Didaktik der Physik Frühjahrstagung - virtuell 2021 - PhyDid

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Didaktik der Physik Frühjahrstagung - virtuell 2021 - PhyDid
Didaktik der Physik
                                                                      Frühjahrstagung – virtuell 2021

      Akzeptanzbefragung zu Augmented Reality-Experimenten auf dem Spielplatz

                                     Jelka Weber*, Albert Teichrew*

                    *Institut für Didaktik der Physik, Goethe-Universität Frankfurt am Main
                                        teichrew@physik.uni-frankfurt.de

       Kurzfassung
       Bei der Vermittlung physikalischer Inhalte und naturwissenschaftlicher Forschungsprozesse spielt
       die Verknüpfung von Theorie und Experiment zur Erklärung physikalischer Phänomene eine be-
       deutende Rolle. Der Einsatz einer Geometrie-Software wie GeoGebra stellt ein einfaches Werk-
       zeug zur Visualisierung physikalischer Modelle in Form dynamischer Konstruktionen dar. Mit
       dem GeoGebra 3D Rechner lassen sich mithilfe von Augmented Reality (AR) reale Situationen
       mit den Konstruktionen überlagern, sodass Konzept und Beobachtung intuitiv miteinander vergli-
       chen werden können. In dem Beitrag wird das Potential der Verknüpfung von Modell und Experi-
       ment behandelt. Dazu wurden verschiedene Modelle und zugehörige Lerneinheiten für den Einsatz
       von AR-Experimenten auf dem Spielplatz konzipiert. Im Rahmen einer Akzeptanzbefragung mit
       zwei Schüler*innengruppen wurde an diesem Beispiel untersucht, inwiefern sich die Durchfüh-
       rung von AR-Experimenten als lernförderliches Instrument im Physikunterricht eignet.

1. Hintergrund                                            mente bieten Lernenden gleichzeitig ein realistisches
Die Mechanik könnte als leichtes, da alltagsnahes         Abbild des Experiments durch die Kamera und die
Themengebiet des Physikunterrichts angesehen              geometrische Repräsentation desselben durch die
werden. Doch gerade die Nähe zum Alltag und die           Modelldarstellung. Es sollte jedoch zuvor eine Aus-
vermeintlich leichte Zugänglichkeit des Themas            einandersetzung mit dem dynamischen Modell ohne
führen zu häufig übersehenen Lernschwierigkeiten          Überlagerung stattfinden, um im Vorfeld im Expe-
(Schecker & Wilhelm, 2018, S. 64). In diesen Fällen       riment überprüfbare Aussagen zu formulieren (vgl.
könnte die Gegenüberstellung von auf physikali-           Teichrew & Erb, 2019). In einem alternativen Set-
schen Prinzipien basierenden abstrakten Modellen,         ting könnte die Überlagerung allerdings auch den
die die naturwissenschaftliche Sichtweise repräsen-       Aufbau und die Durchführung des Experiments
tieren, und den mit Alltagsvorstellungen behafteten       erleichtern, indem bestimmte Positionen, Winkel
realen Situationen hilfreich sein.                        oder Größenverhältnisse im Modell vorgegeben oder
                                                          mit dem Modell gemessen werden. Während der
Mithilfe     der    Dynamische-Geometrie-Software
                                                          Durchführung besteht die Möglichkeit, Ergebnisse
(DGS) GeoGebra lassen sich naturwissenschaftliche
                                                          durch Bildschirmaufnahmen zu dokumentieren,
Ideen und Konzepte durch dynamische Modelle
                                                          sodass sie auch im Nachhinein nachvollzogen oder
visualisieren (vgl. Erb & Teichrew, 2020). Die
                                                          diskutiert werden können.
Augmented Reality (AR) Funktion der App
GeoGebra 3D Rechner erlaubt es zudem die Sicht
auf eine reale Umgebung auf dem Bildschirm eines
Smartphones oder Tablets mit den dynamischen
Modellen in Echtzeit zu überlagern. Die virtuellen
3D-Objekte können in Größe und Position an die
jeweils beobachtete Situation angepasst werden und
behalten diese bei. Auf diese Weise ist es möglich,
sie auf dem Bildschirm von allen Seiten und aus
unterschiedlicher Entfernung zu betrachten, als seien
sie in der realen Umgebung vorhanden. Dadurch
können reale Experimente mit nicht sichtbaren phy-
sikalischen Konzepten wie z.B. Kraftpfeilen erwei-
tert werden, die zum Verständnis des Experiments
beitragen (s. z.B. Abb.1).
Der Einsatz einer solchen Überlagerung von Modell         Abb.1: Bildschirmaufnahme während des AR-Experi-
und Versuchsaufbau während der Durchführung               ments an der Rutsche
eines Experiments wird AR-Experiment genannt              Vor diesem Hintergrund wurden an unterschiedli-
(vgl. Teichrew & Erb, 2020a, 2020b). AR-Experi-           chen Spielplatzgeräten Phänomene identifiziert, die

