34 Brot oder Trog - Brot für die Welt
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
34 Futtermittel I Studie ANALYSE Brot oder Trog Futtermittel, Flächenkonkurrenz und Ernährungssicherheit
Impressum Herausgeber: Diakonisches Werk der EKD e.V. für die Aktion „Brot für die Welt“ Stafflenbergstraße 76 70184 Stuttgart Telefon: 0711/2159-568 E-Mail: kontakt@brot-fuer-die-welt.de www.brot-fuer-die-welt.de Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL e.V.) Gneisenaustr. 2a 10961 Berlin Telefon: 030/6934029 Email: info@fdcl.org www.fdcl.org Autor: Thomas Fritz Redaktion: Carolin Callenius, Jan Dunkhorst, Dr. Bernhard Walter Layout: Mathias Hohmann V.i.S.d.P: Thomas Sandner Titelfoto: Florian Kopp Druck: agit-druck, Berlin Gedruckt auf Recycling-Papier Art.Nr.: 129 501 230 Spenden: Brot für die Welt Spendenkonto 500 500 500 BLZ 1006 1006 Bank für Kirche und Diakonie IBAN: DE54350601900500500506, BIC: GENODED1DKD Stuttgart/Berlin, Dezember 2011 © 2011 Brot für die Welt, Stuttgart und FDCL-Verlag, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin ISBN: 978-3-923020-58-4
Inhalt Vorwort 5 1 Einleitung 6 2 Der Futtermittelboom 7 2.1 Vormarsch intensiver Haltungsformen 9 2.2 Trog oder Teller: Verfütterung von Getreide 13 2.3 Tierische Ernährung: Ineffizient und flächenintensiv 14 2.4 Vertikale Integration in der Futtermittelindustrie 16 3 Deutschland und EU: Importe für die Überproduktion 18 3.1 Futtermittelbedarf in Deutschland 18 3.2 EU: Vom Überschuss zum Dumping 19 3.3 Das europäische Proteindefizit 20 3.4 Land als Handelsgut: Virtuelle Importe 21 4 Folgen des Sojaanbaus in Südamerika 23 4.1 Umweltzerstörung: Wälder und Weiden müssen weichen 24 4.2 Bodenlos: Landnahme und -konflikte 25 4.3 Giftiger Cocktail: Gentechnik und Herbizide 27 5 Auswirkungen eines Ernährungswandels 29 5.1 Flächeneinsparung 29 5.2 Ernährungssicherung 31 6 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 33 Literaturliste 36
Übersichten Abbildung 1: Weltweite Produktion von Fleisch, 1961-2007 7 Abbildung 2: Weltweiter Fleischverbrauch 1962-2010 8 Abbildung 3: Fleischverbrauch in Kilogramm pro Kopf und pro Jahr 9 Abbildung 4: Futter für Wiederkäuer und Nichtwiederkäuer – Globaler Verbrauch 11 Abbildung 5: Reale Preise von Weizen, Mais, Reis und Soja, 1960 bis 2010 11 Abbildung 6: Weltweiter Kraftfutterverbrauch, Schätzung, 1960-2020 13 Abbildung 7: Aufteilung globaler Kraftfutterverbrauch nach Gewicht, 1996-2005 14 Abbildung 8: Fleischverbrauch in Deutschland pro Kopf (2010) 18 Abbildung 9: Futtermittelaufkommen in Deutschland Getreide und Ölsaaten, 2008/09 18 Abbildung 10: EU-27: Herkunft Sojabohnen 2010 20 Abbildung 11: EU-27: Herkunft Sojaschrot 2010 20 Abbildung 12: Verwendung der globalen Flächenbelegung 21 Abbildung 13 : Wachstum der Sojaanbaufläche 1961-2008 23 Abbildung 14 : Flächenbedarf bei Ernährungswandel, Szenarien für 2050 30 Box 1: Typische Futterrationen: Welches Tier frisst was? 12 Box 2: Soja und Feedlots 24 Box 3: Widerstand gegen Glyphosatbesprühungen 28 Box 4: Auswirkungen eines verringerten Futtermittelkonsums auf die Sojanachfrage 30 Tabelle 1: Futterration in der Bullenmast (Beispiel) 12 Tabelle 2: Futterration für Mastschweine (Beispiel) 12 Tabelle 3: Futterration für Masthähnchen (Beispiel) 12 Tabelle 4: Futteranteile an Getreideverbrauch (2009/2010) 13 Tabelle 5: Energie- und Proteinverluste bei der Fleischproduktion 15
Übersichten Tabelle 6: Flächenbedarf für Lebensmittel bezogen auf Energiegehalt von 1.000 kcal 15 Tabelle 7: Spezifischer Flächenbedarf für Lebensmittel bezogen auf Gewicht 15 Tabelle 8: Größte Mischfutterhersteller 2010 16 Tabelle 9: Selbstversorgungsgrad bei Fleisch- und Milchprodukten in Deutschland 2010 18 Tabelle 10: Futtermittelimporte in Deutschland (2008/09) 19 Tabelle 11: Virtuelle Landimporte der EU 2007/2008 22 Tabelle 12: Weltmarktpreise bei alternativer Ernährung in Hocheinkommensländern (HEL), Brasilien und China 31 Tabelle 13: Pro-Kopf-Getreidekonsum bei alternativer Ernährung in Hocheinkommensländern (HEL), Brasilien und China 31
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie Vorwort sionen zeigen deutlich: Eine Reduktion des Fleischkon- sums und eine Änderung des Agrarmodells werden im- mer dringlicher. Eine der Haupttriebfedern für die fortschreitende Über- nutzung der begrenzten Ressourcen unseres Planeten Die vorliegende Studie bietet einen guten Einblick in die ist der konsumorientierte Lebensstil wohlhabender Herkunft der Futtermittel, die täglich in den Futtertrö- Schichten, vor allem in den Industrieländern. Da- gen landen. Sie dokumentiert sowohl die ökologischen rauf wiesen Entwicklungsorganisationen schon in den und sozialen Konsequenzen des Sojaanbaus in den Lie- 1980er Jahren hin. Der Zusammenhang zwischen dem ferländern als auch die systematische Überschusspro- hohen Fleischkonsum bei uns und den Futtermittelim- duktion von Milch und Fleisch in Deutschland, die mit porten aus den Ländern des Südens war schon damals fatalen Konsequenzen in viele Entwicklungsländer ex- ein vieldiskutiertes Thema. Unter dem Slogan „Unse- portiert wird. Dabei wird erkennbar, wie stark die sich re Kühe weiden am La Plata“ mahnten Entwicklungs- zuspitzende Konkurrenz um die Nutzung von Landflä- werke und Dritte-Welt-Initiativen, den Fleischkonsum chen, und damit auch die Entscheidung zwischen Teller zu senken. Jetzt, 30 Jahre später, bekommt die Proble- und Trog, von politischen Vorgaben abhängt. matik eine neue Dringlichkeit. Denn bei weltweit wach- sender Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten steigt auch die Nachfrage nach den knappen Stuttgart/Berlin, Dezember 2011 Ackerflächen, um die nötigen Futtermittel anzubauen. Dr. Klaus Seitz Doch die fortschreitende Landnahme, das sogenannte Brot für die Welt „Land Grabbing“, setzt die Ernährungsgrundlage von Millionen von Menschen aufs Spiel. Denn der Wettlauf Jan Dunkhorst um Land droht, gerade die verwundbarsten Bevölke- FDCL rungsgruppen – kleinbäuerliche Familien, Indigene und Hirten – zu verdrängen. Sie müssen den landwirtschaft- lichen Großbetrieben weichen, die mit kapitalintensiven Produktionsmethoden die Weltmarktnachfrage bedie- nen. Von unseren Partnern im Norden Argentiniens etwa hören wir, wie die rasante Ausdehnung der Soja- flächen den Lebensraum der Wichi-Indianer in der Cha- co-Region zunehmend einengt. Sie sehen sich als Opfer unseres Fleischkonsums. Auch bei uns in Deutschland wird angesichts von Mas- sentierhaltung, wiederkehrenden Seuchen und gesund- heitlicher Risiken wieder intensiver über die Zukunfts- fähigkeit der Fleischerzeugung und des -konsums disku- tiert. Wir stehen vor der Alternative: Produzieren wir in Massen für den Weltmarkt oder in Maßen für einen nachhaltigen Konsum? Auch über die verwendeten Fut- termittel wird nachgedacht. Eine wachsende Zahl von Landwirten setzt sich dafür ein, wieder verstärkt hei- mische proteinreiche Futterpflanzen anstelle der im- portierten Soja zu verwenden. Die ernsthaften Diskus- 5
