitere Einleitung: 							68
    BEREICH
    				    ERWACHSENE UND FAMILIEN					30                                           Wolfram Prühs
    Einleitung: Senka Turk							32                                                  Am Anfang war Amelie - Von einem Projekt ohne seinesgleichen:		 70
    Nähe, Distanz und Corona: Eine Reflexion der Arbeit der Psychosozialen   34      Elena Pinci
    Kontakt- und Beratungsstelle:
    Sadeta Malagić und Dr. phil. Eran Gündüz                                         IFZ EINRICHTUNGEN - ADRESSEN					 82
    Biographische Ausgrenzungserfahrungen und ihre Auswirkung auf die		      40
    Pressearbeit. Eine Reflexion:
    Gülser Uygun
    BTHG: So nicht!:								46
    Omar Alaoui

4                                                                                                                                                                      5
IFZ e. V.    2020 / 2021

                                                Hofheim

                                                                 Frankfurter
                                  Niederursel                        Berg

                                                                Eschers-
                                                                                 Preungesheim
                                                                heim

                                                                               Ecken-           Seckbach
                                                                               heim

                                                                                           Bornheim
                               Rödelheim
                                                                               Nordend

                                                                                           Ostend
                                                               Westend
        Unterliederbach
        Unterliederbach           Bockenheim

                                                      Gallus                                                              Offenbach
                      Höchst
                      Höchst
                                                                                                    Oberrad
                               Griesheim
                                                                         Sachsenhausen

6                                                                                                                                  7
    Sindlingen
    Sindlingen
                                                  Niederrad
IFZ e. V.   2020 / 2021

Einführung

Ein ganz besonderes, hoffentlich einzigartiges Jahr liegt hinter uns. Vor einem Jahr, zum Zeitpunkt des    Wir freuen uns, Ihnen erneut die Möglichkeit geben zu können, unsere Arbeit in aller inhaltlichen, text-
Schreibens der Einführung in den vorherigen Tätigkeitsbericht, waren wir gerade im ersten Lockdown.        lichen und grafischen Güte und Vielfalt darzustellen.
Das Thema des letzten Tätigkeitsberichts „Herausforderungen“ hätte passender für das vergangene
Jahr nicht sein können. Wer hätte ahnen können, wie lange uns dieses Thema begleitet, wie es die           Vorab möchten wir Sie über übergreifende Themen des IFZ aus dem Zeitraum der Veröffentlichung des
Gesellschaft verändert, welche Auswirkungen zu spüren sind. Natürlich war Corona das Hauptthema            letzten Tätigkeitsberichtes bis heute informieren. Zum einen sind wir mit unserer Verwaltung und Ge-
für uns im IFZ in diesem Jahr, quer durch alle Einrichtungen und Bereiche. Sie werden in den einzel-       schäftsstelle umgezogen. Die Räumlichkeiten in der Düsseldorfer Straße waren zu klein geworden. Wir
nen Berichten, besonders in den Vorworten der einzelnen Bereiche über die Herausforderungen, die           befinden uns nun in der Bürostadt Niederrad in der Hahnstraße. Zum Zeitpunkt der Planung und der
Lösungen, die Ideen und die Auswirkungen auf individueller Ebene informiert.                               Unterschrift unter den Mietvertrag war Corona nur ein Randthema, zum Zeitpunkt des Umbaus waren
                                                                                                           wir dann im ersten Lockdown, auch wieder eine besondere Herausforderung. Zusätzlich sind auch die
An dieser Stelle ist es uns extrem wichtig vor allem unseren Mitarbeitenden zu danken für ihren Einsatz,   Integrationshilfen und das Team des Betreuten Wohnens der Jugendhilfe (BeWo) mit in die Hahnstraße
ihre Kreativität und die Übernahme von Verantwortung. Es wurde immer geschaut, wie wir unsere Kli-         umgezogen, dies war Teil eines Ringtausches für das Team der Kindertagespflege, das so ins Gusti-
ent*innen weiter versorgen und betreuen können, wie das IFZ seine Arbeit weiter führt. In einer solch      Gebhardt-Haus einziehen konnte.
schwierigen allgemeinen Situation, die natürlich auch große Herausforderungen an das eigene, per-
sönliche Leben stellt, ist es bewundernswert, auch hier noch an die Klient*innen zu denken und diese       Ein ganz wichtiges Thema war auch die Beendigung der BvB-Reha-Maßnahme am Wiesenhüttenplatz.
weiter mit einer solchen Energie zu unterstützen. Dies geschah auf eine sehr individuelle, den jeweili-    Wir hatten uns, wie seit vielen Jahren, wieder für die Weiterführung des Projekts beworben, diesmal
gen Bedürfnissen angepasste Weise, ebenso angepasst an äußere Begebenheiten und Vorschriften.              leider erfolglos. Nach Jahrzehnten der Arbeit in diesem Bereich müssen wir das Angebot beenden, wir
Solche experimentellen Lösungen zu finden und ständig neu anzupassen und zu hinterfragen braucht           waren mit unserer Struktur der Mitarbeitenden und deren Bezahlung zu teuer. Wir sind als IFZ kein „Bil-
viel Kraft. Aber nur diese individuellen Wege sind zielführend. Genau für diesen Einsatz, alles am Lau-    liganbieter“. Natürlich war es ein großer Schreck für uns, für die betroffenen Mitarbeitenden ein Schock.
fen zu halten und für unsere Klient*innen da zu sein, dafür möchten wir uns ganz ausdrücklich bei allen    Umso wichtiger war es, hier sehr individuelle Ideen zu suchen. Wir kamen zum Glück fast komplett um
Mitarbeitenden im IFZ bedanken.                                                                            Kündigungen herum und konnten gute Lösungen für die betroffenen Mitarbeitenden finden. In der Fol-
                                                                                                           ge hat es aber auch bedeutet, dass wir das Haus am Wiesenhüttenplatz aufgeben mussten, nach über
Es gab aber auch andere Themen im IFZ, zum Glück. Deshalb war es uns wichtig, Ihnen, liebe Le-             40 Jahren am Standort. Auch dies ist eine große Herausforderung, eine Liegenschaft von 1.000m² zu
ser*innen, auch Themen unabhängig von Corona zu präsentieren. Gerade in diesen Zeiten finden wir           räumen und das Inventar an andere Einrichtungen zu verteilen. Die Liegenschaft ist nun an die Stadt
das sehr wichtig. Aus diesem Grund soll der diesjährige Titel des Tätigkeitsberichts „Begegnungen im       zurückgegeben, das Kapitel „Maßnahmen der Arbeitsagentur“ ist abgeschlossen für das IFZ. Nach so
Abstand“ auch nicht nur auf Corona festgelegt sein und so ist z.B. die in mehreren Artikeln umschriebe-    vielen Jahren ist das ein durchaus auch wehmütiges Ende.
ne pädagogische Formel „Nähe und Distanz“ ja nicht erst seit der Pandemie bedeutsam. Wir möchten
auch von konkreten Situationen und Erfahrungen berichten und nicht nur eine Haltung postulieren wie        Ein weiterer Einschnitt ist der Weggang von Herrn Hormuth aus dem IFZ. Herr Hormuth hat die Chance
„Begegnung fördern“. Damit wollen wir den Bogen weiter spannen und anknüpfen an den Tätigkeitsbe-          ergriffen, sich nochmals beruflich zu verändern und ein Angebot als Leitung des Jugendamtes Offen-
richten der letzten Jahre „Ankommen in Frankfurt“, „Kontinuität im Wandel“, „Perspektiven“ und „Her-       bach angenommen. Natürlich bedauern wir sein Ausscheiden, wir wünschen ihm viel Erfolg und freuen
ausforderungen“. Natürlich meint „im Abstand“ aber auch in der Phase der Pandemie.                         uns, auch weiterhin mit ihm Kontakt halten zu können. Zumindest eine Expansion des Jugendhilfebe-

8                                                                                                                                                                                                                 9
IFZ e. V.     2020 / 2021

reichs nach Offenbach könnte nun eine Option sein. Für die Nachfolge als Leitung des Bereichs Hilfen
zur Erziehung konnten wir Herrn Prühs gewinnen. Er ist schon einige Jahre im IFZ und hat sehr erfolg-
reich die Wohngruppe im Untersten Zwerchweg und die Sonstigen Betreuten Wohnformen (SoBeWo)
aufgebaut. Zudem hat er von Anfang an die Kooperation mit der Aidshilfe begleitet. Die Position als
stellvertretender Geschäftsführer wird der Verwaltungsleiter Herr Eichin einnehmen. In der Kooperation
mit einer noch neu einzuführenden Position der Leitung Pädagogik und Entwicklung wird somit der
Unterbau auf Geschäftsführungsebene dem großen Wachstum des IFZ in den letzten Jahren gerecht.

