New Economy - Hoffnung des 21. Jahrhunderts oder Blütentraum?
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New Economy – Hoffnung des 21. Jahrhunderts oder Blütentraum? Johann Welsch Die Jahre 1997 bis 2000 werden als die Boomphase der „New Economy“ in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Milliarden von Dollar, DM und sonstigen Währungen wurden in dieses Phänomen investiert. Ein wahrer „Hype“, ein Rausch, entstand. Die New Economy versprach vor allem den reifen Ökonomien ein neues „goldenes Zeitalter“. Sie weckte die Hoffnung, endlich ein wirksames Mittel gegen die Massenarbeitslosigkeit auch für Europa gefunden zu haben. Der Optimismus ist inzwischen verflogen. Die New Economy steckt in einer tiefen Krise. Ist das das Ende dieses Phänomens oder lediglich eine vorübergehende Reinigungskrise? Der Autor plädiert für die zweite These und erörtert drei Fragen, um seine Vermutung zu begründen: Er befasst sich zunächst mit dem Begriff der New Economy, prüft dann die Einlösung der mit ihr verbundenen Verheißungen und gibt abschließend eine Antwort auf die im Titel enthaltene Frage- stellung. Seine These: Die New Economy ist keineswegs am Ende. Ihre Hintergründe und Triebkräfte sind weiter wirksam und zwar so mächtig, dass sie die gesamte Ökonomie erfassen und umwälzen werden. Der Begriff „New Economy“ assozziier- verkündete im Juni 1999 anlässlich der 1 Problemstellung te nach seinem Auftauchen Mitte der neun- ziger Jahre etwas Verheißungsvolles. Er ver- sprach für den Einzelnen den Weg zu Eröffnung des Medienforums in Köln: „Unser Ziel ist es, unser Land in den nächs- ten Jahren zu einem Zentrum der ‚New schnellem Reichtum und einem sor- Economy‘ in Mitteleuropa auszubauen ... War es Alan Greenspan, der amerikanische genfreien Leben. Für die Gesellschaft ins- Ich bin davon überzeugt, dass zukünftig im Zentralbankpräsident, oder Kevin Kelly, der gesamt verband man damit mehr Wirt- Wettbewerb der Standorte auf dem Feld Herausgeber der Internetpostille „Wired“, schaftswachstum, neue Arbeitsplätze, hö- der ‚New Economy‘ von entscheidender der den Begriff der New Economy in die here Einkommen, weniger Inflation und Bedeutung sein wird, wer den Medien- Welt gesetzt hat? Gleichgültig: Obwohl nie- mehr Wohlstand. Nun könnte man argu- und Telekommunikationsunternehmen mand genau sagen konnte, woher der Be- mentieren, dass die Nordamerikaner, die den besten Service anbieten kann.“ Die griff der New Economy stammte, wer ihn diesen Begriff erfanden, schon immer ein Landesregierung versprach, einen „Master- erfunden hat und vor allem, was er meinte, begeisterungsfähiges Volk waren, und dass plan e-NRW“ auszuarbeiten, der als strate- sind Milliarden von Dollar, DM und sons- es deshalb nicht verwunderlich ist, dass gischer Eckpfeiler den Strukturwandel hin tigen Währungen in der zweiten Hälfte der viele Menschen dort schnell von der New zur New Economy beschleunigen und ge- neunziger Jahre in dieses Phänomen inves- Economy-Euphorie erfasst wurden. Damit stalten sollte. tiert worden. Und: Obwohl Börsenkenner kann man aber nicht erklären, warum die- Warum also – so müssen wir uns doch und Wertpapieranalysten diese Entwick- ser Funke auch auf viele andere Länder die- fragen – ließen sich auch die Europäer vom lung zunächst argwöhnisch betrachteten, ser Welt, auch auf die Länder Europas, New Economy-Fieber anstecken? Die Ur- ließen sie sich von dem Glanz und der Fas- übersprang. So haben die europäischen sachen dafür haben ebenfalls viel mit Hoff- zination, die diese Entwicklung verbreitete, Staats- und Regierungschefs im März 1999 nung zu tun. Und zwar mit der Hoffnung mitreißen. Sie trieben viele Anleger, die auf dem Lissabonner Beschäftigungsgipfel der Verzweifelnden. Das Elend der anhal- gerne an den Reichtum ohne Risiko glau- eine Kampagne für die New Economy ge- tenden Massenarbeitslosigkeit, welches die ben wollten, noch schneller auf den Pfad startet, in der Hoffnung, dass auch Europa schlecht oder gar nicht gesteuerte kapitalis- des Ungewissen. Manche Anfänger im Ak- auf diese Weise an den Segnungen der Neu- tische Marktwirtschaft der Menschheit im- tiengeschehen nahmen unter der Fahne der en Wirtschaft teilhaben könne. Es wurde mer wieder beschert hat, hat viele Gesell- New Economy am Börsenroulette teil und ein Bündel von Maßnahmen beschlossen, schaften in ihrer jüngeren Geschichte wie- wurden fast über Nacht zu Millionären. An- welche von der forcierten Ausbildung von derholt in pure Hoffnung flüchten lassen. dere – auch viele Börsenprofis – ereilte das Hightech-Experten über die verbesserte Gesellschaften brauchen in Zeiten großer entgegengesetzte Schicksal, weil sie den Förderung der Gründung von Start-up- Probleme offenbar Perspektive und Hoff- Verlockungen der New Economy entweder Firmen bis hin zum Aufbau zukunftsträch- nung, um Unsicherheit und Konfliktpo- nur zögernd nachgaben und deshalb zu tiger Branchen wie Internet, Computer tenzial einzudämmen. Unmittelbar nach spät auf das Börsenkarussell aufsprangen, und Biotechnologie reichte. Und selbst die oder aber weil sie den richtigen Zeitpunkt Regionen in Deutschland nahmen alsbald des Ausstiegs nicht erwischten. am Wettlauf um die New Economy teil. Johann Welsch, Dr., Professor für Wirt- Die New Economy machte viele zu Nehmen wir als Beispiel Nordrhein-West- schaftswissenschaften an der Fachhoch- Narren und ließ nur wenige verschont. Wie falen: Der damals gerade erneut gewählte schule Wiesbaden – University of Applied ist ein solcher „Hype“, wie ist dieser Rausch Ministerpräsident und heutige Bundes- Sciences. zu erklären? wirtschafts- und -arbeitsminister Clement e-mail: Johann.Welsch@t-online.de 360 WSI Mitteilungen 6/2003 © WSI Mitteilungen 2002-2008 Diese Datei und ihr Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Verwertung (gewerbliche Verviel- fältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, Veröffentlichung online oder offline) sind nicht gestattet.
