Didaktik der Physik Frühjahrstagung - virtuell 2021 - PhyDid
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Didaktik der Physik Frühjahrstagung – virtuell 2021 Akzeptanzbefragung zu Augmented Reality-Experimenten auf dem Spielplatz Jelka Weber*, Albert Teichrew* *Institut für Didaktik der Physik, Goethe-Universität Frankfurt am Main teichrew@physik.uni-frankfurt.de Kurzfassung Bei der Vermittlung physikalischer Inhalte und naturwissenschaftlicher Forschungsprozesse spielt die Verknüpfung von Theorie und Experiment zur Erklärung physikalischer Phänomene eine be- deutende Rolle. Der Einsatz einer Geometrie-Software wie GeoGebra stellt ein einfaches Werk- zeug zur Visualisierung physikalischer Modelle in Form dynamischer Konstruktionen dar. Mit dem GeoGebra 3D Rechner lassen sich mithilfe von Augmented Reality (AR) reale Situationen mit den Konstruktionen überlagern, sodass Konzept und Beobachtung intuitiv miteinander vergli- chen werden können. In dem Beitrag wird das Potential der Verknüpfung von Modell und Experi- ment behandelt. Dazu wurden verschiedene Modelle und zugehörige Lerneinheiten für den Einsatz von AR-Experimenten auf dem Spielplatz konzipiert. Im Rahmen einer Akzeptanzbefragung mit zwei Schüler*innengruppen wurde an diesem Beispiel untersucht, inwiefern sich die Durchfüh- rung von AR-Experimenten als lernförderliches Instrument im Physikunterricht eignet. 1. Hintergrund mente bieten Lernenden gleichzeitig ein realistisches Die Mechanik könnte als leichtes, da alltagsnahes Abbild des Experiments durch die Kamera und die Themengebiet des Physikunterrichts angesehen geometrische Repräsentation desselben durch die werden. Doch gerade die Nähe zum Alltag und die Modelldarstellung. Es sollte jedoch zuvor eine Aus- vermeintlich leichte Zugänglichkeit des Themas einandersetzung mit dem dynamischen Modell ohne führen zu häufig übersehenen Lernschwierigkeiten Überlagerung stattfinden, um im Vorfeld im Expe- (Schecker & Wilhelm, 2018, S. 64). In diesen Fällen riment überprüfbare Aussagen zu formulieren (vgl. könnte die Gegenüberstellung von auf physikali- Teichrew & Erb, 2019). In einem alternativen Set- schen Prinzipien basierenden abstrakten Modellen, ting könnte die Überlagerung allerdings auch den die die naturwissenschaftliche Sichtweise repräsen- Aufbau und die Durchführung des Experiments tieren, und den mit Alltagsvorstellungen behafteten erleichtern, indem bestimmte Positionen, Winkel realen Situationen hilfreich sein. oder Größenverhältnisse im Modell vorgegeben oder mit dem Modell gemessen werden. Während der Mithilfe der Dynamische-Geometrie-Software Durchführung besteht die Möglichkeit, Ergebnisse (DGS) GeoGebra lassen sich naturwissenschaftliche durch Bildschirmaufnahmen zu dokumentieren, Ideen und Konzepte durch dynamische Modelle sodass sie auch im Nachhinein nachvollzogen oder visualisieren (vgl. Erb & Teichrew, 2020). Die diskutiert werden können. Augmented Reality (AR) Funktion der App GeoGebra 3D Rechner erlaubt es zudem die Sicht auf eine reale Umgebung auf dem Bildschirm eines Smartphones oder Tablets mit den dynamischen Modellen in Echtzeit zu überlagern. Die virtuellen 3D-Objekte können in Größe und Position an die jeweils beobachtete Situation angepasst werden und behalten diese bei. Auf diese Weise ist es möglich, sie auf dem Bildschirm von allen Seiten und aus unterschiedlicher Entfernung zu betrachten, als seien sie in der realen Umgebung vorhanden. Dadurch können reale Experimente mit nicht sichtbaren phy- sikalischen Konzepten wie z.B. Kraftpfeilen erwei- tert werden, die zum Verständnis des Experiments beitragen (s. z.B. Abb.1). Der Einsatz einer solchen Überlagerung von Modell Abb.1: Bildschirmaufnahme während des AR-Experi- und Versuchsaufbau während der Durchführung ments an der Rutsche eines Experiments wird AR-Experiment genannt Vor diesem Hintergrund wurden an unterschiedli- (vgl. Teichrew & Erb, 2020a, 2020b). AR-Experi- chen Spielplatzgeräten Phänomene identifiziert, die 293
