Der Tag 4 - Momentum Kongress
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Kritik 4 Der Tag Momentum16: Ein Ausblick Inhalt POLITISCHER SPRENGSTOFF. Zwei Trackleiterinnen und eine Kongressleiterin diskutieren bei Moment am Mittagstisch Das Momentum15 neigt Entwicklung einer egalitären über Herausforderungen und sich dem Ende zu. Doch kein Gesellschaft nachgedacht und Perspektiven der Arbeit. Grund zur Panik! Auch nächs- diskutiert. ... mehr auf Seite 4 & 5 ten Herbst treffen wieder rund 300 Wissenschafter_innen, po- Eingeladen sind all jene, die litisch Engagierte sowie Men- sich gerne Gedanken über die schen aus unterschiedlichen Weiterentwicklung unserer gesellschaftlichen Bereichen Gesellschaft aus einer progres- FREIE beim Momentum-Kongress siven Perspektive machen. Die ZEIT. zusammen, um gemeinsam Form der Beiträge kann vari- Arbeit als Ausbeutung: Wir ar- beiten immer mehr. über progressive Alternativ- ieren: Neben Forschungspa- konzepte nachzudenken. pieren und Policy Papers sind ... mehr auf Seite 6 & 7 auch Praxisberichte aus dem Auf Kritik als Generalthema Arbeitsalltag gerne gesehen. dieses Jahr folgt 2016 Macht. Von 13. bis 16. Oktober wird Der Call for Papers läuft ab so- über Vorraussetzungen für die fort bis 14. April 2016. WAS IST KRITIK? Abreiseinformation: Rahel Jaeggi und Tilo Wesche Für alle, die sich für den Mo- Die Bushaltestelle befindet versuchen Antworten zu liefern. mentum-Bus nach Wien über sich am Ende der Seestraße ... mehr auf Seite 8 Linz angemeldet haben, ist die gleich neben dem Schranken. Abreise um 12.00 Uhr am Parkplatz am Ende der See- Bus: SV170 nach Steeg Gosau straße. Falls jemand doch nicht über Bad Goisern nach Bad mit dem Bus zurück fährt aber Ischl angemeldet ist, bitte beim Or- ganisationsteam melden (es Abfahrtszeiten: gibt bereits eine Warteliste). 10.55 Uhr 12.21 Uhr OEBB-Reisende: 12.55 Uhr ACHTUNG! Boots- bzw. 14.21 Uhr Schienenersatzverkehr! IMPRESSUM: Momentum - Verein für kritische Wissenschaft und Politik Redaktion: Flora Eder (FE), Anna Ellmer (AE), Vanessa Gaigg (VG), Johanna Griesmayr (JG), Amina Lehner (AL) Layout: Susi Aichinger, Fotos: Org-Team, Clemens Sauerwein, Amina Lehner
Kritik Hinter den Kulissen Während in den Tracks fleißig präsentiert, disku- tiert und Kritik geübt wird, sorgt das Organisa- tionsteam rund um Sabine Wandl für einen rei- bungslosen Ablauf des Kongresses. Sie sind die ersten die Aufste- touren und Fragen aller Art – hen und die letzten, die am von A wie Abreise, bis Z wie Abend ins Bett kommen. Das Zigaretten. Auch bei kleineren Org-Team ist rund um die Uhr und größeren Problemen hel- im Einsatz. In aller Frühe wird fen sie gerne weiter. Sei es ein die Zeitung ausgetragen, denn Pflaster für kleine Wehweh- das Frühstück ist derMoment chen oder Kopfwehtablette des Tages, da darf eine qua- nach durchdiskutierten Näch- litativ hochwertige Lektüre ten – das Org-Team ist da, natürlich nicht fehlen. Enden wenn man es braucht. tut ihr Tag erst, wenn alle Teil- nehmer_innen wieder zurück Als einzige Angestellte des ins eigene Bett gefunden haben Vereins Momentum hat Sa- und die druckfrische Zeitung bine das ganze Jahr über viel für den nächsten Tag bereit zu tun. Bereits eineinhalb Jah- liegt. Aber auch dazwischen re im Vorfeld beschließt der gibt es immer was zu tun. Vorstand die inhaltliche Aus- richtung des nächsten Kon- Während die An- und Abreise- gresses. Operativ ist es dann tage Großkampftage sind, sieht sie, die alles möglich macht: man das Org-Team während Von der Keynote bis hin zum tag Abend vor Ort, damit alles Das sechsköpfige Org-Team ar- dem Kongress auch mal ent- Momentum-Bus