                                                                                                             293
Weber, Teichrew

sich für den Einsatz eines AR-Experiments eignen,        mentale Aktivität der Lernenden gefordert, zum
und entsprechende Lerneinheiten zur Durchführung         anderen eine Situation hergestellt werden, in welcher
auf dem Spielplatz entwickelt:                           der Lerngegenstand für sie tatsächlich eine Rolle
 Kraftersparnis an der Rutsche                          spielt.
 Gleichgewichtszustand an der Wippe                     In der vorgestellten Studie wurde untersucht, ob die
                                                         Lernenden ihr Verständnis der zugrundeliegenden
 Beschleunigung an der Schaukel
                                                         mechanischen Zusammenhänge durch die Verknüp-
 Kräfte am Karussell                                    fung von Modell und Experiment im Rahmen der
Grundsätzlich lassen sich AR-Experimente eher auf        Lerneinheiten erweitern oder festigen können (FF1).
statische Phänomene anwenden, da AR mit                  Des Weiteren ging es darum herauszufinden, inwie-
GeoGebra nicht auf die Überlagerung von Bewe-            fern Modelle als Visualisierungen physikalischer
gungen – etwa einer rutschenden, wippenden oder          Konzepte bzw. die Überlagerung realer Spielplatz-
schaukelnden Person – mit zeitabhängigen Simulati-       geräte in AR-Experimenten von den Lernenden als
onen ausgelegt ist. Dennoch lassen sich AR-Experi-       Lernwerkzeuge betrachtet werden (FF2).
mente (und entsprechende Lerneinheiten) konzipie-
ren, die anhand von statischen Messungen ein ver-        2. Methode
tieftes Verständnis der Spielplatzgeräte und der         Weder die Durchführung von Experimenten noch
jeweils zugrundeliegenden physikalischen Konzepte        der Einsatz von dynamischen Modellen garantieren
fordern und fördern. So kann die Rutsche als schiefe     von sich aus Lernerfolg. Die erfolgreiche Verknüp-
Ebene betrachtet werden, an der ein Objekt gehalten      fung von Modell und Realität mithilfe des Einsatzes
oder heraufgezogen wird. An der Wippe als Hebel          von AR mit GeoGebra am außerschulischen Lernort
können im AR-Experiment die Bedingungen für den          setzt eine angemessene Unterrichtsstruktur voraus.
Gleichgewichtszustand untersucht werden. An der          Anhand verschiedener Ziele des Experimentierens
Schaukel kann die für eine Pendelbewegung essen-         im Physikunterricht sowie dem Modell als (mentale)
zielle rückwirkende Kraft in Abhängigkeit der Aus-       Rekonstruktion der Natur schlagen wir mit dem
lenkung bestimmt werden. Am Karussell wird die           Kreislauf der Erkenntnisgewinnung eine Strukturhil-
Kraft untersucht, die notwendig ist, um sich in ver-     fe für geeignete Lernumgebungen vor (Teichrew &
schiedenen Entfernungen von der Drehachse auf der        Erb, 2020c). Im Vorfeld der Durchführung eines
rotierenden Scheibe zu halten. Im Zentrum jeder der      (AR-)Experiments setzen sich die Lernenden zu-
im Rahmen des Projekts entwickelten Lerneinheiten        nächst mit dem betrachteten Phänomen, dessen phy-