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 1 Einleitung ferländern skizziert. Die Publikation fragt ferner, inwie- weit ein Ernährungswandel, der den Konsum tierischer Lebensmittel einschränkt, zu einer Begrenzung der Während sich das Phänomen der neuen Landnahme ent-wicklungspolitischen Risiken des übermäßigen Fut- – auch “Land Grabbing“ genannt – mittlerweile einer termittelkonsums beitragen könnte. Schließlich gibt sie größeren öffentlichen Debatte erfreut, bleiben wesent- einer Reihe von Empfehlungen ab, wie sich der Futter- liche Triebkräfte dieses Trends noch immer vergleichs- verbrauch senken ließe, um die zunehmenden Konflikte weise unterbelichtet. Dies gilt vor allem für die Land- um Flächennutzung und Ernährungssicherheit zu ent- nutzungsänderungen, die mit der weltweit steigenden schärfen. Nachfrage nach tierischen Produkten und dem damit erforderlichen Anbau von Futtermitteln zusammenhän- gen. Der hohe Futtermittelverbrauch ist Folge einer Ernäh- rungsweise mit einem hohen Anteil an Fleisch, Milch, Eiern und anderen tierischen Produkten. Diese Art der Ernährung verbraucht nicht nur sehr viele Ressourcen, wie Ackerfläche, Wasser und Energie, sondern ist au- ßerdem sehr ineffizient in der Verwertung pflanzlicher Energie. Die Risiken dieses Konsummusters verschär- fen sich in dem Maße, wie weltweit immer mehr Men- schen diese Ernährungsweise anstreben und auch be- zahlen können. Dennoch bleibt es ein exklusives Kon- summodell, das den Ausschluss des größten Teils der Menschheit beinhaltet. Es setzt voraus, dass nicht alle Menschen gleichermaßen auf die natürlichen Ressour- cen der Erde zugreifen. Es ist daher an der Zeit, sich mit dem anhaltenden Boom der Futtermittel, seinen Ursachen und Folgen sowie den möglichen Wegen zur Eindämmung seiner Risiken aus- einanderzusetzen. Mit der vorliegenden Studie möch- ten „Brot für die Welt“ und das Forschungs- und Doku- mentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) einen Beitrag zu einer solchen Auseinandersetzung leisten. Die Studie schildert, wie der steigende Fleischkonsum den Anbau von Futterpflanzen stimuliert und welche Risiken sich daraus ergeben. Sie beschreibt das hohe Futtermitteldefizit vor allem bei proteinreichen Pflan- zen in Deutschland und der Europäischen Union sowie die damit einhergehende starke Importabhängigkeit von Soja. Daran anknüpfend werden die sozialen und ökolo- gischen Folgen des industriellen Anbaus dieser Protein- pflanze in den hauptsächlichen südamerikanischen Lie- 6
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie 2 Der Futtermittelboom dern, Schafen und Ziegen vergleichsweise stabil und er- höhte sich nur in geringem Masse (siehe Abbildung 1). Fast drei Viertel der globalen Fleischerzeugung entfal- Mehrere Triebkräfte sind dafür verantwortlich, dass im- len heute auf Schweine- und Hühnerfleisch. mer mehr pflanzliche Lebensmittel in Tiermägen wan- dern, statt unmittelbar der menschlichen Ernährung Während sich der Fleischkonsum in Industrieländern zu dienen. Der Marsch der Pflanzen in die Futtertröge seit den 1980er Jahren auf hohem Niveau stabilisierte, ist zunächst dem gestiegenen Konsum von Fleisch- und nahm er in Schwellen- und Entwicklungsländern stär- Milchprodukten geschuldet. Hinzu kommen aber auch ker zu. Dennoch bleibt der Verbrauch im Norden über- ein tiefgreifender Wandel in den Tierhaltungssystemen, proportional hoch. Noch immer konsumieren Industrie- wie die Intensivierung der Tierhaltung und der Züch- staaten mehr als 40 Prozent der weltweiten Fleischpro- tung, eine Verschiebung der Nachfrage zu sogenanntem duktion, obgleich sie nur 18 Prozent der Weltbevölke- „weißen“ Fleisch (vor allem Geflügel) sowie eine lange rung repräsentieren. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch Phase äußerst niedriger Agrarpreise. ist in Entwicklungsländern deutlich niedriger (siehe Ab- bildung 2). Während Konsumenten in Industrieländern Das bis heute anhaltende Wachstum von Produktion in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich 82 Ki- und Konsum tierbasierter Nahrungsmittel treibt den logramm Fleisch pro Kopf und Jahr verzehrten, waren Futtermittelbedarf weltweit in die Höhe. Zwischen dies in Entwicklungsländern lediglich 31 Kilogramm 1990 und 2010 stieg die globale Fleischerzeugung um (FranceAgriMer 2011). 61 Prozent von 180 auf 290 Millionen Tonnen, die Milchproduktion um 29 Prozent von 550 auf 710 Mil- Dabei existieren sowohl unter den Industrie- als auch lionen Tonnen und die Eierproduktion um 65 Prozent unter den Entwicklungsländern erhebliche Unter- von 37 auf 61 Millionen Tonnen (LfL 2010, FAO 2005, schiede im Niveau und bei der Entwicklung des Ver- 2011). Gerade die Fleischerzeugung beeinflusst in be- brauchs. Während sich der US-amerikanische Pro-Kopf- sonderem Maße die Futtermittelnachfrage. Besonders Fleischkonsum zwischen 1980 und 2007 von 109 auf stark stieg in den vergangenen Jahrzehnten dabei die 123 Kilogramm erhöhte, sank der deutsche von 96 auf Hühnerfleischproduktion, gefolgt mit einigem Abstand 88 Kilogramm. In Asien ist es vor allem China, wo der von der Schweinefleischproduktion. Dagegen blieb die Fleischkonsum deutlich von 15 auf 53 Kilogramm zu- Produktion des Fleisches von Wiederkäuern wie Rin- nahm. Ganz anders ist die Entwicklung in Südasien, Abbildung 1: Weltweite Produktion von Fleisch, 1961-2007 1000 Geflügel 800 600 Schwein 400 Schaf/ Ziege 200 Rind 0 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 05 07 Index 1961 = 100 Quelle: FAO 2009 7
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 Abbildung 2: Weltweiter Fleischverbrauch 1962-2010 in Kilogramm pro Kopf 90 80 Industrieländer 70 60 50 Welt 40 Entwicklungsländer 30 20 Am wenigsten 10 entwickelte Länder 0 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2002 2004 2006 2008 2009 2010 Quelle: FranceAgriMer 2011 der Weltregion mit dem geringsten Fleischkonsum. In ländern nur gering ansteigen oder stagnieren werde, Indien etwa stagniert der Pro-Kopf-Konsum bei weniger gehe der Großteil des künftigen Nachfragezuwachses als vier Kilogramm pro Jahr. Der afrikanische Fleisch- auf das Konto von Entwicklungsländern. So prognostizie- verbrauch verharrt ebenfalls auf einem niedrigen Niveau ren OECD und FAO einen Zuwachs des globalen Fleisch- von weniger als 16 Kilogramm pro Kopf, während sich konsums um 60 Millionen Tonnen im Zeitraum 2011 bis der südamerikanische tendenziell dem hohen europä- 2020, der zu 78 Prozent in Entwicklungsländern erfolgen ischen Niveau angleicht (siehe Abbildung 3). werde. Der Milchverbrauch werde sich in dem gleichen Zeitraum um 153 Millionen Tonnen erhöhen, auch dies Noch ausgeprägter ist der weltweite Unterschied beim vornehmlich in Entwicklungsländern (OECD/FAO 2011). Milchverbrauch. Während Verbraucher in Industrie- staaten 233 Kilogramm Milchprodukte im Jahr 2010 Doch ob diese Szenarien eintreffen, ist mit erheblichen konsumierten, begnügten sich Konsumenten in Ent- Unsicherheiten behaftet. Viele Faktoren können die wicklungsländern mit 68 Kilogramm (FAO 2011). Euro- Nachfrage nach tierischen Nahrungsmitteln beeinflus- päer sind dabei mit Abstand die größten Milchverbrau- sen und gegebenenfalls auch eine dämpfende Wirkung cher. Obgleich sie nur zehn Prozent der Weltbevölke- entfalten: ein schwächeres Wirtschaftswachstum und rung stellen, konsumieren sie 30 Prozent der globalen geringere Einkommenszuwächse in Entwicklungslän- Milcherzeugung (IDF 2010). dern, eine verschärfte Konkurrenz um knappe Ressour- cen wie Wasser und Land, eine Verteuerung wichtiger Internationale Organisationen gehen in ihren Grund- Vorprodukte wie Futtermittel oder auch eine gesundheit- annahmen meist von einem weiteren Anstieg des Ver- lich motivierte stärkere Abkehr vom Fleisch- und Milch- brauchs tierischer Lebensmittel aus und begründen konsum in Industrieländern. Gerade eine fleischärmere dies mit dem weltweiten Bevölkerungswachstum sowie Ernährung wurde in den letzten Jahren in manchen In- Einkommenszuwächsen und veränderten Ernährungs- dustriestaaten populär. So zeigen jüngste Daten des US- gewohnheiten vor allem in großen Schwellenländern. Landwirtschaftsministeriums, dass es in den USA in Während der Konsum tierischer Produkte in Industrie- den letzten Jahren zu einem spürbaren Rückgang des 8
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie Abbildung 3: Fleischverbrauch in Kilogramm pro Kopf und pro Jahr 140 120 100 80 60 1980 40 20 2007 0 Welt USA EU Deutschland Südamerika Asien China Indien Afrika Quelle: FAOSTAT 2010 Fleischkonsums gekommen ist (USDA 2011a, 2012). Es lichen oder in Gemeinschaftsbesitz befindlichen Weiden wird geschätzt, dass US-Amerikaner im Jahr 2012 mehr (WISP 2008). Intensive Formen der Weidewirtschaft sind als 12 Prozent weniger Fleisch essen werden als noch im dagegen stärker in gemäßigten Zonen Europas, Nordame- Jahr 2007 (CME Group 2011). rikas und Teilen Südamerikas und Australiens verbrei- tet. Es handelt sich hier meist um Rinderherden für die 2.1 Vormarsch intensiver Haltungs- Fleisch- und Milchproduktion. Die Landwirte säen auf ih- formen ren Weiden häufig spezielle Futtergräser und ergänzen die Weidefütterung mit zugekauftem Kraftfutter. Neben der Nachfrage nach tierischen Produkten be- einflussen auch die tiefgreifenden Veränderungen der Integrierte Systeme Produktions- und Tierhaltungsformen den Bedarf nach In den gemischten oder integrierten Systemen ist die Tier- Futtermitteln. Die Produktionssysteme lassen sich grob haltung eng mit dem Ackerbau verknüpft. Die Höfe hal- in drei Kategorien mit je unterschiedlichen Fütterungs- ten oftmals mehrere Arten von Nutztieren, seien es Rin- formen einteilen (FAO 2009: 25ff). der, Schweine, Schafe, Ziegen oder Hühner. Neben Gras und Heu dienen Erntereste und Küchenabfälle als be- Weidewirtschaftliche Systeme deutsame lokal verfügbare Futterbestandteile. Die Futter- Extensive Formen der Weidewirtschaft finden sich vor rationen können daneben durch selbst angebautes oder allem in dünn besiedelten, meist für den Ackerbau unge- zugekauftes Getreide und anderes Kraftfutter ergänzt eigneten Trockengebieten der Erde, unter anderem in Afri- werden. Der Dung der Tiere wiederum dient zur Dün- ka und Asien. Mehr als 200 Millionen Pastoralisten betrei- gung der hofeigenen Felder. Dort wo die Mechanisierung ben hier extensive Viehwirtschaft, vielfach noch in noma- noch nicht Einzug hielt, kommt das Großvieh auch als discher Form. Ihre Herden, zumeist Wiederkäuer wie Rin- Zug- oder Lasttier zum Einsatz. Die integrierten Tierhal- der, Schafe, Ziegen, Lamas oder Kamele, spielen eine große tungssysteme haben sowohl in gemäßigten als auch tro- Rolle für die Ernährungssicherheit in diesen Gebieten. Da pischen Klimazonen eine weite Verbreitung und zeich- die Hirten sich stärker auf die Nutzung von Lebendvieh nen noch immer für einen großen Teil der weltweiten denn auf Schlachtvieh konzentrieren, liefern ihre Herden Produktion tierischer Lebensmittel verantwortlich. Die eine große Vielfalt von Produkten (neben Fleisch, Fellen FAO schätzt, dass über 80 Prozent der globalen Milcher- und Leder vor allem Milch, Wolle, Garn und Dung) (WISP zeugung, zwei Drittel des Rindfleisches und ein Drittel 2007). Die Tiere ernähren sich meist von den natürlich des Schweinefleisches aus verschiedenen Formen integ- vorkommenden Gräsern und Kräutern auf frei zugäng- rierter Tierhaltungssysteme stammen (FAO 2009: 26f.). 9
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 Intensive Tierhaltung Hinzu kommen hohe Emissionen von Treibhausgasen Anders als die weidewirtschaftlichen und integrierten wie Methan und Lachgas (Humane Society 2011). Da- Systeme hängen die intensiven Tierhaltungssysteme neben beschleunigt die internationale Verbreitung der stark vom Zukauf von Futtermitteln auf nationalen und Hochleistungsrassen die Verarmung der Nutztiervielfalt. internationalen Märkten ab. Die Betriebe halten oftmals Die damit einhergehende Verdrängung genügsamer, an nur eine einzige Nutztierart, die – in Ergänzung zum die lokalen Bedingungen angepasster Landrassen aber Grundfutter (etwa Gras oder Silagen) – mit nährstoffrei- gefährdet die Ernährungssicherheit vor allem in Ent- chem Kraftfutter versorgt wird, zumeist Getreide und wicklungsländern (CIWF 2009). Ölschrote. Eine große Zahl von Tieren wird auf geringer Fläche gehalten, oft in Stallanlagen und regional kon- Der wachsende Futtermittelbedarf geht zu großen Teilen zentriert. Spezielle Züchtungen von Hochleistungstieren auf die Verbreitung der Intensivtierhaltung zulasten der und optimierte Futtermischungen steigern die Fleisch- integrierten Systeme zurück. Während die Zahl der Vieh- und Milcherträge, während die Mechanisierung und betriebe schrumpft, nimmt ihre Größe und vor allem die ein geringer Personalaufwand die Kosten senken. Die ihrer Herden beständig zu. Mit dem Vormarsch dieser intensive Tierhaltung ist vor allem in Europa, Nordame- konzentrierten Produktionsweise löst sich die lokale Inte- rika und Teilen Asiens und Lateinamerikas anzutreffen. gration von Futterbereitstellung und Tierhaltung teilwei- se auf (FAO 2009: 29). Intensivbetriebe verringern ihre Die Intensivierung ist in der Geflügel- und Schweine- Abhängigkeit vom lokalen Futtermittelangebot, in dem haltung besonders weit fortgeschritten. 