ist sie für die steht, bevor die ersten Busse, beitet rund um die Uhr im Hin- spannt in der Sonne stehen – Organisation verantwortlich. Autos und Boote mit Teilneh- tergrund, damit der Kongress ein allzeit bereit versteht sich. Für Gemeinsam mit Wolfgang und mer_innen an Board in Hallsatt Erfolg wird. Abholfahrten, Versorgungs- Demir ist sie schon seit Mon- eintreffen. (JG) Jill ist anders Jill ist neu in der Klasse und was tersexualität auseinandersetzt. büchern die Existenz von Kritik für Kinder sie „anders“ macht, ist, dass sie Geschrieben für den Bildungs- zwischengeschlechtlichen weder Junge noch Mädchen ist. kontext - für Kindergarten und Menschen zu thematisieren. Jill ist intersex oder: zwischen- Volksschule - handelt es auch Es erklärt auf altersgerechte, geschlechtlich. Was bedeutet genau dort. Als Jill neu in die schöne und einfache Weise, das? Gemeinsam begeben sich Klasse kommt, versuchen die dass es Menschen gibt, die die Kinder auf die Suche nach anderen Kinder, ihn einem der weder Junge noch Mädchen Antworten auf die Fragen: Was beiden Geschlechter zuzuord- sind und dass „eindeutige“ Zu- macht Jungen, was macht Mäd- nen. Doch das ist schwieriger weisungen und das System der chen aus? Kann mensch ein- als gedacht: Denn in Stereo- Zweigeschlechtlichkeit (für fach „dazwischen“ sein? type und Geschlechterrollen Kinder) nicht notwendig sind. lässt sich keines der Kinder in (AL) Mit Jill ist anders hat Ursula der Klasse wirklich zwängen. Jill ist anders, Rosen das erste deutschspra- Ursula Rosen chige Kinderbuch verfasst, Jill ist anders zeigt, dass es Salmo Verlag, 44 Seiten das sich mit dem Thema In- nicht schwer ist, in (Kinder) für Kinder ab 4 Jahren SEITE 3
Kritik 4 Der Tag „Das ist Sprengstoff“ Bei Moment am Mittagstisch diskutierten Barbara Blaha, Sandra Breiteneder und Katja Mayer über die zunehmende Prekarisierung der Arbeitswelt, die Si- tuation von AsylwerberInnen am Arbeitsmarkt und wie eine subversive Kritik am Arbeitsbegriff ausse- hen könnte. Barbara Blaha: Auch in Kultur Barbara: Das Prekariat hat sich und Wissenschaft kommt es ausgeweitet und erreicht mitt- zu einer Destabilisierung von lerweile auch gebildete Schich- Arbeitsverhältnissen. Werk- ten. Es reicht von Working verträge werden zum Regel- Poor, der Billa-Angestellten bis vertrag, um Lohnnebenkosten hin zur Uni-Absolventin. zu verhindern. Und Arbeiten im Wissenschaftsbereich – das Sandra: Hinzu kommen Ent- muss man sich erst leisten kön- lassungswellen, die den Druck nen. Vollzeitanstellungen vor erhöhen. Und neue Formen 30 oder 35 Jahren sind unrea- der Heimarbeit, von gering wie listisch. Permanent ohne Pers- gut ausgebildeten Personen. pektive und immer am Sprung Barbara Blaha ist politische Lei- derMoment: Welche aktuellen zu sein, bringt auch eine hohe Vor welche Probleme stellt terin des Momentum-Kongres- Tendenzen in eurem persön- psychische Belastung mit sich. Prekarisierung die Gewerk- ses, der heuer zum achten Mal lichen Arbeitsumfeld stellt ihr schaften? stattfindet. derzeit fest? Katja Mayer: Im Wissen- schaftsbereich kommt die Sandra: Es ist wichtig, die Sandra Breiteneder: Als Geschlechterschere hinzu. Leute zu organisieren, denn GPA-djp bemerken wir eine Eine weitere neue Herausfor- das Problem ist, dass das ei- Prekarisierung der Arbeit: derung bringen die Bachelor- gentlich nicht die Kernschich- Arbeitsverhältnisse werden Abschlüsse: Was macht man ten der Gewerkschaften sind. gestrichen, Vollzeitarbeit ver- damit am Arbeitsmarkt? Zu- Für uns stellt sich die Frage: hindert, Flexibilisierung gefor- mindest ein positiver Aspekt Wie können sie inkludiert dert. Bei