Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und Schülern

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Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und Schülern
– Originalbeitrag –

           Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der
    Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und
                                 Schülern

                                                   Alma Reinboth1
                                      1
                                       Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
                                               Didaktik der Geographie

                                                 ZUSAMMENFASSUNG
Auch wenn Wildnis oft als Gegensatz zur Zivilisation verstanden wird, handelt es sich bei ihr um ein kulturelles Konstrukt. Sie
ist nicht anhand naturwissenschaftlicher Merkmale beschreibbar, sondern wird vielmehr als eine kulturell geprägte, kollektive
Idee auf Räume übertragen. Aufgrund dieses kulturellen Konstruktcharakters sowie der Nutzung der Wildnisthematik in nach-
haltigkeitsorientierten Bildungsangeboten lag der Fokus der vorliegenden Studie auf Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Ziel war es hierbei, bestehende Untersuchungsinstrumente zur Erfassung der Einstellung zu und Vorstellung von Wildnis zu
validieren, für diese Konstrukte mögliche Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund festzustellen
und zu analysieren, inwiefern der Migrationshintergrund einen geeigneten Prädiktor zur Vorhersage der beiden Zielkonstrukte
darstellt. Hierfür wurden 1356 Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe (M Alter = 14,86 Jahre; SD = 0,73) aus
sechs deutschen Bundesländern zu ihren Einstellungen zu und Vorstellungen von Wildnis befragt. Über explorative und kon-
firmatorische Faktorenanalysen konnte die Faktorenstruktur der beiden Erhebungsinstrumente mit nur geringfügigen Änderun-
gen validiert und bestätigt werden. Einfaktorielle Varianz- und Post-hoc-Analysen konnten vor allem Einstellungs- und Vor-
stellungsunterschiede zwischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und solchen, die eigene Migrationserfahrungen ge-
macht hatten oder zwei Elternteile mit Migrationshintergrund besaßen, nachweisen. Über Strukturgleichungsmodellierungen
wurde zudem ein Mediationsmodell entwickelt, welches nachweisen konnte, dass der Migrationshintergrund sich sowohl indi-
rekt über die Vorstellung von Wildnis als auch direkt negativ auf die Einstellung zu Wildnis auswirkt. Die Ergebnisse werden
vor dem Hintergrund bisheriger theoretischer und empirischer Erkenntnisse reflektiert und die praktische Relevanz der Befunde
aufgezeigt.
Schlüsselwörter: Wildnis, Einstellung, Vorstellung, Migration, Kultur, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

                                                        ABSTRACT
Even though wilderness is often seen as a contrast to modern civilisation, it is a cultural construct. It cannot be characterized
by scientific attributes, but is rather transmitted on areas as a culturally influenced and collective idea. Due to this cultural
construction as well as the usage of the wilderness topic in sustainability-oriented educational offers, the focus of the present
study was on adolescents with a migrant background. In doing so, the study aims at validating two existing surveys for meas-
uring wilderness attitudes and perceptions, identifying possible differences in these constructs between persons with or without
a migrant background and on analysing to what extend the migrant background can act as a potential determining factor for the
prediction of the two target constructs. Therefore, 1356 ninth graders (Mage = 14,86 years; SD = 0.73) from six German federal
states were questioned regarding their attitudes towards and perceptions of wilderness. With the help of exploratory and con-
firmatory factor analyses it was possible to validate and confirm the factor structure of the two surveys with only minor modi-
fications. Single factor variance analyses and post-hoc analyses verified primarily differences in the attitudes and perceptions
of adolescents without migrant background and those who had direct experiences of migration or who had two parents with a
migrant background. A mediation model which could prove that the migrant background has an indirect negative effect via the
wilderness perception as well as a direct negative effect on the attitude towards wilderness was developed by structural equation
modelling. The findings are reflected against the background of previous theoretical and empirical knowledge and the practical
relevance of the results is illustrated.
Key words: wilderness, attitudes, perceptions, migration, culture, Education for Sustainable Development (ESD)

                                                                                                                              1
Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und Schülern
Reinboth (2021)

1 Anlass                                                         Idee entspricht. Diese Idee ist in einem bestimmten
                                                                 kulturellen Kontext entstanden und hat mit dem kul-
Mit der Forderung der Nationalen Strategie zur bio-              turellen Wandel unterschiedliche Bedeutungen an-
logischen Vielfalt (NBS), zwei Prozent der Landes-               genommen“ (Hoheisel, Kangler, Schuster & Vicen-
fläche Deutschlands für die Entwicklung von Wild-                zotti, 2010, S. 45). Hieraus resultieren divergie-
nis bereitzustellen (BMUB, 2007; Deutscher Bun-                  rende, kulturell geprägte und nicht universelle Wild-
destag, 2018), wurde naturschutzpolitisch eine Posi-             nisverständnisse (Megerle, 2019; Spanier, 2015).
tion dazu bezogen, wofür die Gesellschaft Raum re-               Bauer und Atzigen (2019) fordern deswegen, dass
servieren soll (Kropp, 2010). In einem Forschungs-               verstärkt wildnisbezogene Untersuchungen mit ei-
und Entwicklungsvorhaben des Bundesamts für Na-                  nem Fokus auf Personen mit Migrationshintergrund
turschutz (BfN, 2015) wurde untersucht, welche Flä-              durchgeführt werden. Ein Migrationshintergrund
chenarten in Deutschland Potenzial für eine Wild-                liegt laut dem Statistischen Bundesamt (2019, S. 4)
nisentwicklung aufweisen und ob deren Umfang für                 dann vor, wenn eine Person „selbst oder mindestens
die Realisierung des Zwei-Prozent-Ziels genügt. Als              ein[er ihrer] Elternteil[e] die deutsche Staatsangehö-
Wildnisgebiete wurden hierbei „ausreichend große,                rigkeit nicht durch Geburt besitz[en]“.
(weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Ge-                  Das Thema Wildnis spielt jedoch nicht nur in aktu-
biete [bezeichnet], die dazu dienen, einen vom Men-              ellen naturschutzfachlichen und -politischen Debat-
schen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse                ten eine Rolle (BMUB, 2007; Deutscher Bundestag,
dauerhaft zu gewährleisten“ (Finck, Klein & Rieken,              2018), sondern wird verstärkt auch aufgrund seiner
2013, S. 343). Die Realisierbarkeit der Ziele der                Potenziale für die Bildungsarbeit geschätzt. Über die
NBS wurde durch die Ermittlung eines Flächenpo-                  Auseinandersetzung mit dem Thema Wildnis kann
tenzials von 3,52 Prozent der deutschen Landesflä-               ein Beitrag zu den in den Bildungsstandards für den
che zwar bestätigt (BfN, 2015), der aktuelle Bestand             Biologieunterricht geforderten Zielen der Kultusmi-
an Wildnis- und Wildnisentwicklungsflächen liegt                 nisterkonferenz geleistet werden. So können die
jedoch nur bei 0,6 Prozent der Landesfläche (Me-                 Schülerinnen und Schüler eine „Wertschätzung für
gerle, 2019; Kangler, 2019). Folglich ist davon aus-             eine intakte Natur“ entwickeln sowie das „verant-
zugehen, dass für die Erreichung der Ziele der NBS               wortungsbewusste Verhalten des Menschen gegen-
noch immer umfassende landschaftliche Umstruktu-                 über […] der Umwelt“ anhand der ethischen Denk-
rierungen und Umnutzungen anthropogen beein-                     tradition des „Schutz[es] einer systemisch intakten
flusster Flächen notwendig sind. Bisherige Erfah-                Natur um ihrer Selbstwillen“ beurteilen (Kultusmi-
rungen in der Ausweisung von Großschutzgebieten                  nisterkonferenz, 2004, S. 12). Eine umfangreiche
deuten jedoch darauf hin, dass für derartige Vorha-              Analyse der Anknüpfungspotenziale des Themas
ben eine umfängliche Akzeptanz der Bevölkerung                   Wildnis an curriculare Vorgaben von Bildungsinsti-
notwendig ist (Mose, 2009; Megerle, 2019). Insbe-                tutionen im elementaren, primären, sekundären so-
sondere im dicht besiedelten Deutschland können                  wie tertiären Bildungsbereich lässt sich bei Mohs,
divergierende Nutzungsansprüche, nicht-intendierte               Reinboth, Fiebig, Giese und Lindau (2021) finden.
Landschaftsentwicklungen im Rahmen des Prozess-                  Hier sei insbesondere auf die exemplarische Analyse
schutzes (z. B. Borkenkäferbefall, Windwurf,                     der thematischen Anknüpfung von Wildnis an die
Brände), mit dem Wildnisgedanken unvereinbare                    Kompetenzziele des Biologielehrplans für Gymna-
ästhetische Ansprüche an die Landschaft oder auch                sien im Land Sachsen-Anhalt verwiesen. Für den fä-
kontrastierende Vorstellungen des emotional aufge-               cherübergreifenden Unterricht konnten Lindau,
ladenen Wildnisbegriffes zu Konflikten bei der Aus-              Mohs und Reinboth (2021) zudem nachweisen, dass
weisung dieser Schutzgebiete führen (Jenal &                     das Thema Wildnis Anknüpfungspunkte an 16 der
Schönwald, 2019). Viele der angesprochenen Kon-                  17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Ver-
fliktpotenziale (ebd.) lassen sich mitunter auf den              einten Nationen (Martens & Obenland, 2017) auf-
kulturellen Konstruktcharakter (Hoheisel et al.,                 weist und auch die Deutsche UNESCO-Kommission
2010; Kangler, 2011; Spanier, 2015) von Wildnis                  e. V. (DUK, 2011, S. 13) konstatiert, dass Wildnis
zurückführen. So wird „eine Gegend nur dann als                  „spannende und vernetzte Fragestellungen für eine
Wildnis bezeichnet […], wenn sie einer bestimmten                Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) auf-

