Der Euro und die neue Bundesregierung
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AKADEMIE-KURZANALYSE 1/2013 Der Euro und die neue Bundesregierung Dr. Wolfgang Quaisser September 2013 Anstalt des öffentlichen Rechts Buchensee 1 82327 Tutzing Telefon 08158/256-0 Telefax 08158/256-14 www.apb-tutzing.de
Der Euro und die neue in Sicht sind, muss beunruhigen. Die Ursache ist, dass es sich in der Eurozone um eine multidimensi- Bundesregierung onale Krise handelt, in der die einzelnen Elemente in fataler Weise miteinander verknüpft sind und sich als Brandbeschleuniger gegenseitig verstärken. Wolfgang Quaisser Erinnern wir uns: Aus der internationalen Finanz- krise erwuchs eine globale Rezession, die mit massi- ven Konjunkturprogrammen bekämpft wurde. Der Preis war eine sprunghaft steigende Staatsverschul- dung, die zusätzlich durch enorme Kosten der Ban- Der Euro im Disput kenrettung in die Höhe getrieben wurde (vor allem in Island, Irland und Spanien). Die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölke- rung ist im Zwiespalt. Einerseits wird die bestehen- In Europa kollabierten zudem die Wirtschaftsmo- de Euroskepsis durch die kaum durchschaubaren delle (Spanien, Portugal, Irland), die mit billigem Haftungssummen der Eurorettung verstärkt, ande- Eurogeld u. a. die Entstehung von Immobilienbla- rerseits scheut man das Risiko, das mit Radikallö- sen begünstigt hatten. Als diese platzten, die ge- sungen einhergeht, zumal die wirtschaftliche Situa- samtwirtschaftliche Nachfrage einbrach und in der tion in Deutschland relativ komfortabel erscheint. Folge zusätzlich der Finanzsektor durch notleiden- Dies kontrastiert mit der Lage in vielen südlichen de Kredite erfasst wurde und Banken gerettet wer- Krisenstaaten. Dort hat sich die politische Land- den mussten, schnellte auch deren Staatsverschul- schaft vor dem Hintergrund massiver Sparmaß- dung in die Höhe. Zudem hatten hohe Lohnsteige- nahmen, einer lang anhaltenden Rezession und rungen die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder hoher Arbeitslosigkeit polarisiert, obwohl radikale insbesondere bei international handelbaren Gütern Strömungen – wie in Griechenland – bis jetzt nicht über viele Jahre verschlechtert, sodass sie unter die Oberhand gewinnen konnten. Das gegenwärtige strukturellen Leistungsbilanzdefiziten litten. Inter- Krisenmanagement in der Eurozone wird im Nor- nationale Investoren verlangten immer höhere den und Süden Europas noch weitgehend akzep- Risikoaufschläge für die Krisenländer, deren Staats- tiert. Dies muss nicht so bleiben, wenn Reform- finanzierung sich zusätzlich verteuerte. Nur durch erfolge ausbleiben oder Umstrukturierungen ver- massive Liquiditätsbereitstellung, umfangreiche schleppt werden und damit in den Krisenländern Rettungspakete, Umschuldungen und vertragswid- die Grundregel der Rettung »Geld gegen Konditio- rige Maßnahmen der Europäischen Zentralbank nen« zunehmend infrage gestellt wird. In einem (EZB), d. h. den Kauf von Staatsanleihen, konnte solchen Falle könnten die jeweiligen Kosten der eine Staatspleite dieser Länder verhindert werden. Krisenpolitik in den Geberländern als unkalkulier- bar angesehen werden. Die politische Unterstützung Wo stehen wir? der Rettungspolitik wäre dann auch in den etablier- ten Parteien Deutschlands gefährdet. Weder die Finanz- und Bankenkrise noch die Staatsverschuldungs- oder die makroökonomische Krise sind überwunden, auch wenn es in einigen Krise noch lange nicht überwunden Bereichen gewisse Fortschritte gibt. Teilweise konn- Trotz einer gewissen Beruhigung im ersten Halb- ten die Budgetdefizite (Primärhaushalte ohne Zins- jahr 2013 ist die Eurokrise