steht eines dieser Phänomene, das am jeweiligen          sikalischen Modell, der Bildung von Hypothesen
Spielplatzgerät mit dem dafür entwickelten dynami-       anhand dieses Modells sowie der adäquaten Konzep-
schen Modell untersucht wird (s. Tab.1).                 tion des Experiments auseinander.
Gerät     Phänomen                    Modell             Die in der Studie eingesetzte Methode der Akzep-
Rutsche   Anstrengung beim Anhe- Kräfte an der           tanzbefragung geht auf Jung und Wiesner zurück
          ben eines Körpers und  schiefen Ebene          (vgl. Jung, 1992; Wiesner & Wodzinski, 1996). Es
          beim Hochziehen an der                         handelt sich um eine qualitative fachdidaktische
          Rutsche vergleichen.                           Methode, bei der untersucht werden soll, wie gut ein
Wippe     Gleichgewichtszustand       Kräfte und         Lernkonzept und die dafür entwickelten Lernmedien
          mit zwei Körpern unter-     Abstände am        von den Proband*innen angenommen werden und
          schiedlicher Masse an       Hebel              die Erklärung, die sie für komplexe fachwissen-
          der Wippe herstellen.                          schaftliche Phänomene bereithalten, akzeptiert wird.
Schaukel Startbeschleunigung bei      Rücktreibende      Durch in die Lerneinheit integrierte, methodisch
         großer und kleiner Aus-      Kraft am Pen-      vorstrukturierte Befragungsphasen wird evaluiert, ob
         lenkung der Schaukel         del                die Lernenden das Angebot verstehen, es für eigene
         vergleichen.                                    Erklärungen nutzen sowie auf weitere Fragestellun-
Karussell Anstrengung, um sich        Zentripetalkraft   gen anwenden können. Ist dies der Fall, kann von
          auf dem Karussell zu        bei der Kreis-     einer Akzeptanz des Angebots gesprochen werden.
          halten, bei großen und      bewegung           Das Setting für eine solche Akzeptanzbefragung ist
          kleinen Abständen zum                          klassischerweise ein sogenanntes teaching experi-
          Drehmittelpunkt verglei-                       ment, in dem die fachliche Instruktion und die Ana-
          chen.                                          lyse der Schüler*innenreaktionen unmittelbar mitei-
Tab.1: Übersicht über die behandelten Phänomene und      nander verbunden sind. Lehrer*in und Forscher*in
Modelle an verschiedenen Spielplatzgeräten               sind im teaching experiment ein und dieselbe Per-
Die entwickelten AR-Experimente stellen den Ver-         son. Parallel zur Vermittlung des Ansatzes geht es
such dar, Theorie und Experiment, Modell und em-         darum herauszufinden, inwiefern das zu erprobende
pirisch überprüfbare Realität direkt miteinander zu      Konzept sich in Bezug auf das Ziel der Sitzung als
verknüpfen. Durch die eigenständige Durchführung         lernförderlich herausstellt, bzw. welche Aspekte auf
der Experimente am Spielplatz soll zum einen die         den Widerstand der Lernenden stoßen.

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Akzeptanzbefragung zu Augmented Reality-Experimenten auf dem Spielplatz