Wir möchten es nicht versäumen, uns an dieser Stelle auch bei unseren Geldgeber*innen, der Stadt
Frankfurt, dem Land Hessen, dem Landeswohlfahrtsverband und dem Bistum Limburg zu bedanken.
Ganz besonders möchten wir unseren Dank gegenüber dem Magistrat und den Stadtverordneten zum
Ausdruck bringen. Das unserer Arbeit entgegengebrachte Vertrauen und die finanzielle Unterstützung
tragen wesentlich zur Existenzsicherung des Internationalen Familienzentrums bei.

Ebenso richtet sich unser Dank an die Stiftungen und Einzelpersonen, mit deren Hilfe wir so manches
Projekt initiieren konnten. Vor allem mit der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt und dem
Jugendamt können wir auch weiterhin im Rahmen der Familienbildung das Projekt „Willkommenstage
in der frühen Elternzeit“ durchführen.

Allen an der Entstehung dieses Berichts maßgeblich Beteiligten, im besonderen den Autor*innen, die
erneut hochqualifizierte Arbeit beschreiben und in fast schon wissenschaftlicher Form ihre Gedanken
und Weiterentwicklungen darstellen, möchten wir ebenfalls unseren Dank ausdrücken, insbesondere
Herrn Dohrmann für die Ideen zur Gestaltung, den Titel des Tätigkeitsberichts und noch zusätzlich für
die Lektorenarbeit und seine Verbesserungsvorschläge.

Wir freuen uns auf ein spannendes neues Jahr mit vielen neuen Herausforderungen und wünschen
Ihnen interessante Momente beim Lesen unseres diesjährigen Tätigkeitsberichts.
Frankfurt am Main, im März 2021
                                                                                                         Vorstand des IFZ: Karsten Althaus, Dr. Michael Kühn, Stefan Gebauer, Dr. Elisabeth Gebhardt-Jaekel, Martin Ostmann, Paul Friese

Stefan Gebauer							Karsten Althaus
Vorsitzender des Vorstands						Geschäftsführung
10                                                                                                                                                                                                                                         11
IFZ e. V.   2020 / 2021

     In stillem Gedenken an die Opfer des rassistischen Terroranschlags
                       in Hanau am 19. Februar 2020:

                            Gökhan Gültekin
                              Sedat Gürbüz
                           Said Nesar Hashemi
                           Mercedes Kierpacz
                             Hamza Kurtović
                             Vili Viorel Păun
                             Fatih Saraçoğlu
                              Ferhat Unvar
                             Kaloyan Velkov

                             #SayTheirNames

12                                                                            13
IFZ e. V.   2020 / 2021

     JUGEND, SCHULE UND BERUF

14                                                  15
IFZ e. V.   2020 / 2021

                             Jugend, Schule und Beruf - Einleitung: Hafida Allouss

 Jugend, Schule und Beruf   Der diesjährige Themenschwerpunkt „Begegnung im Ab-              gendlichen bis zur 7. Klasse, deren Eltern dies für   Heroes and Borders von einem gemeinsamen
                            stand“ zielt darauf ab, die seit Beginn der Corona-Pandemie      notwendig erachten. Nun war es auch Kindern in        Buchprojekt von Schüler*innen der Paul-Hin-
 Bereichsleitung:           veränderten Betreuungsbedingungen in den verschiedenen           psychosozial schwierigen oder prekären Lebens-        demith-Schule und der Frankfurt International
 Hafida Allouss             Arbeitsbereichen in den Blick zu nehmen. In der Theorie der      lagen zumindest prinzipiell möglich, Unterstützung    School, das in der „Vor-Corona-Zeit“ begonnen
 Hahnstraße 70              Sozialen Arbeit wird der scheinbar paradoxe Gegensatz von        und Betreuung im persönlichen Kontakt wahrzu-         und zum Projektende auch veröffentlicht wurde.
 60528 Frankfurt            Nähe und Distanz als Grundlage professionellen Handelns          nehmen. In vielen Fällen haben die Mitarbeiter*in-
                            nicht mit Blick auf räumliche Distanz, sondern als emotio-       nen gezielt Kontakt zu Eltern aufgenommen und         Die Mitarbeiter*innen der Offene Kinder- und Ju-
 T. 069 - 26 48 62 -123     nale Nähe bei gleichzeitig distanzierter Haltung verstanden.     Betreuung angeboten.                                  gendarbeit im Jugendbüro Lichtblick sahen sich
 F. 069 - 26 48 62 -140     Dem gegenüber stehen nun seit einem Jahr die durch Pan-                                                                in der Pandemie mit der Situation konfrontiert,
                            demiemaßnahmen bedingte räumliche Distanz zu vielen Kli-         Auch in der Jugendhilfe in der Schule und             dass durch ein zeitweises Betretungsverbot der
 hafida.allouss@ifz-ev.de
                            ent*innen und die daraus resultierenden Probleme sowie die       Grundschule hatten und haben die Mitarbei-            Kontakt zu den Jugendlichen abzubrechen droh-
                            veränderten Anforderungen und nicht zuletzt die vielfältigen     ter*innen vielfältige Ideen, Aktivitäten, um den      te. So setzten sie auf telefonische und Online-Be-
                            Strategien, mit denen die Mitarbeiter*innen in den einzelnen     Kontakt zu ihren Klient*innen persönlich und          ratung sowie aufsuchende Jugendarbeit im Stadt-
                            Tätigkeitsfeldern den neuen Situationen begegnen.                digital aufrechtzuerhalten und sie zu unterstützen.   teil und in Parks.
                                                                                             Das Spektrum reicht von der Notbetreuung im Un-
                            In den erweiterten schulischen Betreuungen (ESBn) durf-          terricht über Kontaktangebote über die Homepage       Vor ähnlichen Schwierigkeiten sah und sieht sich
                            ten im ersten Lockdown lediglich Notbetreuungen für Kinder       der Schule oder/und Klassenlehrer*innen bis hin       die Berufseinstiegsbegleitung Hofheim gestellt.
                            von Eltern in „systemrelevanten“ Berufen angeboten werden.       zu Videokonferenzen mit Schüler*innen-Gruppen.        Auch sie begegneten der veränderten Situation
                            Der nachfolgende Bericht von Hellei Qureischi und Sara Za-       Auch Handysprechstunden und aufsuchende               mit viel Flexibilität.
                            hir aus der ESB Frauenhofschule bietet einen guten Ein-          Arbeit wurden eingeführt oder intensiviert. Im
                            blick in die vielfältigen Maßnahmen, die die pädagogischen       Blickfeld stehen hierbei insbesondere Kinder oder     Die Teilnehmer*innen, die sich auf weiterführen-
                            Fachkräfte entwickelt haben, um eine größtmögliche Nähe zu       Jugendliche, die – teils auch schon vor der Co-       den Schulen befinden, machen Homeschooling.
                            ihren Klient*innen herzustellen. Sie setzten ein neues Kon-      rona-Krise – als persönlich oder familiär belastet    Alle anderen werden soweit möglich an den Schu-
                            zept für Kinder in der Einrichtung um, nahmen telefonisch und    wahrgenommen wurden oder mit denen schon              len oder telefonisch betreut. In beiden Fällen ist
                            schriftlich Kontakt zu Kindern auf, die vom Betretungsverbot     eine konkrete Fallarbeit, beispielsweise im Bereich   erkennbar, dass die Jugendlichen sich sehr viele
                            betroffen waren und such(t)en Kontakt durch digitale Einzel-     des Kinderschutzes, begonnen worden war. Dazu         Gedanken machen. Praktika und Vorstellungsge-
                            und Gruppenkommunikation. Nach dem ersten Lockdown               kommen zahlreiche kreative Projekte, darunter         spräche fallen aus oder werden abgesagt. Famili-
                            überschatteten körperliche Distanzgebote und Maskenpflicht       digitale Koch-AGs oder Videoprojekte, in denen        enmitglieder sind oder waren infiziert. Die Teilneh-
                            die Schule und die ESBn, was auch den Umgang mit den Kin-        Jugendliche auf digitalem Weg Gemeinsamkeit           mer*innen haben teilweise Zukunftsängste. Die
                            dern berührte. Zuletzt, im zweiten Lockdown, war die Auswahl     und Produktivität erleben können.                     Berufseinstiegsbegleiter*innen verbringen sehr
                            der zugangsberechtigten Schüler*innen aufgegeben worden                                                                viel Zeit damit, den Jugendlichen Mut zu machen
                            zugunsten der Möglichkeit einer Teilnahme aller Kinder und Ju-   Alexander Klett berichtet in seinem Beitrag           – was auch fast immer gelingt. Der Umgang mitei-
16                                                                                                                                                                                                   17
IFZ e. V.   2020 / 2021