75 Prozent der sie auf überregional zugekauftes Futter umstellen, was weltweiten Geflügelproduktion, 68 Prozent der Eier- bei Hühnern und Schweinen leichter möglich ist als bei und über die Hälfte der Schweinefleischerzeugung er- Wiederkäuern, die auf lokal verfügbares Grünfutter wie folgen heutzutage in intensiver Tierhaltung (Smith et al. Gras, Silage oder Heu angewiesen sind. Da diese Sub- 2010, FAO 2009). Zwar sind diese Produktionsformen stanzen nicht von Menschen verzehrt werden und viel- in der Rinderhaltung nicht im gleichen Maße möglich, fach auch für Schweine und Geflügel unverdaulich sind, dennoch nimmt auch hier die Intensivierung zu. Starkes stehen Wiederkäuer auch in einer geringeren direkten Wachstum verzeichnen etwa sogenannte Feedlots, in Nahrungskonkurrenz zum Menschen. denen Tausende von Rindern in Außenanlagen auf en- gem Raum eingepfercht und mit großen Mengen an zu- Abbildung 4 zeigt die unterschiedliche Zusammenset- gekauftem Futter gemästet werden. Verbreitet sind die zung der Rationen von einerseits Rindern, Schafen und Feedlots in Nord- und Südamerika, China, Australien Ziegen sowie andererseits Schweinen und Geflügel. und Südafrika (Deblitz 2011). Während die Wiederkäuer weit höhere Mengen konsu- mieren, setzt sich ihr Futtermix zu großen Teilen aus Die Intensivierung steigert zwar die Produktivität von Weidegräsern und Ernteresten zusammen. Ein wich- Tieren und landwirtschaftlichen Flächen, doch geht sie tiger Teil der Gräser stammt dabei von Weideland, das auch mit höheren Risiken einher. Aufgrund der engen nicht ackerbaulich genutzt wird. Anders bei den Nicht- Haltung und der einseitig auf hohe Fleisch-, Milch- oder wiederkäuern: Sie konsumieren zwar insgesamt we- Eiererträge ausgerichteten Züchtung sind die Tiere sehr niger Futter, dafür stammt es nahezu vollständig vom krankheitsanfällig, was das Risiko von Epidemien er- Acker. Der Löwenanteil ihrer Futtermischung besteht höht und hohe Arzneimittelgaben erfordert. Der hohe aus Getreide; geringere Anteile entfallen auf Ölsaaten, Antibiotikaeinsatz führte bereits zur Resistenz von Wurzeln und Nebenprodukte der Agrarindustrie. Krankheitserregern bei Menschen und Tieren (Otte et al „Nichtwiederkäuer“, schlussfolgert ein Team um den 2007). Die beträchtlichen Mist- und Güllemengen, die Umweltforscher James Galloway, „verbrauchen große aufgrund der geringen Betriebsflächen andernorts ausge- Mengen Futtermittel, das auf Land angebaut wird, auf bracht werden, erhöhen in den betroffenen Regionen die dem Nahrungsmittel produziert werden könnten.“ (Gal- Nitratbelastungen von Grund- und Oberflächenwasser. loway et al. 2007: 622). 10
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie Abbildung 4: Futter für Wiederkäuer und Nichtwiederkäuer – Globaler Verbrauch in Millionen Tonnen 900 Futtergras/Weide (FgW) 800 700 Erntereste (E) 600 Getreide (G) 500 Ölsaaten (Ös) 400 300 Wurzeln, Knollen (W-K) 200 Futtergras/Acker (FgA) 100 Nebenprodukte (NP) 0 FgW E G Ös FgA NP G Ös W-K NP Wiederkäuer: Nichtwiederkäuer: Rinder, Schafe, Ziegen Schweine, Geflügel Quelle: Galloway et al. 2007 Ein weiterer Faktor, der den Futtermittelkonsum kräftig früchte zunehmend auch aus Übersee einzuführen. Die stimulierte, waren die über drei Jahrzehnte sehr nied- lange Depression der Agrarpreise wurde erst 2007/08 rigen Weltmarktpreise für Getreide und Ölsaaten. Seit durch einen deutlichen Aufwärtstrend abgelöst. Hält die dem markanten Preissprung vom Anfang der 1970er Jahre gegenwärtige Trendumkehr bei den Rohstoffpreisen an, bewegten sich die Weizen-, Mais- und Sojabohnenpreise könnte dies allerdings künftig auch die Viehhaltung be- auf einem sehr niedrigen Niveau (siehe Abbildung 5). einflussen. „Der jüngste Anstieg der Getreide- und Ener- Hinzu kamen niedrige Energie- und Transportkosten, giepreise könnte das Ende der Ära billiger Inputs signali- die es europäischen Tierbetrieben ermöglichten, Futter- sieren“, meint etwa die FAO (2009: 15). Abbildung 5: Reale Preise von Weizen, Mais, Reis und Soja, 1960-2010, deflationiert, US-Dollar/Tonne 1400 1200 1000 800 600 Reis 400 Sojabohnen 200 Weizen Mais 0 1960 1963 1966 1969 1972 1975 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 Quelle: Sarris 2010 11
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 BOX 1: Typische Futterrationen: Welches Tier frisst was? Die Zusammensetzung des Futters der Nutztiere variiert erheblich in Abhängigkeit von den Tierarten, Regionen, Zuchtphasen und Produktionssystemen. Nachfolgend werden einige Beispiele für mögliche Futterrationen in der konventionellen Tierhaltung vorgestellt, wie sie in Deutschland anzutreffen sind. Rinder Tabelle 1: Futterration in der Bullenmast In der Rindermast spielt Grundfutter in Form von (Beispiel) Gras, Heu, Gras- oder Maissilage eine wichtige Rolle. Grassilage 23,6% Bis zu zwei Drittel des Rinderfutters kann aus Gras- Maissilage 49,5% oder Maissilage bestehen, die durch Vergärung der Gerste 5,4% ganzen Pflanzen gewonnen wird. Darauf aufbauend Weizen 4,3% wird meist Kraftfutter beigegeben, das aus Soja- und Körnermais 4,4% Rapsschrot, Gerste, Weizen, Körnermais und Tro- Sojaschrot 10,9% ckenschnitzeln bestehen kann. Ergänzend kommen Mineralfutter 1,9% vielfach Mineralfutter hinzu (Tabelle 1). Quelle: Ettle 2011 Schweine Tabelle 2: Futterration für Mastschweine Hauptbestandteil des Grundfutters von Schweinen (Beispiel) ist mit 60 bis 70 Prozent Getreide, vor allem aus Mais 30% Mais (Körnermais oder Corn-Cob-Mix, eine Sila- Weizen 17% ge gehäckselter Maiskolben). Soja- und Rapsschrot Gerste 20% sind die wichtigsten Eiweißkomponenten in der Sojaschrot 17% Schweinemast. Ergänzungsstoffe dienen der Anrei- Rapsschrot 5% cherung mit Vitaminen und Mineralien (Tabelle 2). Weizenkleie 5% Futterfett 2% Mineralstoffe/Vitamine 3,5% Aminosäuren 0,5% Quelle: Windisch 2010 Hühner Tabelle 3: Futterration für Masthähnchen In der intensiven Geflügelmast wird nahezu aus- (Beispiel) schließlich zugekauftes, sehr energiereiches Allein- Weizen 40% futter verwendet. Wie in der Schweinemast entfal- Sojaschrot 30% len die größten Anteile des Hühnerfutters auf Ge- Gerste 10% treide. Für die Proteinversorgung kommen hohe Mais 7% Mengen Sojaschrot hinzu. Spezielle Vormischun- Erbsen 5% gen liefern Vitamine und Mineralstoffe (Tabelle 3). Pflanzenöl 4% Vitamine/Mineralstoffe 4% Quelle: Infodienst Landwirtschaft 2011 12