In der vorgestellten Studie bekamen die Schü-            paraphrasiert. Im letzten Schritt wurde einerseits das
ler*innen bei der gemeinsamen Durchführung der           fachliche Niveau der vorhandenen Paraphrasen zum
Lerneinheit an der Rutsche zunächst die Möglich-         Phänomen in vier Stufen von niedrig (0) bis hoch (3)
keit, das im Modell präsentierte mechanische Kon-        eingeschätzt. Andererseits wurden aus den Paraphra-
zept zur Deutung des Phänomens und den Umgang            sen der Reflexion einzelner Schüler*innen generali-
mit der AR-Funktion kennenzulernen, bevor sie das        sierte Kernaussagen als induktive Kategorien gebil-
AR-Experiment an der Wippe nach demselben                det (s. z.B. Tab.2).
Schema selbst durchführten. Die Lernverläufe wur-                                      Aussage (Zeilennummern im            Paraphrase
den jeweils mit zwei Gruppen à drei Schüler*innen                                      Transkript)                          (Niveau bzw.
der 10. Klasse eines Frankfurter Gymnasiums unter-                                                                          Kernaussage)
sucht, die sowohl die schiefe Ebene als Kraftwandler      A                            Die Tasche wird von Kräften          Die Gewichtskraft
als auch verschiedene Hebelsysteme einige Wochen                                       Richtung Boden gezogen.              muss überwunden
                                                                                       Wenn man schräg nach oben            werden. Es kommt
zuvor im Physikunterricht behandelt hatten und sich                                    zieht, wird die Tasche entlastet     auf den Winkel an
zudem durch eher überdurchschnittliche Leistungen                                      und es ist leichter, die Tasche      (1).
im Fach Physik auszeichnen.                                                            hochzuziehen (4-11).
                                                          B                            Die Rutsche ist eine schiefe         Es gibt eine
Zur Beantwortung von FF1 wurden die Phänomene
                                                                                       Ebene. Das heißt, dass die           Normalkraft und die
an Rutsche und Wippe jeweils in einer festgelegten                                     Tasche von verschiedenen             Gewichtskraft (2).
Abfolge von Befragungs-, Modellierungs- und Ex-                                        Kräften beeinflusst wird. Einmal
perimentierphasen behandelt. Nach jedem Schritt                                        wird die Tasche parallel zur
                                                                                       Ebene nach unten gezogen.
des AR-Experiments wurden die Schüler*innen dazu                                       Durch die Erdanziehungskraft
aufgefordert, das Phänomen in eigenen Worten zu                                        wird sie gerade nach unten,
beschreiben und zu erklären:                                                           Richtung Boden gezogen. Dann
                                                                                       hat die Tasche auch noch ein
A) nach der Beobachtung des Phänomens                                                  eigenes Gewicht (14-22).
B) nach der Beschäftigung mit dem Modell (ohne            C                            Die Abweichungen könnten von         In der Realität gibt
    Überlagerung)                                                                      Reibungskräften kommen.              es Reibungskräfte,
                                                                                       Wenn Tim die Tasche                  die im Modell nicht
C) nach dem Experimentieren (mit Überlagerung)                                         hochzieht, herrscht da natürlich     berücksichtigt
Teilweise wurden sie durch offene Fragen auch                                          auch noch ein Widerstand             wurden (3).
                                                                                       zwischen der Tasche und der
während des Experimentierens dazu angeregt, laut                                       Rutsche (24-44).
zu denken.                                                                             Durch das Modell wird                Die Visualisierung
Im Anschluss an beide AR-Experimente folgte zur                                        verdeutlicht, welche Kräfte zu       der Kräfte hilft dem
Beantwortung von FF2 eine Reflexion des Modells                                        sehen sind und wo sie                Verständnis über die
                                                                                       hingehen, wenn der Körper an         Kräfte in der Situation
mit und ohne Überlagerung, die sich an den folgen-                                     einer bestimmten Stelle ist (14-     (Das Modell hilft beim
                                                          Reflexion des Modells