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Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und Schülern
Reinboth (2021)

weist. BNE strebt hierbei an, „dass jeder die Mög-               Teilbereiche umfasst, entwickelt. Dieser Fragebo-
lichkeit hat, sich das Wissen, die Fähigkeiten, Werte            gen wurde anschließend im Rahmen einer ersten Te-
und Einstellungen anzueignen, die erforderlich sind,             stung mit 280 Schülerinnen und Schülern faktoren-
um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen“                analytisch untersucht und validiert (Reinboth,
(DUK, 2014, S. 14). Jugendliche stellen, als eine der            2020a). In einer Folgeerhebung, an der 266 Schüle-
Hauptzielgruppen der BNE (ebd.), in der Bevölke-                 rinnen und Schüler beteiligt waren, konnten mithilfe
rungsstruktur Deutschlands eine überdurchschnitt-                des entwickelten Fragebogens überwiegend positive
lich stark kulturell diversifizierte Gruppe dar (Statis-         Einstellungen zu Wildnis nachgewiesen werden.
tisches Bundesamt, 2019). Für die Untersuchung so-               Dies traf insbesondere auf Gründe, die auf eine di-
zial-konstruktivistischer Wildnisverständnisse (Me-              rekte menschliche Nutzung der Gebiete verzichteten
gerle, 2019) erscheint diese Zielgruppe folglich po-             und damit stärker biozentrisch geprägt waren, sowie
tenziell lohnenswert. Ziel der vorliegenden Studie               auf wilde Landschaften zu. Ein heterogeneres Ein-
war es dementsprechend, mithilfe von bestehenden                 stellungsbild ließ sich in Bezug auf Wildtiere fest-
Erhebungsinstrumenten mögliche Unterschiede bei                  stellen. So wurden Wildtiere in Deutschland grund-
den Wildnisvorstellungen und -einstellungen von                  sätzlich positiv bewertet, wohingegen Wildtiere in
Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund                  menschlichen Siedlungsbereichen von den Schüle-
zu untersuchen. Zudem soll analysiert werden, ob                 rinnen und Schülern eher ambivalent betrachtet wur-
der Migrationshintergrund einen geeigneten Prädik-               den (Reinboth, 2020b; Reinboth, 2021).
tor für die beiden genannten Zielkonstrukte darstellt.
                                                                 2.2 Vorstellungen von Wildnis
2 Theoretischer Hintergrund                                      Vorstellungen, die auch als Wissen, Vorwissen, sub-
                                                                 jektive Theorie oder Präkonzept bezeichnet werden
2.1 Einstellungen zu Wildnis                                     (Labudde & Möller, 2012; Reinfried, 2006), können
Einstellungen stellen subjektive Bewertungen ge-                 als „persönliche Konstrukte (Kelly, 1963) […], die
genüber vielfältigen möglichen Einstellungsgegen-                von Menschen selbst geschaffen und zu Konstrukt-
ständen dar, welche sich über positive oder negative             Systemen in Beziehung gesetzt werden, mit denen
affektive Reaktionen auf diese manifestieren (Kess-              die Welt gesehen und verstanden werden kann“
ler & Fritsche, 2017). Die hohe Bedeutung von Ein-               (Baalmann, Frerichs, Weitzel, Gropengießer & Katt-
stellungen für die Lehr- und Lernforschung führt                 mann, 2004, S. 8) definiert werden. Im Gegensatz zu
Upmeier zu Belzen (2007) darauf zurück, dass Ein-                Einstellungen enthalten Vorstellungen laut Fenner
stellungen einen Teil der Kompetenzstruktur von                  (2013) keine wertende Komponente.
Lernenden darstellen und dementsprechend ihre Be-                Da es sich bei dem Wildnisbegriff nicht um ein na-
rücksichtigung und Förderung bei der Gestaltung                  turwissenschaftliches Konzept handelt, existiert eine
von Lernangeboten erforderlich ist.                              Vielzahl kulturell bedingter Wildnisvorstellungen
Im Folgenden werden zentrale empirische Erkennt-                 (Katz, 2010; Hoheisel et al., 2010). Für die empiri-
nisse in Bezug auf die Ausprägung der Einstellung                sche sozialwissenschaftliche Forschung kann dies
zu Wildnis bei Schülerinnen und Schülern darge-                  eine Herausforderung darstellen, da nicht eindeutig
stellt, wobei umfassendere Analysen des For-                     festgestellt werden kann, welche Vorstellungen von
schungsstandes bei Reinboth (2020a), Reinboth                    Wildnis dem Antwortverhalten der Befragten zu-
(2020b) sowie Reinboth (2021) zu finden sind. Aus                grunde lagen oder dieses beeinflussten (Reinboth,
diesen Analysen resultiert, dass sich bisherige Stu-             2020b; Bauer & Atzigen, 2019). Die Bedeutung der
dien zu Wildniseinstellungen hauptsächlich mit den               Berücksichtigung von Wildnisvorstellungen in der
drei Bereichen der Einstellung zu wilden Landschaf-              empirischen Forschung zeigte sich beispielsweise in
ten, Einstellung zu verschiedenartigen Wildtieren                der Untersuchung von Lutz et al. (1999), in der so-
sowie der Wertschätzung des Schutzes von Wildnis                 wohl die ländliche als auch die städtische Bevölke-
auseinandersetzten. Entsprechend wurde auf der Ba-               rung eine positive Einstellung zu Wildnis äußerten,
sis von bestehenden Befragungsinstrumenten, einer                welche jedoch auf stark divergierenden Wildnisvor-
Expertenbefragung (n = 7) sowie von kognitiven                   stellungen basierte. Auch in der Studie von Reinboth
Schülerinterviews (n = 6) ein Fragebogen für die Er-             (2020b) konnte nachgewiesen werden, dass Teile
fassung der Einstellung zu Wildnis, der diese drei               der Vorstellung von Wildnis einen Prädiktor der

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Reinboth (2021)

Einstellung zu Wildnis von Schülerinnen und Schü-                mit einem Migrationshintergrund oder einer Zuge-
lern darstellen. Entsprechend sollte bei der Erhebung            hörigkeit zu einer ethnischen Minderheit seltener
der Einstellung zu Wildnis auch eine Berücksichti-               Wildnisgebiete aufsuchten oder an Freizeit- und Er-
gung der Vorstellungen von dieser erfolgen. Für eine             holungsaktivitäten in diesen teilnahmen als Perso-
umfassende Darstellung des Forschungsstandes zu                  nen ohne Migrationshintergrund oder einer Zugehö-
den Vorstellungen von Wildnis sei auf den Artikel                rigkeit zu einer ethnischen Minderheit (Bowker et
von Reinboth (2020b) verwiesen.                                  al., 2006; Dwyer, 1994; Johnson, Horan & Pepper,
                                                                 1997). Dies kann insbesondere deswegen als prekär
2.3 Kulturvergleichende Studien mit Wildnisbe-                   eingeschätzt werden, da Aufenthalte in der Natur
zug                                                              sich positiv auf die Naturverbundenheit von Schüle-
Laut Hoheisel et al. (2010, S. 46) „bilden sich in be-           rinnen und Schülern auswirken können, welche wie-
stimmten kulturellen Zusammenhängen kollektive                   derrum in einer engen Beziehung zu deren umwelt-
[Wildnisv]orstellungen, die dann – sozusagen als                 schützendem Verhalten steht (Dornhoff, Sothmann,
„Pool“ von Wildnisideen im „kulturellen Gedächt-                 Fiebelkorn & Menzel, 2019). Hinweise auf mögli-
nis“ […] – Bedingungen für die Möglichkeiten indi-               che Erklärungsansätze für diese Abweichungen im
vidueller Vorstellungen sind.“ Obwohl vermutet                   Nutzungsverhalten von Wildnis lassen sich in einer
wird, dass diese Wildnisvorstellungen sehr hetero-               Vielzahl weiterer Studien auffinden. So konnte
gen ausfallen können (Hoheisel et al., 2010; Spanier,            nachgewiesen werden, dass Personen mit Migrati-
2015), liegen bislang nur wenige empirisch basierte              onshintergrund eher Landschaftsvorlieben für funk-
Erkenntnisse aus kulturvergleichenden Wildnisun-                 tionale und wirtschaftlich genutzte Flächen aufwei-
tersuchungen vor (Bauer & Atzigen, 2019; Megerle,                sen (Buijs, Elands & Langers, 2009). Auch Abwei-
2019). Bauer und Atzigen (2019) fordern insbeson-                chungen im Nutzungsverhalten, die wiederum mit
dere Untersuchungen mit einem Fokus auf Personen                 Auswirkungen auf die gewünschte Gestaltung von
mit Migrationshintergrund in westlichen Gesell-                  Naturräumen verbunden sind, konnten vielfach be-
schaften, da ein Einfluss möglicher kultureller Un-              stätigt werden (Castiglioni, Nardi & Dalla-Zuanna,
terschiede auf Entscheidungen in Bezug auf Verwil-               2015; Höglhammer, Muhar & Schauppenlehner,
derungsprozesse vermutet wird. Auch Katz (2010, S.               2015; Jay, 2007; Kloek, Buijs, Boersema & Schou-
57) konstatiert, dass bislang zu wenig über die An-              ten, 2016; Kaplan & Talbot, 1988). So konnten Hög-
sprüche von Migrantinnen und Migranten an die na-                lhammer et al. (2015) in Österreich mithilfe von In-
turräumliche Ausstattung Deutschlands bekannt ist,               terviews herausfinden, dass Personen mit türki-
wodurch ihre „Einbeziehung in die Prozesse der Na-               schem Migrationshintergrund einen stärkeren Fokus
tur- und Umweltgestaltung“ eingeschränkt sein                    auf soziale Aktivitäten mit Familie und Freunden in
kann.                                                            der Natur legten und seltener individualistische Un-
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird                     ternehmungen (z. B. Wandern, Joggen) in Anspruch
Kultur als kollektives Phänomen von Menschen in                  nahmen. Entsprechend wurden von ihnen vor allem
einer geteilten sozialen Umwelt verstanden, wobei                solche Plätze in der Natur bevorzugt, an denen ein
der Fokus auf Kultur als einer Zuordnungskategorie               gemeinschaftliches Zusammenkommen zum Gril-
gelegt wird (Göbel & Buchwald, 2017). So wird                    len, Picknicken oder Sammeln von Früchten mög-
„[i]n der gesellschaftlichen Wirklichkeit […] Kultur             lich war. Zudem wurde eine Vorliebe für Plätze aus-
zu einem machtvollen Merkmal, das Menschen nach                  gedrückt, die in der Gemeinschaft gut bekannt waren
bestimmten Gruppenzugehörigkeiten und Identitä-                  und somit Potenzial für das Treffen von Bekannten
ten, spezifischen Orientierungen, Mentalitäten und               und Freunden aufwiesen. Diese Ergebnisse decken
Wissensbeständen zu kategorisieren erlaubt“                      sich mit den Befunden von Kaplan und Talbot
(Römhild, 2018, 22). Die Identifikation mit einer                (1988), in deren Interviews Afro-Amerikaner eine
Gruppe kann dabei sowohl von außen als auch vom                  deutlich stärkere Vorliebe für Parks mit einer gerin-
Individuum selbst vorgenommen werden (Göbel &                    gen Baumdichte und großen Offenheit des Geländes
Buchwald, 2017; Römhild, 2018).                                  ausdrückten. Zudem schätzte diese Gruppe insbe-
Bisherige kulturvergleichende Studien mit einem                  sondere das Vorhandensein von Bänken, Wegen und
Wildnisbezug konnten nachweisen, dass Personen                   Picknickplätzen und äußerte eine Abneigung gegen

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ungepflegte und nicht erschlossene Naturräume.                   als Möglichkeit zum Arbeiten und Geld an-
Höglhammer et al. (2015) und Jay (2007) konnten                  sparen, wodurch Freizeitaktivitäten als Zeitver-
zudem nachweisen, dass Migrantinnen und Migran-                  schwendung angesehen wurden. Die nachfolgenden
ten vor allem Naturräume in oder in der Nähe ihres               Generationen von Personen mit türkischem Migrati-
Wohnumfeldes bevorzugten.                                        onshintergrund drückten dahingegen weniger
Johnson, Bowker, Bergstrom & Cordell (2004) lie-                 Hemmnisse vor dem Besuch des Schutzgebietes
fern einen weiteren möglichen Erklärungsansatz für               und der Nutzung von Freizeitaktivitäten in der Natur
die Diskrepanz in der Nutzung von Wildnisgebieten,               aus.
da sie empirisch belegen konnten, dass Personen, die             Zum dargestellten Forschungsstand der kulturver-
einer ethnischen Minderheit angehörten, tendenziell              gleichenden Untersuchungen mit Wildnisbezug lässt
eine geringere Wertschätzung für Wildnisgebiete                  sich kritisch anmerken, dass die Zielgruppe der Ju-
aufwiesen als weiße US-Amerikaner. Die Wert-                     gendlichen trotz deren überdurchschnittlicher kultu-
schätzung von Wildnisgebieten ist im Rahmen der                  reller Diversität (siehe Kapitel 1 und 3) nur unzu-
vorliegenden Arbeit als ein Teilbereich der Einstel-             reichend berücksichtigt wurde. Eine vollumfängli-
lung zu Wildnis definiert (siehe Kapitel 2.2). Als               che Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Studien mit
weiteren möglichen Erklärungsansatz für kulturell                Erwachsenen ist in Anbetracht der mehrfach nach-
bedingte Unterschiede in der Wildnisnutzung be-                  gewiesenen Altersabhängigkeit der Einstellung zu
schreibt Johnson et al. (1997) negative Konnotatio-              Wildnis (Cordell, 2003; Ehrhart & Schraml, 2014;
nen der Vorstellung von Wildnis. Diese wirkten sich              Hunziker, Hoffmann & Wild-Eck, 2001) nicht gege-
im Rahmen seiner Untersuchung nachteilig auf die                 ben. Zudem stammt die Mehrheit der in diesem Ka-
Besuchsfrequenz von Wildnisgebieten bei Afro-                    pitel vorgestellten Studien aus dem US-amerikani-
Amerikanern aus ländlichen Gebieten der USA aus.                 schen Raum. Es kann allerdings davon ausgegangen
Zudem konnte in kulturvergleichenden Studien zum                 werden, dass die Bevölkerungszusammensetzung
Thema Wildnis nachgewiesen werden, dass Akkul-                   Deutschlands gerade in Bezug auf ethnische Varia-
turationsprozesse vonstattengehen können. So wie-                tionen und Migrationshintergründe kaum mit der der
sen Migrantinnen und Migranten der zweiten Gene-                 USA verglichen werden kann. Des Weiteren liegen
ration unter anderem eine deutlich stärkere Vorliebe             kulturell verschiedene Wildniskonzeptionen in Eu-
für wilde Landschaften auf als die Befragten, die ei-            ropa und den USA vor (Vicenzotti, 2010; Hoheisel
gene Migrationserfahrungen aufweisen konnten und                 et al., 2010), die eine Übertragbarkeit der vorgestell-
folglich noch nicht ihr ganzes Leben in den Nieder-              ten Ergebnisse erschweren. Einige der vorgestellten
landen verbracht hatten. Im Rahmen dieses Akkul-                 Studien sind darüber hinaus nicht direkt auf Wildnis
turationsprozesses nahmen die Migrantinnen und                   bezogen, sondern fokussieren auf abweichende Nut-
Migranten der zweiten Generation somit eine Art                  zungsverhalten oder Landschaftsvorlieben in der
Mittlerposition zwischen den Landschaftsvorlieben                Natur im Allgemeinen. Da die vorgestellten Natur-
der einheimischen Bevölkerung und denen der Mig-                 verständnisse oder -ansprüche teils nicht vereinbar
rantinnen und Migranten der ersten Generation ein                oder anschlussfähig an gängige Wildnisdefinitionen
(Buijs et al., 2009). Die These von Katz (2010), dass            sind, lassen sich auch aus diesen Erkenntnissen Im-
die Aufenthaltsdauer einen Prädiktor für die Natur-              plikationen für das Wildnisverständnis der jeweili-
wahrnehmung von Migrantinnen und Migranten                       gen Personengruppen ableiten. Hierdurch erfolgt je-
darstellt, konnte somit empirisch untermauert wer-               doch keine umfassende und holistische Analyse der
den. Einen Erklärungsansatz für Akkulturationspro-               bestehenden Wildnisvorstellungen. Zudem wurde
zesse liefert die österreichische Untersuchung von               zwar mehrfach festgestellt, dass auch Einstellungen
Höglhammer et al. (2015) zum Freizeitverhalten von               zu Wildnis durch kulturelle Einflüsse variieren kön-
türkischen Migrantinnen und Migranten. Hier wur-                 nen (Jessel, 1997; Trommer, 1992), dies wurde je-
den Abweichungen des Freizeitverhaltens in einem                 doch bisher nur in Bezug auf Teilbereiche empirisch
Schutzgebiet auf die Gastarbeitermentalität attribu-             erforscht (siehe z. B. Johnson et al., 2004) und nicht
iert. So empfanden Migrantinnen und Migranten der                systematisch von der Erfassung von Vorstellungen
ersten Generation das Leben im Gastland vor allem                differenziert.

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3 Zielsetzung                                                    in Deutschland vorliegen. Dies kann insbesondere
                                                                 deswegen als prekär eingeschätzt werden, da eine
Bruns und Kühne (2015) konstatieren in Anbetracht                fehlende Berücksichtigung persistenter Präkonzepte
des demographischen Wandels und der Diversifizie-                eine Annäherung an wissenschaftliche Vorstellun-
rung der Bevölkerungsstruktur, dass alle Bevölke-                gen im Sinne einer Conceptual Reconstruction stark
rungsteile einen Zugang zu Entscheidungsgrundla-                 erschweren kann (Baalmann et al., 2004; Duit, 2015;
gen haben sollten und fordern dies explizit für den              Reinfried, Mathis & Kattmann, 2009). Zudem
Kontext von Raum- und Landschaftsentwicklung.                    kommt Einstellungen als Ziel und Voraussetzung
Migrantinnen und Migranten weisen in kulturell dif-              von Bildungsbemühungen sogar eine doppelte Be-
ferenzierten Landschaftskonstruktionsprozessen die               deutung zu (Venus, 2015). Entsprechend fordert Up-
Besonderheit auf, dass sich ihre Kultur in einem                 meier zu Belzen (2007, S. 21), dass Einstellungen als
ständigen und intensiven Austausch mit der aufneh-               „Bestandteil einer umfassenden Kompetenzstruktur
menden Kultur durch die Wahrnehmung und Kon-                     von Schülern [sic] […] im Rahmen der Vermittlung
trastierung von Vertrautem und nicht Vertrautem                  von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu
entwickelt (ebd.). Durch Indikatoren wie der man-                berücksichtigen und gezielt zu fördern“ sind. Über
gelnden Beteiligung von Migrantinnen und Migran-                 die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen,
ten an Natur- und Umweltschutzverbänden schlie-                  soll deswegen ein Beitrag zur Reduzierung der auf-
ßen Bruns und Kühne (2015), dass die geforderte                  gezeigten Forschungslücke geleistet werden.
Teilhabe bisher nur unzureichend erfüllt ist. Im Ka-             1) Inwiefern lassen sich die Faktorenstrukturen der
pitel 1 wurde Wildnis als eine im wissenschaftlichen             Erhebungsinstrumente zur Erfassung der Vorstel-
wie gesellschaftlichen Diskurs vielfach themati-                 lung von und Einstellung zu Wildnis aus den Vor-
sierte Form der Naturlandschaft vorgestellt. Hierbei             studien von Reinboth (2020a) sowie Reinboth
wurde auf die zukünftig notwendigen, umfassenden                 (2020b) im Rahmen dieser Studie replizieren?
landschaftlichen Transformationsprozesse, die kul-               2) Wie unterscheiden sich die Wildnisvor- und -ein-
turelle Konstruiertheit des Begriffes sowie auf erste            stellungen bei Jugendlichen mit und ohne Migrati-
empirische Hinweise auf kulturell differenzierte                 onshintergrund?
Wildnisvorstellungen, -wahrnehmungen oder Nut-                   3) Inwiefern stellt der Migrationshintergrund einen
zungsansprüche hingewiesen (siehe Kapitel 2.3).                  geeigneten Prädiktor der Wildnisvor- und
Zudem wird das Thema Wildnis zunehmend aus ei-                   -einstellungen von Jugendlichen dar?
ner Bildungsperspektive sowie insbesondere im
Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung                4 Methode
fokussiert (Lindau et al., 2021; DUK, 2011; Hotten-
roth, van Aken, Hausig & Lindau, 2017; Langen-                   4.1 Stichprobe
horst, 2016). In diesem Kontext kommt vor allem                  An der Querschnittsbefragung nahmen 1356 Schü-
der Zielgruppe der Jugendlichen eine besondere Be-               lerinnen und Schüler der neunten Klassen aus den
deutung zu (siehe Handlungsfeld 4 der DUK, 2014).                Bundesländern Berlin, Brandenburg, Hamburg,
Laut dem Statistischen Bundesamt (2019) weisen                   Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thürin-
38,4 Prozent der 10- bis 15-Jährigen sowie 33,7 Pro-             gen während des regulären Unterrichts teil. Die Aus-
zent der 15- bis 20-Jährigen in Deutschland einen                wahl der teilnehmenden Bundesländer für die Befra-
Migrationshintergrund auf. Der Anteil von Personen               gung erfolgte unter der Berücksichtigung möglichst
mit Migrationshintergrund in diesen Altersgruppen                heterogener naturräumlicher Gegebenheiten in Be-
liegt damit mehr als acht Prozent über dem Bevölke-              zug auf das Flächenpotenzial für eine Wildnisent-
rungsdurchschnitt (25,5 %). Folglich trifft die Diver-           wicklung (BfN, 2015). Zudem konnten bisherige
sifizierung der Bevölkerungsstruktur in Deutschland              Untersuchungen einen Einfluss des Bildungsniveaus
in besonderem Maße auf die jüngeren Altersgruppen                und der urbanen oder ruralen Herkunft auf die Ein-
zu. Im Kapitel 2.3 wurde über die Darstellung des                stellung zu Wildnis nachweisen (Bauer, 2005; Bow-
bisherigen Forschungsstandes jedoch ersichtlich,                 ker et al., 2006; Ehrhart & Schraml, 2014). Dement-
dass nur unzureichende Erkenntnisse in Bezug auf                 sprechend berücksichtigte das Sampling sowohl
die Vorstellungen von und Einstellungen zu Wildnis               Schulen, welche die allgemeine Hochschulreife als
bei Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund                 Bildungsabschluss anstrebten als auch solche, die

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ihre Schülerinnen und Schüler auf den Abschluss der              und Vorstellung von Wildnis kann bei Reinboth
mittleren Reife vorbereiteten (je nach Bundesland                (2020a) sowie Reinboth (2020b) detailliert nachvoll-
z. B. Oberschulen, Realschulen, Sekundarschulen).                zogen werden. In beiden Teilinstrumenten mussten
Zudem deckten die Schulen mit ihren Einzugsberei-                sich die befragten Schülerinnen und Schüler zu den
chen ländliche wie auch städtische Gebiete ab, da im             Items anhand einer fünf-stufigen Likert-Skala
empirischen Forschungsstand wiederholt ein Ein-                  (1=“stimme nicht zu“; 5=“stimme zu“) positionie-
fluss der urbanen oder ruralen Herkunft auf die Ein-             ren.
stellung zu Wildnis nachgewiesen werden konnte                   Der erste Fragebogenteil der Einstellung zu Wildnis
(Ehrhart & Schraml, 2014; Hunziker et al., 2001;                 ist untergliedert in einen Bereich zur Erfassung der
Švajda, Koróny, Zięba & Adamski, 2016;                           Einstellung zu wilden Landschaften (z. B. „Wilde
Kaczenski, 2006).                                                Landschaften sind für mich besonders attraktiv.“;
Von den Befragten gaben rund 26 Prozent an, über                 Itemkürzel: La_XY), der Einstellung zu Wildtieren
einen Migrationshintergrund gemäß der Definition                 (z. B. „Die Rückkehr von Wölfen nach Deutschland
des Statistischen Bundesamtes (2019) zu verfügen.                sollte verhindert werden.“; Itemkürzel: Ti_XY) so-
Durch die teils voneinander abweichenden ethni-                  wie der Wertschätzung von Gründen für den Schutz
schen Herkünfte der Eltern ergaben sich über 100                 von Wildnis (z. B. „Mir ist es persönlich wichtig,
verschiedene ethnische Hintergründe bei den Be-                  dass Wildnisgebiete geschützt werden, weil sie vom
fragten. Daher wurde auf eine Differenzierung der                Aussterben bedrohte Arten bewahren.“; Itemkürzel:
Personen mit Migrationshintergrund nach ihrer eth-               We_XY). Insgesamt umfasst dieser Fragebogenteil
nischen Herkunft verzichtet. Am häufigsten waren                 80 Items. Aufgrund der geplanten erneuten faktoren-
jedoch Personen mit einem türkischen, russischen                 analytischen Untersuchung des Instrumentes (siehe
oder polnischen Migrationshintergrund vertreten.                 Forschungsfrage 1), wurde der volle Itemumfang in
Für 6,8 Prozent der Befragten lagen aufgrund feh-                der Befragung verwendet, obwohl die bisher etab-
lender Angaben nicht genügend oder keine Informa-                lierten Skalen (Reinboth, 2020a; Reinboth, 2020b)
tionen für die Bestimmung des Migrationshinter-                  eine deutlich geringere Itemselektion enthielten.
grundes vor. In Anlehnung an die Ergebnisse aus der              Im zweiten Teil des Fragebogens werden anhand
Studie von Buijs, Elands & Langers (2009) wurde                  von 70 Items die Vorstellungen der Schülerinnen
stattdessen eine Differenzierung anhand des Grades               und Schüler von Wildnis erfasst. Im Rahmen der
der Akkulturation gewählt. Über die Generation des               ersten Erprobung dieses Fragebogenteils in der
Aufenthaltes hinaus, wurde in der vorliegenden Stu-              Studie von Reinboth (2020b) ergab sich eine
die dabei auch zwischen der Anzahl der Elternteile               fünf-faktorielle Aufgliederung der Vorstellung von
mit einem vorliegenden Migrationshintergrund dif-                Wildnis. Zu den empirisch bestätigten Faktoren
ferenziert. Hierbei wiesen 5,8 Prozent der Schülerin-            zählten die empfundene Störung durch menschliche
nen und Schüler eigene Migrationserfahrungen auf.                Artefakte (z. B. „Folgende Dinge würden mich in
11,9 Prozent gaben an, dass beide Elternteile über               der Wildnis stören: Hochspannungsleitungen“;
einen Migrationshintergrund verfügten und bei 8,6                Itemkürzel: VorM_XY) sowie die Vorstellung von
Prozent der Befragten traf der Migrationshinter-                 Wildnis als exotische Landschaft (z. B. Foto von ei-
grund nur auf einen ihrer Elternteile zu. Eine umfas-            nem tropischen Regenwald; Itemkürzel: Vo-
sendere Analyse des Akkulturationsstatus (z. B.                  rEL_XY), heimische Landschaft (z. B. Foto von ei-
über das Sprachnutzungsverhalten in der Familie)                 nem deutschen Wald; Itemkürzel: VorHL_XY),
konnte aufgrund des bereits sehr hohen zeitlichen                Raum mit exotischen Tieren (z. B. „Wie sehr passen
Umfangs des Fragebogens nicht realisiert werden.                 die folgenden freilebenden Tiere zu deiner Vorstel-
                                                                 lung von Wildnis? → Löwe“; Itemkürzel: Vo-
4.2 Untersuchungsinstrument                                      rET_XY) und Raum mit heimischen Tieren (z. B.
Für die vorliegende Studie wurde ein Fragebogen                  „Wie sehr passen die folgenden freilebenden Tiere
verwendet, der sich in die zwei Teilbereiche der Ein-            zu deiner Vorstellung von Wildnis? → Wild-
stellung zu Wildnis und der Vorstellung von Wildnis              schwein“; Itemkürzel: VorHT_XY). Da in der Vor-
aufgliedert und zudem einen Teil mit demo- und bi-               erhebung von Reinboth (2020b) theoriebasiert eine
ographischen Angaben enthält. Die Entwicklung der                andere Faktorenstruktur erwartet wurde, wurde im
Teilinstrumente zur Erfassung der Einstellung zu                 Rahmen dieser Studie erneut der volle Umfang von

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Items getestet. So gliederte sich der Fragebogen ur-             Test) durchgeführt. Die Eignung der Daten für die
sprünglich nach den Kriterien für die Wahrnehmung                Durchführung einer explorativen Faktorenanalyse
von Landschaften als wild oder verwildert (Lupp et               wurde mithilfe des Kaiser-Meyer-Olkin-Koeffizien-
al., 2011; Mc Morran et al., 2008; Seekamp et al.,               ten (KMO) und dem Barletts-Test auf Sphärizität si-
2012; Smith, 2012) und bezog sich auf die Natür-                 chergestellt. Für die explorative Faktorenanalyse
lichkeit, Entlegenheit und Abgeschiedenheit eines                wurde die Maximum-Likelihood-Faktorenanalyse
Gebietes sowie auch die Abwesenheit von mensch-                  mit einer Promax-Rotation gewählt, da diese laut
lichen Spuren in diesem. Zusätzlich zu diesen theo-              Bühner (2011) besonders geeignet für eine Kombi-
riebasierten Fragebogenbereichen wurde gemäß den                 nation mit der anschließenden konfirmatorischen
Ergebnissen aus der Interviewstudie von Mohs                     Faktorenanalyse ist. Da die konfirmatorische Fakto-
(2020) ein vierter Fragebogenbereich ergänzt, der                renanalyse in Form einer Partial Least Squares-
sich mit der räumlichen und zeitlichen Dimension                 Strukturgleichungsmodellierung (PLS-SEM) den I-
von Wildnis auseinandersetzt. Auch die Skalen                    temumfang deutlich reduzierte und die endgültige
zur Passung verschiedener heimischer und nicht-hei-              Faktorenstruktur aufzeigte, werden im Rahmen der
mischer Tiere und Landschaften zur eigenen Wild-                 Beantwortung der ersten Forschungsfrage aus-
nisvorstellung wurden so dem Instrument hinzuge-                 schließlich die Ergebnisse dieser Analysen vorge-
fügt. Dementsprechend sind in den 70 Items dieses                stellt.
Fragebogenteils auch Items enthalten, die keinem                 Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage
der fünf bisher etablierten Faktoren aus der Studie              wurden die faktorenanalytisch ermittelten Kon-
von Reinboth (2020b) zugeordnet werden können.                   strukte als Mittelwerte der in ihnen enthaltenen Va-
Hierdurch soll eine erneute faktorenanalytische                  riablen oder Teilkonstrukte berechnet. Trotz einer
Überprüfung ermöglicht werden (siehe Forschungs-                 fehlenden Normalverteilung eignete sich für die Be-
frage 1).                                                        antwortung der zweiten Forschungsfrage eine ein-
Bei den demo- und biographischen Angaben wurde                   faktorielle Varianzanalyse (ANOVA), da bei diesem
neben dem Alter, Geschlecht und der Schulform der                statistischen Verfahren davon ausgegangen werden
Befragten auch deren Migrationshintergrund erfasst.              kann, dass sie stabil gegenüber einer nicht paramet-
Zur Erfassung des Migrationshintergrundes wurde                  rischen Verteilung der Daten innerhalb der Gruppen
eine vereinfachte Version des migrationsrelevanten               ist (Blanca, Alarcón, Arnau, Bono & Bendayan,
Fragenprogramms des Mikrozensus vom Statisti-                    2017; Bühner & Ziegler, 2017). Die Homoskedaszi-
schen Bundesamt (2017) verwendet. Hierbei wurden                 tät der Konstrukte wurde mithilfe des Levene-Tests
sowohl das Geburtsland, die Staatsangehörigkeit so-              auf Gleichheit der Varianzen überprüft und für die
wie der potenzielle Migrationszeitpunkt der Schüle-              Mehrheit der Konstrukte bestätigt. In den Fällen, in
rinnen und Schüler erhoben als auch das Geburts-                 denen nicht von einer Varianzgleichheit ausgegan-
land und die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Die               gen werden konnte, wurde gemäß Bühner und Zieg-
Beantwortung des gesamten Fragebogens nahm                       ler (2017) mithilfe des Fmax-Test abgesichert, dass
circa 30 Minuten des regulären Schulunterrichts in               die α-Fehlerwahrscheinlichkeit nicht angepasst wer-
Anspruch.                                                        den musste. Die durchgeführten ANOVAs sind dazu
                                                                 in der Lage, signifikante Unterschiede zwischen
4.3 Datenanalyse                                                 mindestens zwei der untersuchten Personengruppen
Da in den Voruntersuchungen von Reinboth (2020a)                 nachzuweisen. Folglich lassen sich jedoch keine
sowie Reinboth (2020b) Inkonsistenzen in Bezug                   Rückschlüsse darüber ziehen, welche konkreten Un-
auf die Itemzusammensetzung der Einstellungsska-                 terschiede zwischen den vier untersuchten Personen-
len vorlagen und das Erhebungsinstrument zur Er-                 gruppen (Personen ohne Migrationshintergrund;
fassung der Vorstellung von Wildnis bisher nur ein-              Personen mit eigener Migrationserfahrung; Perso-
malig faktorenanalytisch untersucht wurde, wurden                nen mit Eltern, die beide einen Migrationshinter-
im Rahmen der vorliegenden Erhebung erneut ex-                   grund haben; Personen mit nur einem Elternteil, der
plorative und konfirmatorische Faktorenanalysen                  über einen Migrationshintergrund verfügt) signifi-
mit derselben Verfahrensweise durchgeführt. So                   kant ausfallen. Entsprechend wurden Post-hoc-Ana-
wurde für die Bestimmung der geeigneten Faktoren-                lysen mit Bonferroni-Korrektur (ebd.) durchgeführt,
anzahl der Minimum-Average-Partial-Test (MAP-                    in denen gemäß der gestellten Forschungsfrage auf

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Reinboth (2021)

Unterschiede zwischen Personen ohne und mit ei-                  Heterotrait-Monotrait (HTMT)- Verhältnisse begut-
nem Migrationshintergrund fokussiert wurde. Ob-                  achtet. Über die zufriedenstellenden Werte dieser
gleich in der zweiten Forschungsfrage zwischen Per-              Parameter konnten die Interne-Konsistenz-Reliabili-
sonen mit unterschiedlichen Ausprägungen des Mig-                tät, die Konvergenzvalidität und die Diskrimi-
rationshintergrundes differenziert wurde (siehe Ka-              nanzvalidität des Instrumentes abgesichert werden.
pitel 5), ließ sich dies bei der Datenauswertung der             Die Ladungen der Items auf die zugehörigen LOCs
dritten Forschungsfrage nicht realisieren. Dies ist              erster Ordnung können in Abbildung 1 nachvollzo-
darauf zurückzuführen, dass die hierbei verwende-                gen werden.
ten PLS-SEM zwar dazu in der Lage sind, Daten auf                Auch bei der Evaluation der formativen HOCs
Nominalskalenniveau zu verarbeiten, diese aller-                 wurde sich an den Vorgaben von Hair et al. (2017)
dings binär kodiert sein müssen (Hair et al., 2017).             orientiert, so dass über den Varianz-Inflationsfaktor
Entsprechend wurde auf eine Differenzierung zwi-                 (VIF) eine Prüfung auf Kollinearität erfolgte und die
schen Personen mit verschiedenen Ausprägungen                    Höhe und Signifikanz der Gewichte untersucht
des Migrationshintergrundes (siehe Kapitel 4.1) in               wurde (siehe Abbildung 1). Hierzu wurden die Pfad-
der Mediationsanalyse verzichtet und eine Dummy-                 koeffizienten der formativen HOCs als Gewichte in-
Kodierung für Personen mit und ohne Migrations-                  terpretiert (Becker et al., 2012; Hair et al., 2017).
hintergrund vorgenommen. Für die explorative Fak-                Wie schon in den Voruntersuchungen (Reinboth,
torenanalyse, die ANOVAs sowie auch die Post-                    2020a; Reinboth, 2020b) wurde aufgrund des Feh-
hoc-Analysen erfolgte der Einsatz des Statistikaus-              lens von vergleichbaren Instrumenten auf eine Prü-
wertungsprogramms SPSS (Version 23). Die konfir-                 fung auf Konvergenzvalidität verzichtet. Im Ver-
matorische Faktorenanalyse und Mediationsanalyse                 gleich zur Voruntersuchung von Reinboth (2020b)
wurden dahingegen mit dem Programm SmartPLS                      ergaben sich zudem geringfügige Verschiebungen
(Version 3.2.7; Ringle et al., 2015) durchgeführt.               der Itemzusammensetzungen und der neue Faktor
                                                                 „Entlegenheit und Abgeschiedenheit“ konnte er-
5 Ergebnisse                                                     gänzt werden (siehe Abbildung 1). In Abbildung 1
                                                                 werden die signifikanten Gewichte der sechs laten-
Forschungsfrage 1: Inwiefern lassen sich die Fak-                ten Konstrukte erster Ordnung auf den übergeordne-
torenstrukturen der Erhebungsinstrumente zur                     ten Faktor „Vorstellung von Wildnis“ im Rahmen
Erfassung der Vorstellung von und Einstellung                    der Evaluation der formativen Konstrukte darge-
zu Wildnis aus den Vorstudien von Reinboth                       stellt. Folglich konnte für die Vorstellung von Wild-
(2020a) sowie Reinboth (2020b) im Rahmen die-                    nis ein Strukturmodell entwickelt werden, in dem
ser Studie replizieren?                                          dieses als formativ gebildetes HOC zweiter Ordnung
                                                                 die sechs latenten Konstrukte erster Ordnung auf
Im Folgenden werden, wie im Kapitel 4.3 erläutert,               sich bündelt (siehe Abbildung 1).
nur die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktoren-               Für das Erhebungsinstrument zur Erfassung der Ein-
analyse detaillierter dargestellt. Bei der konfirmato-           stellung zu Wildnis wurde ein reflektiv-formativ-
rischen Faktorenanalyse des Instrumentes zur Erfas-              formatives Modell dritter Ordnung mithilfe des
sung der Vorstellung von Wildnis wurde ein reflek-               repeated indicator approach nach Becker et al.
tiv-formatives Modell zweiter Ordnung entwickelt.                (2012) entwickelt. Die methodischen Verfahren und
Es fand das Faktor-Gewichtungsschema Anwen-                      analysierten Güteparameter entsprachen der darge-
dung (Hair, Sarstedt, Ringle & Gudergan, 2018),                  stellten Vorgehensweise der konfirmatorischen Fak-
wobei die Berechnung der formativen higher order                 torenanalyse der Vorstellung von Wildnis. Die er-
constructs (HOCs) im Mode B und die der reflek-                  fassten Güteparameter der Evaluation der reflek-
tiven lower order constructs (LOCs) im Mode A er-                tiven Konstrukte der Einstellung zu Wildnis wiesen
folgte (Becker, Klein & Wetzels, 2012). Gemäß den                durchgehend zufriedenstellende Werte auf. Im Rah-
Vorgaben von Hair et al. (2017) wurden für die Eva-              men der Evaluation der formativen HOCs verfügten
luation der reflektiven LOCs die Cronbachs alpha                 alle LOCs über signifikante Gewichte auf die ihnen
Koeffizienten, die Composite Reliabilität, die durch-            zugeordneten HOCs, so dass die Faktorenstruktur
schnittlich erfasste Varianz (AVE) sowie auch die                aus den Voruntersuchungen mit nur wenigen Verän-

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Abbildung 1. Messmodell der Vorstellung zu Wildnis als Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (eigene
Darstellung)

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derungen bestätigt werden konnte. So bilden zwei                 einbezogen. Hierbei konnten signifikante Gruppen-
bis sechs LOCs erster Ordnung die drei HOCs zwei-                unterschiede für fünf der sechs untersuchten Kon-
ter Ordnung („Landschaften“, „Tiere“, „Wertschät-                strukte erster Ordnung nachgewiesen werden, die je-
zung“). Diese wiederum verfügen über signifikante                doch allesamt kleine Effektstärken aufwiesen (siehe
Gewichte auf das übergeordnete Konstrukt dritter                 Tabelle 1). Die höchste Effektstärke konnte für den
Ordnung, welches als Einstellung zu Wildnis be-                  Unterschied zwischen den verschiedenen Personen-
zeichnet wurde (siehe Abbildung 2).                              gruppen mit Migrationshintergrund in Bezug auf die
                                                                 Vorstellung zum menschlichen Einfluss festgestellt
Forschungsfrage 2: Wie unterscheiden sich die                    werden (F (3, 1260) = 15.16, p < .01). Alle weiteren
Wildnisvor- und -einstellungen bei Jugendlichen                  Signifikanzen und Effektstärken der gefundenen
mit und ohne Migrationshintergrund?                              Gruppenunterschiede lassen sich Tabelle 1 entneh-
                                                                 men. Explizit sei jedoch darauf verwiesen, dass sich
Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage                 keine signifikanten Unterschiede zwischen den vier
wurden sowohl für die Vorstellung von als auch die               differenzierten Personengruppen in Bezug auf die
Einstellung zu Wildnis ANOVAs sowie Post-hoc-                    „Vorstellung von Wildnis als Raum mit nicht in
Analysen durchgeführt. Hierbei wurde untersucht,                 Deutschland heimischen Tieren“ auffinden ließen.
ob die analysierten Konstrukte Unterschiede zwi-                 Für den übergeordneten Faktor zweiter Ordnung
schen den vier identifizierten Gruppen des Migrati-              „Vorstellung von Wildnis“ ließ sich dahingegen ein
onshintergrundes (siehe Kapitel 4.3) aufwiesen.                  signifikanter Unterschied im Antwortverhalten der
Bei der ANOVA der Vorstellung von Wildnis wur-                   untersuchten Gruppen feststellen (F (3, 1260) =
den aufgrund der geringeren Faktorenanzahl auch                  14.29, p < .01). Auch für dieses Konstrukt kann die
die Konstrukte erster Ordnung mit in die Analyse                 Effektstärke η2 als klein eingestuft werden.

Tabelle 1
ANOVA für den Migrationshintergrund und die Vorstellung von Wildnis
                       1              2               3             4
 Konstrukt                                                                               F(df)        p        η2
                  M       SD      M      SD      M       SD     M     SD
 menschl. Ein-                                                                            15.16
                  4.34    .79    3.76 1.12 4.09          .95   4.35   .73                           .000**    .035
 fluss(1)                                                                               (3,1260)
                                                                                          4.59
 Entlegenheit(1)      3.88      .78    3.55     .98     3.77     .91     3.89     .79               .011*     .011
                                                                                        (3,1259)
 nicht deutsche                                                                           8.43
                      3.93      .95    3.78     .96     3.52    1.04     3.85     .88               .000**    .020
 Landschaften(1)                                                                        (3,1258)
 deutsche Land-                                                                           5.17
                      4.22      .72    3.93     .86     4.10     .73     4.12     .70               .001**    .012
 schaften(1)                                                                            (3,1259)
 nicht in
                                                                                          2.38
 Deutschland le-      3.80     1.17    3.73     1.04    3.59    1.08     3.95    1.02               .068      .006
                                                                                        (3,1259)
 bende Tiere(1)
 in Deutschland                                                                           6.69
                      4.14      .81    3.80     .92     3.94     .80     4.05     .83               .000**    .016
 lebende Tiere(1)                                                                       (3,1259)
                                                                                       14.29
 Vorstellung(2)       4.05      .50    3.76     .63     3.84     .56     4.03     .53             .000** .033
                                                                                     (3,1260)
Anmerkung. 1 = kein Migrationshintergrund; 2 = eigene Migrationserfahrung; 3 = beide Elternteile haben Migra-
tionshintergrund; 4 = ein Elternteil verfügt über einen Migrationshintergrund; (1) = Konstrukte erster Ordnung;
(2) = Konstrukt zweiter Ordnung; η2 > .01 = kleine Effektstärke; η2 > .06 = mittlere Effektstärke; η2 > .14 = große
Effektstärke nach Bühner und Ziegler (2017).
* = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau

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Reinboth (2021)

Abbildung 2. Messmodell der Einstellung zu Wildnis als Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (eigene
Darstellung)

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Reinboth (2021)

Bei der Post-hoc-Analyse der Vorstellung von Wildnis          ierten mit dieser stärker in Deutschland vorkom-
können positive Werte der Mittleren Differenz als hö-         mende Landschaftsformen. Personen mit zwei Eltern-
here Mittelwertsausprägungen des betreffenden Kon-            teilen mit einem Migrationshintergrund verbanden
strukts für die Gruppe der Personen ohne Migrations-          Wildnis weniger stark mit nicht in Deutschland
hintergrund interpretiert werden. Hierbei konnte nach-        heimischen Landschaftsformen als Personen ohne
gewiesen werden, dass sich Personen ohne Migrations-          Migrationshintergrund. Für Personen mit nur einem
hintergrund im Vergleich zu Personen mit eigenen Mig-         Elternteil mit Migrationshintergrund lagen keine signi-
rationserfahrungen und Personen mit zwei Elternteilen         fikanten Vorstellungsunterschiede zu Personen
mit einem Migrationshintergrund stärker durch                 ohne Migrationshintergrund vor. Des Weiteren ließen
menschliche Artefakte in einem Wildnisgebiet gestört          sich keinerlei Unterschiede der drei Personen-
fühlten und mit Wildnis deutlich mehr in Deutschland          gruppen mit Migrationshintergrund zu den Personen
heimische Tierarten verbanden. Im Vergleich zu Perso-         ohne Migrationshintergrund bei der Vorstellung
nen mit eigenen Migrationserfahrungen stellten sich           von Wildnis als Raum mit nicht in Deutschland
Personen ohne Migrationshintergrund Wildnis zudem             heimischen Tieren nachweisen (siehe Abbildung 3, Ta-
als entlegener und abgeschiedener vor und assozi-             belle 2).

