Die Präsidenten von 1914 bis 2014 - DGVS

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Tagungen der DGVS. Die Präsidenten von 1914 bis 2014
100 Jahre nach der „Ersten Tagung über Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten“                                                                                    Tagungen der
erinnert die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwech-
selkrankheiten (DGVS) an ihre Kongresspräsidenten und Vorsitzenden. Die Darstellung
                                                                                                                                                                   Deutschen Gesellschaft für
der Kurzbiographien, wissenschaftlichen Schwerpunkte und Aktivitäten der bisheri-                                                                                  Gastroenterologie,
gen Präsidenten ist mehr als Würdigung und Erinnerung: sie spiegelt den Fortschritt,                                                                               Verdauungs- und
die Differenzierung und das Spektrum des Fachgebietes wider und verdeutlicht, dass                                                                                 Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
die Ideen früherer Gastroenterologen die Basis für heutige Vorgehensweisen sind.

Die biographischen Skizzen zeigen gleichzeitig, dass die politische Entwicklung in
Deutschland immer auch die Fachgesellschaft beeinflusste und Zäsuren bewirkte.
Dies gilt in besonderer Weise für die beiden Weltkriege und für die Zeit seit 1933 mit der
                                                                                                                                                    Die Präsidenten von 1914 bis 2014
Vertreibung und Ermordung jüdischer Wissenschaftler und Ärzte. Nach einer zwölf-
jährigen Unterbrechung wurde die Kongresstradition 1950 wieder aufgenommen. Die
Folgen des Mauerbaus 1961 konnten erst mit der Wiedervereinigung Deutschlands
1990 überwunden werden.

                                                                                             M. M. Lerch
                                                                                             H. Jenss

ISBN 978-3-9813402-5-9
Tagungen der Deutschen Gesellschaft für
     Gastroenterologie, Verdauungs- und
       Stoffwechselkrankheiten (DGVS)

Die Präsidenten von 1914 bis 2014

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Danksagung

    Das Erstellen der biographischen Skizzen der Kongress-Präsidenten unserer Gesellschaft
    seit 1914 wäre ohne große Unterstützung von verschiedenen Seiten nicht möglich gewesen.
    Großer Dank gebührt der Geschäftsführerin der DGVS, Frau Diana Kühne, die das Entstehen
    und die Gestaltung des Buches zu ihrem Anliegen gemacht hat. Ebenso danken wir den Mitar-
    beiterinnen in der Geschäftsstelle der DGVS.
    Bei den Recherchen haben wir fachkundige Auskünfte und kompetente Unterstützung durch
    die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Universitätsarchive sowie des Bundesar-
    chivs und der Staatsarchive erfahren. Ihnen gilt ein ausdrücklicher Dank für die Quellensuche
    und für die unkomplizierte Übermittlung wichtiger Dokumente.
    Ohne die kompetente Betreuung durch Frau Heike Oberdörfer vom Sardellus Verlag Greifs-
    wald hätte dieser Band nicht in der vorliegenden Qualität erstellt werden können.
    Die lebenden Präsidenten haben uns ihre Lebensläufe mit großer Bereitschaft zur Verfügung
    gestellt. Ihnen danken wir in besonderer Weise.

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Harro Jenss
              Markus M. Lerch

 Tagungen der Deutschen Gesellschaft
für Gastroenterologie, Verdauungs- und
    Stoffwechselkrankheiten (DGVS)

  Die Präsidenten von 1914 bis 2014

       Herausgegeben im Auftrag der DGVS

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Inhalt
Vorwort                                                                   7

Die Präsidenten

Carl Anton Ewald                                        1. Tagung/1914    9
Ismar Boas                                              2. Tagung/1920   10
Carl von Noorden                                        3. Tagung/1922   12
Georg Rosenfeld                                         4. Tagung/1924   13
Leopold Kuttner                                         5. Tagung/1925   14
Gustav von Bergmann                                     6. Tagung/1926   15
Arthur Biedl                                            7. Tagung/1927   16
Abraham Albert Hijmans van den Bergh                    8. Tagung/1928   17
Hans von Haberer                                        9. Tagung/1929   18
Alexander (Sandor) von Korányi                         10. Tagung/1930   19
Wilhelm Falta                                          11. Tagung/1932   20
1933 - Die ausgefallene 12. Tagung und der Vorstand der Gesellschaft		   21
Carl Hegler                                            12. Tagung/1934   23
Max Bürger                                             13. Tagung/1936   24
Erich Grafe                                            14. Tagung/1938   25
Hans Heinrich Berg                                     15. Tagung/1950   26
Gerhardt Katsch                                        16. Tagung/1952   28
Kurt Beckmann                                          17. Tagung/1953   29
Norbert Henning                                        18. Tagung/1955   30
Robert Prévôt                                          19. Tagung/1957   31
Heinrich-Otto (Heinz) Kalk                             20. Tagung/1959   32
Hans-Wilhelm Bansi                                     21. Tagung/1961   33
Robert E. Mark                                         22. Tagung/1964   34
Karl Voßschulte                                        23. Tagung/1965   35
Heinrich Bartelheimer                                  24. Tagung/1967   36
Robert Ammon                                           25. Tagung/1969   37
Gustav Adolf Martini                                   26. Tagung/1971   38
Werner Siede                                           27. Tagung/1972   39
Volker Becker                                          28. Tagung/1973   40
Hans Adolf Kühn                                        29. Tagung/1974   41
Friedrich Stelzner                                     30. Tagung/1975   42
Ulrich Ritter                                          31. Tagung/1976   43
Werner Creutzfeldt                                     32. Tagung/1977   44
Gerhard Seifert                                        33. Tagung/1978   45
Nepomuk Zöllner                                        34. Tagung/1979   46
Ludwig Demling                                         35. Tagung/1980   47
Georg Strohmeyer                                       36. Tagung/1981   48
Wolfgang Dölle                                         37. Tagung/1982   49
Rudolf Ottenjann                                       38. Tagung/1983   50
Ernst-Otto Riecken                                     39. Tagung/1984   51
Wolfgang Gerok                                         40. Tagung/1985   52

                                                                              5
Friedrich Werner Schmidt                            41. Tagung/1986    53
    Meinhard Classen                                    42. Tagung/1987    54
    Christian Herfarth                                  43. Tagung/1988    56
    Karl-Hermann Meyer zum Büschenfelde                 44. Tagung/1989    57
    Harald Goebell                                      45. Tagung/1990    58
    Burkhard Kommerell                                  46. Tagung/1991    59
    Gustav Paumgartner                                  47. Tagung/1992    60
    Wolfgang Caspary                                    48. Tagung/1993    61
    Hans-Günther Beger                                  49. Tagung/1994    63
    Rudolf Arnold                                       50. Tagung/1995    64
    Siegfried Matern                                    51. Tagung/1996    65
    Jürgen Ferdinand Riemann                            52. Tagung/1997    66
    Ulrich R. Fölsch                                    53. Tagung/1998    67
    Joachim Mössner                                     54. Tagung/1999    68
    Paul Georg Lankisch                                 55. Tagung/2000    69
    Wolfram Domschke                                    56. Tagung/2001    70
    Tilman Sauerbruch                                   57. Tagung/2002    71
    Wolfgang Fischbach                                  58. Tagung/2003    72
    Wolfgang E. Fleig                                   59. Tagung/2004    73
    Wolfgang Kruis                                      60. Tagung/2005    74
    Michael P. Manns                                    61. Tagung/2006    75
    Wolff H. Schmiegel                                  62. Tagung/2007    77
    Martin Zeitz                                        63. Tagung/2008    79
    Herbert Koop                                        64. Tagung/2009    80
    Guido Adler                                         65. Tagung/2010    81
    Peter Malfertheiner                                 66. Tagung/2011    82
    Peter Layer                                         67. Tagung/2012    83
    Guido Gerken                                        68. Tagung/2013    84
    Peter R. Galle                                      69. Tagung/2014    85

    Anhänge

    Publikationen zur Biographie der Vorsitzenden der DGVS 1914 - 2014		   87
    Archive, Quellen, Sammelwerke, Monographien		                          93

    Bildnachweis		95

6
Vorwort
Am Freitag, den 24. April 1914, vormittags 9h eröffnete der erste Vorsitzende Carl Anton
Ewald im Kursaal von Bad Homburg die Erste Tagung über Verdauungs- und Stoffwechsel-
krankheiten und damit den ersten Spezialkongress für Gastroenterologie in Deutschland.
Das 100-jährige Jubiläum der Jahrestagungen ist für die DGVS Anlass, mit biographi-
schen Skizzen an die bisherigen Kongresspräsidenten und Vorsitzenden der Gesellschaft
zu erinnern und deren Wirken zu würdigen.

Ismar Boas hatte schon Jahre zuvor einen Kongress angestrebt, „bei dem die wichtigsten
Themen der Verdauungs- und Stoffwechselpathologie in Form von Referaten und Diskus-
sionen behandelt werden sollten“. Sein Mentor Ewald, obwohl er selbst Wegbereiter der
Gastroenterologie war, sah jedoch die Einheit der Inneren Medizin gefährdet und lehn-
te sowohl die neue Spezialdisziplin als auch einen entsprechenden Spezialkongress ab.
Nach vermittelnden Gesprächen und nachdem ihn Boas geschickterweise zum Grün-
dungspräsidenten designiert hatte, übernahm er schließlich den Vorsitz und revidierte in
seiner Eröffnungsansprache seine frühere Haltung. Der Kongress 1914 war erfolgreich
und stieß auf großes Interesse. Wenige Monate später brach der Erste Weltkrieg aus, und
erst 1920 konnte die zweite Tagung stattfinden. Der eigentliche Initiator der Gesellschaft
und in diesem Jahr Vorsitzende, Ismar Boas, skizzierte in einer programmatischen Rede
die Grundidee der Fachgesellschaft: hohes wissenschaftliches Niveau, Interdisziplinari-
tät und internationaler Austausch. Letzteres war im Hinblick auf die Restriktionen des
Versailler Vertrages, die den wissenschaftlichen Austausch für Deutsche Wissenschaftler
extrem erschwerten, ein wichtiges Anliegen. Die enge Kooperation mit den Grundlagen-
wissenschaftlern und den Partnerdisziplinen, besonders den Chirurgen, war für Boas ein
selbstverständlicher und ausdrücklicher Wunsch. Die Gesellschaft verstand sich in ihrer
Zielsetzung im besten Sinne als international. Zahlreiche ausländische Forscher, Kliniker
und Praktiker zählten in den folgenden Jahren zu den Kongressteilnehmern und zu den
Mitgliedern der Gesellschaft, und als Kongressorte wurden nicht zufällig Wien, Budapest
und Amsterdam ausgewählt. Den Zusatz „Deutsch“ erhielt die Gesellschaft erst nach der
14. Tagung 1938.
Das Jahr 1933 und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bedeutete für die
Kongresstradition und für die Fachgesellschaft eine tiefe Zäsur. Im April 1933 mussten
vier der sechs Vorstandsmitglieder wegen ihrer jüdischen Herkunft ihre Ämter niederle-
gen, der geplante Kongress 1933 fiel aus. Die Erinnerung an Hermann Strauß, Ferdinand
Blumenthal, Otto Porges, Paul O. Wolff und an den langjährigen Generalsekretär Reinhard
von den Velden steht stellvertretend für die vielen jüdischen Mediziner, die 1933 aus der
Gesellschaft und von der Teilnahme an den Kongressen ausgeschlossen wurden.
Die 15. Jahrestagung 1950 war die erste Tagung nach dem Ende des Zweiten Weltkrie-
ges. Sie stellte Neuanfang und Kontinuität zugleich dar. In den Eröffnungsansprachen der
Kongresspräsidenten spiegeln sich die Themen jener Zeit wider: Erneute Wiederherstel-
lung der internationalen Kontakte, Wiedereinführung des 1949 abgeschafften Facharztes
für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Fragen der Forschungsorganisation und
der Ausbildung sowie die Etablierung von Kliniken für Gastroenterologie und Hepatologie
an den Universitäten und großen Stadtkrankenhäusern.
Der Mauerbau 1961 beendete für die Mitglieder der DGVS aus der DDR die Teilnahme-
möglichkeit an den Jahrestagungen. Notgedrungen entstanden in der DDR eigene Kon-

                                                                                             7
gresse und eine eigene Fachgesellschaft. Mit der 45. Tagung der DGVS in Essen wurde
    am 3. Oktober 1990 parallel zur Wiedervereinigung Deutschlands die gemeinsame Kon-
    gresstradition wieder ermöglicht.
    Die Gesellschaft für gastroenterologische Endoskopie tagte seit ihrem Gründungsjahr
    1967 getrennt vom DGVS-Kongress. Seit 1989 ist sie als Sektion Endoskopie wesentli-
    cher Bestandteil der DGVS und der gemeinsamen Tagungen. Ab 1971 wurden jährliche
    DGVS-Kongresse eingeführt, zudem wurde erstmals ein Programmkomitee etabliert, das
    den Vorsitzenden unterstützt und seither die Auswahl der Freien Vorträge und Posterprä-
    sentationen vornimmt.
    Noch in den 1980er Jahren wurden die Tagungen mit relativ bescheidenen und einfa-
    chen Mitteln – häufig an der Universität des jeweiligen Vorsitzenden – realisiert. Die ra-
    sche Zunahme der Mitglieder der Gesellschaft und der Kongressteilnehmer, neue For-
    schungsansätze sowie die Vielzahl fachlicher und gesundheitspolitischer Fragen stellten
    in den letzten 25 Jahren zunehmende Anforderungen an die inhaltliche Organisation,
    die professionelle Gestaltung und auch an den Ausrichtungsort. Der Blick zurück auf die
    Kongresspräsidenten und die Jahrestagungen zeigt den enormen Fortschritt und dessen
    Dynamik seit der ersten Tagung 1914.

    Die jeweiligen Vorsitzenden repräsentierten die Fachgesellschaft und spiegeln zugleich
    gänzlich unterschiedliche Generationen wider, die vor allem zwischen 1914 und 1945
    mehrfache Systemwechsel erlebten. Die biographischen Skizzen der Vorsitzenden sind
    weit von einer Gesamtschau entfernt und können allenfalls Schlaglichter auf ihre Prä-
    gung, ihre wissenschaftliche Arbeit und ihre Aktivitäten in der Fachgesellschaft werfen.
    Der Rückblick ist Erinnerung an zum Teil nahezu vergessene Kollegen wie auch an inter-
    national bekannte Forscher und Kliniker. Andererseits verdeutlicht er das weite fachliche
    Spektrum, für das unsere Repräsentanten standen, und dass heute als selbstverständ-
    lich erscheinende Vorgehensweisen und medizinische Fakten auf der Kreativität und den
    Ideen früherer Gastroenterologen basieren.
    Es sei erwähnt, dass wir uns an einem vorher definierten Format mit begrenztem Um-
    fang orientiert haben und dass lediglich Ismar Boas und dem Beginn der Tagungen 1914,
    dem Vorstand 1933 und dem Neuanfang 1950 sowie den langjährigen Schriftführern ein
    größerer Raum eingeräumt werden konnte. Die Skizzen über die verstorbenen Vorsitzen-
    den wurden von uns erstellt. Für die Kurzbiographien der lebenden Präsidenten haben
    wir sehr viel Hilfe und Informationen von den Dargestellten erhalten.

    Unser Ziel war es, die Erinnerung an die Männer (bisher hat noch keine Frau die DGVS
    geführt), die unsere Fachgesellschaft in 100 Jahren geprägt und geleitet haben, wach zu
    halten und ihnen auf diese Weise für ihr großes Engagement um die DGVS zu danken.
    Mögen sie nachfolgenden Generationen von Gastroenterologen ein Vorbild sein.

                       Harro Jenss                       Markus M. Lerch

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Carl Anton Ewald Berlin
* 1845 in Berlin, † 1915 in Berlin

1. Tagung
Bad Homburg v.d.H., 24. – 26. April 1914

Carl Anton Ewald wurde bereits während seines Studiums in Bonn von Eduard Pflüger angeregt,                                          Vita
sich mit Fragen der Physiologie zu beschäftigen. Seit 1871 absolvierte Ewald seine internistische
Ausbildung bei Theodor v. Frerichs in der I. Medizinischen Klinik der Charité Berlin. Die Habilitation
erfolgte dort 1874. Ewald erlebte als aktiv Beteiligter den Paradigmenwechsel in der klinischen
Medizin im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts: die spekulative Naturforschung wurde durch die
streng empirische Methode abgelöst und die Medizin naturwissenschaftlich geprägt. 1876 wurde
Ewald dirigierender Arzt der Berliner Frauen-Siechen-Anstalt und übernahm 1888 als Nachfolger
Hermann Senators die Ärztliche Leitung der Medizinischen Klinik am Berliner Augustahospital
in der Scharnhorststraße. Von 1882 bis 1905 war er Schriftleiter der angesehenen Berliner klini-
schen Wochenschrift. 1901 erhielt Ewald die Ehrenmitgliedschaft der American Gastroenterolo-
gical Association.

Frühzeitig beschäftigte sich Ewald mit der Physiologie und Pathologie der Verdauung und                                              Wissenschaftliche
hielt über dieses Thema Vorlesungen an der Berliner Universität. 1875 schuf er – zeitgleich zu                                       Schwerpunkte
Leopold Oser, Wien – mit der Einführung des weichen (Gummi-)Magenschlauchs die Voraus-
setzung dafür, auf einfache und gefahrlose Weise die Sekretion und die Aziditätsverhältnisse
im Magen unter standardisierten Bedingungen (Ewald-Boas-Probefrühstück) untersuchen zu
können. Im Vordergrund stand der „Chemismus“ des Magens. In dem von ihm selbst illustrier-
ten Werk Klinik für Verdauungskrankheiten fasste Ewald seine eigenen Forschungsergebnis-
se und das damals noch sehr zerstreute und wenig zugängliche Wissen über die Verdauungs-
krankheiten zusammen.

Der erste Vorstand der Gesellschaft 1913 und der Fach-Kongress 1914 entstanden im Span-                                              Entwicklungen der
nungsfeld zwischen den Bestrebungen zur Einheit der Inneren Medizin einerseits und der                                               Gesellschaft während
Spezialisierung andererseits. Ewald verstand sich als „universeller Kliniker“ und war an der                                         der Präsidentschaft
Gründung des „Ersten Congresses für Innere Medicin“ 1882 beteiligt. Den Weg in die Spezia-
lisierung, den sein Schüler Ismar Boas seit 1886 beschritt, lehnte Ewald zunächst vehement
ab. Schließlich übernahm er den Vorsitz der neu gegründeten Gesellschaft und der Ersten
Fachtagung 1914. Dem Vorstand gehörten ferner Adolf Schmidt als zweiter Vorsitzender, Is-
mar Boas, Hugo Starck und der Bad Homburger Diätetiker Curt Pariser an. Vermutlich auf
dessen Initiative fand der erste Fachkongress Gastroenterologie in Bad Homburg v.d.H. statt.
Mit mehr als 300 Teilnehmern verlief die Tagung erfolgreich. Seine frühere Ablehnung des
neuen Spezialfaches gab Ewald mit seiner Eröffnungsrede auf.

Mit I. Boas Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Verdauung I u. II. Arch path Anat Physiol klin Med (Virchows Archiv) 1885;   Ausgewählte
101: 325 - 375 und 1886; 104: 271 - 305.
Lehre von der Verdauung, Zwölf Vorlesungen, Berlin 1879 als Band I seiner Klinik der Verdauungskrankheiten. 1888 folgte als
                                                                                                                                     Publikationen
II. Band, Die Krankheiten des Magens und 1902 als Band III Krankheiten des Darmes und des Bauchfells.
Die Leberkrankheiten. Für Studierende und Ärzte. Leipzig 1913.
Über Altern und Sterben. Leipzig 1913.

                                                                                                                                     9
Ismar Boas Berlin
       * 1858 in Exin/Kcynia, † 1938 in Wien

       2. Tagung
       Bad Homburg v .d. H., 24. – 26. September 1920

Vita   Ismar Boas, aus einer jüdischen Familie in der früheren Provinz Posen stammend, ließ sich un-
       mittelbar nach seinem Studium 1882 als praktischer Arzt in Berlin nieder. Der Verzicht auf eine
       Klinikausbildung war seiner materiellen Situation geschuldet. Bereits während des Studiums in-
       teressierte sich Boas – angeregt durch die Vorlesungen Carl Anton Ewalds in Berlin – für die
       Physiologie und Pathologie der Verdauung. 1882 nahm er den Kontakt zu Ewald wieder auf und
       wurde dessen Mitarbeiter.

       Neben seiner ärztlichen Tätigkeit eignete sich Boas in Kursen die neuen chemischen und bakte-
       riologischen Methoden an, bildete sich in den Grundlagenfächern fort und betrieb ein umfassen-
       des Literaturstudium. Zudem sammelte er als „Privatsekretär“ Ewalds Erfahrungen im Beurteilen
       medizinischer Fachartikel für die Berliner Klinische Wochenschrift. Frühzeitig konzentrierte er
       sich auf die Erforschung der Verdauungskrankheiten. Die Spezialisierung auf das neue Teilgebiet
       der Inneren Medizin war für ihn der einzige Weg, um ein hohes wissenschaftliches Niveau zu
       erreichen. Er antizipierte damit eine Entwicklung, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts durch
       den umwälzenden Zuwachs an Wissen vollzog und zur Differenzierung der Wissenschaften führte.

       1886 eröffnete Boas eine Spezialpraxis in der Berliner Friedrichstraße sowie die erste Poliklinik
       für Magen- und Verdauungskrankheiten mit angeschlossenem Labor. Mit dieser „Aktion“ – von
       den damaligen Autoritäten der Inneren Medizin mit kritischer Distanz und Ablehnung begleitet
       – begründete Ismar Boas das Fach Gastroenterologie weltweit. Er bot in Berlin spezielle Fortbil-
       dungskurse für das neue Fachgebiet an, die nationale und internationale Beachtung fanden. Boas’
       Bestreben war die wissenschaftliche und organisatorische Weiterentwicklung seines Faches, für
       die er sich mit Beharrlichkeit einsetzte.

       1895 begründete er das Archiv für Verdauungskrankheiten unter Einschluß der Stoffwechselpa-
       thologie und Diätetik, das rasch führendes Fachorgan der Gastroenterologie wurde. Lange Zeit
       wünschte sich Boas eine Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, die zunächst
       wegen der Zurückhaltung führender Vertreter der Inneren Medizin nicht realisiert werden konnte.
       1907 wurde Boas in Berlin Titularprofessor. 1910 ehrte ihn die AGA mit der Ehrenmitgliedschaft.

       Wegen seiner jüdischen Herkunft musste Boas 1933 die Schriftleitung des Archivs niederlegen.
       1936 emigrierte er nach Wien, im März 1938 nahm er sich nach dem Einmarsch der Deutschen
       Wehrmacht das Leben. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weis-
       sensee. Seine Ehefrau Sophie, geb. Asch, flüchtete 1938 nach Holland; 1943 wurde sie im Lager
       Westerbork inhaftiert. Rettungsversuche durch den Utrechter Ordinarius für Innere Medizin, Cor-
       nelis D. de Langen, waren vergeblich. Sophie Boas wurde im März 1943 nach Sobibor deportiert
       und ermordet.

 10
Gemeinsam mit Ewald führte Boas unter Standardbedingungen Studien über die Magenfunk-                                         Wissenschaftliche
tion und Säuresekretion durch. Er arbeitete zur Bedeutung des Milchsäure-Vorkommens im                                        Schwerpunkte
Mageninhalt, wies gemeinsam mit dem Breslauer Magen-Darm-Arzt Bruno Oppler die „Boas-
Oppler-Bazillen“ (heute als Lactobacillus acidophilus bekannt) im Magen nach, die er in einem
Zusammenhang mit dem Magencarcinom deutete, und beschrieb den Boas-Druckpunkt als
schmerzsensibles Areal beim Magenulcus. 1903 prägte er in Deutschland den Begriff der
Colitis ulcerosa und berichtete über eine Remission der Erkrankung durch Ruhigstellung des
Colons bei Anlage einer Coecalfistel. Frühzeitig erkannte Boas das diagnostische Potential der
Röntgenuntersuchung des Gastrointestinaltraktes. Später hielt er allein die endoskopische
Untersuchung zur Therapiekontrolle beim Ulcus ventriculi oder duodeni für geeignet. Boas
kommt das Verdienst zu, auf die immense Bedeutung des Nachweises von okkultem Blut im
Stuhl als Früherkennungsmaßnahme beim Magen- und Dickdarmcarcinom hingewiesen zu
haben.

Ähnlich wie Eugen Bleuler in „Das autistisch - undisziplinierte Denken in der Medizin“ setzte
sich Boas wissenschaftskritisch mit seinem Fach auseinander. Er forderte kontinuierliches
Hinterfragen der gewonnenen Erkenntnisse und plädierte u.a. für die Institutionalisierung un-
abhängiger Institute zur Überprüfung der tatsächlichen Wirksamkeit der Arzneimittel.

Vier Monate nach der Ersten Jahrestagung 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, mit dem die                                      Entwicklungen der
ersten Schritte der Gesellschaft und des Fachkongresses sowie viele internationale Kontakte                                   Gesellschaft während
unterbrochen wurden. Die von Boas geleitete Zweite Fachtagung im September 1920 nahm                                          der Präsidentschaft
die ersten Initiativen wieder auf. In einer programmatischen Rede hielt Boas ein eindrückli-
ches Plädoyer für die Eigenständigkeit des Faches Gastroenterologie, für die Interdisziplinari-
tät und die Notwendigkeit der Kooperation mit den Vertretern der Grundlagenfächer und vor
allem mit den Chirurgen.

Gemeinsam mit C. A. Ewald, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Verdauung. Arch path Anat Physiol klin Med (Virchows   Ausgewählte
Archiv) 1885: 101: 325-75 und 1886; 104: 271-305.
Ueber den heutigen Stand der Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. Dtsch Med Wochenschr 1887; 13: 519-22 und
                                                                                                                              Publikationen
548-51.
Allgemeine Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. Leipzig 1890. – Spezielle Diagnostik und Therapie der Magen­
krankheiten. Leipzig 1893.
Mit seinen Schülern: Gesammelte Beiträge aus dem Gebiete der Physiologie, Pathologie und Therapie der Verdauung. 2 Bände,
Berlin 1906.
Die Lehre von den okkulten Blutungen. Leipzig 1914.
Therapie und Therapeutik. Ein Mahnruf an Ärzte, Kliniker und Pharamkologen. Berlin 1930.
Wege und Irrwege der Ulkustherapie. Arch f Verdauungskr 1938; 63: 3-10.
Über Ziele und Wege der Verdauungspathologie. Arch f Verdauungskr 1896;1: 1-2.
Zum 25-jährigen Bestehen des Magen-Darm-Spezialismus. Rückblicke und Ausblicke. Arch f Verdauungskr 1911; 17: 511-32.

                                                                                                                              11
Carl von Noorden Frankfurt/Main
                        * 1858 in Bonn, † 1944 in Wien

                        3. Tagung
                        Bad Homburg v.d.H., 28. – 29. April 1922

                 Vita   Carl von Noorden bildete sich zunächst bei Victor Hensen in Kiel in der Physiologie weiter, war
                        danach Assistenzarzt bei Theodor von Jürgensen an der Medizinischen Poliklinik in Tübingen
                        und bei dem Magenspezialisten Franz Riegel in Gießen. 1885 wurde er dort für das Fach Innere
                        Medizin habilitiert. 1887 wechselte er zu Carl Gerhardt an die II. Medizinische Klinik der Charité
                        Berlin. 1894 übernahm v. Noorden die Ärztliche Leitung der Medizinischen Klinik am Städtischen
                        Krankenhaus Frankfurt/Main und gründete 1895 die private „Klinik für Zuckerkranke und diäteti-
                        sche Kuren“ in Frankfurt/Sachsenhausen, die als Diabetes-Fachklinik internationale Bedeutung
                        erlangte. 1906 wurde v. Noorden Nachfolger Hermann Nothnagels an der I. Medizinische Univer-
                        sitätsklinik Wien. 1913 kehrte er nach Frankfurt an seine Privatklinik zurück. Von 1930 bis 1935
                        leitete er, nach Österreich zurückgekehrt, die Abteilung für Stoffwechselerkrankungen und diäte-
                        tische Heilmethoden, Städtische Klinik Wien-Lainz. Seit 1900 gab v. Noorden das Centralblatt für
                        Stoffwechsel- und Verdauungskrankheiten heraus.

   Wissenschaftliche    Arbeitsgebiet v. Noordens waren die Methodik der Stoffwechseluntersuchungen und die Stoff-
      Schwerpunkte      wechselkrankheiten, besonders der Diabetes mellitus. Seine Beiträge über die Beeinflussung
                        des Fettstoffwechsels beim Diabetes mellitus, zum Auftreten der Azetonkörper im Urin, zum
                        Wert der Haferkur („Hafertag“, 1902 in die Diabetestherapie eingeführt) in der Vor-Insulin-Ära
                        sowie die Einführung der Weißbroteinheiten zur Abschätzung der Kohlenhydratmengen wa-
                        ren international anerkannt. Er gehörte zu den ersten deutschen Ärzten, die Insulin einsetzten.
                        Frühzeitig vermutete er genetische Faktoren als Ursache des Übergewichts. Sein Anliegen
                        war die wissenschaftlich begründete Ernährungstherapie. Sein zweiter Arbeitsschwerpunkt
                        bezog sich auf die Magen- und Darmkrankheiten.

    Entwicklungen der   Von Noorden repräsentierte in der Gesellschaft jene Mediziner, die sich vornehmlich mit der
Gesellschaft während    Stoffwechselphysiologie und -pathologie befassten. Organisatorische Initiativen für die Ge-
  der Präsidentschaft   sellschaft sind von ihm nicht dokumentiert. Die Hauptthemen des Kongresses 1922 bezogen
                        sich auf Gallensteinerkrankungen und auf Wechselbeziehungen zwischen Störungen des Ver-
                        dauungsapparates und des Kreislaufs

         Ausgewählte    Grundriss einer Methodik der Stoffwechseluntersuchungen. Berlin 1892.
                        von Noorden C (Hg.). Lehrbuch der Pathologie des Stoffwechsels. Berlin 1893. – 1906 als zweibändiges Handbuch der Patholo-
        Publikationen   gie des Stoffwechsels erschienen.
                        Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung. Berlin 1895.
                        Mit Hugo Salomon, Handbuch der Ernährungslehre. Berlin 1920.
                        von Noorden C ( Hg.). Klinik der Darmkrankheiten. München - Wiesbaden 1921 (als 2. Aufl. des Werkes von Adolf Schmidt, von
                        diesem 1913 erstmals veröffentlicht).
                        Die Fettleibigkeit und ihre Heilung. Berlin 1937.

                   12
Georg Rosenfeld Breslau
* 1861 in Breslau, † 1934 in Breslau

4. Tagung
Berlin, 22. – 26. Oktober 1924

Georg Rosenfeld studierte an der Universität Breslau Medizin und wurde mit einer Arbeit zur        Vita
Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus promoviert. Seine internistische Ausbildung absol-
vierte er 1883-1889 bei Anton Biermer in der Medizinischen Universitätsklinik Breslau, zudem ar-
beitete Rosenfeld im Physiologischen Institut bei Rudolf Heidenhain und bei dem Pharmakologen
Wilhelm Filehne. Seit 1893 war er als Spezialarzt für Innere Krankheiten mit angeschlossenem
Laboratorium in Breslau niedergelassen. 1906 wurde Rosenfeld eine Professur der Universität
Breslau übertragen.

Rosenfeld beschäftigte sich besonders mit Stoffwechselvorgängen, insbesondere mit dem              Wissenschaftliche
Fettstoffwechsel, der Fettbildung, der Fettleber und mit dem Diabetes mellitus. Wegweisend         Schwerpunkte
war sein Beitrag zur Acetonurie. Ferner bearbeitete er Fragen der Uratdiathese und der Urat-
therapie. Untersuchungen zu den Wirkungen des Alkohols wurden von Rosenfeld sowohl un-
ter dem Aspekt eines eventuellen Nutzens in der Therapie innerer Krankheiten als auch zum
Schädigungspotential dieser Substanz vorgenommen. In der Bekämpfung des Alkoholismus
hat sich Rosenfeld besondere Verdienste erworben.
Rosenfeld publizierte 1897 eines der ersten Bücher in Deutschland zur Röntgenuntersuchung
(„Die Diagnostik Innerer Krankheiten mittels Röntgenstrahlen“) und wandte die neue Methode
frühzeitig z. B. zur Untersuchung der Lage des Magens an.

Organisatorische Initiativen sind für die Zeit der Präsidentschaft Rosenfelds nicht dokumen-       Entwicklungen der
tiert. Das von Rosenfeld gestaltete Programm für die 4. Tagung enthielt ein Hauptreferat zur       Gesellschaft während
Diagnostik des Krebses im Bereich des Verdauungstraktes, das von Ferdinand Blumenthal,             der Präsidentschaft
dem Direktor des Krebsinstitutes der Charité Berlin gehalten wurde. An der intensiven Dis-
kussion beteiligten sich u.a. Ismar Boas, Rudolf Schindler, Leopold Alkan, Rhoda Erdmann
und Leopold Kuttner. Das Referat zur Klinik von Pankreaserkrankungen hielt Gerhardt Katsch,
daneben wurde über die Pathologie und die Chirurgie des Pankreas gesprochen. Das Ab-
schlussthema der Tagung befasste sich mit den Folgen nach Magenoperationen.

Die Grundgesetze der Acetonurie und ihre Behandlung. Centralbl Inn Med 1895; 16: 1233-44.          Ausgewählte
Die Diagnostik Innerer Krankheiten mittels Röntgenstrahlen. Wiesbaden 1897.
Der Einfluss des Alkohols auf den Organismus. Wiesbaden 1901.
                                                                                                   Publikationen
Fettbildung. Ergeb Physiol 1903; 2: 50-94.

                                                                                                   13
Leopold Kuttner Berlin
                        * 1866 in Glogau/Głogów, † 1931 in Berlin

                        5. Tagung
                        Wien, 30. September – 3. Oktober 1925

                 Vita   Leopold Kuttner absolvierte seine Ausbildung zum Internisten bei Carl Anton Ewald am Berliner
                        Augustahospital. 1906 wurde er zum Ärztlichen Leiter der II. Medizinischen Klinik am Rudolf-Vir-
                        chow-Krankenhaus in Berlin gewählt und übernahm 1910 die Ärztliche Direktion dieses großen
                        Städtischen Klinikums. Kuttner war vielfältig engagiert; so war er Vorsitzender der Chefärzte an
                        den städtischen Krankenanstalten Großberlins. Der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwech-
                        selkrankheiten gehörte er seit 1913/14 als Mitglied des Ausschusses an; von Boas wurde er als
                        Mitbegründer der Tagungen bezeichnet.

   Wissenschaftliche    Kuttner beschäftigte sich frühzeitig mit der technischen Weiterentwicklung der Endoskope;
      Schwerpunkte      so konstruierte er ein gegliedertes Gastroskop und stellte umfangreiche Untersuchungen zur
                        Gastro-Diaphanoskopie mit Modifikationen des von Max Einhorn vorgestellten Instrumentes
                        („Gastrodiaphan“) an. Ebenso befasste er sich mit der Technik der Rektoskopie. Später inter-
                        essierten ihn vornehmlich die Magenkrankheiten, besonders die Achylia gastrica, das Mage-
                        nulcus und die diätetische Therapie. Zudem beschäftigte er sich mit dem Magen- und Kolon-
                        Karzinom sowie mit der bakteriologischen Untersuchung des Duodenalsekretes.

    Entwicklungen der   Kuttner setzte sich lange Zeit für den Ausbau der Gesellschaft ein. So ist es gewiss kein Zufall,
Gesellschaft während    dass unter seinem Vorsitz die 5. Tagung zu einen Markstein wurde: aus den Tagungen wurde
  der Präsidentschaft   eine Gesellschaft. Am 3. Oktober 1925 beschloss die Mitgliederversammlung in „Ordentlicher
                        Geschäftssitzung“ Satzung und Geschäftsordnung. Das Mitgliederverzeichnis wies am Ende
                        des Kongresses 150 Mitglieder aus. Ein Jahr später, 1926, waren es bereits 306. Zum Gene-
                        ralsekretär wurde Reinhard von den Velden gewählt. Ferdinand Blumenthal übernahm die
                        Funktion des Schatzmeisters, sein Stellvertreter wurde Otto Porges, Stoffwechselforscher
                        und Gastroenterologe an der I. Medizinischen Universitätsklinik Wien. Als Schriftführer fun-
                        gierte Ernst Fuld, ein Schüler Ewalds und seit 1909 in Berlin als niedergelassener Gastroen-
                        terologe tätig.

         Ausgewählte    Mit Jacobsohn J. Ueber electrische Durchleuchtung des Magens und deren diagnostische Verwertbarkeit. Berl klin Wochenschr
                        1893; 30: 941-4.
        Publikationen   Gemeinsam mit dem Chirurgen Hermann Lindner: Lehrbuch der Chirurgie des Magens. Berlin 1898.
                        Über abdominale Schmerzanfälle, in: Sammlung Zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Verdauungs- und Stoffwech-
                        selkrankheiten. Albert Albu (Hg.), Band 1 (Heft 3), Halle 1908, 3-69.
                        Störungen der Sekretion und der Motilität des Magens. In: Spezielle Pathologie und Therapie innerer Krankheiten. Kraus F,
                        Brugsch Th. (Hg.), Band V ( Erkrankungen des Verdauungsapparates I. Teil: Mund – Speiseröhre – Magen ), Berlin - Wien 1921,
                        515-722 und 723-909.
                        Wandlungen auf dem Gebiete der Magenkrankheiten in den letzten 30 Jahren (1897 – 1927). Arch f Verdauungskr 1928; 43:
                        1-37.

                   14
Gustav von Bergmann Frankfurt
* 1878 in Würzburg, † 1955 in München

6. Tagung
Berlin, 13. – 16. Oktober 1926

Gustav von Bergmann begann seine Ausbildung zum Internisten bei Friedrich von Müller in Ba-                                   Vita
sel, wechselte in das Institut für physiologische Chemie zu Franz Hofmeister nach Strassburg
und wurde 1903 Assistenzarzt in der II. Medizinischen Universitätsklinik der Charité bei Friedrich
Kraus. 1906 war er bei Paul Ehrlich und dem Serologen Hans Sachs in Frankfurt tätig und bildete
sich in Paris bei Fernand Widal fort. 1908 erfolgte die Habilitation an der Friedrich-Wilhelms-Uni-
versität Berlin. Von Bergmann verließ 1912 die Charité, wurde Ärztlicher Leiter der Medizinischen
Klinik am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Altona, wechselte 1916 als Ordinarius für Inne-
re Medizin an die Philipps-Universität Marburg und wurde 1920 nach Frankfurt berufen. Anfang
1927 wurde er Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin an der II. Medizinischen Klinik der Charité. Als
Prodekan kam ihm 1933 an der Berliner Medizinischen Fakultät eine besondere Bedeutung zu.
Zwar begegnete von Bergmann der NS-Ideologie distanziert, wirkte jedoch – schweigend – seit
März 1933 an den Entlassungen der jüdischen Ärztinnen und Ärzte mit. Erinnerungen an die ver-
triebenen jüdischen Mitarbeiter seiner eigenen Klinik oder eine Reflexion seiner Rolle im Dritten
Reich finden sich in seinen 1953 publizierten Memoiren nicht. Von 1946 bis 1953 leitete er die
II. Medizinische Klinik der Universität München. Gerhardt Katsch, Hans Heinrich Berg, Ernst Woll-
heim, Herbert Herxheimer, Thure von Uexküll, Karl Westphal, Heinz Kalk und Fritz Stroebe waren
Schüler von Bergmanns.

Experimentell arbeitete von Bergmann über die Umwandlung von Cystin in Taurin im tieri-                                       Wissenschaftliche
schen Organismus. Später widmete er sich der Pathogenese des peptischen Ulcus und Gal-                                        Schwerpunkte
lenblasenkrankheiten. Frühzeitig sammelte er Erfahrungen zur Röntgendiagnostik des Ma-
gen-Darm-Traktes, zumal er bei Friedrich Kraus das Röntgenlabor leitete. Gemeinsam mit
Wilhelm Eilbott stellte er 1927 einen Bilirubinbelastungs-Test zur Funktionsprüfung der Leber
vor. Große Aufmerksamkeit erwarb sich von Bergmann mit seiner Anschauung, dass Erkran-
kungen nicht mit Struktur-, sondern mit Funktionsveränderungen beginnen. Seine Auffassung
fasste er in dem Begriff „vegetative Stigmatisation“ zusammen. Sein Buch „Funktionelle Pa-
thologie“ (1932) gilt als wegbereitend für die Psychosomatik.

Organisatorisch erfolgten in der Gesellschaft 1926 keine Veränderungen. Hauptthemen der                                       Entwicklungen der
Jahrestagung waren die Gastritis sowie der Wasser- und Mineralhaushalt. Im Mittelpunkt                                        Gesellschaft während
stand ferner die Magenneurose, über die Friedrich Kraus, Viktor von Weizsäcker und Gerhardt                                   der Präsidentschaft
Katsch sprachen und zu der es eine intensive Diskussion gab.

Mit W. Eilbott. Funktionsprüfung der Leber mittels Bilirubinbelastung. Z klin Med 1927; 156: 529-60.                          Ausgewählte
Funktionelle Pathologie. Eine klinische Sammlung von Ergebnissen und Anschauungen einer Arbeitsrichtung. Unter Mitarbeit
von Martin Goldner. Berlin 1932. – Goldner, der wegen seiner jüdischen Herkunft emigrieren mußte, wird in der 2. Aufl. 1936
                                                                                                                              Publikationen
nicht mehr erwähnt.
Mit Rudolf Staehelin Herausgabe des Handbuches Innere Medizin (1925 – 1931) sowie mit Albrecht Bethe und Gustav G. Emb-
den Herausgabe des Handbuches der normalen und pathologischen Physiologie.

                                                                                                                              15
Arthur Biedl Prag
                        * 1869 in Ostern/Comloşu Mic/Banat, † 1933 in Weißenbach

                        7. Tagung
                        Wien, 4. – 7. Oktober 1927

                 Vita   Arthur Biedl, aufgewachsen in einer jüdischen Familie, hatte sich nach dem Studium in experi-
                        menteller Pathologie bei Salomon Stricker in Wien weitergebildet. 1898 wurde er zum Titularpro-
                        fessor ernannt und erhielt 1914 ein Ordinariat für Allgemeine und Experimentelle Pathologie an
                        der Deutschen Universität in Prag. Zudem wurde ihm dort die Leitung der Propädeutischen Klinik
                        übertragen; so konnte er klinische Tätigkeit mit experimenteller Forschung verbinden. Biedl, vor-
                        nehmlich Pathophysiologe, gilt als Begründer der modernen Endokrinologie. Gemeinsam mit Leon
                        Asher begründete er 1928 die Fachzeitschrift Endokrinologie und gehörte bis 1933 zu deren Mit-
                        herausgebern. Zu seinen Schülern gehörten u. a. Hans Seyle – Beschreiber des Stress-Syndroms.

   Wissenschaftliche    Die Funktion der Nebenniere, der Schilddrüse und der Epithelkörperchen standen im Zen-
      Schwerpunkte      trum seiner Forschungen. 1902 beschrieb er die postoperative Tetanie nach Exstirpation der
                        Parathyreoidea und die Folgen der vollständigen Entfernung der Schilddrüse. Später wandte
                        er sich der Pathophysiologie der Erkrankungen von Hypophyse und Ovarien zu. Das Laurence-
                        Moon-Biedl-Syndrom trägt seinen Namen.
                        1910 publizierte Biedl das Werk „Innere Sekretion“, das große Aufmerksamkeit hervorrief.
                        Biedls experimentellen Forschungen, seine Systematik der Endokrinologie und die von ihm
                        erarbeitete erste bedeutsame Bibliographie der Literatur für das neue Fachgebiet waren weg-
                        weisend.

    Entwicklungen der   Vorsitzender des Wiener Lokalausschusses für die Tagungsorganisation war der Boas-Schü-
Gesellschaft während    ler Walter Zweig. Ismar Boas und Wilhelm Schultzen, früherer Sanitätsinspekteur im Reichs-
  der Präsidentschaft   wehrministerium, wurden zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft gewählt. Paul Oswald Wolff,
                        Pharmakologe, wurde Stellvertreter des Generalsekretärs Reinhard von den Velden.
                        Biedl betonte in seiner Eröffnungsrede die rasche „quantitative und qualitative“ Entwicklung
                        der Jahrestagungen seit 1914. Mit seiner Person repräsentierte ein Pathophysiologe und for-
                        schender Endokrinologe die Gesellschaft. Er thematisierte das Verhältnis zwischen medizini-
                        scher Wissenschaft und ärztlicher Heilkunst. In diesem Kontext plädierte er für eine „wirklich
                        erlebte und gelebte Physiologie“ und für gesichertes Wissen als Grundlage jedweder thera-
                        peutischen Entscheidung.

         Ausgewählte    Innere Sekretion, ihre physiologischen Grundlagen und ihre Bedeutung für die Pathologie, Berlin 1910 - 1922 in 4. Auflage als
                        zweibändiges Werk erschienen.
        Publikationen   Physiologie und Pathologie der Hypophyse. München-Wiesbaden 1922.
                        Geschwisterpaar mit adiposo-genitaler Dystrophie. Dtsch Med Wochenschr 1922; 48: 1630-4.
                        Literatur Innere Sekretion (eine Bilbiographie). Berlin 1922.
                        Hormone und Stoffwechsel. Die Bedeutung der Hormone für den Stoffwechsel tierischer und pflanzlicher Organismen. Freis-
                        ing-München 1926.

                   16
Abraham Albert Hijmans van den Bergh
Utrecht
* 1869 in Rotterdam, † 1943 in Utrecht

8. Tagung
Amsterdam, 12. – 14. September 1928

Abraham A. Hijmans van den Bergh studierte nach einigen Semestern Naturwissenschaften Medi-                                      Vita
zin in Leiden. Dort begann er 1895 seine internistische Ausbildung, bildete sich in der Pädiatrie bei
Alois Epstein in Prag und Adalbert Czerny in Breslau fort und war zwischen 1897 und 1899 Haus-
arzt in Rotterdam. Seit 1900 war er im Coolsingel Hospital, dem großen Rotterdamer Kranken-
haus, tätig und widmete sich der Inneren Medizin und der klinisch-chemischen Forschung. 1911
wurde er an die Medizinische Universitätsklinik Groningen als Nachfolger Karel F. Wenckebachs
berufen. 1918 übertrug die Universität Utrecht Hijmans den Lehrstuhl für Innere Medizin und die
Leitung der Medizinischen Klinik in der Nachfolge von Sape Talma. 1938 emeritiert wurde Hijmans
van den Bergh wegen seiner jüdischen Herkunft nach dem Überfall Hollands durch die deutschen
Nationalsozialisten im Mai 1940 verfolgt. Zuletzt lebte er verborgen im Hause seines Schülers und
Nachfolgers Cornelis D. de Langen in Utrecht, wo er im September 1943 starb.

Die Chemie der Gallenfarbstoffe und die Abbauwege des Hämoglobins standen im Mittelpunkt                                         Wissenschaftliche
der Forschung Hijmans van den Berghs. Die von ihm erarbeitete Differenzierung des Biliru-                                        Schwerpunkte
bins und damit die erstmalige Unterscheidungsmöglichkeit zwischen intra- und extrahepati-
schem Ikterus stellte einen Meilenstein in der Gastroenterologie dar: das wasserunlösliche
(nicht glukoronidierte, unkonjugierte) Bilirubin entspricht der mit der van-den-Berghschen-
Diazoprobe bestimmten indirekt (erst nach Alkoholzusatz) reagierenden Fraktion des Bili-
rubins. Das konjugierte Bilirubin dagegen reagiert direkt mit Diazobenzolsulfonsäure ohne
Alkoholzusatz. Später widmete sich Hijmans dem Porphyrinstoffwechsel. Sein Anliegen galt
der Einführung biochemischer Methoden in die Innere Medizin.

Der Kongress 1928 wurde von Hijmans van den Bergh gemeinsam mit Isidor Snapper, Am-                                              Entwicklungen der
sterdam, und Leonard Polak-Daniels, Groningen, organisiert. Dass ihm der Kongressvorsitz                                         Gesellschaft während
übertragen und in Amsterdam getagt wurde, war dem großen Respekt für die wissenschaft-                                           der Präsidentschaft
liche Arbeit und der Persönlichkeit Hijman van den Berghs geschuldet und gleichzeitig Aus-
druck des übernationalen, europäischen Charakters der Gesellschaft.
Für die Schlusssitzung der Tagung hatte Hijmans van den Bergh das Thema „Diagnostische
und therapeutische Irrtümer auf dem Gebiete der Verdauungskrankheiten und ihre Verhü-
tung“ gewählt; dazu referierten Gustav von Bergmann, Leopold Kuttner und Hans Heinrich
Berg aus Berlin sowie Hans von Haberer, Düsseldorf.

Mit I. Snapper. Die Farbstoffe des Blutserums. Dtsch Arch Klin Med 1913; 110: 540-61.                                            Ausgewählte
Mit P. Muller. Über eine direkte und indirekte Diazoreaktion auf Bilirubin. Biochem Zeitschr 1916; 77: 90-103.
Der Gallenfarbstoff im Blute. 2. Aufl. Leiden - Leipzig 1928.
                                                                                                                                 Publikationen
Mit R. Regniers und P. Muller. Ein Fall von kongenitaler Porphyrinurie mit Koproporphyrin in Harn und Stuhl. Arch f Verdauung-
skr 1928; 42: 302-7.
Mit I. Snapper, C.D. de Langen, C.L.C. van Nieuwenhuisen. Leerboek der inwendigen Geneeskunde. 2 Bände, Amsterdam 1942.

                                                                                                                                 17
Hans von Haberer Düsseldorf
                        * 1875 in Wien, † 1958 in Düren

                        9. Tagung
                        Berlin, 16. – 18. Oktober 1929

                 Vita   Hans von Haberer bildete sich zunächst in Graz im Fach Anatomie und in der Pathologie bei Hans
                        Eppinger sen. fort, bevor er 1902 seine Ausbildung zum Chirurgen bei Anton von Eiselsberg in
                        Wien begann. 1907 habilitiert wurde er als Ordinarius für Chirurgie 1911 nach Innsbruck, 1924
                        nach Graz, 1926 nach Düsseldorf und 1930 nach Köln berufen. Dort wirkte er bis 1945.
                        Von Haberer wurde 1933 Fördermitglied der SS und war seit Mai 1937 Mitglied der NSDAP. Von
                        1935 bis 1938 bekleidete er das Rektorenamt der Universität Köln. Aufgrund der Quellenlage ist
                        davon auszugehen, dass Haberer sich systemkonform im Sinne der NS-Ideologie verhalten hat.
                        Die britische Militärregierung entließ von Haberer 1945 aus seinen Positionen. Im Spruchkam-
                        merverfahren der Gruppe der „Entlasteten“ zugeordnet wurde er 1948 von der Universität und
                        dem zuständigen Ministerium rehabilitiert und wegen seines Alters gleichzeitig emeritiert.

   Wissenschaftliche    Von Haberer widmete sich vornehmlich der Magen-Darm-Chirurgie, insbesondere der operati-
      Schwerpunkte      ven Therapie des Ulcus ventriculi und duodeni sowie des Magencarcinoms. Er propagierte die
                        Magenresektion bei der Ulkuskrankheit entweder in einer modifizierten Billroth-I-Resektion
                        mit termino-lateraler Anastomose zur Pars descendens duodeni oder als B-II-Resektion mit
                        antecolischer Anastomose zwischen Magen und Jejunum und mit einer Enteroanastomose.
                        Aufgrund seiner eigenen praktischen Erfahrung mit mindestens 3000 Magenresektionen und
                        einer exakten Analyse der verschiedenen Operationsmethoden kamen Haberers Aussagen
                        zur Magenchirurgie hohe Bedeutung zu. Ferner hat er sich mit Fragen der Cholecystektomie,
                        kriegschirurgischen Themen und der Behandlung des abdominellen Aneurysmas beschäftigt.

    Entwicklungen der   Während der 9. Tagung beschloss der Ausschuss der Gesellschaft, zukünftig „in der Regel die
Gesellschaft während    Tagung in 2jährigem Turnus zwischen Berlin und Wien abzuhalten“. Die Zahl der Mitglieder
  der Präsidentschaft   war im Oktober 1929 auf 471 angestiegen. Themen wie Kritik der Pharmakotherapie sowie
                        Pyloro- und Kardiospasmus wurde während der Tagung besondere Aufmerksamkeit gewid-
                        met. Paul F. Richter und Gustav von Bergmann hielten Hauptreferate zu neuen Aspekten der
                        Lebererkrankungen, wobei besonders die Leberfunktionsprüfungen diskutiert wurden.

         Ausgewählte    Ulcus ventriculi, Ulcus duodeni, Ulcus pepticum jejuni, mit besonderer Berücksichtigung der chirurgischen Therapie. Dtsch Z
                        Chir 1922; 172: 1-77.
        Publikationen   Verbesserung unserer Resultate bei Dickdarmresektion. Arch Klin Chir 1931; 167: 443-58.
                        Über Häufigkeit und Bedeutung von Fehldiagnosen bei Ulcus und Carcinom im Magen und Duodenum. Dtsch Z Chir 1935; 245:
                        744-55.
                        Die Erkrankungen der Leber und der Gallenwege. Ein Grenzgebiet zwischen innerer Medizin und Chirurgie. Für Ärzte und Stud-
                        ierende. Kempen-Niederrhein 1947.

                   18
Alexander (Sandor) von Korányi Budapest
* 1866 in Pest, † 1944 in Budapest

10. Tagung
Budapest, 6. – 8. Oktober 1930

Alexander von Korányi stammte aus einer ungarisch-jüdischen Familie. Nach dem Medizinstu-                                       Vita
dium in Budapest, in dem er sich besonders in der Pathologie fortbildete, war er in Strassburg
bei den Physiologen Friedrich L. Goltz und Ernst F. Hoppe-Seyler tätig und arbeitete dort mit dem
später in den USA lebenden Deutsch-Amerikaner Jacques Loeb zusammen, der den physikalisch-
chemischen Forschungsschwerpunkt innerhalb des Fachgebietes Physiologie vertrat. Zudem
hospitierte Korányi bei Jean M. Charcot in Paris und befasste sich mit Themen der Nervenpatho-
logie. Nach der klinischen Ausbildung in Ungarn und weiterer experimenteller Arbeit habilitierte
er sich 1893 für experimentelle Pathologie und Therapie des Nervensystems. