Der Wiener Gemeindebau. Geschichte, Daten, Fakten - wienerwohnen.at
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SCHON GEWUSST? Große Leistung Der Karl-Marx-Hof erstreckt sich über 1.100 Meter ent- lang der Heiligenstädter Straße und ist damit der längs- te zusammenhängende Wohnbau der Welt. Die Anlage umfasst ein Areal von mehr als 150.000 m2, von denen nur knapp 20 Prozent verbaut sind; der Rest entfällt auf Grünflächen, Wege und Kinderspielplätze. Kleiner Unterschied Wer verwirrt in der Döblinger Obkircher- gasse steht und die Aufschrift auf einer Wohnhausanlage der Gemeinde Wien studiert, kann beruhigt sein: Dass dort „Karl-Mark-Hof“ steht, ist nicht etwa ein Schreibfehler. Der 1924/25 errichtete Bau befindet sich zwar im selben Bezirk wie sein um einiges größerer und bekannterer Bruder Karl-Marx-Hof, er ist aber nach dem sozialdemokratischen Politiker Karl Mark (1900 – 91), Nationalratsabgeordneter und Präsident des Wiener Volksbildungswerks, benannt. Stolze Bilanz 1900: Von über 2 Millionen Wienerinnen und Wienern haben 300.000 keine Wohnung. 1934: Jede zehnte Wienerin bzw. jeder zehnte Wiener wohnt in einem Gemeindebau. 2021: Jede vierte Wienerin bzw. jeder vierte Wiener wohnt in einem Gemeindebau. Karl-Marx-Hof, 19. Bezirk
VORWORT Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser! Kindergärten, Schulen und Büchereien sowie Gemein- schaftseinrichtungen wie Waschküchen Platz boten. Der Karl-Marx- Hof ist längst ein Seit dem Spatenstich für den Metzleinstalerhof, Wiens Wiener Wahrzei- ersten Gemeindebau, im Jahr 1919 wurden 220.000 © MICHAEL KÖNIGSHOFER chen – so wie das Gemeindewohnungen für eine halbe Million Bewohnerin- Riesenrad oder nen und Bewohner sowie 200.000 geförderte Wohnun- © SCHEDL/WSW der Stephansdom. gen fertiggestellt. 2015 beschloss die Stadt Wien nach Das kommt nicht kurzer Pause, wieder neue Gemeindebauten zu errichten: von ungefähr, Mit dem SMART-Wohnbauprogramm und den „Gemein- denn er ist nicht nur architektonisch eindrucksvoll, er dewohnungen NEU“ wird der bewährte Weg im neuen steht auch für die lange Geschichte des kommunalen Jahrtausend fortgesetzt. Denn der soziale Wohnbau Wohnbaus in Wien. Seit über einem Jahrhundert prägt der Stadt Wien ist nach wie vor ein – auch international diese spezielle soziale Wohnbaupolitik unsere Stadt. anerkanntes – Erfolgsmodell und trägt maßgeblich zur ausgezeichneten Wohn- und Lebensqualität in Wien bei. Die Wurzeln für die städtebaulich außergewöhnli- chen Aktivitäten liegen in der Zwischenkriegszeit, als im sogenannten „Roten Wien“ 65.000 Wohnungen erbaut wurden. Ziel war es, leistbare Wohnungen mit hoher Qualität einer breiten Bevölkerungsschicht zur Verfügung zu stellen. Gelungen ist noch mehr: nämlich Wohnhausanlagen, die einerseits nach den Kriterien Dr. Michael Ludwig Kathrin Gaál „Licht, Luft und Sonne“ errichtet wurden, andererseits Bürgermeister Wiener Frauen- und Wohnbaustadträtin Der Wiener Gemeindebau 3
19., Karl-Marx-Hof Im Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk wurden 1927–30 zusätzlich zu 1.382 Wohnungen für etwa 5.000 BewohnerInnen auch zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen geschaffen: unter anderem Kindergärten, eine Mutter- beratungsstelle, ein Jugendheim, eine Bibliothek, eine Zahnklinik, eine Kranken- kassenstelle mit Ambulatorium, eine Apo- theke, ein Postamt, Arztpraxen, Kaffeehäu- ser, Räumlichkeiten für politische Organi- sationen und Geschäftslokale. Da zwar von Beginn an alle Wohnungen über eine eigene Wasserentnahmestelle verfügten, Badezim- mer damals aber noch nicht zum Standard gehörten, waren in die Anlage auch zwei Badeanstalten mit insgesamt 20 Wannen und 30 Duschen sowie zwei Zentralwäsche- reien mit 62 Waschständen integriert.