Kollektivvertragsver- ist zu bemerken: Die jungen werden in Arbeitsverhältnisse, handlungen wird die Situation Generationen gehen emanzi- in Kollektivvertragslöhne und immer härter. Zusätzlich zur pierter mit ihren Beiträgen um Sozialversicherungssysteme? Prekarisierung kommt die und kämpfen für eine Aner- Tendenz im grenznahen Be- kennung ihrer Arbeitsleistung. Ähnliches gilt vermutlich auch reich, in Billig-Nachbarlän- Diese Anerkennung drückt für Menschen auf der Flucht. dern zu produzieren. Wien ist sich aber selten finanziell aus. Wie öffnet man den Arbeits- daher betroffen, wenn in der markt für AsylwerberInnen? Slowakei der Mindestlohn bei Inwiefern unterscheidet sich zwei Euro liegt – für uns be- das heutige Prekariat von frü- Katja: So wie Flüchtlinge deutet das großen Druck. heren Formen? derzeit in den Medien darge- SEITE 4
Kritik stellt werden, macht man es Barbara: Mich regt das wahn- sich besonders schwer. Man sinnig auf. Ich will überhaupt sieht nur Mobs, die Barrika- nicht, dass auch nur einer eine den durchbrechen und von Vorlesung verpasst oder sei- PolizistInnen in voller Moni- ne Arbeitszeit dafür hergeben tur begleitet werden. So kann muss und sich das Innenmi- man keinen Rückhalt bekom- nisterium und die Regierung men. Es geht nicht nur um zurücklehnen und zuschauen. Spezifika des Arbeitsmarktes, Wieviel Arbeitszeit da verlo- sondern auch um Image und ren geht, bei der Arbeitslosen- Repräsentanz. quote! Das ist der Kernbereich der Politik und staatliche Ver- Barbara: Das für mich wich- antwortung, die nicht wahrge- Jahren aber versucht die GPA- Sandra Breiteneder ist Mitar- tigste Argument in der Debatte nommen wird. Dass die Regie- djp, Leute in prekären und fle- beiterin des Internationalen Se- ist: Arbeit schafft Perspektive rung hier so versagt, entsetzt xiblen Arbeitsverhältnissen zu kretariats der Gewerkschaft für und Integration. Wer keinen mich. vernetzen. Privatangestellte, Druck, Journa- Zugang zum Arbeitsmarkt hat, lismus, Papier (GPA-djp). wird niemals in dieser Gesell- Barbara, du hast im Zuge dei- Gibt es Bestrebungen, arbeits- schaft ankommen. Das ist der ner Eröffnungsrede gesagt, lose Menschen einzubinden Katja Mayer ist Soziologin und Schlüsselpunkt. dass Kritik für dich geistige und zu organisieren? arbeitet an der Schnittstelle Subversion ist. Was heißt das Wissenschaft - Technik - Gesell- Katja: Das sagt ja sogar die In- im Bezug auf Arbeitskritik? Sandra: Es ist eigentlich nicht schaft. Sie lehrt Wissenschafts- dustriellenvereinigung! unsere Zielgruppe. Mitglied und Technikforschung sowie Barbara: Wir müssen die Dis- kann man immer sein, aber Webwissenschaften an den Uni- Sandra: Innerhalb der Gewerk- kussion innerhalb der Linken es ist eine andere Sphäre. Ich verstitäten Wien und Linz. schaftsbewegung wird das dif- erweitern. Es gibt zum einen weiß allerdings, dass die größ- ferenziert diskutiert. Aber die das klassisch-sozialdemokra- te englische Gewerkschaft Position der GPA-djp ist klar: tische Arbeitsverständnis: arbeitslose Menschen organi- Wir sind für die Öffnung des Wenn du arbeitest, bist du et- siert. Sie werden community Arbeitsmarktzugangs. Auch was wert. Da reden wir immer members gennant und müssen weil Spracherwerb vor allem über Lohnarbeit. Wir müssen nur einen geringen Beitrag durch den Arbeitsplatz ver- das System der 38,5 Stunden- zahlen. Sie machen sehr viel mittelt wird. Allerdings werden Jobs neu denken. Da sind wir sogennante direct actions und Ängste geschürt, Asylwerbe- mitten drinnen in der Debat- vertreten Beschäftigte, die kei- rInnen seien LohndrückerIn- te um Arbeitszeitverkürzung. ne Aktionen machen