den Reflexionsfragen orientierte:                                                      22).                                 Verständnis des
 Kannst du in eigene Worte fassen, was im Expe-                                                                            Phänomens).
    riment zu sehen ist und wie das mit dem Modell                                     Wenn wir das neu lernen              Es baut sich eine
    zusammenhängt?                                                                     würden, würde das Modell             bildliche Vorstellung
                                                                                       helfen, eine bildliche Vorstellung   auf (Die Darstellung
 Welche Objekte sind nur im Modell zu sehen,                                          zu bekommen (46-55).                 baut ein mentales
    nicht in der Realität? Helfen sie dir, das Phäno-                                                                       Modell auf).
    men besser zu verstehen?                                                           Wenn man neu anfängt, mit            Bessere Darstellung
                                                                                       dem Thema, ist das im Modell         des Fachinhalts im
 Was hat dir am AR-Experiment im Vergleich zu                                         viel simpler und besser              Modell (Das Modell
    einem ähnlichen Experiment ohne AR besonders                                       dargestellt (233-265).               zeigt Fachinhalte
    gefallen?                                                                                                               auf).
 Was hat dir am AR-Experiment im Vergleich zu                                         Ich finde, durch das Modell wird     Überlagerung mit
                                                                                       einfach viel deutlicher, wo der      unsichtbaren
    einem ähnlichen Experiment ohne AR nicht so                                        Körper hinmuss und wo die            Objekten macht das
                                                          Reflexion der Überlagerung

    gut gefallen?                                                                      Kräfte zutreffen. Und dass man       Phänomen
Bei den Daten handelt es sich um Tonaufnahmen,                                         dann direkt das Ergebnis hat,        verständlich (Die
                                                                                       finde ich auch gut. [Die Kräfte]     Überlagerung hilft
die „systematisch, regel- und theoriegeleitet“ mit der                                 sind im Modell zu sehen, aber        beim Verständnis des
Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet                                    nicht in der Realität (24-44).       Phänomens).
wurden, um eine größtmögliche Objektivität, Relia-                                     [Die Überlagerung] würde             Alltagsbezug des
bilität und Validität der Ergebnisse gewährleisten zu                                  helfen, weil man dann einfach        Modells durch
können (Krüger & Riemeier, 2014, S. 133f). Die                                         ein alltägliches Beispiel hat        praktische Beispiele
Auswertung erfolgte schrittweise: Im Anschluss an                                      (46-55). Und man hat durch die       (Es wird ein direkter
                                                                                       Überlagerung direkt praktische       Alltagsbezug
die wortgetreue Transkription der Aufnahmen wur-                                       Beispiele. So kann man das           hergestellt).
den die Aussagen in einer ersten sprachlichen Glät-                                    Modell gleich in der Realität
tung redigiert. Daraufhin wurden die Aussagen zu-                                      verwerten (233-265).
nächst geordnet (A, B, C bzw. Reflexion des Mo-          Tab.2: Redigierte Aussagen von Emil und Paraphrasen
dells oder Reflexion der Überlagerung) und dann          zum Phänomen an der Rutsche und aus der Reflexion

                                                                                                                                              295
Weber, Teichrew

Da sich jeweils drei Schüler*innen mehrfach zu             möglicher Ursachen für Abweichungen zwischen
demselben Phänomen äußern konnten, wurde bei der           Modell und Experiment an den Tag legten.
Einschätzung des fachlichen Niveaus folgendes              Die von den sechs Schüler*innen im Zusammen-
Vorgehen gewählt: Nach der Ersteinschätzung der            hang mit FF2 während der Reflexionsphase geäußer-
Aussagen zum Phänomen (A), wurde in den nach-              ten Eindrücke zur Arbeit mit dem dynamischen
folgenden Phasen (B und C) geprüft, ob elaborierte-        Modell (ohne Überlagerung) beinhalten 14 Aussa-
re fachliche Aussagen hinzugekommen sind, was zu           gen, aus denen fünf Kernaussagen (KA) induktiv
einer Einschätzung auf einem höheren Niveau füh-           gebildet wurden (s. Reflexion des Modells in Tab.4).
ren würde. Wurden Aussagen auf demselben Niveau            Aus der Zuordnung der Äußerungen zu Kernaussa-
wiederholt, dann verblieb die Person bei der vorhe-        gen geht hervor, dass die Schüler*innen nach der
rigen Einschätzung. Hat sich die Person in einer           Beschäftigung mit den dynamischen Modellen im
Phase nicht mehr geäußert, da z.B. andere Schü-            Rahmen der am Kreislauf der Erkenntnisgewinnung
ler*innen bereits viele Gedanken geäußert haben,           orientierten Lerneinheiten sowohl die Eigenschaften
dann führte das nicht automatisch zu einer negativen       des Modells (KA1), die Beziehung des Modells zum
Einschätzung, sondern wurde lediglich mit „keine           Original (KA2) als auch die Beziehung des Modells
Äußerung“ vermerkt. Ausdrückliche Widersprüche             und des Subjekts (KA3 bis KA5) reflektieren. Das
zu vorher getätigten Aussagen, die zu einer niedrige-      entspricht der von Kircher (1995) für den Physikun-
ren Einschätzung des fachlichen Niveaus geführt            terricht aufbereiteten Sichtweise auf die Erkenntnis-
hätten, konnten nicht beobachtet werden.                   gewinnung als Zusammenspiel von Subjekt, Origi-
                                                           nal und Modell. Die Schüler*innen erkennen somit
3. Ergebnisse
                                                           die intendierten Ziele des digitalen Mediums zur
Anhand einer summativen Evaluation der Äußerun-            Visualisierung der Fachinhalte und sehen auch den
gen der sechs Schüler*innen lassen sich Ergebnisse         verständnisfördernden Bezug zum realen Phänomen.
formulieren, was die Entwicklung des Verständnis-
ses der zugrundeliegenden mechanischen Zusam-                                            Kernaussage            H
menhänge im Laufe der durchgeführten AR-Experi-                  1. Das Modell zeigt Fachinhalte auf.            5
                                                            Reflexion des Modells

