Die Gesundheitsreform in Holland - Änderungen in Holland - kann Deutschland daraus lernen?

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Die Gesundheitsreform in Holland - Änderungen in Holland - kann Deutschland daraus lernen?
Die Gesundheitsreform in Holland
Änderungen in Holland – kann Deutschland daraus lernen?

                                              W.B.F. Brouwer PhD, Prof. F.F.H. Rutten PhD
Die Gesundheitsreform in Holland - Änderungen in Holland - kann Deutschland daraus lernen?
Vorwort

Während viele entwickelte Länder bemüht sind, ihre Gesundheitssysteme schrittweise
effizienter zu gestalten, steht das niederländische System derzeit vor einer radikalen
Umstrukturierung. Denn ab Januar 2006 trat ein neues Krankenversicherungsgesetz in Kraft,
das vorschreibt, dass alle niederländischen Staatsbürger eine Basis-Versicherungspoli­
ce bei einem der konkurrierenden Krankenversicherer abschließen müssen. Diese Reform
könnte nicht nur für die Niederlande, sondern auch für andere europäische Staaten inte­
ressant sein, insbesondere für solche mit einem vergleichbaren Krankenversicherungssystem
Bismarck`scher Prägung, wie z. B. für Deutschland.

 In dem vorliegenden Kurzbericht werden die schrittweise erfolgten niederländischen
 Gesundheitsreformen sowie das Basis-Leistungspaket erläutert. Mit Blick auf die aktu­
 elle Reformdebatte in Deutschland wird der Versuch unternommen, einige wesentliche
 Lektionen aus den gemachten Erfahrungen abzuleiten, die bei den künftigen Reformen
 auch in Deutschland ein Rolle spielen könnten, insbesondere dann, wenn man – ebenso
 wie in Holland – künftig bei Reformen mehr auf Markt- und Wettbewerbsmechanismen
 im Gesundheitswesen setzen würde. Es ist immer schwierig, die Erfahrungen von einem
 Gesundheitssystem auf ein anderes zu übertragen, da die Systeme unterschiedliche Merk­
 male und Strukturen haben. Wir hoffen dennoch, dass uns dies ohne zu große Vereinfa­
 chungen gelungen ist und unser Beitrag auf einen fruchtbaren Boden fällt. Gerade auf
 komplexen Gebieten wie dem Gesundheitswesen gilt Albert Einsteins Aussage ganz besonders:
„Die einzige Quelle des Wissens ist Erfahrung.“

In diesem Sinne hoffen wir, dass der vorliegende Bericht eine Grundlage über die Reform­
schritte in den Niederlanden darstellt und anhand der gemachten Erfahrungen ein tieferes
Verständnis bei der Diskussion möglicher Reformoptionen des deutschen Systems geschaffen
wird.

Rotterdam, Dezember 2005
Werner Brouwer und Frans Rutten

                                                                                             
Die Gesundheitsreform in Holland - Änderungen in Holland - kann Deutschland daraus lernen?
Inhalt

Vorwort                                                               2
Einführung                                                            4
Einleitung                                                            5

Grundzüge des niederländischen Gesundheitssystems                    7
Reformperspektiven und der Dekker-Vorschlag                         10
Bedingungen für regulierten Wettbewerb
und erste Reformschritte                                            13
Das niederländische Gesundheitssystem
im Jahre 2006 und danach                                            16
Das Basis-Leistungspaket – Herzstück des neuen Systems              22
Das deutsche und niederländische
Gesundheitssystem im Vergleich                                      27
Welche Lehren kann Deutschland daraus ziehen?                       33

Schlussfolgerung                                                    35
Literatur                                                           36
Anhang A                                                            39
Anhang B                                                            40

Wichtiger Hinweis:
Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern
kontinuierlich unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Auch die Erkennt­
nisse über die Funktionsweise von komplexen Gesundheitssystemen sind diesem Wandel unterworfen. Zu allen Angaben in
dieser Broschüre darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren und Herausgeber große Sorgfalt drauf verwandt haben,
dass diese Angaben dem aktuellsten Wissensstand bei der Fertigstellung des Werks entsprechen. Trotzdem können Autoren
und Herausgeber keine Gewähr für die Inhalte übernehmen. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen können sich seit
Entstehen dieser Broschüre (April 2006) weiter verändert haben.

                                                                                                                           
Die Gesundheitsreform in Holland - Änderungen in Holland - kann Deutschland daraus lernen?
Einführung

Gesundheitsreform in den niederlanden – lehren für deutschland?
Die Reform des Gesundheitswesens in Deutschland ist wieder einmal eine wichtige Priorität
der politischen Agenda. Erneut suchen Politik und Regierung nach einem zukunftsfähigen
Kurs, der nachhaltige Finanzierung, künftigen Gesundheitsbedarf einer alternden Bevölke­
rung, Innovationen und medizinischen Fortschritt sowie Leistungsfähigkeit des Systems in
eine Balance bringen soll. Diese Diskussionen sind nicht neu, denn in fast allen entwickelten
Ländern suchen Regierungen und Verantwortliche nach Lösungen für Probleme ihrer Gesund­
heitssysteme.

Mit einem mutigen Entwicklungsprozess haben die Niederlande das Gesundheitswesen in
ein auf Wettbewerb und individuelle Wahlfreiheit der Versicherten ausgerichtetes Gesund­
heitssystem transformiert. Obwohl sich der Transformationsprozess in mehreren Schritten
vollzogen hat, erfuhr der niederländische Reformweg eine besondere Aufmerksamkeit in
Deutschland mit der Einführung eines Basis-Leistungspakets, einer einkommensunabhän­
gigen Gesundheitsprämie für Versicherte und der Umwandlung der sozialen Krankenkassen
in privatrechtliche Organisationen.

Grundlage für diese strukturellen Weichenstellungen bildete ein gesellschaftlicher Konsens
über das Leitbild eines zukünftigen Gesundheitswesens in den Niederlanden sowie dessen
Grundelemente.

Während der deutsche Blick über die nationalen Grenzen häufig auf die Übertragbarkeit ein­
zelner Regulierungen oder Instrumente gerichtet bleibt, soll mit der vorliegenden Broschüre
der gesamte Reformprozess dargestellt werden und Schritte, die für eine Systemtransformati­
on bei unseren Nachbarn notwendig waren.

Mit Professor Werner Brouwer und Professor Frans Rutten von der Universität Rotterdam ha­
ben international anerkannte Experten den Reformweg in den Niederlanden beschrieben und
wichtige Fragestellungen kommentiert. Ihnen danken wir für diesen wichtigen Beitrag zur
gesundheitspolitischen Diskussion in Deutschland.

