Der SONNTAG muss frei bleiben! - Petition - Allianz für den freien Sonntag
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Petition Der SONNTAG muss frei bleiben! „Fällt der Sonntagsschutz bei der Ladenöffnung, fällt er früher oder später auch in anderen Branchen.“ Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes a.D. Ruhe „Wirtschaftliche Interessen der Händler oder das alltägliche Einkaufsinteresse der Kunden können keine Sonntagsöffnung rechtfertigen.“ Friedrich Kühn, Fachanwalt für Arbeitsrecht Argumente für einen konsequenten Sonntagsschutz
Inhalt 3 Vorwort 4Petition an Karstadt und Galeria Kaufhof Sonntagsallianz München 6 Sonntagsschutz ist Freiheitsschutz! Der Sonntag im Verfassungsrecht Hans-Jürgen Papier 10 Ein Tag Ruhe! Sonntagsschutz und Ladenschluss Friedrich Kühn 14 Der Sonntag muss frei bleiben, weil … Statements der Unterzeichner Impressum Sonntagsallianz München Simone Burger Christian Bindl Regionsgeschäftsführerin DGB-Region München Leiter der Betriebsseelsorge Vorsitzende des DGB-Kreisverbands München Erzdiözese München und Freising Schwanthalerstraße 64, 80336 München Pettenkoferstr. 8/IV, 80336 München Tel. 089 51700 102, simone.burger@dgb.de Tel. 089 552516 30, bss.c.bindl@kab-dvm.de Heinz Neff Philip Büttner Diözesansekretär Wissenschaftlicher Referent KAB-Diözesanverband München und Freising e. V. Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt Pettenkoferstraße 8/V, 80336 München der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (kda) Tel. 089 552516 40, h.neff@kab-dvm.de Schwanthalerstr. 91, 80336 München Tel. 089 530737 37, buettner@kda-bayern.de ver.di München Fachbereich Handel Schwanthalerstr. 64, 80336 München www.allianz-fuer-den-freien-sonntag.de Tel. 089 59977 7125, fb12.muenchen@verdi.de www.facebook.com/sonntagsallianz.bayern Bilder: Kallejipp / Photocase (S. 1) Roland Hacker (S. 4) Werner Bachmeier (S. 5, S. 7, S. 11) Hubert Thiermeyer (S. 14) Markus Hofmann (S. 16) Layout: Katja Pelzner, dialog fürth, www.dialogbuero.de
Vorwort 62.356 Bürgerinnen und Bürger sagen: „Der SONNTAG muss frei bleiben!“ Mit dieser Forderung startete die Münchner Allianz für den freien Sonntag im Sommer 2017 eine öffentliche Petition, um ein Zeichen für die Sonntagsruhe zu setzen. Die Unternehmen Karstadt und Galeria Kaufhof hatten zuvor eine Kampagne zur Liberalisierung des Ladenschlusses lanciert, die alle früheren an Radikalität übertraf. Es ging nicht mehr um einzelne verkaufsoffene Sonn- tage, sondern um alle 52 Sonntage im Jahr. Die beiden Warenhäuser wollten den freien Sonntag im Handel abschaffen. Die Petition war ein Angebot, hiergegen die Stimme zu erheben. Bis zum Stichtag 17.12.2017 sammelte unser regionales kirchlich-gewerkschaftliche Bündnis 11.243 Online-Unterschriften auf der Petitionsplattform change.org und 51.113 analoge Unterschriften mit klassischen Unterschrif- tenlisten in Kirchengemeinden und Betrieben, in Sportvereinen, in Familien- und Frauenverbänden, in Berufsschulen und Universitäten, in Arztpraxen und Behörden. Menschen mit unterschiedlichen Motiven – gewerkschaftlichen, religiösen, familienpolitischen – fanden sich bei diesem Anliegen wieder. Hunderte engagierte Helfer in München, Bayern und ganz Deutschland ermöglichten ein starkes Votum für den freien Sonntag. Doch der Streit um den Sonntag wird weitergehen. Immer wieder versuchen Unternehmen im Han- del und in anderen Branchen, einen wirtschaftlichen Vorteil aus Sonntagsarbeit zu ziehen – und tragen letztlich nur dazu bei, dass der Tag zu einem gewöhnlichen Werktag für alle wird. Die Sonntagsruhe lässt sich auf Dauer nur bewahren, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung das Ge- schenk gemeinsamer freier Zeit wertzuschätzen weiß. In der Praxis braucht der freie Sonntag aber auch konkreten juristischen Schutz. Für den Petitionsabschluss am 18.12.2017 in München lud die Münchner Sonntagsallianz deshalb zwei der renommiertesten Rechtsexperten zu diesem The- ma ein. Die hier abgedruckten Vorträge des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier und des Ladenschlussexperten RA Dr. Friedrich Kühn machen Mut: Der freie Sonntag ist und bleibt unser gutes Recht. Philip Büttner, kda, Georg Wäsler, ver.di Christian Bindl, Betriebsseelsorge Benedikt Kopera, DGB Heinz Neff, KAB Der Sonntag muss frei bleiben 3
„Der Sonntag muss frei bleiben!“ PETITION an die Geschäftsführungen von Karstadt und Galeria Kaufhof Sehr geehrter Herr Dr. Fanderl, sehr geehrter Herr Neuwald, die von Ihren Warenhäusern angeführte neue Initiative Verkäuferinnen und Verkäufer arbeiten bereits heute „Selbstbestimmter Sonntag“ fordert die völlige Abschaf- hochflexibel, sehr oft auch am Abend oder am Sams- fung des freien Sonntags im Einzelhandel. Die Geschäfte tag, wenn andere Erwerbstätige frei haben. Umso wich- sollen nach Ihrem Willen künftig an allen 52 Sonntagen tiger ist der freie Sonntag für sie. Er ist eine zentrale im Jahr öffnen können. Voraussetzung für ihr Familienleben, für die Pflege von Freundschaften, für die Mitwirkung in Sportvereinen, Sie fordern damit eine Änderung des Grund- Kirchengemeinden oder gesetzes. Der Sonntag ist als „Tag der Arbeits- Auch Verkäuferinnen und anderen Gemeinschaf- ruhe und der seelischen Erhebung“ bislang Verkäufer haben ein Recht ten. Die Lohnzuschläge, wirksam geschützt (Art. 140 GG i.V.m. Art. auf gemeinsame freie Zeit. die manche Handelsun- 139 WRV). Verkaufsoffene Sonntage dür- ternehmen derzeit noch fen nur ausnahmsweise aufgrund eines be- zahlen, können für den sonderen Anlasses stattfinden. Würde sich Ihre Initiative Verlust des freien Sonntags nicht dauerhaft entschä- durchsetzen, hätte dies nicht nur tiefgreifende Folgen für digen. Auch Verkäuferinnen und Verkäufer haben ein 3,1 Millionen Handelsbeschäftigte, sondern würde den Recht auf gemeinsame freie Zeit. freien Sonntag insgesamt in Frage stellen. Szene aus dem Petitionsfilm (www.change.org/sonntag) Den Film gibt es auch auf Youtube, QR-Code nebenstehend 4 Der Sonntag muss frei bleiben