Jugend, Schule und Beruf - Einleitung: Hafida Allouss                                                     Begegnungen im Abstand an der ESB Frauenhofschule - Hellei Qureischi und Sara Zahir

nander hat sich positiv verändert. Vor Corona be-    Ausblick
deuteten die BerEbs für die Teilnehmenden immer      Die psychischen und sozialen Belastungen und         Das Jahr 2020 brachte für die ESB an der Frauenhofschule, wie auch für viele andere Einrichtungen
„Arbeit“. Mit und durch Corona sind die Gespräche    Folgen der Lockdown-Maßnahmen, die Kontakt-          des IFZ, neue Herausforderungen mit sich. Sowohl die pädagogischen Fachkräfte als auch die Famili-
intensiver und tiefer geworden. Die Jugendlichen     beschränkungen und Schulschließungen, treffen        en wurden mit den ständigen Anpassungen der Betreuungssituation ihrer Kinder konfrontiert. In Zeiten,
freuen sich über jeden Kontakt und sind dankbar,     insbesondere auch Kinder und Jugendliche und         in denen Abstandhalten oberstes Gebot ist, stellt sich hier zur Recht die Frage, wie wir als Pädago-
dass die BerEbs an Sie denken und weiterhin un-      werden voraussichtlich auch nach der Pandemie        g*innen in unserer praktischen Tätigkeit aktuell mit Nähe und Distanz umgehen und wie professionelle
terstützen.                                          spürbar sein. Geplant ist, die daraus folgenden      Nähe in der Kinderbetreuung mit dem pandemiebedingten Abstands-Gebot zusammenpasst.
                                                     Anforderungen im Rahmen Pädagogischer Tage
Für das Team Integrationshilfen für Jugend-          in den Teams zu thematisieren und Strategien auf     In unserem Alltag und vor allem im Umgang mit den Kindern, Kolleg*innen und Eltern ist die Frage nach
liche und junge Erwachsene zeigen Jasmin             Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflek-     Nähe und Distanz allgegenwärtig. Sozialpädagogisches Handeln ist immer durch die Beziehungsarbeit
Sadiq, Heike Gabriel, Fehmi Odabaş und San-          tieren und fortzuentwickeln.                         gekennzeichnet. Hier muss eine gewisse Nähe und Vertrauen zu den Adressat*innen aufgebaut wer-
tiago Palau Herrero in einem eindrücklichen                                                               den. Vor allem Kinder in Sozialisationsprozessen brauchen Erfahrungen der Bindung. Jedoch gehört zu
Fallbericht beispielhaft, dass eine professionelle   Neue Standorte                                       jener Nähe auch die professionelle Fähigkeit zur Distanz, denn Kinder sind ebenso darauf angewiesen,
Nähe- und Distanzbeziehung in der intensiven         Das IFZ hat im Jahr 2020 das Trägerauswahlver-       dass man ihnen ein adäquates Maß an Selbständigkeit zutraut. Die Gestaltung der Interaktion sowohl
Einzelbetreuung von großer Bedeutung ist. Damit      fahren für das Betreuungs- und Ganztagsangebot       zum Kind als auch zu den Eltern ist jedoch nicht immer einfach. Im Kontakt mit allen Beteiligten stellt
verdeutlichen sie die Arbeit der Mitarbeiter*innen   der Hellerhofschule gewonnen. Alle 19 neuen          sich immer wieder die Frage, wie viel Nähe notwendig ist und wie viel Distanz eingehalten werden
an vier Schulen sowie in zwei Gruppenangeboten       Stellen konnten besetzt werden, so dass die ESB      muss. Diese Entscheidung fällt nicht immer leicht, da jeder Mensch ein anderes Empfinden von Nähe
für Mädchen mit Fluchthintergründen. Ihr Fokus       am 01.02.21 starten konnte. Auch die Jugendhilfe     und Distanz hat.
liegt darauf, dass die Pandemie zwar Einfluss auf    in der Grundschule / Bildungsregion Mitte konnte
die Umsetzung ihrer Arbeit hat, im Wesentlichen      umfangreich erweitert werden: Im Sommer 2020         Das Jahr 2020 lehrt uns vor allem, dass Abstand und damit einhergehend eine gewisse Distanz manch-
jedoch ihre Haltung nicht berührt.                   wurde die Tätigkeit in der Franckeschule, der        mal unumgänglich bzw. sogar notwendig sind. Um das Risiko einer weiteren Übertragung des Virus
                                                     Viktoria-Luise-Schule sowie der Grundschule im       zu verringern und trotzdem eine gute Betreuung der Kinder gewährleisten zu können, haben wir unser
Wie gezeigt wurde, waren im Berichtsjahr 2020        Europaviertel aufgenommen. Am 01.02.2021 ist         Konzept vorübergehend von einem teiloffenen in ein geschlossenes Konzept umgewandelt. Dadurch
die Kräfte aller Mitarbeiter*innen darauf gerich-    noch die Kerschensteiner Schule dazugekommen.        sind bei uns neue Tagesstrukturen und Raumnutzungen entstanden. Die Kinder werden von den pä-
tet, die Begegnung im Abstand zu gestalten                                                                dagogischen Fachkräften in ihren sechs festen Bezugsgruppen betreut. Die ESB verfügt über eige-
und den Austausch und die Zusammenarbeit mit         Somit ist die Jugendhilfe des IFZ an 11 Grund-       ne Räumlichkeiten wie beispielsweise den Kreativ-, Spiel-, Ruhe-, und Phantasieraum. Üblicherweise
den kooperierenden Institutionen und Partner*in-     schulen vertreten. Und mit dem Projekt „Stärkung     können sich die Kinder frei nach ihren aktuellen Bedürfnissen aussuchen, in welchen Räumen sie sich
nen zu intensivieren. Es gebührt ihnen großer        und Förderung der Schüler*innen-Partizipation“ ist   aufhalten möchten, und dürfen zwischen den Räumen frei wechseln. Um eine Durchmischung der
Respekt und hohe Anerkennung dafür, dass             das IFZ für zwei Jahre am Oberstufengymnasium        Kindergruppen und Jahrgänge zu vermeiden, hat nun jede Bezugsgruppe einen festen Raum für die
und wie gut ihnen dies gelungen ist.                 der Max-Beckmann-Schule über Projektmittel des       Betreuungszeit zur Verfügung. Diese Umstellung war zunächst für die Kinder sehr ungewohnt und auch
                                                     Stadtschulamts ebenfalls vertreten.                  ein großer Eingriff in ihren Alltag. Mehrere Male haben wir unsere Räumlichkeiten den jeweils aktuell
                                                                                                          geltenden Vorgaben angepasst, um allen Kindern immer wieder ein möglichst großes Spektrum an

18                                                                                                                                                                                                             19
IFZ e. V.   2020 / 2021

     Begegnungen im Abstand an der ESB Frauenhofschule - Hellei Qureischi und Sara Zahir

