DIE BAUHAUSTAPETE IN HANNES MEYERS WANDERSCHAU 1929/1930
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DIE BAUHAUSTAPETE IN HANNES MEYERS WANDERSCHAU 1929/1930 BURCKHARD KIESELBACH SUMMARY 16 Monate tourte die Bauhaus-Wander- aktionen auf die Ausstellung nachge- schau 1929 und 1930 durch die Schweiz zeichnet, wobei erstmals auch die Bau- und Deutschland. Sie begann in Hannes haustapeten in die Betrachtungen einbe- Meyers Heimatstadt Basel, es folgten die zogen werden. Besonders kritisch setzte Stationen Breslau, Dessau, Essen, Mann- sich die Neue Zürcher Zeitung mit der Aus- heim, bevor sie in Zürich endete. Zum stellung insgesamt und Paul Klees Werk zehnjährigen Bestehen sollte sie Rechen- im Besonderen auseinander. Zusätzlich schaft über die Arbeit der Schule aller Ab- informierte sie ihre Leser – wohl als eines teilungen ablegen. Gestützt auf die Be- der ersten Presseorgane – über das un- richterstattung vor allem in der lokalen mittelbar zuvor erfolgte Ausscheiden Presse werden die unterschiedlichen Re- Klees aus dem Bauhaus. » ... eine in jeder Weise höchst brauchbare und gute Volksta- pete«1 »Hannes Meyer (1889-1954), Direktor des Bauhauses Dessau war kürzlich auf der (1904-1971) doch groß und breit, kühl und energisch vorgestellt. Nun war sie er- staunt, »einen nicht sehr großen, schlan- ken, beweglichen zähen Schweizer vor sich zu sehen, in dem üblichen Reisean- zug nicht eleganter Leute, in dunkler Ja- Durchreise nach Essen, wo sie eine Aus- cke mit gestreifter Hose«.5 Meyer war auf stellung haben, hier [in Bramsche]«, no- dem Weg ins Museum Folkwang nach Es- tierte Maria Rasch2 (1897-1959) in ihrem sen, es war die vierte Station der Bau- Abb. 1 Tagebuch. Sie zeigte sich überrascht über hauswanderschau. Vorher war die Aus- Begleitschreiben zum Vertragsentwurf, Hannes Meyer – Hannoversche Tapetenfa- sein Aussehen, hatte sie ihn sich nach stellung in Basel, in Meyers Heimatstadt brik Gebr. Rasch & Co, 01.03.1929. den Beschreibungen von Hinnerk Sche- im dortigen Gewerbemuseum zu Gast ge- © Rasch-Archiv, Tapetenfabrik Gebr. Rasch GmbH & Co. KG, Bramsche per3 (1897-1957), Erich Borchert4 (1907- wesen. Darauf folgend war sie innerhalb 1944) und ihrem Bruder Emil Rasch der Werkbundausstellung Wohnung und Werkraum auf dem Breslauer Messege- lände präsentiert worden, anschließend − wenn auch nur für wenige Tage − im Bau- hausgebäude in Dessau, dem heimatli- chen Domizil. Vom Museum Folkwang in Essen wanderte die Schau weiter in die Städtische Kunsthalle in Mannheim und zu guter Letzt in das Kunstgewerbemuse- um in Zürich. Insgesamt reiste die Bau- hauswanderausstellung – unter wech- selnden Titeln – somit insgesamt etwa 16 Monate durch Deutschland und die Schweiz.6 ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 22
