Der Akute Herzinfarkt bei Frauen - Eine Rarität oder häufig übersehen?

 
WEITER LESEN
Der Akute Herzinfarkt bei Frauen - Eine Rarität oder häufig übersehen?
Der Akute Herzinfarkt bei Frauen
Eine Rarität oder häufig übersehen?
Von Bernd Waldecker

                      Bundesweit erleiden etwa 300.000 Menschen pro Jahr einen Herzinfarkt durch einen plötzli-
                      chen und kompletten Verschluß eines Herzkranzgefäßes. Prähospitale (20-30%) und hospitale
                      (10-20%) Sterblichkeit des akuten Herzinfarktes sind hoch. Der Verlauf des Herzinfarktes ist bei
                      Frauen, insbesondere bei jungen Frauen, komplikationsträchtiger als bei Männern. Dies gilt,
                      wenn keine spezifische gefäßwiedereröffnende Therapie eingeleitet wird. Die Ursachen für die
                      Übersterblichkeit der Frauen sind vielfältig: verspätete Krankenhausaufnahme, höheres Lebens-
                      alter zum Infarktzeitpunkt, bedeutsamere Begleiterkrankungen und der zögerliche Einsatz ge-
                      fäßwiedereröffnender Therapieformen. Bei früher und konsequenter kathetergestützter Gefäß-
                      rekanalisation kann die geschlechtsspezifische Sterblichkeit bei Frauen aller Altersstufen aber
                      weitgehend beseitigt werden.

4                                                                                                      Spiegel der Forschung
Der Akute Herzinfarkt bei Frauen - Eine Rarität oder häufig übersehen?
Herzinfarkt bei Frauen

A
         m 29. Oktober 2001 wurde          Herzens und der Herzkranzgefäße        (lat.: „farcire“ = verstopfen). Der
         Frau G.S. (46 Jahre) mit          beweisen eine hochgradige              akute Myokardinfarkt wird in aller
         schwerster Atemnot und            Pumpschwäche der linken Herz-          Regel durch das Aufbrechen (Rup-
immer wiederkehrenden Ohn-                 kammer auf dem Boden eines sub-        tur) eines atherosklerotischen Ge-
machtsanfällen als Notfall in ein          akuten, totalen Verschlusses der       fäßgeschwürs an der Wand einer
Krankenhaus eingeliefert. Wenig            vorderen Herzkranzarterie. Die le-     Herzkranzarterie (sog. „Koronar-
später verschlechterte sich der Zu-        bensbedrohliche Atemnot der Pati-      plaque“) eingeleitet. Die Plaque-
stand von Frau G.S. weiter dras-           entin und ihre Herzrhythmusstö-        ruptur ihrerseits provoziert die Aus-
tisch; eine künstliche Beatmung            rungen waren somit Folgekompli-        bildung eines Blutgerinnsels, eines
wurde wegen nicht beherrschbarer           kationen eines etwa zwei Wochen        Thrombus, weil durch das Offenle-
Atemnot notwendig. Mehrfach tre-           alten, großen Vorderwand-Herzin-       gen des Plaque-Inhaltes sowohl die
ten Anfälle einer lebensbedrohli-          farktes. Trotz erfolgreicher Wieder-   Blutplättchen, die Thrombozyten,
chen Herzrhythmusstörung auf, die          eröffnung des verschlossenen           als auch das sich in der Blutbahn
jeweils eine notfallmäßige elektri-        Kranzgefäßes mittels Ballondilata-     befindliche Gerinnungssystem akti-
sche Defibrillation (Elektroschock-        tion erlag die junge Patientin weni-   viert werden. Dieser Thrombus ver-
behandlung) erzwingen. Im EKG              ge Tage später einer nicht zu be-      schließt dann die Herzkranzarterie.
und bei der Ultraschalluntersu-            herrschenden Herzschwäche und          Die Abfolge der Ereignisse ist in
chung des Herzens zeigt sich ein           immer wiederkehrenden, bösarti-        Abbildung 1 skizziert.
großer tage- bis wochenalter Infarkt       gen Herzrhythmusstörungen. Tödli-         Als Folge des Gefäßverschlusses
der gesamten Herzvorderwand.               cher Herzinfarkt bei (der jungen)      wird das nachgeschaltete Gewebe
(Spätere Angaben der Patientin und         Frau G.S – ein zwar trauriges, aber    vom Blutfluß abgeschnitten. Die
der Angehörigen bestätigen einen           seltenes Einzelschicksal?              Toleranz des Myokards gegen eine
starken Anfall von Brustschmerzen                                                 Blutflußunterbrechung beträgt nur
mit Schweißausbruch etwa zwei              Der umgangssprachliche Begriff         Minuten. Danach beginnt dieses
Wochen zuvor. Zu diesem Zeit-              „Herzinfarkt“ meint einen Gewebs-      Gewebe unwiderruflich abzuster-
punkt wurde keine ärztliche Hilfe          untergang von Herzmuskelzellen         ben, sofern das zuführende Gefäß
gesucht.) Die kurz darauf durchge-         (Myokardinfarkt) durch einen Ver-      dauerhaft verschlossen bleibt und
führte Katheteruntersuchung des            schluß eines Herzkranzgefäßes          keine Umgehungskreisläufe präfor-
                                                                                  miert sind.
                                                                                     Abbildung 2 illustriert anhand ei-
                                                                                  nes Querschnitts durch das linke
                                                                                  Herz mit dem Cavum in der Mitte
                                                                                  das Anwachsen einer zentralen Ne-
                                                                                  krosezone (schwarz) in einem
                                                                                  nicht mehr durchbluteten Areal
                                                                                  (grau). Das nicht gefährdete, gut
                                                                                  durchblutete Herzmuskelgewebe ist
                                                                                  rot markiert. Folge des Gewebsun-
                                                                                  tergangs ist eine Reduktion der
                                                                                  Pumpfunktion des Herzens, die
                                                                                  grob mit der Infarktgröße korreliert.
                                                                                  Weiterhin können Herzrhythmus-
                                                                                  störungen und andere, ebenfalls le-
                                                                                  bensbedrohliche Komplikationen
                                                                                  den Infarkt begleiten oder später
                                                                                  noch hinzutreten. Deshalb ist die
                                                                                  Sterblichkeit von Patienten, die ei-
                                                                                  nen akuten Herzinfarkt erleiden,
                                                                                  hoch: Sie beträgt noch vor Kran-
Abb. 1: Abfolge der Ereignisse beim Myokardinfarkt                                kenhausaufnahme etwa 30% !

