DER G7-GIPFEL IN SCHLOSS ELMAU
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analysen /// Linksextremistische Proteste DER G7-GIPFEL IN SCHLOSS ELMAU UDO BARON /// Von Anfang an bildete sich eine Protestbewegung gegen die alljährli- chen Treffen der führenden Wirtschaftsnationen. Maßgeblich darin eingebunden sind auch Linksextremisten. Auch bei der Vorbereitung der Proteste gegen den G7-Gipfel auf Schloss Elmau 2015 gehören sie zu den führenden Protagonisten der Gegen- proteste. Das Beispiel der Linksautonomen gegen den G7-Gipfel in Elmau soll den linksextremistischen Protest aufzeigen. Die Idee der Weltwirtschaftsgipfel einem jährlichen Weltwirtschaftsgipfel Anfang der 1970er-Jahre veränderte zu reagieren, um so zu einem regelmäßi- sich die Weltwirtschaft grundlegend. gen Gedankenaustausch über die Welt- Das seit dem Ende des Zweiten Welt- wirtschaftslage mit den führenden krieges bestehende System von Bretton Wirtschaftsnationen zu gelangen. Im Woods, das feste Wechselkurse zwi- Rahmen eines Kamingesprächs trafen schen den wichtigsten Weltwährungen sich so vom 15. bis 17. November 1975 garantierte, brach 1973 zusammen. Zu- auf Schloss Rambouillet bei Paris erst- dem wurde in Folge des Yom-Kippur- malig die Staats- und Regierungschefs Krieges zwischen Israel und seinen ara- aus Deutschland, Frankreich, Italien, bischen Nachbarstaaten im Herbst 1973 Japan, Großbritannien und den USA in die erste Ölkrise ausgelöst, in deren Ver- diesem Rahmen. Mit der Aufnahme von lauf die Länder der Organisation erdöl- Kanada im Jahre 1976 wurde aus der exportierender Staaten (OPEC) den Öl- Gruppe der Sechs (G6) die Gruppe der preis von 3 Dollar auf zunächst 5 und dann 12 Dollar pro Barrel (159 Liter) innerhalb kürzester Zeit in die Höhe trieben. Vor dem Hintergrund dieser globa- Der Weltwirtschaftsgipfel entstand len Krisen entwickelten der französische in den 1970er-Jahren als REAKTION Präsident Valery Giscard d‘Estaing und auf globale Wirtschaftskrisen. der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt die Idee, auf die zunehmenden globalen Wirtschaftsprobleme u. a. mit 48 POLITISCHE STUDIEN // 459
Quelle: CARL DE SOUZA/AFP/Getty Images Beim 33. Weltwirtschaftsgipfel Anfang Juni 2007 in Heiligendamm kam es im Vorfeld bei anfänglich friedlich verlaufenden Protestaktionen von Globalisierungsgegnern zu gewaltsamen Ausschreitungen durch Autonome. Sieben (G7). 1977 stieß der Präsident haltliche und substanzielle Vorschriften. der Europäischen Kommission hinzu, So kann während der informellen jährli- 1998 wurde mit der Aufnahme Russ- chen Treffen ungezwungen über globale lands als Vollmitglied aus der G7 die Themen gesprochen werden.1 Gruppe der Acht (G8). War Russland bislang noch von den Finanz- und Wäh- Weltwirtschaftsgipfel und rungsberatungen ausgeschlossen, so Gegenproteste ruht seine Mitgliedschaft in der G8 seit Von Anfang an stießen die Weltwirt- der Annexion der Krim-Halbinsel im schaftsgipfel aber nicht nur auf Zustim- Frühjahr 2014. mung. Vor allem aufgrund ihrer exklusi- Neben globalen wirtschafts-, ent- ven Zusammensetzung aus den hoch- wicklungs- und währungspolitischen entwickelten Ländern der Erde und der Fragen werden auch ökonomisch rele- Intransparenz ihrer Entscheidungsfin- vante Sonderthemen der globalen Politik dung unter Ausschluss der Öffentlich- wie der internationale Terrorismus oder keit und der Parlamente stehen sie im die organisierte Kriminalität bespro- Zentrum der Kritik einer sich in den chen. Die G7 bzw. G8 verstehen sich als letzten beiden Dekaden formierenden ein internationales Netzwerk ohne in- Anti-Globalisierungsbewegung, bei der 459 // PoLITISCHE STUDIEN 49
analysen auch immer wieder Linksextremisten 80.000 Menschen beteiligt haben sol- mitwirken. Inhaltlich wehren sich die len. Im Verlauf der zunächst friedlich Globalisierungsgegner gegen eine ihrer verlaufenen Demonstration bildeten Meinung nach vom Neoliberalismus – etwa 2.000 schwarz gekleidete Autono- verstanden als Synonym für Kapitalis- me einen sogenannten antiimperialisti- mus – und Imperialismus dominierten schen Schwarzen Block, aus dem heraus Welt. Begleitet werden ihre Proteste Steine gegen ein Sparkassengebäude auch von gewalttätigen Auseinanderset- und ein am Wegesrand gelegenes Hotel zungen zwischen linksautonomen geworfen wurden. Im Rostocker Stadt- Gruppierungen und der Polizei. Zu den hafen eskalierte dann die Situation. Par- traurigen Höhepunkten dieser Konflik- kende Fahrzeuge wurden umgestürzt te gehört sicherlich der Tod des italieni- und teilweise in Brand gesetzt, Polizis- schen Demonstranten Carlo Giulani, ten mit Pflastersteinen und Molotow- der während der Proteste gegen den G8- cocktails attackiert. Mehr als 400 Poli- Gipfel 2001 in Genua beim Angriff auf zisten wurden zum Teil schwer verletzt, ein Polizeifahrzeug erschossen wurde. mehr als 100 Randalierer festgenom- Unter deutschem Vorsitz fand zu- men. Erst gegen 20.00 Uhr beruhigte letzt vom 6. bis zum 8. Juni 2007 im sich die Lage wieder. Grand Hotel Kempinski des mecklen- Wie schon bei den Weltwirtschafts- burgischen Seebades Heiligendamm der gipfeln davor und danach versuchten 33. Weltwirtschaftsgipfel statt. Gegen am Tag des Gipfelbeginns Demonstran- diesen Gipfel mobilisierte sich ein brei- ten, trotz eines Versammlungsverbotes tes globalisierungskritisches Bündnis. um das Tagungsgelände, erfolglos mit Hilfe der Fünf-Finger-Taktik 2 auf bzw. in die Nähe des Gipfelgeländes zu gelan- gen und die Zufahrtswege zu blockie- ren. Organisiert wurden die Gegenpro- Im Vorfeld des letzten Gipfeltreffens teste von einem breiten zivilgesellschaft- unter deutschem Vorsitz 2007 lichen Bündnis, dem globalisierungskri- kam es in Rostock zu schweren tische Bewegungen von Attac bis hin zu AUSSCHREITUNGEN. „Gerechtigkeit jetzt!“, einem Aktions- bündnis von 42 Nichtregierungs-Orga- nisationen aus den Bereichen Kirche, Entwicklung, Umwelt und Arbeitneh- mer, angehörten. Neben diesen nichtex- tremistischen Organisationen beteilig- Bereits im Vorfeld kam es im Rahmen ten sich aber auch linksextremistische einer Aktionswoche gegen den G8-Gip- Gruppierungen an den Protesten, allen fel zu zahlreichen Protestaktionen. Ers- voran das Bündnis Interventionistische ter Höhepunkt war eine internationale Linke (IL) und in ihr organisierte Grup- Großdemonstration am 2. Juni 2007 in pierungen wie Avanti-Projekt undogma- Rostock unter dem Motto „Eine andere tische Linke oder die Antifaschistische Welt ist möglich“, an der sich nach An- Linke Berlin (ALB). Die IL organisierte gaben der Polizei etwa 30.000 Personen, u. a. unter dem Motto „Make capitalism nach Angaben des Veranstalters bis zu history“ den sogenannten Schwarzen 50 POLITISCHE STUDIEN // 459
Block auf der Großdemonstration von Linksextremisten sind in die Rostock und zeichnete im Rahmen der Organisation des Widerstandes gegen Kampagne „Block G8“ auch für die Blo- den G7-Gipfel in Elmau INVOLVIERT. ckadeaktionen gegen den Gipfel verant- wortlich. Ihnen kommt es dabei immer auch auf die Vermittelbarkeit ihres Han- gengipfel soll dann am 6. Juni eine Groß- delns an. Entsprechende Treffen der demonstration in Garmisch-Partenkir- „Repräsentanten des kapitalistischen chen erfolgen. Parallel dazu sollen vom Systems“ dienen daher auch der besse- 4. bis zum 8. Juni Veranstaltungen, Akti- ren