Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und Schülern
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– Originalbeitrag – Der Migrationshintergrund als möglicher Prädiktor der Wildniseinstellungen und Wildsnisvorstellungen von Schülerinnen und Schülern Alma Reinboth1 1 Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Didaktik der Geographie ZUSAMMENFASSUNG Auch wenn Wildnis oft als Gegensatz zur Zivilisation verstanden wird, handelt es sich bei ihr um ein kulturelles Konstrukt. Sie ist nicht anhand naturwissenschaftlicher Merkmale beschreibbar, sondern wird vielmehr als eine kulturell geprägte, kollektive Idee auf Räume übertragen. Aufgrund dieses kulturellen Konstruktcharakters sowie der Nutzung der Wildnisthematik in nach- haltigkeitsorientierten Bildungsangeboten lag der Fokus der vorliegenden Studie auf Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ziel war es hierbei, bestehende Untersuchungsinstrumente zur Erfassung der Einstellung zu und Vorstellung von Wildnis zu validieren, für diese Konstrukte mögliche Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund festzustellen und zu analysieren, inwiefern der Migrationshintergrund einen geeigneten Prädiktor zur Vorhersage der beiden Zielkonstrukte darstellt. Hierfür wurden 1356 Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe (M Alter = 14,86 Jahre; SD = 0,73) aus sechs deutschen Bundesländern zu ihren Einstellungen zu und Vorstellungen von Wildnis befragt. Über explorative und kon- firmatorische Faktorenanalysen konnte die Faktorenstruktur der beiden Erhebungsinstrumente mit nur geringfügigen Änderun- gen validiert und bestätigt werden. Einfaktorielle Varianz- und Post-hoc-Analysen konnten vor allem Einstellungs- und Vor- stellungsunterschiede zwischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und solchen, die eigene Migrationserfahrungen ge- macht hatten oder zwei Elternteile mit Migrationshintergrund besaßen, nachweisen. Über Strukturgleichungsmodellierungen wurde zudem ein Mediationsmodell entwickelt, welches nachweisen konnte, dass der Migrationshintergrund sich sowohl indi- rekt über die Vorstellung von Wildnis als auch direkt negativ auf die Einstellung zu Wildnis auswirkt. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund bisheriger theoretischer und empirischer Erkenntnisse reflektiert und die praktische Relevanz der Befunde aufgezeigt. Schlüsselwörter: Wildnis, Einstellung, Vorstellung, Migration, Kultur, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ABSTRACT Even though wilderness is often seen as a contrast to modern civilisation, it is a cultural construct. It cannot be characterized by scientific attributes, but is rather transmitted on areas as a culturally influenced and collective idea. Due to this cultural construction as well as the usage of the wilderness topic in sustainability-oriented educational offers, the focus of the present study was on adolescents with a migrant background. In doing so, the study aims at validating two existing surveys for meas- uring wilderness attitudes and perceptions, identifying possible differences in these constructs between persons with or without a migrant background and on analysing to what extend the migrant background can act as a potential determining factor for the prediction of the two target constructs. Therefore, 1356 ninth graders (Mage = 14,86 years; SD = 0.73) from six German federal states were questioned regarding their attitudes towards and perceptions of wilderness. With the help of exploratory and con- firmatory factor analyses it was possible to validate and confirm the factor structure of the two surveys with only minor modi- fications. Single factor variance analyses and post-hoc analyses verified primarily differences in the attitudes and perceptions of adolescents without migrant background and those who had direct experiences of migration or who had two parents with a migrant background. A mediation model which could prove that the migrant background has an indirect negative effect via the wilderness perception as well as a direct negative effect on the attitude towards wilderness was developed by structural equation modelling. The findings are reflected against the background of previous theoretical and empirical knowledge and the practical relevance of the results is illustrated. Key words: wilderness, attitudes, perceptions, migration, culture, Education for Sustainable Development (ESD) 1
Reinboth (2021) 1 Anlass Idee entspricht. Diese Idee ist in einem bestimmten kulturellen Kontext entstanden und hat mit dem kul- Mit der Forderung der Nationalen Strategie zur bio- turellen Wandel unterschiedliche Bedeutungen an- logischen Vielfalt (NBS), zwei Prozent der Landes- genommen“ (Hoheisel, Kangler, Schuster & Vicen- fläche Deutschlands für die Entwicklung von Wild- zotti, 2010, S. 45). Hieraus resultieren divergie- nis bereitzustellen (BMUB, 2007; Deutscher Bun- rende, kulturell geprägte und nicht universelle Wild- destag, 2018), wurde naturschutzpolitisch eine Posi- nisverständnisse (Megerle, 2019; Spanier, 2015). tion dazu bezogen, wofür die Gesellschaft Raum re- Bauer und Atzigen (2019) fordern deswegen, dass servieren soll (Kropp, 2010). In einem Forschungs- verstärkt wildnisbezogene Untersuchungen mit ei- und Entwicklungsvorhaben des Bundesamts für Na- nem Fokus auf Personen mit Migrationshintergrund turschutz (BfN, 2015) wurde untersucht, welche Flä- durchgeführt werden. Ein Migrationshintergrund chenarten in Deutschland Potenzial für eine Wild- liegt laut dem Statistischen Bundesamt (2019, S. 4) nisentwicklung aufweisen und ob deren Umfang für dann vor, wenn eine Person „selbst oder mindestens die Realisierung des Zwei-Prozent-Ziels genügt. Als ein[er ihrer] Elternteil[e] die deutsche Staatsangehö- Wildnisgebiete wurden hierbei „ausreichend große, rigkeit nicht durch Geburt besitz[en]“. (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Ge- Das Thema Wildnis spielt jedoch nicht nur in aktu- biete [bezeichnet], die dazu dienen, einen vom Men- ellen naturschutzfachlichen und -politischen Debat- schen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse ten eine Rolle (BMUB, 2007; Deutscher Bundestag, dauerhaft zu gewährleisten“ (Finck, Klein & Rieken, 2018), sondern wird verstärkt auch aufgrund seiner 2013, S. 343). Die Realisierbarkeit der Ziele der Potenziale für die Bildungsarbeit geschätzt. Über die NBS wurde durch die Ermittlung eines Flächenpo- Auseinandersetzung mit dem Thema Wildnis kann tenzials von 3,52 Prozent der deutschen Landesflä- ein Beitrag zu den in den Bildungsstandards für den che zwar bestätigt (BfN, 2015), der aktuelle Bestand Biologieunterricht geforderten Zielen der Kultusmi- an Wildnis- und Wildnisentwicklungsflächen liegt nisterkonferenz geleistet werden. So können die jedoch nur bei 0,6 Prozent der Landesfläche (Me- Schülerinnen und Schüler eine „Wertschätzung für gerle, 2019; Kangler, 2019). Folglich ist davon aus- eine intakte Natur“ entwickeln sowie das „verant- zugehen, dass für die Erreichung der Ziele der NBS wortungsbewusste Verhalten des Menschen gegen- noch immer umfassende landschaftliche Umstruktu- über […] der Umwelt“ anhand der ethischen Denk- rierungen und Umnutzungen anthropogen beein- tradition des „Schutz[es] einer systemisch intakten flusster Flächen notwendig sind. Bisherige Erfah- Natur um ihrer Selbstwillen“ beurteilen (Kultusmi- rungen in der Ausweisung von Großschutzgebieten nisterkonferenz, 2004, S. 12). Eine umfangreiche deuten jedoch darauf hin, dass für derartige Vorha- Analyse der Anknüpfungspotenziale des Themas ben eine umfängliche Akzeptanz der Bevölkerung Wildnis an curriculare Vorgaben von Bildungsinsti- notwendig ist (Mose, 2009; Megerle, 2019). Insbe- tutionen im elementaren, primären, sekundären so- sondere im dicht besiedelten Deutschland können wie tertiären Bildungsbereich lässt sich bei Mohs, divergierende Nutzungsansprüche, nicht-intendierte Reinboth, Fiebig, Giese und Lindau (2021) finden. Landschaftsentwicklungen im Rahmen des Prozess- Hier sei insbesondere auf die exemplarische Analyse schutzes (z. B. Borkenkäferbefall, Windwurf, der thematischen Anknüpfung von Wildnis an die Brände), mit dem Wildnisgedanken unvereinbare Kompetenzziele des Biologielehrplans für Gymna- ästhetische Ansprüche an die Landschaft oder auch sien im Land Sachsen-Anhalt verwiesen. Für den fä- kontrastierende Vorstellungen des emotional aufge- cherübergreifenden Unterricht konnten Lindau, ladenen Wildnisbegriffes zu Konflikten bei der Aus- Mohs und Reinboth (2021) zudem nachweisen, dass weisung dieser Schutzgebiete führen (Jenal & das Thema Wildnis Anknüpfungspunkte an 16 der Schönwald, 2019). Viele der angesprochenen Kon- 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Ver- fliktpotenziale (ebd.) lassen sich mitunter auf den einten Nationen (Martens & Obenland, 2017) auf- kulturellen Konstruktcharakter (Hoheisel et al., weist und auch die Deutsche UNESCO-Kommission 2010; Kangler, 2011; Spanier, 2015) von Wildnis e. V. (DUK, 2011, S. 13) konstatiert, dass Wildnis zurückführen. So wird „eine Gegend nur dann als „spannende und vernetzte Fragestellungen für eine Wildnis bezeichnet […], wenn sie einer bestimmten Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) auf- ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 2 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) weist. BNE strebt hierbei an, „dass jeder die Mög- Teilbereiche umfasst, entwickelt. Dieser Fragebo- lichkeit hat, sich das Wissen, die Fähigkeiten, Werte gen wurde anschließend im Rahmen einer ersten Te- und Einstellungen anzueignen, die erforderlich sind, stung mit 280 Schülerinnen und Schülern faktoren- um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen“ analytisch untersucht und validiert (Reinboth, (DUK, 2014, S. 14). Jugendliche stellen, als eine der 2020a). In einer Folgeerhebung, an der 266 Schüle- Hauptzielgruppen der BNE (ebd.), in der Bevölke- rinnen und Schüler beteiligt waren, konnten mithilfe rungsstruktur Deutschlands eine überdurchschnitt- des entwickelten Fragebogens überwiegend positive lich stark kulturell diversifizierte Gruppe dar (Statis- Einstellungen zu Wildnis nachgewiesen werden. tisches Bundesamt, 2019). Für die Untersuchung so- Dies traf insbesondere auf Gründe, die auf eine di- zial-konstruktivistischer Wildnisverständnisse (Me- rekte menschliche Nutzung der Gebiete verzichteten gerle, 2019) erscheint diese Zielgruppe folglich po- und damit stärker biozentrisch geprägt waren, sowie tenziell lohnenswert. Ziel der vorliegenden Studie auf wilde Landschaften zu. Ein heterogeneres Ein- war es dementsprechend, mithilfe von bestehenden stellungsbild ließ sich in Bezug auf Wildtiere fest- Erhebungsinstrumenten mögliche Unterschiede bei stellen. So wurden Wildtiere in Deutschland grund- den Wildnisvorstellungen und -einstellungen von sätzlich positiv bewertet, wohingegen Wildtiere in Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund menschlichen Siedlungsbereichen von den Schüle- zu untersuchen. Zudem soll analysiert werden, ob rinnen und Schülern eher ambivalent betrachtet wur- der Migrationshintergrund einen geeigneten Prädik- den (Reinboth, 2020b; Reinboth, 2021). tor für die beiden genannten Zielkonstrukte darstellt. 2.2 Vorstellungen von Wildnis 2 Theoretischer Hintergrund Vorstellungen, die auch als Wissen, Vorwissen, sub- jektive Theorie oder Präkonzept bezeichnet werden 2.1 Einstellungen zu Wildnis (Labudde & Möller, 2012; Reinfried, 2006), können Einstellungen stellen subjektive Bewertungen ge- als „persönliche Konstrukte (Kelly, 1963) […], die genüber vielfältigen möglichen Einstellungsgegen- von Menschen selbst geschaffen und zu Konstrukt- ständen dar, welche sich über positive oder negative Systemen in Beziehung gesetzt werden, mit denen affektive Reaktionen auf diese manifestieren (Kess- die Welt gesehen und verstanden werden kann“ ler & Fritsche, 2017). Die hohe Bedeutung von Ein- (Baalmann, Frerichs, Weitzel, Gropengießer & Katt- stellungen für die Lehr- und Lernforschung führt mann, 2004, S. 8) definiert werden. Im Gegensatz zu Upmeier zu Belzen (2007) darauf zurück, dass Ein- Einstellungen enthalten Vorstellungen laut Fenner stellungen einen Teil der Kompetenzstruktur von (2013) keine wertende Komponente. Lernenden darstellen und dementsprechend ihre Be- Da es sich bei dem Wildnisbegriff nicht um ein na- rücksichtigung und Förderung bei der Gestaltung turwissenschaftliches Konzept handelt, existiert eine von Lernangeboten erforderlich ist. Vielzahl kulturell bedingter Wildnisvorstellungen Im Folgenden werden zentrale empirische Erkennt- (Katz, 2010; Hoheisel et al., 2010). Für die empiri- nisse in Bezug auf die Ausprägung der Einstellung sche sozialwissenschaftliche Forschung kann dies zu Wildnis bei Schülerinnen und Schülern darge- eine Herausforderung darstellen, da nicht eindeutig stellt, wobei umfassendere Analysen des For- festgestellt werden kann, welche Vorstellungen von schungsstandes bei Reinboth (2020a), Reinboth Wildnis dem Antwortverhalten der Befragten zu- (2020b) sowie Reinboth (2021) zu finden sind. Aus grunde lagen oder dieses beeinflussten (Reinboth, diesen Analysen resultiert, dass sich bisherige Stu- 2020b; Bauer & Atzigen, 2019). Die Bedeutung der dien zu Wildniseinstellungen hauptsächlich mit den Berücksichtigung von Wildnisvorstellungen in der drei Bereichen der Einstellung zu wilden Landschaf- empirischen Forschung zeigte sich beispielsweise in ten, Einstellung zu verschiedenartigen Wildtieren der Untersuchung von Lutz et al. (1999), in der so- sowie der Wertschätzung des Schutzes von Wildnis wohl die ländliche als auch die städtische Bevölke- auseinandersetzten. Entsprechend wurde auf der Ba- rung eine positive Einstellung zu Wildnis äußerten, sis von bestehenden Befragungsinstrumenten, einer welche jedoch auf stark divergierenden Wildnisvor- Expertenbefragung (n = 7) sowie von kognitiven stellungen basierte. Auch in der Studie von Reinboth Schülerinterviews (n = 6) ein Fragebogen für die Er- (2020b) konnte nachgewiesen werden, dass Teile fassung der Einstellung zu Wildnis, der diese drei der Vorstellung von Wildnis einen Prädiktor der ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 3 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Einstellung zu Wildnis von Schülerinnen und Schü- mit einem Migrationshintergrund oder einer Zuge- lern darstellen. Entsprechend sollte bei der Erhebung hörigkeit zu einer ethnischen Minderheit seltener der Einstellung zu Wildnis auch eine Berücksichti- Wildnisgebiete aufsuchten oder an Freizeit- und Er- gung der Vorstellungen von dieser erfolgen. Für eine holungsaktivitäten in diesen teilnahmen als Perso- umfassende Darstellung des Forschungsstandes zu nen ohne Migrationshintergrund oder einer Zugehö- den Vorstellungen von Wildnis sei auf den Artikel rigkeit zu einer ethnischen Minderheit (Bowker et von Reinboth (2020b) verwiesen. al., 2006; Dwyer, 1994; Johnson, Horan & Pepper, 1997). Dies kann insbesondere deswegen als prekär 2.3 Kulturvergleichende Studien mit Wildnisbe- eingeschätzt werden, da Aufenthalte in der Natur zug sich positiv auf die Naturverbundenheit von Schüle- Laut Hoheisel et al. (2010, S. 46) „bilden sich in be- rinnen und Schülern auswirken können, welche wie- stimmten kulturellen Zusammenhängen kollektive derrum in einer engen Beziehung zu deren umwelt- [Wildnisv]orstellungen, die dann – sozusagen als schützendem Verhalten steht (Dornhoff, Sothmann, „Pool“ von Wildnisideen im „kulturellen Gedächt- Fiebelkorn & Menzel, 2019). Hinweise auf mögli- nis“ […] – Bedingungen für die Möglichkeiten indi- che Erklärungsansätze für diese Abweichungen im vidueller Vorstellungen sind.“ Obwohl vermutet Nutzungsverhalten von Wildnis lassen sich in einer wird, dass diese Wildnisvorstellungen sehr hetero- Vielzahl weiterer Studien auffinden. So konnte gen ausfallen können (Hoheisel et al., 2010; Spanier, nachgewiesen werden, dass Personen mit Migrati- 2015), liegen bislang nur wenige empirisch basierte onshintergrund eher Landschaftsvorlieben für funk- Erkenntnisse aus kulturvergleichenden Wildnisun- tionale und wirtschaftlich genutzte Flächen aufwei- tersuchungen vor (Bauer & Atzigen, 2019; Megerle, sen (Buijs, Elands & Langers, 2009). Auch Abwei- 2019). Bauer und Atzigen (2019) fordern insbeson- chungen im Nutzungsverhalten, die wiederum mit dere Untersuchungen mit einem Fokus auf Personen Auswirkungen auf die gewünschte Gestaltung von mit Migrationshintergrund in westlichen Gesell- Naturräumen verbunden sind, konnten vielfach be- schaften, da ein Einfluss möglicher kultureller Un- stätigt werden (Castiglioni, Nardi & Dalla-Zuanna, terschiede auf Entscheidungen in Bezug auf Verwil- 2015; Höglhammer, Muhar & Schauppenlehner, derungsprozesse vermutet wird. Auch Katz (2010, S. 2015; Jay, 2007; Kloek, Buijs, Boersema & Schou- 57) konstatiert, dass bislang zu wenig über die An- ten, 2016; Kaplan & Talbot, 1988). So konnten Hög- sprüche von Migrantinnen und Migranten an die na- lhammer et al. (2015) in Österreich mithilfe von In- turräumliche Ausstattung Deutschlands bekannt ist, terviews herausfinden, dass Personen mit türki- wodurch ihre „Einbeziehung in die Prozesse der Na- schem Migrationshintergrund einen stärkeren Fokus tur- und Umweltgestaltung“ eingeschränkt sein auf soziale Aktivitäten mit Familie und Freunden in kann. der Natur legten und seltener individualistische Un- Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird ternehmungen (z. B. Wandern, Joggen) in Anspruch Kultur als kollektives Phänomen von Menschen in nahmen. Entsprechend wurden von ihnen vor allem einer geteilten sozialen Umwelt verstanden, wobei solche Plätze in der Natur bevorzugt, an denen ein der Fokus auf Kultur als einer Zuordnungskategorie gemeinschaftliches Zusammenkommen zum Gril- gelegt wird (Göbel & Buchwald, 2017). So wird len, Picknicken oder Sammeln von Früchten mög- „[i]n der gesellschaftlichen Wirklichkeit […] Kultur lich war. Zudem wurde eine Vorliebe für Plätze aus- zu einem machtvollen Merkmal, das Menschen nach gedrückt, die in der Gemeinschaft gut bekannt waren bestimmten Gruppenzugehörigkeiten und Identitä- und somit Potenzial für das Treffen von Bekannten ten, spezifischen Orientierungen, Mentalitäten und und Freunden aufwiesen. Diese Ergebnisse decken Wissensbeständen zu kategorisieren erlaubt“ sich mit den Befunden von Kaplan und Talbot (Römhild, 2018, 22). Die Identifikation mit einer (1988), in deren Interviews Afro-Amerikaner eine Gruppe kann dabei sowohl von außen als auch vom deutlich stärkere Vorliebe für Parks mit einer gerin- Individuum selbst vorgenommen werden (Göbel & gen Baumdichte und großen Offenheit des Geländes Buchwald, 2017; Römhild, 2018). ausdrückten. Zudem schätzte diese Gruppe insbe- Bisherige kulturvergleichende Studien mit einem sondere das Vorhandensein von Bänken, Wegen und Wildnisbezug konnten nachweisen, dass Personen Picknickplätzen und äußerte eine Abneigung gegen ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 4 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) ungepflegte und nicht erschlossene Naturräume. als Möglichkeit zum Arbeiten und Geld an- Höglhammer et al. (2015) und Jay (2007) konnten sparen, wodurch Freizeitaktivitäten als Zeitver- zudem nachweisen, dass Migrantinnen und Migran- schwendung angesehen wurden. Die nachfolgenden ten vor allem Naturräume in oder in der Nähe ihres Generationen von Personen mit türkischem Migrati- Wohnumfeldes bevorzugten. onshintergrund drückten dahingegen weniger Johnson, Bowker, Bergstrom & Cordell (2004) lie- Hemmnisse vor dem Besuch des Schutzgebietes fern einen weiteren möglichen Erklärungsansatz für und der Nutzung von Freizeitaktivitäten in der Natur die Diskrepanz in der Nutzung von Wildnisgebieten, aus. da sie empirisch belegen konnten, dass Personen, die Zum dargestellten Forschungsstand der kulturver- einer ethnischen Minderheit angehörten, tendenziell gleichenden Untersuchungen mit Wildnisbezug lässt eine geringere Wertschätzung für Wildnisgebiete sich kritisch anmerken, dass die Zielgruppe der Ju- aufwiesen als weiße US-Amerikaner. Die Wert- gendlichen trotz deren überdurchschnittlicher kultu- schätzung von Wildnisgebieten ist im Rahmen der reller Diversität (siehe Kapitel 1 und 3) nur unzu- vorliegenden Arbeit als ein Teilbereich der Einstel- reichend berücksichtigt wurde. Eine vollumfängli- lung zu Wildnis definiert (siehe Kapitel 2.2). Als che Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Studien mit weiteren möglichen Erklärungsansatz für kulturell Erwachsenen ist in Anbetracht der mehrfach nach- bedingte Unterschiede in der Wildnisnutzung be- gewiesenen Altersabhängigkeit der Einstellung zu schreibt Johnson et al. (1997) negative Konnotatio- Wildnis (Cordell, 2003; Ehrhart & Schraml, 2014; nen der Vorstellung von Wildnis. Diese wirkten sich Hunziker, Hoffmann & Wild-Eck, 2001) nicht gege- im Rahmen seiner Untersuchung nachteilig auf die ben. Zudem stammt die Mehrheit der in diesem Ka- Besuchsfrequenz von Wildnisgebieten bei Afro- pitel vorgestellten Studien aus dem US-amerikani- Amerikanern aus ländlichen Gebieten der USA aus. schen Raum. Es kann allerdings davon ausgegangen Zudem konnte in kulturvergleichenden Studien zum werden, dass die Bevölkerungszusammensetzung Thema Wildnis nachgewiesen werden, dass Akkul- Deutschlands gerade in Bezug auf ethnische Varia- turationsprozesse vonstattengehen können. So wie- tionen und Migrationshintergründe kaum mit der der sen Migrantinnen und Migranten der zweiten Gene- USA verglichen werden kann. Des Weiteren liegen ration unter anderem eine deutlich stärkere Vorliebe kulturell verschiedene Wildniskonzeptionen in Eu- für wilde Landschaften auf als die Befragten, die ei- ropa und den USA vor (Vicenzotti, 2010; Hoheisel gene Migrationserfahrungen aufweisen konnten und et al., 2010), die eine Übertragbarkeit der vorgestell- folglich noch nicht ihr ganzes Leben in den Nieder- ten Ergebnisse erschweren. Einige der vorgestellten landen verbracht hatten. Im Rahmen dieses Akkul- Studien sind darüber hinaus nicht direkt auf Wildnis turationsprozesses nahmen die Migrantinnen und bezogen, sondern fokussieren auf abweichende Nut- Migranten der zweiten Generation somit eine Art zungsverhalten oder Landschaftsvorlieben in der Mittlerposition zwischen den Landschaftsvorlieben Natur im Allgemeinen. Da die vorgestellten Natur- der einheimischen Bevölkerung und denen der Mig- verständnisse oder -ansprüche teils nicht vereinbar rantinnen und Migranten der ersten Generation ein oder anschlussfähig an gängige Wildnisdefinitionen (Buijs et al., 2009). Die These von Katz (2010), dass sind, lassen sich auch aus diesen Erkenntnissen Im- die Aufenthaltsdauer einen Prädiktor für die Natur- plikationen für das Wildnisverständnis der jeweili- wahrnehmung von Migrantinnen und Migranten gen Personengruppen ableiten. Hierdurch erfolgt je- darstellt, konnte somit empirisch untermauert wer- doch keine umfassende und holistische Analyse der den. Einen Erklärungsansatz für Akkulturationspro- bestehenden Wildnisvorstellungen. Zudem wurde zesse liefert die österreichische Untersuchung von zwar mehrfach festgestellt, dass auch Einstellungen Höglhammer et al. (2015) zum Freizeitverhalten von zu Wildnis durch kulturelle Einflüsse variieren kön- türkischen Migrantinnen und Migranten. Hier wur- nen (Jessel, 1997; Trommer, 1992), dies wurde je- den Abweichungen des Freizeitverhaltens in einem doch bisher nur in Bezug auf Teilbereiche empirisch Schutzgebiet auf die Gastarbeitermentalität attribu- erforscht (siehe z. B. Johnson et al., 2004) und nicht iert. So empfanden Migrantinnen und Migranten der systematisch von der Erfassung von Vorstellungen ersten Generation das Leben im Gastland vor allem differenziert. ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 5 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) 3 Zielsetzung in Deutschland vorliegen. Dies kann insbesondere deswegen als prekär eingeschätzt werden, da eine Bruns und Kühne (2015) konstatieren in Anbetracht fehlende Berücksichtigung persistenter Präkonzepte des demographischen Wandels und der Diversifizie- eine Annäherung an wissenschaftliche Vorstellun- rung der Bevölkerungsstruktur, dass alle Bevölke- gen im Sinne einer Conceptual Reconstruction stark rungsteile einen Zugang zu Entscheidungsgrundla- erschweren kann (Baalmann et al., 2004; Duit, 2015; gen haben sollten und fordern dies explizit für den Reinfried, Mathis & Kattmann, 2009). Zudem Kontext von Raum- und Landschaftsentwicklung. kommt Einstellungen als Ziel und Voraussetzung Migrantinnen und Migranten weisen in kulturell dif- von Bildungsbemühungen sogar eine doppelte Be- ferenzierten Landschaftskonstruktionsprozessen die deutung zu (Venus, 2015). Entsprechend fordert Up- Besonderheit auf, dass sich ihre Kultur in einem meier zu Belzen (2007, S. 21), dass Einstellungen als ständigen und intensiven Austausch mit der aufneh- „Bestandteil einer umfassenden Kompetenzstruktur menden Kultur durch die Wahrnehmung und Kon- von Schülern [sic] […] im Rahmen der Vermittlung trastierung von Vertrautem und nicht Vertrautem von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickelt (ebd.). Durch Indikatoren wie der man- berücksichtigen und gezielt zu fördern“ sind. Über gelnden Beteiligung von Migrantinnen und Migran- die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen, ten an Natur- und Umweltschutzverbänden schlie- soll deswegen ein Beitrag zur Reduzierung der auf- ßen Bruns und Kühne (2015), dass die geforderte gezeigten Forschungslücke geleistet werden. Teilhabe bisher nur unzureichend erfüllt ist. Im Ka- 1) Inwiefern lassen sich die Faktorenstrukturen der pitel 1 wurde Wildnis als eine im wissenschaftlichen Erhebungsinstrumente zur Erfassung der Vorstel- wie gesellschaftlichen Diskurs vielfach themati- lung von und Einstellung zu Wildnis aus den Vor- sierte Form der Naturlandschaft vorgestellt. Hierbei studien von Reinboth (2020a) sowie Reinboth wurde auf die zukünftig notwendigen, umfassenden (2020b) im Rahmen dieser Studie replizieren? landschaftlichen Transformationsprozesse, die kul- 2) Wie unterscheiden sich die Wildnisvor- und -ein- turelle Konstruiertheit des Begriffes sowie auf erste stellungen bei Jugendlichen mit und ohne Migrati- empirische Hinweise auf kulturell differenzierte onshintergrund? Wildnisvorstellungen, -wahrnehmungen oder Nut- 3) Inwiefern stellt der Migrationshintergrund einen zungsansprüche hingewiesen (siehe Kapitel 2.3). geeigneten Prädiktor der Wildnisvor- und Zudem wird das Thema Wildnis zunehmend aus ei- -einstellungen von Jugendlichen dar? ner Bildungsperspektive sowie insbesondere im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung 4 Methode fokussiert (Lindau et al., 2021; DUK, 2011; Hotten- roth, van Aken, Hausig & Lindau, 2017; Langen- 4.1 Stichprobe horst, 2016). In diesem Kontext kommt vor allem An der Querschnittsbefragung nahmen 1356 Schü- der Zielgruppe der Jugendlichen eine besondere Be- lerinnen und Schüler der neunten Klassen aus den deutung zu (siehe Handlungsfeld 4 der DUK, 2014). Bundesländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Laut dem Statistischen Bundesamt (2019) weisen Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thürin- 38,4 Prozent der 10- bis 15-Jährigen sowie 33,7 Pro- gen während des regulären Unterrichts teil. Die Aus- zent der 15- bis 20-Jährigen in Deutschland einen wahl der teilnehmenden Bundesländer für die Befra- Migrationshintergrund auf. Der Anteil von Personen gung erfolgte unter der Berücksichtigung möglichst mit Migrationshintergrund in diesen Altersgruppen heterogener naturräumlicher Gegebenheiten in Be- liegt damit mehr als acht Prozent über dem Bevölke- zug auf das Flächenpotenzial für eine Wildnisent- rungsdurchschnitt (25,5 %). Folglich trifft die Diver- wicklung (BfN, 2015). Zudem konnten bisherige sifizierung der Bevölkerungsstruktur in Deutschland Untersuchungen einen Einfluss des Bildungsniveaus in besonderem Maße auf die jüngeren Altersgruppen und der urbanen oder ruralen Herkunft auf die Ein- zu. Im Kapitel 2.3 wurde über die Darstellung des stellung zu Wildnis nachweisen (Bauer, 2005; Bow- bisherigen Forschungsstandes jedoch ersichtlich, ker et al., 2006; Ehrhart & Schraml, 2014). Dement- dass nur unzureichende Erkenntnisse in Bezug auf sprechend berücksichtigte das Sampling sowohl die Vorstellungen von und Einstellungen zu Wildnis Schulen, welche die allgemeine Hochschulreife als bei Jugendlichen mit einem Migrationshintergrund Bildungsabschluss anstrebten als auch solche, die ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 6 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) ihre Schülerinnen und Schüler auf den Abschluss der und Vorstellung von Wildnis kann bei Reinboth mittleren Reife vorbereiteten (je nach Bundesland (2020a) sowie Reinboth (2020b) detailliert nachvoll- z. B. Oberschulen, Realschulen, Sekundarschulen). zogen werden. In beiden Teilinstrumenten mussten Zudem deckten die Schulen mit ihren Einzugsberei- sich die befragten Schülerinnen und Schüler zu den chen ländliche wie auch städtische Gebiete ab, da im Items anhand einer fünf-stufigen Likert-Skala empirischen Forschungsstand wiederholt ein Ein- (1=“stimme nicht zu“; 5=“stimme zu“) positionie- fluss der urbanen oder ruralen Herkunft auf die Ein- ren. stellung zu Wildnis nachgewiesen werden konnte Der erste Fragebogenteil der Einstellung zu Wildnis (Ehrhart & Schraml, 2014; Hunziker et al., 2001; ist untergliedert in einen Bereich zur Erfassung der Švajda, Koróny, Zięba & Adamski, 2016; Einstellung zu wilden Landschaften (z. B. „Wilde Kaczenski, 2006). Landschaften sind für mich besonders attraktiv.“; Von den Befragten gaben rund 26 Prozent an, über Itemkürzel: La_XY), der Einstellung zu Wildtieren einen Migrationshintergrund gemäß der Definition (z. B. „Die Rückkehr von Wölfen nach Deutschland des Statistischen Bundesamtes (2019) zu verfügen. sollte verhindert werden.“; Itemkürzel: Ti_XY) so- Durch die teils voneinander abweichenden ethni- wie der Wertschätzung von Gründen für den Schutz schen Herkünfte der Eltern ergaben sich über 100 von Wildnis (z. B. „Mir ist es persönlich wichtig, verschiedene ethnische Hintergründe bei den Be- dass Wildnisgebiete geschützt werden, weil sie vom fragten. Daher wurde auf eine Differenzierung der Aussterben bedrohte Arten bewahren.“; Itemkürzel: Personen mit Migrationshintergrund nach ihrer eth- We_XY). Insgesamt umfasst dieser Fragebogenteil nischen Herkunft verzichtet. Am häufigsten waren 80 Items. Aufgrund der geplanten erneuten faktoren- jedoch Personen mit einem türkischen, russischen analytischen Untersuchung des Instrumentes (siehe oder polnischen Migrationshintergrund vertreten. Forschungsfrage 1), wurde der volle Itemumfang in Für 6,8 Prozent der Befragten lagen aufgrund feh- der Befragung verwendet, obwohl die bisher etab- lender Angaben nicht genügend oder keine Informa- lierten Skalen (Reinboth, 2020a; Reinboth, 2020b) tionen für die Bestimmung des Migrationshinter- eine deutlich geringere Itemselektion enthielten. grundes vor. In Anlehnung an die Ergebnisse aus der Im zweiten Teil des Fragebogens werden anhand Studie von Buijs, Elands & Langers (2009) wurde von 70 Items die Vorstellungen der Schülerinnen stattdessen eine Differenzierung anhand des Grades und Schüler von Wildnis erfasst. Im Rahmen der der Akkulturation gewählt. Über die Generation des ersten Erprobung dieses Fragebogenteils in der Aufenthaltes hinaus, wurde in der vorliegenden Stu- Studie von Reinboth (2020b) ergab sich eine die dabei auch zwischen der Anzahl der Elternteile fünf-faktorielle Aufgliederung der Vorstellung von mit einem vorliegenden Migrationshintergrund dif- Wildnis. Zu den empirisch bestätigten Faktoren ferenziert. Hierbei wiesen 5,8 Prozent der Schülerin- zählten die empfundene Störung durch menschliche nen und Schüler eigene Migrationserfahrungen auf. Artefakte (z. B. „Folgende Dinge würden mich in 11,9 Prozent gaben an, dass beide Elternteile über der Wildnis stören: Hochspannungsleitungen“; einen Migrationshintergrund verfügten und bei 8,6 Itemkürzel: VorM_XY) sowie die Vorstellung von Prozent der Befragten traf der Migrationshinter- Wildnis als exotische Landschaft (z. B. Foto von ei- grund nur auf einen ihrer Elternteile zu. Eine umfas- nem tropischen Regenwald; Itemkürzel: Vo- sendere Analyse des Akkulturationsstatus (z. B. rEL_XY), heimische Landschaft (z. B. Foto von ei- über das Sprachnutzungsverhalten in der Familie) nem deutschen Wald; Itemkürzel: VorHL_XY), konnte aufgrund des bereits sehr hohen zeitlichen Raum mit exotischen Tieren (z. B. „Wie sehr passen Umfangs des Fragebogens nicht realisiert werden. die folgenden freilebenden Tiere zu deiner Vorstel- lung von Wildnis? → Löwe“; Itemkürzel: Vo- 4.2 Untersuchungsinstrument rET_XY) und Raum mit heimischen Tieren (z. B. Für die vorliegende Studie wurde ein Fragebogen „Wie sehr passen die folgenden freilebenden Tiere verwendet, der sich in die zwei Teilbereiche der Ein- zu deiner Vorstellung von Wildnis? → Wild- stellung zu Wildnis und der Vorstellung von Wildnis schwein“; Itemkürzel: VorHT_XY). Da in der Vor- aufgliedert und zudem einen Teil mit demo- und bi- erhebung von Reinboth (2020b) theoriebasiert eine ographischen Angaben enthält. Die Entwicklung der andere Faktorenstruktur erwartet wurde, wurde im Teilinstrumente zur Erfassung der Einstellung zu Rahmen dieser Studie erneut der volle Umfang von ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 7 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Items getestet. So gliederte sich der Fragebogen ur- Test) durchgeführt. Die Eignung der Daten für die sprünglich nach den Kriterien für die Wahrnehmung Durchführung einer explorativen Faktorenanalyse von Landschaften als wild oder verwildert (Lupp et wurde mithilfe des Kaiser-Meyer-Olkin-Koeffizien- al., 2011; Mc Morran et al., 2008; Seekamp et al., ten (KMO) und dem Barletts-Test auf Sphärizität si- 2012; Smith, 2012) und bezog sich auf die Natür- chergestellt. Für die explorative Faktorenanalyse lichkeit, Entlegenheit und Abgeschiedenheit eines wurde die Maximum-Likelihood-Faktorenanalyse Gebietes sowie auch die Abwesenheit von mensch- mit einer Promax-Rotation gewählt, da diese laut lichen Spuren in diesem. Zusätzlich zu diesen theo- Bühner (2011) besonders geeignet für eine Kombi- riebasierten Fragebogenbereichen wurde gemäß den nation mit der anschließenden konfirmatorischen Ergebnissen aus der Interviewstudie von Mohs Faktorenanalyse ist. Da die konfirmatorische Fakto- (2020) ein vierter Fragebogenbereich ergänzt, der renanalyse in Form einer Partial Least Squares- sich mit der räumlichen und zeitlichen Dimension Strukturgleichungsmodellierung (PLS-SEM) den I- von Wildnis auseinandersetzt. Auch die Skalen temumfang deutlich reduzierte und die endgültige zur Passung verschiedener heimischer und nicht-hei- Faktorenstruktur aufzeigte, werden im Rahmen der mischer Tiere und Landschaften zur eigenen Wild- Beantwortung der ersten Forschungsfrage aus- nisvorstellung wurden so dem Instrument hinzuge- schließlich die Ergebnisse dieser Analysen vorge- fügt. Dementsprechend sind in den 70 Items dieses stellt. Fragebogenteils auch Items enthalten, die keinem Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage der fünf bisher etablierten Faktoren aus der Studie wurden die faktorenanalytisch ermittelten Kon- von Reinboth (2020b) zugeordnet werden können. strukte als Mittelwerte der in ihnen enthaltenen Va- Hierdurch soll eine erneute faktorenanalytische riablen oder Teilkonstrukte berechnet. Trotz einer Überprüfung ermöglicht werden (siehe Forschungs- fehlenden Normalverteilung eignete sich für die Be- frage 1). antwortung der zweiten Forschungsfrage eine ein- Bei den demo- und biographischen Angaben wurde faktorielle Varianzanalyse (ANOVA), da bei diesem neben dem Alter, Geschlecht und der Schulform der statistischen Verfahren davon ausgegangen werden Befragten auch deren Migrationshintergrund erfasst. kann, dass sie stabil gegenüber einer nicht paramet- Zur Erfassung des Migrationshintergrundes wurde rischen Verteilung der Daten innerhalb der Gruppen eine vereinfachte Version des migrationsrelevanten ist (Blanca, Alarcón, Arnau, Bono & Bendayan, Fragenprogramms des Mikrozensus vom Statisti- 2017; Bühner & Ziegler, 2017). Die Homoskedaszi- schen Bundesamt (2017) verwendet. Hierbei wurden tät der Konstrukte wurde mithilfe des Levene-Tests sowohl das Geburtsland, die Staatsangehörigkeit so- auf Gleichheit der Varianzen überprüft und für die wie der potenzielle Migrationszeitpunkt der Schüle- Mehrheit der Konstrukte bestätigt. In den Fällen, in rinnen und Schüler erhoben als auch das Geburts- denen nicht von einer Varianzgleichheit ausgegan- land und die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Die gen werden konnte, wurde gemäß Bühner und Zieg- Beantwortung des gesamten Fragebogens nahm ler (2017) mithilfe des Fmax-Test abgesichert, dass circa 30 Minuten des regulären Schulunterrichts in die α-Fehlerwahrscheinlichkeit nicht angepasst wer- Anspruch. den musste. Die durchgeführten ANOVAs sind dazu in der Lage, signifikante Unterschiede zwischen 4.3 Datenanalyse mindestens zwei der untersuchten Personengruppen Da in den Voruntersuchungen von Reinboth (2020a) nachzuweisen. Folglich lassen sich jedoch keine sowie Reinboth (2020b) Inkonsistenzen in Bezug Rückschlüsse darüber ziehen, welche konkreten Un- auf die Itemzusammensetzung der Einstellungsska- terschiede zwischen den vier untersuchten Personen- len vorlagen und das Erhebungsinstrument zur Er- gruppen (Personen ohne Migrationshintergrund; fassung der Vorstellung von Wildnis bisher nur ein- Personen mit eigener Migrationserfahrung; Perso- malig faktorenanalytisch untersucht wurde, wurden nen mit Eltern, die beide einen Migrationshinter- im Rahmen der vorliegenden Erhebung erneut ex- grund haben; Personen mit nur einem Elternteil, der plorative und konfirmatorische Faktorenanalysen über einen Migrationshintergrund verfügt) signifi- mit derselben Verfahrensweise durchgeführt. So kant ausfallen. Entsprechend wurden Post-hoc-Ana- wurde für die Bestimmung der geeigneten Faktoren- lysen mit Bonferroni-Korrektur (ebd.) durchgeführt, anzahl der Minimum-Average-Partial-Test (MAP- in denen gemäß der gestellten Forschungsfrage auf ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 8 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Unterschiede zwischen Personen ohne und mit ei- Heterotrait-Monotrait (HTMT)- Verhältnisse begut- nem Migrationshintergrund fokussiert wurde. Ob- achtet. Über die zufriedenstellenden Werte dieser gleich in der zweiten Forschungsfrage zwischen Per- Parameter konnten die Interne-Konsistenz-Reliabili- sonen mit unterschiedlichen Ausprägungen des Mig- tät, die Konvergenzvalidität und die Diskrimi- rationshintergrundes differenziert wurde (siehe Ka- nanzvalidität des Instrumentes abgesichert werden. pitel 5), ließ sich dies bei der Datenauswertung der Die Ladungen der Items auf die zugehörigen LOCs dritten Forschungsfrage nicht realisieren. Dies ist erster Ordnung können in Abbildung 1 nachvollzo- darauf zurückzuführen, dass die hierbei verwende- gen werden. ten PLS-SEM zwar dazu in der Lage sind, Daten auf Auch bei der Evaluation der formativen HOCs Nominalskalenniveau zu verarbeiten, diese aller- wurde sich an den Vorgaben von Hair et al. (2017) dings binär kodiert sein müssen (Hair et al., 2017). orientiert, so dass über den Varianz-Inflationsfaktor Entsprechend wurde auf eine Differenzierung zwi- (VIF) eine Prüfung auf Kollinearität erfolgte und die schen Personen mit verschiedenen Ausprägungen Höhe und Signifikanz der Gewichte untersucht des Migrationshintergrundes (siehe Kapitel 4.1) in wurde (siehe Abbildung 1). Hierzu wurden die Pfad- der Mediationsanalyse verzichtet und eine Dummy- koeffizienten der formativen HOCs als Gewichte in- Kodierung für Personen mit und ohne Migrations- terpretiert (Becker et al., 2012; Hair et al., 2017). hintergrund vorgenommen. Für die explorative Fak- Wie schon in den Voruntersuchungen (Reinboth, torenanalyse, die ANOVAs sowie auch die Post- 2020a; Reinboth, 2020b) wurde aufgrund des Feh- hoc-Analysen erfolgte der Einsatz des Statistikaus- lens von vergleichbaren Instrumenten auf eine Prü- wertungsprogramms SPSS (Version 23). Die konfir- fung auf Konvergenzvalidität verzichtet. Im Ver- matorische Faktorenanalyse und Mediationsanalyse gleich zur Voruntersuchung von Reinboth (2020b) wurden dahingegen mit dem Programm SmartPLS ergaben sich zudem geringfügige Verschiebungen (Version 3.2.7; Ringle et al., 2015) durchgeführt. der Itemzusammensetzungen und der neue Faktor „Entlegenheit und Abgeschiedenheit“ konnte er- 5 Ergebnisse gänzt werden (siehe Abbildung 1). In Abbildung 1 werden die signifikanten Gewichte der sechs laten- Forschungsfrage 1: Inwiefern lassen sich die Fak- ten Konstrukte erster Ordnung auf den übergeordne- torenstrukturen der Erhebungsinstrumente zur ten Faktor „Vorstellung von Wildnis“ im Rahmen Erfassung der Vorstellung von und Einstellung der Evaluation der formativen Konstrukte darge- zu Wildnis aus den Vorstudien von Reinboth stellt. Folglich konnte für die Vorstellung von Wild- (2020a) sowie Reinboth (2020b) im Rahmen die- nis ein Strukturmodell entwickelt werden, in dem ser Studie replizieren? dieses als formativ gebildetes HOC zweiter Ordnung die sechs latenten Konstrukte erster Ordnung auf Im Folgenden werden, wie im Kapitel 4.3 erläutert, sich bündelt (siehe Abbildung 1). nur die Ergebnisse der konfirmatorischen Faktoren- Für das Erhebungsinstrument zur Erfassung der Ein- analyse detaillierter dargestellt. Bei der konfirmato- stellung zu Wildnis wurde ein reflektiv-formativ- rischen Faktorenanalyse des Instrumentes zur Erfas- formatives Modell dritter Ordnung mithilfe des sung der Vorstellung von Wildnis wurde ein reflek- repeated indicator approach nach Becker et al. tiv-formatives Modell zweiter Ordnung