Verkehrssicherheit 2020 - Christian Kellner
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Christian Kellner Verkehrssicherheit 2020 Abstract Die umfassende Sicherheitsstrategie Vision Zero weist den Weg: Damit das gesetzte Ziel der Reduktion der Unfalltoten um 40 Prozent bis 2020 gelingt, welches das Nati- onale Verkehrssicherheitsprogramm des Bundes mit Recht propagiert, ist eine Zäsur in der Verkehrssicherheitsarbeit notwendig. Eine gesicherte, deutlich höhere Finanzierung gehört genauso dazu wie unmissverständliche Signale des Gesetzgebers: keine Toleranz für Alkohol am Steuer! Weitere Themen sind eine geregelte Lernzeitverlängerung für die jungen Fahrer nach Führerscheinerwerb, verstärkte Überwachung, gestärkte Unfall- kommissionen, verstärkte Investitionen in den Bau sicherer, selbst erklärender Straßen und endlich die Möglichkeit, motorisierte Zweiradfahrer bei überhöhter Geschwindig- keit zu erfassen. Darüber hinaus muss es gelingen, die Prävention als Prozess lebenslan- gen Lernens zu propagieren: Verkehrssicherheitsarbeit muss in den Schulen von der Kür zur Pflicht werden. Eine besondere Rolle bei der Reduktion verheerender Unfallfolgen kommt der Verkehrsmedizin und dem Rettungswesen zu. Dies wird im Folgenden be- sonders beleuchtet. Gesamtziele im Rahmen der Vision Zero nik, Straßenverkehrstechnik, Verkehrsme- Es ist Zeit für eine Zäsur in der Verkehrs- dizin, Verkehrspsychologie, Verwaltungen, sicherheitsarbeit. Auf den ersten Blick ist Wissenschaft, Ministerien, Industrie, eh- die Welt ja schon fast in Ordnung: 2010 renamtliche Helfer – sie alle trugen dazu wurden in Deutschland 3.657 Menschen bei. Und dennoch sind es immer noch im Straßenverkehr getötet (Statistisches rund 10 Menschen, die pro Tag getötet Bundesamt, 23.02.2011) – das ist das beste und rund 1.000, die verletzt werden – zum Ergebnis seit 60 Jahren. Auch die Zahl Teil schwer. der Schwer- und Leichtverletzten hat mit Es ist Zeit für eine Zäsur. Es muss nun rund 371.000 einen Tiefstand erreicht. Das darum gehen, die Entscheidungen zu tref- ist ein Erfolg der Bemühungen aller, die fen, die früher radikal anmuteten, aber sich das Thema Sicherheit auf die Fah- heute denkbar und notwendig sind – Ent- nen geschrieben haben beziehungsweise scheidungen, die die Vision „Null Ver- damit ihr Geld verdienen. Fahrzeugtech- kehrstote“ in greifbare Nähe rücken lassen. 1
Prävention Wir müssen uns den drei Hauptunfallursa- Das Ziel muss von daher die Gestaltung chen in Deutschland, in Europa und welt- einer Mobilität sein, die sowohl dem Si- weit widmen: Alkohol, unangemessene cherheitsbedürfnis von Menschen Rech- Geschwindigkeit und mangelnde Insas- nung trägt, als auch die ständig wachsenden sensicherung. Und wir haben ein wichti- Mobilitätsbedürfnisse in einer globalisier- ges Pfund auf unserer Seite: Die Akzeptanz ten Welt berücksichtigt. der Verkehrsteilnehmer für mehr Sicher- Im Sinne der Vision Zero müssen wir uns heit und für klare Vorgaben steigt. Alko- dem Hauptunfallort – der Landstraße – hol am Steuer wird längst nicht mehr als widmen. Wir müssen noch bessere Lösun- Kavaliersdelikt abgebucht. Und die nicht gen für die jungen Fahrer finden und wir angepasste Geschwindigkeit wird immer müssen mehr zum Schutz der motorisier- mehr verpönt und als das gesehen, was sie ten Zweiradfahrer tun. Wir müssen es da- ist: das Ausleben einer vermeintlichen Frei- rüber hinaus endlich schaffen, dass auch heit auf Kosten des Sicherheitsbedürfnis- die Schule zu einem Hort der Verkehrser- ses der anderen, als egoistischer Eingriff in ziehung wird. Einige wenige Stunden Un- das soziale Miteinander, das der Straßen- terricht oder Projektarbeit: Das muss doch verkehr darstellt – der Ort, an dem wir uns drin sein! Verkehrssicherheit ist eine ge- alle begegnen. samtgesellschaftliche und eine ganzheit- Es ist Zeit für eine Zäsur in der Ver- liche