GESCHICHTE Hoch hinaus Das Jahrhundert des Wandels: Wie ein Wiener Wohnbauprogramm das Leben der Menschen veränderte. Eine eigene Wohnung oder wenigs- des Ersten Weltkriegs 1914 hatte ZWISCHEN DEN KRIEGEN: tens ein eigenes Zimmer! Für viele Wien bereits über 2 Millionen Ein- „DAS ROTE WIEN“ WienerInnen an der Wende zum wohnerInnen, von denen die ärmeren Nach dem Ende des Ersten Welt- 20. Jahrhundert ein Traum, der wohl unter unvorstellbaren Bedingungen kriegs und in den Anfängen der niemals Wirklichkeit werden würde. lebten: BettgeherInnen, die sich Republik Österreich zog die Sozial- Die katastrophale Wohnungsnot nicht einmal die Miete für ein Zimmer demokratische Arbeiterpartei ins wurde teils durch den Zuzug von leisten konnten und lediglich für ein Wiener Rathaus ein und stellte mit Menschen aus allen Teilen der Habs- paar Stunden pro Tag eine Liegestatt Jakob Reumann den ersten sozial- burgermonarchie in die Haupt- und benutzen durften. Oder Untermiete- demokratischen Bürgermeister. Die Residenzstadt hervorgerufen. Teils rInnen, die wenigstens einen kleinen Zeit des sogenannten „Roten Wien“ aber war sie auch eine Folge der Tat- Raum ihr eigen nannten – in überfüll- begann. Die Wohnungssituation war sache, dass sich die meisten Wohnun- ten Wohnungen ohne Wasser, ohne durch die galoppierende Inflation, gen in Privatbesitz befanden und ihre Toilette, ohne Licht, schlecht belüftet, Kriegsflüchtlinge und politische Vermietung sich an den Gesetzen der sodass sich Krankheiten ungehindert Instabilität nicht einfacher gewor- Rentabilität orientierte. Bei Ausbruch ausbreiten konnten. den und so nahm die Stadt Wien Der Wiener Gemeindebau 5
Reumannhof, 5. Bezirk Hugo-Breitner-Hof, 14. Bezirk umfangreiche Wohnbauprogramme Wohnungen errichten, die über Zim- DER TRAUM WIRD WAHR in Angriff. Durch die Errichtung von mer, Küche, Vorraum und sogar ein Noch heute noch scheint es wie ein kommunalen Mietshäusern sollte eigenes WC und eine Wasserstelle Wunder, dass dies in der damaligen nicht nur Wohnraum geschaffen, verfügten; statt in schmutzstarren- wirtschaftlichen Situation gelang. sondern den Menschen auch ganz de Lichthöfe sollte man in Gärten Wesentlichen Anteil an diesem Erfolg allgemein eine bessere Ausgangs- und Grünanlagen blicken, Gemein- hatte die von Finanzstadtrat Hugo basis für ein „normales“, gesundes schaftseinrichtungen wie Bäder und Breitner initiierte zweckgebundene Leben geboten werden. Die Ansprü- Kindergärten wurden vorgesehen, Wohnbausteuer, die es – neben ande- che waren hoch: Statt der finsteren, um den Alltag der BewohnerInnen zu ren neu geschaffenen Abgaben – schmutzigen Löcher, in denen viele erleichtern und ihnen einen höheren ermöglichte, die ambitionierten Pro- hausten, wollte man lichtdurchflutete Lebensstandard zu ermöglichen. jekte zu verwirklichen. So wurden in 6 Der Wiener Gemeindebau
Per-Albin-Hansson-Siedlung, 10. Bezirk Wohnsiedlung Schmelz, 15. Bezirk der Zwischenkriegszeit über 61.000 debau“, der bereits eine Badeanstalt, genießt. Wie auch andere große Wohnungen in 348 Wohnhausan- eine Bibliothek, eine Wäscherei Wohnhausanlagen wurde er im lagen und über 5.000 Wohnungen und einen Kindergarten enthielt. Februar 1934 zum Kriegsschauplatz, in 42 Reihenhaussiedlungen für die Dazu kamen die Wohnhausanlage als demokratische Widerstands- MieterInnen bezugsfertig gemacht. Sandleiten (1924 – 28), damals die kämpfer sich gegen die angreifenden Darunter waren die erste größere größte mit über 1.500 Wohnungen, Truppen des Ständestaates in den Wohnsiedlung der Stadt Wien auf und der Karl-Marx-Hof (1927 – 30), Bauten verschanzten. der Schmelz (1919 – 24) mit 150 Sied- der noch heute als herausragendes lungshäusern und Gärten zur Selbst- Beispiel für gelungene Architektur Knapp danach wurde mit Beginn versorgung, der Metzleinstalerhof und Stadtplanung der damaligen des Ständestaates die Bautätigkeit (1916 – 25), der erste „echte Gemein- Zeit internationale Berühmtheit fast völlig eingestellt und auch in der Der Wiener Gemeindebau 7