noch lange nicht über- zahlungen) zurückgeführt werden, doch die Staats- wunden. Die Situation bleibt labil, was sich in erra- verschuldung steigt in fast allen Ländern aufgrund tischen Ausschlägen der Zinsspreads auf Staatsan- fortbestehender Haushaltsdefizite weiter und könn- leihen der Krisenländer widerspiegelt. Allein die te durch steigende Zinsen dramatisch verschärft Tatsache, dass die Krise nunmehr über drei Jahre werden. Zwar sinken die Leistungsbilanzdefizite, andauert und trotz massiver Rettungsmaßnahmen doch die europäischen Kapitalmärkte entspannen und einiger Fortschritte keine tragfähigen Lösungen sich nur schleppend. Noch immer muss im beacht- Akademie-Kurzanalyse 1/2013 2
lichen Umfang (obwohl sinkend) der Kapitalbedarf nenden Ausmaßes des Statistikbetruges in Griechen- über das Zentralbankensystem (Target-System) zur land sowie der dann folgenden Krise sind Zweifel Verfügung gestellt werden. Nur langsam verbessert an dieser Einschätzung angebracht. sich die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer Eurobonds dürften auch künftig für die Bundesre- gemessen an den Lohnstückkosten. Einige Fort- gierung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht schritte in der Bankenkonsolidierung sind festzu- infrage kommen. Die Einführung einer unmittelba- stellen, doch Europa fällt hier deutlich hinter den ren Gemeinschaftshaftung ohne fiskalpolitische USA zurück. Beängstigend ist die Krise der Real- Durchgriffsrechte und demokratische Legitimie- wirtschaft in den Südländern, die mit dramatisch rung wären politisch und verfassungsrechtlich nur hohen Arbeitslosenzahlen einhergeht. schwer durchsetzbar. Davon abgesehen hätte ein Trotz eines halbwegs funktionierenden Krisenma- solcher Schritt im Rahmen der gegebenen euro- nagements sind die Defizite der europäischen Wäh- päischen Verträge zu einer Gemeinschaftshaftung rungsunion deutlich sichtbar geworden. Sie ist geführt, ohne entsprechende politische Gegenleis- hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur kein optimaler tungen zu erhalten. Zwar gab es verschiedene Kon- Währungsraum und die wirtschafts- sowie fiskalpo- zepte, um die Eurobonds an wirtschaftspolitische litische Koordinierung ist schwach. Es fehlt ein Auflagen zu knüpfen (zuletzt auch der Vorschlag starkes fiskalisches Zentrum, eine sozialpolitische eines Schuldentilgungsfonds), doch die grundsätzli- Flankierung und die Faktormärkte sind nicht aus- chen Einwände wären dadurch nicht entkräftet reichend reguliert (Finanzsektor) bzw. integriert worden. Hinzu kommt, dass Eurobonds in der (Arbeitsmarkt). Eine institutionelle Krise der Euro- Bevölkerung weder in Deutschland noch in anderen zone, ja der gesamten EU und ein schleichender Geberländern sonderlich beliebt sind, um es vor- Vertrauensverlust in die europäische (teilweise auch sichtig auszudrücken. Es ist auch nicht bekannt, nationale) Politik sind die Folge. Beunruhigend ist dass irgendeine Partei sich für diese Forderung auch, dass international das Wachstum erstmals im Bundestagswahlkampf lautstark ausgesprochen auch in den Schwellenländern schwächelt und sich hätte. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass die neue die konjunkturellen Aussichten in der Eurozone im Bundesregierung in dieser Frage eine andere Hal- Sommer 2013 nur sehr verhalten aufhellen. Die tung einnehmen wird, obwohl der Druck zur Ein- neue Bundesregierung wird also erhebliche Prob- führung solcher Bonds (vielleicht kaschiert mit leme vorfinden, zumal eine erneute Eskalation der anderem Namen) nach den Wahlen deutlich steigen Krise nicht auszuschließen ist. Was ist zu erwarten? dürfte. Krisenmanagement wird fortgeführt Mario Draghi: » ... und glauben Sie mir, es wird reichen!