Vermittelbarkeit ihres (gewaltsa- onen und Camps nahe am Tagungsort men) Protestes in der Öffentlichkeit und Elmau, in Garmisch-Partenkirchen und somit einer temporären, anlassbezoge- Mittenwald stattfinden. Mit ihren nen Zusammenarbeit auch mit nichtex Protesten stellen sich die Gegner des tremistischen Organisationen. G7-Gipfels bewusst „an die Seite der Blockupy-Bewegung, der Anti-Kriegs- Der G7-Gipfel von Elmau Bewegung, der antirassistischen Bewe- Am 7. und 8. Juni 2015 (zunächst war gung, der Kämpfe für bessere Lebens- der 4. und 5. Juni 2015 geplant) findet und Arbeitsbedingungen und der Pro- zum sechsten Mal ein Weltwirtschafts- teste gegen Umweltzerstörung“3. gipfel in Deutschland statt, diesmal im Dem „Stop G7“-Bündnis gehören ne- bayerischen Schloss Elmau im Landkreis ben Attac, den Grünen Garmisch-Par- Garmisch-Partenkirchen. Seit dieses Er- tenkirchen und der verdi-Jugend auch eignis bekannt geworden ist, wird vor linksextremistische Parteien und Orga- allem auf diversen Websites dagegen nisationen wie die Deutsche Kommunis- mobilisiert. Mittlerweile hat sich ein tische Partei (DKP), ihre Jugendorgani- breites Protest-Bündnis unter der Be- sation Sozialistische Deutsche Arbeiter- zeichnung „Stop G7“ formiert, das auf jugend (SDAJ), der Landesverband Bay- seiner 2. bundesweiten Aktionskonfe- ern der Marxistisch-Leninistischen Par- renz in München am 20. September 2014 tei Deutschlands (MLPD) sowie wie seine Arbeit aufgenommen hat. Die G7- schon bei den Protesten gegen den G8- Staaten stehen symbolisch für ihre Geg- Gipfel von Heiligendamm linksautono- ner für eine „neoliberale Wirtschaftspo- me Gruppierungen und Zusammen- litik, für Militarisierung und Kriege, schlüsse an, allen voran das [3A]* Revo- Ausbeutung und Zerstörung von lutionäres Bündnis4 und die IL. Neben Mensch und Natur, für Hunger und für dem parlamentsorientierten Linksextre- Abschottung gegenüber Flüchtenden“. mismus, wie ihn die DKP verkörpert, Auf ihrer 3. Aktionskonferenz am 13./14. sind es insbesondere auch linksautono- Dezember 2014 in München beschlos- me Gruppierungen, die hinter den Pro- sen sie ein aus unterschiedlichen Ele- testen gegen die Weltwirtschaftsgipfel menten zusammengesetztes Protestsze- stehen und versuchen, den demokrati- nario. So soll ein sogenannter Alternativ- schen Protest für ihre systemüberwin- gipfel vom 3. bis zum 4. Juni 2015 in denden Ziele zu instrumentalisieren. Da München stattfinden, auf dem die Poli- es ihnen immer auch um die Vermittel- tik der G7 kritisiert und Alternativen barkeit ihres Handelns geht, sind die aufgezeigt werden sollen. Auf diesen Ge- Proteste gegen die Weltwirtschaftsgipfel 459 // PoLITISCHE STUDIEN 51
analysen für Linksautonome besonders attraktiv Das autonome Selbstverständnis – können sie doch so darauf hoffen, mit Der „klassische“ Linksautonome ver- ihren (gewaltsamen) Aktionen auch auf fügt über keine einheitliche Weltan- Akzeptanz in nichtextremistischen Krei- schauung. Er orientiert sich an anarchis- sen zu stoßen und mit diesen temporäre tischen und kommunistischen Ideolo- Bündnisse zu schließen. gieelementen und wendet sich gegen Wer aber sind diese Linksautono- jegliche Form von Herrschaft, Organi- men? Was sind ihre Ziele? Welche Ent- sation und Hierarchie. Im Gegensatz zu wicklungen durchlaufen sie? Wie sieht den auf das Kollektiv orientierten ortho- ihr Gewaltbegriff aus? Und welche Ge- doxen Marxisten-Leninisten ist er ein fahr geht von ihnen für den G7-Gipfel in Individualist. Theoriedebatten spielen Elmau aus? für ihn nur eine untergeordnete Rolle. Das kapitalistische Wirtschaftssystem Genealogie der autonomen lehnt er ebenso