GESCHICHTE Großfeldsiedlung, 21. Bezirk Barbara-Prammer-Hof, 10. Bezirk darauf folgenden Diktatur des Natio- In rascher Folge entstanden viele 1970er- und 1980er-Jahren widmete nalsozialismus und im Zweiten Welt- kleinere Anlagen. Um in möglichst sich die Stadt Wien, da die unmittel- krieg naturgemäß kaum fortgesetzt. kurzer Zeit möglichst viel leistbaren bare Wohnungsnot behoben war, Wohnraum zu schaffen, wurden vor allem der Stadterneuerung und UND WEITER GEHT’S! in den 1960er-Jahren die für der Wohnhaussanierung. In den Nach Kriegsende machte man sich diese Zeit typischen Wohnblöcke 1990er-Jahren wuchs der Bedarf an an den Wiederaufbau und die Stadt in Fertigteilbauweise, wie z.B. die Wohnungen wieder – Singlehaus- Wien setzte 1947 mit der Errichtung Großfeldsiedlung, errichtet. Im halte, erneute Zuwanderung und der Per-Albin-Hansson- Siedlung Jahr 1969 wurde die 100.000ste immer höher werdende Ansprüche (das Baumaterial war Ziegelschutt- Wohnung seit Ende des Zweiten verstärkten die Nachfrage; eine beton) das Wohnbauprogramm fort. Weltkrieges fertiggestellt. In den neue Wohnbauoffensive begann. 8 Der Wiener Gemeindebau
GESCHICHTE 2004 wurde der gesamte geförderte neuen Zeiten: leistbare Wohnungen konnte im November 2019 seiner Wohnbau zu gemeinnützigen Wohn- mit guter Ausstattung, genügend Bestimmung übergeben werden. Bis bauträgern verlagert. Der vorläufig Grünraum und Freizeiteinrichtun- Ende 2020 gelang es, rund 4.000 letzte Gemeindebau, bei dem die gen. Errichtet auf Grundstücken im „Gemeindewohnungen NEU“ auf den Wiener Stadtverwaltung als Bau- Eigentum der Stadt Wien und finan- Weg zu bringen, unter anderem auf herrin auftrat, steht in 1230, Rößler- ziert aus einem mit 25 Millionen dem Rosenhügel, am Montecuccoli- gasse 15. 2015 fasste die Stadtre- Euro dotierten Sondertopf, setzen platz und auf dem Gelände des ehe- gierung den Beschluss, erneut als sie – eigenmittelfrei und unbefris- maligen Sophienspitals. Schon jetzt Bauherrin Wohnhausanlagen zu tet – mit kostengünstigen Mieten ist die Bilanz durchaus erfreulich: errichten. Das Konzept „Gemeinde- den Weg des „Roten Wien“ fort. Heute lebt jede vierte Wienerin bzw. wohnungen NEU“ orientiert sich an Der erste neue Gemeindebau, der jeder vierte Wiener in einem der den alten Werten, angepasst an die Barbara-Prammer-Hof in Favoriten, über 1.800 Gemeindebauten. Hugo-Breitner-Hof, 14. Bezirk
5., Metzleinstalerhof Der Metzleinstalerhof am Margareten- gürtel wurde als erster „richtiger“ Gemein- debau bereits während des Ersten Welt- kriegs geplant und bis 1925 in Etappen fertiggestellt. Mit seinen komfortablen, hellen, aber sehr kleinen Wohnungen steht er für eine neue Ära – am Übergang vom „eigennützigen“ zum sozialen Wohnbau. Balkone, Loggien und Erker sorgen im Zusammenspiel mit gefalteten Fenster- fronten, Türmen und Dachaufbauten für ein nahezu herrschaftliches Flair. Kunstvoll gestaltete, bunte Majolika-Verzierungen im jüngeren Teil der Anlage konterkarie- ren die strenge Anmutung des über 250 Wohnungen beherbergenden Baus. Auch der ruhige Innenhof mit seinen offenen Durchgängen lässt die Lage an einer der belebtesten Straßen Wiens vergessen.