Dabei wurde nicht etwa die Schule ins- ber 1929 herausgegeben wurden, waren gesamt und umfassend dargestellt, ob- sie auf den ersten beiden Stationen in Ba- wohl die Titel in Dessau, Essen und Zürich sel und Breslau noch nicht Teil der Prä- etwas Derartiges vermuten ließen. Bis sentation. Dies war jedoch nicht die auf wenige Arbeiten der Gropius-Ära, einzige Modifizierung des gezeigten Be- zum Beispiel aus der Metallwerkstatt von stands während der Wanderausstel- Marianne Brandt (1893-1983), waren na- lungstournee. Unter anderem kam etwa hezu ausschließlich Werke, Übungen und die oben genannte »Volkswohnung« dazu, Produkte aus Hannes Meyers Direktions- die Ende September 1929 erstmals zur zeit ausgewählt worden. Es handelte sich Eröffnung des Grassimuseums in Leipzig also überwiegend um eine Präsentation präsentiert wurde. Es handelte sich dabei des Bauhauses unter dessen Direktorat. um die vom Bauhaus in der Ausbauwerk- Im Folgenden sollen die verschiede- statt unter Alfred Arendt (1898-1976) kon- nen Stationen der Wanderausstellung zipierte »Kleinstwohnung«, in der die dort kurz vorgestellt werden, wobei die ab gefertigten Bauhausmodelle mit industri- Dessau gezeigten und in den bisherigen ell hergestellten Lizenzprodukten, wie einschlägigen Publikationen kaum zum Beispiel den Bauhaustapeten und beachteten Bauhaustapeten in die Be- den Kandem-Lampen, kombiniert wur- trachtung einbezogen werden. Da diese den. Neben der Veränderung der Ausstel- Tapetenentwürfe »vornehmlich für die lungsobjekte wurden ferner fortlaufend ›volkswohnung‹ bestimmt sein« (ABB.1) die Demonstrationstafeln optimiert, die in sollten,7 wird diese spezielle Art von Woh- verschiedenen Versionen Teil der jeweili- nung ebenfalls kurz behandelt. Die Aus- gen Präsentation waren.8 führungen stützen sich dabei vor allem Nur eine Woche wurde die Wander- auf die Berichte in den jeweiligen lokalen schau im Bauhausgebäude in Dessau im Presseorganen. Rahmen eines Jubiläumsprogramms mit Da die Kollektionen der Bauhaustape- täglichen Vorträgen gezeigt. Anschlie- Abb. 2 Die erste Bauhaus-Kollektion 1930 (kleine te (ABB.2) (ABB.3) erst Anfang Septem- ßend an den Eröffnungsvortrag von Han- »blaue« Karte), Inhalt: Bauhaustapeten b1 – nes Meyer fand ein Rundgang statt, bei b14, insgesamt 145 Farbstellungen, Format: 16 x 24 cm dem die Arbeiten und Ausstellungsstücke © Rasch-Archiv, Tapetenfabrik Gebr. Rasch durch Meyer selbst, Josef Albers (1888- GmbH & Co. KG, Bramsche 1976), Wassily Kandinsky (1866-1944) und Abb. 3 Friedrich Engemann (1898–1970) erläu- Bauhaustapeten 1930, Entwurf Bauhaus Dessau, 1929, b4, b5, b8, b1, b6, b7, tert wurden. Das Volksblatt für Anhalt hob b2, b3 (von oben, von links nach rechts) in seinem Bericht über das Ereignis her- © Rasch-Archiv, Tapetenfabrik Gebr. Rasch GmbH & Co. KG, Bramsche vor, dass die Präsentation in Dessau nicht aus Reklamegründen erfolge, sondern anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Schule Rechenschaft über die Arbeit aller Abteilungen ablegen und die Frage »wo stehen wir?« beantworten solle. Seit die Leitung des Instituts an Meyer über- gegangen war, seien eine inhaltlich neue Ausrichtung und eine grundlegende Än- derung der Tätigkeit vollzogen worden. Damit wurden keineswegs die Leistungen von Walter Gropius (1883-1969) »hintan- gesetzt«. Allerdings sollten nunmehr die ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 23