Beschäftigungsmöglichkeiten bieten zu können. Mit dem Versuch, die Freizeitmöglichkeiten der Kinder      besprechen und zu verarbeiten. Im gemeinsamen Spiel entwickeln die Kinder kreativ eigene Spielideen
trotz der Umstände so wenig wie möglich einzuschränken, steht es jeder Gruppe weiterhin offen, ta-       mit passenden Regeln. Auch durch die verschiedenen Kreativangebote und das gemeinsame Gestal-
geweise den Ruheraum und die verschieden Bereiche des Schulhofs der Frauenhofschule zu nutzen.           ten des Gruppenraumes, schaffen sich die Kinder eine gemütliche Atmosphäre innerhalb der ESB, in
Hier können weiterhin verschiedene Bewegungs- und Phantasiespiele mit Abstand zu den anderen             der sie sich wohlfühlen können.
Bezugsgruppen gespielt werden.
                                                                                                         Einige Kinder besuchen seit Beginn der pandemiebedingten Einschränkungen in der Schule die ESB
Wie vieles im Leben braucht jede Veränderung eine gewisse Zeit, bis sie sich in unseren gewohnten        kaum oder gar nicht. Um den Kontakt mit allen Kindern der ESB aufrechtzuerhalten, haben die Bezugs-
Alltag integriert hat. Gerade den Kindern aus den Jahrgangsstufen 3 und 4 fällt es schwerer, auf den     betreuungen der einzelnen Gruppen beispielsweise Briefe an die abwesenden Kinder geschrieben und
sozialen Kontakt und den Austausch mit den Kindern aus den anderen Gruppen zu verzichten. Grup-          verteilt. Auch Telefonate mit den Kindern und deren Familien gehören für die pädagogischen Fachkräfte
penübergreifende Kontakte vermeiden bedeutet aktuell aber leider auch, dass jahrgangsübergreifen-        mittlerweile zum Alltag. Geplant ist nun, die digitale Kommunikation verstärkt zu nutzen, um den Kon-
des Spielen und Lernen innerhalb der ESB nicht stattfinden kann.                                         takt mit jenen Kindern, die die ESB nicht besuchen, aufrechtzuerhalten. Durch Onlinetreffen möchten
                                                                                                         wir so den Kindern ermöglichen, weiterhin in Verbindung mit den anderen Kindern aus ihrer Gruppe
Auch die Kommunikation im persönlichen Kontakt hat sich verändert. Wo zuvor das Tragen einer Mas-        zu stehen. Über unseren E-Mail-Verteiler versuchen wir die Eltern stets zeitnah über Neuerungen zu
ke kaum vorstellbar war, gehört sie momentan zu unserem Alltag. Durch die fehlende Wahrnehmung           informieren.
der Mimik müssen die Kinder aufmerksamer zuhören und gezielter auf die Gesten des Gesprächspart-
ners achten. Dies kann dazu führen, dass sowohl ihre Kommunikationsstärke als auch die Konzentra-        Zusammenfassend kann man sagen, dass die ganzen Neuerungen und Umstrukturierungen von einem
tionsfähigkeit zunimmt. Gerade wenn die Mimik unter der Maske kaum zu erkennen ist und körperliche       teiloffenen hin zu einem geschlossenen Konzept zwar einige Nachteile aber auch sehr viele Vorteile
Nähe vermieden werden soll, ist es umso wichtiger, den Kindern ein Gefühl von Nähe zu vermitteln.        mit sich brachten. Vor allem bei den Erstklässlern sind die Vorteile des geschlossenen Konzeptes gut
Positiv ist zu beobachten, dass trotz zunehmender Einschränkung von Freiräumen, die Kinder grup-         sichtbar. Sie fühlen sich in der ESB sehr wohl und kennen die Einrichtung nur in der aktuellen Form mit
penintern immer mehr zusammenwachsen und sich als feste Gruppe verstehen bzw. sich als Teil der          den festen Gruppen. Dadurch konnten sie von Anfang an als Gruppe zusammenwachsen. In einer Zeit,
Gruppe identifizieren. Trotz und gerade wegen der vielen Veränderungen finden die Kinder bei uns in      in der Abstand oberstes Gebot ist, ist bei diesen Kindern eine größere Nähe entstanden, als es vorher
der Einrichtung weiterhin einen strukturierten Tagesablauf vor, um den Kindern gerade in dieser verun-   in der ESB bisher möglich war.
sichernden Zeit ein gewisses Maß an Orientierung, Halt und Sicherheit zu geben.

Auch Gruppenspiele oder das gemeinsame Mittagessen schaffen in den Gruppen ein neues Gefühl
von Nähe und Zusammengehörigkeit. Hier wird der soziale Austausch zwischen den Kindern aber
auch zu den pädagogischen Fachkräften ermöglicht und gefördert. Des Weiteren wird durch den so-
genannten Sitzkreis bzw. der Feedbackrunde ein geschützter Rahmen geschaffen, in dem die Kinder
die Möglichkeit bekommen, ihre Gefühle mit der Gruppe zu teilen. Dieses Angebot nehmen die Kinder
mit sehr großem Interesse an. Hier haben die Kinder auch die Möglichkeit, einen Umgang mit aktuellen
Themen, die sie beschäftigen oder belasten, zu lernen und diese ggf. gemeinsam in der Gruppe zu
20                                                                                                                                           Hellei Qureischi                          Sara Zahir              21
IFZ e. V.   2020 / 2021

Heroes and Borders – Zwei Schulen, zwei Sprachen, ein Buch: Alexander Klett

Nein, nicht schon wieder so eine Schnaps-Idee,        der Pforte („Haben Sie eine Einladung?“). Dann        nen Freunden Spaß zu haben, musste ich mich            ter, vereinzelte Schweißtropfen, hoffentlich kein
und schon gar nicht, wenn die mit zusätzlicher        gab es große Augen: das großzügige Gelände.           schon als elfjähriges kleines Mädchen ohne Vater       Angstschweiß. Manche Jugendliche sind dabei
Arbeit verbunden ist. Unsere Schüler*innen als        Auch im Inneren viel Platz, breite Flure, große und   durch das Leben kämpfen und außerdem vier Mal          ruhig und entspannt, andere aufgeregt und hastig
Autor*innen eines Buches! Auch noch eines Bu-         saubere Räume mit viel Licht. Hier wird englisch      Auslandsgrenzen überwinden und ganz von vor-           im Vortrag.
ches, das sie gemeinsam mit Jugendlichen aus          gesprochen. Unsicherheit muss ausgehalten wer-        ne anfangen. Das heißt jedes Mal: Neue Sprache,
der Frankfurt International School (FIS) schreiben    den, wird weggedrückt.                                neue Kultur, neues Land, neue Leute und vor al-        „These memories brought seth to question his
sollen, ein Buch mit Kurzgeschichten in deutscher                                                           lem neue Schulen. Jeder Schulunterricht auf einer      own life and let him become aware of his mortality.
und englischer Sprache.                               Die ersten Eindrücke der Schüler*innen waren          neuen Schule fühlte sich so an, als ob ich in einen    He asked himself: ”am I happy with my life? Is it
                                                      sehr unterschiedlich:                                 schwarzen Raum geworfen wurde und mich stän-           right to become the person, I am right now? What
Wolf Frey, Ruheständler und Mentor von den Jo-                                                              dig komische Stimmen umgaben. Andererseits             have I achieved if I die tomorrow? Is my life even
hannitern, hat mich schon oft mit neuen Ideen         Laura: „Ich war ziemlich verunsichert, weil die       bin ich jetzt viel selbstbewusster, offener und habe   worth living?”
versorgt, die doch etwas weltfremd erschienen -       International School ist ja komplett englisch und     viel Erfahrung, besonders was das Thema Spra-          (Kalab Alemayehu, The perfect problem)
zumindest auf den ersten Blick. Aber Wolf Frey        mein Englisch war damals nicht so gut.“               chen angeht.“                                          Die Helden des Alltags stellen in den Geschichten
gibt nicht so schnell auf. Und schließlich hatte er   Andrea: „Ich war gespannt und ich habe mir nicht                                                             existentielle Fragen und so werden Themen be-
mich so weit gebracht, dass ich dachte: “Warum        so viele Gedanken darüber gemacht. Ich wollte         Die Herausforderungen nahmen ihren Lauf und            handelt wie:
nicht? Warum sollten unsere Kids nicht auch Kurz-     mich überraschen lassen.“                             bald entstand die erste Präsentation. Die hart er-
geschichten schreiben können? Warum sollten wir                                                             arbeiteten literarischen und grafischen Ergebnis-      •   Ein deutscher und ein französischer Soldat
ihnen das nicht zutrauen? Warum sollten wir ihnen     Die erste Hürde wurde überwunden – es ging            se wurden präsentiert.                                     freunden sich im 2. Weltkrieg an,
nicht ein besonderes Erlebnis ermöglichen?“           los und schon bald entstanden die ersten Texte.                                                              •   Ein Mädchen im Heim möchte seine Eltern
                                                      Nachfolgend ein Auszug aus der Short Story von        Gar nicht so einfach, diesen Raum zu finden.               kennenlernen,
Wolf Frey knüpfte den Kontakt zur FIS und ein         Milena Ilieva, mit dem spannenden Titel „Die be-      Nach einem Lauf durch den Irrgarten der FIS bin        •   Eine Liebe zwischen einer reichen Unterneh-
neues Projekt war geboren. Der Start begann           sondere internationale Wer-bin-ich-Entwicklung“,      ich in der geräumigen Bibliothek der Schule ge-            merin und einem ihrer Angestellten.
für die Schüler*innen der Paul-Hindemith-Schule       die im zweiten Workshop entstanden ist:               landet. Gemurmel aus einer hinteren Ecke: Dort
mit einem Besuch an der FIS: Am Fenster eilen                                                               sind viele Leute versammelt, die meisten von ih-       Wie werden die Texte ankommen?
Felder, Autobahn, Dörfer vorbei. Mit der S-Bahn       „Für manche der Jugendlichen ist diese Erfahrung      nen etwas feiner gekleidet. Ich erkenne auch ei-
verlassen wir Frankfurt. Wo Oberursel liegt, weiß     gar nicht so ungewohnt: Anstatt wie andere Kin-       nige unserer Schüler*innen. Auf ein paar Tischen       Laura: „:Ich war einigermaßen erleichtert, aber
keine*r der Schüler*innen, mit denen ich unter-       der auf irgendeinem Punkt der Erde glücklich mit      ist ein kleines Buffet mit Getränken und Knabberei     auch traurig. Erleichtert war ich, weil dieses gan-
wegs bin. Keine*r von ihnen war schon einmal          meinen Eltern zu leben, mich auf jedes Schuljahr      aufgebaut. Lampenfieber ist das passende Wort;         ze Buchprojekt mich schon nervös gemacht hatte.
dort gewesen. Spannung fremder Ort, fremde            zu freuen und auf die Neuigkeiten, die mich er-       Strahler beleuchten die Bühne, auf der die Dar-        Ich war traurig, weil die Zeit dort schön war. Ich
Schule, fremde Menschen, Ausweiskontrolle an          warteten, oder darauf gespannt zu sein, mit mei-      steller für ihren Auftritt proben. Gerötete Gesich-    würd‘s gern noch mal machen“.