Tabelle 2
Post-hoc Analyse von Unterschieden der Vorstellung von Wildnis zwischen Personen ohne und mit einem Migra-
tionshintergrund
                         Vergleichsgruppe zu den Personen             Mittlere
  Konstrukt                                                                          p          95%-CI
                         ohne Migrationshintergrund                   Differenz
                         eigene Migrationserfahrung                      .585     .000**      [.327; .844]
                    (1)
  menschl. Einfluss      beide Elternteile Migrationshintergrund         .256     .002**      [.068; .445]
                         ein Elternteil Migrationshintergrund           -.004    1.000       [-.221; .212]
                         eigene Migrationserfahrung                      .329     .003**      [.078; .581]
  Entlegenheit(1)        beide Elternteile Migrationshintergrund         .110     .697       [-.075; .294]
                         ein Elternteil Migrationshintergrund           -.011    1.000       [-.222; .200]
                         eigene Migrationserfahrung                      .149    1.000       [-.146; .445]
  nicht deutsche
                         beide Elternteile Migrationshintergrund         .405     .000**      [.189; .621]
  Landschaften(1)
                         ein Elternteil Migrationshintergrund            .083    1.000       [-.166; .331]
                         eigene Migrationserfahrung                      .297     .003**     [.0714; .522]
  deutsche Land-
                         beide Elternteile Migrationshintergrund         .119     .330       [-.045; .284]
  schaften(1)
                         ein Elternteil Migrationshintergrund            .108     .794       [-.081; .296]
  nicht in Deutsch-      eigene Migrationserfahrung                      .065    1.000       [-.288; .418]
  land lebende           beide Elternteile Migrationshintergrund         .200     .242       [-.058; .458]
  Tiere(1)               ein Elternteil Migrationshintergrund           -.154    1.000       [-.450; .142]
                         eigene Migrationserfahrung                      .344     .002**      [.091; .597]
  in Deutschland le-
                         beide Elternteile Migrationshintergrund         .209     .017*       [.025; .394]
  bende Tiere(1)
                         ein Elternteil Migrationshintergrund            .094    1.000       [-.118; .306]
                         eigene Migrationserfahrung                      .295     .000**      [.134; .456]
              (2)
  Vorstellung            beide Elternteile Migrationshintergrund         .216     .000**      [.099; .334]
                         ein Elternteil Migrationshintergrund            .019    1.000       [-.116; .154]
Anmerkung. (1) = Konstrukte erster Ordnung; (2) = Konstrukt zweiter Ordnung; Mittlere Differenz = Differenz
(A-B) zwischen Personen ohne einem Migrationshintergrund (A) und Personengruppen mit einem Migrationshin-
tergrund (B); 95%-CI = 95%-Konfidenzintervall.
* = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau

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doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021)

Abbildung 3. Ergebnisse der ANOVA und Post-hoc-Analyse für den Migrationshintergrund und die Vorstellung
von Wildnis (eigene Darstellung)

Tabelle 3
ANOVA für den Migrationshintergrund und die Einstellung zu Wildnis
                         1             2               3            4
 Konstrukt                                                                                 F(df)         p       η2
                     M      SD     M      SD       M      SD      M   SD
                                                                                           13.30
 Landschaften (2)       3.70     .63     3.30     .56     3.51     .61     3.69     .64                .000** .031
                                                                                         (3,1260)
                                                                                            5.79
  Tiere(2)              3.64    .63    3.50     .74    3.55      .62    3.83     .57                   .001** .014
                                                                                         (3,1260)
                                                                                            7.49
  Wertschätzung(2)      4.03    .64    3.76     .73    3.86      .75    3.88     .67                   .000** .018
                                                                                         (3,1246)
                                                                                           11.87
  Einstellung(3)        3.79    .46    3.52     .52    3.64      .47    3.80     .48                   .000** .027
                                                                                         (3,1260)
Anmerkung. 1 = kein Migrationshintergrund; 2 = eigene Migrationserfahrung; 3 = beide Elternteile haben Migra-
tionshintergrund; 4 = ein Elternteil verfügt über einen Migrationshintergrund; (2) = Konstrukt zweiter Ordnung;
(3) = Konstrukt dritter Ordnung; df = Freiheitsgrade; η2 > .01 = kleine Effektstärke; η2 > .06 = mittlere Effektstärke;
η2 > .14 = große Effektstärke nach Bühner und Ziegler (2017).
* = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau

Aufgrund der umfangreichen Faktorenzahl werden                < .01)) signifikante Gruppenunterschiede für alle
bei der Einstellung zu Wildnis ausschließlich die Ergeb-      Faktoren. Dies traf auch auf die „Einstellung zu
nisse der ANOVA und Post-hoc-Analysen für die                 Wildnis“ als übergeordnetem Konstrukt dritter Ord-
Konstrukte der zweiten und dritten Ordnung vor-               nung zu (F (3, 1260) = 11.87, p < .01). Auch für die
gestellt. So ergab die ANOVA für die Einstellung              Einstellung zu Wildnis konnten die Effektstärken der
zu Wildnis auf der Ebene der Konstrukte zweiter               gefundenen Unterschiede als klein eingeschätzt werden
Ordnung („Einstellung zu wilden Landschaften“                 (siehe Tabelle 3).
(F (3, 1260) = 13.30, p < .001), „Einstellung zu              Wie schon bei den Post-hoc-Analysen der Vorstellung
Wildtieren“ (F (3, 1260) = 5.79, p < .01), „Wertschät-        von Wildnis können auch bei der Einstellung zu
zung des Schutzes von Wildnis“ (F (3, 1246) = 7.49, p         Wildnis positive Werte der Mittleren Differenz als

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Reinboth (2021)

eine positivere Einstellung zu Wildnis bei Personen           Forschungsfrage 3: Inwiefern stellt der Migrations-
ohne Migrationshintergrund im Vergleich zu den                hintergrund einen geeigneten Prädiktor der Wild-
drei Vergleichsgruppen gedeutet werden. So kann               nisvor- und -einstellungen von Jugendlichen dar?
in Tabelle 4 und Abbildung 4 nachvollzogen werden,
dass Personen ohne Migrationshintergrund im Ver-              In Bezug auf die dritte Forschungsfrage wurde ein
gleich zu Personen mit eigener Migrationserfahrung            mediierender Effekt, bei dem der Migrations-
und Personen mit zwei Elternteilen mit Migrationshin-         hintergrund sowohl direkt als auch indirekt die
tergrund über eine signifikant positivere Einstellung         Einstellung zu Wildnis über die Vorstellung von
zu wilden Landschaften verfügten und auch an-                 Wildnis vorhersagt, vermutet. Dies ist darauf zu-
gaben, die Wertschätzung des Schutzes von Wildnis             rückzuführen, dass in der Untersuchung von
als persönlich wichtiger einzuschätzen. Ebenfalls posi-       Reinboth (2020b) nachgewiesen werden konnte, dass
tivere Werte ergaben sich für die Gruppe der Personen         die Vorstellung von Wildnis einen direkten
ohne Migrationshintergrund im Vergleich zu den                Prädiktor der Einstellung zu Wildnis darstellt.
zuvor genannten Gruppen für den über geordneten               Der kulturelle Konstruktcharakter des Wildnis-
Faktor der Gesamteinstellung zu Wildnis. Lediglich            konzeptes (siehe Kapitel 1), bisherige Forschungsbe-
bei der Einstellung zu Wildtieren ließ sich eine              funde (siehe Kapitel 2.3) sowie auch die
signifikant positivere Einstellung bei Personen, die          gefundenen Mittelwertsunterschiede in der zwei-
nur ein Elternteil mit Migrationshintergrund besaßen,         ten Forschungsfrage deuten zudem auf eine
im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund           Vorhersage der Vorstellung von und Einstellung
nachweisen.                                                   zu Wildnis durch den Migrationshintergrund hin.

Tabelle 4
Post-hoc Analyse von Unterschieden der Einstellung zu Wildnis zwischen Personen ohne und mit einem Migrati-
onshintergrund
                       Vergleichsgruppe zu den Personen              Mittlere
 Konstrukt                                                                              p          95%-CI
                       ohne Migrationshintergrund                   Differenz
                       eigene Migrationserfahrung                      .406          .000**      [.212; .599]
 Landschaften (2)      beide Elternteile Migrationshintergrund         .189          .002**      [.048; .330]
                       ein Elternteil Migrationshintergrund            .012        1.000        [-.150; .174]
                       eigene Migrationserfahrung                      .145          .331       [-.052; .341]
 Tiere(2)              beide Elternteile Migrationshintergrund         .095          .478       [-.048; .238]
                       ein Elternteil Migrationshintergrund           -.182          .021*     [-.347; -.018]
                       eigene Migrationserfahrung                      .277          .002**      [.072; .482]
                 (2)
 Wertschätzung         beide Elternteile Migrationshintergrund         .169          .019*       [.018; .319]
                       ein Elternteil Migrationshintergrund            .157          .102       [-.017; .330]
                       eigene Migrationserfahrung                      .274          .000**      [.127; .420]
             (3)
 Einstellung           beide Elternteile Migrationshintergrund         .151          .001**      [.044; .258]
                       ein Elternteil Migrationshintergrund           -.009        1.000        [-.131; .114]
Anmerkung. (2) = Konstrukt zweiter Ordnung; (3) = Konstrukt dritter Ordnung; Mittlere Differenz= Differenz (A-
B) zwischen Personen ohne einem Migrationshintergrund (A) und Personengruppen mit einem Migrationshinter-
grund (B); 95-CI = 95%-Konfidenzintervall.
* = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau

ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021                          15
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