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie 2.2 Trog oder Teller: Verfütterung ten sind die Ölschrote mit 15 Prozent sowie Wurzelge- von Getreide wächse und Kleien (siehe Abbildung 7, S. 14). Der wachsende Fleisch- und Milchkonsum sowie die Große Anteile der Getreideernten, sei es Weizen, Ger- Industrialisierung der Tierhaltung vor allem in der Ge- ste, Hafer, Roggen oder Mais, landen heute in den Fut- flügel- und Schweineproduktion ließen den weltweiten tertrögen. Weltweit wurden 2010 über 34 Prozent der Futtermittelverbrauch explodieren. In den vergangenen Getreideernten verfüttert und 48 Prozent direkt zu Le- 50 Jahren hat sich der Verbrauch von energie- und pro- bensmitteln verarbeitet. In Industriestaaten aber mit ih- teinreichem Kraftfutter, sei es Einzelfutter wie Getreide rem überproportional hohen Verbrauch an Fleisch- und und Ölschrote oder Mischfutter, mehr als verdreifacht. Milchprodukten liegt der verfütterte Anteil weit höher. Überproportionale Wachstumsraten verzeichnete da- In der Europäischen Union dient rund 62 Prozent der bei der Futtermittelkonsum für Schweine, Legehennen Getreideernte als Tierfutter und nur 24 Prozent der und Masthähnchen. Die FAO schätzt, dass sich dieses menschlichen Ernährung. Auch Deutschland verfüttert Wachstum nahezu unverändert fortsetzt (siehe Abbil- über 61 Prozent seines verfügbaren Getreides an Nutz- dung 6). tiere (siehe Tabelle 4). Zwar erhöhten auch Schwellenländer, allen voran Chi- Tabelle 4: Futteranteile (FA) an Getreideverbrauch na, in den letzten Jahren ihren Futtermittelverbrauch, (2009/10) doch führen noch immer Industriestaaten die Hitliste Gesamtverbrauch FA FA der Großverbraucher an. Von den 1,2 Milliarden Tonnen Mio. t Mio. t in % Kraftfutter, die 2005 verfüttert wurden, entfielen über Weltweit 2.232,9 766,8 34,3 die Hälfte auf Industrieländer, obgleich sie nur 18 Pro- EU-27 275,7 171,9 62,4 zent der Weltbevölkerung stellen. Südasien und Afrika Deutschland 43 26,4 61,4 hingegen verbrauchten jeweils weniger als 50 Millionen Quellen: FAO 2011, LfL 2011 Tonnen (FAO 2009: 29). Anders stellt sich die Relation in Entwicklungsländern Im weltweiten Durchschnitt besteht Kraftfutter zu rund dar: Hier wird meist mehr als Dreiviertel des Getrei- 57 Prozent aus Getreide. Weitere wichtige Komponen- des für die menschliche Ernährung genutzt, und nur Abbildung 6: Weltweiter Kraftfutterverbrauch, Schätzung, 1960-2020, in Millionen Tonnen 1400 Masthähnchen 1200 Legehennen 1000 Schweine 800 Rinder 600 Andere 400 200 0 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Quelle: Speedy 2004 13
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 Abbildung 7: Aufteilung globaler Kraftfutterverbrauch nach Gewicht, 1996-2005 Getreide 57% Ölschrote Wurzeln Kleie Zuckerpflanzen Hülsenfrüchte (1%) Ölpflanzen (1%) 2% Molassen (1%) Andere 15% 2% 10% 11% Quelle: Mekonnen/Hoekstra 2010 ein untergeordneter Teil landet im Futtertrog (LfL 2011). arden Hektar als Weideland genutzt, letztere noch viel- In Subsahara-Afrika und Indien, wo die Ernährung der fach für großflächige extensive Viehwirtschaft. Neben Nutztiere noch hauptsächlich aus Weidegräsern, Ernte- dem Weideland entfällt ein Drittel des globalen Acker- resten und Abfällen besteht, dient nur weniger als 10 landes auf den Anbau von Futtermitteln, sodass insge- Prozent des Getreides als Tiernahrung (IMWI 2007: samt 80 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen 95). Nutzfläche der Viehwirtschaft dient (FAO 2006, Smith et al. 2010). Auch große Teile der Ölpflanzen enden im tierischen Magen, vor allem die Ölschrote, die nach dem Heraus- Der große Flächenbedarf für Tierfutter verweist auf die pressen des Pflanzenöls als Verarbeitungsrückstände zu- hohe Ineffizienz der Verfütterung von pflanzlichem Ma- rückbleiben. Sie werden daher auch Kuppelprodukte ge- terial zur Erzeugung von Fleisch- und Milchprodukten. nannt. Mit einem Anteil von rund 70 Prozent ist die So- Bei der Umwandlung zu tierischen Produkten geht ein jabohne die wichtigste Ölpflanze für die Tierernährung, Großteil der in den pflanzlichen Lebensmitteln enthal- gefolgt von Raps, Baumwollsamen und Sonnenblumen- tenen Energie und Proteine verloren, da die Tiere die kernen. Rund 75 Prozent der weltweiten Sojabohnen- pflanzliche Energie für den eigenen Stoffwechsel ver- ernte dienen als Tierfutter (Aiking 2011). brauchen. Der kanadische Umweltwissenschaftler Vaclav Smil berechnete diese sogenannten „Veredelungs- 2.3 Tierische Ernährung: Ineffizient verluste“ der Fleischproduktion auf Grundlage langfri- und flächenintensiv stiger Daten des US-amerikanischen Landwirtschaftsmi- nisteriums (siehe Tabelle 5). Das Wachstum der globalen Nutztierherden zieht einen enormen Flächenbedarf für die Fütterung nach sich. Die So finden sich etwa bei der Hühnerfleischerzeugung nur weltweit verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche be- 11 Prozent der pflanzlichen Energie und 20 Prozent der trägt derzeit knapp 5 Milliarden Hektar. Davon werden Proteine, die im Hühnerfutter enthalten sind, im End- rund 1,5 Milliarden Hektar als Ackerland und 3,5 Milli- produkt wieder. Noch weit schlechter sind diese Werte 14
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie für die Schweine- und Rindfleischerzeugung. Das Rind- Tabelle 6: Flächenbedarf für Lebensmittel bezo- fleisch enthält sogar nur drei Prozent der pflanzlichen gen auf einen Energiegehalt von 1.000 kcal, Bun- Energie, die von den Rindern einst mit den Futterrati- desstaat New York (USA), Flächenangaben in m2 onen aufgenommen wurden. Umgekehrt heißt dies, dass Acker Grünland Gesamt bei der Hühnerfleischproduktion 89 Prozent der einge- Tierische Lebensmittel setzten Pflanzenenergie verloren gehen, bei Schweine- Rindfleisch 5,3 25,9 31,2 und Rindfleisch 91 bzw. 97 Prozent. Der Protein- Hähnchenfleisch 9,0 0,0 9,0 schwund bewegt sich zwischen 80 und 96 Prozent. Schweinefleisch 7,3 0,0 7,3 „Das typische Ergebnis der Fleischproduktion ist folglich Eier 6,0 0,0 6,0 äußerst verschwenderisch“, resümiert Vaclav Smil (Smil Pflanzliche Lebensmittel 2002: 308f.). Ölsaaten 3,2 0,0 3,2 Obst 0,0 2,3 2,3 Tabelle 5: Energie- und Proteinverluste bei der Hülsenfrüchte 2,2 0,0 2,2 Fleischproduktion, Umwandlungseffizienz in Gemüse 1,7 0,0 1,7 Prozent Getreide 1,1 0,0 1,1 Huhn Schwein Rind Zucker 0,6 0,0 0,6 Energieumwandlung 11 9 3 Quelle: Peters et al. 2007 Proteinumwandlung 20 10 4 Quelle: Smil 2002 Untersuchungen in Europa verglichen den Landbedarf tierischer und pflanzlicher Lebensmittel bezogen auf das Der niederländische Agrarforscher Harry Aiking schätzt, Produktgewicht (siehe Tabelle 7). Die Herstellung eines dass nur 15 Prozent der Energie und Proteine von Fut- Kilogramms Schweinefleisch in den Niederlanden oder terpflanzen letztlich vom Menschen in Form tierischer Deutschland erfordert demnach ungefähr die fünffache Lebensmittel verzehrt werden. 85 Prozent hingegen Fläche im Vergleich zu einem Kilogramm Getreide. werden verschwendet (Aiking 2011). Die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch belegt in Deutschland gar das Neunfache der Fläche, die für ein Die relative Ineffizienz tierbasierter gegenüber pflanz- Kilogramm Getreide erforderlich wäre (Gerbens-Leenes/ licher Ernährung lässt sich auch daran abmessen, wie Nonhebel 2002, Bringezu et al. 2008: 49f.). viel Agrarland erforderlich ist, um eine gegebene Menge an Nahrungsmitteln zu erzeugen. Dabei ist jedoch zu Tabelle 7: Spezifischer Flächenbedarf für Lebens- berücksichtigen, dass der Flächenbedarf verschiedener mittel bezogen auf Gewicht, in m² pro Kilogramm Kulturen in Abhängigkeit von den Hektarerträgen und Niederlande Deutschland den lokalen Anbaubedingungen (Klima, Bodenfrucht- Tierische Lebensmittel barkeit, Produktionsweise) stark variiert. Rindfleisch 20,9 15,28 Schweinefleisch 8,9 8,23 Für den US-amerikanischen Bundesstaat New York State Hühnerfleisch - 4,49 berechnete ein Team um den Bodenforscher Christian Eier 3,5 3,89 1 Peters den Flächenbedarf unterschiedlicher Lebensmit- Milch 1,2 1,99 tel bezogen auf deren Energiegehalt (siehe Tabelle 6). Pflanzliche Lebensmittel Um 1000 Kilokalorien Rindfleisch herzustellen, bedarf Getreide 1,4 1,73 2 es aufgrund der dazu nötigen Futtermittel in diesem Obst 0,5 0,36 Anbaugebiet einer Fläche von 31,2 Quadratmetern. Um Gemüse 0,3 0,36 die gleiche Energiemenge in Form von Getreide zu pro- Kartoffeln 0,2 0,31 duzieren, sind hier nur 1,1 Quadratmeter Agrarfläche Quellen: Gerbens-Leenes/Nonhebel 2002, erforderlich (Peters et al. 2007). Bringezu et al. 2008 15
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 2.4 Vertikale Integration in der rungsmittelkonzern Charoen Pokphand verwendet be- Futtermittelindustrie trächtliche Teile seines selbst erzeugten Mischfutters in den eigenen Hühner-, Hähnchen- und Schweineställen.4 Die Futtermittelindustrie ist durch eine zunehmende All diese Unternehmen integrieren Futtermittelproduk- vertikale Integration entlang der landwirtschaftlichen tion, Tiermast, Schlachtung und Fleischverarbeitung im Wertschöpfungskette geprägt. Die größten Futtermittel- eigenen Konzernverbund (Best 2011). hersteller beschränken sich nicht nur auf die Futterpro- duktion, sondern integrieren auch den internationalen Tabelle 8: Größte Mischfutterhersteller 2010 Handel mit den wichtigsten Rohstoffen, seien es Getrei- 25-10 Millionen Tonnen pro Jahr de, Ölpflanzen oder Mineralstoffe. So finden sich in der 1 Charoen Pokphand Thailand Liste der größten Mischfutterhersteller der Welt (siehe 2 Cargill USA Tabelle 8) zugleich einige der wichtigsten Getreidehänd- 3 New Hope Group China ler, etwa Cargill, ADM (Archer Daniels Midland) oder 4 Brasil Foods Brasilien die chinesische COFCO (China National Cereals, Oils 5 Land O’Lakes Purina USA and Foodstuffs Corporation). 6 Tyson Foods USA Diese Unternehmen besitzen ein weltweites Netz von 10-5 Millionen Tonnen pro Jahr Lagerhäusern, Getreidemühlen, Hafenanlagen und 7 Nutreco Niederlande Frachtflotten. So betreiben die US-Unternehmen Cargill 8 COFCO China und ADM einerseits eigene Silos und Umschlagsanlagen 9 East Hope Group China in den großen Sojaanbauzentren Argentiniens und Bra- 10 Zen-noh Co-operative Japan siliens, anderseits Getreidespeicher und Ölmühlen in 11 Guangdong Wen’s Group China Deutschland. ADM etwa besitzt einen 80-Prozent-Anteil 12 Hunan Tangrenshan Group China an dem Hamburger Getreidehändler Alfred C. Toepfer 13 Tongwei China International, der Filialen u.a. in China und Argentinien unterhält.3 5-2,5 Millionen Tonnen pro Jahr 14 AB Agri Großbritannien Viele der Mischfutterfabrikanten gehören zudem zu 15 Agrifirm Feed Niederlande den größten Viehhaltern und Fleischerzeugern, darun- 16 DLG Dänemark ter Tyson, Cargill, Smithfield, Brasil Foods und Cha- 17 Glon Frankreich roen Pokphand. Das US-Unternehmen Tyson Foods ist 18 Smithfield Foods USA der zweitgrößte Fleischerzeuger der Welt und betreibt 19 DaChan/East Asia Group China eigene Hühner- und Schweinefarmen. Cargill unterhält 20 De Heus Niederlande Feedlots für die Rindermast und seine eigenen Schlacht- 21 ADM Alliance Nutrition USA häuser. Smithfield Foods gehört zu den bedeutendsten 22 Agravis Raiffeisen Deutschland Schweinemästern und expandiert nun auch in Euro- Quelle: Best 2011 pa. Brasil Foods ist das zweitgrößte brasilianische Le- bensmittelunternehmen und produziert Hühner- und Die Liste der größten Mischfuttererzeuger ist daneben Schweinefleisch. Auch der größte thailändische Nah- Ausdruck des zunehmenden Konsums tierischer Nah- 1 Für die Niederlande: Vollmilch. Für Deutschland: 1 Liter Kuhmilch. Umrechnungsfaktor von Litern in Kilogramm bei Milch: 1 Liter Milch entspricht 1,02 Kilogramm Milch. 2 Für Deutschland: Äpfel. 3 Siehe Webseiten: www.cargill.de; www.adm.com; www.acti.de 4 Siehe: www.tyson.com; www.cargill.com; www.smithfieldfoods.com, www.brasilfoods.com; www.cpthailand.com 16
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie rungsmittel in den Schwellenländern. Vor allem in der großen Zahl chinesischer Futterproduzenten spiegelt sich der wachsende Fleischkonsum der kaufkräftigeren Mittelschichten in China und anderen Entwicklungs- regionen wider. Auch die Fleischproduktion überlassen Unternehmen der Schwellenländer nicht mehr ihren Konkurrenten aus Europa oder den USA. Einige von ih- nen verwandeln sich durch Fusionen und Übernahmen zu transnationalen Konzernen, wie etwa das brasilia- nische Unternehmen JBS, das mittlerweile zum größten Fleischerzeuger der Welt aufstieg (Mulder 2011, GRAIN 2010). 17