19. Jg./Nr. 2 • Dezember 2002                                                                                                          5
Waldecker

Bernd Waldecker,
Jahrgang 1956, stu-
dierte von 1975 bis         Selbst nach Krankenhausaufnahme          hoher Blutdruck oder erhöhte LDL-       tern. Andererseits bewirken Östro-
1982 an der Albert-
                            liegt die Sterblichkeit innerhalb des    Cholesterin-Werte und der Diabetes      gene über verschiedene Mechanis-
Ludwigs-Universität
in Freiburg i.B. Hu-        ersten Monats bundesweit ungefähr        mellitus, beschleunigen das Auftre-     men in der Summe eine Abnahme
manmedizin. Die Aus-        bei 10% bis 20%. Etwa 300.000            ten einer (Koronar-)Atherosklerose      des lokalen Gerinnungsrisikos und
bildung zum Facharzt        Menschen erleiden in Deutschland         und aggravieren deren Verlauf.          halten eine überschießende Prolife-
für Innere Medizin          jährlich einen akuten Myokardin-           Weit über 50% aller Patienten,        ration von glatten Muskelzellen im
mit Teilgebietsbe-          farkt.                                   die mit einem akuten Myokardin-         Zaum.
zeichnung Kardiolo-
                               Koronarplaques, die durch ihre        farkt zur stationären Aufnahme             Im Gegensatz zu Männern ist al-
gie erfolgte an den
Universitätskliniken
                            Ruptur einen Myokardinfarkt auslö-       kommen, sind Männer. Als Ursache        lerdings die absolute Häufigkeit des
Maastricht (NL), Hei-                                                                                        akuten Myokardinfarktes bei Frau-
delberg und Gießen.                                                                                          en im Zunehmen. Die Gründe sind
Unterbrochen wurde                                                                                           nicht genau bekannt. Der Versuch,
die Ausbildung durch                                                                                         menopausale Frauen mit weibli-
einen Forschungs-                                                                                            chen Geschlechtshormonen zu be-
aufenthalt an der
                                                                                                             handeln, um den hormonell be-
Columbia University
in New York (USA)                                                                                            dingten, relativen „Atherosklerose-
1987 bis 1988. Die                                                                                           schutz“ in die Menopause zu über-
Venia Legendi wurde                                                                                          nehmen, schlug fehl (sog. HERS-
ihm 1995 durch die                                                                                           und WHI-Studie). Entsprechende
Justus-Liebig-Univer-                                                                                        Analog-Untersuchungen zur In-
sität für das Fach In-                                                                                       farktprävention mit Östrogenrezep-
nere Medizin erteilt.
                                                                                                             tor-Modulatoren (z.B. Raloxifen)
Seit März 2002 ist er
„Außerplanmäßiger                                                                                            bei menopausalen Frauen sind der-
Professor“ an der                                                                                            zeit noch nicht abgeschlossen.
Universität Gießen.                                                                                             Ebenso beunruhigend wie die
Prof. Waldecker ist                                                                                          Häufigkeitszunahme ist der un-
Leitender Oberarzt                                                                                           günstigere Verlauf des akuten Myo-