HEUTE & MORGEN Nummer eins im sozialen Wohnbau Was die Ansprüche ans Wohnen betrifft, so hat sich seit dem Beginn des sozialen Wohnbaus sehr viel geändert. Die ersten Gemeindebauten brach- Wohnfläche in Wien pro Kopf, in m2 ten für ihre BewohnerInnen einen 50 Quantensprung in der Wohnqualität. Ab dann ging es – wenn auch nicht 38 40 37 ganz so spektakulär – weiter stetig 35 33 bergauf. Die durchschnittliche Wohn- 30 25 fläche pro Kopf wurde zwischen 1961 22 und 2001 von 22 m2 auf 38 m2 ausge- dehnt. 2020 betrug die Wohnfläche 20 pro Person in etwa 35 m2. Die Zahl der Singlehaushalte wächst stetig. 10 Mit maßgeblichen Änderungen in der Bevölkerungsstruktur steigt 0 die Nachfrage nach kleineren und 1961 1971 1981 1991 2001 2017 2020 vor allem kostengünstigeren Woh- Quellen: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien; STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus 2017 Der Wiener Gemeindebau 11
HEUTE & MORGEN Wohnhausanlage Europan, 22. Bezirk nungen. Auch hier gibt es seitens ße liegt zwischen 40 m2 und 70 m2 Wien der allgemeinen Entwick- der Stadt Wien ein zeitgemäßes (ein bis drei Zimmer), der Vergabe- lung entgegenwirken muss: Die Angebot: die SMART-Wohnungen. grundsatz „pro Person ein Zimmer“ Mieten steigen überproportional Das sind kompakte, kostengünstige wird angewandt. zu den Einkommen, der Anteil am Einheiten, die mittels verschiebbarer Haushaltseinkommen, der fürs Wände nach den individuellen Vor- WIRKUNGSVOLL FÖRDERN Wohnen ausgegeben werden stellungen der MieterInnen gestaltet Ein Blick auf die Tendenzen des muss, nimmt ständig zu. Dazu werden können. Die Wohnungsgrö- Wohnungsmarkts zeigt, dass kommt eine hohe Zahl an Woh- 12 Der Wiener Gemeindebau
Wohnverhältnisse Wien wächst Ö ffentlicher Wohnbau (überwiegend Gemeindebauten): 24 % EinwohnerInnen rivatmiete: 28 % P 2020 igentum: 21 % E 1.911.191 enossenschaft: 14 % G Personen ndere: 13 % A Frauen: 51,2 % Männer: 48,8 % Stand: 01.01.2020 Quelle: Stadt Wien, Statistik Austria Ausstattung der Gemeindewohnungen +13,1 % Wien ist von 2010 bis 2020 um 221.196 Personen gewachsen. ategorie A: 69,5 % K Stand: 01.01.2020 Quelle: Stadt Wien, Statistik Austria ategorie B: 15,0 % K ategorie C: 15,5 % K Stand: 31.12.2019 Quelle: Stadt Wien – Wiener Wohnen Der Wiener Gemeindebau 13
HEUTE & MORGEN nungsuchenden, die sich durch die Als klare Nummer eins im sozialen künftige Bevölkerungsentwicklung Wohnbau ist Wien mit rund 10.000 noch verstärken wird. Um auch in Wohneinheiten, die jährlich mit Zukunft ein ausreichendes Angebot Fördermitteln errichtet werden, im an erschwinglichem Wohnraum internationalen Vergleich beispiel- sicherstellen zu können, wird die gebend. 2015 beschließt die Stadt, Wiener Wohnbauförderung wie wieder Gemeindewohnungen zu bisher eine ganz wesentliche Rolle errichten. In die ersten 120 Gemein- spielen. Denn im Unterschied zu den dewohnungen NEU von den insge- meisten europäischen Metropo- samt 4.000, die bis Ende 2020 auf len, die MieterInnen ausschließlich den Weg gebracht wurden, konn- finanziell unterstützen, leistet die ten bereits im November 2019 die Stadt Wien weit mehr, indem sie BewohnerInnen einziehen. Subjekt- und Objektförderung kom- biniert. Menschen mit niedrigem Ebenfalls vorbildlich sind die viel- Einkommen werden auch in Wien fältigen Maßnahmen zum Klima- direkt unterstützt. Darüber hinaus und Umweltschutz, die etwa bei investiert Wien aber auch in die der Sanierung gesetzt werden. Neuerrichtung von Wohnraum und Wobei das Ziel nie aus den Augen in die Sanierung von bestehenden verloren wird: möglichst vielen Altbauten. Damit profitieren die Menschen erschwinglichen und WienerInnen von den Vorteilen qualitätsvollen Wohnraum zur Karl-Seitz-Hof, 21. Bezirk beider Systeme. Verfügung zu stellen. 14 Der Wiener Gemeindebau
20., Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz 1 – 10 Die Wohnhausanlage (1930–33) an der Florids- dorfer Brücke war nach dem Sandleitenhof in Ottakring mit 1.400 Wohnungen der zweitgrößte Wohnbau des „Roten Wien“. Von außen gleicht er einer wehrhaften Burg: Turmartige Vorsprünge mit hohen Fahnenmasten begrenzen den impo- santen Zugang. Auch die Fassaden in den Innen- höfen sind, in der Tradition Otto Wagners, von einem geometrischen Stil geprägt; unterschiedlich gestaltete Balkon- und Torgitter mildern den strengen Eindruck und setzen farbige Akzente. Am äußersten Rand ragt der mächtige Schlot der in die Anlage integrierten Wäscherei empor – anlässlich der Eröffnung im Jahr 1933 als „neues Wahrzei- chen Wiens“ gepriesen, beeindruckt er noch heute mit seiner monumentalen, weithin sichtbaren Uhr.
DATEN & FAKTEN Wohnen in Zahlen Die Wiener Gemeindebauten bergen so manche Überraschung. Ein Blick auf die Statistik (Zahlen gerundet) zeigt Beeindruckendes: 500.000 Menschen wohnen im Wiener Gemeindebau. Das ist mehr als Linz, 610 Hektar Grünfläche Innsbruck und Klagenfurt zusammen EinwohnerInnen haben. Jede 4. Wienerin bzw. jeder 4. Wiener lebt in werden von Wiener Wohnen einer der über 1.800 Wohnhausanlagen. betreut. Das entspricht der Größe von 854 Fußball- 5.500 feldern oder der Fläche der Bezirke Josefstadt, Neubau, Mariahilf, Wäschetrockner und Margareten gibt es in den Wiener zusammen. Gemeindebauten. In einer Reihe aufge- stellt, ergäbe das eine Wäschetrockner- Schlange rund um die Wiener Ringstraße. 16 Der Wiener Gemeindebau
1.300 Spielplätze 7.900 Aufzüge gibt es in den Wohnhausanlagen von gibt es in den Wiener Gemeindebauten. Wiener Wohnen, das sind ca. dreimal so Aufeinandergestellt wäre das ein Turm, viele wie die Summe der Spielplätze zweimal so hoch wie der Himalaya. von Graz, Salzburg, Linz, Innsbruck, Klagenfurt, Eisenstadt und Bregenz 5.000 1.800 zusammen. 52 Prozent der städtischen Spiel- plätze werden von Gewerbeflächen Wiener Wohnen 1.200 HausbesorgerInnen verwaltet Wiener Wohnen verwaltet. und 600 HausbetreuerInnen – rund 15-mal so viele, wie kümmern sich um Ordnung und es in den Shopping-Centern Sauberkeit in den Wiener Gemeinde- Süd und Nord gibt. bauten – ihre Gesamtanzahl entspricht fast exakt der durchschnittlichen EinwohnerInnenzahl einer burgen- ländischen Gemeinde. 68.000 Bäume befinden sich auf den Grund- 13.000.000 Quadratmeter Wohnnutzfläche stücken von Wiener Wohnen. Das entspricht durchschnitt- verwaltet Wiener Wohnen. Das entspricht lich 37 Bäumen pro Wohn- der Fläche einer vier Meter breiten hausanlage der Stadt Wien. Straße von Madrid nach Stockholm. Der Wiener Gemeindebau 17
3., Rabenhof Der Rabenhof (1925 – 28) im 3. Bezirk umfasst mehr als 1.000 Wohnungen. Aufgrund der unregelmäßigen topografischen Gegeben- heiten reihen sich zahlreiche Höfe sowie Gebäude unterschiedlicher Größe und Höhe mit uneinheitlichen Fassaden und Formen kunterbunt aneinander. Romantische, schein- bar natürlich gewachsene begrünte Plätze, verspielte Fassadendetails und kleine Trep- pen, die die Niveauunterschiede ausgleichen, sorgen für eine behutsame Dynamik. Eben- falls dynamisch ist die Geschichte der An- lage, die ursprünglich „Austerlitz-Hof“ hieß, nach dem damals bereits verstorbenen Chef- redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ Friedrich Austerlitz. Im Bürgerkrieg des Februar 1934, im Zuge dessen das Bundesheer die Wohn- hausanlage besetzte, war sie Schauplatz eines heftigen Feuergefechts. Nach den blutigen Ereignissen im Februar 1934 wurde der Hof kurzerhand nach der nahe gelegenen Raben- gasse in Rabenhof umbenannt.