22                                                                                                                                                                                                                  23
IFZ e. V.   2020 / 2021

Heroes and Borders – Zwei Schulen, zwei Sprachen, ein Buch: Alexander Klett

Andrea: “Am Ende habe ich mich gefreut, weil ich        ler*innen der beiden Schulen, die auch mehr oder        setzen. Ein nächstes Mal, das nicht stattfand. Co-
viele neue Menschen mit super Talenten kennen-          weniger verschiedene Welten repräsentieren.             rona hat den für April 2020 geplanten Workshop
gelernt habe. Außerdem war es für mich eine gro-                                                                leider verhindert. Auch eine Grenze. Aber noch ist
ße Freude, in beiden Schulen vor den Lehrer*in-         Die Schriftsteller*innen wurden kein Team. Die          es nicht ganz vorbei: Die sehr rührige Verlegerin
nen, den Schüler*innen und den Eltern ein wenig         Jugendlichen haben wenig Verbindung unterein-           Sonja Hintermeier, die viel Herzblut in die Projek-
von meiner Geschichte zu präsentieren.“                 ander aufgebaut. Das liegt natürlich auch an der        te gelegt hat, schlug vor, ein solches Buchprojekt
                                                        Text-Arbeit, die macht jede*r für sich, das ist keine   mit und in der Paul-Hindemith-Schule zu machen
Beifall, viel Beifall. Zufriedene, erleichterte und     Gruppenarbeit. Aber auch in den Pausen, in der          und umgekehrt ein paar Schüler*innen aus der In-
stolze Akteure – genauso wie ein paar Monate            übrigen Zeit sind die beiden Gruppen weitgehend         ternational School einzuladen. Nach einigen An-
später in der Paul-Hindemith-Schule.                    unter sich geblieben.                                   strengungen steht jetzt die Finanzierung und ein
                                                                                                                weiteres Projekts kann begonnen werden.
Oktober, Zeit der Buchmesse in Frankfurt. Genau         Schade! Die Möglichkeiten einer Begegnung wur-
in dieser Woche wird auch das Buch vorgestellt:         den kaum genutzt. Berührungsängste, Desinter-           Die häufige Aussage „Die Kids lesen nicht mehr,
„Borders – Grenzen“. Das Besondere an dem               esse, Sprachprobleme? Was mag der Grund ge-             sie schreiben nicht“ - das stimmt nur bedingt. Im
Buch: es hat zwei Seiten. Von der einen Seite           wesen sein?                                             Vorfeld haben sich viele Schüler*innen an dem
englisch. Umgedreht – von der anderen Seite sind                                                                Projekt interessiert gezeigt. Ob die Begegnung mit
die Texte in deutscher Sprache verfasst. Jede*r         „Wir haben leider nicht so viel miteinander gere-       Schüler*innen der FIS diesmal gelingen kann, ist
der jungen Schriftsteller*innen liest einen Auszug      det, weil mein Englisch nicht so gut war. In meiner     fraglich.
aus ihrem/seinem Buch. Nach der Lesung Auto-            Gruppe hat nur ein Mädchen ein wenig Deutsch
gramme und Gespräche, Anerkennung.                      gesprochen. Alle anderen haben nur Englisch             Die Einladung wurde ausgesprochen. Aber ihre
                                                        gesprochen. Das hätte ich mir gern anders ge-           Teilnahme steht erneut unter einem ungünstigen
Laura: “Ich war stolz auf mich, weil ich alles durch-   wünscht.“                                               Corona-Stern.
gestanden habe, auch mit dem Englisch. Und
dass meine Entwürfe in dem Buch waren, das hat          Es hätte mehr Impulse und Anregungen seitens
sich großartig angefühlt.                               der Veranstalter*innen gebraucht. Für das nächs-
                                                        te Mal nahmen wir uns vor, mehr Augenmerk auf
Was nicht gut gelang: Auch wenn in der Liebes-          die Begegnung zu legen, im Vorfeld eine gemein-
geschichte die Protagonist*innen aus den beiden         same Unternehmung, etwas Abenteuerliches,
verschiedenen Welten zusammenfanden, so ge-             Verbindendes zu veranstalten und auch während
lang dies doch nicht so gut zwischen den Schü-          der Woche Impulse und Anknüpfungspunkte zu

24                                                                                                                                                                                        25
IFZ e. V.   2020 / 2021

Begegnungen im Abstand – wie immer eine Frage der Haltung:
Jasmin Sadiq, Heike Gabriel, Fehmi Odabaş und Santiago Palau Herrero