mente angeht (FF1). Tabelle 3 zeigt die Einschät-                2. Das Modell hilft beim Verständnis des
zung des fachlichen Niveaus der Äußerungen der                                                                   3
                                                                    Phänomens.
sechs Schüler*innen zu den Phänomenen an der                     3. Eine intensivere Auseinandersetzung mit
Rutsche und an der Wippe in den verschiedenen                                                                    3
                                                                    dem Modell wäre hilfreich.
Phasen des AR-Experiments in Rot (0/niedrig), Gelb               4. Die Darstellung baut ein mentales Modell
(1), Hellgrün (2) und Dunkelgrün (3/hoch) bzw. in                                                                2
                                                                    auf.
Grau, wenn keine Äußerung vorlag.                                5. Die Modelle könnten nicht für alle
                                                                                                                 1
              Emil   Jona   Tim   Lea Martha Sonia Σ                Lernenden geeignet sein.
                                                                 1. Es ist hilfreich, virtuelle Objekte in die
          A                                                                                                      4
                                                            Reflexion der Überlagerung

                                                                    Realität einzublenden.
Rutsche

          B    +      +                         +    +3          2. Die Überlagerung hilft beim Verständnis
                                                                                                                 3
                                                                    des Phänomens.
          C    +                        +            +2          3. Das Modell kann während der
                                                                                                                 3
          A                                                         Überlagerung überprüft werden.
                                                                 4. Die Überlagerung kann als
Wippe

                                                                                                                 3
          B    +             +          +            +3             Messwerkzeug verwendet werden.
                                                                 5. Es wird ein direkter Alltagsbezug
          C    +                   +    +            +3                                                          2
                                                                    hergestellt.
   Σ +4         +1       +1     +1      +3       +1              6. Der außerschulische Lernort ist
                                                                                                                 2
Tab.3: Darstellung der fachlichen Ergebnisse (alle Namen            motivierend.
wurden geändert)                                           Tab.4: Häufigkeit (H) generalisierter Kernaussagen wäh-
Eine Steigerung des Niveaus in den Phasen B und C          rend der Reflexion des Modells und der Überlagerung
wurde mit einem „+“ markiert. An den Enden der             Der Reflexion der Schüler*innen bezüglich der
Tabelle befindet sich die Summe (Σ) der Steigerun-         Überlagerung der Realität mit dem dynamischen
gen für jede Phase bzw. für jede Person. So haben          Modell im AR-Experiment konnten 17 Aussagen
die Lernenden bestehende Vorstellungen zum Phä-            entnommen werden, die auf sechs Kernaussagen
nomen (A) teilweise mithilfe der Modelle (B) und           reduziert wurden (s. Reflexion der Überlagerung in
teilweise auch noch während der Überlagerung (C)           Tab.4). Sie betreffen sowohl die visuelle (KA1),
ausgebaut. Insbesondere an der Wippe stellten die          kognitive (KA2), experimentelle (KA3 und KA4) als
Schüler*innen durch die Überlagerung eine deutli-          auch affektive (KA5 und KA6) Unterstützung der
che Verknüpfung zwischen Modell und Realität her,          Lernenden durch den Einsatz von AR im Rahmen
die sich vor allem darin zeigte, dass sie ein hohes        der konzipierten AR-Experimente auf dem Spiel-
Maß an Kreativität in Bezug auf die Ermittlung             platz. Die Möglichkeit, Fachinhalte im Gegensatz