ab wie den Staat, seine Bewegung Institutionen und Repräsentanten. Das Autonome Bewegungen sind kein bestehende System will er nicht refor- grundsätzlich neues gesellschaftliches mieren, sondern auf revolutionärem Phänomen. Ihre Wurzeln gehen auf die Wege durch eine „herrschaftsfreie Ge- zerfallende Protestbewegung Ende der sellschaft“ ersetzen.7 1960er-Jahre zurück.5 Aus dieser Zeit Sein politisches Selbstverständnis stammt auch ihre Selbstbezeichnung. zeichnet sich durch eine radikale Vernei- Sie steht für Eigenständigkeit und be- nung des Bestehenden aus und ist in ers- zieht sich historisch auf die Erfahrungen ter Linie von Anti-Einstellungen ge- der militanten italienischen Arbeiter- prägt. Er versteht sich v. a. als antifa- und Studentenbewegung „Autonomia Operaia“ der 1960er-Jahre. Diese mili- tante „Arbeiterautonomie“ propagierte Die WURZELN der Linksautonomen den Kampf gegen die Fabrikarbeit und liegen in der militanten italienischen wandte sich gezielt gegen die etablierten „Arbeiterautonomie“-Bewegung Gewerkschaften und die Kommunisti- der 1960er-Jahre. sche Partei Italiens, denen sie Anpas- sung, Bevormundung und Verbürgerli- chung vorwarf. Lang andauernde Be- schistisch, antikapitalistisch, antirassis- streikungen, v. a. von Automobilfabri- tisch, antimilitaristisch und antirepres- ken bis hin zur Entführung von Mana- siv. Der Kampf gegen (vermeintliche) gern, gewaltsame Auseinandersetzun- staatliche Repression, gegen einen seiner gen mit der Polizei und Sabotageakte in Meinung nach staatlich verordneten Mi- Fabriken prägten ihre Aktivitäten. In litarismus, gegen Rassismus, die Umge- Anlehnung an die „Autonomia Ope- staltung von Wohnvierteln sowie eine raia“ bildeten sich ab Mitte der 1970er- „neoliberale Globalisierung“ und damit Jahre auch in der Bundesrepublik aus verbunden gegen die Treffen der G7/G8- der Sponti-Szene, den militanten Teilen Staaten gehören zu seinen bevorzugten der Anti-AKW-Bewegung und der Themenfeldern. Damit greift er Bereiche Hausbesetzerszene heraus autonome auf, bei denen er sich im Einklang mit Gruppierungen.6 der Mehrheitsgesellschaft wähnen und 52 POLITISCHE STUDIEN // 459
bis weit ins bürgerliche Lager auf Ver- Bündnis“ oder die Gruppierung „[3A]* ständnis auch für militante Aktionen Revolutionäres Bündnis“ entstanden, setzen kann.8 Das gibt ihm die Möglich- die auch alle gegen den G7-Gipfel in El- keit, sich in „soziale Bewegungen und mau mobilisieren. Eine bedeutende Stel- Selbstorganisationsprozesse der Bevöl- lung in der linksextremistischen Ausei- kerung ein[zu]bringen […], um sie zu ra- nandersetzung mit den Weltwirt- dikalisieren und damit die Risse und schaftsgipfeln nimmt vor allem die IL Widersprüche innerhalb der kapitalisti- ein. Gegründet zum Jahreswechsel schen Totalität zu vertiefen – bis zum 2005 versteht sie sich als ein Bündnis offenen Klassenkampf“9. verschiedener Gruppierungen, v. a. des linksautonomen Spektrums. Die IL be- Postautonome trachtet sich als organisierter „undog- In den letzten Jahren ist ein Wandel des matischer Zusammenschluss von Ein- Selbstverständnisses von Teilen der zelpersonen und Gruppen aus der un- linksautonomen Szene zu erkennen. Als dogmatischen und post-autonomen Reaktion auf zunehmende interne Kri- Linken“, die in gesellschaftspolitische tik an der linksautonomen Bewegung Auseinandersetzungen intervenieren haben einige von ihnen begonnen, der möchte. Ihr Ziel ist „eine radikale Lin- Ideologie- und Organisationsfrage ke, die [sich] auf den revolutionären mehr Raum zu geben. Diesen sich als Bruch mit dem nationalen und dem glo- „postautonom“ verstehenden Gruppie- balen Kapitalismus, mit der Macht des rungen kommt es darauf an, sich entge- bürgerlichen Staates und allen Formen gen dem eigentlichen linksautonomen von Unterdrückung, Entrechtung und Selbstverständnis zu organisieren, zu Diskriminierung orientiert“.10 Diese vernetzen und der Frage der Ideologie Bündnisse versuchen, auch gegen teil- einen größeren Stellenwert einzuräu- weise heftige Widerstände aus dem men. Auf der Basis einer undogmati- linksautonomen Spektrum, dieses stär- schen marxistisch-leninistischen Ideo- ker zu vernetzen, besser zu organisieren logie verfolgen sie in einer Strategie der und zu re-ideologisieren, um so die kleinen Schritte eine breit gefächerte Schlagkraft der autonomen Bewegung Bündnispolitik. Sie öffnen sich bewusst zu erhöhen. Langfristig streben sie mit gegenüber bislang unpolitischen Bevöl- diesem Ansatz eine strukturierte bun- kerungsschichten, um so in einem lang- desweite und über die linksextremisti- fristigen Prozess die vorherrschenden sche Klientel hinausgehende Mobilisie- Verhältnisse zu überwinden. Die zu- rung zu einschlägigen Kampagnen an grunde liegende Intention ist die Einbe- ziehung und mittelfristige Radikalisie- rung möglichst vieler Personen über die gezielte Zuspitzung aktueller und real- politischer (Krisen-)Themen. Linksautonome ORIENTIEREN sich Im Zuge dieser Entwicklung sind an anarchistischen und kommu- verschiedene, sich selbst als postauto- nistischen Ideologieelementen. nom verstehende Zusammenschlüsse wie die „Perspektive Kommunismus“, das „…ums Ganze! Kommunistisches 459 // PoLITISCHE STUDIEN 53
analysen wie z. B. die Blockaden von überregio- Selbstverständnisses. So heißt es in ei- nalen rechtsextremistischen Aufmär- nem ihrer Statements: „Die Anwendung schen oder die Blockupy-Proteste gegen von Gewalt / revolutionärer Gewalt hal- Kapitalismus und autoritäres Krisenma- ten wir unter bestimmten Vorausset- nagement in Frankfurt am Main. zungen nicht nur für legitim, sondern auch für unverzichtbar. Wir werden uns Autonome Militanz nicht an den vom Staat vorgeschriebe- Linksautonome bzw. Postautonome nen legalen Rahmen von Protest und kennzeichnet ein hohes Maß an Ge- Widerstand halten. Denn damit wären waltbereitschaft. Auch wenn nicht jeder wir auch kontrollier-, berechen- und be- von ihnen selber Gewalt ausübt, so be- herrschbar. […] Also – eine Absage an fürworten sie in der Regel dennoch ih- Gewalt wird es von uns nicht geben – ren Einsatz. Als Militanter gilt daher nicht heute und auch nicht in Zu- nicht nur der aktiv Handelnde, sondern kunft!!!!!“12 auch derjenige, der Gewalt in Kauf Über den Einsatz von Gewalt erlebte nimmt bzw. mit gewaltsamen Aktionen die linksautonome Bewegung auch ihre sympathisiert. Die linksautonome Ge- mediale Geburtsstunde. Am 6. Mai waltbereitschaft basiert auf einem kla- 1980 blockierten mehr als 10.000 ren Feindbild, zu dessen tragenden Säu- Linksautonome das Bremer Weserstadi- len der Staat und die ihn nach linksau- on, in dem zu diesem Zeitpunkt der da- tonomer Auffassung stützenden malige Bundespräsident Karl Carstens eine öffentliche Rekrutenvereidigung vornahm. Zahlreiche Bundeswehrfahr- zeuge gingen in Flammen auf, ganze Straßenzüge wurden verwüstet. POSTAUTONOME wollen die linksauto- Mitte der 1980er-Jahre entwickelten nome Bewegung organisieren und sich zunehmend militante Kerne aus vernetzen, um ihre Schlagkraft zu den linksautonomen Gruppierungen erhöhen. und begannen, sich zu spezialisieren. Es kam zur Annäherung zwischen den ge- waltbereiten Linksautonomen und den terroristischen Revolutionären Zellen (RZ) bzw. ihrem radikalfeministischen Flügel, der Roten Zora. Gemeinsam ver- Rechtsextremisten zählen.11 Um diese suchten sie, das linksautonome Spekt- zu bekämpfen, halten sie alle Wider- rum durch eine „Propaganda der Tat“, standsformen bis hin zum Einsatz von d. h. mittels militanter Interventionen, Gewalt für legitim. Politisch motivierte zu radikalisieren. RZ und Rote Zora lie- Gewalt dient ihnen als „Geburtshelfer ferten den Linksautonomen konkrete einer neuen Gesellschaft“, denn um die Handlungsanleitungen für ihre Taten herrschaftsfreie Gesellschaft zu errich- und wurden „so was wie ein Lehrer der ten, muss zuvor der Staat als Garant der militanten Autonomen in Sachen Tech- bisherigen Ordnung radikal beseitigt nik des militanten Angriffs“ und somit werden. Gewalt gehört somit zu den wegweisend für die gewaltbereite links- tragenden Säulen linksautonomen autonome Szene.13 54 POLITISCHE STUDIEN // 459
Um die von Linksautonomen ausge- debatte“ geht es nicht um ein generelles hende Gewalt richtig einordnen zu kön- Ja oder Nein zur Gewalt an sich, son- nen, muss man sich ihren Gewaltbegriff dern vielmehr um die Frage, ob Gewalt vergegenwärtigen. In Anlehnung an den auch gegen Menschen und nicht allein gegen Sachen ausgeübt werden soll. Dem linksautonomen Verständnis nach Linksautonome kennzeichnet ein muss ihr Handeln und somit der Einsatz hohes Maß an GEWALTBEREITSCHAFT. von Gewalt politisch auch für diejenigen vermittelbar sein, die man befreien will. Da gezielte Gewalt gegen Menschen Philosophen und Sozialwissenschaftler kaum vermittelbar ist, wird sie zwar Herbert Marcuse und den norwegi- mehrheitlich abgelehnt, ausgenommen schen Friedensforscher Johann Galtung davon sind aber Polizisten und Rechts- liegt die Ursache für Gewalt in den „ka- extremisten. Sie gelten als das personifi- pitalistischen Produktionsverhältnis- zierte Feindbild eines jeden Linksauto- sen“. Diese üben keine physische, son- nomen, ihnen werden Menschenwürde dern eine auf gesellschaftlichen Struk- und Grundrechte pauschal abgespro- turen wie Werte, Normen, Institutionen chen, Gewalt gegen sie gilt als legitim und Machtverhältnissen basierende und vermittelbar.16 „strukturelle Gewalt“ auf ihre Bürger aus. Diese ist systemimmanent, drückt Ausblick auf den G7-Gipfel in sich durch Ungleichheit unterschwellig Elmau und die zu erwartenden aus und hindert den Einzelnen daran, Gegenproteste sich seinen Anlagen und Möglichkeiten Wie schon bei den Weltwirtschaftsgip- entsprechend frei zu entfalten.14 Da die- feln zuvor wird auch der G7-Gipfel von se „Diktatur der Gewalt“ den kapitalis- Elmau von einer breitgefächerten, aus tischen Systemen inhärent ist, leiten Nichtextremisten, aber auch aus Links- nicht nur Linksautonome, sondern extremisten bestehenden Protestbewe- Linksextremisten im Allgemeinen dar- gung begleitet werden. Mehr als ein Jahr aus unter Berufung auf Marcuse ein Na- vor diesem Großereignis hat bereits die turrecht von „unterdrückten“ Minderhei- Mobilisierung begonnen. Auch dieses ten auf Widerstand ab. Marcuse prägte Mal ist es das erklärte Ziel der G7-Geg- dafür das Prinzip „Gegengewalt“.15 Es ner, ihren Protest bis auf das Gipfelge- versteht sich ausschließlich als Reaktion lände zu tragen. Wie schon beim G8- auf die vermeintliche „Gewalt des Sys- Gipfel in Heiligendamm wird aber auch tems“ und somit als ein reaktives und 2015 nicht der Gipfelort zum Zentrum dadurch legitimes Mittel, um die herr- des Gegenprotestes werden, sondern die schende Gewalt aufzubrechen und Ver- nächstgelegene größere Stadt. War das änderungen herbeizuführen. 2007 Rostock, so wird es 2015 die baye- Von diesem Gedanken ausgehend rische Landeshauptstadt München sein. wird schon seit Jahren in der linksextre- Dort wird sich der Protest konzentrie- mistischen Szene eine Debatte über die ren, dort können auch gewaltsame Aus- Anwendung und Organisierung von einandersetzungen nicht ausgeschlos- Gewalt zur Durchsetzung der eigenen sen werden. Dennoch muss damit ge- Interessen geführt. In dieser „Militanz- rechnet werden, dass wie in Heiligen- 459 // PoLITISCHE STUDIEN 55