Aufgabe und sie ist international. kehrssicherheitsarbeit, denn wir haben die Erstmals können wir die Bemühungen der Chance, noch deutlich größere Erfolge fei- Weltgemeinschaft, Europas und Deutsch- ern zu können. Das Licht am Ende des lands miteinander vernetzen. Tunnels schimmert auf und wir können mit Am 11. Mai 2011 startete die World den richtigen Entscheidungen noch deut- Health Organization (WHO) die UN De- lich mehr Leben retten. Die Strategie und cade of Action for Road Safety 2011 bis 2020. das Ziel sind klar: Vision Zero. Kern ist die Nach Angaben der WHO gibt es weltweit Einsicht, dass der Mensch im Verkehrs- jährlich zirka 1,3 Millionen Verkehrstote und im Arbeitssystem nicht fehlerfrei agie- (europaweit jährlich zirka 35.000). Darü- ren kann. Ohne den Einzelnen aus seiner ber hinaus verursachen auch die weiteren Verantwortung zu entlassen, muss dieses Folgen von Verkehrsunfällen schweres System daher so gestaltet sein, dass Fehler menschliches Leid: Viele der Opfer sind möglichst keine fatalen Folgen haben. Ver- jung und Millionen von nicht tödlichen kehrssysteme sind dabei an den Menschen Unfällen haben körperliche Behinderungen und dessen Kompetenzen und Bedürfnisse der Betroffenen zur Folge. Die WHO als anzupassen – nicht umgekehrt. Gefordert Unterorganisation der Vereinten Nationen sind hierbei alle im Bereich der Verkehrs- wird im Rahmen ihres Aktionsprogramms sicherheit tätigen Akteure und Institutio- weltweit die Regierungen aller Länder um nen, also Legislative, Judikative, Exekutive, Unterstützung bitten. Die EU-Kommis- aber auch Forschung, Verbände, Unterneh- sion hat bereits im Vorgriff eigene Ziele men, Ehrenamtliche und selbstverständlich definiert, die langfristig auf die Vision Zero, der einzelne Mensch. Bei Zielkonflikten also null Unfalltote im Straßenverkehr, hin- gibt Vision Zero klar die Richtung vor: im streben. Formulierte Zwischenziele sind auf Zweifel für die Verkehrssicherheit. diesem Weg: 2
Verkehrssicherheit 2020 Schaffung eines gemeinsamen Raums der Evaluationspläne sind daher zentrale Ele- Straßenverkehrssicherheit mente eines erfolgsorientierten Verkehrs- Halbierung der Zahl der Unfalltoten im sicherheitsprogramms. Straßenverkehr von 2010 bis 2020 Im Sinne seiner Hauptaufgabe als Ko- Mit der Formulierung „gemeinsamer ordinator der Verkehrssicherheitsarbeit in Raum“ zielt die Kommission darauf ab, dass Deutschland hat der DVR die Aufgabe, mit die zum Teil deutlichen Unterschiede in seinen Maßnahmen und Projekten haupt- den Sicherheitsniveaus verschiedener Län- sächlich diejenigen zu erreichen, die das der im positiven Sinne angeglichen wer- System Straßenverkehr sicherer machen den müssen. Entsprechend der umfassen- können. Dabei muss auch die Strategie Vi- den Sicherheitsstrategie Vision Zero hat der sion Zero selbst kommuniziert werden, da- Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) mit der gefährdungsorientierte Ansatz bei gemeinsam mit dem Europäischen Ver- den Entscheidungsträgern in Politik, Ge- kehrssicherheitsrat (European Transport setzgebung, Verwaltung und Wirtschaft Safety Council – ETSC) neben dem Ziel handlungsleitend wird. der Halbierung der Zahl der Unfalltoten Trotz des demografischen Wandels ist auch Teilziele für unterschiedliche Grup- von einem weiteren Wachstum des Ver- pen von Verkehrsteilnehmern gefordert: kehrs auszugehen; das gilt insbesondere Fußgänger, Radfahrer, „Junge Fahrer“; mo- im Bereich des Güterverkehrs. Außerdem torisierte Zweiradfahrer und ältere bezie- sind weitere Steigerungen der Kosten für hungsweise alte Verkehrsteilnehmer. Ver- Mobilität zu erwarten. Deshalb muss ein stärkte Aufmerksamkeit soll darüber hinaus verändertes Mobilitätskonzept entwickelt zukünftig den Kindern im Straßenverkehr werden, welches das Zusammenspiel einer zuteilwerden. intelligenten und bedarfsgerechten Nut- Der DVR hat mit