Die Bild-Legende Anno Neun

 
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Die Bild-Legende Anno Neun
                                SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

       Bilder: „… Inseln für Kontemplation und wir ruderten zu ihnen
    gegen den tosenden Strom, um uns an ihren Gestaden zu sammeln …“
             (Vilém Flusser) – Eine kunsthistorische Anamnese.
Das mittelhochdeutsche Wort legende bezieht sich auf die mittellateinischen legenda,
wortwörtlich „die zu lesenden Stücke“. Welche Stücke? Das Stück meint eine kurze,
erbauliche religiöse Erzählung über Leben und Tod oder auch das Martyrium eines Hei-
ligen. Jemandes Leben kann durch ausschmückende mündliche Überlieferung nahezu
den Charakter einer Legende bekommen.1 Andreas Hofer, der Sandwirt vom Passeier
in Tirol, hat zwar eine recht dürftige schriftliche Hinterlassenschaft2, ist dafür aber die
Figur für eine, mit jedem runden Gedenkjahr seit 1809 erneuerte, revidierte und erwei-
terte Bild-Legende geworden, die noch keineswegs abgeschlossen erscheint.
    Rund um das Geschehen von 1809 gab es zunächst nur das mündliche – bald darauf
auch das schriftliche – Berichten von dem, was passiert war. Pater Benitius Mayr und
Jakob Placidus Altmutter waren die ersten, die Zeichnungen der – in ihren Augen –
wesentlichsten Ereignisse anfertigten. Wegen ihrer zeitlichen Nähe zum tatsächlichen
Ereignis beanspruchen diese graphischen Produkte für die Nachgekommenen ohne
kritisches Nachfragen gleichsam dokumentarischen Wert. Sie werden mit demselben
Respekt vor dem angenommenen „objektiven Bericht“ behandelt, welcher wenig später
der Fotografie zukam, welcher man die Aufzeichnung der Spuren „wie es wirklich war“,
zutraute.
    Mit ein wenig Abstand, gegen Mitte des Jahrhunderts, kamen die Bilder, die man
sich von dem erinnerungswürdigen Geschehen des Tiroler „Freiheitskampfes“ – ein
spät geborener Begriff – machte. Und diese entstanden, je verschieden nach Genre und
künstlerischer Technik, in Form von literarischen Texten oder aber in Form von leibhaf-
tigen Gemälden. Die „Bilder“ konstruierten erst den Helden und gaben romantischen
Motiven rund um den Helden sinnlich wahrnehmbare Gestalt. Parallel zur romantischen
Überhöhung des Stoffes in der entstehenden Literatur gab es bereits zeitgenössische
heftige Kritik u. a. von August Wilhelm Schlegel (1832)3 oder von Friedrich Hebbel

1
     Vgl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 4. Band, hg. u. a. von Günther DROS-
     DOWSKI, Mannheim–Wien–Zürich 1978, 1652. Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm
     GRIMM, Nachdruck von 1885, 12. Band, München 1985, 537.
2
     Siehe Andreas OBERHOFER, Weltbild eines „Helden“. Andreas Hofers schriftliche Hinterlassenschaft
     (Schlern-Schriften 342), Innsbruck 2008.
3
     August Wilhelm SCHLEGEL, Sämtliche Werke, hg. von Edurad BÖCKING, 2. Band, Leipzig 1846, 365–367.
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(1849), welcher meinte, es fehle gerade „an einem Helden“4, der im Mittelpunkt einer
Handlung stehen muss und „die übrigen mit agierenden Personen in gehörig abgestuf-
ten Gruppen um sich versammelt“. Es fehlte also an dem eigentlichen ‚Stoff ‘, aus dem
man ein literarisches Gewebe hätte weben können.5 Ein wenig anders trug es sich in
den bildenden Künsten zu. Meist im Museum hängend oder in dessen Sammlungen
verwahrt, bezeugen die Gemälde auf ihre Weise die Geschichte, die sich, aus den ver-
schiedensten Quellen gespeist, buchstäblich als ‚Idee‘ entwickelt hat und somit auch ihre
eigenen Bilder – Vorstellungen, Bildlichkeit – hervorgebracht hat.6 Die aus dem alten
Historienbild hervorgegangene Historienmalerei begreift sich nämlich als ‚gestaltete
Geschichtserfahrung‘.
    Welcher historischen ‚Wahrheit‘ begegnen wir, wenn wir diese Bilder ansehen und
uns an ihrer erhabenen Schönheit erfreuen? Sind sie vertrauenswürdige Dokumente
oder führen sie uns, nicht anders als die Literatur, in andere Reiche? Deren Natur inte-
ressiert uns hier in diesem Aufsatz, die imaginativen Räume dieser Reiche wollen wir
analysieren. Denn in diesen virtuellen Räumen der Vorstellung – sei es das materielle
Bild oder die jeweilige Bildrezeption – können die einzelnen historischen Fakten, das
heißt, Geschichtsbilder, wie Möbel hin und her geschoben und damit je die Zusam-
menhänge, der sogenannte Kontext, verändert werden. Zusammenhänge, die auf diese
konstruierende, interpretierende Weise entstehen, gehen nicht selten in ewig gültige
Allgemeinbegriffe über und beanspruchen quasimetaphysische Existenz.7
    Hier, mittels der „Bilder“, entstehen die Fronten, hier schlägt ideologisches Interesse
in Gewalt um und hier kommt es zum Krieg der Kulturen.
    Die Gewalt kann allerdings nicht den gemachten Bildern angelastet werden. Im
Phaidros lässt uns einer der Säulenheiligen des abendländischen Denkens, nämlich der
„Heide“ Platon, durch die Rede des Sokrates wissen: „Denn das ist wohl das Bedenk-
liche beim Schreiben und gemahnt wahrhaftig an die Malerei: auch die Werke jener
Kunst stehen vor uns als lebten sie; doch fragst du sie etwas, so verharren sie in gar
würdevollem Schweigen.“8 In der Welt der antiken Philosophen wurde das Bild in der
Folge verworfen und deren angebliche Macht überwunden, denn Platon sprach von
Bildern als von Täuschungen. Bilder waren nie die treuen Abbilder des wahren oder
echten Realen, weil sie gerade umgekehrt die wandelbare Vorstellung dessen, was real sei,
erst erfanden.

4
    Friedrich HEBBEL, Vermischte Schriften III (1843–1851) und Kritische Arbeiten II, Berlin 1903 (DERS.,
    Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe, hg. von Rainer Maria WERNER, 11. Band), 277–282.
5
    Eine sehr gute Übersicht über die Rezeption des Hofer-Mythos in der Literatur liegt vor durch Johann
    HOLZNER, Andreas Hofer im Spiegel der Literatur, in: Tirol im Jahrhundert nach Anno Neun, hg. von
    Egon KÜHEBACHER (Schlern-Schriften 279), Innsbruck 1986, 37–50. Vgl. auch den Beitrag von Sigurd
    Scheichl in diesem Band.
6
    Ernst H. GOMBRICH, The uses of images, London 1999, 12.
7
    Vgl. Wilhelm von Ockham, der sich auf Marsilius von Padua, welcher solche Erkenntnisse bereits
    beschrieb, beziehen konnte, sprach im Hinblick auf solche Begriffe, welche in der Folge Vorstellun-
    gen transportieren, als von „überflüssigen Möblierungen im geistigen Raum“, Alois DEMPF, Sacrum
    Imperium. Geschichte und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Mün-
    chen–Berlin 1954, 436. Über Marsilius von Padua lesen wir bei Allan GEWIRTH, Marsilius of Padua.
    The Defend of Peace, II Vol., New York 1951/1956, II. Vol, 133.
8
    Platons Phaidros, Kap. LX, in: Platons sämtliche Dialoge, unv. Nachdruck hg. v. Otto APELT, Hamburg
    1998, 104.
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    Für die Christen, hineingestellt in eine heidnische Welt der Bildwerke, welche von
den verschiedensten Göttern zeugten9, wurde es unter Einfluss der antropomorphen
Philosophie und Religion der Griechen offenbar immer mehr zum Problem, ihren Gott
nicht „unter sich“ zu haben.10 Sie waren überzeugt, ihn in Jesus, dem Christus, als im
Fleische gesehen zu haben. Die Abgrenzung des eigenen Gottes zu den umgebenden,
heidnischen Göttern und damit das Suchen der eigenen Identität, wurde den Christen
zum Motiv des Bildermachens. Soweit ein hehres Motiv. Sie begannen die Figur des
Christus Pantocrator als des Herrschers über alle Dinge darzustellen. Einige Jahrhun-
derte später wich das Bild des glorreich Verherrlichten jedoch dem immer beliebter
werdenden Bild des Märtyrers; die Bilder von der Passion Christi, nicht des Christkönigs
wurden zum wichtigsten Identifikationsspiegel der Christenheit. – Entgegen dem Wis-
sen vom biblischen Bilderverbot11 machten sie sich ein Bild, ein Phantastikon, ein vom
inneren Auge erschautes Bild. Diesem Bild der Imagination musste eine äußere Verbild-
lichung, eine mit künstlerischen Mitteln erzeugte Darstellung genügen. Diesem neuen,
leblosen Gebilde wurde vom Betrachter Leben hinzugefügt. Und das Animieren erfolgte
über die Erinnerung.
    Seit jeher hat sich der Mensch Bilder gemacht; zur „Materialisierung der Religion“,
wie der ehemalige DDR-Kunsthistoriker Ernst Ullmann es zum großen Lutherjahr
198312 ausdrückte.
    Wir wenden ein, diese Aussage sei in Kenntnis der wohl extremsten Ausbildung der
marxistisch-materialistischen Kultur (bis 1989) historisch zu relativieren und nicht ohne
weiteres auf spätere Phänomene übertragbar. Doch der Leser wird eingeladen, nachzu-
sinnen, was geschieht, wenn der Kulturbeflissene unserer Tage das Museum betritt und
dort die Bilder als „Inseln für Kontemplation“ aufsucht, um sich „an ihren Gestaden zu
sammeln“, wie ein berühmter Medientheoretiker und Philosoph des 20. Jahrhundert zu
Recht bemerkte.13 Um zu begreifen, wie ernst und wahr dieser romantisch zugeschnit-
tene Ausspruch zu reflektieren ist, gilt es ganz kurz die Tradition ins Gedächtnis zurück-
zurufen, welche diese sogenannt rezeptionsästhetische Haltung hervorgebracht hat. In
den Jahren des großen Bilderstreits im Kontext der Reformation wurde offenkundig,

9
     Bericht der Apostelgeschichte, Kap. 17, ab 16; bes. 22 f. und 29 f.: Paulus tritt im Areopag in Athen
     auf und bekundet – unter Hinweis auf die verschiedenen Götterbilder, die er beim Herumgehen in der
     Stadt gesehen hat, seinen Respekt vor der großen Gottgläubigkeit der Athener. Er holt sie gleichsam
     bei ihrem Glauben ab, ohne jede Unterstellung, wenn er dann jedoch auf den wahren Gott hinweist,
     auf den, „den die Athener unwissentlich in einem Standbild für den unbekannten Gott verehren“.
     Und dann beginnt er den Irrtum behutsam aufzuklären, indem er sie auf die andersgeartete Natur des
     Schöpfers aller Dinge aufmerksam macht und auf die Unmöglichkeit, die Präsenz Gottes durch eine
     Materialisierung der Gedanken in eine Statue oder an einen buchstäblichen Ort zu zwingen. Paulus legt
     hier eine brilliante Analyse der typisch antropomorphen Sicht (der Griechen) vor.
10
     Anlässlich seiner Himmelfahrt gab Jesus seinen Jüngern einige Hinweise mit, denn er erkannte ihre
     Erkenntnismöglichkeiten und deren Grenzen, als sie ihn fragten, ob er die Herrschaft Israels noch zu
     ihren Lebzeiten wiederherstelle, um sie von der elenden Knechtschaft der Römer zu befreien; siehe
     Apostelgeschichte, Kap. 1, 6–11. Den Inhalt der Worte Jesu vermochten sie offenbar weder ganz zu
     erfassen noch lange lebendig zu erhalten, dies hätte einer ununterbrochenen Übung – praxis – der Ein-
     stellung bedurft, welche sie durch sein Beispiel erlebt und gelernt hatten.
11
     Das Bilderverbot im Dekalog zum Beispiel: 2. Mose (Exodus) 20, 4 und 5. Mose (Deuteronomium) 5, 8.
12
     Ernst ULLMANN, Von der Macht der Bilder, Leipzig 1983, 18.
13
     Vilém FLUSSER, Bilderstatus, in: Metropolis. Internationale Kunstausstellung, hg. von Christos M.
     JOACHIMIDES / Norman ROSENTHAL, Berlin–Stuttgart 1991, 48–53, hier 48.
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dass die Bilder als Instrumente ideologischer Auseinandersetzungen – sowohl auf der
Seite der Papstkirche wie der der Reformatoren – gebraucht werden konnten. Die Bil-
derfrage stand in engem Zusammenhang mit der Diskussion um die symbolische oder
reale Präsenz Christi im Abendmahl – ein theologisches Problem; zugleich aber auch in
Beziehung zu dem seit dem 15. Jahrhundert sich vollziehenden Wandel der Funktion
von Bildern der Kunst, nämlich Mittel der Welterkenntnis zu sein. Georg Friedrich
Hegel, welcher die geschichtsphilosophische Grundlage14 für diese Einstellung und für
die im 19. Jahrhundert sich erst entwickelnde moderne Museumskultur gelegt hat, war
von der Korrelation zwischen dem jeweiligen „Zeitgeist“ und dessen Materialisierung in
der Kunst überzeugt. Der Weltengeist tritt gemäß dieser Auffassung in den verschiedens-
ten Bereichen des kulturellen Lebens in je für bestimmte Anliegen zuständigen Genres
und Kunstgattungen zu Tage.15 Der säkulare, aufgeklärte Mensch erkennt in den von
ihm geschaffenen Objekten der Kultur gleichsam die schicksalhafte Spiegelung seiner
selbst. Wenn diese Rechnung existiert, und die westliche Kultur trägt alles zum Erhalt
dieses sogenannten Kulturbetriebs bei, dann ist der Mensch im unentwegten Dialog
mit den Gegen-‚ständen‘ auf der Suche seiner selbst, unterwegs im Finden der eigenen
Identität. Dies ist ihm Religion.
    Das Wissen um die neuen, quasireligiösen, Funktionen des Bildes im 19. Jahrhun-
dert und in unserer Gegenwart, aber auch das Reflektieren der gegenwärtig aktuellen
bildtheoretischen Diskussion um den Zusammenhang von Blick und Bild16 brauchen
wir, um die Bilder des Anno 9 und die große Aufregung rund um die sogenannte Erin-
nerungskultur überhaupt zu verstehen.

        Die Andreas Hofer Bilder und ihre Darstellung in der Malerei
                             Das Land unter himmlischem Schutz

Das Interesse meiner Analyse ist auf das Geschehen der Erhebung der Tiroler zur Ver-
teidigung ihres Landes gerichtet. Damit ist der Rahmen gelegt. 1796 ist das Jahr, in
welchem das Tiroler Volk mit einem Gelübde sein Bündnis mit dem „Herzen Jesu“
zum Zweck des „wundermächtigen“ Schutzes in „Not und Kriegsgefahr“ besiegelte. Es
wurde zum Schicksalsjahr und zum Beginn einer sich entwickelnden Typologie, deren
Nachleben und ‚identitätsstiftende‘ Wirkung, aber auch deren mit Sorge zu beobach-

14
     Vgl. Beat WYSS, Trauer der Vollendung: Zur Geburt der Kulturkritik, Köln, 3. durchges. Auflage
     1997.
15
     In Tübingen lieferte die Kunstästhetik Hegels unter der publizistischen Leitung Friedrich Theodor
     Vischers, Professor für Ästhetik, den Junghegelianern D. F. Strauß, A. Springer und H. Hettner, die
     Grundelemente ihrer Geschichtskonstruktion. Vischers Pantheismus fügte noch eine religionsphiloso-
     phische Dimension hinzu. Es kam zur Konstruktion des sogenannten „Realidealismus“ und zur Zuwei-
     sungen diverser Aufgaben an die verschiedenen Künste. Der Historienmalerei fiel dabei „das in sich
     Substantielle […] in Charakteren, Situationen und Lebenssphären“ zu, der Genremalerei „das in seinem
     Dasein Flüchtigste und in seiner Erscheinung Particulärste“. Vgl. dazu: Georg JÄGER, Die Konstruktion
     des Realidealismus, in: Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur
     1848–1880, hg. von Max BUCHER, 1. Band, Stuttgart 1976, 13–21.
16
     Hinweis auf das Internat. Symposium „E. H. Gombrich auf dem Weg zu einer Bildwissenschaft des
     21. Jahrhunderts“, Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald 30. und 31.3.2009 mit Proceedings.
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tenden Nachwirkungen anscheinend erst langsam in der ganzen Breite erkannt werden
können. Die „Herz-Jesu“-Thematik17 sollte im Jahr der Erhebung 1809 unter Andreas
Hofer noch ungemein bedeutungsvoll werden; auch wenn heute die Wenigsten mehr
recht wissen, wessen sie gedenken, wenn sie in den lauen Nächten – eine Oktave nach
dem Fronleichnamsfest und darauf der erste Sonntag – die Felsen hinaufklettern, um
hoch oben über den Tälern „Herz Jesu Feuer“ zu entzünden. Zu schützen galt es das
Land, die Landschaft oder das ‚Vaterland‘. Hier möge man erinnern, dass der Terminus
‚Landschaft‘ in der heute begriffenen ästhetischen Bedeutung mit dem Gewicht auf dem
Naturaspekt sich überhaupt erst ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte. Zuvor,
in der alten Tradition, meinte der Begriff Personenkollektive, welche einer bestimm-
ten politischen oder wirtschaftsräumlichen Einheit, einem Land, angehörten und dieses
repräsentierten. Für die Tiroler definierte sich die Landes-Einheit vor allem in bestimm-
ten regionalen katholischen Glaubenspraktiken und in der Abgesichertheit der Rechte,
die durch die Landesverfassung vom Landesfürsten garantiert waren. Letztere Rechte
schlossen ein, dass die Tiroler nur zur Verteidigung des eigenen Landes ausrücken muss-
ten und nicht in von der Regierung angeordnete Kampfhandlungen an anderen Fronten
der österreichischen Erbländer verwickelt werden durften.
   Wir kommen zum Kern und halten aus dem zweiten Abschnitt unserer Darlegung
oben fest: Ein Geistlicher, Benitius Mayr, und ein Künstler, Jakob Placidus Altmutter,
bemühten sich im Zeitraum nach 1796, besonders 1809, um ganz gewisse Zusammen-
hänge, die sie als aufzeichnungswürdig und vor allem als bildwürdig erachteten.
   Benitius Mayr war kein Künstler, sondern ein Geistlicher; umso verwunderlicher,
doch bemerkenswert ist es, dass ihm das regelrecht systematische Bauen an einem
Andreas Hofer Mythos offenbar ein besonderes Anliegen war. Seine Figur verdient – in
unserem Zusammenhang der Bildtheorie – besondere Beachtung. Nach der Aufhebung
des Jesuitenordens in Innsbruck im Jahre 1773 übernahmen Priester anderer Ordensge-
meinschaften die Universitätsseelsorge. Der bekannteste von ihnen war zur nämlichen
Zeit Benitius Mayr aus dem Servitenorden (1760–1826), „eine Zierde der Universität
Innsbruck“, wie er genannt wurde.18 Schon bald geriet er wegen seiner Nähe zur theo-
logischen Fakultät, zumal diese ziemlich antikirchlich eingestellt war, in den Ruf, ein
„Josephiner“ zu sein. 1804 erlangte er die Professur der Religionsphilosophie und 1809
bestellte ihn Andreas Hofer in seiner kurzen Funktion als Oberkommandant sogar zum
Professor der Ästhetik19 an der philosophischen Fakultät. Viele seiner Gelegenheitsre-
den wurden veröffentlicht. Am berühmtesten und von theologisch-historisch brisantem
Wert ist jedoch die erst kürzlich (2008) von dem Innsbrucker Dogmatiker Roman A.
Siebenrock in den Archiven ausgegrabene Predigt, die Pater Benitius Mayr aus Anlass des
Ablegens des „Herz-Jesu-Gelöbnisses“ durch die Tiroler Landstände (1796) am 25. Sep-

17
     Zu Phänomen und Forschungslage bzw. -literatur bitte ich das Kapitel „ ‚Herz Jesu‘ und die Tiroler
     Wehrhaftigkeit“ von Roman A. Siebenrock in diesem Band zu lesen!
18
     Vgl. Jakob PROBST, Geschichte der Universität Innsbruck seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1860,
     Innsbruck 1869.
19
     Vgl. OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokument Nr. 500, 492: „[…] mit der vorläufigen Bemer-
     kung, dass nicht das Ordinariat dieses Lehrer-Personale bestimmet habe, sondern die Oberkomman-
     dantschaft hat schon in der ersten Helfte Septembers das Verzeichniß der anzustellenden Lehrer nach
     Brixen geschickt […] Zur Ästhetik (falls diese Lehrkanzel beybehalten werden wird) Pr. Benizius Mayr
     Servit […]“.
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                                                     Abb. 1: Benitius Mayr, Andrae Hofers Apotheose
                                                     1809, Kreidelithographie, 220 x 164 mm, Tiro-
                                                     ler Landesmuseum Ferdinandeum (TLMF), FB
                                                     6141/90.

tember 1796 hielt. Mayr schrieb nicht nur das Manuskript für ein „Andreas Hofer-
Drama“20, sondern hat möglicherweise unmittelbar nach der Erschießung Hofers oder
eventuell sogar noch früher, nämlich aus Anlass der erfolgreichen ‚Bergiselschlacht‘ am
13. August 1809, an der Vorstellung eines Andreas Hofer im Himmel als neuen Schutz-
herrn der Tiroler gebildet.
    Man meint zu Füßen der Personifikationen, welche Ehrenkränze vor Andreas Hofer
bringen, die Wappen von Innsbruck und Tirol zu erkennen, die linke Figur sinkt hul-
digend auf die Knie, die rechte sitzt und dreht sich dem zu Ehrenden zu. Über Hofer
schwebt ein Engel mit dem Kreuz und dem kaiserlichen Doppeladler herab. Hofer selbst
steht ganz offensichtlich im Himmel, seine Linke ein Horn des Stieres umfassend, der
aus dem Bildraum zu springen scheint, mit seiner Rechten hält er über einen Schwingen
ausbreitenden Adler und einen Löwen.
    Die Deutung der Tierwesen als Evangelistensymbole hat eine eigene Genese und
Geschichte, welche der Kunstgeschichte bestens vertraut ist; ihr originales Auftreten in
der Apokalypse beschreibt jedoch die Nähe des Thrones Gottes, ist eine Himmels-Vision
des Apostels Johannes auf Patmos, welche die lebenden Geschöpfe oder Wesen ganz ähn-
lich beschreibt, wie wir sie aus der Schilderung des alten Propheten Hesekiel21 kennen.

20
     Entstanden um 1814, doch erst 1858 wurden Auszüge (der Autor blieb ungenannt!) in der Zeitschrift
     „Echo von den Alpen II (1858), Nr. 7–11, vorgestellt; zitiert nach: HOLZNER, Andreas Hofer (wie
     Anm. 4), XXX, Anm. 43.
21
     Buch der Offenbarung 4, 6–8 und 5, 6, und Buch Hesekiel (Ezechiel) 1, 4–10.
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Abb. 2: Jakob Placidus Altmutter, Bauerntheater, 176 x 252 mm. TLMF, T 1149.

Nicht von ungefähr stimmen die Kardinaltugenden Weisheit (Adler), Tapferkeit (Stier),
Gerechtigkeit (Löwe) und Besonnenheit (Menschenangesicht) mit der biblischen Evi-
denz überein. Johannes sieht in der Vision, welche er in der Apokalypse um 96 n. Chr.
aufzeichnet, mittels der „lebenden Geschöpfe“ die Eigenschaften Gottes verbildlicht.
Die Anwesenheit des Höchsten wird durch sie angezeigt; es werden nicht die Attribute
irgendeines Menschen verbildlicht. Wird also Andreas Hofer auf Wolken mit den Ver-
körperungen dieser Eigenschaften (die Rechte über der Weisheit, die Linke die Tapfer-
keit umgreifend und von oben beschützt durch die Besonnenheit und begleitet von der
Gerechtigkeit) dargestellt, so wird klar, welche Vorstellung damit verbildlicht werden
soll: Apotheose bedeutet entsprechend nicht weniger als ‚Erhebung eines Menschen zum
Gott, Vergöttlichung eines lebenden oder verstorbenen Herrschers‘. Eine Apotheose ist
– wie uns das Wörterbuch belehrt – gleichsam das „Schlussbild eines Bühnenstücks“.22
    Das Bühnenstück: Eine Vorstellung davon, wie aus dem guten alten Jesuitendrama
mit dem Deus ex machina eine bäuerliche Variante entstanden war, vermittelt eine
lavierte Federzeichnung von Jakob Placidus Altmutter.
    Altmutter war ein begnadeter Zeichner auch unbeachteter Kleinigkeiten, ein Rauf-
und Trunkenbold, welcher offenbar zugegen war, wo immer der buchstäbliche Rauch
aufging. 1780 in Innsbruck geboren, ereilte ihn 1819 bereits ein früher Tod, also datiert
das Blatt vor diesem Jahr. Wir erblicken eine schnell zusammengezimmerte Holzbühne
mit barocken Versatzstücken; köstlich die Posen der vier Musiker oder die Gesten des

22
     Duden (wie Anm. 1), 4. Band, 174.
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halb adelig halb bäuerlichen Publikums. Als Stück gegeben und gespielt wird offenbar die
Geschichte des Heiligen Georg im Wald, der Teufel tritt gerade in einer mächtigen Pose
auf und scheint unbeeindruckt von dem Schild Georgs, auf welchem wir das Symbol der
Trinität, das Auge Gottes im Strahlenkranz erkennen können. Die Geschichte, welche
durch die Figuren Gestalt bekommt, ist die bekannte Geschichte eines tödlichen Kon-
fliktes. Der Böse wird besiegt. Das Schlussbild zeigt den Helden, den Überlegenen, den
Repräsentanten des Guten und des Lichts, welcher durch den Schild des Glaubens – ein
weiterer biblischer Topos – beschützt worden ist. – So oder ähnlich wie in diesem Altmut-
ter-Bild veranschaulicht, müssen wir uns auch die Alltagskultur dieser Tage vorstellen.

                                    Kriegsberichterstattung

Jakob Placidus Altmutter und Benitius Mayr wurden uns durch die kunsthistorische
Tradition als Kriegsberichterstatter überliefert. Eine Inspektion von wenigen Blättern
erweist sie uns jedoch zumindest als mit persönlich verschiedenen Präferenzen ausgestat-
tet; sie schufen mit ihren Zeichnungen eine Bildlichkeit, welche uns faszinierenderweise
in beide Perspektiven der handelnden Kampfparteien hineinführt.
    Diese Federzeichnung zeigt zwar die bayerische Kavallerie und Artillerie unter dem
Befehl eines französischen Grenadiers im Marschanzug23 aus der rechten Bildecke angrei-
fen, die Tiroler Schützen haben jedoch die Lage im Griff. Der ruinöse Bau hinter den
Bayern steht im Gegensatz zum dichten Wald, welcher die Tiroler Verteidiger schützt.
Innsbruck mit den leicht erkennbaren Kirchen, vor allem der Wiltener Basilika, liegt
zu Füßen im Hintergrund. Mayr zieht gleichsam die für die Tiroler sympathisierenden
Augen ins Bild; der Bildbetrachter sieht mit den kämpfenden Tirolern hinunter ins hei-
matliche Tal, aus dem der Feind herandrängt. Benitius Mayr hielt es – so kommt man
zum Schluss – unbedingt mit den Tirolern!
    Jakob Placidus Altmutters Perspektive hingegen zieht uns gleichsam mit den bayeri-
schen Truppen (mit Raupenhelmen!) unter französischer Führung ins Bild hinein und
gibt den Blick auf die Ferrari-Wiese bei Innsbruck und die weit im Hintergrund die
Höhen sichernden Tiroler Schützen frei. J. P. Altmutter hatte immer die Formationen des
Feindes im Visier, er widmete jedenfalls die Aufmerksamkeit und seine Feder einer akribi-
schen Aufzeichnung der französischen Truppen, sei es im Blatt „Gefecht am Cononaberg“
vom 2. März 1797, einer aquarellierten Federzeichnung in Tiroler Privatbesitz24 oder
sogar in der Aufzeichnung der berühmten „Bergisel-Schlacht“ vom 13. August 1809. Von
letzterer existieren zwei Fassungen, deren blattgrößere in der Literatur meist abgebildet
ist25, wir wählen die kleinere Zeichnung, aquarelliert, mit Gouache einzelne Partien.

23
     Für das kompetente Wiedererkennen und Erklären von verschiedenen Uniformen und anderen Realien
     des kriegerischen Genres danke ich ganz herzlich Wolfgang Maihörner, Direktor des Tiroler Landes-
     museums Ferdinandeum. Vgl. Liliane und Fred FUNCKEN, Historische Uniformen, III. Band, Napoleo-
     nische Zeit I, München 1978, und DIES., Historische Uniformen, VI. Band, Napoleonische Zeit II,
     München 1979.
24
     Abgebildet in Meinrad PIZZININI, Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck
     2008, XXX, Abb. 73.
25
     PIZZININI, Andreas Hofer (wie Anm. 24), XXX, Abb. 210. Die Zeichnung ist auf 1819 datiert; davor
     bereits Katalog: Die Tirolische Nation 1790–1820, hg. von Gert AMMANN, Innsbruck 1984, Kat.
     Nr. 11.140, 207.
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Abb. 3: Benitius Mayr, Kämpfe am Bergisel am 25. und 29. Mai 1809, lavierte Federzeichnung, 200 x
274 mm. TLMF, FB 6504/57.

Abb. 4: Jakob Placidus Altmutter, Bergisel-Schlacht vom 13. August 1809, aquarell. mit Gouache Zeich-
nung, um 1818, 335 x 441 mm. TLMF, T 2619.
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Abb. 5: Jakob Placidus Altmutter, Kampf bei Spinges vom 2./3. April 1797, aquarell. Zeichnung, 260 x
430 mm, XXX.