Genau das, was wir seit März          sondern einige Fälle aus unse-      Entwicklungsprozess der betref-         ter. Frau B. begann sich unserer      durch ihren Vater ausgesetzt         terschriften verweigerten oder
2020 zunehmend in Verbindung          rer Praxis kurz dazustellen, die    fenden Person zu nutzen.                Beraterin immer mehr zu öffnen.       war, ohne dass es bisher zu ei-      Briefe von Ämtern vorenthiel-
mit den Worten „Begegnungen           die Herausforderungen veran-                                                Schnell wurde seitens der Klien-      ner therapeutischen Aufarbei-        ten. Weiter berichtete sie, dass
im Abstand“ bringen, wird in un-      schaulichen und in denen es be-     Im Fall der jungen Frau B., die         tin deutlich, dass sie unsere Kol-    tung der Geschehnisse kam. Zu        ihr Vater sie auf offener Straße
serem diesjährigen Tätigkeits-        sonders wichtig war, den „Kon-      über eine Schule für Erwachse-          legin in ihrem recht kleinen sozi-    einer polizeilichen Anzeige war      verfolgte, um sie zu kontrollieren
bericht nicht vordergründig be-       takt mit Abstand“ zu halten.        ne an eine unserer Beraterinnen         alen Netzwerk mit einer Freundin      es ebenfalls nicht gekommen,         und einzuschüchtern, wann im-
handelt. Auch ohne Pandemie                                               herangetreten ist, lassen sich          gleichsetzte. Da wir jedoch sehr      auch während des Beratungs-          mer Frau B. sich seiner Kontrolle
müssen wir in der Lage sein, den      Jugendliche und junge Erwach-       die Herausforderungen in die-           darauf achten, Rollenklarheit         prozesses war sie nicht dazu         entziehen wollte.
Ratsuchenden, mit denen wir un-       sene befinden sich in einer Le-     sem Kontext gut schildern. Zum          zu schaffen und zu halten, ver-       bereit. In den nachfolgenden
seren beruflichen Alltag teilen, in   bensphase des Übergangs, in         Zeitpunkt der Kontaktaufnahme           mittelte die Kollegin ihr, dass       Monaten stellten wir mit Frau B.     Während des ersten Lockdowns
einem Abstand und zugleich ei-        der Nähe und Distanz, Grenzen,      besucht Frau B. die Abendschu-          es hier um eine professionelle        den Kontakt und die Anbindung        mussten Face-to-Face-Gesprä-
ner Nähe zu begegnen, sodass          Rollen und Beziehungen neu          le um ihren Realschulabschluss          Beratung und Begleitung ginge         an mehrere Fachberatungsstel-        che mit uns stattfinden, da die
eine im Sinne der Klientel nütz-      definiert werden. So erleben wir    auf dem zweiten Bildungsweg             und nicht um freundschaftliche        len her, da sie mittlerweile die     junge Frau mehrmals durch un-
liche und förderliche Begegnung       beratende Fachkräfte oft, dass      nachzuholen. Die 26jährige Hil-         Leistungen. Diese Klarheit und        Notwendigkeit der Behandlung         ser Angebot stabilisiert werden
bzw. Beziehung entsteht und be-       uns familiäre bzw. vertraute        fesuchende lebte noch mit ihren         Transparenz des Beziehungs-           dieser schweren Themen ein-          musste, trotz einer mittlerweile
stehen bleibt. Was bedeutet das       Rollen zugeschrieben werden.        Eltern zusammen. Sie hatte,             verhältnisses trug zur Schaffung      sah, die Kraft und die Stabilität    laufenden Psychotherapie in ei-
nun in unserem Kontext? Oder          Dabei werden wir zu Freund*in,      wie schon Schüler*innen dieser          von einer Distanz bei, ohne die       in sich spürte und sich therapeu-    ner Praxis. In dieser Phase der
wie lassen sich eine professio-       Cousine, der Schwester, der         Schule vor ihr, den Auftrag für         Nähe zu verlieren. Das zeigte         tische Hilfe wünschte. Aufgrund      Beratung war die professionel-
nelle Nähe- und Distanzbezie-         Tante, dem Bruder oder Onkel        uns, sie im Bewerbungsprozess           sich vor allem nach einigen wei-      ihrer Wohn- und Lebensverhält-       le Beziehung zwischen unserer
hung und somit Grenzen defi-          und hin und wieder auch zur         für einen Aushilfsjob zu unter-         teren Sitzungen, in denen Frau        nisse wurde unsere Klientin aber     zuständigen Kollegin und der
nieren? Um sich der Thematik in       Elternfigur deklariert. Dahinter    stützen. Dabei war sie sehr moti-       B. mit einem weitaus schwieri-        immer wieder durch den Vater         Hilfesuchenden von einer be-
unserem Arbeitsbereich nähern         steht oft das Bedürfnis der hil-    viert, da sie nicht nur ihre finanzi-   geren Thema als der Job- und          emotional und psychisch unter        sonderen Bedeutung. Ziel war
zu können, finden wir es am an-       fesuchenden Person eine ver-        elle Situation aufbessern wollte,       Wohnungssuche an die Berate-          Druck gesetzt, sich nicht nach       es in dieser Phase die Nähe zu
schaulichsten, wenn wir unsere        traute Beziehung zu schaffen, in    sondern den Job auch als eine           rin herantrat. Der Klientin hat die   draußen zu begeben, anderen          wahren um sie (stabil) zu halten
„Begegnungen im Abstand“ des          der es einfacher ist sich zu öff-   wichtige Ressource am Anfang            erarbeitete vertrauensvolle Be-       anzuvertrauen oder außerfami-        und gleichzeitig die Distanz zu
vergangenen Jahres an zwei            nen. Für uns ist es wichtig, dies   ihres Ablösungsprozesses vom            ziehung geholfen sich zu öffnen.      liäre Beziehungen einzugehen.        Geschehnissen in ihrem Leben
Beispielen vorstellen. Dabei          zu erkennen und diesen Aufbau       elterlichen Haushalt sah. Die Ar-       Sie berichtete von ihrem Eltern-      Oft wurden die unterstützenden       und ihren Belastungen beizube-
haben wir nicht den Anspruch          von Nähe seitens der hilfesu-       beitsatmosphäre, während der            haus, in dem sie seit ihrer Kind-     Maßnahmen unserer Kollegin           halten, um als Fachkraft hand-
eine theoretische Abhandlung          chenden Person zum Gelingen         Begleitung im Bewerbungspro-            heit häuslicher Gewalt, sexuel-       torpediert, weil die Eltern zum      lungsfähig zu bleiben. Dies war
in diesem Artikel zu erarbeiten,      der Beratung und Begleitung im      zess wurde zunehmend vertrau-           len Übergriffen und Missbrauch        Beispiel für Anträge benötigte Un-   an vielen Punkten eine beson-

26                                                                                                                                                                                                                          27
IFZ e. V.   2020 / 2021

Begegnungen im Abstand – wie immer eine Frage der Haltung:
Jasmin Sadiq, Heike Gabriel, Fehmi Odabaş und Santiago Palau Herrero

dere Herausforderung, da auch       Platz in einem Frauenhaus und      an. Sicher hat diese Betitelung      liche Teilhabe zugänglich ma-
die mit unserer Mithilfe geführte   konnte sich somit aus den ge-      auch einen (kulturellen) Höflich-    chen sollen.
Kommunikation und Auseinan-         waltvollen und sehr belastenden    keitsaspekt, gleichzeitig zeigt es
dersetzung mit Ämtern durch         Verhältnissen in ihrem Eltern-     die Einordnung in das System         Das Nähe-/Distanz-Verhältnis ist
die anhaltende sehr belastende      haus befreien, auch wenn sie       der Familie (auch als Unterstüt-     immer kontextabhängig und de-
häusliche Situation zusätzlich      selbst nach einem gemeinsa-        zungsort) und dient zur Über-        finiert sich situativ neu. Es ver-
erschwert und sabotiert wurden.     men Beratungsgespräch mit der      windung von sozialer Distanz         langt dafür eine Bewusstheit,                                 Jasmin Sadiq
Als Berater*innen befinden wir      Polizei (noch) nicht dazu in der   und Schaffung von Nähe. Die          eine stetige Reflexion und eine
uns vor allem in solch besonders    Lage war auch rechtliche Schrit-   Kompetenz, diese kulturellen         entsprechende professionelle
schwierigen Situationen auf ei-     te einzuleiten. Abstand heißt      Eigenheiten anzuerkennen und         Anpassungsfähigkeit.
ner schmalen Gradwanderung.         auch, die Autonomie der Ratsu-     anzunehmen, ist ein besonders
Dabei geht es auch darum, uns       chenden anzuerkennen.              wichtiger Zugang in diesem Kon-      Daraus entsteht die Rollenklar-
vor Übertragungen der Gefühle                                          text. Auch der eigene Migrations-    heit, die wir unseren Klient*innen
der Klient*innen, in diesem Bei-    Eine weitere Herausforderung       hintergrund unserer Kolleginnen      vermitteln können. Diese Klar-
spiel vor allem Wut und Ohn-        stellt das Nähe-/Distanzverhält-   erleichtert die Kontaktaufnahme,     heit ist ein wesentliches Element
macht gegenüber den Eltern, zu      nis in unserer sozialpädagogi-     den Beziehungsaufbau und eine        der verlässlichen Basis unserer
schützen, um damit weiterhin für    schen Arbeit mit Mädchen mit       vertrauensvolle Arbeit mit die-      professionellen Beziehung. Die-
die hilfesuchende Person eine       Fluchthintergrund dar.             sen Mädchen und ihren Eltern.        se Grundhaltung pflegen wir un-      Heike Gabriel
fachliche Unterstützung zu sein.                                       Erst diese zuverlässige und auf      abhängig von äußeren Einflüs-
In dem konkreten Fall von Frau      Diese Angebote im Rahmen           Vertrauen basierende Bezie-          sen wie der Covid 19-Pandemie.
B. konnte unsere Arbeit erfolg-     von „Mädchentreffs“ führen wir     hung ermöglicht den Eltern, uns      Und somit hat das Virus zwar                                              Fehmi Odabaş
reich geführt werden, weil es       seit September 2016 in zwei        ihre Töchter anzuvertrauen und       manchmal das letzte Wort in Be-
unserer Kollegin gut gelungen       Sammelunterkünften durch. Die      zum Beispiel an Ausflügen teil-      zug auf die Form der Umsetzung
ist, den professionellen Rahmen     Teilnehmerinnen an diesem An-      nehmen zu lassen. Dies ist eine      unserer Arbeit, aber nicht auf die
zu bestimmen und zu halten. In      gebot stammen häufig aus Afg-      wichtige Voraussetzung dafür,        Haltung bezüglich unserer „Be-
der einjährigen intensiven Be-      hanistan, Syrien oder dem Irak.    diese Familien mit unseren An-       gegnungen im Abstand“.
gleitung konnte die Klientin an     Die Mädchen sprechen unsere        geboten zu erreichen, die ihnen
verschiedene notwendige Hilfe-      zuständigen Kolleginnen als        das Ankommen in Deutschland
systeme angebunden werden.          „Chala“ (zu übersetzen als Tan-    erleichtern und vor allem auch
Abschließend bekam sie einen        te bzw. Schwester der Mutter)      den Mädchen eine gesellschaft-
                                                                                                                                                                 Santiago Palau Herrero
28                                                                                                                                                                                             29
ERWACHSENE UND FAMILIEN
IFZ e. V.   2020 / 2021