CHARAKTERISTIKA „Typisch Gemeindebau“ Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Erscheinungsbild der Wohnhausan- lagen gewandelt, doch das zugrunde liegende Konzept ist unverwüstlich. Die Wienerinnen und Wiener er- sie die Architektur, die sich zwar kennen einen Gemeindebau auf den mit den Strömungen der Zeit und ersten Blick. All diesen Wohnhaus- den Bedürfnissen der Menschen anlagen ist ein „gewisses Etwas“ gewandelt hat, aber doch ihren gemeinsam, das sie verbindet – auch ganz speziellen Charakter weder wenn sich nicht genau sagen lässt, verleugnen kann noch will. worin es besteht. Vielleicht ist es der Umstand, dass durch sie eine KLASSISCH UND kleine, abgeschlossene Welt mitten UNVERWECHSELBAR in der Großstadt geschaffen wird, Vor allem die „klassischen“ Wohn- mit fast dörflich anmutenden hausanlagen, die in der Zwischen- Strukturen, Bäumen, Wiesen – und kriegszeit entstanden sind, prägen mit Orten der Begegnung, sei es als unverwechselbare Zeugnisse der Kinderspielplatz, sei es die des „Roten Wien“ vielerorts noch Waschküche. Oder es verbindet heute das Stadtbild. Die Wohnge- Rabenhof, 3. Bezirk Der Wiener Gemeindebau 19
Sandleitenhof, 16. Bezirk Wohnhausanlage Leystraße 23, 20. Bezirk bäude sind um einen gemeinsamen opulenten Gestaltung der Tore Mauern, riesigen bogenförmigen Innenhof gruppiert, in den man spöttisch als „Arbeiterbarock“ titu- Durchfahrten, mächtigen Toren und durch eine oder mehrere große liert, bilden sie nun Oasen der Ruhe Fahnenmasten; auch der Rabenhof Toreinfahrten gelangt und von in der belebten Stadt. (1925–28), bei dem sich Wohn- und dem aus man die einzelnen Gebäu- Gartenhöfe aneinanderreihen, die deteile, die sogenannten „Stiegen“, Einige der weitläufigen Wohnhaus- von Häusern mit unterschiedlich erreicht. Von KritikerInnen zur anlagen erinnern mit ihren reprä- gestalteten Fassaden umschlossen Zeit ihrer Errichtung wegen ihrer sentativen Innenhöfen in der Tat an werden. Ähnlich, aber doch unter- Abgeschlossenheit als „Festungs- Burgen: natürlich der Karl-Marx-Hof scheidbar der bereits in der Zeit des bauten“ geschmäht oder ob der (1927 – 30) mit seinen massiven Ersten Weltkriegs geplante Metz- 20 Der Wiener Gemeindebau
Wohnhausanlage Friedrich-Engels-Platz, 20. Bezirk Wohnhausanlage Wallgasse 13, 6. Bezirk leinstalerhof (1916 – 25) mit seinem voneinander ab. Auch Kunstwerke Und weil das Leben noch mehr großen, rechteckigen Innenhof, des- finden sich an den Wänden und in Facetten hat, waren in den An- sen Form an Höfe aus dem Barock den Höfen der berühmten, aber lagen von Anfang an zahlreiche und dem Biedermeier gemahnt. auch der weniger spektakulären Gemeinschaftseinrichtungen mit Wohnhausanlagen: Keramikreliefs, eingeplant. Es erleichtert den Alltag, Oft gliedern Balkone, Loggien, Erker Bronzefiguren, Mosaike, Brunnen wenn von der Mutterberatung bis oder kleine Türmchen die Fassaden. oder Steinskulpturen. zum Kindergarten, von der Bade- Durch das Spiel mit verschiedenen anstalt bis zur Zentralwäscherei, Farben heben sich die Häuser einer Alles in allem ein würdiger Rahmen vom Ambulatorium bis zur Zahn- Anlage oder auch einzelne Elemente für das Grundbedürfnis Wohnen. klinik alles in wenigen Minuten Der Wiener Gemeindebau 21