Weber, Teichrew sich für den Einsatz eines AR-Experiments eignen, mentale Aktivität der Lernenden gefordert, zum und entsprechende Lerneinheiten zur Durchführung anderen eine Situation hergestellt werden, in welcher auf dem Spielplatz entwickelt: der Lerngegenstand für sie tatsächlich eine Rolle Kraftersparnis an der Rutsche spielt. Gleichgewichtszustand an der Wippe In der vorgestellten Studie wurde untersucht, ob die Lernenden ihr Verständnis der zugrundeliegenden Beschleunigung an der Schaukel mechanischen Zusammenhänge durch die Verknüp- Kräfte am Karussell fung von Modell und Experiment im Rahmen der Grundsätzlich lassen sich AR-Experimente eher auf Lerneinheiten erweitern oder festigen können (FF1). statische Phänomene anwenden, da AR mit Des Weiteren ging es darum herauszufinden, inwie- GeoGebra nicht auf die Überlagerung von Bewe- fern Modelle als Visualisierungen physikalischer gungen – etwa einer rutschenden, wippenden oder Konzepte bzw. die Überlagerung realer Spielplatz- schaukelnden Person – mit zeitabhängigen Simulati- geräte in AR-Experimenten von den Lernenden als onen ausgelegt ist. Dennoch lassen sich AR-Experi- Lernwerkzeuge betrachtet werden (FF2). mente (und entsprechende Lerneinheiten) konzipie- ren, die anhand von statischen Messungen ein ver- 2. Methode tieftes Verständnis der Spielplatzgeräte und der Weder die Durchführung von Experimenten noch jeweils zugrundeliegenden physikalischen Konzepte der Einsatz von dynamischen Modellen garantieren fordern und fördern. So kann die Rutsche als schiefe von sich aus Lernerfolg. Die erfolgreiche Verknüp- Ebene betrachtet werden, an der ein Objekt gehalten fung von Modell und Realität mithilfe des Einsatzes oder heraufgezogen wird. An der Wippe als Hebel von AR mit GeoGebra am außerschulischen Lernort können im AR-Experiment die Bedingungen für den setzt eine angemessene Unterrichtsstruktur voraus. Gleichgewichtszustand untersucht werden. An der Anhand verschiedener Ziele des Experimentierens Schaukel kann die für eine Pendelbewegung essen- im Physikunterricht sowie dem Modell als (mentale) zielle rückwirkende Kraft in Abhängigkeit der Aus- Rekonstruktion der Natur schlagen wir mit dem lenkung bestimmt werden. Am Karussell wird die Kreislauf der Erkenntnisgewinnung eine Strukturhil- Kraft untersucht, die notwendig ist, um sich in ver- fe für geeignete Lernumgebungen vor (Teichrew & schiedenen Entfernungen von der Drehachse auf der Erb, 2020c). Im Vorfeld der Durchführung eines rotierenden Scheibe zu halten. Im Zentrum jeder der (AR-)Experiments setzen sich die Lernenden zu- im Rahmen des Projekts entwickelten Lerneinheiten nächst mit dem betrachteten Phänomen, dessen phy- steht eines dieser Phänomene, das am jeweiligen sikalischen Modell, der Bildung von Hypothesen Spielplatzgerät mit dem dafür entwickelten dynami- anhand dieses Modells sowie der adäquaten Konzep- schen Modell untersucht wird (s. Tab.1). tion des Experiments auseinander. Gerät Phänomen Modell Die in der Studie eingesetzte Methode der Akzep- Rutsche Anstrengung beim Anhe- Kräfte an der tanzbefragung geht auf Jung und Wiesner zurück ben eines Körpers und schiefen Ebene (vgl. Jung, 1992; Wiesner & Wodzinski, 1996). Es beim Hochziehen