seinen Ausschüssen zung sicherer Verkehrsmittel (die auch und dem Vorstand ein Eckpunktepapier nachhaltig die Umwelt schonen) ermög- „Verkehrssicherheit 2020“ entwickelt, das licht. Es soll darüber hinaus allen Bürgern die wichtigsten Leitplanken für eine er- sowohl kurz- als auch langfristig adäquate folgreiche Verkehrssicherheitsarbeit in den und ansprechende Mobilitätschancen bie- nächsten Jahren definiert und Hinweise ten sowie die Lebensqualität in den Städten für das europäische Aktionsprogramm und und in den ländlichen Räumen erhöhen. für das Nationale Verkehrssicherheitspro- Die Einbindung aller Akteure der Ver- gramm in Deutschland gegeben hat. kehrssicherheitsarbeit auf allen Hierarchie- Bei der Entwicklung seines Konzepts ebenen stellt eine Daueraufgabe für den und der Identifikation der zu ergreifenden DVR dar. Wichtiger Ratgeber hierbei ist Maßnahmen verfolgt der DVR einen ge- der Wissenschaftliche Beirat beim Bundes- fährdungsorientierten Ansatz. Angesichts ministerium für Verkehr, Bau und Stadt- begrenzter Ressourcen müssen zunächst entwicklung (BMVBS), der 40 Maßnah- die Maßnahmen ergriffen werden, die ei- men zur Erhöhung der Verkehrssicherheit nen besonders hohen Sicherheitsgewinn in Deutschland erarbeitet und in einem erwarten lassen. Eine klare Strategie, Lang- Gutachten (Wissenschaftliche Beirat beim fristigkeit, ein detaillierter Maßnahmen- Bundesministerium für Verkehr, Bau und katalog sowie Steuerungsinstrumente und Stadtentwicklung, 2010) veröffentlicht hat. 3
Prävention Präventionshierarchie und durch entstehenden Schäden zuständigen notwendige Interventionen zur Unfallversicherungsträger leisten mit ih- Erreichung der Ziele rem Engagement zur Prävention von Ver- Sicherheit ist unteilbar. Auch, wenn es in kehrsunfällen gemeinsam mit der DGUV Deutschland ganz unterschiedliche Zu- einen zentralen Beitrag zur bundesweiten ständigkeiten und Akteure gibt, müssen Verkehrssicherheitsarbeit. die Bereiche Straßenverkehr, Arbeitsplatz, Die Verhütung von Verkehrsunfällen ist Haus und Freizeit gemeinsam betrach- Bestandteil der „Gemeinsamen Deutschen tet werden. Da die Zielgruppen dieselben Arbeitsschutzstrategie (GDA)“, auf die sich sind, sollten zumindest Anspracheformen, die DGUV mit den Berufsgenossenschaf- Strategien und Erfolge miteinander ver- ten und Unfallkassen verständigt hat. Sie glichen und im Idealfall aufeinander ab- dient dazu, Arbeitsunfälle im Straßenver- gestimmt werden. Auch mit den Akteuren kehr, Dienstwegeunfälle sowie Unfälle auf des Gesundheitswesen könnte ein gewinn- Arbeitswegen zu reduzieren. Dabei stehen bringender Bund geschlossen werden. Ein Arbeitnehmer sowie Schüler und Studie- Beispiel wäre die erhöhte Akzeptanz des rende und auch Arbeitgeber im Fokus der Themas „Kein Alkohol am Steuer“. Hier Bemühungen, denn alle Seiten profitieren bietet es sich an, dass mit der Bundeszen- von einem sicheren Wirtschafts-, Schul- trale für gesundheitliche Aufklärung, den weg- und Individualverkehr. Spitzenverbänden der gesetzlichen und Auch in den Strategien zur optima- privaten Krankenversicherung, den Sucht- len Prävention sind sich die Partner einig. und Drogenbeauftragten der Bundesregie- Überträgt man die Prinzipien der Arbeits- rung, den Ärzteorganisationen und wei- gestaltung und des Arbeitsschutzes auf die teren Partnern ein Bündnis geschlossen Verkehrsgestaltung und die Sicherheit im wird, das in eine mediale Strategie mün- Verkehrsraum, so unterscheiden wir auch det, Informationen bündelt und gemein- in diesem Kontext verschiedene Schutz- same Ziele formuliert: maßvoller Umgang strategien: mit der gesellschaftlich anerkannten Droge Korrektive Strategien streben an, Unfall- Alkohol und ein absoluter Verzicht in Be- folgen (post-hoc) zu reduzieren und Feh- ruf und Straßenverkehr. ler nicht zu wiederholen. Das Bündnis zwischen Verkehrssicher- Präventive