der Medizinischen
                                                                                                             kardinfarktes bei Frauen. Fast
Klinik I (Direktor: Prof.
Dr. Harald Tillmanns)
                            Abb. 2: Zeitabhängiger Gewebsuntergang bei akutem Myokardinfarkt.                durchgehend wird in der Fachlitera-
des Zentrums Innere                                                                                          tur über eine signifikant höhere
Medizin des Universi-                                                                                        Frühsterblichkeit bei Frauen im
tätsklinikums Gießen.       sen, sind meist Ausdruck einer ge-       wird angeführt, daß Frauen vor der      Vergleich zu Männern berichtet. So
Seine klinischen- und       neralisierten Verengungs- und Ver-       Menopause bezüglich der Athero-         betrug in einer Registerübersicht in
Forschungsschwer-           kalkungserkrankung (Atherosklero-        sklerose weitgehend geschützt sei-      den USA (Vaccarino 1999) die
punkte sind die Be-
                            se) der Arterien des Körpers. Die        en. Es wird ein Zusammenhang            Sterblichkeit von etwa 155.000
handlung des Akuten
Koronarsyndroms und         Atherosklerose ist eine in den In-       zum Hormonstatus vermutet. Folg-        Frauen früh nach Myokardinfarkt
von Herzrhythmus-           dustrieländern sehr verbreitete Er-      lich verschwindet der Geschlechts-      knapp 17%, während sie bei
störungen.                  krankung, die mit dem Alter in ih-       unterschied bezüglich der Infarkt-      230.000 Männern nur 12% betrug.
                            rer Häufigkeit weiter zunimmt. Ni-       inzidenz mit zunehmendem Alter.         Bei jüngeren Frauen ist der Sterb-
                            kotingenuß und Wohlstandserkran-         Natürliches Östrogen bremst näm-        lichkeitsunterschied besonders
                            kungen, wie Übergewicht, ein zu          lich die Synthese von (LDL-)Cho-        deutlich und gravierend (Vaccarino
                                                                     lesterin in der Leber. Hohe LDL-        1999).
                                                                     Cholesterin-Spiegel gelten als wich-
                                                                     tiger, atherogener Risikofaktor. Wei-
                                                                     terhin steigert Östrogen die peri-      Gründe für diese Übersterblichkeit
                                                                     phere Abnahme von LDL-Choleste-         von Frauen mit Myokardinfarkt
                                                                     rin durch Aktivierung der entspre-
                                                                     chenden Zellrezeptoren. Durch Öst-      Frauen, die mit einem akuten Myo-
                 Prof. Dr. Bernd Waldecker                           rogene wird andererseits das gefäß-     kardinfarkt das Krankenhaus errei-
                 Medizinische Klinik I des Zentrums Innere Medizin   schützende HDL-Cholesterin er-          chen, sind im Vergleich zu Män-
                 Klinikstraße 36
                 35392 Gießen
                                                                     höht. Östrogene haben eine direkt       nern älter. Sie haben häufiger be-
                 Tel.: 0641/99-52139                                 antithrombotische Wirkung auf die       deutsame Zusatzerkrankungen, wie
                 Fax: 0641/99-42109                                  arterielle Gefäßwand, indem sie ei-     eine arterielle Hypertonie, eine
                 E-Mail: Bernd.Waldecker@innere.med.uni-giessen.de
                                                                     nerseits die Gefäßerweiterung auf       Fettstoffwechselerkrankung und ei-
                                                                     physiologische Reize hin erleich-       nen Diabetes mellitus. Zusätzlich