296
Akzeptanzbefragung zu Augmented Reality-Experimenten auf dem Spielplatz

zum gewohnten Laborsetting direkt vor Ort mit           einzelnen Schritte müsste ebenso nicht direkt auf
Alltagserfahrungen zu verknüpfen, hatte einen posi-     dem Spielplatz erfolgen.
tiven Einfluss nicht nur auf die Motivation, sondern    Zudem bleibt zu klären, inwiefern die Ergebnisse
auch auf das Verständnis:                               durch den Spielplatz als außerschulischen Lernort
  Ich finde es schwer, wenn wir mithilfe von Bei-       beeinflusst wurden. Die Lernenden legten zwar eine
  spielen arbeiten, das [Gelernte] auf die Realität     Akzeptanz gegenüber dem Lernen mit einer Überla-
  zu übertragen. Das geht mit dem Modell [in            gerung von Modell und Realität an den Tag, es
  Augmented Reality] besser (562-563, Lea).             bleibt jedoch offen, ob es nicht die Kombination des
Auch die eigenständige Durchführung wurde von           AR-Experiments mit der Realität am Spielplatz ist,
den Schüler*innen als hilfreich und motivierend         welche dieses Ergebnis bedingt. Um dieser Frage
empfunden, die Bedienung der App verlief weitest-       nachzugehen, wären vergleichende Untersuchungen
gehend problemlos. Die Fülle an Informationen und       zwischen dem Lernen mit AR-Experimenten im
Möglichkeiten, unterschiedliche virtuelle Objekte       Laborsetting und im Alltag der Schüler*innen anzu-
ein- und auszublenden stellte einige Schüler*innen      stellen.
jedoch vor eine Herausforderung. Entsprechend
                                                        5. Literatur
wünschten sie sich mehrheitlich mehr Zeit für die
Auseinandersetzung mit dem Modell im Vorfeld des        Erb, R. & Teichrew, A. (2020). Geometrische Optik
AR-Experiments, insbesondere bei der Vorstellung,             mit GeoGebra. NiU Physik, 31(175), 24–28.
sie könnten Teil des regulären Physikunterrichts im     Jung, W. (1992). Probing acceptance, a technique
Klassenverband sein.                                          for investigating learning difficulties (IPN). In
Zusammengefasst konnten die Schüler*innen ihre                R. Duit, F. Goldberg & H. Niedderer (Hrsg.),
Fähigkeiten in Bezug auf die Erklärung des Phäno-             Research in physics learning: theoretical issues
mens mit physikalischen Modellvorstellungen aus-              and empirical studies: proceedings of an
bauen und präzisieren. Ist das Modell jedoch zu               international workshop held at the University
komplex oder haben die Schüler*innen im Vorfeld               of Bremen (S. 278–295). Kiel: Institut für die
der Durchführung nicht ausreichend Zeit, sich mit             Pädagogik der Naturwissenschaften an der
der dynamischen Visualisierung vertraut zu machen,            Universität Kiel.
besteht die Gefahr, dass insbesondere die Überlage-     Kircher, E. (1995). Studien zur Physikdidaktik:
rung zu Überforderung führt. Insgesamt kann von               Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische
einer hohen Akzeptanz der Schüler*innen gegenüber             Grundlagen (IPN). Kiel: Institut für die
der Durchführung von AR-Experimenten nach dem                 Pädagogik der Naturwissenschaften.
beschriebenen Konzept gesprochen werden.                Krüger, D. & Riemeier, T. (2014). Die qualitative
                                                              Inhaltsanalyse – eine Methode zur Auswertung
4. Diskussion
                                                              von Interviews. In D. Krüger, I. Parchmann &
Aus den Ergebnissen ergeben sich vielversprechende            H. Schecker (Hrsg.), Methoden in der
Hinweise, was die Akzeptanz der entwickelten                  naturwissenschaftsdidaktischen Forschung (S.