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 3 Deutschland und EU: Importe Tabelle 9: Selbstversorgungsgrad bei Fleisch- und für die Überproduktion Milchprodukten in Deutschland 2010, in Prozent Fleisch und Fleischerzeugnisse Rind- und Kalbfleisch 118 3.1 Futtermittelbedarf in Schweinefleisch 110 Deutschland Geflügelfleisch 101 Innereien 953 Die Fleischerzeugung in Deutschland hat sich in den Fleisch insgesamt 114 vergangenen 50 Jahren annähernd verdoppelt. Wurden Milch und Milcherzeugnisse Anfang der 1960er Jahre noch 4,2 Millionen Tonnen Frischmilcherzeugnisse 124 Fleisch (gemessen in Schlachtgewicht) produziert, stei- Sahneerzeugnisse 120 gerte sich diese Menge bis 2010 auf 8 Millionen Tonnen. Kondensmilcherzeugnisse 191 Der Löwenanteil des deutschen Fleischkonsums ent- Vollmilchpulver 143 fällt mit 61 Prozent auf Schweinefleisch. Geflügelfleisch Magermilchpulver 222 macht 21 Prozent aus, und Rindfleisch rund 14 Prozent Käse 123 (siehe Abbildung 8). Quelle: BMELV/BLE 2011 Abbildung 8: Fleischverbrauch in Deutschland Die wichtigsten Getreidesorten, die in Deutschland ver- pro Kopf füttert werden, sind Weizen, Mais und Gerste. Weizen 3% dominiert die Futterrationen mit über 11 Millionen Ton- nen (gemessen in Getreideeinheiten). Sojaschrot ist die 14% wichtigste proteinreiche Ölsaat, die in Deutschland in einer Menge von über 4,2 Millionen Tonnen verfüttert wird. Mit deutlichem Abstand folgt Rapsschrot mit et- 61% was über 2 Millionen Tonnen (siehe Abbildung 9). 21% Abbildung 9: Futtermittelaufkommen in Deutschland Getreide und Ölsaaten, in 1.000 Tonnen, 2008/09 Palmkernschrot Schwein ügel Gefl Rind ! Schaf/Ziege (1%) Sonstiges Rapsschrot Quelle: BMELV 2010 Sojaschrot Die Herstellungsmengen tierischer Erzeugnisse liegen Hafer vielfach weit über dem internen Bedarf, sodass große Roggen Anteile ins Ausland exportiert werden. Überaus hoch ist der deutsche Selbstversorgungsgrad etwa bei Rind- und Gerste Schweinefleisch (118 bzw. 110 Prozent) sowie bei Kon- densmilch (191 Prozent) und Magermilchpulver (222 Mais Prozent). Den mit Abstand größten Selbstversorgungs- Weizen grad indes weisen Innereien auf, deren Produktion den 0 2. 000 4. 000 6. 000 8. 000 10. 000 12. 000 14. 000 internen Bedarf um mehr als das Neunfache übersteigt (siehe Tabelle 9). Quelle: BLE 2011 18
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie Doch genügen die in Deutschland produzierten Men- den. Den EU-weiten Selbstversorgungsgrad für Fleisch gen an Futtermitteln nicht, um den hohen Eigenbe- gibt die Kommission mit 107,4 Prozent im Jahr 2009 an. darf zu decken, was zu beträchtlichen Importen führt. Besonders hoch ist die Überproduktion bei Schweine- Das Defizit ist dabei besonders hoch bei den protein- fleisch, die sich im EU-Durchschnitt in einem Selbstver- reichen Ölsaaten, vor allem Soja; doch auch bei ver- sorgungsgrad von 108,8 Prozent niederschlägt. Bei tie- schiedenen Getreidesorten ist die Eigenproduktion rischen Innereien beläuft sich der Selbstversorgungsgrad unzureichend. Deutschland muss 100 Prozent seines gar auf 164 Prozent (European Commission 2010). Sojabedarfs, knapp 30 Prozent seines Futterweizens, 23 Prozent des Rapses und über 17 Prozent des Fut- Entsprechend hoch sind die europäischen Exporte. termaises importieren. Die größten Importmengen Rund 8,3 Prozent des Schweinefleisches, und 9,7 Pro- entfallen dabei auf Sojabohnen sowie das nach dem zent des Hühnerfleisches wurden 2010 außerhalb der Auspressen des Sojaöls als Rückstand entstehende So- EU verkauft. Ebenfalls sehr hoch liegen die Margen bei jaschrot (siehe Tabelle 10). Milcherzeugnissen wie Käse oder Magermilchpulver. 7,6 Prozent der Käseproduktion und 42 Prozent des Ma- Tabelle 10: Futtermittelimporte in Deutschland, germilchpulvers verkauften EU-Erzeuger 2010 auf den 2008/09 Weltmarkt (eigene Berechnung nach: European Com- in 1000 Anteil der mission 2011). Tonnen Importe an GE Gesamtaufkommen Doch in vielen Entwicklungsländern verloren bereits Getreide zahlreiche Produzenten ihre Existenzgrundlage auf- Weizen 3.352 29,7 % grund der europäischen Exporte tierischer Lebensmit- Mais 1.263 17,4 % tel, die ohne die Verwendung billiger Futtermittel nicht Gerste 379 6,3 % möglich wären. Hinzu kommt, dass die Exporteure von Roggen 186 10,0 % erheblichen Subventionen profitieren, vor allem Direkt- Futterreis 2 100,0 % zahlungen und – wenn auch in abnehmendem Maße Hafer 42 8,2 % – Exportsubventionen (Berthelot 2011). So werden etwa Getreide insgesamt 5.224 19,4 % zwei Drittel der EU-Exporte von Milchprodukten in Ent- Ölsaaten wicklungsländern verkauft, ein Viertel davon in Afrika Sojabohnen & (Oxfam 2009, Boulanger 2009). In westafrikanischen 4.242 100,0 % Sojaschrot Ländern wie Kamerun, Burkina Faso oder Ghana ha- Raps5 1.873 22,9 % ben tausende kleinere Milchviehbetriebe keine Chan- Palmkernschrot 335 100,0 % ce, ihre Rohmilch an Molkereien zu verkaufen, da diese Sonnenblumenschrot 138 90,8 % das weit billigere Milchpulver aus der EU zur Erzeugung GE=Getreideeinheiten; Quelle: BLE 2011 von Milch oder Joghurt verwenden (Brot für die Welt/ EED 2009). 3.2 EU: Vom Überschuss zum Dumping Zwar geht nur ein kleiner Teil der EU-Schweinefleisch- exporte nach Afrika (die hauptsächlichen Absatzmärkte Auch in der Europäischen Union liegen die Herstellungs- liegen in Russland, Japan, Südkorea und China), doch mengen tierischer Erzeugnisse vielfach über dem internen genügen bereits kleine Mengen, um erhebliche Verdrän- Bedarf, sodass große Anteile ins Ausland exportiert wer- gungseffekte auf den lokalen Märkten auszulösen (USDA 5 Angaben für Raps nach AMI (2011) und UFOP (2010). Die deutsche Rapsernte belief sich 2009 demnach auf 6,3 Millionen Tonnen, die Importe betrugen 1,873 Millionen Tonnen. 19
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 2011b). Gegen die EU-Schweinefleischexporte nach Sub- teur von Sojaschrot und zum zweitgrößten Importeur sahara-Afrika, die sich in der Vergangenheit massiv er- von Sojabohnen nach China. Im Jahr 2010 importierte höhten, können etwa die Schweinemäster in Kamerun die EU 23 Millionen Tonnen Sojamehl und 13,4 Milli- oder Angola kaum konkurrieren, da die Preise der Im- onen Tonnen Sojabohnen. Größter Sojabohnenlieferant portwaren deutlich unter denen des lokalen Frisch- für die EU ist Brasilien, gefolgt von den USA und Para- fleisches liegen, teils um mehr als die Hälfte (APRODEV/ guay. Sojamehl hingegen stammt überwiegend aus Ar- EED/ICCO 2008, EED 2011). gentinien und Brasilien (siehe Abbildungen 10 und 11). Auch kleine Hühnermäster werden in Afrika vom Markt Abbildung 10: EU-27: Herkunft Sojabohnen 2010 gedrängt, dies dank der Importschwemmen von gefro- in Millionen Tonnen renen Geflügelteilen, die ebenfalls mehrheitlich aus 2% (0,2 Mio.t) 2% (0,2 Mio.t) der EU stammen. Nachdem viele lokale Hühnermäster, 4% (0,5 Mio.t) Markthändler und Schlachter Marktanteile verloren oder ganz aufgeben mussten, verhängten einige Länder 9% Importbeschränkungen, etwa Nigeria, Kamerun und (1,2 Mio.t) Senegal (EED/ACDIC 2010). Andere Länder wie Ghana 45% und Benin jedoch blieben offen für die EU-Exporte. Be- (6 Mio. t) 17% nin ist heute der Hauptempfänger europäischer Geflü- (2,3 Mio. t) gelexporte nach Afrika, von wo aus das Fleisch in die Nachbarländer, vor allem nach Nigeria, geschmuggelt 21% wird (EED 2011). Im Jahr 2011 war Benin, nach Saudi- (2,8 Mio. t) Arabien und Hongkong, der drittgrößte Absatzmarkt für EU-Geflügelexporte (USDA 2011c). 