Michael Klein                                    Peter Marx
Vice President External Affairs und Recht        Director Policy Affairs

                                                                                                
Die Gesundheitsreform in Holland - Änderungen in Holland - kann Deutschland daraus lernen?
Einleitung

Viele Länder beschäftigen sich intensiv mit der Frage,     eine direkte oder indirekte Regulierung der Preise oder
wie sich ihr Gesundheitssystem optimal organisieren        des Umfangs der Versorgung (Krankenhausbetten,
lässt. Die Erreichung wichtiger gesellschaftlich re-       Anzahl der Ärzte, Krankenhausbudgets usw.). Im Er-
levanter Ziele wie eine gute Versorgungsqualität für       gebnis führte dies nicht selten zu einem verzweigten
alle, fairer Zugang zu Versorgung und Versicherung,        Netzwerk von staatlichen Regulierungen und Bestim­
gerechte Verteilung der Kosten und der Versorgung          mungen zur Kontrolle dieses Sektors.
sowie Effizienz und finanzielle Stabilität des Systems
stehen bei den Entscheidungsträgern der meisten            Neuerdings ist in mehreren Ländern auf dem Gesund­
europäischen Gesundheitssysteme weit oben auf der          heitssektor eine Bewegung hin zu mehr Markt und we-
Prioritätenliste.                                          niger staatlichen Eingriffen zu beobachten, wenn auch
                                                           in unterschiedlicher Form und im unterschiedlichen
Bei der Verfolgung dieser Ziele waren viele westeuro-      Tempo. Dies hängt vermutlich mit einem erhöhten
päische Länder bisher stark von staatlichen Interventi-    Interesse an der Erschließung von Marktkräften im
onen auf dem Gesundheitsmarkt abhängig. Zwar gilt          Gesundheitsbereich und dem Trend zur Privatisierung
als allgemein anerkannt, auch seitens der Gesund­          im Allgemeinen zusammen sowie mit der wachsenden
heitsökonomen, dass ein gewisses Maß an staatlichen        Erkenntnis, dass es der Staat ebenso wie der Markt
Interventionen auf dem Gesundheitssektor zur Errei­        nicht immer schafft, die gesetzten Gesundheitsziele zu
chung akzeptabler Ergebnisse hinsichtlich der Gleich­      erreichen.
heit und Effizienz der Versorgung notwendig sind (z. B.
Brouwer 2003). Denn Märkte allein können den Erfolg        In verschiedenen Ländern wird die Einführung von
auf diesen beiden Gebieten gleichermaßen nicht ge­         marktnäheren Lösungsansätzen in Betracht gezogen,
währleisten. Jedoch ist bis heute nicht klar, in welchem   da man davon eine umfassende Verbesserung der Leis-
Umfang staatliche Interventionen tatsächlich notwen­       tungsfähigkeit und Effizienzsteigerung des Gesund­
dig sind; diese Frage wird heftig debattiert (z. B. Rice   heitswesens erwartet. Reformen auf der Grundlage
1997; Evans 1997; Pauly 1997; Schut 1995). In der          dieser „neuen Ideologie“ scheinen sich insbesondere
Praxis variiert der Umfang staatlicher Interventionen      auf die Verbesserung der Effizienz durch erweiterte
in den unterschiedlichen Ländern erheblich (z. B. Hurst    Wahlmöglichkeiten für Verbraucher und mehr Wettbe­
1992).                                                     werb zwischen den Versicherern und Pflege- bzw. Ver­
                                                           sorgungsanbietern zu konzentrieren. In diesem Sinne
In den meisten Systemen vom Typ eines staatlich            könne man behaupten, dass verschiedene westeuro­
geführten und steuerfinanzierten Gesundheitswesens,        päische Länder derzeit in die dritte Welle der konse­
wie dem National Health System (NHS) in Großbritan­        kutiven Phasen der Gesundheitsreform eintreten, die
nien), aber auch in Systemen, die auf einer Sozialversi­   2002 von Cutler beschrieben wurde: Die erste Welle
cherung beruhen - wie in Deutschland und den Nieder­       sicherte die universelle Versicherung und die Gleich­
landen - hat man mit einem hohem Umfang staatlicher        heit im Zugang zu Leistungen (in den Niederlanden
Interventionen und Regulierungen zu tun. Bei diesen        überwiegend bis zu den späten 1960er Jahren vollzo-
Interventionen konzentrierte man sich in der Vergan­       gen), dann folgte eine zweite Welle von Steuerungs-
genheit häufig auf die Steuerung der Ausgaben im           bzw. Kontrollmechanismen, Kontingentierungen und
Gesundheitswesen durch Einführung globaler Zielset-        Ausgabenbegrenzungen (in den Niederlanden bis in
zungen für das System oder einzelner Sektoren, durch       die frühen 1990er Jahre hinein), und in einer nun be­

                                                                                                                     
ginnenden dritten Welle werden die Anreize für Effi­      Verfügung: Die Einführung von Nutzungsgebühren
zienz und Wettbewerb gestärkt – was derzeit in den        in irgendeiner Form oder die Begrenzung des Grund-
Niederlanden umgesetzt wird.                              Leistungspakets. Beide Instrumente werden in den Nie­
                                                          derlanden zunehmend eingesetzt und werden nachfol­
Obwohl man diese Bewegungen in vielen Ländern             gend beleuchtet. Bei der vorliegenden Darstellung des
(z. B. Belgien, Großbritannien und Deutschland) beob­     niederländischen Gesundheitssystems werden wir uns
achten kann, scheinen sich die Niederlande in dieser      überwiegend auf das (Sozial-) Versicherungssystem
Hinsicht aktuell an der Schwelle zu einer umfassenden     beschränken.
Gesundheitsreform zu befinden. Am 1. Januar 2006
trat das neue Krankenversicherungsgesetz in Kraft,        Der Bericht beginnt mit einer Kurzbeschreibung des
das die Umwandlung des „alten Systems“, das durch         niederländischen Systems unter besonderer Betonung
versorgungsseitige Regulierung gekennzeichnet war,        der Aspekte, die angesichts der aktuellen Reform
in ein neues, anreizgesteuertes System zur Folge hat.     wichtig sind. Dann erläutern wir die Motive für diese
Im neuen System ist auf der Grundlage des Konzeptes       Reform und die Bedingungen für eine Leistungsver­
des regulierten Wettbewerbs eine Basis-Kranken­           besserung unter Marktbedingungen. Danach beschrei­
versicherung für alle niederländischen Staatsbürger       ben wir die Maßnahmen, die auf dem Höhepunkt der
verpflichtend vorgeschrieben. Diese Reform ist ein        Reform ergriffen wurden, nämlich bei Einführung des
historisches Ereignis, denn sie markiert den Abschluss    neuen Krankenversicherungsgesetzes ab 2006, sowie
von mindestens 20 Jahren der Reformplanung und der        zu erwartende Schritte im weiteren Verlauf des Jah­
kleinen Reformschritte hin zu den Neuerungen. Es ist      res 2006 sowie danach. Bei der Erläuterung der Re­
ein wichtiger Schritt zur Verringerung der staatlichen    forminhalte konzentrieren wir uns auf die Definition
Interventionen im Gesundheitssystem, zur Dezent­          des Gesundheitspakets von Basisleistungen und des
ralisierung der einzelnen Verantwortlichkeiten und        pharmazeutischen Sektors. Abschließend vergleichen
damit zur Verstärkung der Rolle von Marktkräften und      wir die Entwicklungen in Deutschland und den Nieder­
des Wettbewerbs im Gesundheitswesen. Angesichts           landen und versuchen, einige Lektionen abzuleiten,
der umfassenden und kohärenten (legislativen) Ver­        die man vielleicht auch in Deutschland bei Reformen
änderungen im gesamten niederländischen Gesund­           diskutieren kann.
heitswesen können die Reformen in den Niederlan­
den vielleicht auch für andere Länder interessant und
informativ sein. Dies gilt insbesondere für Systeme mit
verhältnismäßig ähnlichen Gegebenheiten, wie z. B.        W.B.F. Brouwer PhD
für das deutsche System der Gesetzlichen Krankenver­      Professor F.F.H. Rutten PhD
sicherung.
                                                          Abteilung Gesundheitspolitik und -management der
Wir wollen auf Grundlage der vorliegenden Erfahrungen     Erasmus-Universität Rotterdam Niederlande
der Reformen in den Niederlanden einige Schlussfol­
gerungen ziehen und Empfehlungen vorschlagen, die
man auch auf die deutsche Situation anwenden kann.
Zu diesem Zweck werden wir das bisherige (d. h. bis
2005 gültige) niederländische Gesundheitssystem,
die Logik der Reformen und die Merkmale des neu­
en Systems erläutern. Dabei werden wir uns in dieser
Beschreibung auch auf den pharmazeutischen Sek­
tor beziehen und einige Ähnlichkeiten zwischen dem
niederländischen und dem deutschen System aufzei­
gen. Zu den Hauptbedenken bei dem neuen nieder­
ländischen System zählt die Frage, wie sich in diesem
Rahmen die Ausgaben steuern lassen. Man weiss, dass
die traditionell in den Niederlanden angewendeten
Methoden, wie beispielsweise feste Krankenhausbud­
gets oder ganze Makrobudgets, nicht mit dem neuen
System des regulierten Wettbewerbs vereinbar sind.
Eine Ausgabenkontrolle lässt sich nicht über versor­
gungsseitige Einschränkungen erzielen, sondern muss
vor allem auf einer Bedarfseinschränkung basieren.
Zu diesem Zweck stehen zwei Hauptinstrumente zur