                          Erwachsene und Familien - Einleitung: Senka Turk

                          Eine etwas andere Einleitung

                          Ich möchte diese Einleitung ausschließlich den Mitar-      Liebe Leser*innen, wenn Sie sich einen Eindruck
                          beitenden des Bereichs „Erwachsene und Familien“           über die Fachlichkeit, die professionelle Haltung
                          widmen.                                                    oder das Engagement dieser Mitarbeitenden ma-
                                                                                     chen möchten, empfehle ich Ihnen wärmstens,
                          Es ist viel gesagt und wird wahrscheinlich auch noch       die anschließenden Texte zu lesen. Sie sind re-
                          viel gesagt werden zum Thema „Corona“.                     präsentativ für den Gesamtbereich.
                          Das Wesentliche, was ich aus dieser Zeit mitnehme,
Erwachsene und Familien   sind jedoch die kontinuierlich beeindruckenden Leistun-    Liebe Mitarbeitenden, ich kann nicht oft genug
                          gen der Mitarbeitenden in den Teil-Bereichen „Migration    Danke sagen!
Bereichsleitung:          und Familie“ sowie „Psychosoziales Zentrum“.
Senka Turk                                                                           Eine Einrichtung, für die solch engagierte Men-
                          Seit dem ersten Tag der Pandemie haben sie überdurch-      schen arbeiten, muss sich um ihre Zukunft keine
Hahnstraße 70
                          schnittliche und keineswegs selbstverständliche Verant-    Sorgen machen.
60528 Frankfurt
                          wortung, Zuverlässigkeit, Ideenreichtum, Kreativität,
T. 069 - 26 48 62 -125    Durchhaltevermögen und Engagement gezeigt und tun
F. 069 - 26 48 62 -140    es bis heute. Dabei stellen sie ihre eigenen Bedenken,
                          Vorerkrankungen oder Ängste um ihre Angehörigen
                          deutlich in den Hintergrund und agieren vordergründig
senka.turk@ifz-ev.de
                          im Sinne unserer Nutzer*innen.

                          Es ist ein Privileg, einen Bereich zu leiten, in welchem
                          die Mitarbeitenden dauerhaft neue Ideen der bedarfsge-
                          rechten Versorgung und Unterstützung von Nutzer*in-
                          nen einbringen, zusätzliche Dokumentationen und über-
                          greifende Aufgaben übernehmen, sich zeitgleich um
                          Qualitätsmanagement und die Umsetzung neuer Geset-
                          zesvorgaben kümmern, mit technischen Unzulänglich-
                          keiten kämpfen und die Selbst- und Teamreflexion nicht
                          vernachlässigen.
 32                                                                                                                                                          33
IFZ e. V.          2020 / 2021

Nähe, Distanz und Corona: Eine Reflexion der Arbeit der Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle: 			       Sadeta Malagić und Dr. phil. Eran Gündüz

 Die Arbeit der PSKB                                 viele Klient*innen und zum zweiten spricht dieser         fügen über sehr diverse Lebensgeschichten. Aus                                                 tisierungen und Diskriminierungen geprägt sind.
                                                     Umstand sehr für die Qualifizierung und Expertise         der Perspektive der Fachkräfte wäre es eine kultu-                                             Nicht selten haben diese Erfahrungen bereits im
 Auch im Jahr 2020 haben wir in der Psychosozia-     unserer Einrichtung im Allgemeinen und des PSZ            ralistische Sichtweise, wenn man davon ausgehen                                                Herkunftsland begonnen. So hatten sie bspw. die
 len Kontakt- und Beratungsstelle (PSKB) des Psy-    im Besonderen. Die sprachliche Vielfalt der Fach-         würde, sie seien jeweils eine homogene Gruppe.                                                 „falsche“ Religion, trugen den „falschen“ Namen,
 chosozialen Zentrums (PSZ) wieder viele Men-        kräfte erweist sich bekanntlich als enormer Vor-          Andererseits müssen wir uns bewusst werden,                                                    wählten die „falsche“ Partei, sprachen die „falsche“
 schen mit psychischen Erkrankungen unterstützt.     teil. Insbesondere, weil die diesbezügliche Ver-          dass auch bei Klient*innen Zuschreibungen und                                                  Sprache. Viele erlebten die kriegerischen Ausein-
 Insgesamt fanden ca. 650 Face-to-Face-Bera-         sorgungsstruktur noch immer unzureichend ist.             Phantasien über die Herkunft ihrer Berater*innen                                               andersetzungen in ihren Herkunftsländern und er-
 tungsgespräche statt. In der Regel benötigen un-    Kliniken, Ärzt*innen und andere Träger verweisen          entstehen. Oft möchten sie die genaue Herkunft                                                 litten dabei sowohl die persönlichen Verluste als
 sere Klient*innen Unterstützung sowohl in exis-     ihre Patient*innen bzw. Klient*innen häufig gerade        in den Gesprächen explizit in Erfahrung bringen.                                               auch die unmittelbaren Auswirkungen der Kriegs-
 tenzsichernden Belangen als auch in Fragen der      wegen der interkulturellen und sprachlichen Kom-                                                                                                         propaganda, wurden interniert, gefoltert. Die Aus-
 bedarfsgerechten medizinischen Versorgung oder      petenzen gerne an unsere PSKB. Für die Fach-              Daraus ergeben sich einige Fragen, die uns die                                                 wanderung oder Flucht brachte nicht bei allen die
 im Rahmen der stabilisierenden Gespräche. Eine      kräfte ist es natürlich ein Vorteil, mit den Klient*in-   Möglichkeit geben, unsere professionelle Rolle                                                 erhoffte Befreiung vom dauernden Othering1 mit
 umfassende, lebensweltorientierte psychosoziale     nen in ihrer Herkunftssprache kommunizieren zu            zu reflektieren, um mit den möglicherweise po-                                                 sich. Auch in der für sie neuen Gesellschaft erleb-
 Anamnese ist unabdingbar. Die sprachlichen so-      können. Dadurch kann einerseits eine Nähe ge-             sitiven oder negativen Herkunftszuschreibungen                                                 ten und erleben viele immer noch die Stigmatisie-
 wie inter-/transkulturellen Kompetenzen unserer     schaffen und Hürden der Verständigung und des             passend umzugehen: Wieviel Nähe lasse ich zu                                                   rung oder auch strukturelle Diskriminierung. Ihr
 Mitarbeiter*innen haben in diesem Setting eine      Zugangs können abgebaut werden. Andererseits              und wieviel Distanz ist nötig? Wie viel Nähe oder                                              Name und ihre Religion sind weiterhin „falsch“,
 besonders wichtige Funktion.                        besteht die Herausforderung unserer alltäglichen          Distanz erwarten die Klient*innen von mir auf-                                                 ihre Hautfarbe und ihre psychische Erkrankung
                                                     Arbeit darin, das „Behördendeutsch“ in eine für die       grund unserer vermeintlich „gleichen“ Herkunft?                                                auffällig. Hinzu kommen noch die unzureichenden
 Sprachliche Diversität der Mitarbeitenden und der   Klient*innen in ihrer Herkunftssprache verständli-        Welche Relevanz hat die Kenntnis des genauen                                                   Kenntnisse der Sprache und der für sie wichtigen
 Klient*innen                                        che Form zu übersetzen und/oder sie trotz unzu-           Herkunftsortes oder der Religion? Welche Erwar-                                                Versorgungsstruktur. Ein selbständiges Agieren in
                                                     reichender Deutschkenntnisse dabei zu unterstüt-          tungen können dadurch insgesamt entstehen und                                                  solchen Umständen gestaltet sich enorm schwer
 Auch wenn die Herkunftsstruktur sehr hetero-        zen, zunehmend selbstständig zu agieren.                  was könnten die Ursachen dieser Erwartungen                                                    und führt nicht selten zu Frustrationen, zur Ver-
 gen ist, nutzen aktuell die meisten Klient*innen                                                              sein?                                                                                          stärkung der Traumata und Misstrauen in Insti-
 die Herkunftssprachen Türkisch sowie Bosnisch/      Nähe und Distanz in der Beratung                                                                                                                         tutionen. Wenn man dann erfährt, dass es eine
 Kroatisch/Serbisch. Dass genau diese Sprachen                                                                 Betrachten wir nun die Lebenswelten unserer                                                    Einrichtung gibt, in der bspw. Berater*innen oder
 durch die Mitarbeiter*innen der PSKB bedient        Auch die vorhin genannten türkischstämmigen bzw.          Klient*innen, so wird schnell sehr deutlich, dass                                              Psycholog*innen arbeiten, mit welchen man sich
 werden können, ist zum einen ein Glücksfall für     Klient*innen aus dem ehemaligen Jugoslawien, ver-         ihre Biographien sehr oft von mehrfachen Stigma-                                               sprachlich verständigen kann, können sowohl