3 Brasilien 4 # USA 1)5 Paraguay Kanada 4)5 Uruguay #) Argentinien # Andere 3.3 Das europäische Proteindefizit Quelle: Product Board MVO, ISTA Mielke, 2011 Ähnlich wie Deutschland ist die gesamte Europäische Union in starkem Maße von Futtermittelimporten ab- Abbildung 11: EU-27: Herkunft Sojaschrot 2010 in hängig. Futtermittel machen in der EU zwei Drittel al- Millionen Tonnen ler Agrarimporte aus (gemessen in Tonnen). Der Großteil davon – rund 52 Prozent – entfällt auf Soja (Reichert/ ) Reichardt 2011). Die Sojaimporte sind Ausweis des be- io. t M sonders ausgeprägten europäischen Defizits bei protein- (1,1 reichem Futter, sei dies pflanzlicher oder tierischer 5% Herkunft. Sojaschrot ist mit 68 Prozent die wichtigste Quelle für Protein, gefolgt von Rapsextraktionsschrot 51% (11,7 Mio. t) 42% mit rund 15 Prozent. Lokal verfügbare Proteinpflanzen (9,7 Mio. t) wie die Hülsenfrüchte tragen nur mit etwa zwei Pro- zent zum EU-weiten Proteinbedarf bei. Der Selbstversor- gungsgrad mit Soja liegt bei mageren zwei Prozent, d.h. 98 Prozent müssen für das europäische Vieh importiert werden (FEFAC 2011). Argentinien %) Brasilien 2 USA 3 % Andere % Aufgrund des ausgeprägten europäischen Proteindefizits entwickelte sich die EU weltweit zum größten Impor- Quelle: Product Board MVO, ISTA Mielke, 2011 20
ANALYSE 34 Futtermittel I Studie Die Gründe für das hohe europäische Proteindefizit rei- 3.4 Land als Handelsgut: Virtuelle chen in die frühen 1960er Jahre zurück, als die dama- Importe lige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ihre Gemeinsame Agrarpolitik schuf und hohe Zölle auf Ge- Die hohen Futtermittelimporte tragen ganz wesentlich treideimporte verhängte, um die interne Produktion zu dazu bei, dass europäische Verbraucher weit mehr Agrar- stützen. Die USA jedoch setzten sich erfolgreich dafür land nutzen als in der Europäischen Union überhaupt ein, ihre Absatzmärkte in der EWG zu verteidigen. Im verfügbar ist, sodass die Agrarimporte in gewisser Wei- Rahmen der Verhandlungen des Allgemeinen Zoll- und se einen virtuellen Handel mit Land darstellen. In einer Handelsabkommens GATT (General Agreement on Ta- Studie für das Umweltbundesamt (UBA) untersuchten riffs and Trade) verlangten die USA von der EWG freien das Wuppertal-Institut, das IFEU und das Fraunhofer In- Marktzugang für Sojabohnen und andere Ölsaaten als stitut die für den inländischen Konsum von Agrarpro- Gegenleistung für ihre Zustimmung zu den hohen euro- dukten in Deutschland global belegte Fläche, d.h. die päischen Importzöllen auf Getreide. In der Dillon-Run- inländische Nutzfläche zuzüglich der Fläche, die durch de des GATT (1960-61) stimmten die EWG-Regierungen den Außenhandel mit Agrarprodukten im Ausland be- diesem Deal zu und gewährten Zollfreiheit für Sojaboh- legt wird (Bringezu et al. 2009). nen, Ölschrote und weitere Proteinpflanzen. Bezogen auf den Außenhandel berücksichtigten die For- In späteren Handelsrunden versuchte die Europäische scher lediglich den Landbedarf, der durch den Nettohan- Kommission dieses Zugeständnis zu modifizieren, was del entsteht, d.h. durch den Saldo aus den europäischen jedoch stets misslang. Die Folge dieser weitreichenden Im- und Exporten. Demnach belegen deutsche Konsu- Entscheidung: Europäische Futtermittelhersteller ersetz- menten weltweit 0,25 Hektar Land pro Kopf, wovon net- ten zunehmend heimische Proteinpflanzen mit billigen to (d.h. unter Abzug deutscher Exporte) ein Fünftel im Sojaimporten aus den USA, und in späteren Jahren aus Ausland liegt (0,05 Hektar). Die Studienautoren schät- Südamerika (Ingersent 1990, CTA 2008). zen, dass 61 Prozent der Pro-Kopf-Fläche deutscher Ver- braucher für tierische Ernährung verwendet wird (siehe Auch in der Uruguay-Runde des GATT (1986-1994), Abbildung 12). die zur Gründung der Welthandelsorganisation WTO führte, wurden dem heimischen Anbau von Protein- Abbildung 12: Verwendung der globalen Flächen- pflanzen Hindernisse in den Weg gelegt. Im sogenann- belegung ten Blair-House-Abkommen (1992), mit dem ein wich- nachwachsende Rohstoffe (stoffl ich): 4% tiger Durchbruch in der Uruguay-Runde gelang, einigte nachwachsende Rohstoffe (energetisch): 3% sich die EU mit den USA darauf, die Fläche und die Men- gen des Anbaus subventionierter Ölsaaten zu begrenzen sowie Zollfreiheit für Ölsaaten und Proteinfutter in der EU zu gewähren. Mit dem Inkrafttreten der WTO-Verträge 1995 nahmen Pflanzlich basierte die Sojaimporte in Deutschland und der EU auch wieder Tierisch basierte Ernährung Ernährung 32% stärker zu. Einen weiteren Schub erfuhren sie schließlich 61% nach der BSE-Krise („Rinderwahnsinn“) und dem darauf- hin in der EU verhängten Verfütterungsverbot von Tier- mehl. Um die Millionen Tonnen an proteinreichem Tier- und Knochenmehl zu ersetzen, die bis dahin in der Tier- fütterung verwendet wurden, erhöhte die Futterwirt- schaft abermals erheblich die Importe von Sojaschrot. Quelle: Bringezu et al. 2009 21
Futtermittel I Studie ANALYSE 34 Die Agrarforscher Harald von Witzke und Steffen No- Sojaschrot im Ausland belegt hat (siehe Tabelle 11). Diese leppa berechneten den virtuellen Landhandel der Euro- Fläche entspricht ungefähr dem Gebiet von England und päischen Union differenziert nach verschiedenen Agrar- Schottland zusammen. Da die EU auch einen kleinen gütern. Auch sie schätzten dabei den Nettohandel ab, der Teil der Soja wieder exportiert, weist ihr Nettolandhan- durch den Saldo der europäischen Im- und Exporte von del mit Soja ein Defizit von über 17 Millionen Hektar Agrarprodukten entsteht. Deutlich wird bei ihrer Unter- aus. Der virtuelle Landhandel, der mit allen Futtermit- suchung, dass die europäischen Sojaimporte den mit Ab- telimporten einhergeht, ist indes noch größer, da neben stand größten Anteil am virtuellen Landhandel haben, Soja noch weitere Ölsaaten (etwa Raps) sowie verschie- der mit den Importen von Agrarprodukten einhergeht. dene Getreidearten (Weizen, Gerste, Mais etc.) in die EU Auf über 19 Millionen Hektar beläuft sich die Fläche, die zu Fütterungszwecken importiert werden (von Witzke/ die EU 2007/08 durch den Import von Sojabohnen oder Noleppa 2010). Tabelle 11: Virtuelle Landimporte der EU 2007/2008, in Millionen Hektar Landexporte Landimporte Netto-Landhandel Zucker 0,15 0,44 -0,29 Reis 0,04 0,53 -0,49 Andere 0,31 0,54 -0,23 Gemüse 0,22 0,56 -0,35 Grobgetreide 2,92 1,40 1,52 Mais 0,56 2,48 -1,92 Weizen 3,28 2,57 0,71 Palmfrüchte 0,05 2,61 -2,56 Obst 0,95 3,31 -2,36 Kaffee, Kakao, Tee 0,44 6,72 -6,28 Andere Ölsaaten 3,47 8,59 -5,12 Soja 1,71 19,24 -17,53 Gesamt 14,10 48,99 -34,90 Quelle: von Witzke/Noleppa 2010 22
Sie können auch lesen