dem Zweiten Weltkrieg, als viele europä- weil es von vornherein auf Sand gebaut Der Begriff prägte seit Mitte der neun- ische Länder zerstört waren und eine an- war? Oder aber steckt mehr hinter diesem ziger Jahre vor allem die wirtschaftspoliti- haltende Massenarbeitslosigkeit befürchtet Phänomen? Verbirgt sich vielleicht doch sche Debatte in den Vereinigten Staaten von wurde, bot der vermutete „Hunger nach ein Funke Hoffnung in dieser Entwicklung, Amerika. In seiner überwiegenden, wenn Dienstleistungen“ eine solche Verheißung. der die wirtschaftliche Lage auf Dauer ver- auch oberflächlichen Verwendung fasst er Der Dienstleistungssektor zog die Hoff- bessern kann? Antworten auf diese Fragen das zusammen, was so richtig niemand nung auf sich, er könne als Sammelbecken sind heute noch nicht leicht zu geben. Wir begreifen konnte: die überraschende, lang für all diejenigen fungieren, die durch tech- stochern noch viel zu sehr im Nebel der anhaltende wirtschaftliche Prosperität nischen Fortschritt aus Agrar- und Indust- Gegenwart, der den Blick auf dauerhafte der amerikanischen Wirtschaft. Magische riearbeitsplätzen vertrieben werden. Der Trends verbirgt. Kräfte schienen die amerikanische Ökono- französische Ökonom Jean Fourastié hat Will man zumindest Anhaltspunkte für mie seit Mitte der neunziger Jahre zu im- dieser Erwartung mit dem Titel seines viel eine Orientierung finden, muss man sich mer neuen Höhen voranzutreiben. Befand beachteten Werkes „Die große Hoffnung intensiver mit der New Economy befassen. sich das Land Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts“ (Fourastié 1954) Auf drei Themen möchte ich in diesem Zu- noch in einer wirtschaftlichen Depression Ausdruck verliehen. Diese Perspektive ist sammenhang eingehen: mit stagnierendem Wirtschaftswachstum, heutzutage keineswegs antiquiert, im Ge- beängstigenden Inflationsraten, hoher Ar- genteil: Der Dienstleistungssektor hat an- – Was ist unter dem Begriff der „New Eco- beitslosigkeit und permanenten Sorgen um gesichts der anhaltenden Beschäftigungs- nomy“ eigentlich zu verstehen? die internationale Wettbewerbsfähigkeit probleme seine reale Bedeutung als be- – Was bleibt von den mit ihr verbundenen der einheimischen Wirtschaft, so hat sich schäftigungspolitischer Hoffnungsträger Verheißungen? diese Situation im Verlaufe der Dekade in nicht verloren. Allerdings reißt diese Per- – Enthält die New Economy eine „Hoff- wunderbarer Weise verändert. Rund ein spektive schon lange niemanden mehr mit. nung für das neue Jahrhundert“ oder wird Jahrzehnt lang verzeichnete das Land ein Sie versetzt niemanden in Begeisterung, im sie als kurzer „Blütentraum“ in die Lehr- kontinuierliches Wachstum der Wirtschaft, Gegenteil: Je länger sich der Strukturwan- bücher der Wirtschaftsgeschichte eingehen? welches in vielen Jahren über die Vierpro- del hin zu Dienstleistungen für die Über- zentmarke hinausging. Die Rate der Geld- windung der seit Mitte der siebziger Jahre entwertung ging trotzdem nicht in die anhaltenden Arbeitslosigkeit als nicht aus- reichend darstellt, um so mehr wächst die Verzweiflung der europäischen Völker und 2 Zum Begriff der Höhe, wie das in früheren Zeiten in solchen Situationen stets der Fall war, im Gegenteil: sie blieb nachhaltig unter 2 %. Und auch ihrer Regierungen. Deshalb konnten wir „New Economy“ die Arbeitslosigkeit schrumpfe kontinuier- zum Eintritt in das 21. Jahrhundert eine lich und erreichte mit unter 4 % de facto ei- schnelle Orientierung von Gesellschaft und Der Begriff New Economy kann zweifels- nen Vollbeschäftigungswert. Dieses bis Politik auf den in den USA geborenen neu- ohne zu einer Klasse von Wörtern gezählt heute nicht ausreichend erklärte makro- en Hoffnungsträger, die New Economy, be- werden, die der renommierte amerikani- ökonomische Phänomen des Gleichklangs obachten. Diese schien eine Lösung in sche Nationalökonom Fritz Machlup ein- von hohem Wirtschaftswachstum, niedri- greifbare Nähe zu rücken. Sie versprach vor mal als „weaselwords“ bezeichnet hat. Das ger Geldentwertung und hohem Beschäfti- allem den reifen Ökonomien ein neues sind Begriffe, die ungenau und vage sind gungsgrad wurde in der politischen Dis- „goldenes Zeitalter“. Und sie ließ die Hoff- und die in verschiedenen Kontexten eine kussion gemeinhin als „New Economy“ be- nung erblühen, endlich ein wirksames Mit- andere Bedeutung annehmen können. Das zeichnet. tel gegen das „Krebsgeschwür des Kapita- Oxford Dictionary versteht unter einem Der zweite, der technologiepolitische Be- lismus“, die Massenarbeitslosigkeit, auch weaselword einen Begriff, der die Kraft deutungsgehalt des Begriffes bezieht sich für Europa gefunden zu haben. einer Aussage auf dieselbe Weise zerstört, auf die Triebkräfte und den Komplex der Heute sind wir alle klüger. Wir sehen, wie ein Wiesel ein Ei vernichtet, wenn