Schutzstrategien zielen hin- heit und Arbeitsschutz steht. Die Zusam- gegen vor allem darauf ab, Unfälle im menarbeit zwischen der Deutschen Ge- Vorhinein durch Schutzmaßnahmen zu setzlichen Unfallversicherung (DGUV) verhindern. und dem DVR besteht seit Gründung des Prospektive Strategien intendieren, die DVR 1969 und ist längst in eine inten- Entstehung von Gefährdungsmöglich- sive, einander befruchtende Zusammenar- keiten bereits bei der Planung zu verhin- beit gemündet. Schließlich wird die Ver- dern oder auszuschließen. kehrssicherheit in Deutschland wesentlich Dementsprechend folgen die Maßnahmen durch Unfälle auf dem Weg zum Arbeits- der folgenden Präventionshierarchie: platz (Wegeunfälle), Unfälle auf Dienstwe- 1. Gefährdungsanalyse durch Risikobe- gen und Arbeitsunfälle im Straßenverkehr urteilung der Mobilität und Evaluation bestimmt. Die für die Regulierung der da- der Wirkungsprozesse 4
Verkehrssicherheit 2020 2. Reduktion der Exposition im Verkehr stehen, fatale Folgen und schwerste Ver- durch gezieltes Mobilitätsmanagement letzungen zu verhindern. Sie stehen auf zur Vermeidung tödlicher Gefahren der obersten Vermeidungsstufe und sollten 3. Vermeidung von Unfallmöglichkeiten deshalb mit hohem Aufwand verhindert mit tödlichen Folgen werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche 4. Vermeidung von Unfällen insgesamt Präventionsarbeit ist also eine umfassende 5. Vermeidung tödlicher oder körperlich Kenntnis über Gefahren und Gefährdun- schwerwiegender Konsequenzen gen, Chancen und Nutzen von Mobilität 6. Optimierung der Unfallrettung und sowie eine Evaluation der Wirkung der Unfallnachsorge intendierten oder durchgeführten Maß- Es existiert eine Fülle von möglichen und nahmen – mit dem Ziel, auf diese Weise nötigen Maßnahmen, um diese Ziele auf eine Qualitätssicherung der Verkehrssi- allen Ebenen zu erreichen. Sie beginnen cherheitsarbeit gewährleisten zu können. bei der Gestaltung des Arbeits- und Ver- Als einen der ersten Schritte in diese kehrsumfeldes und der Gesetzgebung und Richtung kann das derzeit vom DVR ent- reichen bis zur Behandlung der Unfallop- wickelte Programm GUROM (Gefähr- fer in der Nachsorge. Im Folgenden soll dungsanalyse- und Risikobewertung Or- auf einige als bedeutsam erkannte Rege- ganisationaler Mobilität, www.gurom.de) lungen und Maßnahmen näher eingegan- gelten, bei dem sehr viele Gefährdun- gen werden. gen nicht nur als Einzelfaktoren, sondern auch in ihrer Wechselwirkung mit ande- Basismaßnahme: Gefährdungs ren Faktoren, wie psychischen Belastun- beurteilung und Wirkungsmessung als gen, betrieblichem Stress oder situativen Qualitätssicherungsinstrument Verkehrsbedingungen, betrachtet werden. Ausgangsbasis für Interventionen, Maß- Nach einer ausreichend hohen Beteiligung nahmen und deren gezielte Wirkungsbeur- von Einzelpersonen und Organisationen teilung ist die Erstellung einer umfassenden an diesem Forschungsprojekt ist es jetzt Gefährdungsanalyse und Risikobeurteilung möglich, eine flächendeckende und reprä- der Mobilität. Hierzu ist es notwendig, Ge- sentative Gefährdungskennzahl zu ermit- fahren und Chancen von Mobilitätspro- teln und darauf aufbauend zielgenaue In- zessen zu erfassen und im Rahmen einer terventionen für die jeweiligen Individuen Risikobeurteilung abzuwägen, welche not- oder Organisationen abzuleiten. Wieder- wendigen Schritte unternommen werden holte Messungen nach der Umsetzung von sollen. Dabei muss unbedingt berücksich- Verkehrssicherheitsmaßnahmen ermögli- tigt werden, dass es Mobilität niemals mit chen außerdem Aussagen darüber, welche null Risiko gibt. Jede Bewegung und Mo- Wirkung die durchgeführten Interventi- bilität ist mit Unsicherheit über ihren Aus- onen tatsächlich hatten. Angestrebt wird, gang verbunden und mit jeder Mobilität dass sich im Jahr 2020 entsprechende Ana- wird ein Ziel verfolgt, das es zu erreichen lysen und Programme als Standard der Ver- gilt und das für das jeweilige Individuum kehrssicherheitsarbeit etabliert haben. einen Gewinn bedeutet. Die Notwendigkeit von Analyse und Ri- Das Ziel einer Gefährdungsbeurteilung sikobeurteilung ist aber auch in anderen und der daraus resultierenden Risikoopti- Bereichen evident. So sollten sich mög- mierung sollte folglich zunächst darin be- lichst alle Bundesländer die bereits in eini- 5