Wir verstehen Ihr Anliegen, den stationären Einzelhan- Wir sind überzeugt: Die in den vergangenen Jahren del gegenüber dem Onlinehandel zu stärken. Doch die massiv ausgedehnten Ladenöffnungszeiten reichen aus, Strategie, den Wettstreit mit dem Internet ausgerechnet um nach Herzenslust einzukaufen. Laut einer repräsen- über Öffnungszeiten auszutragen, ist tativen Umfrage von In- nicht erfolgsversprechend. Die besten Nur ein arbeitsfreier Sonntag ist fratest dimap im Auftrag Argumente des Handels gegenüber ein „Selbstbestimmter Sonntag“! der Zeitung „Die Welt“ der Onlinekonkurrenz sind sein Ser- spricht sich eine große vice, seine hohe Beratungsqualität und seine motivierten Mehrheit von 73 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Mitarbeitenden. Wenn Sie den Sonntag zum generellen Deutschland dagegen aus, auch noch den Sonntag zum Einkaufstag machen, werden Sie nur viele kleinere Ein- Einkaufstag zu machen. zelhändler in Bedrängnis bringen, aber nicht Amazon oder Zalando. Wir fordern Sie deshalb auf: Respektieren Sie den ver- fassungsrechtlichen Schutz des freien Sonntags! Nur Der freie Sonntag hat gemäß unserer Verfassung Vor- ein arbeitsfreier Sonntag ist ein „Selbstbestimmter rang vor jeglichen kommerziellen Interessen. Eine Ab- Sonntag“! kehr von diesem Prinzip hätte Folgen weit über den Ein- zelhandel hinaus. Sollte Ihre Kampagne Erfolg haben, würden andere Branchen nachziehen und den Sonntag nach und nach zu einem gewöhnlichen Werktag ma- Allianz für den freien Sonntag, München chen. Klar ist doch: Wenn Karstadt und Kaufhof künftig sonntags öffnen, dürfte auch Amazon bald sonntags Christian Bindl, Katholische Betriebsseelsorge Waren ausliefern. Und viele Kundinnen und Kunden, die Philip Büttner, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt Sie mit Sonntagsöffnungen in Ihre Warenhäuser locken Simone Burger, Deutscher Gewerkschaftsbund möchten, müssten selbst am Sonntag arbeiten. Von Heinz Neff, Katholische Arbeitnehmerbewegung einem siebten Werktag profitiert langfristig niemand. Georg Wäsler, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Der Sonntag muss frei bleiben 5
Sonntagsschutz ist Freiheitsschutz! Der Sonntag im Verfassungsrecht Vortrag von Hans-Jürgen Papier „Ohne Sonntag gäbe es nur noch Werktage“. Hinter kannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und diesem bekannten Slogan verbirgt sich folgende Aus- der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“. Die- sage: Der Sonntag ist eine Einladung an alle, seien es ser verfassungsrechtliche Sonntagsschutz begründet Christen, Anhänger anderer Religionen, Agnostiker oder unmittelbar kein Individualgrundrecht, er beinhaltet Atheisten, „aus dem Alltag herauszutreten und in einen eine objektiv-rechtliche Schutzverpflichtung des Ge- davon unterschiedenen lebensdienlichen Zeitraum ein- setzgebers, aber auch der Verwaltung und der recht- zutreten“. Gesellschaftspolitische Relevanz erlangte die- sprechenden Gewalt. Diese verfassungsrechtliche ser Satz allerdings erst durch die verfassungsrechtliche Gewährleistung ist in funktioneller Hinsicht auf die In- Absicherung des Sonntagsschutzes, der durch das Urteil anspruchnahme und die Verwirklichung der Grundrech- des Bundesverfassungsgerichts vom 1.12.2009 eine be- te angelegt, wobei es hier nicht nur um das Grundrecht deutende Stärkung und Schärfung erfahren hat. der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG geht. Art. 139 WRV hat neben seiner religiös-christlichen Bedeutung zwei- felsohne auch eine weltlich-soziale. Dies folgt aus der 1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung Entstehungsgeschichte ebenso wie aus den Regelungs- zwecken dieser Verfassungsvorschrift. „Er sichert mit Der Schutz des Sonntags als Ruhetag ist auf dem Boden seinem Schutz eine wesentliche Grundlage für die Re- des Christentums entstanden, das erklärt seine grund- kreationsmöglichkeiten des Menschen und zugleich für gesetzliche Verankerung im sogenannten Staatskir- ein soziales Zusammenleben und ist damit auch Garant chenrecht. Im Jahre 321 erfolgte die erste Proklamation für die Wahrnehmung von Grundrechten, die der Per- der Sonntagsruhe durch Kaiser Konstantin. Seitdem ha- sönlichkeitsentfaltung dienen“ (BVerfGE 125, 39, 80). ben sich im christlich geprägten Kulturkreis vielfältige Der verfassungsrechtliche Sonntagsschutz wird vom Regelungen des Sonntagsschutzes herausgebildet. Aber Bundesverfassungsgericht als Konnexgarantie zu ver- auch in der außerchristlichen und nachchristlichen Welt schiedenen Grundrechten verstanden. „Die Gewährlei- wurde der Tag der Arbeitsruhe nach sechs Werktagen stung von Tagen der Arbeitsruhe und der seelischen Er- zum prägenden Element. Die Besonderheit des Sonn- hebung ist darauf ausgerichtet, den Grundrechtsschutz tags wird allerdings zunehmend in Frage gestellt, und zu stärken und konkretisiert insofern die aus dem je- zwar vornehmlich durch folgende Entwicklungen: Zu weils einschlägigen Grundrecht folgenden staatlichen nennen ist einmal der ökonomisch bedingte Trend zur Schutzpflichten“ (BVerfGE125, 39, 80 f.). Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Arbeit an Sonn- und Feiertagen hat aufgrund von Technisierung, Digitalisie- Schon die Entstehungsgeschichte des Art. 139 WRV rung und Globalisierung faktisch erheblich zugenom- macht die Verknüpfung religiöser und sozialer Aspekte men, schon im Jahre 2012 waren mehr als ein Viertel des Sonntagsschutzes deutlich. Beim Erlass des Grund- der Erwerbstätigen davon betroffen. Auch die zuneh- gesetzes und der Inkorporierung der staatskirchen- mende Individualisierung der Lebensstile verdrängt die rechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung ist kollektive Rhythmisierung der Zeit. Schließlich mindert diese „motivische Allianz zwischen religions- und ar- die gewachsene religiöse und weltanschauliche Vielfalt beitsverfassungspolitischen Bestrebungen“ nicht in die Akzeptanz der spezifisch christlich geprägten Feier- Zweifel gezogen worden (BVerfGE 125, 39, 81). tagskultur in diesem Land. Beim verfassungsrechtlichen Sonntagsschutz geht es Nach Art. 140 GG werden die staatskirchenrechtlichen nicht nur um die Anerkennung eines zentralen Rhyth- Artikel der Weimarer Verfassung zum Bestandteil des mus’ der christlich-jüdischen Kultur, vielmehr wird mit Grundgesetzes erklärt, damit auch der Art. 139 WRV. der Gewährleistung rhythmisch wiederkehrender Tage Dieser lautet: „Der Sonntag und die staatlich aner- der Arbeitsruhe auch das Sozialstaatsprinzip konkreti- 6 Der Sonntag muss frei bleiben
siert. Das Bundesverfassungsgericht stellt ganz deutlich Alles in allem ist der Sonn- und Feiertagsschutz in Art. heraus, dass der verfassungsrechtliche Sonntagsschutz 139 WRV als eine verfassungsrechtliche Wertentschei- sich nicht nur auf die Ausübung der Religionsfreiheit dung zu verstehen, als Schutzauftrag an den Gesetzge- bezieht, die Arbeitsruhe dient auch der physischen ber bei der Erfüllung und Konkretisierung seiner grund- und psychischen Regeneration und damit der körper- rechtlichen Schutzpflichten. Als solcher Schutzauftrag lichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Sie dient auch bindet er allerdings auch die Exekutive und die recht- dem Schutz von Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 sprechende Gewalt, bei der Auslegung und Anwen- Abs. 1 GG. Aber auch andere Freiheiten, wie etwa die dung geltender Gesetze und Rechtsverordnungen diese Vereinigungsfreiheit, lassen sich durch die Statuie- grundlegende Wertentscheidung der Verfassung hinrei- rung gemeinsamer Ruhetage effektiver wahrnehmen. chend zu berücksichtigen. Dem Sonntagsschutz kommt schließlich ein besonde- rer Bezug zur Menschenwürdegarantie zu, weil er dem „ökonomischen Nutzdenken eine Grenze zieht und 2. Notwendigkeit und Grenzen dem Menschen um seiner Selbst willen dient“ (BVerf- gesetzlicher Ausgestaltung GE 125, 39, 82). Die soziale Bedeutung des Sonntags- schutzes basiert im Wesentlichen auf der synchronen Die Verfassung gewährleistet und schützt die Instituti- Taktung des sozialen Lebens. Der zeitliche Gleichklang on des Sonn- und Feiertags unmittelbar. Allerdings ist einer für alle Bereiche regelmäßigen Arbeitsruhe stellt der Gesetzgeber berufen, Art und Ausmaß des Schut- ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der zes auszugestalten. Hierbei ist er allerdings nicht völ- verschiedenen Formen gesellschaftlichen und sozialen lig frei. Die Verfassung statuiert ein Regel-Ausnahme- Lebens dar. Die generelle Arbeitsruhe an Sonntagen er- Verhältnis. Grundsätzlich hat die typische „tagtägliche öffnet dem Einzelnen ferner die Möglichkeit der phy- Geschäftigkeit“ an Sonntagen zu ruhen. Der verfas- sischen und psychischen Regeneration. Das Bundes- sungsrechtlich garantierte Sonntagsschutz ist nur in verfassungsgericht stellt daher ausdrücklich fest, dass begrenztem Maße einschränkbar. Ausnahmen sind nach auch aus arbeitswissenschaftlicher Sicht der Arbeitsru- der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur he an Sonn- und Feiertagen wesentliche Bedeutung für zur Wahrung höherer und zumindest gleichwertiger das individuelle Ruhebefinden und die gesundheitliche Rechtsgüter möglich. Immer muss der den Sonntags- Stabilität des Einzelnen zukommt. schutz ausgestaltende Gesetzgeber ein hinreichendes Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts von 2002 bis 2010 Der Sonntag muss frei bleiben 7
Niveau des Sonntagsschutzes wahren. Der Gesetzgeber fassungsgerichts nicht. Immer müssen solche Ausnah- darf in Ausgestaltung des Sonntagsschutzes selbstver- men auch als solche erkennbar bleiben, die gesetzlichen ständlich auch andere Belange als die des Schutzes der Ausnahmeregelungen dürfen also nicht auf eine weit- Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zur Geltung gehende Gleichstellung der sonntäglichen Verhältnisse bringen. Er hat einen Ausgleich zwischen dem grund- mit den Verhältnissen an Werktagen und ihrer Betrieb- rechtlichen Schutz des Sonntages auf der einen Seite samkeit hinauslaufen. und den grundrechtlich gleichfalls geschützten Belan- gen der Berufs- und Unternehmerfreiheit der Händler Damit dürften auch allgemeine wettbewerbspolitische sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit der Kunden Aspekte als Legitimationsgrund nicht reichen. Zwar und Verbraucher auf der anderen Seite herzustellen. wird immer wieder pro Ladenöffnung geltend gemacht, der stationäre Handel erleide wegen der Sonntagsru- Im Rahmen dieser Abwägung ist immer zu berücksich- he erhebliche wettbewerbliche Nachteile im Verhältnis tigen, dass der Sonntagsschutz nicht auf einen religi- zum Online-Handel. Der Wettbewerb im Handel muss ösen oder weltanschaulichen Sinngehalt beschränkt sich allerdings an den allgemeinen verfassungsrecht- ist. Miterfasst ist zwar die Möglichkeit der Religions- lichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen orien- ausübung an Sonn- und Feiertagen. Der verfassungs- tieren, nicht umgekehrt. Ferner ist zu berücksichtigen, rechtliche Schutz zielt aber in unserer säkularisierten