« Im Prinzip ist davon auszugehen, dass die neue Bundesregierung das bisherige Krisenmanagement Wenig wahrscheinlich ist auch, dass die neue Bun- fortsetzt. Im Kern war die Strategie der Regierung desregierung ihre pragmatische Haltung gegenüber Angela Merkel zunächst darauf ausgerichtet, eine der EZB ändern wird. Zwar ist man immer wieder Eskalationen der Krise unter Einsatz möglichst dem Ansinnen einiger Südstaaten, einschließlich geringer Verpflichtungen zu verhindern. Dies wur- Frankreichs, entgegengetreten, die EZB direkt zum de insbesondere am Anfang der Rettungspolitik Aufkauf von Staatsanleihen aufzufordern. Dies war deutlich, als man mit vergleichsweise niedrigen schon in der entscheidenden Ratssitzung im Mai Milliardenbeträgen, Griechenland zu stabilisieren 2010 der Fall, als die Bundeskanzlerin entsprechen- versuchte. Vielfach wurde dies von SPD und Grü- de Initiativen unter Führung Frankreich gemeinsam nen als unzureichend mit dem Argument kritisiert, mit anderen Nordstaaten verhindern konnte. dass durch den Einsatz größerer Beträge oder durch Gleichzeitig war aber auch klar, dass die Bundesre- die sofortige Einführung von Eurobonds spekula- gierung die EZB als Nothelfer akzeptiert und nicht tive Attacken hätten verhindert werden können. gegen deren Aufkäufe von Staatsanleihen der Kri- Angesichts des sich damals erst allmählich abzeich- senländer zu Felde zieht, wenn sie, wie es offiziell Akademie-Kurzanalyse 1/2013 3
heißt, helfen, den geldpolitischen Transmissions- tung Eurorettung überschritten, aber sie hat dies mechanismus zu verbessern. sicherlich nicht ohne informelle Rücksprache mit der Bundesregierung getan. Mit Spannung wird das Axel Weber und Jürgen Stark verließen wegen des Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts Ankaufs von Staatsanleihen das EZB-Direktorium, (BVerfG) erwartet. Die deutsche Rechtsprechung weil dies nach ihrer Meinung eine Überschreitung kann der EZB zwar als europäischer Institution des Mandats der Zentralbank darstellte. Die Kritik keine direkten Vorgaben machen. Das höchste des nachfolgenden Bundesbankpräsidenten Jens deutsche Gericht könnte jedoch feststellen, dass die Weidmann an der EZB-Politik machte sich die Anleihekäufe nicht den europäischen Verträgen Bundesregierung ebenso wenig zu eigen. Weid- entsprechen (Verbot der Staatsfinanzierung) und mann drohte sogar, wegen mangelnder Unterstüt- anmahnen, Rechtskonformität herzustellen. Das zung zurückzutreten. Angela Merkel und Wolfgang Bundesverfassungsgericht könnte den Fall auch an Schäuble erklärten dazu, dass man zwar monetäre den für die Einhaltung der europäischen Verträge Staatsfinanzierung ablehne, doch sei die EZB unab- zuständigen Europäische Gerichtshof (EuGH) zur hängig und handle in eigener geldpolitischer Ver- abschließenden Entscheidung weiterreichen. Kom- antwortung. Bemerkenswert ist auch, dass die euro- pliziert würde die Lage, wenn der EuGH die Politik kritischen Töne aus der CSU (offenbar aufgrund der EZB für rechtens erklären würde und sich eines Machtwortes der Kanzlerin) im Frühjahr 2013 EuGH und BVerfG in ihren Rechtsauffassungen verstummten, zumal man befürchtete, dass unter- widersprechen würden. Es ist deshalb nicht zu er- schiedliche Auffassungen aufseiten der Regierung warten, dass das deutsche Verfassungsgericht so weit bei dieser Bundestagswahl schaden könnten. geht. Dennoch könnte es die Handlungsoptionen Offenbar ziehen Bundesregierung und Bundesbank der neuen Bundesregierung u. a. durch Auflagen in dieser Frage an einem Strang, wenngleich mit beim ESM, an dem das OMT-Programm gekoppelt