Pestalozzi-Hof, 19. Bezirk Viktor-Adler-Hof, 10. Bezirk zu Fuß erreichbar ist. Das gibt Errichtung der Gemeindebauten. den Bauten ihr Flair eines kleinen Doch nicht nur Zweibeiner schätzen Dorfes, in dem auch Kaffeehäuser, die Anlagen: Still und leise fanden Geschäftslokale und Bibliotheken sich im Laufe der Zeit dort unvor- nicht fehlen. hergesehene MitbewohnerInnen ein, auf vier Pfoten, auf sechs Beinen LEBENSRAUM DER oder mit zwei Flügeln. Dazu siedel- BESONDEREN ART ten sich unzählige Pflanzenarten an Dass die Menschen sich in ihrer und so ist der Wiener Gemeindebau Wohnumgebung wohl fühlen, war heute das größte geschützte soziale von Anfang an das Ziel bei der Wohnhabitat in Europa und besticht wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/stadtwanderweg.html 22 Der Wiener Gemeindebau
Ernest-Bevin-Hof, 17. Bezirk Wohnhausanlage Am Laaer Berg, 10. Bezirk durch eine atemberaubende Flora ein spezieller Gemeindebau-Wan- bieten: Die erste Station ist der und Fauna. Das hat, wie der Gemein- derweg mit Informationstafeln Haydnhof, dann geht es weiter zum debau selbst, eine lange Tradition: eingerichtet, auf dem man einen Leopoldine-Glöckl-Hof, danach Den Impuls dafür setzte bereits 1919 Teil dieses biologisch einzigartigen über den Reumannhof zum Metz- der sozialdemokratische Bürger- Lebensraums erkunden kann. leinstalerhof … Denn so wie in meister Jakob Reumann. ländlichen Gegenden jeder Hof GROSSE NAMEN, seine eigene Bezeichnung hat, Damit die Menschen an diesen STOLZ GETRAGEN tragen auch viele Gemeindebauten Schätzen nicht achtlos vorüberge- Über die Fauna und Flora hinaus Namen. Poetische wie Rabenhof hen, wurde zwischen Bruno-Kreis- hat der Wanderweg noch weitere oder Lindenhof bilden hier eher ky-Park und Amalienbad sogar interessante Erkenntnisse zu die Ausnahme, häufiger sind Flur- Der Wiener Gemeindebau 23
CHARAKTERISTIKA namen wie Hasenleitenhof, Sandlei- sein muss, um auf einem Gemeinde- tenhof oder Wohnhausanlage Am bau verewigt zu werden, bestätigt Laaer Berg. Meist jedoch soll durch der Maria-Restituta-Hof, der an die Benennung Menschen, die die Ordensschwester Helene Kafka Herausragendes geleistet haben, erinnert, die sich gegen die Natio- ein Denkmal gesetzt werden: etwa nalsozialisten auflehnte und für ihre Künstlern wie August Strindberg, Überzeugung sterben musste. Oskar Werner und Friedensreich Hundertwasser oder Wissenschaf- KEIN HOF WIE JEDER ANDERE tern wie Sigmund Freud und Albert So stehen die Bauten als Repräsen- Einstein. So manche Höfe tragen tanten ihrer Epoche, die sie verkör- – wohl österreichspezifisch – einen pern, zugleich auch als Mahnmal akademischen Titel, zum Beispiel und Erinnerung an die Frauen und der Professor-Jodl-Hof und der Männer, deren Namen sie tragen. Dr.-Ellenbogen-Hof. Nicht viele, Und ganz nebenbei sorgen die ver- aber doch einige Frauen finden sich trauten Bezeichnungen auch dafür, unter den NamensgeberInnen, so dass die WienerInnen sich mit ihren Margarete Schütte-Lihotzky und Wohnhausanlagen auf eine beson- Rosa Albach-Retty. Natürlich sind dere Weise identifizieren: In der bekannte „Rote“ wie Karl Marx, Schüttaustraße kann schließlich jede Victor Adler und Jean Jaurès ver- und jeder wohnen, aber die Adresse treten. Dass man aber nicht unbe- „Goethehof“ ist schon etwas ganz Goethehof, 22. Bezirk dingt sozialdemokratisch gesinnt Besonderes. 24 Der Wiener Gemeindebau
Zeichen der Zeit Nicht nur die Benennungen ver- leihen den Wohnhausanlagen ihre individuelle Prägung, auch die Schriftzüge selbst: Passend zum jeweiligen Baustil wurde für die Beschriftung jeweils eine eigene repräsentative Typogra- fie gewählt. An einem Bau wir- ken die Buchstaben streng geo- metrisch, am anderen eher ver- spielt, hier mächtig, dort zierlich. Selbst auf namenlosen Gemein- debauten setzen die markanten Buchstaben Akzente: Als flam- mend roter Hinweis „Erbaut aus den Mitteln der Wohnbausteuer“ verweisen sie auf das gelungene Finanzierungsmodell.