dass inzwischen auch viele Einzelhändler als „Multi- Gesellschafts- und Staatsordnung auch auf die Verfol- oder Cross-Channel-Händler“ auftreten und traditio- gung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Be- nelle Stationärhändler auch den Online-Absatz-Kanal sinnung, Erholung und Zerstreuung. Grundsätzlich soll suchen. Übrigens wird auch von Händlern der umge- an den Ruhetagen die Geschäftstätigkeit in Form der kehrte Weg beschritten. Ferner muss berücksichtigt Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhän- werden, dass auch die weiteren Prozesse des Online- giger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage al- Handels den gesetzlichen Vorgaben des Sonntagsschut- lein oder in Gemeinschaft mit Anderen ungehindert von zes unterliegen. Die vollständige oder weitreichende werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen Deregulierung der Ladenöffnungszeiten an Sonn- und nutzen kann. Anders ausgedrückt: Die durch den ver- Feiertagen würde überdies auch zu Lasten des kleineren fassungsrechtlichen Sonntagsschutz gewährleistete Fachhandels gehen, der die Möglichkeiten, die solche Synchronität, also der zeitliche Gleichklang und Rhyth- Deregulierungen eröffnen würden, im Gegensatz zu mus, sollen allen unbeschadet einer religiösen Bindung den Großunternehmungen des Einzelhandels mangels zuteilwerden. personeller Kapazitäten gar nicht ausschöpfen könnte. Es steht außer Frage, dass der Gesetzgeber bei der Her- Fällt der Sonntagsschutz bei der Ladenöffnung in wei- stellung des Ausgleichs mit gegenläufigen Schutzgü- tem Umfange, fällt er früher oder später auch in an- tern auch eine geänderte soziale Wirklichkeit, insbeson- deren Branchen. Viele Kunden, die der Handel an den dere Änderungen im Freizeitverhalten, berücksichtigen Sonntagen in seine Geschäfte locken will, werden dann darf. Demgemäß dürfen Arbeiten gestattet sein, die aus selbst an den Sonntagen arbeiten. Langfristig wird da- gesellschaftlichen oder technischen Gründen notwen- her von dem siebten Werktag niemand wirklich profi- dig sind, die also trotz des Sonn- und Feiertags not- tieren können. wendigerweise erbracht werden müssen. Neben diesen Arbeiten „trotz des Sonntags“ sind in gewissem Maße Wenn der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen in sei- auch Arbeiten „für den Sonntag“ anerkannt, die bei- nem jüngsten Entwurf eines Gesetzes „zum Abbau spielsweise in der Hotel- und Gastronomiebranche und unnötiger und belastender Vorschriften“ als recht- im Bereich der Sicherstellung der Mobilität der Einzel- fertigendes öffentliches Interesse den „Erhalt eines nen gerade dazu dienen, den Bürgerinnen und Bürgern zukunftsfähigen und vielfältigen stationären Ein- eine individuelle Gestaltung ihres Tags der Arbeitsruhe zelhandels“, die „Belebung der Innenstädte“ oder die und der seelischen Erhebung zu ermöglichen. „überörtliche Sichtbarkeit der jeweiligen Kommune Solche Ausnahmen zugunsten von Arbeiten „für den als attraktiver und lebenswerter Standort“ nennt, so Sonntag“ bedürfen eines gewichtigen Sachgrundes, scheint mir das nicht auf den Schutz eines gewichtigen bloße wirtschaftliche Umsatzinteressen der Verkaufs- öffentlichen Interesses hinauszulaufen. In Wirklichkeit stelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse geht es hier wohl um das gewöhnliche „Shopping-Inte- – sogenanntes Shoppinginteresse – potentieller Käu- resse“ auf der Kundenseite und das allgemeine Umsatz- fer genügen nach der Rechtsprechung des Bundesver- und Erwerbsinteresse auf Seiten des Handels, wobei 8 Der Sonntag muss frei bleiben
auch zu fragen ist, ob diese Belange erweiterte Aus- Als Resümee kann man daraus schließen, dass die nahmeregelungen zu rechtfertigen vermögen, könnte Rechtsprechung das normale „Shopping-Interesse“ der doch mit diesen Argumenten die Ladenöffnung an allen Verbraucher nicht als hinreichend gewichtig erach- Sonntagen propagiert werden. tet, um die verfassungsrechtliche Grundentscheidung der Sonntagsruhe zu durchbrechen. Dass das Einkau- fen heutzutage nicht allein und nicht vorrangig einer 3. Umsetzung in der Praxis gewissermaßen unaufschiebbaren Bedürfnisbefriedi- gung dient, sondern von vielen Verbrauchern zuneh- Die relativ strikten Vorgaben des Bundesverfassungsge- mend als Ausfluss der Freizeitgestaltung empfunden richts werden von der Fachgerichtsbarkeit, also insbe- wird, reicht für eine verfassungsrechtliche Rechtferti- sondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit, inzwischen in gung einer Durchbrechung des Sonntagsschutzes nicht verfassungsrechtlich gebotener Weise strikt umgesetzt. aus. Ausnahmen vom Sonntagsschutz kann es nur dort So hat beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht geben, wo eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit schon vor geraumer Zeit eine Rechtsverordnung einer dafür besteht. Nur diejenigen beruflichen Tätigkeiten bayerischen Gemeinde zur Freigabe der Ladenöffnung dürfen am Sonntag ausgeübt werden, die für das so- an einem Marktsonntag für rechtswidrig und unwirk- ziale Zusammenleben der Gesellschaft unverzichtbar sam erachtet. Die einschlägige gesetzliche Grundla- sind. Sonntagsschutz ist Freiheitsschutz, Freiheiten dür- ge im Ladenschutzgesetz sei verfassungskonform aus- fen nur beschränkt oder genommen werden, wenn ge- zulegen und gestatte die Öffnung von Verkaufsstellen wichtige Gründe des Gemeinwohls sowie die Wahrung mit uneingeschränktem Warenangebot nur dann, wenn grundrechtlich geschützter Belange Anderer von gleich der Markt und nicht die Ladenöffnung den öffentlichen hohem Range dies erforderlich machen. Charakter des Tages präge. Es müsse also der Markt für sich genommen und nicht erst