Methodik hervorgehoben sowie die lich«, berichtete das Volksblatt für An- menschlichen Vorgänge der Arbeit stär- halt.11 ker in den Vordergrund gestellt werden. Nachdem Hannes Meyer zuvor in Die Ausstellung zeige, dass es sich bei Bramsche in der Tapetenfabrik Station den Bauhausprojekten nicht nur um gemacht hatte, eröffnete er am 16. Fe- »schöne Worte und gute Ideen« handle, bruar 1930 die Präsentation im Museum sondern dass diese auch in der Praxis er- Folkwang in Essen mit einem Lichtbild- 9 probt würden. Der Autor des Anhalter An- vortrag über das Thema »Entfesseltes zeigers bescheinigte dem Bauhaus im Bauen« und einer anschließenden Füh- Ganzen, dass das Institut der »wider- rung durch die Ausstellung. Die Essener spruchsvollen Geister« eine eigenartige Allgemeine Zeitung hob besonders die Umkehr vom »Revolutionären ins beinahe »Volkswohnung« mit den Typenmöbeln Offizielle« vollzogen habe, die sich sogar hervor, die zweifellos besondere Beach- »im Wechsel der Bauhäuslermode« zei- tung finden würden.12 Diese »Volkswoh- ge, und er versuchte, dies durch Beispiele nung«, im Museum Folkwang erstmals zu belegen: »Eine Klee-Ausstellung wird Bestandteil der Wanderschau, fand auch vom deutschen Gesandten in Paris eröff- in der Essener Volkszeitung besondere Er- net. Die Bauhaustapeten erreichen als wähnung: In der Zeit der aktuellen Woh- Volkstapete einen ungeahnten Umsatz. nungsnot zeige das Konzept mit der […] Jede moderne Zeitschrift gestaltet Unterbringung alles Notwendigen auf ihren Annoncenteil nach neoplastischen kleinstem Raum in zwei Zimmern und Grundsätzen. Bauhausschlagwörter dro- Küche, wobei zum Beispiel Klappbetten hen Gesprächspointen des Teetischs zu die Nutzung eines Raums als Wohn- und werden.« Diese weitreichende Akzeptanz Schlafzimmer zugleich ermöglichten, berge aber die Gefahr, dass das Institut deutlich die wesentlichen Absichten und aufgrund des Verstummens kritischer Merkmale des Bauhauses: »Man sieht Stimmen am Ende seine Sonderrolle ver- überall das Bestreben, alles so handlich liere und damit »erledigt« und nur noch und so einleuchtend wie möglich zu ge- eine Einrichtung sei, die sich von anderen stalten. Kleine Gegenstände, wie Tee-Ei- nicht mehr wesentlich unterscheide.10 er, sind konstruktiv genau so gründlich In der Dessauer Schau waren alle Ab- durchgeformt wie Sessel, die hellen Ta- teilungen des Bauhauses berücksichtigt. peten mit ihrer feinen Ton in Ton gehalte- Im mittleren Geschoss wurden »Möbel nen Musterung entstanden geradeso aus mannigfachster Ausprägung« und erst- dem Willen, eine nicht schmutzende malig wohl auch die Bauhaustapeten im Wandbekleidung zu schaffen.«13 größeren Kontext präsentiert. Letztere Enttäuscht über die neuen Bauhausta- trafen auf ein überaus positives Echo: »In peten zeigte sich hingegen die Wochen- enger Verbindung mit einer der größten zeitung Bauwarte: »Bei den Tapeten hätte deutschen Firmen, der Hannoverschen man mehr erwartet.« Bei den deutschen Tapetenfabrik Rasch in Bramsche, ist das Tapetenfabriken könne man ähnliche Bauhaus mit sichtlichem Erfolge be- Muster, Farbstellungen und Zeichnung strebt, eine in jeder Weise höchst brauch- schon längst kaufen.14 Sicherlich bezog bare und gute Volkstapete herzustellen, sich der Autor damit auf die seit 1927/28 bez. zu entwerfen, die im Preise den übli- im Markt befindlichen Tapeten von Hans chen Volkstapeten gleicht, höchste Quali- Leistikow (1892-1962) für die Marburger tät darstellt, sowohl nach hygienischen Tapetenfabrik. Leistikow hatte für die wie der künstlerischen Seite hin. Die dar- Siedlung Praunheim in Frankfurt am gebotenen Musterrollen sind sehr erfreu- Main das Farbkonzept entwickelt und auf ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 24