   Auch in dieser Abbildung rückt die bayerische Artillerie in Formationen an den
Bergisel heran; Die Komposition bindet gleichförmige Schlachtreihen mit formal diesen
scheinbar korrespondierenden Zäunen zu einem wohl ponderierten Bild, in welchem
die Durchzeichnung der Massen mindestens so wichtig wird wie die Lesbarkeit der
kämpfenden Gruppen. – Diese künstlerische Intention begegnet uns bereits in einem
frühen Blatt: Jakob Placidus Altmutter wird uns als Zeichner und Aquarellist zum ersten
Mal anlässlich des für die Tiroler so erinnerungsträchtigen Kampfes bei Spinges vom
2./3. April 179726 bekannt.
   Es blickt der Bildbetrachter gleichsam aus dem Dunkel des Wandrandes auf ein
entsetzliches Schlachtgeschehen. Armeesoldaten im linken und rechten Mittelgrund;
von links unten rücken die Franzosen in zwei Kampfreihen mit Gewehren im Anschlag
heran, rechts rücken österreichische Jägertruppen heran, hinter ihnen eine steil aufra-
gende Bergwand. Im Zentrum des Bildes direkt vor dem Betrachter tut sich ein regel-
rechtes Gemetzel auf, in welchem die Tiroler Bauern mit Morgensternen, Mistgabeln
und Messer bewaffnet sich Franzosen um Franzosen vornehmen; dem Bildbetrachter
zugewandt im Bildzentrum fleht ein auf die Knie niedersinkender französischer Soldat
um sein Leben, welches er ganz sicher im nächsten Augenblick verlieren wird. Wie Frei-
schärler werfen sich die Tiroler in das Geschehen, guerillagleich sehen wir sie im Mittel-
und Hintergrund aus dem Gestrüpp auftauchen und ihre Ziele mit Gewehren anpeilen.

26
     Katalogisiert und abgebildet im Katalog: Der Tiroler Freiheitskampf 1809. Zeitgenössische Bilder und
     Dokumente, Bilderverzeichnisse der Sonderausstellung im Ferdinandeum, Innsbruck 1959, 38. Kat.
     Nr. 14, Abb. 1; ebenso in: PIZZININI, Andreas Hofer (wie Anm. 24), XXX, Abb. 75.
Die Bild-Legende Anno Neun                      381

Abb. 6: Jakob Placidus Altmutter: Tyroler Schüzen
auf ihrem Posten, aquarell. Zeichnung, 217 x
158 mm. TLMF, Dip. 1383/1, Nr. 92.

Altmutter nimmt scheinbar nicht Partei, im besten Sinn lässt er seinem Schlachtenbild
den ambivalenten Charakter.
    Abbildung 6 zeigt uns noch „Tyroler Schüzen auf ihrem Posten“. Zwei Landstürmer
mit einem Jäger der Österreichischen Kavallerie in der Mitte, welcher sein Kinn auf
das senkrecht gestellte Gewehr gestützt, sehr skeptisch in den Betrachterraum blickt.
Es mutet an, als hinterließe uns Altmutter etwas ganz anderes als die Dokumentation
eines heldenhaften Volkes: Er zeichnete Charaktere, beobachtete Linienführungen und
ästhetische Wirkungen, sogar solche des Grauens. –
    Noch eine weitere, nichttirolische Perspektive sei hier gezeigt. Peter von Hess malte
im Auftrag König Ludwigs I. 1832 für den Schlachtensaal der Münchener Residenz u. a.
die „Schlacht bei Wörgl“ vom 13. Mai 1809 (Abb. 7) vom Standpunkt der bayerischen
Invasionsarmee aus. Der Maler konnte sich jedoch insgeheim ganz offensichtlich der
Bewunderung für die Tiroler nicht entziehen und überbetonte den Anteil des Tiro-
ler Landsturms; im Mittelgrund am linken Bildrand Andreas Hofer und der Kapuzi-
ner Haspinger. Ihm gelang jedoch vor allem die schönste Ansicht des Inntals zwischen
Wörgl und Jenbach mit der Rofanspitze im Hintergrund.
    Die Bild-Historie von Carl von Mayrhauser „Kampf im Hohlweg am Bergisel am
13. August 1809“ von 1850 (Abb. 8) nimmt wiederum den ähnlichen Standpunkt ein,
wie wir ihn von Benitius Mayr und seinem Bild (Abb. 3) kennen: Es ist der heroische
Standort Bergisel, der Schauplatz des Heldentums. In dem Gemälde der Jahrhundertmitte
geht es jedoch weniger um ein Schildern der Kriegslage als um das Erzeugen von patrio-
tischen Gefühlen, wenn wir die Blickfänger, nämlich das Marterl links vor dem hellen
Hintergrund und den Tiroler Schützen mit erhobenem Säbel in der Bildmitte, gewahren
und durch diese zum Deuten veranlasst werden.
382                                 SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

Abb. 7: Peter von Hess, Schlacht bei Wörgl vom 13. Mai 1809“, Öl auf Leinwand, 207 x 324 cm, Residenz
München, II. Schlachtensaal.

Abb. 8: Carl von Mayrhauser, Kampf im Hohlweg am Bergisel am 13. August 1809, 1850, Öl auf Lein-
wand, 92 x 110,5 cm, sign. u. dat. TLMF, Gem. 1141.
Die Bild-Legende Anno Neun                                    383

Die obige Darlegung bestätigt das Argument: Das Interesse des Blicks verursacht die
entsprechenden Bilder.27

                             „Für Gott, Religion und Vaterland“28

Das Bild des Verteidigungskrieges und der Überwindung des Feindes, welches sehr früh
durch Benitius Mayr ästhetische Gestalt bekam, ist aufgeladen mit einer eschatologi-
schen Macht. Der Himmel selbst schien seinen Segen zur Gewaltbereitschaft gegeben
und hat die neue politische Konstitution von Herrschaft besiegelt zu haben. Damit ist
die dunkle Seite des ambivalenten Phänomens des Märtyrertums bereits angesprochen,
nämlich Gewalt und Tod. Aber auch die helle Seite des standhaften Ausharrens und
„Siegens“ durch den Glauben ist hier im Verständnis eines säkularen Martyriums für
das „Vaterland“ zu etwas anderem geworden, nämlich zu Heldentum und Heroismus. Ist
die Gemeinschaft durch ein christliches Gewaltopfer erkauft worden? Die Säkularisie-
rung des Märtyrerideals in den Zeiten der napoleonischen Kriege hatte auch aus einem
Andreas Hofer beinahe wie selbstverständlich einen Märtyrer gemacht.
   Die kritische Reflexion auf den freiwilligen Tod in der Nachfolge Christi, eine reli-
giöse Kategorie, erscheint hier in einen Begriff politischer Auseinandersetzung umge-
deutet. Nur dieser Inanspruchnahme des Heiligen für das Interesse des Innerweltlichen
und Patriotisch-Nationalen möchte ich in diesem Beitrag nachgehen und die Analyse in
diesem Sinn noch ein wenig ausbauen.
   Wenn wir eingangs über das Charakteristische einer Legende nachdachten, so hatten
wir „Leben, Martyrium und Tod“ einer vorbildhaften Figur (eines ganzen Kollektivs) im
Sinn. In unserem Fall geht es dabei um die romantische Variante des Ideals der Freiheit,
welches für die Tiroler – nicht anders als für andere Nationen – das Grundgefühl ihrer
Identität repräsentiert.29
   Die Idealisierung der Ereignisse rund um 1809 setzte noch in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts ein, kam aber so richtig erst in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts
zur Entfaltung. Entsprechend mehren sich in der Kunstgeschichte ab der Jahrhundert-
mitte die Szenen aus der Heimat. Es entstand das nationale Modell. Auch die Saga vom
Tiroler Aufstand des Jahres 1809 ist Volksgeschichte. Der wichtigste Erzähler dieser
Geschichte für Tirol wurde Franz von Defregger. „Defregger galt im Museum als die
Summe der künstlerischen Vollendung.“30 Das Kunstschaffen Tirols in der Zeit des
Historismus bis herauf zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war vom Reflektie-