an der handelt sich um eine qualitative fachdidaktische Rutsche vergleichen. Methode, bei der untersucht werden soll, wie gut ein Wippe Gleichgewichtszustand Kräfte und Lernkonzept und die dafür entwickelten Lernmedien mit zwei Körpern unter- Abstände am von den Proband*innen angenommen werden und schiedlicher Masse an Hebel die Erklärung, die sie für komplexe fachwissen- der Wippe herstellen. schaftliche Phänomene bereithalten, akzeptiert wird. Schaukel Startbeschleunigung bei Rücktreibende Durch in die Lerneinheit integrierte, methodisch großer und kleiner Aus- Kraft am Pen- vorstrukturierte Befragungsphasen wird evaluiert, ob lenkung der Schaukel del die Lernenden das Angebot verstehen, es für eigene vergleichen. Erklärungen nutzen sowie auf weitere Fragestellun- Karussell Anstrengung, um sich Zentripetalkraft gen anwenden können. Ist dies der Fall, kann von auf dem Karussell zu bei der Kreis- einer Akzeptanz des Angebots gesprochen werden. halten, bei großen und bewegung Das Setting für eine solche Akzeptanzbefragung ist kleinen Abständen zum klassischerweise ein sogenanntes teaching experi- Drehmittelpunkt verglei- ment, in dem die fachliche Instruktion und die Ana- chen. lyse der Schüler*innenreaktionen unmittelbar mitei- Tab.1: Übersicht über die behandelten Phänomene und nander verbunden sind. Lehrer*in und Forscher*in Modelle an verschiedenen Spielplatzgeräten sind im teaching experiment ein und dieselbe Per- Die entwickelten AR-Experimente stellen den Ver- son. Parallel zur Vermittlung des Ansatzes geht es such dar, Theorie und Experiment, Modell und em- darum herauszufinden, inwiefern das zu erprobende pirisch überprüfbare Realität direkt miteinander zu Konzept sich in Bezug auf das Ziel der Sitzung als verknüpfen. Durch die eigenständige Durchführung lernförderlich herausstellt, bzw. welche Aspekte auf der Experimente am Spielplatz soll zum einen die den Widerstand der Lernenden stoßen. 294
Akzeptanzbefragung zu Augmented Reality-Experimenten auf dem Spielplatz In der vorgestellten Studie bekamen die Schü- paraphrasiert. Im letzten Schritt wurde einerseits das ler*innen bei der gemeinsamen Durchführung der fachliche Niveau der vorhandenen Paraphrasen zum Lerneinheit an der Rutsche zunächst die Möglich- Phänomen in vier Stufen von niedrig (0) bis hoch (3) keit, das im Modell präsentierte mechanische Kon- eingeschätzt. Andererseits wurden aus den Paraphra- zept zur Deutung des Phänomens und den Umgang sen der Reflexion einzelner Schüler*innen generali- mit der AR-Funktion kennenzulernen, bevor sie das sierte Kernaussagen als induktive Kategorien gebil- AR-Experiment an der Wippe nach demselben det (s. z.B. Tab.2). Schema selbst durchführten. Die Lernverläufe wur- Aussage (Zeilennummern im Paraphrase den jeweils mit zwei Gruppen à drei Schüler*innen Transkript) (Niveau bzw. der 10. Klasse eines Frankfurter Gymnasiums unter- Kernaussage) sucht, die sowohl die schiefe Ebene als Kraftwandler A Die Tasche wird von Kräften Die Gewichtskraft als auch verschiedene Hebelsysteme einige Wochen Richtung Boden gezogen. muss überwunden Wenn man schräg nach oben werden. Es kommt zuvor im Physikunterricht behandelt hatten und sich zieht, wird die Tasche entlastet auf den Winkel an zudem durch eher überdurchschnittliche Leistungen und es ist leichter, die Tasche (1). im Fach Physik auszeichnen. hochzuziehen (4-11). B Die Rutsche ist eine schiefe Es gibt eine Zur Beantwortung von FF1 wurden die Phänomene Ebene. Das heißt, dass die Normalkraft und die an Rutsche und Wippe jeweils in einer festgelegten Tasche von verschiedenen Gewichtskraft (2). Abfolge von Befragungs-, Modellierungs- und Ex- Kräften beeinflusst wird. Einmal perimentierphasen behandelt. Nach jedem Schritt wird die Tasche parallel zur Ebene nach unten gezogen. des AR-Experiments wurden die Schüler*innen dazu Durch die Erdanziehungskraft aufgefordert, das Phänomen in eigenen Worten zu wird sie gerade nach unten, beschreiben und zu erklären: Richtung Boden gezogen. Dann hat die Tasche auch noch ein A) nach der Beobachtung des Phänomens eigenes Gewicht (14-22). B) nach der Beschäftigung mit dem Modell (ohne C Die Abweichungen könnten von In der Realität gibt Überlagerung) Reibungskräften kommen. es Reibungskräfte, Wenn Tim die Tasche die im Modell nicht C) nach dem Experimentieren (mit Überlagerung) hochzieht, herrscht da natürlich berücksichtigt Teilweise wurden sie durch offene Fragen auch auch noch ein Widerstand wurden (3). zwischen der Tasche und der während des Experimentierens dazu angeregt, laut Rutsche (24-44). zu denken. Durch das Modell wird Die Visualisierung Im Anschluss an beide AR-Experimente folgte zur verdeutlicht, welche Kräfte zu der Kräfte hilft dem Beantwortung von FF2 eine Reflexion des Modells sehen sind und wo sie Verständnis über die hingehen, wenn der Körper an Kräfte in der Situation mit und ohne Überlagerung, die sich an den folgen- einer bestimmten Stelle ist (14- (Das Modell hilft beim Reflexion des Modells den Reflexionsfragen orientierte: 22). Verständnis des Kannst du in eigene Worte fassen, was im Expe- Phänomens). riment zu sehen ist und wie das mit dem Modell Wenn wir das neu lernen Es baut sich eine zusammenhängt? würden, würde das Modell bildliche Vorstellung helfen, eine bildliche Vorstellung auf (Die Darstellung Welche Objekte sind nur im Modell zu sehen, zu bekommen (46-55). baut ein mentales nicht in der Realität? Helfen sie dir, das Phäno- Modell auf). men besser zu verstehen? Wenn man neu anfängt, mit Bessere Darstellung dem Thema, ist das im Modell des Fachinhalts im Was hat dir am AR-Experiment im Vergleich zu viel simpler und besser Modell (Das Modell einem ähnlichen Experiment ohne AR besonders dargestellt (233-265). zeigt Fachinhalte gefallen? auf). Was hat dir am AR-Experiment im Vergleich zu Ich finde, durch das Modell wird Überlagerung mit einfach viel deutlicher, wo der unsichtbaren einem ähnlichen Experiment ohne AR nicht so Körper hinmuss und wo die Objekten macht das Reflexion der Überlagerung gut gefallen? Kräfte zutreffen. Und dass man Phänomen Bei den Daten handelt es sich um Tonaufnahmen, dann direkt das Ergebnis hat, verständlich (Die finde ich auch gut. [Die Kräfte] Überlagerung hilft die „systematisch, regel- und theoriegeleitet“ mit der sind im Modell zu sehen, aber beim Verständnis des Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet nicht in der Realität (24-44). Phänomens). wurden, um eine größtmögliche Objektivität, Relia- [Die Überlagerung] würde Alltagsbezug des bilität und Validität der Ergebnisse gewährleisten zu helfen, weil man dann einfach Modells durch können (Krüger & Riemeier, 2014, S. 133f). Die ein alltägliches Beispiel hat praktische Beispiele Auswertung erfolgte schrittweise: Im Anschluss an (46-55). Und man hat durch die (Es wird ein direkter Überlagerung direkt praktische Alltagsbezug die wortgetreue Transkription der Aufnahmen wur- Beispiele. So kann man das hergestellt). den die Aussagen in einer ersten sprachlichen Glät- Modell gleich in der Realität tung redigiert. Daraufhin wurden die Aussagen zu- verwerten (233-265). nächst geordnet (A, B, C bzw. Reflexion des Mo- Tab.2: Redigierte Aussagen von Emil und Paraphrasen dells oder Reflexion der Überlagerung) und dann zum Phänomen an der Rutsche und aus der Reflexion 295
Weber, Teichrew Da sich jeweils drei Schüler*innen mehrfach zu möglicher Ursachen für Abweichungen zwischen demselben Phänomen äußern konnten, wurde bei der Modell und Experiment an den Tag legten. Einschätzung des fachlichen Niveaus folgendes Die von den sechs Schüler*innen im Zusammen- Vorgehen gewählt: Nach der Ersteinschätzung der hang mit FF2 während der Reflexionsphase geäußer- Aussagen zum Phänomen (A), wurde in den nach- ten Eindrücke zur Arbeit mit dem dynamischen folgenden Phasen (B und C) geprüft, ob elaborierte- Modell (ohne Überlagerung) beinhalten 14 Aussa- re fachliche Aussagen hinzugekommen sind, was zu gen, aus denen fünf Kernaussagen (KA) induktiv einer Einschätzung auf einem höheren Niveau füh- gebildet wurden (s. Reflexion des Modells in Tab.4). ren würde. Wurden Aussagen auf demselben Niveau Aus der Zuordnung der Äußerungen zu Kernaussa- wiederholt, dann verblieb die Person bei der vorhe- gen geht hervor, dass die Schüler*innen nach der rigen Einschätzung. Hat sich die Person in einer Beschäftigung mit den dynamischen Modellen im Phase nicht mehr geäußert, da z.B. andere Schü- Rahmen der am Kreislauf der Erkenntnisgewinnung ler*innen bereits viele Gedanken geäußert haben, orientierten Lerneinheiten sowohl die Eigenschaften dann führte das nicht automatisch zu einer negativen des Modells (KA1), die Beziehung des Modells zum Einschätzung, sondern wurde lediglich mit „keine Original (KA2) als auch die Beziehung des Modells Äußerung“ vermerkt. Ausdrückliche Widersprüche und des Subjekts (KA3 bis KA5) reflektieren. Das zu vorher getätigten Aussagen, die zu einer niedrige- entspricht der von Kircher (1995) für den Physikun- ren Einschätzung des fachlichen Niveaus geführt terricht aufbereiteten Sichtweise auf die Erkenntnis- hätten, konnten nicht beobachtet werden. gewinnung als Zusammenspiel von Subjekt, Origi- nal und Modell. Die Schüler*innen erkennen somit 3. Ergebnisse die intendierten Ziele des digitalen Mediums zur Anhand einer summativen Evaluation der Äußerun- Visualisierung der Fachinhalte und sehen auch den gen der sechs Schüler*innen lassen sich Ergebnisse verständnisfördernden Bezug zum realen Phänomen. formulieren, was die Entwicklung des Verständnis- ses der zugrundeliegenden mechanischen Zusam- Kernaussage H menhänge im Laufe der durchgeführten AR-Experi- 1. Das Modell zeigt Fachinhalte auf. 5 Reflexion des Modells mente angeht (FF1). Tabelle 3 zeigt die Einschät- 2. Das Modell hilft beim Verständnis des zung des fachlichen Niveaus der Äußerungen der 3 Phänomens. sechs Schüler*innen zu den Phänomenen an der 3. Eine intensivere Auseinandersetzung mit Rutsche und an der Wippe in den verschiedenen 3 dem Modell wäre hilfreich. Phasen des AR-Experiments in Rot (0/niedrig), Gelb 4. Die Darstellung baut ein mentales Modell (1), Hellgrün (2) und Dunkelgrün (3/hoch) bzw. in 2 auf. Grau, wenn keine Äußerung vorlag. 5. Die Modelle könnten nicht für alle 1 Emil Jona Tim Lea Martha Sonia Σ Lernenden geeignet sein. 1. Es ist hilfreich, virtuelle Objekte in die A 4 Reflexion der Überlagerung Realität einzublenden. Rutsche B + + + +3 2. Die Überlagerung hilft beim Verständnis 3 des Phänomens. C + + +2 3. Das Modell kann während der 3 A Überlagerung überprüft werden. 4. Die Überlagerung kann als Wippe 3 B + + + +3 Messwerkzeug verwendet werden. 5. Es wird ein direkter Alltagsbezug C + + + +3 2 hergestellt. Σ +4 +1 +1 +1 +3 +1 6. Der außerschulische Lernort ist 2 Tab.3: Darstellung der fachlichen Ergebnisse (alle Namen motivierend. wurden geändert) Tab.4: Häufigkeit (H) generalisierter Kernaussagen wäh- Eine Steigerung des Niveaus in den Phasen B und C rend der Reflexion des Modells und der Überlagerung wurde mit einem „+“ markiert. An den Enden der Der Reflexion der Schüler*innen bezüglich der Tabelle befindet sich die Summe (Σ) der Steigerun- Überlagerung der Realität mit dem dynamischen gen für jede Phase bzw. für jede Person. So haben Modell im AR-Experiment konnten 17 Aussagen die Lernenden bestehende Vorstellungen zum Phä- entnommen werden, die auf sechs Kernaussagen nomen (A) teilweise mithilfe der Modelle (B) und reduziert wurden (s. Reflexion der Überlagerung in teilweise auch noch während der Überlagerung (C) Tab.4). Sie betreffen sowohl die visuelle (KA1), ausgebaut. Insbesondere an der Wippe stellten die kognitive (KA2), experimentelle (KA3 und KA4) als Schüler*innen durch die Überlagerung eine deutli- auch affektive (KA5 und KA6) Unterstützung der che Verknüpfung zwischen Modell und Realität her, Lernenden durch den Einsatz von AR im Rahmen die sich vor allem darin zeigte, dass sie ein hohes der konzipierten AR-Experimente auf dem Spiel- Maß an Kreativität in Bezug auf die Ermittlung platz. Die Möglichkeit, Fachinhalte im Gegensatz 296
Akzeptanzbefragung zu Augmented Reality-Experimenten auf dem Spielplatz zum gewohnten Laborsetting direkt vor Ort mit einzelnen Schritte müsste ebenso nicht direkt auf Alltagserfahrungen zu verknüpfen, hatte einen posi- dem Spielplatz erfolgen. tiven Einfluss nicht nur auf die Motivation, sondern Zudem bleibt zu klären, inwiefern die Ergebnisse auch auf das Verständnis: durch den Spielplatz als außerschulischen Lernort Ich finde es schwer, wenn wir mithilfe von Bei- beeinflusst wurden. Die Lernenden legten zwar eine spielen arbeiten, das [Gelernte] auf die Realität Akzeptanz gegenüber dem Lernen mit einer Überla- zu übertragen. Das geht mit dem Modell [in gerung von Modell und Realität an den Tag, es Augmented Reality] besser (562-563, Lea). bleibt jedoch offen, ob es nicht die Kombination des Auch die eigenständige Durchführung wurde von AR-Experiments mit der Realität am Spielplatz ist, den Schüler*innen als hilfreich und motivierend welche dieses Ergebnis bedingt. Um dieser Frage empfunden, die Bedienung der App verlief weitest- nachzugehen, wären vergleichende Untersuchungen gehend problemlos. Die Fülle an Informationen und zwischen dem Lernen mit AR-Experimenten im Möglichkeiten, unterschiedliche virtuelle Objekte Laborsetting und im Alltag der Schüler*innen anzu- ein- und auszublenden stellte einige Schüler*innen stellen. jedoch vor eine Herausforderung. Entsprechend 5. Literatur wünschten sie sich mehrheitlich mehr Zeit für die Auseinandersetzung mit dem Modell im Vorfeld des Erb, R. & Teichrew, A. (2020). Geometrische Optik AR-Experiments, insbesondere bei der Vorstellung, mit GeoGebra. NiU Physik, 31(175), 24–28. sie könnten Teil des regulären Physikunterrichts im Jung, W. (1992). Probing acceptance, a technique Klassenverband sein. for investigating learning difficulties (IPN). In Zusammengefasst konnten die Schüler*innen ihre R. Duit, F. Goldberg & H. Niedderer (Hrsg.), Fähigkeiten in Bezug auf die Erklärung des Phäno- Research in physics learning: theoretical issues mens mit physikalischen Modellvorstellungen aus- and empirical studies: proceedings of an bauen und präzisieren. Ist das Modell jedoch zu international workshop held at the University komplex oder haben die Schüler*innen im Vorfeld of Bremen (S. 278–295). Kiel: Institut für die der Durchführung nicht ausreichend Zeit, sich mit Pädagogik der Naturwissenschaften an der der dynamischen Visualisierung vertraut zu machen, Universität Kiel. besteht die Gefahr, dass insbesondere die Überlage- Kircher, E. (1995). Studien zur Physikdidaktik: rung zu Überforderung führt. Insgesamt kann von Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische einer hohen Akzeptanz der Schüler*innen gegenüber Grundlagen (IPN). Kiel: Institut für die der Durchführung von AR-Experimenten nach dem Pädagogik der Naturwissenschaften. beschriebenen Konzept gesprochen werden. Krüger, D. & Riemeier, T. (2014). Die qualitative Inhaltsanalyse – eine Methode zur Auswertung 4. Diskussion von Interviews. In D. Krüger, I. Parchmann & Aus den Ergebnissen ergeben sich vielversprechende H. Schecker (Hrsg.), Methoden in der Hinweise, was die Akzeptanz der entwickelten naturwissenschaftsdidaktischen Forschung (S. Lerneinheiten und das Potential von AR-Experi- 133–145). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin menten mit GeoGebra im Physikunterricht allge- Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642- mein angeht. Diese verlangen jedoch nicht zuletzt 37827-0_11 angesichts der limitierenden Rahmenbedingungen Schecker, H. & Wilhelm, T. (2018). der hier durchgeführten Erhebung nach weiterer Schülervorstellungen in der Mechanik. In H. empirischer Untersuchung. Während der Durchfüh- Schecker, T. Wilhelm, M. Hopf & R. Duit rung und der anschließenden Reflexion in Dreier- (Hrsg.), Schülervorstellungen und gruppen entwickelte sich eine Gruppendynamik, in Physikunterricht (S. 63–88). Berlin, der die Handlungen oder das Gespräch von einzel- Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. nen Schüler*innen dominiert wurden, was sich in https://doi.org/10.1007/978-3-662-57270-2_4 den Ergebnissen niederschlägt. Eine quantitative Interventionsstudie mit einer größeren Stichprobe Teichrew, A. & Erb, R. (2019). Analysis of learning und einer Unterrichtseinheit entlang des Kreislaufs with dynamic models and experiments in der Erkenntnisgewinnung, in welche verschiedene optics. In O. Levrini & G. Tasquier (Hrsg.), aufeinander aufbauende AR-Experimente eingebet- Electronic Proceedings of the ESERA 2019 tet sind, steht noch aus. Conference. Part 3 (Co-Hrsg. Fechner, S. & Vorhoeff. R.) (S. 330–336). Bologna. Verfügbar Die im Rahmen des Projekts entwickelten dynami- unter: https://www.esera.org/publications/esera- schen Modelle wurden überarbeitet und können conference-proceedings/esera-2019 neben der Durchführung am Spielplatz auch im Fachraum als Visualisierungen genutzt werden Teichrew, A. & Erb, R. (2020a). How augmented (https://www.geogebra.org/m/fwva54pz), um die zu reality enhances typical classroom experiments: überprüfenden Hypothesen in einer konzentrierten examples from mechanics, electricity and Atmosphäre herauszuarbeiten. Die Reflexion der optics. Physics Education, 55(6), 065029. https://doi.org/10.1088/1361-6552/abb5b9 297
Weber, Teichrew Teichrew, A. & Erb, R. (2020b). Augmented Reality-Experimente mit GeoGebra. PhyDid B - Didaktik der Physik - Beiträge zur DPG- Frühjahrstagung. Zugriff am 15.4.2021. Verfügbar unter: http://www.phydid.de/index.php/phydid- b/article/view/1043 Teichrew, A. & Erb, R. (2020c). Lernen mit Modellen und Experimenten: Von der Beobachtung zur Erkenntnis am Beispiel des Regenbogens. MNU, 73(6), 481–486. Wiesner, H. & Wodzinski, R. (1996). Akzeptanzbefragung als Methode zur Untersuchung von Lernschwierigkeiten und Lernverläufen. In R. Duit & C. Rhöneck (Hrsg.), Lernen in den Naturwissenschaften (S. 250–274). Kiel: IPN. 298
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