können, nen. Das darf sich nicht reali- Außerdem: Was wird als Ar- weil die Gewerkschaftsrechte sieren, denn dann würde man beit definiert, was nicht? Wie so in Gefahr sind. Ängsten, die da sind, eine reale ist es um die Sichtbarkeit von Grundlage geben. Ein Grund Arbeit im unbezahlten Bereich Barbara: Nicht blöd! Man mehr, zu verhindern, dass die bestellt? Darüber gibt es viel muss sich überhaupt darüber Leute ausgebeutet werden. zu wenig Diskussion. Gerade Gedanken machen, was man in Bezug auf die Gewerkschaft, mit strukturell zehn Prozent Engagement wie jenes der die ja – was ich gut verstehen Arbeitslosen macht. Die Zei- Train-of-Hope-Bewegungen kann – noch immer sehr klas- ten der Vollbeschäftigung sind wird vor allem von Menschen sisch organisiert ist. vorbei. Sie werden aus der getragen, die sich die Zeit neh- Gesellschaft ausgeschlossen. men konnten und nicht voll- Sandra: Die Gewerkschaft ist Was heißt das für ihren Selbst- ständig im Erwerbsleben stan- eben die Organisation der Ar- wert und Identität? Wir haben den. Immer mehr Menschen beitnehmerInnen. Sie vertritt nichts für sie und richten ih- haben keine Zeit, sich neben die Interessen ihrer Mitglie- nen trotzdem ständig aus, dass der Lohnarbeit zu engagieren. der und es geht nicht wirklich sie selber Schuld seien. Das ist Wie geht man damit um? darüber hinaus. Seit ein paar Sprengstoff. (FE, VG) SEITE 5
Kritik 4 Der Tag Die Freiheit, die sie meinten „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung.“ ist zentrales Element im In- doch in der Regel letzteren teressenskonflikt zwischen zugute. Das zeige sich auch Unternehmer_innen und Ar- in der Paradoxie „mehr Druck beitnehmer_innen. Mit Zeit durch mehr Freiheit“, von der als zentralem Moment von moderne Arbeitsverhältnis- Verteilungskämpfen und der se zunehmend geprägt seien. damit einhergehenden Reg- Hielscher und Hildebrandt lementierung und Verrecht- folgend sprechen Berger und lichung von Arbeitszeit be- Ziolkowski von einem „Fle- schäftigen sich auch Christian xibilisierungsparadox“. Das Berger und Maria Ziolkowski Recht zur selbstbestimm- in ihrem Beitrag. Im Zent- ten Zeiteinteilung kollidiert rum steht dabei das ambi- demnach mit steigenden valente Verhältnis zwischen Arbeitsanforderungen. Die Zwang und Freiheit, zwi- scheinbar gewonnene Freiheit schen Fremdherrschaft und entpuppt sich als Zwang zur Selbstbestimmung, das jede Selbstoptimierung. Debatte um Regulierung und Der durchschnittliche Stunden- Was während der frühen Deregulierung von Arbeits- Während sich die Regulierung lohn bei Amazon Mechanical Turk 1830er-Jahre als zentrale verhältnissen seit jeher be- von Arbeitszeit in fordisti- beträgt weniger als zwei Dollar Forderung der britischen Ge- gleitet. Dabei setzen sie sich, schen Großbetrieben relativ pro Stunde. Rund 20 Prozent ar- werkschaftsbewegung seinen Michel Foucault folgend, mit einfach gestalten ließ, steht beiten auf der Plattform haupt- Ausgang nahm, entspricht in „Herrschafts- und Selbsttech- die Politik heute vor neuen beruflich. Diese so genannten Österreich auch heute noch niken“ auseinander, denen im Herausforderungen. Neue Powerturker erledigen 80 Pro- der „Normalarbeitszeit“. Eine Zusammenhang mit Entgren- (informations)technologische zent der Arbeit. Um zumindest Norm, die von der fortschrei- zung, Subjektivierung und und arbeitszeitrechtliche Ent- auf das Niveau des US-Mindest- tenden Prekarisierung zuneh- Flexibilisierung von Arbeit wicklungen haben einen un- lohns zu kommen, benötigen sie mend ausgehöhlt wird und eine zentrale Rolle zukomme. überschaubaren Graubereich allerdings zwei Jahre Erfahrung. aus der arbeitsrechtliche