                                                                                                                  
Grundzüge des niederländischen
Gesundheitssystems

Das niederländische Gesundheitssystem, das ähnlich              nicht frei wählen können. Dies war im Sozialversiche­
wie in Deutschland durch Sozialbeiträge finanziert              rungsschema der Niederlande bis in die späten 1980er
wurde und auf dem Prinzip einer umfassenden Solida­             Jahre der Fall, hat sich jedoch mit der Einführung von
rität basierte, befindet sich in einer historischen Über­       Wahlfreiheiten erheblich geändert. Der Versorgungs­
gangsphase. Mit dem neuen Krankenversicherungs­                 vertragsmarkt ist der Markt, auf dem Versicherer ihrer­
gesetz, das am 1. Januar 2006 in Kraft trat, wurden             seits verschiedene Leistungsanbieter von Gesundheits­
wichtige Schritte in Richtung eines auf Wettbewerb              diensten im Namen für ihre Versicherten unter Vertrag
und einkommensunabhängige Finanzierung ausge­                   nehmen. Diese verpflichten sich, ihre Versicherten
richteten und zukunftsfähigen Gesundheitssystems                entsprechend zu versorgen. Diese Verträge sollen
eingeleitet. Ein versicherungsbasiertes Gesundheits­            gewährleisten, dass die Versicherten, die solche Diens­
system besteht aus drei miteinander verbundenen                 te benötigen, eine qualitativ hochwertige Versorgung
wichtigen Teilmärkten: dem Versicherungsmarkt, dem              in einem ausreichenden Maße erhalten. Auch dieser
Versorgungsmarkt und dem Vertragsmarkt (Abb. 1).                Markt kann aufgrund staatlicher Regulierungen passiv
                                                                oder aktiv sein, z. B. wenn zwischen den Anbietern Wett­
Der Krankenversicherungsmarkt ist der Markt, auf dem            bewerb herrscht. In den Niederlanden war ersteres
Personen bei einem Versicherer eine Krankenversiche­            der Fall, da die (Sozial-) Versicherer verpflichtet waren,
rung abschließen. In einigen Ländern ist dieser „Markt“         mit den Anbietern von Gesundheitsdiensten Verträge
vollständig reguliert, indem die Versicherer (häufig            abzuschließen, sodass kein Verhandlungsspielraum bei
Krankenkassen) als regionale Monopolisten fungieren             Versorgungsangeboten gegeben war. Dieser Markt
und die Versicherten versorgen, die ihren Versicherer           wird derzeit in den Niederlanden zunehmend aktiver,

Abbildung 1: Die drei Märkte im Gesundheitswesen

                                              Patienten

                           Gesundheits­                       Krankenver­
                           versorgungsmarkt                   sicherungsmarkt

                          Versorgungs­                         Kranken­
                              träger          Versorgungs­    versicherer
                                              vertragsmarkt

                                                               Die drei Märkte im Gesundheitswesen

(Quelle: eigene Darstellung)

                                                                                                                             
denn jetzt ist es möglich, selektiv Anbieter von Gesund­   („modernisiert“, wie es die niederländische Regierung
heitsdiensten unter Vertrag zu nehmen und Anbieter         bezeichnet), jedoch unterscheiden sich diese Reformen
zu differenzieren. Der Gesundheitsversorgungsmarkt         von der eigentlichen Gesundheitsreform. Das AWBZ-
ist der Markt, auf dem der versicherte Patient die         System deckt ca. 40 % der gesamten Gesundheitskos­
eigentliche Gesundheitsleistung von einem bestimm­         ten ab (Schut und Van de Ven 2005) und wird durch
ten Anbieter empfängt. Dieser Markt verkörpert den         regionale Versorgungsbüros verwaltet, die von der
Primärprozess eines Gesundheitssystems und ist nicht       Hauptkrankenkasse für die betreffende Region gestellt
unmittelbar Gegenstand der niederländischen Ge­            werden. Den Büros unterliegt der Vertragsabschluss
sundheitsreform. Dennoch kommt es aufgrund der             mit entsprechenden Anbietern von Gesundheitsdiens­
Neuordnung des Krankenkenversicherungs- und Ver­           ten für das AWBZ.
sorgungvertragsmarktes zu indirekten Auswirkungen.
Die Gesundheitsreformen in den Niederlanden
konzentrieren sich primär auf den Krankenversiche­         medizinische KranKenversorGunG
rungsmarkt und den Versorgungsvertragsmarkt. Wir           Dieses zweite Teilgebiet umfasst versicherbare Leistun­
werden diesen beiden Märkten deshalb besondere             gen und Güter für die akute Behandlung wie z. B. Be­
Aufmerksamkeit widmen.                                     suche beim Hausarzt, Arzneimittel, Krankenhausauf­
                                                           enthalte etc. Die Versicherung war für die niedrigeren
                                                           und höheren Einkommensgruppen unterschiedlich
das niederlÄndische GesundheitsWesen                       organisiert. Vereinfachend gesagt, gab es für die sozial
Die niederländische Krankenversicherung                    schwächeren zwei Drittel der Bevölkerung eine Sozi­
                                                           alpflichtversicherung, während für das wohlhabende
Das niederländische Gesundheitssystem lässt sich, wie      Drittel der Bevölkerung eine freiwillige Privatversi­
die deutsche Krankenversicherung, als ein Gesund­          cherung parallel bestand. Die niedrigeren Einkom­
heitswesen nach dem durch Reichskanzler Bismarck           mensklassen waren öffentlich in einer Krankenkasse
eingeführten Modell der Sozialversicherung charak­         versichert. Diese Krankenkassen hatten traditionell die
terisieren. Der auf internationale Systemvergleiche        Rolle des Regionalmonopols, ohne Wahlmöglichkeit
spezialisierte „European Observatory“ beschreibt           für den Verbraucher, sie stehen heute aber in Konkur­
ein solches System als „Ein nationales Sozial- und         renz zueinander. Sie fungieren oft auf nationaler Ebene
Krankenversicherungssystem, das bis ins frühe 19.          und bieten jährliche offene Aus- und Beitrittsmöglich­
Jahrhundert im Deutschen Reich unter Kanzler Bis­          keiten. Der Umfang des Grundversicherungspakets im
marck eingeführt wurde. Dieses System ist das ge­          Rahmen des niederländischen Krankenkassengesetzes
setzlich vorgeschriebene System für die Mehrheit           wird von der Regierung beschlossen. Das wohlhabende
oder Gesamtheit der Bevölkerung zum Abschluss              Drittel der Bevölkerung war privat und freiwillig ver­
einer Krankenversicherung bei einem vorgeschrie­           sichert. Dabei hatten die meisten Privatversicherten
benen Drittzahlenden durch nicht-risikobezogene            einen Versicherungsschutz, der mit dem Krankenkas­
Beiträge, die separat von Steuern oder sonstigen           senpaket vergleichbar war, jedoch oft einen finanziel­
gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungen geleistet wer­       len Selbstbehalt beinhaltete. Außerdem waren die Bei­
den.“                                                      träge zum öffentlichen System einkommensabhängig,
                                                           während die Privatversicherten einen risikobezogenen
                                                           Versicherungsbeitrag zahlten. Auch die Bezahlung
Das niederländische Krankenversicherungssystem be­         der medizinischen Dienstleister unterschied sich beim
steht aus drei verschiedenen Teilgebieten:                 öffentlichen bzw. privaten System. Dieser Teilbereich
                                                           spielte bei den Reformen eine zentrale Rolle. Die vor­
                                                           genannten Unterschiede zwischen den Privat- und den
lanGzeitpfleGe und –betreuunG                              Kassenversicherten wurden aufgehoben und der Wett­
In diesem ersten Teilgebiet sind die so genannten          bewerb zwischen den Versicherern verstärkt.
„Katastrophenrisiken” versichert, basierend auf dem
Gesetz über außerordentliche medizinische Ausgaben
(Exceptional Medical Expenses Act (AWBZ)). Diese           zusatzversicherunG
Versicherung umfasst beispielsweise die Versorgung         Alle Versicherten können sich freiwillig für eine
in Pflegeheimen, Langzeit-Hospitalisierung und häus­       Zusatzversicherung entscheiden, die Leistungen ab­
liche Betreuung. Der Abschluss ist für alle Staatsbür­     deckt, die nicht oder nicht mehr im Basis-Leistungs­
ger verpflichtend und ihre Finanzierung erfolgt über       paket enthalten sind, wie etwa bestimmte Arten der
einen einkommensbezogenen Beitrag (bis zu einer            Zahnversorgung für Erwachsene, Brillen, Physiothera­
Höchstbemessungsgrenze). Dieses Versicherungssys­          pie. Dieser dritte Teilbereich ist weniger stark reguliert
tem wird zwar bis zu einem gewissen Grad reformiert        und die Beiträge sind in der Regel risikobezogen. Die