aufgrund der Ladenöff- Wirtschaftliche Gruppeninteressen genügen dafür ebenso nung einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, wenig wie der Drang zur unbeschränkten Bedürfnisbefrie- der die zu erwartende Zahl der Ladenbesucher über- digung, egoistischen Selbstverwirklichung und schranken- steige. Die sonntägliche Ladenöffnung dürfe also nur losen Beliebigkeit interessierter Kunden – zu Lasten von einen Annexcharakter im Verhältnis zu einer sonntäg- Freiheit und Freiheitsentfaltung vieler anderer Menschen. lich stattfindenden Veranstaltung haben. In einer Entscheidung vom November 2014 hatte das 4. Schlussbemerkung Bundesverwaltungsgericht sich mit Ausnahmen zum Arbeitsschutz und dem dort geregelten Sonntags- Mit dem modischen Schlagwort „Industrie oder Arbeits- schutz zu befassen. Grundsätzlich dürfen nach dem Ar- welt 4.0“ wird sehr wahrscheinlich eine Arbeitswelt ge- beitszeitgesetz des Bundes Arbeitnehmer an Sonn- und meint sein, die noch stärker als manche es jetzt erahnen Feiertagen nicht beschäftigt werden. Neben den im Ge- können digital und global vernetzt sein wird. Die In- setz selbst geregelten Ausnahmen enthält § 13 des ge- dividualisierung der Lebensstile wird vermutlich weiter nannten Gesetzes Verordnungsermächtigungen an die zunehmen, ebenso die religiöse, kulturelle und soziale Bundesregierung beziehungsweise an die Landesregie- Pluralität der Gesellschaft. Macht es da noch Sinn, mit- rungen, Ausnahmen vorzusehen, etwa in Betrieben, in tel- oder gar langfristig auf die in diesem Land rechtlich denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- verankerte und geprägte Sonntagskultur zu setzen? Ich oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an die- meine schon. Gerade in heutiger Zeit, mit ihren gewal- sen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der tigen sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Ver- Bevölkerung erforderlich ist. Das Bundesverwaltungs- änderungen, bedingt nicht zuletzt aufgrund der Mi- gericht hat in Befolgung des vom Bundesverfassungs- grationsbewegungen, wird mit gewissem Recht auf die gericht aufgestellten Prinzips von Regel und Ausnahme Bewahrung und Durchsetzung der vom Grundgesetz in der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonnta- konstituierten Werteordnung gesetzt. Zu dieser verfas- gen in Videotheken und in der nicht weiter eingegrenz- sungsrechtlichen Werteordnung gehört aber unzweifel- ten Beschäftigung in Call-Centern keine solchen zuläs- haft der hier diskutierte Sonntagsschutz. Die Berufung sigen Ausnahmen erachtet. Sie seien zur Befriedigung auf die grundgesetzlichen Wertentscheidungen darf täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortre- nicht auf eine subjektive Beliebigkeit und eine subjek- tender Bedürfnisse der Bevölkerung nicht erforderlich, tiv-selektive Ausblendung derjenigen Werte hinauslau- um Schäden zu vermeiden. fen, die einem persönlich möglicherweise nicht passen. Der Sonntag muss frei bleiben 9
Ein Tag Ruhe! Sonntagsschutz und Ladenschluss Vortrag von Friedrich Kühn 1. Sonn- und Feiertagsschutz • Auch gesellschaftliche Gruppen sind auf den Sonn- tag als kollektiv freien Tag angewiesen. Zu nennen sind Im Grundgesetz heißt es zum Sonn- und Feiertagsschutz: Sportvereine, Gewerkschaften, Parteien und andere Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage Gruppen, die für ihr Funktionieren darauf angewiesen, bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhe- dass es einen einheitlichen freien Tag in der Woche gibt. bung gesetzlich geschützt. (Art. 140 GG i. V. m. 139 WRV) • Auch die Demokratie bedarf eines einheitlich freien Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hebt im Hin- Tages. Hinzuweisen ist auf die Wahlen aber auch auf blick auf die Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschut- sonstige Möglichkeiten der Organisation. zes unter anderem folgende Aspekte besonders hervor (vgl. BVerfG Urteil vom 01.12.2009, 1 BvR 2857/07): • Ein wesentliches Kernelement des Sonntagsschut- zes stellt die Gesundheit dar. Der Mensch ist auf den • „Der Sonn- und Feiertagsgarantie kann ein besonderer Wochenrhythmus angewiesen. Die Herausnahme aus Bezug zur Menschenwürde beigemessen werden, weil dem kollektiven Wochenrhythmus führt zu nachhal- sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze zieht tigen Gesundheitsschäden im physischen und psychi- und dem Menschen um seiner selbst willen dient.“ schen Bereich. • Der Sonntagschutz ist nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonntage beschränkt. Daraus folgen die Grundprinzipien: Vielmehr weist der Sonntagsschutz eine sozialpoli- tische Dimension auf und zielt damit auch auf die Ver- • Der Sonntag soll sich von den übrigen Werktagen da- folgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, durch unterscheiden, dass der Sonntag in aller Regel der Besinnung, der Erholung und der Zerstreuung. frei von werktäglicher Geschäftigkeit ist. • Ganz entscheidend für die Bedeutung und den Wert • Grundsätzlich gilt ein Arbeitsverbot an Sonntagen. des Sonntags ist die kollektive Ruhe an diesem Tag. Maßgeblich ist, dass grundsätzlich alle Menschen an Von diesen beiden vorgenannten Prinzipien kann es dem gleichen Tag nicht arbeiten müssen. Den einzel- Ausnahmen im Interesse des Sonntags selbst (Arbeit nen Aspekten des Sonntagsschutzes wäre nicht in für den Sonntag, z. B. Beschäftigte im Theater, Kantor, gleicher Weise gedient, wenn jeder Mensch an einem Restaurantmitarbeiter) oder im Interesse der Gewähr- beliebigen Tag in der Woche frei hätte. leistung anderer verfassungsrechtlicher Ansprüche (Ar- beit trotz des Sonntags, z. B. Krankenhäuser, Polizei, • Der Sonntag soll dem kirchlichen Leben dienen und Feuerwehr) geben. übernimmt insoweit das Feiertagsgebot. Damit wird si- chergestellt, dass das religiöse Leben stattfinden kann. In jedem Fall ist ein hinreichender Sachgrund erfor- derlich, der es in Anbetracht der besonderen Bedeu- • Der einheitliche freie Tag ist Grundlage für das Leben tung des Sonn- und Feiertagsschutzes rechtfertigt, den in der Familie. Wenigstens an einem Tag in der Wo- Sonn- und Feiertagsschutz zu suspendieren. che kann man in der Regel davon ausgehen, dass Fa- milien und Eheleute füreinander Zeit haben. Sonntagsöffnungen sind im Hinblick auf die Durchbre- chung der Sonntagsruhe wegen ihrer Breitenwirkung besonders kritisch zu bewerten. Gerade Sonntagsöff- 10 Der Sonntag muss frei bleiben
nungen vermitteln den Eindruck einer werktäglichen den jeweiligen Sonntagen arbeiten mussten, konn- Geschäftigkeit und sind verbunden mit hohem Ver- ten die Gestattungen von Sonntagsöffnungen vor den kehrsaufkommen, Lärm, Luftverschmutzung, allgemei- Verwaltungsgerichten angreifen. Gleiches galt für Be- ner Unruhe etc. schäftigte in anderen Bereichen. Ganz besondere Bedeutung hat der Sonntagsschutzes für die Beschäftigten im Einzelhandel auch deshalb, weil Durch die Entscheidung des BVerfG im Jahr 2009 wur- der Sonntag im Einzelhandel aufgrund der Ausweitung den einigen Mitgliedsorganisationen der „Allianz für der werktäglichen Öffnungszeiten als letzter Tag ver- den freien Sonntag“ (ver.di, kirchliche Organisationen) bleibt, an dem die Beschäftigten regelmäßig frei haben. die Möglichkeit eröffnet, den Sonntagsschutz im ei- Sonntagsöffnungen haben eine erhebliche Ausstrah- genen Namen in gerichtlichen Verfahren durchzuset- lungswirkung. Sie erfordern weiterführende Beschäf- zen. Insbesondere ver.di, aber auch andere Organisa- tigung in anderen Bereichen (Polizei, Parkhäuser, Ord- tionen haben seitdem zahlreiche Verfahren geführt, nungsdienste, Zulieferungen etc.) und wirken wegen um die Rechtsmäßigkeit von Sonntagsöffnungen, aber des Verkehrs weit über den Bereich hinaus, in dem die auch von Sonntagsarbeit in anderen Bereichen prü- Geschäfte geöffnet haben. fen zu lassen und den Sonntagsschutz durchzusetzen. Dies führte in der Folge zu einer deutlichen Aufwertung Sonntagsöffnungen sind daher nur unter engen Vo- des bis dahin wenig beachteten verfassungsrechtlichen raussetzungen verfassungsrechtlich zulässig. Wichtige Sonn- und Feiertagsschutzes. Kriterien dabei sind: Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammen- • Es bedarf in jedem Einzelfall eines besonderen Sach- hang folgende Entscheidungen: grundes, der es in Anbetracht der Bedeutung des Sonntagsschutzes rechtfertigt, für einen bestimmten BVerwG, Urteil vom 26.11.2014, 6 CN 1/13 räumlichen Bereich und bezüglich bestimmter Waren eine Ausnahme vom Öffnungsverbot an Sonntagen Aufhebung einer Verordnung (Hessische Bedarfsgewer- zu gestatten. beverordnung), welche die Beschäftigung von Mitar- beitern an Sonntagen in Dienstleistungsunternehmen • Je weiter die sonstigen Öffnungsmöglichkeiten sind, (Callcenter) und anderen Bereichen (z. B. Videotheken) umso geringer ist das Bedürfnis für zusätzliche Öff- gestattete. nungszeiten an Sonn- und Feiertagen. • Wirtschaftliche Interessen der Händler oder das all- tägliche Einkaufsinteresse der Kunden können eine Sonntagsöffnung in keinem Fall rechtfertigen. • Bei anlassbezogenen Sonntagsöffnungen z. B. im Zu- sammenhang mit Messen und Märkten muss sich die Anlassveranstaltung nach außen als prägend für den Sonntag erweisen. Die Sonntagsöffnung darf nur als Annex erscheinen. Der Einschätzung zur prägenden Wirkung muss, auch bei erstmals stattfindenden Er- eignissen, eine schlüssige und vertretbare Prognose zugrunde liegen. 2. Juristische Auseinandersetzungen um den Sonntagsschutz Bis zur Entscheidung des BVerfG im Jahr 2009 (Ur- teil vom 01.12.2009, 1 BvR 2857/07) lag der Sonn- tagsschutz eher in einem „Dornröschenschlaf“. Allen- Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht falls Mitarbeiter von betroffenen Geschäften, die an Dr. Friedrich Kühn Der Sonntag muss frei bleiben 11
BVerwG Urteil vom 11.11.2015, 8 CN 2/14 schaftsrecht. Diese beiden Regelungsbereiche fallen hin- sichtlich der Kompetenzzuordnung auseinander. Für die Deutliche Anhebung der Voraussetzungen für die Zu- wirtschaftsrechtlichen Regelungen (Öffnung der Ge- lassung von anlassbezogenen Sonntagsöffnungen. schäfte) besteht eine ausschließliche Kompetenz der Län- der. Der arbeitsrechtliche Teil des Ladenschlussrechtes (Be- BVerwG Urteil vom 17.05.2017, 8 CN 1/16 schäftigung von Mitarbeitern) fällt in die konkurrierende Gesetzgebung. Hier sind die Länder regelungsbefugt, so- Bestätigung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom weit der Bund von der Kompetenz keinen Gebrauch ge- 11. November 2015 und Übertragung der Grundsätze macht hat (BVerfG Urteil v. 14.01.2015, 1 BvR 931/12). auf Sonntagsöffnungen, die im Interesse des Gemein- wohls gestattet werden können. Eine Kompetenz der Länder zur Regelung der Arbeits- zeiten im Einzelhandel ist mithin nur gegeben, soweit OVG Bautzen, Beschluss vom 11.12.2015, 3 B die umfassenden Regelungen in § 9 ff ArbZG und § 17 369/15; OVG Münster, Beschlüsse vom 18.12.2015, LadSchlG Raum für weiterführende Regelungen lassen. 