analysen damm v. a. Linksautonome bzw. Post- durchführbar zu machen. Ferner muss autonome versuchen werden, die Zu- auch diesmal wieder mit die Proteste be- fahrtswege nach Schloss Elmau zu blo- gleitenden, militanten Aktionen gerech- ckieren und mit Hilfe der Fünf-Finger- net werden, insbesondere mit Anschlä- Taktik die Polizeiketten zu durchflie- gen auf Gebäude, Kraftfahrzeuge und die Infrastruktur in Allgemeinen. Wie schon 2007, so versuchen auch 2015 Linksextremisten, allen voran die IL und das [3A]* Revolutionäres Bünd- Es wird auch 2015 in Elmau links- nis, die Proteste gegen den Weltwirt- extremistischen Protest geben, schaftsgipfel in Elmau zu organisieren. aber die Szene hat an öffentlichem Insbesondere die IL wird versuchen, da- INTERESSE verloren. mit an die Erfolge von Heiligendamm anzuknüpfen, um sich auch gegenüber den demokratischen Protestorganisatio- nen als unentbehrlicher Bündnispartner zu erweisen. Dabei steht gerade für die- se Bündnisse viel auf dem Spiel. Un- ßen, um so zumindest in die Reichweite übersehbar hat die autonome Szene in des Tagungsortes zu gelangen. Auch den letzten Jahren an Attraktivität und dieses Mal werden sie dieses Ziel nicht öffentlichem Interesse verloren. Ein Mit- erreichen. Schon seit Jahren finden die te April 2014 auf Initiative der IL in Ber- Weltwirtschaftsgipfel an zwar idylli- lin durchgeführter autonomer Kongress, schen, aber weit abgelegenen Orten der unter der Überschrift „Antifa in der statt. Dadurch lassen sich die Zufahrts- Krise“ einer Neuorientierung der links- wege für die Sicherheitsbehörden besser autonomen Szene dienen sollte, schei- kontrollieren und ein Eindringen der terte kläglich. Im Zuge dessen haben Gipfelgegner effizient verhindern. Das sich vor allem im Berliner Raum führen- wissen auch die Gipfelgegner. Ihnen de autonome Gruppierungen wie die kommt es daher mit ihren Aktionen Antifaschistische Linke Berlin (ALB) eher auf Symbolik denn auf die konkrete wegen der fehlenden Perspektive für die Verhinderung des Gipfels an. Wie schon linksautonome Szene aufgelöst oder sie bei anderen Großereignissen, etwa den befinden sich wie die Antifaschistische über viele Jahre nahezu alljährlich ins Revolutionäre Aktion (ARAB) in Auflö- atomare Zwischenlager Gorleben im sung. Die linksextremistische Szene im niedersächsischen Wendland rollenden Allgemeinen und die linksautonome Castor-Transporten mit hochradioakti- bzw. postautonome Szene im Besonde- ven Brennstäben, wollen sie mit ihren ren brauchen deshalb dringend eine Protestaktionen auch die Kosten für den Neuorientierung und Erfolgserlebnisse, Staat für entsprechende Großereignisse um die zentrifugalen Kräfte in den eige- in die Höhe treiben, um diese auf die- nen Reihen zu stoppen. sem Wege einerseits ihrer gesellschaftli- Betrachtet man die Weltwirtschafts- chen Akzeptanz zu berauben und um gipfel seit Heiligendamm, so stellt man sie andererseits zumindest auf lange fest, dass die Gegenproteste von Jahr zu Sicht allein aus Kostengründen un- Jahr an Zulauf und öffentlichem Interes- 56 POLITISCHE STUDIEN // 459