6                                                                                                                               Spiegel der Forschung
Herzinfarkt bei Frauen

finden sich bei Frauen oft „untypi-   Tabelle 1
sche“ und irreleitende Schmerzen        Parameter                                  Frauen      Männer              p
im Nacken- und Schulterbereich                                                     (n=204)     (n=577)
sowie im Abdomen. Frauen klagen
häufiger über vegetative Beschwer-      Aufnahmebefunde
den im akuten Infarkt als Männer.       Alter [Jahre]                              66±12       60±12
Waldecker

    bei Frauen, trotz schlechteren All-
    gemeinzustandes, weniger häufig
    eine erwiesenermaßen hilfreiche,
    intravenöse Thrombolyse, also eine
    medikamentöse Blutgerinnsel-Auf-
    lösung, versucht wird als bei Män-
    nern. Auch werden Frauen seltener
    in Institutionen weiterverlegt, die
    über die Möglichkeit einer optima-
    len invasiven Diagnostik und The-
    rapie des Myokardinfarktes verfü-
    gen.

    Ist die höhere Sterblichkeit von
    Frauen mit akutem Myokardinfarkt
    geschlechtsspezifisch?

    Die höhere in der Literatur zitierte
    Infarktsterblickeit bei Frauen gilt    Abb. 3: Angiographischer Nachweis eines Koronargefäßverschlusses
    für Patientinnen, bei denen entwe-
    der keinerlei Versuche unternom-       oder bei denen dies lediglich mit-        tätsklinikum Gießen wurde seit En-
    men worden waren, das verschlos-       tels medikamentöser Thrombolyse           de 1989 (unter der Leitung von
    sene Kranzgefäß wiederzueröffnen,      versucht worden war. Am Universi-         Prof. Dr. Harald H.Tillmanns) die

8                                                                                                         Spiegel der Forschung
Waldecker

     Infarktbehandlung auf ein invasi-
     ves, interventionelles, auf dem
     Herzkatheterismus basierendes
     Vorgehen umgestellt (Koronaran-
     gioplastie oder „PTCA“). Dies be-
     deutet, daß kathetergestützt das In-
     farktgefäß schnellstmöglich identi-
     fiziert und sofort mechanisch wie-
     dereröffnet wird. Das Foto auf Seite
     4 zeigt ein Katheter-Team bei ei-
     nem derartigen Eingriff: Der mit
     sterilen, blauen Folien abgedeckte
     Patient liegt quer zum Bild. Im Vor-
     dergrund stehen die beiden Opera-
     teure, dem Patienten zugewandt.
     Zwischen den beiden Operateuren
     erkennt man das Fernsehbild, wel-
     ches durch die große, halbkreisför-
     mige Röntgenanlage in der linken
     Bildhälfte gewonnen wird. Mit Hil-
     fe dieses Fernsehbildes können die
     Katheter im Körper des Patienten            Abb. 4: Direkte Angioplstie eines verschlossenen Koronargefäßes
     maneuvriert und das Ergebnis der
     Kontrastmittelfüllung der Herz-
     kranzarterien analysiert werden             dung 5, aufgenommen etwa 15 Mi-             tes Katheterlabor bereit. Dieses
     (Abb. 3-5). Abbildung 3 illustriert         nuten nach Eingriffsbeginn, zeigt           Vorgehen ist bezüglich der Progno-
     die Kontrastmittelfüllung des linken        die Kontrastinjektion zum Ab-               se für den Patienten anderen The-
     Koronarsystems; der Pfeil weist auf         schluß der Intervention. Das Kon-           rapieversuchen überlegen.
     einen thrombotisch bedingten Ge-            trastmittel kann den ehemaligen               Mittlerweile sind etwa 1000 Pati-
     fäßabbruch hin. In Abbildung 4              Verschluß frei passieren, weil der          enten mit dieser innovativen Me-
     (derselbe Patient) konnte der Ver-          Blutfluß wiederhergestellt ist. Zu          thodik in Gießen behandelt wor-
     schluß mit einem sog. Führungs-             diesen Eingriffen stehen rund um            den. Knapp 800 Patienten sind >1
     draht passiert werden. Mit Hilfe ei-        die Uhr ein Team erfahrener Spezi-          Jahr nachverfolgt. Es bot sich somit
     nes Ballonkatheters wird das ver-           alisten der Medizinischen Klinik            an, bei jetzt geschlechtsunabhängi-
     schlossene Gefäß geöffnet. Abbil-           und ein entsprechend ausgestatte-           ger, grundsätzlich optimaler Thera-
                                                                                             pie den Infarkt-Verlauf von Frauen
                                                                                             und Männern bezüglich der oben
     Tabelle 2: Kumulative Gesamtmortalität (Kaplan-Meier Analyse)                           formulierten Frage zu vergleichen.
                                                                                             Besonderes Augenmerk legten wir
                        Frauen           Männer          p                                   auf den Verlauf bei jüngeren Frau-
                        n=204            n=577                                               en. Die Charakteristika und Befun-
                                                                                             de beider Patientengruppen sind in
       1 Monat          7%               6.1%            0.6
                                                                                             Tabelle 1 aufgeführt. Es zeigte sich,
                        (189)            (534)                                               daß etwa 25% aller Infarktpatien-
       6 Monate         9.5%             8%              0.6                                 ten weiblichen Geschlechts sind.
                        (170)            (510)                                               Frauen kommen später zur Be-
                                                                                             handlung, sind etwas älter und ha-
       1 Jahr           12.5%            9%              0.1
                                                                                             ben eine bedeutsamere Komorbidi-
                        (163)            (488)
                                                                                             tät. Diese Befunde decken sich mit
     Zahlen in Klammern sind die absolute Zahl der Personen, die                             Beobachtungen anderer Autoren.
     zum jeweiligen Zeitpunkt noch unter Beobachtung sind.                                   Der Koronarstatus bezüglich der