Be- Mittels Arbeitsvertrag über- zwischen emanzipatorischer (vgl. Warter, 2015) stimmungen hervorgegangen lassen Arbeiternehmer_innen Selbstbestimmung und be- sind, die immer mehr Men- – unter zuvor verhandelten trieblicher Rationalisierung schen keinen ausreichenden Bedingungen und im Rahmen geschaffen, der einer sinnvol- Schutz vor ausbeuterischen arbeitsrechtlicher Bestim- len Reglementierung erhaben Arbeitsverhältnissen bieten mungen – ihre Arbeitskraft zu sein scheint. Wie in vie- können. ihren Arbeitgeber_innen. len anderen Bereichen auch, Da dieses Vertragsverhältnis hinkt hier die Gesetzgebung Der Kampf um die Dauer und nie frei von Herrschaft sein der Realität hinterher. Einteilung der Arbeitszeit hat könne, sind Flexibilisierungs- die Arbeiter_innenbewegung möglichkeiten immer kritisch Dass die Grenzen zwischen von Beginn an begleitet und zu betrachten, kommen sie Freizeit und Arbeitszeit zu- SEITE 6
Kritik nehmend verschwimmen, zeige. Bezahlt wird nur, was ist eine Erkenntnis, die für gefällt. Abnahmegarantie gibt viele schon längst selbstver- es keine, direkte Kommunika- ständlicher Alltag geworden tion mit den Arbeitgeber_in- ist. Im Zeitalter ständiger Er- nen genauso wenig. reichbarkeit ist der Grad zwi- schen flexibler Zeiteinteilung, Warter beschreibt ein neues Homeoffice und ausbeuteri- Prekariat, das ähnlich orga- scher Selbstoptimierung ein nisiert sei, wie das vorindus- schmaler. Die existenzielle trielle Verlagswesen. Neben Notwendigkeit zur Verwer- zahlreichen Parallelen sieht tung der eigenen Arbeitskraft er den zentralen Unterschied lässt vielen keine Alternative darin, dass an die Crowdwor- zum Drahtseilakt Prekariat, ker_innen nicht mehr nur die während zeitgleich sozial- Herstellung von Gütern, son- staatliche Sicherheitsnetze an dern Arbeiten der gesamten Tragfähigkeit verlieren. Wertschöpfungskette – von Forschung und Entwicklung Kommunikationstechnologi- über die Produktion bis hin en ermöglichen mittlerweile zum Marketing und Vertrieb sogar die vollkommene Ent- – übernehmen. Diese Ähn- grenzung von Arbeit. Eine der lichkeiten in der Organisati- Schattenseiten der digitalen on führen auch zu ähnlichen Vernetzung beleuchtet Johan- Problemen. Sogar die soziale nes Warter in seinem Beitrag. Zusammensetzung der da- Crowdworking als „digita- maligen Heimarbeiter_innen le Akkordarbeit“ lässt nicht ähnelt jener der heutigen schaften neuer Technologien Auch bei der Debatte um länge- nur zeitliche und räumliche Crowd: überwiegend Neben- bedienen müssen, um neuen re Öffnungszeiten im Handel sei Dimensionen verschwinden, erwerbsarbeiterinnen – mit Ausbeutungsverhältnissen zu das emanzipatorische Moment sondern macht sogar die Ar- kleinem i. begegnen. Auf arbeitsrechtli- trügerisch. Frauen, die mit 70 beiter_innen selbst fast gänz- cher Seite bleibe vorerst abzu- Prozent die deutliche Mehrheit lich unsichtbar. Dem Prinzip Zur Verbesserung der Ar- warten, ob Crowdworker_in- in diesem Sektor stellen, würden des Taylorismus folgend, wer- beitsbedingungen bietet nen vom Heimarbeitsgesetz von einer Flexibilisierung nicht den Arbeiten in kleine Ein- Warter zwei Lösungsansätze: aus dem Jahr 1918 erfasst profitieren. U.a. weil sie immer zelteile zerlegt und in „digital Recht und kollektive Maß- werden. Eine nachhaltige und noch den Großteil der reproduk- sweatshops“, wie Amazon nahmen. Am Beispiel von sinnvolle Regulierung dieses tiven Arbeit übernehmen. (vgl. Mechanical Turk oder Click- Turkopticon – einem Tool, neuen Niedriglohnsektors sei Berger/Ziolkowski, 2015) worker, komplett entpersona- mit dem Crowdworker_in- laut Warter nur durch ein in- lisiert von der Reservearmee nen ihre Arbeitgeber_innen ternational koordiniertes Vor- des 21. Jahrhunderts abgear- bewerten können – zeigt er gehen möglich. beitet. Stundenlohn? Fehlan- auf, dass sich auch Gewerk- (JG) Lösungen zum kritischen Rätselspaß: 1. FRANKFURTER 7. RANICKI 13. KARLPOPPER 2. SCHIEDSRICHTER 8. HEIDEN 14. NEINQUARTERLY 3. MICHELIN 9. CRITICALMASS 15. SATIRE 4. PHASE 10. BETTE 16. MARX 5. DAVIS 11. BOBDYLAN 17. SANDWICH 6. ASYLKRITIK 12. KANT 18. CRITICALWHITENESS SEITE 7