4 B 1463/15; 4 B 1465/15; VGH München Beschluss Weitergehend bedeutet in diesem Zusammenhang je- vom 18.12.2015, 22 CS 15.2716 doch ausschließlich, dass ein Mehr an Schutz gewährt wird. Eine Unterschreitung des vom Bundesgesetzge- Aufhebung von Ausnahmegenehmigungen zur Sonn- ber vorgezeichneten Schutzniveaus ist hingegen aus- tagsarbeit bei Amazon an Sonntagen an insgesamt vier geschlossen. Damit stellt der durch § 17 LadSchlG vor- Standorten. gegebene Schutz vor Sonn- und Feiertagsarbeit das Mindestniveau dar, welches vom Landesgesetzgeber im Ladenschlussrecht nicht unterschritten werden kann. 3. Aktuelle Forderungen Bei einer Erweiterung der Zulässigkeit von Sonntags- öffnungen kann dies dazu führen, dass ein Öffnen der Derzeit werden in Reaktion auf die vielen erfolgreichen Geschäfte an einzelnen Sonntagen gestattet ist, eine Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Sonntags- Beschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern öffnungen Forderungen nach einer Ausweitung und in den Geschäften aber nicht erfolgen kann. Vereinfachung der Möglichkeiten für die Freigabe von Sonntagsöffnungen erhoben. So soll zum einen die Zahl „Öffentliches Interesse“ zur Begründung von Sonn- der maximal zulässigen Sonntagsöffnungen angehoben tagsöffnungen werden. Zum anderen sollen die gesetzlichen Voraus- setzungen vereinfacht werden, indem der bisherige An- Der teilweise vermittelte Eindruck, der Gesetzgeber sei lassbezug durch die Benennung im „öffentlichen Inte- bei der Benennung bzw. Entwicklung „öffentlicher Inte- resse“ liegender Ziele ersetzt wird. ressen“, die eine Sonntagsöffnung rechtfertigen können, weitgehend ungebunden, ist nicht zutreffend. Hauptargument für die Forderung ist der Schutz des stationären Handels vor der Onlinekonkurrenz und da- Eine ausnahmsweise Gestattung von Sonn- und Feier- mit verbunden eine Sicherung der Existenz des statio- tagsöffnungen im „öffentlichen Interesse“ ist zwar grund- nären Handels an sich. Darüber hinaus soll die Verein- sätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Eine Öffnung im fachung der Regelungen zu mehr Rechtssicherheit und „öffentlichen Interesse“ setzt aber gleichwohl voraus, dass weniger Gerichtsverfahren führen. ein konkreter Sachgrund vorliegt, der es in Anbetracht der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Sonntagsschutzes, der selbst im öffentlichen Interesse liegt, rechtfertigt, im 4. Kritik an den Forderungen Einzelfall eine Ausnahme von der Sonntagsruhe zu gestat- ten. Soweit mit der Öffnung ein als öffentliches Interesse Den Forderungen ist unter Beachtung der nachfol- anerkanntes Ziel verfolgt wird, muss die Öffnung zur Ziel- genden Punkte kritisch zu begegnen: erreichung geeignet, erforderlich und im Einzelnen ange- messen sein. Regelungskompetenz Als „öffentliches Interesse“ werden im Zusammenhang (…) Das Ladenschlussrecht betrifft seit jeher zwei Re- mit Sonntagsöffnungen zum Beispiel der Schutz des sta- gelungsmaterien: das Arbeitsschutzrecht und das Wirt- tionären Handels vor der Onlinekonkurrenz oder auch die 12 Der Sonntag muss frei bleiben
Erhaltung der Attraktivität der Innenstädte genannt. Hier • Die Attraktivität von Innenstädten noch stärker von gilt es folgendes zu bedenken: Geschäftsöffnungen abhängig zu machen, verringert die Chance, dass vom Einzelhandel unabhängige Akti- • Der Onlinehandel unterliegt den wesentlich strenge- vitäten zu einer Steigerung der Attraktivität insbeson- ren Regeln des Arbeitszeitgesetzes. Damit ist eine Be- dere auch außerhalb von Öffnungszeiten beitragen. schäftigung von Mitarbeitern an Sonn- und Feierta- gen im Onlinehandel grundsätzlich ausgeschlossen. • Die Attraktivität von Innenstädten wird insbesonde- Eine Privilegierung des stationären Handels führt zu re für Menschen, die sich von einer werktäglich ge- weiteren Wettbewerbsverzerrungen. prägten Wochen erholen wollen, nicht dadurch ge- steigert, dass diese auch noch an Sonntagen durch • Der Schutz vor Konkurrenz ist gemäß der Rechtspre- Ladenöffnungen werktäglich geprägt werden. chung grundsätzlich nicht als Allgemeinwohlbelang einzustufen. • Selbst wenn man „öffentliches Interesse“ anerkennt, wäre im Einzelfall nachzuweisen, dass die konkrete • Ein Eingriff in den Wettbewerb zu Gunsten eines Sonntagsöffnung zur Erreichung des Ziels geeignet, er- Wettbewerbers bedarf eines gewichtigen Sach- forderlich und im Einzelnen angemessen ist. grundes, der nicht allein im Schutz des Wettbewer- bers an sich bestehen kann. Dies bedeutet, es bestehen schon Zweifel daran, dass die wiederkehrend genannten Ziele als Gemeinwohlziele (öf- • Die allermeisten Onlineangebote stammen von Un- fentliches Interesse) anzuerkennen sind und nicht viel- ternehmen, die selbst gleichzeitig stationären Handel mehr bestimmten Einzelinteressen entsprechen. Darüber betreiben. hinaus wären zusätzliche Sonntagsöffnungen im Hin- blick auf die Erreichung der Ziele wohl nicht als geeignet, • Eine Erweiterung der Einkaufsmöglichkeiten an ein- erforderlich und angemessen anzusehen. zelnen Sonn- und Feiertagen ist nicht geeignet, die Nachteile auszugleichen, die dem stationären Ein- Rechtssicherheit zelhandel dadurch entstanden sind, dass sich der Gesamtumsatz im Handel nunmehr auf stationären Das Ziel, den Gemeinden mehr Rechtssicherheit bei der Handel und Onlinehandel verteilt. Gestattung von Sonn- und Feiertagsöffnungen zu ver- schaffen, wird durch die angestrebten Regelungen nicht • Mit einer Verlängerung der Einkaufszeiten bei im We- erreicht (…) Insbesondere die zahlreichen Unbestimmt- sentlichen gleichbleibendem Umsatz wird der Ver- heiten innerhalb der vorgeschlagenen Regelungen, aber drängungswettbewerb im stationären Handel weiter auch die Ausblendung der verfassungsrechtlichen Vor- verstärkt. Dies geht vor allem zu Lasten der inhaber- gaben dürften dazu führen, dass sich wieder vermehrt geführten Geschäfte, was wiederum die Vereinheitli- die Verwaltungsgerichte mit Fragen der Sonntagsöff- chung der Innenstädte bis hin zur Austauschbarkeit nungen beschäftigen werden. Schließlich würden es die vorantreibt. geforderten