                                                                                                                        
Anbieter von Zusatzversicherungen können frei ent­      Es ist daher leicht verständlich, dass die aktuelle Über­
scheiden, ob sie Interessenten zu welchen Konditionen   gangsphase – die bereits mehr Versorgungsfreiheit
aufnehmen oder nicht.                                   bietet, jedoch den Bedarf nicht effektiv beschränkt –
                                                        zu einem starken Anstieg der Ausgaben geführt hat.
Ebenso wie in Deutschland, war der niederländische      Für die kommenden Jahre wird ein durchschnittlicher
Krankenkassensektor bisher eine Sachleistungsversi­     Zuwachs von 10 % prognostiziert (RVZ 2003). Die
cherung, d. h. alle Zahlungen fließen direkt vom Ver­   Gesamtausgaben, die über viele Jahre bei 8,5 % des
sicherer an die Erbringer der Dienstleistungen. Dem­    Bruttoinlandsproduktes (BIP) lagen, belaufen sich
gegenüber wird auf dem privaten Versicherungssektor     im Jahr 2005 auf etwa 46 Milliarden Euro, was über
meist ein (Kosten-)Erstattungssystem verwendet, bei     10 % des BIP liegt. Die Gesamtausgaben des nieder­
dem der Versicherte die Kosten der Behandlung           ländischen Systems sind in Tabelle 1 dargestellt.
zuerst begleicht und dann die Rückerstattung bei
seinem Versicherer einfordert (vgl. Abbildung 2 im      Im Hinblick auf die Vertragsabschlüsse mit Leistungs­
Anhang). Die Finanzierung der Krankenversicherung       anbietern waren die niederländischen Krankenkassen
erfolgte bisher überwiegend über einkommensbezo­        lange Zeit verpflichtet, alle regulären Anbieter medi­
gene Beiträge. Nur ein geringer Teil des Gesundheits­   zinischer Dienste unter Vertrag zu nehmen. Dies be­
budgets wird durch allgemeine Steuern erhoben. Der      deutete, dass die Krankenkassen diese Dienstleistun­
Anteil von Zuzahlungen ist in den Niederlanden gering   gen im Namen ihrer Versicherten nicht kostengünstig
und es gab bis 2005 für die meisten Versorgungstypen    einkaufen konnten, da sie weder Wahlmöglichkeit
keine allgemeine Zuzahlung bzw. Selbstbehalte *. Dies   zwischen Anbietern noch differenzierten Angeboten
bedeutet, dass die Inanspruchnahme medizinischer        hatten. Zudem waren die Mengen und die Preise für
Dienste im Allgemeinen in den Niederlanden kosten­      diese Dienste meist staatlich vorgeschrieben, sodass
los erfolgte und es faktisch keine Beschränkungen       die Krankenkassen lediglich als administrative Orga­
gab. Alle Kostendämpfungsmaßnahmen zielten auf die      nisationen fungierten. Diese Situation hat sich in den
Beschränkung des Leistungsumfanges oder des Zu­         letzten Jahren drastisch geändert, da immer deutlicher
ganges der Patienten zu den Versorgungsangeboten        zu Tage trat, dass das niederländische Gesundheits­
sowie auf die Kontrolle der jeweiligen Preise ab.       system eine grundlegende und strukturell wirkende
                                                        Reform benötigte.

                                                        * Seit 2005 wurde ein so genanntes Schadensfreiheits-
                                                        System eingeführt, das mit dem neuen Gesundheitssystem
                                                        in Zusammenhang steht und später erläutert wird.

Tabelle 1: Ausgaben im Gesundheitswesen 2005

 Ausgaben im Gesundheitswesen 2005                                               Millionen Euro

 Prävention und Gesundheitsschutz                                                           236

 Heilbehandlungen                                                                        17.304

 Arzneimittel und Medizintechnik                                                          4.463

 Versorgung von psychisch Kranken und Suchtpatienten sowie
                                                                                          3.582
 schützende Einrichtungen auf Gemeindeebene

 Versorgung im Rahmen des Gesetzes über
                                                                                          3.582
 außergewöhnliche Krankheitskosten

 Versorgung Behinderter / medizinische Hilfen                                             5.832

 Pflege, Betreuung und Seniorenversorgung                                               11.240

 Verwaltung des Krankenkassensystems und diverse Ausgaben                                 1.258

 Nominale Kosten und Rücklagen                                                              620

 Insgesamt                                                                              45.895

(Quelle: VWS 2005)

                                                                                                                    
Reformperspektiven und
der Dekker-Vorschlag

In den 1980er Jahren führte der niederländische Staat       schuss vom Budget des kommenden Jahres abgezogen.
zahlreiche Regulierungsmechanismen ein, die der Kon­        Die vom Krankenhaus verursachten Kosten sollten
trolle der Gesamtausgaben für Gesundheit dienen soll­       natürlich unter den erzielten Einnahmen liegen, sonst
ten. Damit gelang es zwar, den Ausgabenanstieg einzu­       entsteht ein Verlust, der im Extremfall zur Insolvenz
dämmen, jedoch hatte diese staatliche Kostenkontrolle       privater Krankenhäuser führt.* Dies bedeutet, dass die
auch ihre Folgewirkungen. Die Krankenkassen trugen          Krankenhäuser einen deutlichen Anreiz zur Kostenkon­
kein finanzielles Risiko mehr, da sie faktisch Teil einer   trolle hatten, jedoch keinen direkten finanziellen An­
staatlichen Administration waren und keine Anreize          reiz zur Steigerung der Produktivität oder Innovation.
hatten, kostenbewusst einzukaufen und zu einer ef­
fizienten Leistungserbringung medizinischer Dienste
beizutragen. Dies war ein Hauptgrund für den nie­           reformGründe und der deKKer-vorschlaG
derländischen Staat, eine strukturell entgegengesetzt       Die Tatsache, dass die verschiedenen Versorgungsein­
wirkende Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen,          richtungen und Sektoren unterschiedliche Vergütungs­
die durch mehr Wettbewerb eine höhere Effizienz des         systeme und Budgetierungsmechanismen aufwiesen,
Gesundheitswesens mit sich bringen sollte. Schut et         behinderte die Einführung von kosteneffizienten Be­
al. (2004) beschrieben die Entscheidungsmotive der          handlungsalternativen und die Integration der Versor­
Regierung folgendermaßen: „Der Hauptgrund für die           gung über verschiedene Sektoren. Probleme, wie ver­
Reform bestand darin, die Krankenkassen zu einer            meidbare Krankenhaustage, traten immer deutlicher
Effizienzsteigerung in der Gesundheitsversorgung zu         zu Tage. Die strenge staatliche Regulierung der Tarife
motivieren. Das Fehlen entsprechender Anreize für die       und Gebühren, der Betten- und Ärztezahl, der Investiti­
Krankenkassen im alten System wurde als großes Prob­        onen, Baumaßnahmen usw. half nicht merklich weiter.
lem betrachtet.“                                            De Wolf et al. (2005) kommentierten diese unbefriedi­
                                                            gende Situation wie folgt: „In den 1990er Jahren war
Es fehlte ebenfalls an Anreizen für eine höhere Effizienz   es weithin anerkannt, dass das Gesundheitswesen mit
bei der Erbringung der medizinischen Leistungen auf         seiner strengen staatlichen Regulierung nicht mehr in
der Seite der Leistungsanbieter. Die Anbieter arbeite­      der Lage war, eine effiziente, ausreichende und pati­
ten häufig mit einer Art festem Budget, das weder eine      entenorientierte Versorgung zu gewährleisten.“
höhere Produktivität bei der Erbringung belohnte noch
Anreize für neue aber kosteneffektive Behandlungsver­
fahren bot. Die Einführung strenger Budgetvorgaben
für Krankenhäuser im Jahre 1980 sollte den Kliniken
durch eine komplexe Budgetformel eine Gratifikation
für Leistungsqualität und bestimmte Dienstleistungen
bieten. In der Praxis stellte es sich als recht rigide he­
raus, obwohl das Budgetsystem an sich relativ einfach
aufgebaut war. Die Krankenhäuser können durch von
den Versicherern bezahlte Deklarationen zusätzliche * Ein Großteil der Krankenhäuser und anderen Versorgungs­
Einnahmen in einer bestimmten Höhe erzielen, wo­           einrichtungen sind in privater Hand und erbringen ihre
bei die Budgetvorgaben zu beachten waren. Wird das Dienstleistungen als selbstständige Unternehmen,
Einnahmenmaximum überschritten, so wird der Über­          nicht als staatliche Organisationen (VWS 2005).

                                                                                                                      10
Die strenge Kontrolle der Gesamtausgaben vergrö­           leitbilder des deKKer-planes: staatliche
ßerte zudem die Diskrepanz zwischen medizinischem          auflaGen und reGulierter WettbeWerb
Bedarf und Versorgung, sowohl im Hinblick auf die          Die Reformpläne waren in weiten Zügen durch die kon­
Qualität als auch auf die Quantität. Das System war        zeptionelle Arbeit von Alan Enthoven (z. B. 1978) inspi­
immer weniger in der Lage, eine ausreichende Ver­          riert, der die Idee des regulierten Wettbewerbs förderte,
sorgung in angemessenem Zeitraum sicherzustellen.          bei dem die freie Wahlmöglichkeit der Kunden und die
Wartelisten und lange Wartezeiten waren die Folge.         Konkurrenz zwischen den Versicherern verstärkt wür­
Innerhalb des Landes wurden diese als großes Prob­         den. Obwohl im Laufe der Jahre verschiedene weitere
lem empfunden weil dadurch das Vertrauen der Be­           politische Reformoptionen für das Gesundheitssystem
völkerung in das Gesundheitssystem aufgrund der            entwickelt wurden, war der einflussreichste und kohä­
offensichtlichen Probleme immer mehr zurückging            renteste Vorschlag der des so genannten Dekker-Ko­
(z. B. Brouwer und Schut 1999). Man befand es sogar        mitees (1987). Dieser Plan einer Gesundheitsreform
für notwendig, einige dieser strikten Regulierungen        ist nach wie vor die wichtigste Orientierungsquelle für
zur Kostenkontrolle (und damit die Behinderungen im        die nachfolgenden Regierungen bei der Ausarbeitung
Sinne einer verbesserten Produktivität und Verkürzung      der Systemreform und der Maßnahmen zur Umsetzung
der Wartezeiten) abzuschaffen.                             der Veränderungen, die den allmählichen Übergang zu
                                                           einem solchen System ermöglichen sollten.
Der Staat versuchte zunächst das zweigeteilte System
der Privat- und Sozialversicherung abzuschaffen, weil      Vorgeschlagen wurden zunächst Änderungen im Be­
sich die Beitragszahlungen der Versicherten in beiden      reich des Krankenversicherungsmarktes. Befürwortet
Systemen so erheblich unterschieden, dass dies mit         wurde eine Pflichtversicherung für alle niederlän­
dem Gleichheitsgedanken in den Niederlanden nicht          dischen Staatsbürger mit einem staatlich bestimmten
vereinbar erschien. Darüber hinaus wollte der Staat die    Basis-Leistungspaket und einem einzigen einkommens­
Verantwortung für das Erreichen der Ziele wie Qualität,    bezogenen Beitragsschema für alle Bürger. Die Versi­
guter Zugang zu Therapien, Effizienz und Leistbarkeit      cherung sollte sowohl die Langzeitpflege als auch die
im Gesundheitswesen mit den Akteuren im Gesund­            Akutversorgung im Krankheitsfall abdecken und damit
heitssystem, insbesondere mit den Versicherern und         die traditionelle Teilung des Versicherungsmarktes
Anbietern von medizinischen Leistungen teilen. Bei         aufheben. Um preissenkende Wettbewerbseffekte aus­
den Versuchen dies politisch umzusetzen musste die         zunutzen, sollte diese Grundversicherung der Bevölke­
Regierung die Erfolglosigkeit der bis dahin eingeführ­     rung durch konkurrierenden Krankenversicherer an­
ten Regulierungen erkennen und die Grenzen einer           geboten werden. Die Bürger könnten frei wählen, bei
zentralen staatlichen Steuerung aufgrund der Komple­       welchem Versicherer sie den Vertrag abschließen und
xität des Systems akzeptieren.                             die Versicherer sollten verpflichtet sein, alle Personen
                                                           aufzunehmen, die bei ihnen Versicherungsschutz
Als Ausweg aus dieser Situation fasste man die Leiti­      erwerben wollten. Durch den Kontrahierungszwang
dee eines Gesundheitssystems auf der Grundlage des         waren Risikoselektion oder sonstige Selektionskri­
regulierten Wettbewerbs ins Auge: In einem solchen         terien ausgeschlossen, denn jeder Bürger hätte ein
System sollen miteinander konkurrierende Kranken­          Anrecht auf einen Versicherungsvertrag mit dem Ver­
versicherer die erforderlichen Gesundheitsdienstleis­      sicherer seiner Wahl gehabt, den er jährlich mit dem
tungen von miteinander im Wettbewerb stehenden             von ihm bevorzugten Versicherer abschließen kann.
Anbietern einkaufen. Der Zugriff auf die gesundheit­       Die Krankenversicherer sollten den Versicherten einen
liche Versorgung für Versicherte soll durch einmal         Direktbeitrag in Rechnung stellen. Dieser Nominalbei­
jährliche Beitrittsmöglichkeiten zu den Versicherungen     trag sollte nur einen Anteil der Gesamtkosten beinhal­
und der Pflicht-Krankenversicherung mit überwiegend        ten und für alle Käufer dieser Versicherung gleich sein.
einkommensbezogenen Beiträgen gewährleistet wer­           Er sollte den Krankenversicherten bei der Wahl eines
den. Man glaubte damals, dass dieses System eine           Versicherers einen Anreiz dazu bieten, den Versicherer
optimale Kombination aus den jeweils besten Merk­          mit dem besten Angebot bezüglich Preis und Qualität
malen des freien Marktes und den besten Merkmalen          auszuwählen. Der Nominalbeitrag sollte somit insbe­
der staatlichen Regulierung bieten würde. Die Markt­       sondere ein Signal für die (interne) Effizienz der Kran­
kräfte sollten für mehr Wettbewerb, höhere Effizienz und   kenversicherer sein. Angenommen wurde, dass damit
patientenbezogene Bedarfsorientierung im Gesund­           ein wichtiges Auswahlkriterium für die Versicherten
heitssystem sorgen, während der Staat das Gesamtsys­       geschaffen werden würde und spürbare Unterschiede
tem regulieren, die Verantwortung für Qualität über­       des Nominalbeitrages einen wichtigen Grund für die
nehmen und den Gleichheitsgedanken gewährleisten           Versicherer darstellen würden, die Versorgungsleistun­
würde. Von Utopia trennte die Niederlande damals nur       gen bei den Anbietern so kosteneffizient wie möglich
noch eine Reform, die diese Ziele verwirklicht.            einzukaufen.

                                                                                                                       11
Die eigentliche Finanzierung der Krankenversicherung                sollten und aktive Einkäufer von medizinischen Dienst­
sollte primär über einkommensabhängige Beiträge                     leistungen im Sinne ihrer Versicherten werden sollten,
erfolgen, die in einen zentralen Fonds fließen. Aus                 sodass die Effizienz auch im Bereich der Erbringung
diesem Fonds würden dann die Beiträge in Form von                   dieser medizinischen Dienste verbessert würde.
risikoadaptierten Pro-Kopf-Zahlungen auf die ein­
zelnen Versicherer verteilt. Mit Hilfe dieses Systems               Zur Vereinfachung dieser Rolle sollten die Versicherer
sollten die Einkommensstufen der unterschiedlichen                  frei wählen können, welche Anbieter solcher Dienst­
Versicherer auf der Grundlage des Risikoprofils ihrer               leistungen sie ansprechen würden und welche nicht.
Versicherten korrigiert werden, sodass sie davon ab­                So könnten die Ausgaben durch selektive Vertrags­
gehalten würden, zu selektieren, indem sie nur Ver­                 abschlüsse gesenkt werden, während gleichzeitig
sicherte mit gutem Risiko versichern. Dies ist durch­               die Qualität erhalten bliebe und die Möglichkeit bestün­
aus mit dem deutschen Risikostrukturausgleich (RSA)                 de, einen guten Versorgungsstandard bei niedrigeren
vergleichbar. Wenn die Adaption anspruchsvoll genug                 Nominalbeiträgen zu gewährleisten. Dies wiederum
wäre, könnte somit der Nominalbeitrag der Kranken­                  bedeutet, dass auch die Anbieter medizinischer Dienst­
versicherer tatsächlich als Signal für Effizienz betrach­           leistungen miteinander um die Vertragsabschlüsse mit
tet werden.* Im Dekker-Plan wurde schließlich die                   den Versicherern konkurrieren würden. Somit würde
Einführung begrenzter Selbstbehalte vorgeschlagen,                  der Wettbewerb auf dem Krankenversicherungsmarkt
die etwa 10 % der Gesamtausgaben betragen sollten.                  und dem Versorgungsvertragsmarkt eingeführt. Dies
Die Finanzströme im Rahmen des Dekker-Plans sind in                 hätte wiederum Auswirkungen auf den Gesundheits­
Abbildung 3 zusammengefasst.                                        versorgungsmarkt. Zum Beispiel könnte die Wahl
                                                                    der Anbieter für den Versicherten dadurch einge­
Weiterer wichtiger Bestandteil des Dekker-Planes war                schränkt werden, dass sie prinzipiell die Anbieter auf­
auch der Versorgungsvertragsmarkt. Der Plan sah vor,                suchen sollten, die vertraglich mit dem Versicherer
dass die Versicherer miteinander in Konkurrenz stehen               kooperieren.

Abbildung 3: Geldflüsse im Gesundheitssystem
wie vom Dekker-Komitee vorgeschlagen

       Abgedeckte Population

                                     Einkommensabh. Beiträge 80 %
                 Gemeinschafts-
                 abh. Beitrag
                 10 %
                                                                    * Ein Versicherer, der (zufällig oder bewusst) für Hochri­
                                    Zentralfonds
                                                                    sikopatienten wie alte Menschen oder chronisch Kranke
     Nutzungs-
     gebühren                                                       attraktiv ist, wäre bei fehlendem oder ungenügendem
     10 %                             Reichen-adaptierte
                                      Pro-Kopf-Zahlungen 80 %       Risikoausgleich für Personen mit schlechterem Gesund­
                                                                     heitszustand zu einer allgemeinen Erhöhung des Nominal­
                   Krankenkassen                                     beitrags gezwungen, da er sonst nicht über ausreichende
                                                                    Einnahmen zur Ausgabendeckung verfügen würde. Dies
                                                                     wiederum bedeutet, dass er keine neuen Kunden gewin­
                       Bezahlung der Erbringer 90 %
                                                                    nen könnte, sondern sogar bestehende Kunden an die
                                                                    Konkurrenz verliert – nicht aufgrund von ineffizientem
      Erbringer med.                                                 Verhalten, sondern infolge eines ungünstigen Risikoprofils
        Leistungen                                                  der Versicherten. In einer solchen Situation gäbe es einen
                                                                     klaren Anreiz für die Versicherer, die Versicherten nach dem
                                                                    Risikoprofil auszusuchen. (Die Tatsache, dass dies offiziell
                                                                    verboten ist, würde ein solches Verhalten natürlich nicht
                        Geldflüsse im Gesundheitssystem
                                                                    völlig ausschließen können, insbesondere wenn es sich als
(Quelle: Rutten 2004)                                               entsprechend lukrativ erweist.)

                                                                                                                                    1
Bedingungen für regulierten Wett­
bewerb und erste Reformschritte

Damit die erwünschten Vorteile eines regulierten          • die Verbraucher müssen angemessen über die Leis-
Wettbewerbs im Gesundheitssystem realisiert werden          tung der verschiedenen Versicherer und den dazu­
können, müssen bestimmte rechtliche und struktu­            gehörigen Kooperationspartnern (Leistungserbrin­
relle Voraussetzungen erfüllt sein. Erst dann kann von      gern) informiert sein;
einem regulierten Wettbewerb eine höhere Effizienz
erwartet werden (Rutten und Brouwer 2003). Zu die­        • die Versicherer müssen über die Auswahl ihrer
sen wichtigen Bedingungen gehören:                          Dienstleistungsanbieter frei entscheiden können;

• die Krankenkassen müssen mit anderen Kranken­           • zu diesem Zweck müssen die Versicherer umfassend
  versicherern konkurrieren und dürfen nicht über           über die Qualität der durch die Anbieter geleisteten
  ein Regionalmonopol verfügen;                             Versorgung informiert sein;

• die Krankenkassen müssen ihr eigenes finanzielles       • es muss eine ausreichende Menge von Dienstleis­
  Risiko tragen, um einen Anreiz zur Kostenkontrolle        tungsanbietern für die Versicherungen geben;
  zu haben;
                                                          • es muss ein Klassifikationssystem geschaffen werden
• der Unterschied zwischen Privatversicherern und           (insbesondere für Krankenhäuser), das Preisver­
  Krankenkassen muss abgeschafft werden;                    handlungen für einzelne Produkte oder Leistungen
                                                            ermöglicht;
• es muss ein Ausgleich zwischen Kassen für günstige
  Risiken in Form einer Pro-Kopf-Zahlung geschaffen       • zwischen den Versicherern und den Dienstleis­
  werden, um keinen Anreiz für die Risikoselektion zu       tungsanbietern müssen transparente Preise für
  bieten und sicherzustellen, dass der Nominal­             diese Produkte festgesetzt und verhandelt werden,
  beitrag ein Signal für die Effizienz des Versicherers     d. h. staatlich regulierte Tarif- und Preissysteme,
  darstellt;                                                die häufig nicht auf einer Realkostenberechnung
                                                            basieren, müssen ersetzt werden.
• die Versicherer müssen einen Nominalbeitrag (Pau­
  schalbeitrag) als Versicherungsprämie einführen;        Diese Voraussetzungen betreffen unterschiedliche
                                                          Teilsektoren des Gesundheitssystems und führten zu
• die Verbraucher müssen die Freiheit haben, den          der Einsicht, dass ihre schrittweise Einführung einer
  Versicherer in periodischen Abständen zu wech­          einmaligen totalen Umstellung vorzuziehen sei. Daher
  seln – gleichzeitig muss die Aufnahme eines jeden       verlief dieser Prozess allmählich und langsam, obwohl
  Versicherten durch die Versicherer gewährleistet        das neue Krankenversicherungsgesetz ein wichtiger
  sein;                                                   Meilenstein darstellt. Das Gesundheitsministerium
                                                          kommentierte dies wie folgt: „Das Inkrafttreten des
• die Verbraucher müssen beim Erwerb der Kranken­         Krankenversicherungsgesetzes zum 1. Januar 2006
  versicherung ein kritisches Kaufverhalten an den Tag    wird noch nicht das letzte Wort in der Umstrukturie­
  legen und auf Preisunterschiede zwischen den Ver­       rung des niederländischen Gesundheitswesens sein.“
  sicherern reagieren;

                                                                                                                   1
Viele wichtige Schritte wurden jedoch bereits einge­       eine Risikoteilung im Nachhinein zwischen den ein­
leitet, was die Einführung des neuen Krankenversiche­      zelnen Versicherern nur teilweise ausgeglichen werden
rungssystems im Januar 2006 erleichtert hat.               kann (Prinsze et al. 2005). Bei der Risikoausgleichsfor­
                                                           mel scheint noch einige Arbeit erforderlich zu sein.

Wo stehen Wir heute?                                       Im Jahr 1989 wurde ein pauschaler Nominalbeitrag als
Fast 20 Jahre nach der Präsentation des Dekker-Vor­        Prämie für die Krankenkassen eingeführt (2005 be­
schlages wurden eine Reihe wichtiger Maßnahmen auf         trug der Beitragsbereich zwischen 360 und 456 EUR
dem Weg zu einem regulierten Wettbewerb ergriffen.         im Jahr). Um die Effizienz der Versicherer als kos­
Diese Veränderungen betrafen bisher überwiegend            teneffiziente Einkäufer von Gesundheitsdienstleis­
die Krankenkassen, weniger die Privatversicherungen,       tungen widerzuspiegeln, durften die Krankenkassen
und es wurden bisher keine eindeutigen Versuche zur        nun begrenzt selektive Verträge mit Anbietern ab­
Abschaffung der Unterschiede zwischen den beiden           schließen und Preise und Gebühren festsetzen. Das
Systemen unternommen.* Weiterhin wurde beschlos­           neue, 2005 eingeführte Produktklassifikations- und
sen, dass das System des regulierten Wettbewerbs           Erstattungssystem für Krankenhäuser sollte die selek­
für die Langzeitpflege im Rahmen des Gesetzes über         tiven Vertragsabschlüsse und die Preisverhandlungen
außerordentliche medizinische Ausgaben weniger ge­         weiter erleichtern und zudem einen Anreiz für hö­
eignet sei. Daher zielte die Einführung des regulierten    here Effizienz der einzelnen Krankenhäuser schaffen.
Wettbewerbs ausschließlich auf den Teilbereich der         Dieses, als DBC-System bezeichnete Konzept, ist eine
medizinischen Krankenversorgung ab.                        Variante der fallbezogenen Vergütungssysteme der
                                                           Krankenhäuser (diagnosis-related groups, DRG). Beim
Die Krankenkassen wurden dabei von ihrer Position          DBC-System wird jeder Patient bei der stationären
als Regionalmonopolist abgelöst und in überwiegend         Aufnahme entsprechend seiner Diagnose und dem
national operierende und konkurrierende Fonds um­          Behandlungsprofil eingestuft. Für jeden Patienten
gewandelt. Die Errichtung eines Systems der risikobe­      erhält das Krankenhaus dann einen zuvor festgesetz­
zogenen Ausgleichszahlungen aus dem Zentralfonds,          ten Betrag, der für jede Kombination aus Diagnose
in dem alle einkommensbezogenen Beiträge und Ar­           und Behandlung verhandelt wird. Das System wurde
beitgeberbeiträge zusammenfließen, war ein weiterer        2005 in einer Auswahl von Krankenhäusern (ca. 10 %
Schritt zur Förderung des fairen Wettbewerbs. Obwohl       der gesamten Krankenhausleistungen) eingeführt. Es
relativ kompliziert, wird dennoch der Risikostruktur­      ist vorgesehen, dass dieser Anteil in den kommenden
ausgleich durch ein System der Risikoteilung ersetzt,      Jahren steigt, es sei denn, es stellt sich als nicht um­
um verbleibende Unzulänglichkeiten des Ausgleichs zu       setzbar heraus. Im Anhang B, Tabelle 2, ist eine Über­
beheben. Daher folgerten Van de Ven et al. (2004),         sicht der verschiedenen DBCs mit Angabe des jewei­
dass „ ...die Risikoselektion in den Niederlanden kein     ligen Liberalisierungsgrades dargestellt.
großes Problem darstellt.“
                                                           Seit 1992 gibt es eine jährliche Beitrittsmöglichkeit
Parallel zur Verbesserung des niederländischen Risiko­     für Versicherte zu den Krankenkassen, die verpflichtet
strukturausgleichs wurde die Verantwortung der Kran­       sind, alle Antragsteller in Versicherungsverträge die
kenkassen für ihre erwirtschafteten Überschüsse oder       das Grundleistungspaket beinhalten aufzunehmen. Die
Verluste im Laufe der Jahre erheblich ausgeweitet.         Annahmeverpflichtung besteht nicht für die Zusatzver­
Ihre finanzielle Verantwortung für Verluste wurde von      sicherungen. Dies beschränkt eindeutig die Freiheit
2,5 % im Jahr 1993 auf 53 % im Jahr 2004 angehoben.        des Versicherungswechsels der Bürger, da viele eine
                                                           Zusatzversicherung abschließen möchten. Erst seit
Dennoch ist es klar, dass die Risikoausgleichsformel       2006 dürfen die Bürger ihre Basisversicherung auch
nicht perfekt ist, und es zeigte sich, dass für einige     dann wechseln, wenn die private Zusatzversicherung
Versicherte Verluste zu erwarten sind (Prinsze et al.      bei dem ursprünglichen Versicherer bestehen bleiben
2005). Insbesondere wurden die folgenden Popula­           soll. Mit diesem Schritt sind die Wahlmöglichkeiten für
tionsgruppen als Verlustträger im aktuellen System         die Versicherten erweitert worden.
identifiziert: Personen mit Erkrankungen, die in der
derzeitigen Risikoausgleichsformel nicht berücksich­
tigt sind, Personen mit multiplen, gleichzeitig vor­
liegenden Erkrankungen (Komorbidität), Patienten
mit Psychosen, Depressionen oder Angststörungen, * Die Privatversicherung ist immer noch freiwillig und wird
Personen mit eingeschränkter Funktionalität im täg­    direkt an den Versicherer bezahlt. Es gibt einen Solidari­
lichen Leben. Die zu erwartenden Verluste können bei tätszuschlag, der auf den öffentlichen (Krankenkassen-)
einigen Gruppen 2.500 EUR übersteigen, was durch Sektor übertragen wird (siehe Abbildung 2 in Anhang A).