verteilten Rollen. Die Bundesbank mit Jens Weid- ist, einschränken. mann an der Spitze hält an ihrer ausschließlich geldpolitischen Aufgabe fest und verweist auf die maßgebliche Verantwortung der Politik, wenn es Geld gegen Konditionen um grundsätzliche Fragen der Stabilisierung des Ferner ist es unwahrscheinlich, dass die neue Bun- Euroraumes geht. Sie bewahrt sich damit ihre Re- desregierung an dem Grundsatz der Rettungspolitik putation, was im Falle einer Eskalation der Krise »Geld gegen Konditionen« etwas ändern wird. mit einem teilweisen oder gänzlichen Auseinander- Dieses Prinzip wurde schon bei den ersten Ret- brechen der Eurozone von unschätzbarem Wert tungsfonds (ESFS und ESFM) sowie deren Nachfol- wäre. Die Bundesregierung wiederum weiß um ger, dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanis- diese mögliche Rolle der Bundesbank und müsste mus), in Kooperation mit der EZB und dem IWF zudem befürchten, ihren Rückhalt in der Bevölke- (Internationalen Währungsfonds) verankert. Die rung zu verlieren, wenn sie sich von Jens Weid- entsprechenden Programmländer, deren Finanzie- mann öffentlich distanzieren würde. Gleichzeitig ist rung weitgehend von den beiden Hilfsfonds ab- der Bundesregierung angesichts der schwierigen hängt, müssen demnach wirtschaftspolitischen politischen Lage in Europa klar, dass die EZB als Auflagen zustimmen. Ob sie diese immer erfüllen, einzige gesamteuropäische Institution einen maß- ist eine andere Frage. Es ist hier ja nicht von der geblichen Beitrag zur Stabilisierung der Eurozone Hand zu weisen, dass die Nehmerländer der Hilfs- leistet. Ohne das erste und zweite Aufkaufpro- zusagen insofern über ein erhebliches Erpressungs- gramm für Staatsanleihen – das letzte OMT- potenzial verfügen, als die politische Absicht be- Programm (Outright Monetary Transaction) bisher steht, möglichst alle Staaten in der Eurozone zu nur als Ankündigung! – würde der Euroraum wohl halten. nicht mehr in der jetzigen Form bestehen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Deutschen Dennoch kann man es drehen und wenden wie großzügige Wachstumsinitiativen für den Süden man will: Die EZB hat faktisch ihr Mandat in Rich- mitfinanzieren. Man wird allerdings auch weiterhin Akademie-Kurzanalyse 1/2013 4
im Rahmen bestehender Programme (u. a. den abschwächt. Man könnte es als »Durchwursteln« Strukturfonds) und Institutionen – der Europäische mit strategischen Zielen bezeichnen. Etliche Schrit- Investitionsbank (EIB) sowie der Kreditanstalt für te wurden schon eingeleitet, doch sie sind zu ergän- Wiederaufbau (KfW) – versuchen, Wachstumsim- zen und grundlegende Hindernisse zu beseitigen. pulse im Süden anzustoßen. Dabei ist zum Schul- Dabei war und ist zentrales Ziel deutscher Euroret- denabbau nicht Wirtschaftswachstum per se, son- tungspolitik, die fiskalischen Regeln des Stabilitäts- dern ein exportorientiertes Wachstum entschei- und Wachstumspakt zu stärken, wenn nicht zu dend. Die Wirkungen solcher Initiativen, ähnlich verschärfen. Der Prozess ist formal mit dem Fiskal- wie das gerade aufgelegte Milliardenprogramm pakt (d. h. der Übernahme der Fiskalregeln in die gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit, verpuffen jeweiligen nationalen Verfassungen) und den neuen allerdings dann, wenn sie nicht durch entsprechen- EU-Regeln (Sixpack- und Twotrack-Reformen) de Strukturreformen begleitet werden. weitgehend abgeschlossen, doch der Praxistest steht aus. Wäre eine Politische Union die Lösung? Ähnliches gilt für die Großbaustelle einer europäi- schen Bankenunion mit einheitlicher Regulierung, Wäre eine Politische Union, womöglich in einem deren wesentliche Grundzüge auf dem europäi- europäischen Zentralstaat, der Königsweg, um die schen Gipfel im Frühjahr 2013 beschlossen wurden. Währungsunion zu retten? Dies ist weder politisch Die EZB soll ab 2014 alle systemrelevanten Banken realistisch noch ökonomisch plausibel. Dabei fällt im Euroraum überwachen. Doch es darf bezweifelt auf, dass die konkrete Gestalt einer Politischen Union werden, ob sie das organisatorisch schafft. Noch immer vage blieb. Im Kern müsste eine Politische nicht abschließend geklärt ist, wer die Abwicklung Union die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine von systemrelevanten Banken vornimmt – die EZB, demokratisch legitimierte Regierung Grundzüge eine Brüsseler Behörde und / oder nationale Institu- der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union festlegt tionen bzw. eine Kombination von allen – und wie und konkrete wirtschaftspolitische Auflagen für die sie finanziert werden soll. Beschlossen wurde be- einzelnen Mitgliedsländer (Regionen) beschließen reits, die Eigentümer der Banken und größere Ein- kann, die dann durch automatische (möglicherwei- lagen über 100.000 Euro (Bail in) bei einer Insolvenz se durch die Sozialsysteme) oder auch situationsbe- heranzuziehen (Zypern-Lösung). Erst wenn dies zogene Transferleistungen flankiert werden. Derar- nicht ausreicht, soll auf den ESM zurückgegriffen tige Vorstellungen dürften jedoch weder im Süden werden. Völlig offen ist, wie ein europäischer Einla- noch im Norden Europas, zumal in der jetzigen gensicherungsfonds auszusehen hat. Auch eine neue Situation, eine nennenswerte politische Unterstüt- Bundesregierung wird hart verhandeln müssen, um zung finden. Ökonomisch wäre im Rahmen einer die Haftungssummen für die Bundesrepublik zu solchen Union auch fraglich, ob die ökonomischen begrenzen. Disparitäten sich vermindern würden. Wenn der Arbeitsmarkt flexibel wäre, könnten entsprechende Wanderungsbewegungen wie in den USA zu einem Ein Zerfall der Währungsunion ist möglich: Ausgleich führen. Aber dies ist nur begrenzt der Fall Plan B in der Hinterhand? und Transferzahlungen wie im Falle Ostdeutsch- Selbst wenn man davon ausgeht, dass Fiskal- und lands sind im europäischen Maßstab undenkbar. Bankenunion in überschaubarer Zeit sich als halb- wegs funktionsfähig erweisen, so ist damit noch Institutionelle Reformen im Rahmen der nicht das Überleben der Währungsunion gewähr- Währungsunion leistet. Die Frage bleibt, wie dauerhaft starke makro- ökonomische Ungleichgewichte (insbesondere in Im Kern wird die neue Bundesregierung ein flexib- der Leistungsbilanz) vermieden und Strukturrefor- les Krisenmanagement in akuten Situationen mit men für Wachstum und Beschäftigung innerhalb einer mittel- und langfristigen Strategie verbinden, der Währungsunion erfolgen können. Zwar sind die zentrale institutionelle Defizite beseitigt bzw. einige europäische Überwachungsverfahren ver- Akademie-Kurzanalyse 1/2013 5
stärkt worden, doch es ist zu befürchten, dass diese Grundlinien der Eurorettungspolitik der sich wie in der Vergangenheit als »zahnlose Tiger« künftigen Bundesregierung erweisen. Dabei ist das Problem der Wettbewerbs- Nach den Wahlen wird die neue Regierung den fähigkeit nicht auf die Euro-Peripherie beschränkt, Bundesbürgern erklären müssen, dass die Euroret- sondern trifft den Kern der Währungsunion. Wenn tung teurer werden wird, als man ohnehin schon die Lohnstückkosten insbesondere in Frankreich vermutet hat. Ein neuer Schuldenschnitt für Grie- und Italien nicht deutlich sinken und die Struktur- chenland wird unausweichlich sein, was sogar nach reformen nicht vorankommen, dann ist es trotz langem Zögern von Wolfgang Schäuble, allerdings guter Intentionen der Bundesregierung um den unter Vermeidung des Begriffs, öffentlich (am 20. Bestand der Eurozone schlecht bestellt. In einem August 2013) eingestanden wurde. Dieser wird, im solchen Fall würden sich dort die ohnehin hohen Gegensatz zu den vorhergehenden, vorrangig die Staatsschulden zu solchen Beträgen auftürmen, dass öffentlichen Gläubiger betreffen, d. h. auch unmit- sie unweigerlich einen schweren Bonitätsverlust zur telbar den Bundeshaushalt belasten. Man wird ver- Folge hätten. Damit gerieten nicht nur Frankreich suchen, den Ausdruck »Schuldenschnitt« zu ver- und Italien in Zahlungsschwierigkeiten, sondern meiden, denn man wird es als Gesamtpaket verkau- die gesamte Rettungspolitik wäre infrage gestellt, fen, um mit Hilfe wirtschaftspolitischer Konditio- weil beide Länder nach Deutschland den größten nen einen anhaltenden Erfolg der griechischen Teil der ESM-Bürgschaften tragen. Reformen und den Verbleib des Landes in der Eu- Die neue Bundesregierung muss sich folglich auf rozone zu ermöglichen. Ein solcher Schuldenerlass alle Eventualitäten vorbereiten. Sollte die Situation wird politisch und ökonomisch »verträglicher« sein, eskalieren, und entsprechende Szenarien ließen sich weil die Rückzahlungsmodalitäten günstigere Kon- leicht entwerfen, dann müsste die neue Bundesre- ditionen (Streckung der Laufzeiten, Senkung der gierung in Zusammenarbeit mit der Bundesbank Zinsen) hätten. Das Ergebnis wird allerdings das sehr rasch handeln, um auf europäischer Ebene ein gleiche sein, denn die griechischen Verbindlichkei- Währungssystem zu etablieren, das einerseits eine ten würden zulasten der Gläubiger substanziell gewisse Stabilität ermöglicht, andererseits flexible vermindert. Ob Griechenland damit mittelfristig Anpassungen zulässt, sollte die Wettbewerbsfähig- wieder auf die Beine kommt und seine Verpflich- keit nachlassen und in Folge die Leistungsbilanzen tungen einhält, ist eine ganz andere Frage. noch größere Ungleichgewichte aufweisen. Dies Falls die Rezession im europäischen Süden anhält könnte ein modifiziertes Europäisches Währungs- und die Schuldenstände dort steigen, wird die neue system (EWS) mit festen Wechselkursen zwischen Bundesregierung auch weitere Schuldenschnitte nationalen Währungen bzw. Währungsverbünden erwägen. Dabei wird sie auch der EZB unter Hin- mehrerer Länder sein, in dem man jedoch Wäh- weis auf deren Unabhängigkeit keine politischen rungsanpassungen sporadisch vornehmen könnte. Hindernisse in den Weg legen, die Geldpolitik Keine Bundesregierung wird eine solche Option weiter zu lockern. Es ist schon heute erkennbar, wegen der unvorhersehbaren Risiken aktiv voran- dass die Politik neben begrenzten Schuldenschnit- treiben. Ein derartiger Schock würde kaum geord- ten die sogenannte finanzielle Repression (d. h. net verlaufen und mit erheblichen politischen und negative Realzinsen) als das kleinere Übel ansieht, ökonomischen Verwerfungen einhergehen. Haf- um die insgesamt hohe Schuldenlast im Euroraum tungssummen würden sich zu realen Verlusten abzubauen. Dieser Prozess ist schleichend und ver- auftürmen, Hilfsgelder wären hoffnungslos verlo- ursacht keine unkalkulierbaren ökonomischen und ren, Auf- und Abwertungen würden ökonomische politischen Schocks. Ob es funktioniert, ist aller- Unsicherheiten verstärken. Doch muss möglicher- dings keineswegs sicher. Eine erhöhte Inflationsrate weise dieser Preis gezahlt werden, wenn der Wille ist bis jetzt nicht in Sicht. oder die Möglichkeit fehlt, eine funktionsfähige Währungsunion aufzubauen. Letztlich wird die neue Bundesregierung in Über- einstimmung mit maßgeblichen Teilen der Opposi- tion darauf hoffen, dass sich die Spannungen auf Akademie-Kurzanalyse 1/2013 6
den Kapitalmärkten nicht zuletzt wegen des Draghi- tung sofort, gegen das vage Versprechen einer Politi- Versprechens und einer erhofften Konsolidierung schen Union in Zukunft.« des Bankensektors langsam lösen. Damit wären die Es kann allerdings auch ganz anders kommen: Soll- Voraussetzungen für eine bessere Finanzierung der te ein Kernland der Eurozone wie z. B. Frankreich Wirtschaft der Krisenländer gegeben. Zudem wird und / oder Italien nicht in der Lage oder willens sein, man darauf hoffen, dass die fiskalischen Maßnah- tiefgreifende und anhaltende Reformen einzuleiten, men und die Strukturreformen allmählich wirken, dann wird auch Deutschland (zusammen mit Öster- die Kosten sinken und sich ein selbsttragendes reich, Finnland und vielleicht den Niederlande) Wachstum einstellt. Würde sich dann noch die nicht die Währungsunion retten können. Da dies Arbeitslosigkeit langsam verringern, hätte man in den Finanzmärkten nicht verborgen bliebe, wäre etlichen Jahren das Tal der Tränen durchschritten. ein Zerfall der Währungsunion unausweichlich. Es Allerdings wird sich auch dann die Ernsthaftigkeit müsste nicht das Ende der europäischen Integration einer nachhaltigen fiskalischen Konsolidierung bzw. der EU sein, aber ein ökonomisches und poli- erweisen müssen, denn eine restriktive Haushaltspo- tisches Beben wäre die Folge. litik ist sicherlich über mindestens ein Jahrzehnt Die neue Bundesregierung steht damit vor der notwendig, um nur annährend auf die alten Ver- schwierigen Aufgabe, dezent, aber mit Nachdruck schuldungsstände vor der Finanzkrise zurückzukeh- und in Übereinstimmung mit der Europäischen ren. Gelingt dies nicht und beschreitet Europa den Kommission und der EZB, jene Reformen in diesen japanischen Weg von Deflation und wirtschaftlicher Ländern anzumahnen, die als Voraussetzung für das Stagnation, dann wird dies umfassende Schulden- Überleben der Währungsunion gelten. Ob dies schnitte im gesamten Euroraum erfordern, um sich gelingen wird, ist nicht sicher, weshalb die neue der auftürmenden Verbindlichkeiten zumindest Bundesregierung einen Plan B in der Hinterhand teilweise zu entledigen. Sparer und Vermögensbe- haben sollte, um auf alle Eventualitäten vorbereitet sitzer wären davon massiv betroffen. zu sein. Gelingt es, die Lage zu stabilisieren, und verbessert sich die politische Stimmung auf dem Kontinent, wird man ernsthaft darüber nachdenken können, Dr. Wolfgang Quaisser weitere Vertragsänderungen im Primärrecht anzu- Akademie für Politische Bildung streben, um die institutionellen Defizite der Wäh- 82323 Tutzing rungsunion zu beseitigen. Deutschland wäre wahr- Telefon: 08158 / 256 - 55 scheinlich bereit, auch formal in Richtung einer E-Mail: w.quaisser@apb-tutzing.de Gemeinschaftshaftung und / oder Transferleistungen zu gehen, wenn die demokratische Legitimität ge- geben und supranationale Durchgriffsrechte bei Verletzung fiskalischer Regeln eingeführt würden. Auch das würde für Deutschland teuer werden, doch es bestände zumindest die Hoffnung auf eine tragfähige Lösung. Sie müsste allerdings auch ein geordnetes Insolvenzverfahren für einzelne Staaten wie in den USA beinhalten, wenn sie die entspre- chenden Vereinbarungen nicht einhalten können oder wollen. Ob dazu maßgebliche europäische Partnerländer, an erster Stelle Frankreich, bereit wären, ist eine andere Frage. Jedenfalls wird keine Bundesregierung, wie es kürzlich einmal Otmar Issing formulierte, sich auf einen windigen Deal einlassen können, der lautet: »Gemeinschaftshaf- Akademie-Kurzanalyse 1/2013 7
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