Neuregelungen erfordern, in jedem Einzel- fall zu prüfen, ob die konkrete Sonn- bzw. Feiertags- • Die aufgrund einer Verlängerung der Öffnungszeiten öffnung geeignet und erforderlich ist, dem öffentli- bei im Wesentlichen gleichbleibenden Umsätzen an- chen Interesse zu dienen und ob sie im Hinblick auf den fallenden Mehraufwendungen der Einzelhändler wer- Beitrag, den die Sonn- bzw. Feiertagsöffnung zur Er- den in der Regel über die Personalkosten ausgeglichen. reichung des Ziels leisten kann, im konkreten Fall an- Dies führt dazu, dass die Zahl existenzsichernder Ar- gemessen ist. Auch dies dürfte die Gemeinden vor er- beitsplätze in dem Bereich eher abnimmt. hebliche Probleme bei der Anwendung der Regelungen stellen. • Die Probleme des innenstädtischen Handels sind nicht auf fehlende Sonntagsöffnungen zurückzuführen. Der Rechtssicherheit wäre im Übrigen wesentlich mehr Maßgeblich ist zum einen die Konkurrenz auf der „grü- gedient, wenn die Rechtsaufsichtsbehörden ihrer Auf- nen Wiese“. Zum anderen wurden die Öffnungszeiten sichtspflicht in diesem Bereich nachkämen und die Ge- und die Ladenflächen bei kaum steigendem Umsatz meinden anhielten, sich an die gesetzlichen Vorgaben in den vergangen Jahren erheblich erweitert, was zu zu halten. Bisher wird diese Funktion von der „Allianz einem nicht rentablen Überangebot geführt hat. für den freien Sonntag“ ausgeübt. Der Sonntag muss frei bleiben 13
Der Sonntag muss frei bleiben, weil … Auswahl aus über 2000 Statements, die auf der Petitions- plattform www.change.org/sonntag veröffentlicht wurden »Sonntag ist der einzige fixe Tag mit dem Partner! Jeder der im Handel arbeitet, weiß was das bedeutet! Wenn das passiert, dann kommen 24-Stunden-Öffnungszeiten. Wir sollten uns selbst schützen.« Ramona Dronik-Nöker »… ich als Psychotherapeutin schon genug Stresssymptome behandeln muss.« Dr. Sabine Laber-Szillat »‘Und Gott segnete den siebenten Tag …‘ (1. Mose 2,3). Wann soll denn sonst Familienleben und Gemeinschaft stattfinden?« Petra Heeb, Landessynodale und selbstständige Floristin »… ich es wichtig finde, auf den Rhythmus und die Balance von Arbeit und Freizeit in einer immer weiter verdichteten Zeit zu achten.« Barbara Kittelberger, Ev. Stadtdekanin München »Sonntags gehört der Papa mir.« Benjamin Pracht »Dem Einzelhandel helfen keine verkaufsoffenen Sonntage. Der Einzelhandel kann nur gegen den Onlinehandel anstinken, wenn endlich wieder in Fachkräfte und ordentliche Ausbildung investiert wird.« Claudia Hutwelker »Wenn Beruf und Arbeitswelt immer mehr an Flexibilität und Dynamik mit sich bringen, werden verlässliche Räume für gemeinsame Zeit – in der Familie, mit Freunden, im Verein wie in der Kirche – umso wichtiger und notwendiger.« Dr. Elfriede Schießleder, Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes, Bayern »… der Kaufwahn genug Tage hat« Markus Fuß 14 Der Sonntag muss frei bleiben
»Gegen die Uniformierung durch Konzerne - für den Erhalt des abwechslungsreichsten Tags der Woche!« Tatjana Fuchs, Soziologin »Es muss doch möglich sein, einen einzigen Tag auf Konsum verzichten zu können.« Murad Sehili »... der Sonntag das Tafelsilber jeder christlichen wie familienfreundlichen Gesellschaft ist. Auch daran lässt sich Wertebewusstsein messen.« Alex Dorow, Bayerischer Landtagsabgeordneter »… ein Tag in der Woche frei von Kommerz sein muss.« Heiner Birner, ver.di-Geschäftsführer München »… der Sonntag der einzige feste Zeitanker für im Handel Beschäftigte ist.« Pankraz Görl, Betriebsrat »Am Sonntag erfahre ich mich als ein Geschöpf Gottes, das mit anderen Mitgeschöpfen Gemeinschaft haben will. Das gelingt aber nur, wenn der Sonntag ein ökonomiefreier Tag für uns alle bleibt.« Dr. Johannes Rehm, Ev. Pfarrer und Leiter des kda Bayern »… ich im Einzelhandel arbeite. Der Sonntag wird als Ruhetag gebraucht und ist Teil unseres christlichen Erbes ist, welches geschützt werden sollte.« Stella Althoff »… unsere Gesellschaft den Sonntag als gemeinsamen Tag der Ruhe, der Begegnung und des Austauschs und auch der politischen Diskussion braucht.« Peter Hartlaub, Betriebsseelsorger »Der Schutz des Sonntages ist ein notwendiger Schutz für die Menschen und eine gesamtgesellschaftliche Fragestellung. Das Grundgesetz ist eindeutig.« Sandro Witt, stellv. Vorsitzender DGB Bezirk Hessen-Thüringen »… Familien dringend Zeit für gemeinsame Aktivitäten, Gespräche und Unternehmungen brauchen. Zudem birgt der offene Einkaufssonntag die große Gefahr der Einführung regelmäßiger Sonntagsarbeit auch in anderen Bereichen der Wirtschaft.« Dr. Gertraud Burkert, Münchner Bürgermeisterin a.D. »Da ich selbst oft sonntags arbeite, nur damit Menschen trotzdem noch einkaufen gehen können, unterschreibe ich hier, damit für andere der Sonntag hoffentlich frei bleibt.« Indra Krüger »Ein regelmäßiger freier Tag, den niemand im Kalender notieren muss, ist wichtig und notwendig. Entschleunigung und Gemeinschaftsleben sind angesagt und da kommt der Sonntag genau recht. Deshalb: Hände weg vom Grundgesetz!“ Andreas Luttmer-Bensmann, Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung »Ich arbeite in der Pflege und weiß, was es bedeutet an Sonntagen zu arbeiten. Soziale Kontakte und die Familie leiden sehr darunter.« Christoph Müller »Es ist menschenunwürdig, alles, aber auch alles den Götzen Geld und Kommerz zu opfern.« Herdana von Fraunberg »Sonntagsruhe im weitesten Sinne ist ein Muss! Und das sagt einer, der regelmäßig sonntags arbeiten muss!« Volker Schaffranke, Journalist, ARD-Hauptstadtstudio »… der Sonntag mir heilig ist!« Christa Stewens, Bayerische Staatsministerin a.D. Der Sonntag muss frei bleiben 15
siehe 2.Mose 20,8-11
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