entwickelt. (2012) entwickelt. Die methodischen Verfahren und Es fand das Faktor-Gewichtungsschema Anwen- analysierten Güteparameter entsprachen der darge- dung (Hair, Sarstedt, Ringle & Gudergan, 2018), stellten Vorgehensweise der konfirmatorischen Fak- wobei die Berechnung der formativen higher order torenanalyse der Vorstellung von Wildnis. Die er- constructs (HOCs) im Mode B und die der reflek- fassten Güteparameter der Evaluation der reflek- tiven lower order constructs (LOCs) im Mode A er- tiven Konstrukte der Einstellung zu Wildnis wiesen folgte (Becker, Klein & Wetzels, 2012). Gemäß den durchgehend zufriedenstellende Werte auf. Im Rah- Vorgaben von Hair et al. (2017) wurden für die Eva- men der Evaluation der formativen HOCs verfügten luation der reflektiven LOCs die Cronbachs alpha alle LOCs über signifikante Gewichte auf die ihnen Koeffizienten, die Composite Reliabilität, die durch- zugeordneten HOCs, so dass die Faktorenstruktur schnittlich erfasste Varianz (AVE) sowie auch die aus den Voruntersuchungen mit nur wenigen Verän- ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 9 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Abbildung 1. Messmodell der Vorstellung zu Wildnis als Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (eigene Darstellung) ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 10 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) derungen bestätigt werden konnte. So bilden zwei einbezogen. Hierbei konnten signifikante Gruppen- bis sechs LOCs erster Ordnung die drei HOCs zwei- unterschiede für fünf der sechs untersuchten Kon- ter Ordnung („Landschaften“, „Tiere“, „Wertschät- strukte erster Ordnung nachgewiesen werden, die je- zung“). Diese wiederum verfügen über signifikante doch allesamt kleine Effektstärken aufwiesen (siehe Gewichte auf das übergeordnete Konstrukt dritter Tabelle 1). Die höchste Effektstärke konnte für den Ordnung, welches als Einstellung zu Wildnis be- Unterschied zwischen den verschiedenen Personen- zeichnet wurde (siehe Abbildung 2). gruppen mit Migrationshintergrund in Bezug auf die Vorstellung zum menschlichen Einfluss festgestellt Forschungsfrage 2: Wie unterscheiden sich die werden (F (3, 1260) = 15.16, p < .01). Alle weiteren Wildnisvor- und -einstellungen bei Jugendlichen Signifikanzen und Effektstärken der gefundenen mit und ohne Migrationshintergrund? Gruppenunterschiede lassen sich Tabelle 1 entneh- men. Explizit sei jedoch darauf verwiesen, dass sich Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage keine signifikanten Unterschiede zwischen den vier wurden sowohl für die Vorstellung von als auch die differenzierten Personengruppen in Bezug auf die Einstellung zu Wildnis ANOVAs sowie Post-hoc- „Vorstellung von Wildnis als Raum mit nicht in Analysen durchgeführt. Hierbei wurde untersucht, Deutschland heimischen Tieren“ auffinden ließen. ob die analysierten Konstrukte Unterschiede zwi- Für den übergeordneten Faktor zweiter Ordnung schen den vier identifizierten Gruppen des Migrati- „Vorstellung von Wildnis“ ließ sich dahingegen ein onshintergrundes (siehe Kapitel 4.3) aufwiesen. signifikanter Unterschied im Antwortverhalten der Bei der ANOVA der Vorstellung von Wildnis wur- untersuchten Gruppen feststellen (F (3, 1260) = den aufgrund der geringeren Faktorenanzahl auch 14.29, p < .01). Auch für dieses Konstrukt kann die die Konstrukte erster Ordnung mit in die Analyse Effektstärke η2 als klein eingestuft werden. Tabelle 1 ANOVA für den Migrationshintergrund und die Vorstellung von Wildnis 1 2 3 4 Konstrukt F(df) p η2 M SD M SD M SD M SD menschl. Ein- 15.16 4.34 .79 3.76 1.12 4.09 .95 4.35 .73 .000** .035 fluss(1) (3,1260) 4.59 Entlegenheit(1) 3.88 .78 3.55 .98 3.77 .91 3.89 .79 .011* .011 (3,1259) nicht deutsche 8.43 3.93 .95 3.78 .96 3.52 1.04 3.85 .88 .000** .020 Landschaften(1) (3,1258) deutsche Land- 5.17 4.22 .72 3.93 .86 4.10 .73 4.12 .70 .001** .012 schaften(1) (3,1259) nicht in 2.38 Deutschland le- 3.80 1.17 3.73 1.04 3.59 1.08 3.95 1.02 .068 .006 (3,1259) bende Tiere(1) in Deutschland 6.69 4.14 .81 3.80 .92 3.94 .80 4.05 .83 .000** .016 lebende Tiere(1) (3,1259) 14.29 Vorstellung(2) 4.05 .50 3.76 .63 3.84 .56 4.03 .53 .000** .033 (3,1260) Anmerkung. 1 = kein Migrationshintergrund; 2 = eigene Migrationserfahrung; 3 = beide Elternteile haben Migra- tionshintergrund; 4 = ein Elternteil verfügt über einen Migrationshintergrund; (1) = Konstrukte erster Ordnung; (2) = Konstrukt zweiter Ordnung; η2 > .01 = kleine Effektstärke; η2 > .06 = mittlere Effektstärke; η2 > .14 = große Effektstärke nach Bühner und Ziegler (2017). * = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 11 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Abbildung 2. Messmodell der Einstellung zu Wildnis als Ergebnis der konfirmatorischen Faktorenanalyse (eigene Darstellung) ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie – Biologie Lehren und Lernen 25 Jg. 2021 12 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Bei der Post-hoc-Analyse der Vorstellung von Wildnis ierten mit dieser stärker in Deutschland vorkom- können positive Werte der Mittleren Differenz als hö- mende Landschaftsformen. Personen mit zwei Eltern- here Mittelwertsausprägungen des betreffenden Kon- teilen mit einem Migrationshintergrund verbanden strukts für die Gruppe der Personen ohne Migrations- Wildnis weniger stark mit nicht in Deutschland hintergrund interpretiert werden. Hierbei konnte nach- heimischen Landschaftsformen als Personen ohne gewiesen werden, dass sich Personen ohne Migrations- Migrationshintergrund. Für Personen mit nur einem hintergrund im Vergleich zu Personen mit eigenen Mig- Elternteil mit Migrationshintergrund lagen keine signi- rationserfahrungen und Personen mit zwei Elternteilen fikanten Vorstellungsunterschiede zu Personen mit einem Migrationshintergrund stärker durch ohne Migrationshintergrund vor. Des Weiteren ließen menschliche Artefakte in einem Wildnisgebiet gestört sich keinerlei Unterschiede der drei Personen- fühlten und mit Wildnis deutlich mehr in Deutschland gruppen mit Migrationshintergrund zu den Personen heimische Tierarten verbanden. Im Vergleich zu Perso- ohne Migrationshintergrund bei der Vorstellung nen mit eigenen Migrationserfahrungen stellten sich von Wildnis als Raum mit nicht in Deutschland Personen ohne Migrationshintergrund Wildnis zudem heimischen Tieren nachweisen (siehe Abbildung 3, Ta- als entlegener und abgeschiedener vor und assozi- belle 2). Tabelle 2 Post-hoc Analyse von Unterschieden der Vorstellung von Wildnis zwischen Personen ohne und mit einem Migra- tionshintergrund Vergleichsgruppe zu den Personen Mittlere Konstrukt p 95%-CI ohne Migrationshintergrund Differenz eigene Migrationserfahrung .585 .000** [.327; .844] (1) menschl. Einfluss beide Elternteile Migrationshintergrund .256 .002** [.068; .445] ein Elternteil Migrationshintergrund -.004 1.000 [-.221; .212] eigene Migrationserfahrung .329 .003** [.078; .581] Entlegenheit(1) beide Elternteile Migrationshintergrund .110 .697 [-.075; .294] ein Elternteil Migrationshintergrund -.011 1.000 [-.222; .200] eigene Migrationserfahrung .149 1.000 [-.146; .445] nicht deutsche beide Elternteile Migrationshintergrund .405 .000** [.189; .621] Landschaften(1) ein Elternteil Migrationshintergrund .083 1.000 [-.166; .331] eigene Migrationserfahrung .297 .003** [.0714; .522] deutsche Land- beide Elternteile Migrationshintergrund .119 .330 [-.045; .284] schaften(1) ein Elternteil Migrationshintergrund .108 .794 [-.081; .296] nicht in Deutsch- eigene Migrationserfahrung .065 1.000 [-.288; .418] land lebende beide Elternteile Migrationshintergrund .200 .242 [-.058; .458] Tiere(1) ein Elternteil Migrationshintergrund -.154 1.000 [-.450; .142] eigene Migrationserfahrung .344 .002** [.091; .597] in Deutschland le- beide Elternteile Migrationshintergrund .209 .017* [.025; .394] bende Tiere(1) ein Elternteil Migrationshintergrund .094 1.000 [-.118; .306] eigene Migrationserfahrung .295 .000** [.134; .456] (2) Vorstellung beide Elternteile Migrationshintergrund .216 .000** [.099; .334] ein Elternteil Migrationshintergrund .019 1.000 [-.116; .154] Anmerkung. (1) = Konstrukte erster Ordnung; (2) = Konstrukt zweiter Ordnung; Mittlere Differenz = Differenz (A-B) zwischen Personen ohne einem Migrationshintergrund (A) und Personengruppen mit einem Migrationshin- tergrund (B); 95%-CI = 95%-Konfidenzintervall. * = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 13 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) Abbildung 3. Ergebnisse der ANOVA und Post-hoc-Analyse für den Migrationshintergrund und die Vorstellung von Wildnis (eigene Darstellung) Tabelle 3 ANOVA für den Migrationshintergrund und die Einstellung zu Wildnis 1 2 3 4 Konstrukt F(df) p η2 M SD M SD M SD M SD 13.30 Landschaften (2) 3.70 .63 3.30 .56 3.51 .61 3.69 .64 .000** .031 (3,1260) 5.79 Tiere(2) 3.64 .63 3.50 .74 3.55 .62 3.83 .57 .001** .014 (3,1260) 7.49 Wertschätzung(2) 4.03 .64 3.76 .73 3.86 .75 3.88 .67 .000** .018 (3,1246) 11.87 Einstellung(3) 3.79 .46 3.52 .52 3.64 .47 3.80 .48 .000** .027 (3,1260) Anmerkung. 1 = kein Migrationshintergrund; 2 = eigene Migrationserfahrung; 3 = beide Elternteile haben Migra- tionshintergrund; 4 = ein Elternteil verfügt über einen Migrationshintergrund; (2) = Konstrukt zweiter Ordnung; (3) = Konstrukt dritter Ordnung; df = Freiheitsgrade; η2 > .01 = kleine Effektstärke; η2 > .06 = mittlere Effektstärke; η2 > .14 = große Effektstärke nach Bühner und Ziegler (2017). * = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau Aufgrund der umfangreichen Faktorenzahl werden < .01)) signifikante Gruppenunterschiede für alle bei der Einstellung zu Wildnis ausschließlich die Ergeb- Faktoren. Dies traf auch auf die „Einstellung zu nisse der ANOVA und Post-hoc-Analysen für die Wildnis“ als übergeordnetem Konstrukt dritter Ord- Konstrukte der zweiten und dritten Ordnung vor- nung zu (F (3, 1260) = 11.87, p < .01). Auch für die gestellt. So ergab die ANOVA für die Einstellung Einstellung zu Wildnis konnten die Effektstärken der zu Wildnis auf der Ebene der Konstrukte zweiter gefundenen Unterschiede als klein eingeschätzt werden Ordnung („Einstellung zu wilden Landschaften“ (siehe Tabelle 3). (F (3, 1260) = 13.30, p < .001), „Einstellung zu Wie schon bei den Post-hoc-Analysen der Vorstellung Wildtieren“ (F (3, 1260) = 5.79, p < .01), „Wertschät- von Wildnis können auch bei der Einstellung zu zung des Schutzes von Wildnis“ (F (3, 1246) = 7.49, p Wildnis positive Werte der Mittleren Differenz als ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 14 doi: 10.11576/zdb-3297
Reinboth (2021) eine positivere Einstellung zu Wildnis bei Personen Forschungsfrage 3: Inwiefern stellt der Migrations- ohne Migrationshintergrund im Vergleich zu den hintergrund einen geeigneten Prädiktor der Wild- drei Vergleichsgruppen gedeutet werden. So kann nisvor- und -einstellungen von Jugendlichen dar? in Tabelle 4 und Abbildung 4 nachvollzogen werden, dass Personen ohne Migrationshintergrund im Ver- In Bezug auf die dritte Forschungsfrage wurde ein gleich zu Personen mit eigener Migrationserfahrung mediierender Effekt, bei dem der Migrations- und Personen mit zwei Elternteilen mit Migrationshin- hintergrund sowohl direkt als auch indirekt die tergrund über eine signifikant positivere Einstellung Einstellung zu Wildnis über die Vorstellung von zu wilden Landschaften verfügten und auch an- Wildnis vorhersagt, vermutet. Dies ist darauf zu- gaben, die Wertschätzung des Schutzes von Wildnis rückzuführen, dass in der Untersuchung von als persönlich wichtiger einzuschätzen. Ebenfalls posi- Reinboth (2020b) nachgewiesen werden konnte, dass tivere Werte ergaben sich für die Gruppe der Personen die Vorstellung von Wildnis einen direkten ohne Migrationshintergrund im Vergleich zu den Prädiktor der Einstellung zu Wildnis darstellt. zuvor genannten Gruppen für den über geordneten Der kulturelle Konstruktcharakter des Wildnis- Faktor der Gesamteinstellung zu Wildnis. Lediglich konzeptes (siehe Kapitel 1), bisherige Forschungsbe- bei der Einstellung zu Wildtieren ließ sich eine funde (siehe Kapitel 2.3) sowie auch die signifikant positivere Einstellung bei Personen, die gefundenen Mittelwertsunterschiede in der zwei- nur ein Elternteil mit Migrationshintergrund besaßen, ten Forschungsfrage deuten zudem auf eine im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund Vorhersage der Vorstellung von und Einstellung nachweisen. zu Wildnis durch den Migrationshintergrund hin. Tabelle 4 Post-hoc Analyse von Unterschieden der Einstellung zu Wildnis zwischen Personen ohne und mit einem Migrati- onshintergrund Vergleichsgruppe zu den Personen Mittlere Konstrukt p 95%-CI ohne Migrationshintergrund Differenz eigene Migrationserfahrung .406 .000** [.212; .599] Landschaften (2) beide Elternteile Migrationshintergrund .189 .002** [.048; .330] ein Elternteil Migrationshintergrund .012 1.000 [-.150; .174] eigene Migrationserfahrung .145 .331 [-.052; .341] Tiere(2) beide Elternteile Migrationshintergrund .095 .478 [-.048; .238] ein Elternteil Migrationshintergrund -.182 .021* [-.347; -.018] eigene Migrationserfahrung .277 .002** [.072; .482] (2) Wertschätzung beide Elternteile Migrationshintergrund .169 .019* [.018; .319] ein Elternteil Migrationshintergrund .157 .102 [-.017; .330] eigene Migrationserfahrung .274 .000** [.127; .420] (3) Einstellung beide Elternteile Migrationshintergrund .151 .001** [.044; .258] ein Elternteil Migrationshintergrund -.009 1.000 [-.131; .114] Anmerkung. (2) = Konstrukt zweiter Ordnung; (3) = Konstrukt dritter Ordnung; Mittlere Differenz= Differenz (A- B) zwischen Personen ohne einem Migrationshintergrund (A) und Personengruppen mit einem Migrationshinter- grund (B); 95-CI = 95%-Konfidenzintervall. * = signifikant auf dem .05 Niveau, ** = signifikant auf dem .01 Niveau ZDB ● Zeitschrift für Didaktik der Biologie - Biologie Lehren und Lernen 25. Jg. 2021 15 doi: 10.11576/zdb-3297
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