27
     Vgl. die verschiedensten Überlegungen über den Zusammenhang von Blick und Bild, wie z. B. Georg
     SCHMID, Vom Bild zum Blick – Zur Ikonologie und „Imagologie“ der Geschichte, in: Die Geschichts-
     falle. Über Bilder, Einbildungen und Geschichtsbilder, hg. von Georg SCHMID, Wien 2000, 195–220,
     hier 213.
28
     Andreas Hofer bereits in einem Schreiben an Josef Ignaz Straub, am 24. Mai 1809, siehe: OBERHOFER,
     Weltbild (wie Anm. 2), Dokument Nr. 107, 193; Feierliche Bekräftigung dieser Devise als selbsteinge-
     setzter Oberkommandant vom Passeier am 4. August 1809, siehe ebda., Dokument 181, XXX.
29
     Vgl. Monika FLACKE, Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, München 1998.
30
     Erich Egg in seinem Rückblick als Direktor auf die Entwicklung des Tiroler Landesmuseums Ferdi-
     nandeum: Erich EGG, Chronik des Ferdinandeums 1823 bis 1973 (Veröffentlichungen des Museum
     Ferdinandeum 53), Innsbruck 1973, 62.
384                                 SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

Abb. 9: Joseph Anton Koch, Tiroler Landsturm, 1819, Öl auf Holz, 56 x 74 cm, TLMF, Gem. XXX.

ren der eigenen Werte in religiösem, ethnischem und in deren Folge politischem Sinn
geprägt. Diese inhaltlich bestimmte Kunst suchte die große, den Menschen anrührende
Form und fand sie in der erzählenden bühnenhaften Historienmalerei Münchener Prä-
gung unter der Leitung des legendären Malerfürsten Karl Theodor von Piloty, bei dem
die meisten Tiroler Maler dieser Tage studierten. Hatte Joseph Anton Koch noch 1819
eine „krause, aber leidenschaftlich Partei ergreifende Allegorie“31 mit dem „Tiroler Land-
sturm“ (Abb. 9) gemalt, so stimmte Franz von Defregger ein Heldenlied auf das Berg-
volk an, das seine Sache selbst in die Hand nimmt, als ein Paradigma der volksbestimm-
ten Freiheitsidee überhaupt. Das Volk als Gemeinschaft war der Märtyrer, welcher im
Zeichen des Kampfes für die Überzeugung von der Einheit von „Glauben und Heimat“
auch noch „Das letzte Aufgebot“ (1874)32 bereitstellte.
   Im opulenten Goldrahmen lädt das gemalte Bild zum Einstieg in eine virtuelle Welt
ein. Im Stil des Realidealismus kam es zur heldenhaften Verklärung sowohl historischer
Figuren als auch der Landschaft, und dies im salonfähigen Format. Albin Egger-Lienz’
„Das Kreuz“ (1898–1901)33 Abbildung 10 steht in engem thematischem Anschluss zu
Franz Defregger.

31
     Werner HAGEN, Geschichte in Bildern. Studien zur Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, Hildes-
     heim–Zürich–New York 1989, 259.
32
     Franz von Defregger, Das letzte Aufgebot, 1874, Wien, Österreichische Galerie im Belvedere.
33
     TLMF, eine weitere Fassung in Schloss Bruck in Lienz.
Die Bild-Legende Anno Neun                                385

Abb. 10: Albin Egger-Lienz, Das Kreuz, 1901, Öl auf Leinwand, 312 x 384 cm, TLMF, Gem. XXX.

    Egger-Lienz lobte „Das letzte Aufgebot“ als das beste „historische Genrebild in der
ganzen deutschen Kunst“, sein Ehrgeiz war jedoch, die erzählerische Gattungs- und His-
torienmalerei Defreggers zu überwinden, um sich vor allem dem Psychologischen und
Menschlichen zu widmen. Er verstand nicht, dass den meisten Tiroler Malern seiner
Tage nur am Herzen lag, historische Identitätsvorstellungen zu bilden statt den Blick
nach dem Unbekannten zu richten. Natur wurde diesen Zeitgenossen nur „Behelf “,
nicht „Vorbild“, klagte er.34
    In diesem Kontext nimmt das Salongemälde von Carl Blaas „Gefangennahme
Andreas Hofers“ (Abb. 11) welches den Märtyrer-Mythos gewiß ganz mächtig beflü-
gelte – nicht zuletzt durch zahlreiche Reproduktionen bis auf den heutigen Tag – eine
ganz besondere Stellung ein. Carl von Blaas übergab dieses 1890 gemalte Bild, welches
sein letztes sein sollte, 1891 höchstpersönlich dem Tiroler Landesmuseum, nach Preis-
Verhandlungen kaufte es das Museum schließlich im November 1893.35

34
     Werner AUER / Kurt GAMPER, Tirol. Schöpferisches Land, Innsbruck 1984, 147.
35
     TLMF, Aktenarchiv, 1893, Zl. 259. Die Erkundungen verdanke ich Dr. Helmuth Öhler, welcher sich
     seit 2008 intensiv mit Karl von Blaas beschäftigt.
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Abb. 11: Carl von Blaas, Gefangennahme Andreas Hofers, 1890, Öl auf Leinwand, 91,5 x 117,8 cm.
TLMF, Gem. 872.

    Unsere Analyse sieht das Gemälde parallel zu Wiederbelebungsversuchen des alten
Volksschauspiels im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, etwa durch die Passionsbüh-
nen in Brixlegg und in Vorderthiersee, vor allem aber in Meran.36 Ein kurzer Rückblick
soll die Einordnung erleichtern: Es entstanden Dramen von Domanig, Kranewitter oder
Schönherr, und zwar in einer Epoche, als in Tirol die letzten Ausläufer des sogenannten
Kulturkampfes sowie die ständigen Spannungen zwischen dem konservativen und dem
nationalen Lager eine explosive politische Atmosphäre schufen. Alttirol bemühte sich in
dieser Situation um das Retten der Werte der Vergangenheit, während das sogenannte
Jung-Tirol das Vaterländische (Franz Kranewitter, „Andre Hofer“ 1900/1901) beschwor.
Der von „klerikalen“ Darstellungen – man denje nur an das Hofer-Drama von Benitius
Mayr – immer als der letzte Satz Andreas Hofers überlieferte: „Hoch lebe Kaiser Franz!“37
wurde von Kranewitters Hofer ersetzt durch: „Mein Vaterland Tirol, zum letzten Mal!
Vivat, vivat hoch.“38 Kranewitters Ziel war ein Zurechtrücken des traditionellen Hofer-
Mythos, es sollte gezeigt werden, dass Hofer verschiedene politische Machenschaften

36
     Anton DÖRRER, Andreas Hofer auf der Bühne, Brixen 1912, 40–45.
37
     Vgl. Cölestin STAMPFER, Sandwirth Andreas Hofer, Freiburg im Breisgau, 2. Auflage 1891, 206.
38
     Franz KRANEWITTER, Gesammelte Werke, 284.
Die Bild-Legende Anno Neun                                    387