10                                                                                                                 Spiegel der Forschung
Waldecker

     Schwere der zu Grunde liegenden
     Koronaratherosklerose ist in beiden
     Gruppen nicht unterschiedlich. Mit-
     tels der PTCA gelingt es in beiden
     Geschlechtern, in >90% einen frei-
     en Koronarfluß wieder zu erzwin-
     gen. Das 1-Monatsüberleben ist mit
     94% und 93% bei den Männern
     bzw. Frauen nicht mehr unter-
     schiedlich. Nach einem Jahr leben
     91% der Männer und 88% der
     Frauen (p=ns). Im weiteren Ver-
     lauf ist die Sterblichkeit bei Frauen
     höher. Unter Beachtung des höhe-
     ren Lebensalters und der schwere-
     ren Komorbidität der Frauen ist das
     relative Sterbe-Risiko (proportional
     hazards model) für Männer und
     Frauen auch im Langzeitverlauf
     nicht unterschiedlich. Wir folgern
     aus unseren Befunden, daß das ge-
     nerelle Überleben von Frauen mit
     akutem Myokardinfarkt sich von           Abb. 5: Angiographischer Nachweis eines postinterventionell normalen Koronarflusses
     dem der Männer nicht bedeutsam
     unterscheidet, sofern das Infarktge-
     fäß frühzeitig und konsequent wie-       vergleichbaren Alters machen hin-            bei 29 der 33 Frauen (88%) und bei
     dereröffnet wird. Bei optimaler Ver-     gegen etwa 25% der Gesamtpopula-             179 (89%) der jungen Männer. Die
     sorgung kann das ansonsten ge-           tion aus. Bei diesen jungen, präme-          unmittelbare PTCA des Infarktgefä-
     schlechtsspezifisch erhöhte Risiko       nopausalen Frauen mit akutem My-             ßes war bei allen 29 jungen Frauen
     bei Frauen mit akutem Myokard-           okardinfarkt war auffällig, daß sie          erfolgreich. Alle 33 jungen Frauen
     infarkt reduziert werden.                im Mittel drei oder mehr (!) klassi-         überlebten – im Gegensatz zu Frau
                                              sche Risikofaktoren auf sich verein-         G.S., die sich überhaupt erst etwa
                                              ten (Tabelle 3). Nikotinmißbrauch            zwei Wochen nach Infarktbeginn in
     Gründe für einen „vorzeitigen“           lag bei 18 Frauen vor. Berufstätig           ärztliche Behandlung begeben hatte.
     Herzinfarkt bei jungen Frauen und        waren 22/33 Patientinnen, 29 Frau-           Wir folgern, daß eine vorzeitige Ko-
     Prognose                                 en hatten zumindest eine Schwan-             ronaratherosklerose bei prämeno-
                                              gerschaft erlebt. Bei der Akutangio-         pausalen Frauen möglich und kei-
     16% aller Frauen mit akutem Myo-         graphie der Herzkranzgefäße zeigte           nesfalls eine Rarität ist, sofern eine
     kardinfarkt (33 von 205) waren prä-      sich ein persistierender, kompletter         sehr ungünstige Risikokonstellation
     menopausal (Tabelle 3); Männer           Verschluss einer Herzkranzarterie            vorliegt. Diese Koronaratherosklero-