                                                                                                               1 „Von Othering spricht man, wenn eine Gruppe oder eine Person sich von einer anderen Gruppe abgrenzt, indem sie die nicht-eigene Gruppe als andersartig und fremd beschreibt. Dies
                                                                                                               geschieht in der Regel innerhalb eines Machtgefälles: die als anders Beschriebenen sind von Diskriminierung betroffen und haben deswegen wenig Möglichkeiten, sich gegen die Zuschreibung
                                                                                                               zu wehren.“ Quelle: https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/othering

 34                                                                                                                                                                                                                                                                                                  35
IFZ e. V.   2020 / 2021

Nähe, Distanz und Corona: Eine Reflexion der Arbeit der Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle: 			   Sadeta Malagić und Dr. phil. Eran Gündüz

 Hoffnungen auf Hilfe als auch Ängste entstehen.      gehen davon aus, weniger erklären zu müssen.            und können nur auf dieser Basis analysiert        nur der Anpassung an die von der Bundesregie-
                                                      Auch können sie die Hoffnung haben, einen ihrer         und bewertet werden.                              rung auferlegten Eindämmungsmaßnahmen, son-
 Die Frage „Wo kommen Sie denn genau her?“            Lebenswelt angepassten Problemlösungsweg mit         3. Eine Fraternisierungs-Absicht mit dem Ziel        dern verfolgte die Ziele, dem Anspruch gerecht
 kann ein Ausdruck der Angst vor der bereits im       den Berater*innen anzutreten.                           unlauterer Vorteilsnahme kann und darf nicht      zu werden, die Hilfsangebote wie gewohnt nied-
 Herkunftsland erlebten Ausgrenzung sein. Hier                                                                angenommen werden.                                rigschwellig anzubieten, im Sinne der Klient*in-
 fallen uns Beispiele aus der Beratung der bosni-     Nicht selten machen jedoch auch diese Berater*in-                                                         nen entstigmatisierend zu arbeiten und dem ggf.
 schen Bürgerkriegsflüchtlinge ein, welche z.T. in    nen ähnliche biographische Erfahrungen wie ihre      Die Frage von persönlicher bzw. kultureller Dis-     vorhandenen Gefälle von Nähe und Distanz eine
 ihrer Kriegsgefangenschaft gefoltert und hier zur    Klient*innen. Allein die gemeinsame Sprache oder     tanz und Nähe und ihren Adjustierungen in der In-    Balance zu verleihen.
 Behandlung ihres Traumas an Psycholog*innen          ein ähnlicher Name kann dazu führen, dass sie        teraktion mit Klient*innen wurde aber im Jahr 2020
 verwiesen wurden, die die „gleiche Herkunft“ wie     in ihrer Professionalität in der Fachwelt abgewer-   sehr wesentlich durch die notwendig werdenden        Unsere regulären Angebote mit direktem Kon-
 ihre Folterer hatten. Da die Versorgungsstruktur     tet werden. Typische Aussage dazu: „Das sind ja      Corona-Schutzmaßnahmen auch zu einer Frage           takt mussten minimiert werden. Begegnungen
 unzureichend war (und noch immer ist), lehnten       Ihre Landsleute. Da haben Sie es einfach!“. Eine     physischer Distanz.                                  mit Abstand wurden in der PSKB durch intensive
 sie diese oft ab und blieben dadurch unversorgt.     Zuspitzung solcher Abwertungen findet in der Un-                                                          Telefongespräche sowie terminierte Beratungsge-
                                                      terstellung statt, man würde eine Art „gemeinsame    Corona stellt einen physischen Abstand her.          spräche vor Ort unter Einhaltung der Hygienemaß-
 Die Frage „Wo kommen Sie denn genau her?“            Sache“ mit Klient*innen machen; Unwahrheiten                                                              nahmen ermöglicht. Klient*innen, die es zu riskant
 kann aber auch ein Ausdruck der Hoffnung in die      sagen, Wesentliches verschweigen u.ä.                Im Januar 2020 wurde der erste Fall mit dem CO-      fanden, sich in einem geschlossenen Raum (hier:
 lang ersehnte Hilfe und Unterstützung sein. Al-                                                           VID-19 in Deutschland registriert. Der erste Lock-   Büro) aufzuhalten oder zu der gesundheitlichen
 lein durch die verständliche Sprache ist die erste   Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass der       down im März 2020 und die damit einhergehen-         Risikogruppe gehören, hatten die Möglichkeit,
 Zugangsschwelle bereits abgebaut. Die Belange        gesamte Kontext der Zusammenarbeit in diesem         den Kontaktbeschränkungen zwingen uns einmal         Unterlagen in den Briefkasten einzuwerfen oder
 können besser formuliert werden. Die Kommuni-        Setting von Berater*innen eine kontinuierliche       mehr, uns auf einer anderen Ebene mit der Frage      einwerfen zu lassen und mit uns telefonisch dies-
 kation kann ohne Sprachmittler*innen stattfinden     Selbst- und Teamreflexion erfordert. Eine Sensi-     der Nähe und Distanz zu befassen.                    bezüglich in Kontakt zu treten. Auch haben wir als
 (nicht selten sind es die eigenen Kinder), das       bilisierung für die geschilderten Zusammenhänge                                                           Mitarbeitende aus Eigeninitiative unsere Klientel
 Agieren wird selbstständiger. Selbstwirksamkeit      führt zunächst zu den drei wichtigsten Erkenntnis-   Während massive Einschränkungen wie Qua-             öfter telefonisch kontaktiert, um „nach dem Rech-
 kann wieder erlebt werden. Wenn dann noch die/       sen:                                                 rantäne, Minimierung bis gar keine sozialen Kon-     ten zu sehen“ bzw. zu hören.
 der Berater*in (oder zumindest ihre/seine Groß-                                                           takte und Isolation den Alltag dominieren, ist es
 eltern) aus der gleichen Gegend wie die/der Kli-     1. Die Berater*innen können eine Projektionsflä-     wichtig, die Leistungen der PSKB weiterhin an-       2020 war das Jahr, in dem sich pandemiebedingt
 ent*in kommt, kann die Hoffnung auf ein besseres        che darstellen für ihre Klientel.                 zubieten und entsprechend zu handeln. Die Um-        eine höhere Anfrage nach psychosozialen Ge-
 Kontext-Verständnis entstehen. Die Klient*innen      2. Diese Projektionen sind biographisch bedingt      strukturierung unserer Hilfsangebote diente nicht    sprächen verzeichnen lässt. Vereinsamung, Ängste,

 36                                                                                                                                                                                                             37
Sie können auch lesen