es Faktoren, die hinter der neuen makro- dass viele hochtrabende Versprechungen dieses aussaugt. Weaselwords vermitteln ökonomischen Konstellation vermutet wie Seifenblasen zerplatzt sind. Die zeit- keinen klaren Inhalt, sie dienen eher dazu, werden. Die New Economy ist in dieser weise gewaltigen Kursgewinne junger schlampiges Denken zu vernebeln. Oft Sichtweise der Ausdruck einer tiefgreifen- Technologieunternehmen an der Börse werden solche Begriffe gar dazu benutzt, den technologischen Umwälzung, die sich haben sich verflüchtigt. Die meisten der reale Probleme zu verschleiern und Maß- seit vielen Jahren immer stärker Bahn ehemaligen „Börsenstars“ haben ihre Fir- nahmen den Weg zu ebnen, die sonst nicht bricht. Dabei rekurrieren die Protagonisten ma und ihr Vermögen verloren. Sie sind akzeptiert würden. Oder sie werden be- dieser These letztlich auf die Arbeiten des entweder arbeitslos oder fristen ihr Dasein nutzt, um etwas Unbegriffenem einen Na- russischen Wirtschaftswissenschaftler Ni- als Angestellte bei den neuen Firmenei- men zu verleihen. Vieles von dem trifft kolai Kondratieff aus den zwanziger Jahren gentümern. Und viele der neu geschaffenen auch auf die New Economy zu. des letzten Jahrhunderts. Kondratieff hatte Arbeitsplätze haben sich mit dem Ende des Die Analyse der Verwendung des Be- die Ergebnisse seiner Untersuchungen der „New Economy-Hype“ in Luft aufgelöst. griffs der „New Economy“ lässt drei unter- langfristigen Wirtschaftsentwicklung in War die New Economy also nur ein Blü- schiedliche Bedeutungsinhalte erkennen: den kapitalistischen Ländern dahingehend tentraum, der so schnell wieder verwelkte, Zum einen die wirtschaftspolitische, zum zusammengefasst, dass den zu beobach- wie er aufgeblüht war? War es ein Luft- zweiten die technologie- und zum dritten tenden langen Phasen der Prosperität und schloss, das keinen Bestand haben konnte, die strukturpolitische Interpretation. der Rezession Wellen von grundlegenden WSI Mitteilungen 6/2003 361
technologischen Innovationen zugrunde vorsichtige Anleger handelt. Die Einschät- lägen (Kondratieff 1926). Jede Welle von Basisinnovationen bewirkt auf der Basis dieser Interpretation eine grundlegende 3 Was bleibt von den mit zungen der Anleger sind jedoch keineswegs unabhängig voneinander. Denn einer der wichtigsten Einflussfaktoren sind das Ver- Umwälzung wirtschaftlicher Strukturen der New Economy verbun- halten und damit die Erwartungen der an- und treibt eine neue Ökonomie hervor. denen Verheißungen? deren Anleger, die allerdings auch über kei- Heute befinden wir uns gemäß dieser ne besseren Informationen verfügen. Auf Sichtweise im fünften „Kondratieff-Zy- Dass die New Economy so viele Menschen diese Weise entstehen „Stimmungen“ an klus“, der von den neuen Informations- – nicht nur wirtschaftliche Laien, sondern der Börse. Und diese können das Verhalten und Kommunikationstechnologien und auch Wirtschaftswissenschaftler, Finanzex- der Anleger in die eine oder andere Rich- gegenwärtig vor allem von der Verbreitung perten, Börsenprofis und Politiker – in tung treiben und Börsentrends überhöhen. des Internet getragen wird. ihren Bann ziehen konnte, ist vor allem Hierdurch ist der Börsen-Hype, den die Die dritte, die strukturpolitische Inter- darin begründet, dass sie ein ganzes Bündel New Economy hervorbrachte, gut zu er- pretation sieht in der New Economy einen tatsächlicher oder vermeintlicher Verspre- klären. Die jungen Technologiefirmen bestimmten, neu sich herausbildenden chungen transportierte. Den Kapitalanle- wurden mit enormen Zukunftserwartun- Sektor der Gesamtwirtschaft, nämlich die gern versprach sie schnelle Gewinne durch gen befrachtet. Da immer mehr Anleger an Internetökonomie. Darunter versteht man Aktien, die Politiker hofften auf höheres den unaufhaltsamen Aufstieg der New Eco- all die Unternehmen und Wirtschaftszwei- Wirtschaftswachstum und mehr Beschäfti- nomy und damit an ihre Gewinnchance ge, die durch die rapide Verbreitung des In- gung und viele gut ausgebildete junge glaubten, strömte zunehmend Kapital in ternet neu entstanden sind oder durch die- Menschen erwarteten neue Formen der Ar- diese Firmen. Und je mehr diese Erwar- se Entwicklung einer tiefgreifenden Verän- beit, die nicht nur Spaß machten, sondern tungen die Aktienkurse nach oben trieben, derung ausgesetzt werden. Dieser Sektor ist auch ein hohes Einkommen brachten. Wie desto mehr schienen sich die Zukunftser- Ausgangspunkt und Motor der „informati- sind diese Verheißungen aus heutiger Sicht wartungen zu bestätigen und wurden noch onstechnischen Revolution“. Er bringt die zu beurteilen? weiter verfestigt. neuen Techniken, Werkzeuge und Dienst- Diesen Aufstieg kann man am Neuen leistungen hervor, die der Umbau der In- 3.1 SCHNELLER REICHTUM DURCH Markt in Deutschland sehr gut beobachten. dustrie- zur Wissensökonomie erfordert. AKTIEN! Dieser wurde im Frühjahr 1997 eingerich- Da er viele dieser Inputs gleichzeitig selbst tet und sollte den jungen Technologiefir- anwendet, schlüpft er in die Rolle des Vor- Grundsätzlich haben Börsen äußerst wich- men die Beschaffung von Eigenkapital und reiters der Wissenswirtschaft und wird zum tige wirtschaftliche Funktionen. Sie ver- damit ein schnelles Wachstum ermögli- „Experimentierfeld“ für neue Organisati- mitteln die Bereitschaft von Geldbesitzern chen. In den folgenden drei Jahren wurden onsstrukturen, unorthodoxe Unterneh- zur Kapitalanlage mit den Finanzierungs- ständig neue Firmen an die Börse gebracht. menspraktiken und innovative Arbeitsfor- bedürfnissen von Unternehmen, die inves- Der NEMAX 50, der fünfzig Unternehmen men. Hierdurch ist der Appeal des „Neuen“ tieren wollen. Sie stellen jedoch vor allem des Neuen Marktes zusammenfasst, wies in entstanden, der schnell dazu führte, dass die Anleger, die ja ihr Kapital möglichst diesem Zeitraum eine Verfünffachung (!) sich die Neue Wirtschaft von der „Old Eco- hoch verzinst sehen möchten, vor erhebli- seines Ausgangswertes auf und erreichte nomy“ abgrenzte und sich gar in Gegensatz che Probleme: Woher weiß man, welche am 10. März 2000 seinen Höchststand mit zu ihr brachte. Die Old Economy und die in Unternehmen die höchste Verzinsung sagenhaften 9.665.81 Punkten. Bis zu die- ihr operierenden Unternehmen erschienen bringen, welche Firmen steigende Aktien- sem Zeitpunkt hatte die New Economy ihr nunmehr als etwas Vergangenheitsorien- kurse aufweisen werden? Darüber gibt es „Versprechen“, Kapitalanlegern zu schnel- tiertes, als etwas Überholtes, ja fast als etwas keine gesicherte Erkenntnis, da erst die Zu- lem Reichtum zu verhelfen, zweifelsohne Unzureichendes und Defizitäres. Ihnen kunft über diese Frage entscheidet. Und eingelöst. Nur: Jeder, der vom Börsenge- wurde damit der Stempel des Untergehen- Zukunft ist stets ungewiss. Deshalb spielen schehen auch nur etwas Ahnung hatte, den aufgedrückt. Erwartungen für die Entwicklung von wusste, dass diese „paradiesischen Zustän- Alle drei Facetten des Begriffs der New Aktienmärkten eine entscheidende Rolle. de“ nicht von Dauer sein konnten. Die Bör- Economy spielen in der Debatte der letzten Die Zukunftserwartungen der Anleger prä- se ist kein „perpetuum mobile“ der Kapital- Jahre eine mehr oder weniger wichtige gen die Nachfrageseite des Börsengesche- vermehrung, sie kann es nicht sein. Und Rolle, wobei interessant ist, dass in den hens und damit die Aktienkursentwick- diese schockierende Wahrheit brach sich in USA vor allem die wirtschaftspolitische In- lung. Erwartungen sind jedoch leicht be- der Folgezeit mit großer Wucht Bahn. In- terpretation des Begriffs die öffentliche einflussbar. Eine Fülle von Faktoren wirkt nerhalb von einigen Monaten wurde der Diskussion prägte, während in Deutsch- auf sie ein: vermeintlich „sichere“ Börsen- buchungsmäßig entstandene Reichtum land die beiden anderen Begriffsdimensio- tipps, Gerüchte, Gewinnwarnungen, Emp- brutal wieder vernichtet. Der NEMAX 50 nen – die technologiepolitische und die fehlungen von Aktienanalysten, spekta- fiel inzwischen auf weit weniger als ein strukturpolitische Dimension – im Vorder- kuläre Medienberichte usw.. Erwartungen Zehntel seines Rekordwertes. Gegenwärtig grund standen. sind etwas äußerst Subjektives. Deshalb (Mitte Juni 2003) steht der Index bei ma- werden diese Informationen von den Men- geren rund 430 Punkten. Viele Aktien der schen unterschiedlich verarbeitet und Neue-Markt-Firmen sind heute aus dem führen zu unterschiedlichen Reaktionen, je Markt genommen, weil die Unternehmen nachdem, ob es sich um risikofreudige oder zusammengebrochen sind. Andere weisen 362 WSI Mitteilungen 6/2003
3.2 HÖHERES WIRTSCHAFTS- Abb. 1: New Economy: Höheres Wirtschaftswachstum? WACHSTUM AUF DAUER! - Jahresdurchschnittliches Wachstum des BIP in % - 4,0 1970-1991 1991-1995 1995-2001 Ob die New Economy das Versprechen ei- 3,6 nes dauerhaft höheren Wirtschaftswachs- 3,5 tum eingelöst hat, ist heute noch schwer 3,1 zu beurteilen. Überraschend ist zweifelsoh- 3,0 3,0 2,9 ne das auch über die neunziger Jahre an- 2,8 2,7 haltend hohe Wirtschaftswachstum in den USA, welches sich in der zweiten Hälfte 2,5 der Dekade sogar noch verstärkte (Abbil- dung 1). % 2,0 Hier dürften die durch die Innovatio- 1,6 nen der New Economy bewirkten Wachs- 1,5 1,3 1,3 tumsimpulse eine erhebliche Rolle gespielt haben. Unterstützt wird diese Einschät- 1,0 zung durch den starken Anstieg der Arbeits- produktivität in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre (Abbildung 2). Dieser An- 0,5 stieg kam insofern überraschend, als man sich in den achtziger und frühen neunziger 0,0 Jahren noch über den Verlust der technolo- USA Euro-Raum o.D. Deutschland gischen Wettbewerbsfähigkeit und den Quelle: Sachverständigenratsgutachten 2002/03. nachhaltigen Rückgang der Produktivität sorgte. Untersuchungen zu den Ursachen des neuen Produktivitätstrends ergeben bislang zwar kein eindeutiges Ergebnis, Abb. 2: New Economy: Neuer Produktivitätstrend? dass die New Economy in diesem Zusam- - Jahresdurchschnittliches Wachstum des BIP je Erwerbstätigen bzw. menhang eine wichtige Rolle spielte, ist Vollzeitäquivalente* in % - unter Wertung aller vorhandenen Indika- 3,5 1970-1991 1991-1995 1995-2001 toren – vor allem des Beitrags der Inves- 3,1 titionen in neue Informations- und Kom- munikationstechniken – jedoch nicht von 3,0 der Hand zu weisen (vgl. dazu ausführlich Krämer 2002). 2,5 2,4 Skeptischer ist die Frage in Bezug auf 2,2 die europäischen Länder zu beurteilen. 2,0 Hier zeigt sich zwar in der zweiten Hälfte 2,0 1,9 1,9 der neunziger Jahre ebenfalls eine Be- % schleunigung des Wachstums und ein 1,5 höherer Wachstumstrend gegenüber der 1,3 ersten Hälfte der Dekade, dieser fällt jedoch 1,1 gerade für das wirtschaftlich bedeutsamste 1,0 0,9 Land, Deutschland, am schwächsten und kaum spürbar aus (Abbildung 1). Nimmt man die Entwicklung der Arbeitsprodukti- 0,5 vität als Maßstab, so kann von einer Einlö- sung des Wachstumsversprechens der New 0,0 Economy keine Rede mehr sein. Das Pro- USA* Euro-Raum o.D. Deutschland* duktivitätswachstum nahm in dem Zeit- Quelle: Sachverständigenratsgutachten 2002/03. raum, in dem die Neue Ökonomie die Ge- samtwirtschaft durcheinanderschüttelte, nicht zu, sondern im Gegenteil: Der Pro- Kurse aus, die nur noch nach wenigen arden Euro vernichtet. Schneller noch als duktivitätstrend flachte sich ab, und zwar Euro oder gar Cent gemessen werden. Der sich der Traum vom schnellen Reichtum sowohl in Deutschland als auch im gesam- Neue Markt wird deshalb in diesem Jahr zu durch die New Economy aufgebaut hatte, ten Euro-Raum (Abbildung 2). Grabe getragen. Insgesamt wurden in die- wurde er durch die harten Realitäten wie- sem Börsensegment seit dem Frühjahr der zerstört. 2000 Vermögenswerte von rund 200 Milli- WSI Mitteilungen 6/2003 363
3.3 MEHR BESCHÄFTIGUNG UND Abb. 3: Arbeitsplatzentwicklung in der New Economy 1996-2002 EINE NEUE ARBEITSWELT - in Tausend - Angesichts der anhaltenden Massenar- Tsd. beitslosigkeit verbreiteten vor allem die 388 380 400 Job-Versprechen der New Economy Hoff- nung auf eine baldige Besserung. Und in 349 350 330 327 327 der Tat: Die Neue Wirtschaft ist über viele 316 Jahre ihrem Ruf als „job machine“ in 300 Deutschland durchaus gerecht geworden, auch wenn sie die gesamtwirtschaftliche 250 Arbeitslosigkeit nicht spürbar zu reduzie- 206 ren vermochte (Abbildung 3). 200 In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurden in der Informationstechnik- 150 130 und Telekommunikationsbranche insge- 115 104 samt rund 190.000 zusätzliche Arbeitsplät- 95 100 ze geschaffen, der Personalbestand konnte gegenüber 1995 um 30 % aufgestockt wer- 50 den. Jahrelang klagte die Branche über einen gravierenden Mangel an IT-Spezia- 0 listen, wodurch das Wirtschaftswachstum IT-Hardware Software/ IT-Services Telekommunikation und die Schaffung weiterer Jobs gehemmt werde (Welsch 2001). Heute allerdings ist 1) 2002 geschätzt. 1996 2000 2001 20021) Quelle: BITKOM 2002. wieder mehr Nüchternheit eingekehrt. In 2002 musste erstmals seit Anfang der neun- ziger Jahre ein Abbau der Branchenbe- schäftigung hingenommen werden, das chen. Die Identifikation der Beschäftig- Arbeitsplatzvolumen schrumpfte um 3 % gegenüber dem Vorjahr. Verantwortlich hierfür ist vor allem die Tatsache, dass die ten mit ihrer Arbeit war ungeheuer hoch, die Rede vom „Spaß an der Arbeit“ war keine bloße Chimäre. Und die Einkom- 4 New Economy – Hoffnung stürmische Expansion der Beschäftigung menschancen und Einkommensperspek- für das 21. Jahrhundert im Kernsektor der Branche, dem Software- tiven waren fabelhaft. Warum also eine oder Blütentraum? und IT-Dienstleistungssegment, offenbar rechtliche Absicherung der Arbeit? gebrochen ist. Die Aussichten für die Die Risiken der wirtschaftlich abhängi- War’s das mit der Neuen Wirtschaft? Kön- nächste Zeit sind ungewiss. gen Arbeit in der New Economy wurden nen wir die New Economy auf den „Müll- Was bleibt von der Verheißung einer nicht gesehen. Sie waren überdeckt durch haufen der Wirtschaftsgeschichte“ werfen? neuen „Kultur der Arbeit“? Diesen An- fehlende Erfahrungen, durch den anhal- Hatten also diejenigen von Anfang an recht, spruch haben viele Start ups der Internet- tenden Aufschwung, durch oft unklare Ei- die die New Economy als kurzlebigen „Blü- ökonomie durchaus provokativ gegen- gentumsverhältnisse und durch die ver- tentraum“ abqualifizierten? Ein solches Ur- über den „Dinosaurierunternehmen“ der breitete Euphorie, welche durch perma- teil ist meines Erachtens verfrüht. Es