     Tabelle 3: Charakteristika von 33 prämenopausalen, jungen Frauen vs 192 jungen Männern mit akutem Myokardinfarkt

                                             Prämenopausale Frauen              Junge Männer (< 55 J.)               p-Wert
                                             n=33                               n=192

       Alter                                 46+6                               46+5                                 0,5
                                             (33-54 )                           (30-54)
       Leitsymptom Brustschmerz              19 (58%)                           113 (59%)                            0,9
       Zeit bis Klinikaufnahme               272+224 min                        177+139 min                          0,03
                                             (30-720 )                          (30-720)
       Raucher(in)                           22 (67%)                           94 (49%)                             0,1
       Hypercholesterinämie                  30 (91%)                           166 (86%)                            0,7
       Arterielle Hypertonie                 19 (58%)                           101 (53%)                            0,7
       Diabetes mellitus                     5 (15%)                            35 (18%)                             0,8
       Kontrazeptiva                         13 (39%)                           ---                                  ---

12                                                                                                             Spiegel der Forschung
Herzinfarkt bei Frauen

se kann auch bei jungen Frauen         Männern) mit akutem Myokard-
zum Herzinfarkt führen. Andere,        infarkt sofort und konsequent das
früher vermutete Mechanismen, wie      verschlossene Herzkranzgefäß (in-
eine „Übergerinnbarkeit“ des Blutes    terventionell) wieder zu rekanali-
oder ein Überwiegen von Embolien       sieren. Dann kann bei Frauen ein
aus dem Herzen, spielen vermutlich     ähnlich günstiger Infarkt-Verlauf
keine dominierende Rolle. Bei sofor-   wie bei Männern erzielt werden. •
tiger und konsequenter Koronarin-
tervention kann das Überleben aber
meist gesichert werden.

                                       LITERATUR
Welche Bedeutung kommt diesen
                                       • Greenland P, Reicher-Reiss H, Goldbourt     • Hulley S, Grady D, Bush T. Randomized
Erkenntnissen zu?                      U, Behar S: In-hospital and 1-year mortali-   trial of estrogen plus progestin for second-
                                       ty in 1524 women after myocardial infarc-     ary prevention of coronary artery disease
Laien und Ärzte müssen auf die be-     tion. Comparison with 4315 men. Circula-      in postmenopausal women (HERS-study).
trächtliche Inzidenz eines akuten      tion 1991; 83: 484-491.                       JAMA 1998;280:605-613.
                                       • Chandra N, Ziegelstein R, Rogers W, Tie-    • Rossouw J. Early risk of cardiovascular
Herzinfarktes bei Frauen hingewie-     fenbrunn A, Gore J, French W, Rubison M.      events after commencing hormone
sen werden, um gegen das verbrei-      Observations of the treatment of women        replacement therapy (WHI-study). Curr
tete Vorurteil: „(Junge) Frauen kön-   in the United States with myocardial          Opinion in Lipidol. 2001;12:371-375.
                                       infarction: a report from the National        • Waldecker B, Grempels E, Waas W,
nen keinen Herzinfarkt erleiden“,                                                    Haberbosch W, Voss R, Tillmanns H.
                                       Registry of Myocardial Infarction-I. Arch
erfolgreich anzugehen. Nur so          Int Med 1998,158:981-988.                     Direct angioplasty eliminates sex diffe-
kann das zu lange Zeitintervall        • Vaccarino V, Parsons L, Every NR, Bar-      rences in mortality early after acute myo-
zwischen Infarkt und Behandlungs-      ron HV, Krumholz HM: Sex-based differ-        cardial infarction. Am J Cardiol 2001, 88:
                                       ences in early mortality after myocardial     1194-1197
beginn bei Frauen verkürzt werden.     infarction. N Engl J Med 1999; 341: 217-
Das Ziel muß sein, bei Frauen (wie     225.

19. Jg./Nr. 2 • Dezember 2002                                                                                                       13
Sie können auch lesen