                                                                                                                      1
Um die zunehmenden Wettbewerbsaktivitäten und             gen oder administrierten Preisen vereinbar. Vielmehr
das Einhalten des rechtlichen Rahmens zu überwa­          soll letztendlich der „Markt“ die gehandelten Mengen
chen gibt es seit 1998 ein neues Kartellgesetz und ein    und die bevorzugten Lieferanten bestimmen. Da es
Kartellministerium, das im Gesundheitswesen immer         jedoch unwahrscheinlich ist, dass der niederländische
mehr aktiv geworden ist. Nach dem Inkrafttreten des       Staat einen größeren Anstieg der Ausgaben zulassen
neuen Krankenversicherungsgesetzes wird eine neue         wird, wird zunehmend die Auferlegung neuer Mecha­
Behörde eingerichtet (Nederlandse Zorgautoriteit),        nismen zur Kostenkontrolle ins Auge gefasst. Wenn der
die weitgehend für das Funktionieren des niederlän­       regulierte Wettbewerb weiter gestärkt und ausgewei­
dischen Gesundheitsmarktes in dem beschriebenen           tet werden soll, müssen diese Kontrollmechanismen
Wettbewerbsumfeld verantwortlich sein wird.               mit dem regulierten Wettbewerb vereinbar sein, d. h.
                                                          es werden bedarfsbezogene Begrenzungen benötigt.*
Viele Schritte wurden schon auf dem Weg vom staat­        Zwei wichtige Instrumente in diesem Zusammenhang
lich verwalteten System zum regulierten Wettbe­           sind die Einführung von Gebühren für die Inanspruch­
werb gemacht. In gewisser Hinsicht befindet sich das      nahme von ärztlichen Leistungen und die Begrenzung
niederländische Gesundheitssystem derzeit im Über­        des Basisleistungspakets. Die Gebühr wurde in Form
gang von alt zu neu, an einem Scheitelpunkt mit wich­     eines Schadenfreiheitssystems eingeführt, das nach­
tigen Implikationen für die bisherigen Kostendämp­        stehend erläutert wird, während z. B. Zahnversorgung
fungsmaßnahmen. Der rasche Ausgabenanstieg der            für Erwachsene, empfängnisverhütende Mittel für
letzten Jahre ist leicht zu erklären, wenn man bedenkt,   erwachsene Frauen, die erste Behandlung zur In-
dass im niederländischen Gesundheitssystem in die­        vitro-Fertilisation und mehr aus dem Basisleistungs­
ser Übergangsphase bereits die versorgungsseitige         paket gestrichen wurde.
Kontingentierung in wichtigen Bereichen abgeschafft
wurde, jedoch an ihrer Stelle noch keine adäquaten * Tatsächlich setzte der niederländische Staat in den letzten
Mechanismen zur Kostenkontrolle traten. Denn ein Jahren zwar einerseits die Bemühungen um einen regulier­
System das auf den Prinzipien des regulierten Wettbe­   ten Wettbewerb fort, andererseits aber wurden aus Angst
werbs baut, ist nicht ohne weiteres mit Makrobudgets, vor Kostenanstiegen und Kontrollverlust neue versorgungs­
Festbudgets für verschiedene Erbringer von Leistun­     bezogene Gesetze erlassen (Rutten und Brouwer 2003).

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Das niederländische Gesundheits­
system im Jahre 2006 und danach

Am 1. Januar 2006 trat das neue Krankenversicherungs­       Es ist zu betonen, dass ein Teil der Versorgung im Rah­
gesetz in Kraft, das die Regeln für die neue Kranken­       men des Gesetzes über außerordentliche medizinische
versicherung festschreibt. Sie basiert weitgehend auf       Ausgaben, das sich ja auf Heilbehandlungen und nicht
dem Dekker-Vorschlag, weicht aber in einigen Punkten        auf Pflegeleistungen bezieht, in den zweiten Teilbe­
deutlich von ihm ab, so wird z. B. nur der Krankenversi­    reich übertragen werden (z. B. bestimmte Leistungs­
cherungsmarkt im Gesundheitssystem reformiert. Das          arten für psychisch Kranke).
neue Krankenversicherungsgesetz reguliert den Kran­
kenversicherungsmarkt und damit ausschließlich den          Das neue Krankenversicherungssystem ist folgender­
zweiten Teilbereich des Krankenversicherungssystems.        maßen organisiert:
Als Fortsetzung der bisherigen Reformen wurde damit
ein wesentlicher Schritt für einen Systemwandel vollzo­     • Jeder Niederländer ab einem Alter von 18 Jahren muss
gen. Das Basis-Gesundheitspaket, das im Wettbewerb            ein Basis-Leistungspaket bei einer privaten Kranken­
ebenfalls eingeschlossen ist, ist insgesamt kleiner und       versicherung abschließen.
homogener, was die Erfolgschancen möglicherwei­
se erhöht (Schut und Van de Ven 2005). Die Teilung          • Der Unterschied zwischen Privatversicherern und so­
des Krankenversicherungsmarkts in drei Teilbereiche           zialen Krankenkassen besteht weiterhin. Alle Ver­
besteht daher weiter. Das Gesundheitsministerium              sicherer operieren auf nationaler Ebene, es sei denn,
(VWS 2005) beschreibt das System wie folgt:                   sie haben unter 85.000 Versicherte und entscheiden
                                                              sich für die Arbeit auf regionaler Ebene.
„Das neue niederländische Krankenversicherungssys­
tem besteht aus drei Teilbereichen. Der erste ist eine      • Das Basis-Leistungspaket dieses Grundvertrages ist
Pflichtversicherung für Langzeitpflege und –betreuung         staatlich definiert und ähnelt dem Krankenkassen­
und deckt die gesamte Bevölkerung ab. Der entspre­            paket.
chende Anspruch ist im Gesetz über außerordentliche
medizinische Ausgaben verankert. Der zweite Teilbe­         • Der Jahres-Nominalbeitrag ist erheblich höher
reich umfasst die Versicherung von Heilbehandlungen.          als vom Dekker-Komitee vorgeschlagen (10 % beim
Jeder Niederländer ist laut Krankenversicherungsge­           Dekker-Vorschlag) und beträgt jetzt fast 50 %
setz verpflichtet, sich für diese Art der Versorgung zu       im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes. Die
versichern. Zusammen bieten die Ansprüche aus dem             jährliche Gesundheitsprämie beträgt ca. 1.050 EUR
Gesetz über außerordentliche medizinische Ausgaben            als einkommensunabhängiger Pauschalbeitrag.
und dem Krankenversicherungsgesetz allen Bürgern ei­
nen angemessenen Versicherungsschutz für die Krank­         • Der Beitrag wird vom Versicherer festgesetzt und
heitskosten. Es ist jedem freigestellt, für die in diesen     kann aus Gleichheitsgründen nicht unterschiedlich
beiden Gesetzen nicht abgedeckten Versorgungsarten            ausfallen. Kinder werden kostenlos versichert.
eine Zusatzversicherung abzuschließen, da diese Ver­
sorgungsarten als Luxus zu bezeichnen oder für dieje­
nigen, die sie benötigen, leicht zu bezahlen sind.“

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