gar nicht durchschauen konnte und sich einen untragbaren Führungsstil anmaßte, den-
noch gab sein Stück dem Märtyrerthema neue Nahrung, indem Hofer als „Märtyrer des
Gewissens“ gezeichnet wurde. Karl Schönherr nahm sich in seinem „Der Judas von Tirol“
– 1897 im Theater an der Wien uraufgeführt und in Tirol lange verpönt – sehr kritisch
eines Elementes an, welches in dieser zweiten Rezeptionswelle gegen Ende des Jahrhun-
derts schon ganz gehörig ans Blasphemische rührte, nämlich des Themas ‚Verrat‘. Der
Proponent des Stückes ist Franz Raffl, von Andreas Hofer ist zwar ständig die Rede, er
selbst tritt aber nur in einer kleinen Episode im Schlusstableau auf. Schönherrs Leistung
war eine zum damaligen Zeitpunkt ungeheuer mutige, er ließ die Mythisierung des ‚Tiro-
ler Heldenzeitalters‘ durch die Nachgeborenen als gehörige Verirrung erkennen.
    Verrat und Gefangennahme erinnern sofort an die Passion Jesu Christi und das christ-
liche Opfer mit einer universalen errettenden Bedeutung. Karl Blaas nahm sich also
eines ausschließlich religiösen Stoffes an, um ihn auf die Lebenssituation des politi-
schen Scheiterns Andreas Hofers zu übertragen. Andreas Hofer wird in der Situation
des Arrestes durch zwei italienische Füsiliere der Linien-Infanterie vor der Mähderhütte
der Pfandleralm gezeigt, in der er sich ab Dezember 1809, nach dem Zusammenbruch
des Tiroler Aufstandes, versteckt hielt. Gegen Jahresende suchten auch seine Frau und
der fünfzehnjährige Sohn Johann in der Hütte Zuflucht. Die Inszenierung durch Blaas
folgt nicht in allen Details der Beschreibung durch Hofers Schreiber Cajetan Sweth,
welcher als getreuer Gefährte selbst bei der demütigenden Szene dabei war – er wird
im linken Mittelgrund gerade abgeführt – sondern sie wählt die heroische Geste. Hofer
geht als Held den Weg der Passion, durch den Bauern Raffl verraten um einen Judaslohn
von 1500 Gulden. Die durch die Diagonalen gesehene Bildmitte zeigt einen wartenden
Füsilier mit senkrecht gestelltem Gewehr, hinter ihm der Frostnebel des Ungewissen.
Recht von der Bildmitte Andreas Hofer, links der Bildmitte die knieende Frau Anna und
neben ihr der barfüßige minderjährige Sohn in Banden. Das Betrachterauge wird durch
geschickte Komposition der Protagonisten, zwischen denen eine „gegenstandsleere Bild-
mitte“ mit dem Füsilier im Hintergrund eine unheilverkündende Spannung erzeugt,
zum Erkennen des Inhalts gelenkt: Die Augen der verzweifelten knieenden Frau sind
auf das herzförmige rote Mittelstück des Trachtenlatzes von Andreas Hofer gerichtet
– unausgesprochen, aber gezeigt, das Herz des Märtyrers Hofer, und das „Herz Jesu“…
    Karl Blaas’ Vater, Johann Joseph Blaas, welcher selbst Maler werden wollte, hatte als
Commandant einer Compagnie Bauern den Landsturm mitgemacht“39; die Legenden-
bildung in der eigenen Familie, auch das übersteigerte Selbstgefühl, welches ein Studium
der Persönlichkeit Karl Blaas’ zu Tage fördert, können allerdings nicht allein für das leb-
hafte Nachleben des Bildes verantwortlich gemacht werden. Es gilt aber wahrzunehmen,
dass es eine Mythologisierungskultur gab, vor der verantwortungsvolle Künstler wie Karl
Schönherr schon recht früh warnten.
    Die Ersten, welche davon sprachen, dass der Sandwirt zum „Martyrium“ gegangen
sei, waren die beiden Geistlichen in Mantua, Alessandro Borghi von S. Michele, welcher
Hofer die Beichte abnahm und die Eucharistie gab und Giovanni Battista Manifesti
der Basilika S. Barnaba. Letzterer, welcher Andreas Hofer zur Hinrichtung begleitete,

39
     Allein die Selbstbiographie von Karl Blaas, unsere „Quelle“ für manche Beobachtungen beweist das
     ideologische Engagement in der Familie Blaas, vgl. Adam WOLF (Hg.), Selbstbiographie des Malers Karl
     Blaas, 1815–1876, Wien 1876, 4.
388                                   SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

schrieb in einem Brief 40, er habe einen „Mann bewundert, der als christlicher Held in
den Tod gegangen ist und diesen als unerschrockener Märtyrer erlitten hat“. Das Opfer,
die Souveränität des Sterbens Hofers ebenso wie die Ungerechtigkeit seiner Hinrichtung
wurden damit in traditionell-christlicher Weise beschrieben. Die Freiheit war für Tirol
immer religiös verbürgt. In die nationale Geschichte, die sogar einen „Märtyrer“ hatte,
flocht sich der in seiner Tiroler Erscheinung einmalige Herz-Jesu-Kultus ein, eine nicht
unproblematische Frömmigkeit. War die Botschaft des Bildes Jesu mit dem herausge-
nommenen Herzen gemäß der alten Frömmigkeit im idealen Fall mit Kompetenz an
Menschlichkeit gekoppelt, so wurde sie nun im 19. Jahrhundert durch Politisierung und
Nationalisierung verstellt. Man machte das Herz Jesu zum Heroen, der politische Anlie-
gen schützen helfen sollte. Hier soll ein kurzer Hinweis auf die Herz-Jesu-Kapelle beim
Sandwirt-Hof im Passeier genügen, die – selbst ein kurioses national-religiöses Gedächt-
nis-Monument für Andreas Hofers „Heldentaten“ – eine Freskenfolge von Edmund und
seinem Sohn Wilhelm von Wörndle beherbergt, welche auch ein Bild der Gefangen-
nahme Andreas Hofers auf der Pfandleralpe am 28. Jänner 1810 zeigt Abbildung 12.41
Darüberhinaus aber wird dort in einem weiteren Bild eine Analogie hergestellt, wel-
che nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern sich ebenfalls – wie im Fall des Märtyrer-
anspruchs – auf die niedergeschriebene Meinung des Helden Andreas Hofer stützen
kann, nämlich das Ineinssetzen des Tiroler Volkes mit dem auserwählten Volk Israel.42
Edmund von Wörndle erwies sich damit als aufmerksamer Hörer der Volkssaga, welche
nun schon beinahe ein Jahrhundert alt, eine ganze Welt geschaffen hatte.
    Andreas Hofers Überzeugung, von Gott selbst zu seinen Taten inspiriert worden zu
sein, scheint selbst in seinen allerletzten Stunden ungebrochen gewesen zu sein, schrieb
er doch am Ende seines Abschiedsbriefes aus Mantua am 10. Februar 1810, in welchem
er noch verschiedene Anordnungen traf: „[…] und um 9 urr Reisß ich mit der Hilfe
aller heillig zu gott“.43
    Sollten alle hier besprochenen Bilder bis zum heutigen Tag an der Legendenbildung
mitgewirkt haben, so kann das von dem noch zu letzt vorzustellenden Bild (Abb. 13)
jedenfalls nicht gesagt werden: Die Bild „Himmelfahrt des Andreas Hofer und der
Schützen“ von Leo Putz hat, ehe es in das Haus kam, in welchem es sich auch noch
heute befindet, wahrscheinlich nie das Münchener Atelier seines Malers verlassen. Der
Käufer der „Himmelfahrt Andreas Hofers“ war in den vermutlichen Entstehungsjahren
des ironischen Bildes als Student an der Technischen Hochschule in München und
frequentierte nach Aussagen seiner Enkelin sehr gern die ausgelassenen, „geradezu welt-
berühmten Münchner Künstlerfeste“, deren zeitweiliger Initiator Leo Putz war.44 Putz

40
     Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst, 6. Jg. (1815) Nr. 92/93, 380; zitiert nach
     PIZZININI, Andreas Hofer (wie Anm. 24), 254, Anm. 21. Vgl. zur Quellenkritik der wenigen zur Hin-
     richtung Andreas Hofers hinterlassenen Dokumente: Brigitte MAZOHL, Das Jahr 1809 und Andreas
     Hofer: Historischer Mythos und der Verlust der Geschichte, in: Mythos: Andreas Hofer, hg. von GRÜNE
     BILDUNGSWERKSTATT, Wien 2008, 67–93
41
     Entnommen aus: Harald HALLER / Judith SCHWARZ, Andreas Hofer … eine Geschichte mit Text und
     Bildern aus dem Film des Museum Passeier, St. Leohard in Passeier 2002, 35
42
     OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokument Nr. 606, 561 „er wird uns auch diesmal so retten, wie
     er einst das Volk Israel gerettet hat“. Vgl. ebenso ebda., Dokument Nr. 604 und 664.
43
     OBERHOFER, Weltbild (wie Anm. 2), Dokumente Nr. 674, 613.
44
     Ich danke an dieser Stelle Maria Th. Walter – selbst die Tochter eines Nordtiroler Künstlers – welche
     mir – nach Einverständnis der Besitzer – die Kenntnis von diesem Bild zuspielte.
Die Bild-Legende Anno Neun                                389

Abb. 12: Edmund und Wilhelm von Wörndle, Die Gefangennahme Andreas Hofers, Fresko, Herz-Jesu-
Kapelle beim Sandhof, Foto XXX.

Abb. 13: Leo Putz, Himmelfahrt des Andreas Hofer und der Schützen, Bleistift, Kreide, Gouache auf
Papier, 75 x 92 cm, Privatbesitz.
390                                  SYBILLE-KARIN MOSER-ERNST

war nach Aussage von Thomas Mann, welcher sein Wesen im Roman „Dr. Faustus“
mit der Figur Leo Zink zu ergründen und zu zeichnen suchte, ein „einschmeichelnder
Clown“45 und dieses vorliegende Bild spricht ganz in diesem Sinne.
   Des Gemäldes Technik ist Bleistift, Kreide, Gouache auf Papier. Der Himmel ist
großzügig in sehr nassem Aquarell gemalt. Das Bild befindet sich in Südtiroler Privat-
besitz. Die Erforschung der Provenienz46 lässt keine Zweifel mehr an der Originalität
des Blattes. Das gegenständliche Bild ist zudem in der rechten unteren Ecke in blauer
Schrift mit „Leo Putz“ signiert.
   Leo Putz hatte als Maler von Historien seine künstlerischen Ansichten in der Mün-
chener Künstlerszene des modernen Aufbruchs bis 1914 verteidigt, auch wenn ein Satz
von Wilhelm Trübner in Zusammenhang mit einem Qualitätsurteil an Van Gogh, des-
sen zugegebenes Talent verhalte sich zum wahren Genie wie „Andreas Hofer zu Napo-
leon Bonaparte“47 uns aufhorchen lässt: Ganz offenbar mockierte man sich in der Stadt,
an deren Kunstakademie so viele Tiroler Studenten zu finden waren, über das Spektakel
der Jahrhundertfeier 1909 für Andreas Hofer. Die Welt von Leo Putz war – was seine
Künstlerambitionen anlangte – bis 1914 noch heil, seine Bilder waren künstlerische
Meisterwerke, voll humorvoller Heiterkeit, niemals abgründig.
   Leo Putz sieht sich zurück in seine heimatliche Landschaft versetzt, Meran liegt zu
Füßen, alle Bilddetails weisen uns in die Gegend hoch über den Eingang des Passeirer
Tals. Andreas Hofer mit erhobenem Säbel in der Rechten führt den Zug der „Tiroler
Mander“, eine für das Betrachterauge unendlich lange Kette von Schützen, die sich
mit ihm in die Lüfte auf die Reise zum Himmel erhoben haben, an. Gleich hinter
ihm Speckbacher mit der Tiroler Fahne, deren Adler eher einer Blutlache gleicht, und
hinter diesem Pater Haspinger, noch immer grimmig mit dem Kreuz die Bösen im Tal
bannend. Ein alter Schütze weit hinten hilft einem weiteren, der noch dazukommen
möchte, hoch, die Gewehre scheinen die Luftfahrt noch zu begünstigen. Sein Maler-
handwerk half Leo Putz, diese phantastische Vision eines Volkes – wahrscheinlich – zum
Jahrestag 1909 zu erschaffen.

                          Das Nachleben der Bilder.
             Die Inanspruchnahme der Bilder in der Kulturtheorie
Faszinierend, dass rund 25 Jahre vor der Trennung Tirols in ein Nord-/Ost- und ein
Südtirol Bilder wie Texte einem Phantasikon entgegenzuarbeiten begannen, welches die
Vorstellung vom Passionsweg eines Landes bedeutet und das in Form der „Dornen-
krone“ bis heute weiterlebt.
    Die Kunst ist ein Faszinosum. Für einen Moment könnte Hegel uns sogar total ver-
wirrt haben, denn der ‚Zeitgeist‘ war ja in der Tat imstande, durch die Kunst Wirklich-
keiten in Form von Ideen zu schaffen, an welchen wir uns zumindest als an Gegen-‚stän-

45
     Zitiert nach Ruth STEIN, Leo Putz, Wien 1974, 41, Anm. 10.
46
     Für die Hinweise in diesem Zusammenhang danke ich Maria Th. Walter.
47
     Felix BILLETER (Red.), Sommerträume und Stille Zeit – Titel und Themen bei Leo Putz vor 1914, in:
     Sommerträume und Stille Zeit. Leo Putz und Münchner Malerfreunde um 1900. Sammlung Siegfried
     Unterberger, Lana 2000, 26, Anm. 14.
Die Bild-Legende Anno Neun                                391

den‘ stoßen können. Inzwischen sind uns zwar die alten Bilder längst Museums- und
Auktionsware, haben wir doch längst gelernt, Unersichtliches und Unerhörtes als Bilder
zu sehen und zu hören.48 Doch die Ideen, welche sich in den Menschen durch Bilder
verfestigten, treiben in komplexeren Produkten weiter ihr Nachleben. War früher der
Einzelne mit Abstand vor ein Phänomen getreten, „hat sich ein Bild gemacht“, um das
Ersehene für andere zugänglich zu machen, hat er über das Bild das Objektive subjektiv
ins Intersubjektive vermittelt, so begann die westliche Kultur seit der Renaissance damit,
diese ‚Bilder‘ zu einer istoria (Leon Battista Alberti) zusammenzusetzen. Diesen Produk-
ten wurde ab Hegel noch das „Historische“ als Art des Denkens hinzugefügt. War das
Bild am Anfang prä-historisch, so musste man später die Geschichten kennen, um ein
Bild zu entziffern. Das Historische ist auf diese Weise das aus Bildern Zusammengesetzte.
    Ästhetik war die neue Religion des 19. Jahrhunderts geworden. Unter dem Begriff
Ästhetik muß man einen Modus des Denkens verstehen, der sich anhand von Gegen-
ständen der Kunst entfaltet. Noch grundlegender: Ästhetik ist ein spezifisches geschicht-
liches Regime des Denkens der Kunst, eine Idee des Denkens, der zufolge die Gegen-
stände der Kunst Gegenstände des Denkens sind. Kunst hatte alle Bedürfnisse der
großbürgerlichen Gesellschaft sowohl nach „Idealen“ und „Bildung“, als auch nach
Sensationen zu befriedigen. Das Interesse an den Dingen wich einem Interesse an ihren
Bildern. In diesem Sinn musste auch das Bedürfnis des geschichtlichen Gedächtnisses
durch Bilder gestillt werden.
    Die Virtualität der Bilder bestimmt die Aktualität, indem die Bilder die Realität
außer Kraft setzen. Wir haben es seither mit einer Hypertrophie des Sehens zu tun
(Voyeurismus). Erkenntnisse aus der Geschichte werden wieder als Bilder gesehen, also
ästhetisch erlebt. Wir haben nicht nur gelernt, Bilder als Realitäten zu sehen, sondern
sogar in ihren Funktionen zu leben.

48
     Dazu sollte man folgendes Buch zur Hand nehmen: Martin KEMP, Bilderwissen. Die Anschaulichkeit
     naturwissenschaftlicher Phänomene, Köln 2003.
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