4 Kritik Was ist Kritik? Der Tag Alles könnte auch anders sein. Diese utopische Voraussetzung steckt in jeder Kritik - führen Ra- hel Jaeggi und Tilo Wesche in ihrem lesenswerten Sammelband aus. gi und Wesche Kritik entlang ten, Zwang und Leiden zum von vier Kategorien. Kritik im Hauptanliegen der Philoso- Sinne der Aufklärung habe phie wird - und über sie hin- im Übergang von Mythos zu aus: Kritik differenzierte sich Logos die Bühne betreten. Sie in Anschluss an Hegel in den dient als Erkenntniskritik, die aufkommenden modernen hilft, zwischen Wissen und Sozial-, Human- und Kultur- Glauben zu unterscheiden - wissenschaften als Schlüssel- ähnlich des Begriffs des Kri- begriff all dieser Disziplinen. tizismus bei Kant und in der Antike der Abgrenzung von Kritik setzt dabei immer eines Sokrates und Platon von den voraus: Dass es auch anders Sophisten. Die zweite Bestim- sein könnte. Das Bewusst- mung der AutorInnen ist die sein, dass es Handlungs- historische Kritik: Kritik vo- möglichkeiten, Spielräume, rangegangener großer Wer- Denk- und Entscheidungs- ke - wie Marx’ Hegel-Kritik, möglichkeiten gibt, macht Aristoteles’ Platonkritik und Kritik möglich und nötig. so weiter. Dabei gewinnt Kri- Doch wie verhält sich das Was ist Kritik? Was ist Kritik? Diese Frage tik durch Positionierung und heute in einer Gesellschaft, Suhrkamp Taschenbuch stellen sich mit den Philoso- Abgrenzung an Schärfe. in der Herrschaft vermittelt Wissenschaft, 2009 phInnen Rahel Jaeggi und Tilo ausgeübt wird, Handlungs- Rahel Jaeggi, Tilo Wesche Wesche zahlreiche weitere Für den Momentum-Kon- möglichkeiten verstellt sind 375 Seiten AutorInnen in dem im Suhr- gress die vielleicht passendste und nicht nur Praxis sondern kamp Verlag erschienenen Kategorie: Die „emanzipa- eben auch Kritik dement- gleichnamigen Sammelband. torische Kritik“. Hierunter sprechend nur komplex be- Um es gleich vorweg zuneh- wird die Rolle der „Kritischen stimmbar ist? men: Den einen Begriff der Intellektuellen“ gefasst - und Kritik finden auch sie nicht. jegliche Formen der „Einmi- Dazu ist abschließend Jaeg- Was sie jedoch liefern, ist eine schung“ verstanden, wie der gis Beitrag „Was ist Ideolo- präzise Zusammenstellung Partizipation der Wissen- giekritik“ ans Herz zu legen. des aktuellen Kanons kriti- schaften an Prozessen der Hier entstaubt sie den alten scher Sozialwissenschaften Meinungsbildung über das Klassiker Ideologiekritik und rund um Kritik als Praxis, ihre Schaffen von Öffentlichkeit zeigt, wie diese wie gemacht normativen Grundlagen und bis zum politischen Engage- ist für die Kritik strukturel- die Frage, welche Position die ment. ler Herrschaft. Wie sie Herr- Kritikerin zu ihrem Gegen- schaftsverhältnisse noch da stand einnehmen soll. Als vierte Form gilt den Au- aufspürt, wo sie unscheinbar torInnen die philosophische und fast unsichtbar sind. Ei- Um ihrem eigenen Gegen- Kritik, im Sinne Hegels: Kri- gentlich spannender als jeder stand, dem der Kritik, näher tik als Negativität, in der die Krimi. Aber lest selbst! zukommen, bestimmen Jaeg- Befreiung von Befangenhei- (FE) SEITE 8
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