Lerneinheiten und das Potential von AR-Experi-                133–145). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin
menten mit GeoGebra im Physikunterricht allge-                Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-
mein angeht. Diese verlangen jedoch nicht zuletzt             37827-0_11
angesichts der limitierenden Rahmenbedingungen
                                                        Schecker, H. & Wilhelm, T. (2018).
der hier durchgeführten Erhebung nach weiterer
                                                              Schülervorstellungen in der Mechanik. In H.
empirischer Untersuchung. Während der Durchfüh-
                                                              Schecker, T. Wilhelm, M. Hopf & R. Duit
rung und der anschließenden Reflexion in Dreier-
                                                              (Hrsg.), Schülervorstellungen und
gruppen entwickelte sich eine Gruppendynamik, in
                                                              Physikunterricht (S. 63–88). Berlin,
der die Handlungen oder das Gespräch von einzel-
                                                              Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
nen Schüler*innen dominiert wurden, was sich in
                                                              https://doi.org/10.1007/978-3-662-57270-2_4
den Ergebnissen niederschlägt. Eine quantitative
Interventionsstudie mit einer größeren Stichprobe       Teichrew, A. & Erb, R. (2019). Analysis of learning
und einer Unterrichtseinheit entlang des Kreislaufs           with dynamic models and experiments in
der Erkenntnisgewinnung, in welche verschiedene               optics. In O. Levrini & G. Tasquier (Hrsg.),
aufeinander aufbauende AR-Experimente eingebet-               Electronic Proceedings of the ESERA 2019
tet sind, steht noch aus.                                     Conference. Part 3 (Co-Hrsg. Fechner, S. &
                                                              Vorhoeff. R.) (S. 330–336). Bologna. Verfügbar
Die im Rahmen des Projekts entwickelten dynami-
                                                              unter: https://www.esera.org/publications/esera-
schen Modelle wurden überarbeitet und können
                                                              conference-proceedings/esera-2019
neben der Durchführung am Spielplatz auch im
Fachraum als Visualisierungen genutzt werden            Teichrew, A. & Erb, R. (2020a). How augmented
(https://www.geogebra.org/m/fwva54pz), um die zu              reality enhances typical classroom experiments:
überprüfenden Hypothesen in einer konzentrierten              examples from mechanics, electricity and
Atmosphäre herauszuarbeiten. Die Reflexion der                optics. Physics Education, 55(6), 065029.
                                                              https://doi.org/10.1088/1361-6552/abb5b9

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Weber, Teichrew

Teichrew, A. & Erb, R. (2020b). Augmented
    Reality-Experimente mit GeoGebra. PhyDid B -
    Didaktik der Physik - Beiträge zur DPG-
    Frühjahrstagung. Zugriff am 15.4.2021.
    Verfügbar unter:
    http://www.phydid.de/index.php/phydid-
    b/article/view/1043
Teichrew, A. & Erb, R. (2020c). Lernen mit
    Modellen und Experimenten: Von der
    Beobachtung zur Erkenntnis am Beispiel des
    Regenbogens. MNU, 73(6), 481–486.
Wiesner, H. & Wodzinski, R. (1996).
    Akzeptanzbefragung als Methode zur
    Untersuchung von Lernschwierigkeiten und
    Lernverläufen. In R. Duit & C. Rhöneck
    (Hrsg.), Lernen in den Naturwissenschaften (S.
    250–274). Kiel: IPN.

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