Prävention gen Bundesländern eingerichteten „Zen- tig in diesem Kontext ist, dass zukünftig tralstellen für Unfallauswertung“ zum volkswirtschaftlichen Nutzen-Kosten-Be- Beispiel nehmen und solche Stellen ein- trachtungen eine stärkere Beachtung ge- richten. Auf der Ebene der Kommunen schenkt wird. Die derzeit gültigen, offi- sind es wiederum die Unfallkommissio- ziellen volkswirtschaftlichen Kostensätze nen, deren Arbeit gefördert werden muss. der Bundesanstalt für Straßenwesen (An- Generell gilt, dass weiterführende Wir- satz für einen Getöteten 1.035.000 Euro kungsforschung und Evaluation sich auf und für einen Schwerverletzten 110.500 alle Bereiche der Verkehrssicherheit erstre- Euro) sollten in der Praxis eine stärkere cken muss. Das reicht vom differenzier- Berücksichtigung finden – besonders, weil ten Monitoring der Verkehrssicherheits- die zur Verfügung stehenden Ressourcen probleme (z. B. durch Unfallstatistiken und limitiert sind. durch differenzierte technische, medizini- sche und psychologische Erhebungen am Erweiterung der Unfallstatistik Unfallort) über einen vertieften interdiszi- Die Unfallstatistik unterscheidet drei Kate- plinären, internationalen Wissensaustausch gorien: leicht verletzt, schwer verletzt und bis hin zu systematischen, kontrollierten getötet. Als schwer verletzt gilt, wer nach Wirkungsforschungen und Bewertungs- einem Verkehrsunfall länger als 24 Stunden methoden. Gerade gegenüber den Zuwen- im Krankenhaus verbleiben muss. Damit dungsgebern und Sponsoren ist eine trans- fallen Komapatienten in dieselbe Katego- parente Evaluation unverzichtbar. rie wie jemand, der wegen einer Gehirn- Verkehrssicherheitsmaßnahmen müs- erschütterung zur Beobachtung für eine sen angemessen finanziert werden. Dabei Nacht stationär aufgenommen wird. Das ist das ökonomisch-gesellschaftliche Ra- reicht für eine differenzierte Betrachtung tionalitätsprinzip zu beachten: Es sind die des Unfallfolgengeschehens natürlich bei Maßnahmen auszuwählen und zu einem Weitem nicht aus. Der DVR fordert fol- Programm zusammenzufassen, die den gerichtig, dass künftig die Reduktion der höchsten gesellschaftlichen Nutzen erbrin- Anzahl schwerst-, das heißt lebensgefähr- gen. Der Wissenschaftliche Beirat beim lich Verletzter besondere Bedeutung fin- BMVBS fordert deshalb, Deutschland den muss. Die seit Jahren vermutete hohe sollte ein Forschungsprogramm zur Be- Zahl von etwa 7.000 Betroffenen ist nicht wertung von Verkehrssicherheitsmaßnah- akzeptabel. Deshalb wird vorgeschlagen, men auflegen, dessen Ergebnisse die hohen die „Empfehlung zur Erhebung bundes- Nutzenpotenziale vieler Maßnahmen zei- einheitlicher Unfallmerkmale von Straßen- gen und damit die gesamtwirtschaftliche verkehrsunfällen“ (EBUS) um die Unfall- Legitimation der Verkehrssicherheitspo- kategorie „Lebensgefährlich Verletzte“ zu litik unterstreichen. Entscheidend hierbei erweitern. Dabei handelt es sich um ver- ist die Bereitstellung der notwendigen fi- unglückte Personen, die einer primärärzt- nanziellen Mittel, damit der Priorität einer lichen Intervention bedürfen und intensiv- verkehrssicheren Straßengestaltung ent- medizinisch versorgt werden müssen. Eine sprochen werden kann. Dies könnte bei- in Deutschland bereits gefundene Defini- spielsweise durch eine Umschichtung von tion sollte auch in anderen Länder Euro- Mitteln des Straßenbaus geschehen. Wich- pas berücksichtigt werden. 6
Sie können auch lesen