se verloren haben. Auch wenn insbeson- 5 gl. Geronimo: Feuer und Flamme. Zur Geschich- V te der Autonomen, Berlin / Amsterdam 1995; Mo- dere die linksautonome Szene an die roni, Primo / Balestrini, Nanni: Die goldene Hor- Erfolge der Proteste gegen den G8-Gip- de. Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaff- neter Kampf in Italien, Berlin 1994. fel von Heiligendamm anknüpfen möch- 6 Vgl. Baron, Udo: Das Selbstverständnis von Links- te, so spricht zum gegenwärtigen Zeit- und Rechtsautonomen – Ein Vergleich zweier sub- kultureller Erscheinungsformen, in: Extremismus punkt dennoch eher wenig dafür, dass in Deutschland. Schwerpunkte, Vergleiche, Pers- es 2015 zu vergleichbaren Massenpro- pektive, hrsg. von Gerhard Hirscher und Eckhard Jesse, Baden-Baden 2013, S. 435-452. Einer der testen gegen den G7-Gipfel in Elmau führenden Protagonisten der Arbeiterautonomie, kommt. /// Antonio Negri, gehört heute zu den führenden in- tellektuellen Führern der Anti-Globlisierungbe- wegung. 7 Baron, Udo: Pippi Langstrumpf oder: Was ist ein Autonomer?, in: Deutschland Archiv 1/2012, S. 60-68. 8 Vgl. Bergsdorf, Harald / van Hüllen, Rudolf: Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Ge- fahr?, Paderborn 2011, S. 64. 9 Grundsätze der Antifaschistischen Revolutionä- ren Aktion Berlin (ARAB), http://arab.blogsport. de/grundsaetze/, Stand: 7.2.2011. 10 Die Interventionistische Linke – Wir über uns, http://www.interventionistische-linke.org/inter- ventionistische-linke/die-interventionistische-lin- /// D R. UDO BARON ke-wir-ueber-uns, Stand: 11.11.2014. 11 AG Grauwacke: Autonome in Bewegung. Aus den ist Referent im Niedersächsischen ersten 23 Jahren, Berlin / Hamburg / Göttingen, 3. Ministerium für Inneres und Sport, Aufl., 2003, S. 142 ff. 12 „Legal, Illegal, Scheißegal!!! Aber lieber wie ein Bereich Linksextremismus, Hannover. Fisch im Wasser als einsam und vertrocknet am Flußrand“, in: Interim, August 1995, S. 12 (Her- vorhebung im Original). 13 AG Grauwacke, Autonome in Bewegung, S. 136. Anmerkungen 14 G altung, Johan: Strukturelle Gewalt. Beiträge zur 1 Bundeszentrale für politische Bildung: Weltwirt- Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek bei schaftsgipfel, http://www.bpb.de/nachschlagen/ Hamburg 1982. lexika/lexikon-der-wirtschaft/21189/weltwirt- 15 M arcuse, Herbert: Repressive Toleranz, in: Kritik schaftsgipfel, Stand: 20.10.2014. der reinen Toleranz, hrsg. von Robert 2 Die Fünf-Finger-Taktik beschreibt eine Vorge- Paul Wolff, Barrington Moore und Herbert Mar- hensweise größerer Menschengruppen zum Um- cuse, Frankfurt 1966, S.127. gehen von Polizeiabsperrungen. Bei der Fünf-Fin- 16 Vgl. die Militanzdebatte in den einschlägigen In- ger-Taktik setzt sich der zunächst geschlossene ternetforen der linken Szene wie indymedia, Demonstrationszug aus mehreren Blöcken zusam- http://de.indymedia.org/ men, deren Teilnehmer sich einer bestimmten Far- be oder Symbolik zuordnen. Bei dem Zusammen- treffen mit einer Polizeiabsperrung teilt sich der Zug in eine erforderliche Anzahl an Blöcken in verschiedene Richtungen auf, um die Absperrung umfließen und sich dahinter wieder sammeln zu können. Der Name Fünf-Finger-Taktik entstand, da es sich meist um fünf Blöcke handelt, die sich in verschiedene Richtungen auffächern wie fünf sich spreizende Finger. Die einzelnen Blöcke bestehen wiederum aus sogenannten Bezugsgruppen, was ein weiteres systematisches Zerstreuen in einzelne Gruppen ermöglicht. Umgesetzt wurde dieses Prinzip bisher vor allem in schwer absperr- und kontrollierbaren Flur- und Waldgebieten. 3 A lle Zitate stammen aus dem Aufruf „Proteste ge- gen G7-Gipfel geplant – sw unterstützt ‚Gegengip- fel‘“, http://www.isw-muenchen.de/download/el- mau-g7-01-201409.html 4 3 [A] steht für antifaschistisch, antimilitaristisch und antikapitalistisch. 459 // PoLITISCHE STUDIEN 57
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