Forderung der Architekten hin ornament- Ausstellung selbst auf, empfing die Pres- lose, reduzierte Muster entworfen, die so- se, eröffnete die Schau am 20. Juni 1930 genannten Siedlungstapeten. Die mit und führte persönlich hindurch. Als Weg- einfarbigem Fond und mit feinen Raste- leitung des Museums erschien eine 16- rungen und Strichelungen in einer ver- seitige Broschüre. Der Verfasser des Tex- wandten Farbe überdruckten Tapeten tes war der Basler Kunsthistoriker Georg bezeichnete Leistikow als »Siedlungs- Schmidt (1896-1965), ein engagierter So- Unis« und »Siedlungs-Raster«. Sie galten zialist,18 der während Meyers Direktorat als Durchbruch einer neuen Tapetenge- im April 1930 Gastvorträge19 am Bauhaus neration, von nun an trat die »ruhige Dessau gehalten hatte. In der Wegleitung 15 Wand« stärker in den Vordergrund. erklärte er unter anderem, warum das Am 4. Mai 1930 wurde die Wander- Bauhaus die Produkte von der Industrie schau in der Städtischen Kunsthalle herstellen und vertreiben lassen wolle Mannheim eröffnet. Auch hier war die und weshalb es für diese Arbeiten im in- »Kleinstwohnung«, wie bereits im Muse- dustriellen Betrieb junge Menschen aus- um Folkwang, Bestandteil der Wander- bilde. Es sei »keine Negation« des Hand- schau. Die Neue Mannheimer Zeitung werks, sondern vielmehr die Bestätigung nannte mit einer Summe von 1800 bis der Tatsache, dass diese »industrielle 2000 Reichsmark nun auch einen Preis Produktionsweisen die wirtschaftlich und für die »Volkswohnung«. Diesen Betrag sozial entscheidende« sei. Neue Produk- dürfte wohl Alfred Arndt (1898-1976), un- te müssten, bevor sie industriell von der ter dessen Leitung diese Wohnung in der Maschine hergestellt werden könnten, er- Dessauer Aufbauabteilung entstanden dacht und meist handwerklich im Modell war, der Presse mitgeteilt haben. Arndt gefertigt werden. Genau das traf auf die führte selbst durch die Ausstellung und neuen Bauhaustapeten zu, die der Autor durch die »dreizimmerige sehr billige allerdings nicht eigens erwähnte. Volkswohnung«, in der zu erkennen sei, was die »geschmackvolle technisch und soziologisch durchdachte Typisierung er- möglicht«.16 Und in einem späteren Be- richt derselben Zeitung wird darauf verwiesen, dass in der Ausstellung er- kennbar werde, wie das Bauhausschul- system seine Wirkung auf die Industrie entfalte. Es seien vorbildliche Produkte Abb. 4 darunter, andere wiederum überraschten Kurt Stolp, Reklamewerkstatt Bauhaus Des- sau (Unterricht Joost Schmidt), Satzarbeit: durch »eine allzu große Nüchternheit«, bauhaus-tapeten für büro- und amtsräume, man könne auch von »Sachlichkeit« spre- Wegleitungen des Kunstgewerbemuseums der Stadt Zürich 94a, Seite 13 chen, womit der Beginn einer neuen © zürcher hochschule der künste archiv künstlerischen Entwicklung gekenn- zhdk 17 zeichnet sei. Ob die Bauhaustapete in Mannheim Teil der Ausstellung war, lässt Trotz ihrer Nichtbeachtung im Text er- sich den Presseberichten und den über- schienen die Bauhaustapeten dennoch in lieferten Aufnahmen nicht entnehmen; der Wegleitung: Das Inserat bauhausta- offenkundig wurde die »Volkswohnung« peten für büro- und amtsräume ist in der nicht fotografisch dokumentiert. Publikation ganzseitig abgedruckt Im Kunstgewerbemuseum Zürich, der (ABB.4). Es gilt als eine der ersten An- letzten Station, baute Hannes Meyer die noncen, mit der das Bauhaus seinen im ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 25
Abb. 5 Präsentation der Werke von Paul Klee. Bau- haus-Wanderschau 1930, Kunstgewerbe- museum der Stadt Zürich: 20. Juli – 17. August 1930 © zürcher hochschule der künste archiv zhdk Vertrag mit Rasch festgelegten Verpflich- Produktion spürbar. Die Tapetenpreise tungen hinsichtlich der »Reklamearbei- sind gesenkt worden.« In einem weiteren ten« für das Produkt nachkam. Das von Artikel ist in Volksrecht zu lesen: »Einmal Kurt Stolp (1904-1981), Student der wird doch auch in unserer Stadt damit be- Druck- und Reklamewerkstatt, entworfe- gonnen werden müssen, Wohnungen für ne und im Unterricht bei Joost Schmidt das Existenzminimum zu bauen, nach- (1893-1948) im Handsatz erstellte Inserat dem sowohl von der Stadt wie von den Ge- variierte innerhalb der Textzeilen die nossenschaften immer wieder nur Schriftgröße und erweckte auf diese Wei- Wohntypen geschaffen wurden, die einen se optisch den Eindruck sich wölbender viel zu großen Teil des Arbeitereinkom- Tapetenrollen. 20 mens aufzehren.«21 Damit brachte die Die Presse nahm großen Anteil an der Zeitung zweifellos die Meinung ihrer Le- Ausstellung im Kunstgewerbemuseum serschaft auf den Punkt. Der Tages-Anzei- und verwies auf ein reges Interesse an ger gewann der Wanderschau ebenfalls der Tätigkeit des Bauhauses, wohl auch Positives ab und schrieb, man möge ihr weil der amtierende Direktor ein Schwei- weitgehende Beachtung wünschen, denn: zer war. Durch Aufrufe zu eigenen, von ihr »Die Bauhausleute setzen sich in uner- organisierten und von Georg Schmidt müdlicher Weise mit den sozialen Forde- durchgeführten Führungen engagierte rungen unserer Zeit auseinander, und sich besonders die sozialdemokratisch- diese Erkenntnisse liefern ihnen die Auf- gewerkschaftliche Tageszeitung Volks- gaben. Sie stellen sich somit in den Dienst recht für die Wanderschau. Sie beschei- des ganzen Volkes, suchen Mängel zu be- nigte Meyer, dass er durch die Vorlage von heben und Bedürfnisse zu entspre- Materialien den Beweis angetreten habe, chen.«22 Die Züricher Post lobte den Mut dass das Bauhaus Dessau 1930 nicht län- der Stadt Dessau, die sich in größter Not ger eine stark individualistisch ausge- bereit zeige, »derart ausgefallene, richtete Probier- und Kunstwerkstätte höchstpersönliche Lehrpläne wie die ei- sei. Eine »wissenschaftliche und inge- nes Klees und eines Kandinski [sic] so nieuse Einstellung« hätte dem Bauhaus grosszügig zu unterstützen.«²³ vielmehr eine soziale Bedeutung ver- Die Neue Zürcher Zeitung als eher schafft. »Sein Einfluß ist bereits in der konservatives Blatt allerdings kam – we- ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 26
nig überraschend – bei der Bewertung hinwegtäuschen, »dass hier die Sachlich- der Bauhauswanderschau zu einem keit Trumpf« sei. Die spektakuläre Aus- ganz anderen Fazit. Zu Beginn des Bei- stellungstechnik überdecke im Grunde trags rezensierte der Autor genüsslich die Substanz der präsentierten Objekte. die Zeichnungen von Paul Klee (1879- Die Zeitung kommt zu dem Fazit: »Der 1940), die in der Bauhaus-Ausstellung bombastische Apparat von Reklame, er- gezeigt wurden (ABB.5) Seiltänzer, Aqua- kenntnistheoretischer Organisation, wis- rium, deutsche Stadt, Explosion, Land- senschaftlicher Methodik weiß die dün- schaft mit Fischer, seltsames Theater, so nen Resultate dieser Schulmaschine lauteten die Titel der Blätter, auf denen in geschickt zu verbergen.« Nahezu bedau- irrationale Geheimzeichen feintönige Lu- ernd wird konstatiert, dass man die ge- xusgedanken und Empfindungen ihren nannten Kritikpunkte – von »Schulhyper- schleierhaften Niederschlag finden. Eine trophien« ist die Rede – nicht als liebenswürdige Romantik des Lebens deutsche Eigenheit abqualifizieren könne. wird in abstrakte, geistige Fernen ent- Denn schließlich sei der amtierende Di- rückt. Alle Schwere entkörpert sich. rektor des Bauhauses Meyer ein Lands- Magischer Wohllaut zieht durch Farbe mann, und erst unter dessen Leitung und Raum.« Dann fragt Autor den Leser: habe sich die Institution von den Ideen »Aber Klee als Erzieher?« Und zog die ihres Gründers Gropius abgewendet und elementare Gestaltungslehre Klees und den Weg hin zum abstrakten Programm das ganze Unterrichtssystem der Schule eingeschlagen. Am Schluss des Beitrags in Zweifel: »Hat es je eine Akademie ge- berichtete die Zeitung vom Ende der über geben, an der die Kunst abstrakter ma- zehnjährigen Tätigkeit Paul Klees am thematischer, philosophischer unterrich- Bauhaus: »Soeben erfahren wir, daß Paul tet wurde als es nach diesem Programm Klee, der mit Gropius am Bauhaus in Wei- am Bauhaus geschieht. Die Schule wird mar und in Dessau als ›Meister‹ wirkte, zum Laboratorium, wo aber nicht mit For- einen Ruf als Professor an die Staatliche men, Gestalten, Materie, Realitäten expe- Akademie in Düsseldorf angenommen rimentiert wird, sondern mit den Denk- hat«.26 vorgängen und psychischen Reaktionen Zürich sollte die letzte Station der der Schüler. Das Kunstgewerbe wird ein Wanderschau gewesen sein. Noch wäh- Mittel der Psychometrie.« Dem Formden- rend der dortigen Laufzeit entließ der ken werde mehr Bedeutung beigemessen Magistrat der Stadt Dessau Hannes Mey- als dem Formgestalten. Die »schulische er als Bauhausdirektor fristlos. Er wurde Organisation« des Bauhauses umfasse für die zunehmende Politisierung und die »das ganze Organon der Wissenschaf- Aktivitäten von kommunistischen Studie- ten«, schrieb der Autor und zählte alle renden an der Schule verantwortlich ge- Bereiche auf, sowohl von der »Herz- macht. Zugleich wehrten sich einige 24 Kunst-Intuition-Seite« als auch von der Lehrer des Bauhauses gegen ein Zurück- entsprechenden »Hirn-Wissenschaft-In- drängen der Kunst im Lehrprogramm so- 25 tellekt-Seite«. Auf dieser Basis werde wie in den Lehrplänen des Bauhauses.27 versucht, »ein wenig Armeleutehausrat herzustellen«. Zu diesem Hausrat gehör- ten offensichtlich die Bauhaustapeten. 1 Volksblatt für Anhalt, 27.1.1930, Stadtarchiv Des- Wie auch die übrigen Objekte waren diese sau-Roßlau. in diagonalen Bühnenfluchten angeord- 2 Maria Rasch, Schwester des Bramscher Tape- net; doch, so der Artikel, könne auch ein tenfabrikanten Emil Rasch, von 1919–1923 Schü- derartiges Arrangement nicht darüber lerin am Staatlichen Bauhaus Weimar, regte an, ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 27
16 am Bauhaus Dessau Tapetenmuster entwerfen Neue Mannheimer Zeitung, 3.5.1930, Mannheim und die Tapeten in der familieneigenen Fabrik her- Archiv, Haus der Geschichte und Erinnerung. 17 stellen zu lassen. Sie vermittelte ihrem Bruder Neue Mannheimer Zeitung, 24.5.1930, Mannheim Emil Rasch den Kontakt zu Hinnerk Scheper und Archiv, Haus der Geschichte und Erinnerung. 18 Hannes Meyer. Georg Schmidt war Kunsthistoriker, Bibliothekar 3 Hinnerk Scheper war als verantwortlicher Meister des Basler Gewerbemuseums und von 1939 bis der Wandmalerei in Dessau für die Entwicklung 1961 Direktor des Kunstmuseums Basel. 19 der Bauhaustapeten zuständig. Georg Schmidt hielt am Bauhaus Dessau zwi- 4 Erich Borchert, Studierender der Wandmalerei, schen dem 28. und 30.4.1930 die drei Vorträge führte im Rahmen der Produktion die letzten Mus- »von adam bis kandinsky«; »die funktion des terungen der Tapeten direkt an den Leimdruck- künstlers in der gesellschaft« sowie »über ba- maschinen in Bramsche durch, in Vertretung von chofens geschichtsfilosofie«; vgl. hannes meyer Hinnerk Scheper, der bereits in Moskau weilte. 1989, S. 178. 5 20 Maria Rasch, Tagebuch-Eintrag, 24.2.1930, Nie- Die Arbeit wurde nicht in die intern in der Tape- dersächsiches Landesarchiv – Standort Osna- tenfabrik durchnummerierten Anzeigen für die brück, Dep. 144, Akz. 2018/19 Nr. 11. Zeitschriftenwerbung eingereiht, sondern er- 6 Basel 21.4.–20.5.1929; Breslau 15.6.–29.9.1929 schien in Veröffentlichungen wie etwa der hier (jeweils unter dem Titel bauhaus Dessau); Dessau genannten Wegleitung des Kunstgewerbemuse- 26.1.–2.2.1930 (Titel: 10 Jahre Bauhaus, 1920- ums Zürich oder im Reklameheft rasch die mo- 1930); Essen 16.2.–6.4.1930 (Titel: 10 Jahre Bau- derne fabrik – bauhaus die moderne karte aus dem haus); Mannheim 4.5.–22.6.1930 (Titel: bauhaus Jahr 1930. 21 dessau wanderschau 1930); Zürich 20.7.–17.8.1930 Volksrecht, 19.7.1930, 26.7.1930, Archiv Zürcher (Titel: bauhaus wanderschau 1930). Vgl. Zuschlag Hochschule der Künste (ZHDK). 22 2018; speziell zur Mannheimer Station Zuschlag Tages-Anzeiger, 23.7.1930, Archiv ZHDK. 23 2013. Züricher Post, 21.7.1930, Archiv ZHDK. 7 24 Begleitschreiben zum Vertragsentwurf von Hierzu zählte der Autor Künstlergastvorträge aus Hannes Meyer, bauhaus dessau, an hannoversche den Bereichen Philosophie, Psychologie, Theater, tapetenfabrik gebr. rasch & co, blatt 2, 1.3.1929, Film, Malerei und Plastik, Kunstgeschichte, Lite- Rasch-Archiv Bramsche. Vgl. Möller 1995, S 22. ratur. Neue Zürcher Zeitung, 29.7.1930, Archiv 8 Vgl. Zuschlag 2018, S. 286. ZHDK. 9 25 Volksblatt für Anhalt, 27.1.1930, Stadtarchiv Des- Genannt sind wissenschaftliche Gastvorträge aus sau-Roßlau. den Fächern Soziologie, Biologie, Psychotechnik, 10 Anhalter Anzeiger, 28.1.1930, Stadtarchiv Dessau- Betriebswissenschaft, Physik und Chemie, Licht- Roßlau. technik, Farbkunde, Raumklima, Anatomie, Hygi- 11 Volksblatt für Anhalt, 27.1.1930, Stadtarchiv Des- ene und Werbetheorie. Neue Zürcher Zeitung, sau-Roßlau. 29.7.1930, Archiv ZHDK. 12 26 Essener Allgemeine Zeitung, 17.2.1930, vgl. Zu- Neue Zürcher Zeitung, 29.7.1930, Archiv ZHDK. 27 schlag 2018, S. 282. Oswalt 2018. 13 Essener Volkszeitung, 28.2.1930, Archiv Museum Folkwang, Essen. LITERATUR 14 Bauwarte, vereinigt mit Südwestdeutsche Bauzei- tung, 13.3.1930, Archiv Museum Folkwang, Essen. hannes meyer 1989 15 Hans Leistikow war im Dezernat für grafische Ge- hannes meyer 1889-1954 architekt urbanist lehrer staltung, Typografie und Reklame im Stadtbau- [Ausst.-Kat. Bauhaus-Archiv Berlin/Deutsches Ar- amt der Stadt Frankfurt am Main tätig, deren chitekturmuseum Frankfurt am Main in Verbindung Leiter Ernst May die Siedlung Praunheim plante. mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Ar- Vgl. Thümmler 1995, S. 15. chitektur an der ETH Zürich], Berlin: Ernst & Sohn, 1989. ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 28
neu aufgerollt, hg. von Museumsquartier der Stadt Möller 1995 Osnabrück/Tapetenfabrik Gebr. Rasch GmbH & Co. Werner Möller, »›Wer nicht wagt, der nicht gewinnt‹ KG, Osnabrück/Bramsche, 2019, S. 15–31 und 63– Strategien zur Bauhaustapete«, in: Bauhaustapete – 93. Reklame & Erfolg, hg. von Tapetenfabrik Gebr. Rasch GmbH & Co. KG/Stiftung Bauhaus Dessau, Bram- sche/Köln: Gebr. Rasch GmbH & Co. und DuMont Buchverlag, 1995, S. 22–76. Oswalt 2018 Philipp Oswalt, »Die verschwiegenen Bauhaus-Kri- sen«, in: Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen, hg. von Thomas Flierl und Philipp Os- walt, Leipzig: Spector Books, 2018, S. 247–276. Thümmler 1995 Sabine Thümmler, »Architektur versus Tapete – Siedlungstapeten und Bauhaus«, in: bauhaustapete – Reklame & Erfolg, hg. von Tapetenfabrik Gebr. Rasch GmbH & Co. KG/Stiftung Bauhaus Dessau, Bram- sche/Köln: Gebr. Rasch GmbH & Co. und DuMont Buchverlag, 1995, S. 11–19. . Zuschlag 2013 Christoph Zuschlag, »›ein eisenbahnwaggon aus- stellungsgut‹ – Die Bauhaus-Wanderausstellung 1929/30 und ihre Mannheimer Station«, in: »als bau- häusler sind wir suchende«. Hannes Meyer (1889– 1954). Beiträge zu seinem Leben und Wirken, Bernau bei Berlin: Druckerei Blankenburg, 2013 (= Beiträge zur Bau- und Nutzungsgeschichte, Heft 7), S. 26–34. Zuschlag 2018 Christoph Zuschlag, »Die Wanderausstellung 10 Jahre Bauhaus«, in: Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen, hg. von Thomas Flierl und Philipp Oswalt, Leipzig: Spector Books, 2018, S. 277– 296. Dieser Beitrag wurde veröffentlich, in: »bauhausta- pete – neu aufgerollt«, Katalog zur Ausstellung (17. August – 8. Dezember 2019): Kieselbach 2019 Burckhard Kieselbach, »90 Jahre – Die Geschichte der Bauhaustapete«; »Neue Funde rund um die Bauhaustapete: Über die Tapetenentwürfe von Ma- ria Rasch, Die Bauhaustapete – wir alles begann, Die Bauhaustapete in Hannes Meyers Wanderschau 1929/30, Die Bauhaustapete in Hannes Meyers Mos- kauer Ausstellung 1931, Das ›Bauhaus-Buch der Bücher‹ – Bill versus Wingler und Rasch oder die Entstehung des Bauhaus-Archivs, Bauhaustapete goes America – Die Ausstellung Fine and Design in New York 1958, Bauhaustoffe als dekorative Ergän- zung zu den Bauhaustapeten«, in: bauhaustapete – ZWITSCHER-MASCHINE.ORG NO. 8 / 2020 BURCKHARD KIESELBACH / BAUHAUSTAPETE 29
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