AUSWIRKUNGEN Verantwortung für die Gesellschaft Sicheres, leistbares Wohnen ist eine zentrale Voraussetzung für eine gute Lebensqualität und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die 420.000 kommunalen Wohnun- 670 bis 770 Mio. Euro beträgt die gen und Genossenschaftswohnun- Mietpreisersparnis für MieterInnen Sozialer Wohnbau gen tragen auf dem Wiener Woh- des sozialen Wohnbaus in Wien im • Preisdämpfende Wirkung nungsmarkt dazu bei, dass Mieten Vergleich zum privaten Wohnungs- • Finanzielle Vorhersehbarkeit leistbar bleiben. Die daraus resultie- markt. Das erhöht die Kaufkraft und • Hohe Lebensqualität rende gute soziale Durchmischung hilft, Armut vorzubeugen. Rund 2,3 • MieterInnenschutz in allen Stadtteilen bildet die Grund- Mrd. Euro über zehn Jahre macht der • Soziale Durchmischung lage für eine hohe Lebensqualität. Beitrag der Neubau- und Sanierungs- • Schaffung von Arbeitsplätzen Auch wirtschaftlich gesehen ist der investitionen zur österreichischen • Reduktion des Nutzen beträchtlich: Das Wiener Bruttowertschöpfung aus. Damit Energieverbrauchs Modell gilt als Vorbild in Europa. Der schafft der soziale Wohnbau einen • Ökologisch soziale Wohnbau schafft in der Stadt immensen Mehrwert – nicht nur für kurzfristig 23.300 Arbeitsplätze und die BewohnerInnen, sondern für alle sichert langfristig 30.100 – also etwa WienerInnen, für die Unternehmen 3,5 Prozent der Wiener Arbeitsplätze. und den Wirtschaftsstandort. 26 Der Wiener Gemeindebau
SCHON GEWUSST? Kurzer Prozess Friedrich Engels, Weggefährte von Karl Marx und Mit- autor des „Kommunistischen Manifestes“, ist ebenso wie dieser in sozialdemokratischen Kreisen ein beliebter Namensgeber. Rund um den nach ihm benannten Platz im 20. Bezirk wurden zwischen 1930 und 1970 insgesamt vier Wohnhausanlagen errichtet und bereits seit 1925/26 gibt es im 11. Bezirk den Friedrich-Engels-Hof. Nach 1934, in der Zeit des Austrofaschismus, war dieser rebellische Name auf der Wohnhausan- lage naturgemäß ein ideologischer Dorn im ständestaatlichen Auge und man wählte eine pragmatische Lösung: Einfach einen „Friedrich“ und ein „s“ abmontieren – und was bleibt, ist ein biederer „Engel-Hof“. Den Fried- rich-Engels-Platz ereilte ein ähnliches Schicksal; er hieß ab 1934 Pater-Abel-Platz, nach dem anti- semitischen „Männerapostel von Wien“. Platz wie Gemeindebau wurden 1946 wieder umbenannt. Der Wiener Gemeindebau im Web Die Geschichte des kommunalen Wohnbaus in Wien: wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/geschichte.html dasrotewien.at > Kommunaler Wohnbau de.wikipedia.org/wiki/Gemeindebau Beschreibungen aller Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien: wienerwohnen.at/wiener-gemeindebau/ gemeindebaubeschreibungen.html Reumannhof, 5. Bezirk
IMPRESSUM Medieninhaber und Herausgeber: Stadt Wien – Wiener Wohnen, Rosa-Fischer-Gasse 2, 1030 Wien; Produktion: Domus Verlag, Rahlgasse 1, 1060 Wien; Gestaltung: Markus Bogacs; Coverfoto: Gerry Frank; Fotos: AnnABlaU, Andreas Elgert, Yvonne Fetz, Gerry Frank, Stadt Wien – Wiener Wohnen, Dieter Steinbach; Verlags- & Herstellungsort: Wien; Druck: Bernsteiner Media GmbH. Gedruckt auf ökologischem Papier aus der Mustermappe von „Ökokauf Wien“. Stand: August 2021
Sie können auch lesen