könn- Industriegesellschaft geltend gemacht. nente „Erfolgsmeldungen“ und eine unver- te sich sogar als fatal erweisen, vor allem Die Arbeitswelt der jungen Technolo- kennbare „Bewunderung“ durch die Me- dann, wenn es sich später als Fehlurteil he- gieunternehmen war geprägt durch äu- dien genährt wurde. rausstellen sollte und unsere Gesellschaft ßerst flexible Organisationsformen, Damit waren jedoch die Risiken des die Chancen und Risiken dieser Entwick- durch wechselnde Arbeitsorte und durch Arbeitnehmerdaseins nicht abgeschafft, lung nicht zur Kenntnis genommen hätte. einen hohen Grad an Selbstbestimmung nämlich die wirtschaftliche Abhängigkeit Es gibt durchaus Argumente und Fakten, der „Mitarbeiter-Unternehmer“. Zeitlich vom Arbeitgeber, der Gegensatz der Inte- die zumindest nahe legen, dass die Ge- und örtlich flexible Arbeitsarrangements, ressen von Arbeit und Kapital, die Existenz schichte der New Economy noch nicht zu Projektarbeit, Telearbeit und Telekoope- von Lebensrisiken wie Erwerbsunfähigkeit, Ende ist – ja, dass sie die gesamte Wirtschaft ration waren für den Arbeitsmodus der Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit usw.. in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Neuen Ökonomie charakteristisch. Viele Derlei Risiken wurden plötzlich in der Kri- sogar noch stark beeinflussen wird. der neuen Arbeitsverhältnisse waren se der New Economy schlagend sichtbar. Drei Argumente für die These, dass sich rechtlich unzureichend gestaltet. Das Sie zeigten drastisch, dass mit der Neuen die New Economy doch noch als zumin- schien auch gar nicht erforderlich. Man Ökonomie das „Arbeitsparadies auf Erden“ dest eine „Hoffnung des 21. Jahrhunderts“ arbeitete vertrauensvoll gemeinsam an ei- doch noch nicht erreicht war. erweisen könnte, will ich hier aufgreifen: ner besseren Zukunft, es ging darum, neue Techniken und Problemlösungen – Die anhaltenden Impulse der „Informa- für eine neue Wirtschaft zu verwirkli- tionsrevolution“; 364 WSI Mitteilungen 6/2003
– Die New Economy ist die Pionierphase keiten, die Potenziale der UMTS-Techno- Hotel oder zur nächsten Tankstelle weisen eines neuen Produktzyklus; logie (Universal Mobile Telecommunication – all das sind Angebote, die die zukünftige – Die Verschmelzung von Old und New System, Mobilfunk der dritten Generation Welle des M-Commerce tragen werden. Economy wird erhebliche Wachstumsim- = multimediafähig) auszuschöpfen. Dies pulse und eine Wissensökonomie hervor- nicht nur wegen der technischen und wirt- 4.2 NEW ECONOMY: PIONIERPHASE bringen. schaftlichen Probleme, den Zwischen- EINES NEUEN PRODUKTZYKLUS schritt zur nächsten Mobilfunkgeneration, 4.1 ANHALTENDE IMPULSE DER das GPRS (General Packet Radio Service, Die gegenwärtige Krise der New Economy „INFORMATIONSREVOLUTION“ paketvermitteltes Datenübertragungsver- ist als Konsolidierungs- und Reinigungs- fahren für GSM (Global System for Mobile krise, keineswegs jedoch als endgültiger Die New Economy ist Ausdruck und Be- Communications-Netze), umzusetzen, son- „Ruin“ der noch jungen Entwicklung zu gleiterscheinung der „informationstechni- dern vor allem auch, weil die Ersteigerung bewerten. Im Überschwang der ersten Auf- schen Revolution“. Diese hat in den letzten der UMTS-Lizenzen gerade in Deutsch- schwungsphase sind hochfliegende Erwar- Jahren mit der rasanten Verbreitung des land enorme Summen verschlungen hat, tungen entstanden, die sich immer weiter Internets einen gewaltigen Schub erhalten. die die Spielräume für die erforderlichen von der realen Wertschöpfungsbasis ent- Die Potenziale des Internets sind noch lan- Investitionen der Telekommunikationsun- fernt haben. Zudem wurden wichtige be- ge nicht ausgeschöpft. Das „Netz der Net- ternehmen aufgrund der Schuldenbelas- triebswirtschaftliche Praktiken, ohne die ze“ bietet immer noch die Grundlage für tung erheblich einengen. kein Unternehmen in der kapitalistischen eine Vielfalt neuer Produkte, neuer Prob- Dennoch gibt es Ansätze, den M-Com- Marktwirtschaft überleben kann, sträflich lemlösungen und neuer Dienstleistungen. merce voranzubringen. So sind als Grund- missachtet. Nach dem Zusammenbruch Die derzeitigen Probleme haben ihre Wur- lagentechniken zur Entfaltung des M-Com- des illusionären Erwartungsgebäudes wer- zeln keineswegs darin, dass sich die tech- merce die Datenfunktechniken Wireless den reale Fehlentwicklungen nunmehr nologischen Potenziale dieser Technik be- LAN, das lokale drahtlose Internet (Inter- brutal korrigiert. Diese Erfahrung mussten reits erschöpft hätten, vielmehr war es die netanschluss ohne Kabel), sowie Bluetooth in der Wirtschaftsgeschichte schon viele Hektik in der Pionierphase, die in die Kri- im Aufschwung. Mit Letzterem wird eine junge Branchen machen – die Stahlindust- se geführt hat. Hinzu kommen die Kon- kabellose Vernetzung elektronischer Gerä- rie und die Eisenbahn zum Beispiel schon junkturprobleme der Weltwirtschaft, vor te ermöglicht. Für beide Technologien wer- im 19. Jahrhundert, die Automobilindust- allem die allgemeine Drosselung der In- den große Wachstumschancen gesehen, die rie und die Chemiebranche im letzten Jahr- vestitionen in die Informationstechnik, die den mobilen Handel beflügeln könnten. hundert. Sobald der Bereinigungsprozess gerade die Internetökonomie in besonde- WLAN ist interessant für die Betreiber von der in der Pionierphase geschaffenen Über- rem Maße trifft. Hotels, Konferenzzentren, Flughäfen, Mes- kapazitäten ausläuft, werden sich die Ex- Und selbst wenn die Ergiebigkeit der segeländen oder Bahnhöfen. Bluetooth er- pansionskräfte der Technologiewelle wie- Internetpotenziale zukünftig geringer wer- hält seine Wachstumsimpulse vor allem aus der Bahn brechen. Mehr noch: Aufgrund den sollte: Die nächsten Innovationswellen der Verbreitung mobiler Computer und der gegenwärtigen Krise wird sich die stehen bereits vor der Tür. Zum einen im sonstiger Geräte, welche in den letzten Jah- Spreu vom Weizen trennen. Gute Ge- Bereich der Festnetze: Mit der besseren ren stark zugenommen hat. Die Technik er- schäftsmodelle werden sich durchsetzen, Nutzbarmachung und weiteren Verbrei- möglicht die Kommunikation zwischen erfolglose werden untergehen. Damit wird tung der Breitbandtechnologien wie DSL Notebooks, PDAs (Personal Digital Assi- das Fundament für die weitere Entwick- (DigitalSubscriber Line, Digitale Anschluss- stant), Handys, Headsets oder MP3-Spie- lung der New Economy erheblich solider stellen), Kabel und Satellit soll der E-Com- lern. sein als das der Pionierphase. merce, der elektronische Handel, weiteren Die Chancen des M-Commerce sind al- Auftrieb erhalten. Hierdurch werden die lerdings weniger von ausgefeilten Raffines- 4.3 VERSCHMELZUNG VON für multimediale Anwendungen erforder- sen der eingesetzten Techniken als vielmehr OLD UND NEW ECONOMY ZU EINER lichen Bandbreiten flächendeckend verfüg- von der angebotenen Bequemlichkeit der WISSENSÖKONOMIE bar. Zudem verbessern sich die Möglich- Nutzung und vor allem von der Art und keiten, attraktive Inhalte online an die Kun- Qualität der angebotenen Dienste und In- Die New Economy darf nicht länger als iso- den zu transportieren, für die diese dann halte abhängig. Der Versand von Texten, liertes Phänomen gesehen werden, ihre eher zu zahlen bereit sein dürften als für die Bildern, Melodien und Filmsequenzen Verschmelzung mit der Old Economy wird heutigen Angebote. über das Handy ist inzwischen durch den beachtliche Wachstums- und Modernisie- Das andere Innovationsfeld ist die MMS-Dienst (Multimedia Messaging Ser- rungspotenziale generieren und eine Wis- Mobilkommunikation. Hier werden große vice) möglich. Mobile Spiele, der Abruf von sensökonomie hervorbringen. Selbst wenn Hoffnungen auf die Entfaltung des Mobile- Nachrichten und die sichere Abwicklung es zu Beginn des Siegeszuges des Internet Marktes, des M-Commerce, gesetzt. Es feh- von Zahlungsverkehr per Handy, mobiler einen erkenn- und abgrenzbaren Bereich len gegenwärtig noch komfortable und Internetzugang, mobiler Zugriff auf Fi- der Neuen Ökonomie gegeben haben mag: leistungsfähige mobile Zugänge zum Inter- nanzdienste, Informationsdienste, Stadt- mit der immer breiteren Anwendung des net. Darüber hinaus steckt die Entwicklung pläne,Verkehrsnavigationsleistungen, Bus- Internet, mit der Herausbildung breit ge- von multimedialen Online-Diensten noch und Bahnfahrpläne sowie standortbezoge- fächerter wirtschaftlicher Vernetzungen in den Kinderschuhen. Die Telekommuni- ne Dienste (Location Based Services), wel- und mit dem Vordringen von Information kationsindustrie hat enorme Schwierig- che den Weg zum nächsten Restaurant, und Wissen als Wertschöpfungsfaktoren in WSI Mitteilungen 6/2003 365
allen Bereichen der Wirtschaft verschwim- men solche Grenzen immer mehr. Abb. 4: Umsätze im E-Commerce - in Mrd. US-$ - Bereits heute können wir eine wach- sende Verflechtung und wechselseitige Mrd.US-$ 3500 2000 2004 Durchdringung von Neuer und Alter Wirt- 3202,8 schaft mit enormen ökonomischen Aus- wirkungen beobachten. Viele Old Eco- 3000 nomy-Unternehmen haben sich inzwi- schen kriselnde Firmen der New Economy einverleibt, um von deren Know how zu 2500 profitieren. Die Problemlösungen, Kon- zepte und Geschäftsmodelle der New Eco- 2000 nomy werden in immer mehr Bereichen der Wirtschaft aufgegriffen. Nicht mehr nur die Beschaffungs- und Absatzaktivitä- 1500 ten von Unternehmen werden im Zuge des E-Commerce auf der Basis der neuen Tech- 973,8 1000 nologien neu gestaltet, das sich darüber hinaus verbreitende „E-Business“ umfasst vielmehr alle Aktivitäten von Unterneh- 500 285,9 288,4 men. Die gesamten Geschäfts-, Kommuni- kations- und Transaktionsprozesse sowie 33,9 9,5 ganze Wertschöpfungsketten werden zur 0 Welt Europa Deutschland Ausschöpfung der Effizienz- und Globali- Quelle: eMarketer 2001. sierungspotenziale des Internet elektro- nisch vernetzt und in ein Gesamtkonzept integriert. Am sichtbarsten finden diese Trends Abb. 5: Anteile des B2B an allen E-Commerce-Umsätzen - in % - bereits heute ihren Ausdruck in der Entfal- tung des elektronischen Handels, des E- % 2000 2004 Commerce. Schon heute werden weltweit 88 86,8 Waren im Werte von rund einer Billion Dollar über das Internet gehandelt. In Eu- 86 ropa beträgt der E-Commerce-Umsatz gegenwärtig rund 170 Mrd. US-$, davon 84 etwa 48 Mrd. in Deutschland. Mittlere Schätzungen von Forschungsinstituten ge- 81,9 82 hen davon aus, dass sich das Volumen des E-Commerce trotz der gegenwärtigen Flau- te der Weltkonjunktur weltweit zwischen 80 79,1 2000 und 2004 weit mehr als verzehn- fachen, in Europa, das als expansivste Regi- 78 77,3 on des elektronischen Handels gilt, gar ver- dreißigfachen wird (Abbildung 4). 76 Ging man anfangs davon aus, dass sich über das Internet allenfalls einfache Pro- dukte wie Bücher, Büromaterialien oder 74 Kosmetika handeln ließen, so zeigt sich heute, dass auf diesem Wege fast jedes Pro- 72 dukt gekauft und verkauft werden kann. Welt Europa Besonders dynamisch entwickelt sich der Quelle: eMarketer 2001. Handel zwischen Unternehmen, der so- genannte B2B-Handel. Sein Anteil liegt und betrieben werden – erhebliche Vortei- Deren Zahl ist allerdings rückläufig, da ge- weltweit derzeit bei knapp 80 % und soll le in Form von mehr Transparenz, besseren genwärtig ein schonungsloser Konzentrati- bis 2004 auf rund 87 % zunehmen (Abbil- Kunden- und Lieferantenkontakten sowie ons- und Ausleseprozess stattfindet. Schät- dung 5). von Kosten- und Zeitersparnissen. Mitte zungen gehen dahin, dass bis Mitte dieses Die elektronische Vernetzung bringt 2002 bestanden insgesamt in 62 Ländern Jahrzehnts über 90 % der ursprünglich ge- den Firmen – wenn die „Marktplätze“ der Erde und in 32 Branchen 1.028 B2B- gründeten B2B-Marktplätze wieder einge- funktionieren und professionell entwickelt Marktplätze, davon 222 in Deutschland. stellt oder von anderen übernommen wer- 366 WSI Mitteilungen 6/2003
den. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: vor Jahren wird sich die Elektronikindustrie an und zwar so mächtig, dass sie die gesamte allem unzureichende Branchenkenntnisse die Spitze des E-Commerce setzen, da deren Ökonomie erfassen und umwälzen. Wir er- der Marktplatzbetreiber, Zurückhaltung B2B-Volumen derzeit weit überdurch- leben die Herausbildung einer digitalen ihrer Daten durch Kunden, die Datenver- schnittlich expandiert. Insgesamt sollen in Wissenswirtschaft, von der die New Eco- luste an Konkurrenten befürchten oder als Europa im Jahre 2006 nach Schätzungen nomy allenfalls einen Vorreiter darstellt. zu hoch empfundene Beteiligungs- und rund 22 % des gesamten Handelsvolumens Ob diese Entwicklung als „große Hoffnung Nutzungskosten. zwischen den Unternehmen auf elektroni- des 21. Jahrhunderts“ zu qualifizieren ist, Der Handel über elektronische Markt- schen Wegen abgewickelt werden. lässt sich derzeit noch nicht sagen. Der plätze ist derzeit am stärksten in der Auto- technisch-wirtschaftliche Strukturwandel, mobil-, in der Chemie- und in der Nah- dem die New Economy zunächst Ausdruck rungsmittelindustrie verbreitet. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Plattform Covisint in der Automobilbranche. Diese 5 Fazit verliehen hat und der sich fortsetzen wird, stellt in großem Umfang technische und wirtschaftliche Potenziale bereit. Ob diese wurde im Jahr 2000 von den Automobil- allerdings ausgeschöpft und zum Nutzen giganten DaimlerChrysler, General Motors Die zunächst hochgejubelte und inzwi- und Vorteil der Menschen mobilisiert wer- und Ford aus der Taufe gehoben. Sie weist schen fast totgeschwiegene New Economy den, ist weder eine Frage der Technik noch inzwischen eine Beteiligung von rund 7.000 ist keineswegs als vorübergehender Blüten- eine des Marktes, das ist vielmehr ganz Firmen auf und sollte im letzten Jahr die traum abzuqualifizieren. Ihre Hintergrün- entscheidend eine Frage der zukünftigen Gewinnschwelle erreichen. In den nächsten de und Triebkräfte sind weiter wirksam, Politik. LITERATUR Fourastié, J. (1954): Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts, Krämer, H. (2002): Was bleibt von der New Economy? In: WSI-Mittei- Köln (franz. Original: 1949) lungen 12, S.728ff. Kondratieff, N. (1926): Die langen Wellen der Konjunktur, in: Archiv Welsch, J. (2001), Wachstums- und Beschäftigungsmotor IT-Branche. für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Band 56, Tübingen Fachkräftemangel, Green Card und Beschäftigungspotenziale, Bonn WSI Mitteilungen 6/2003 367
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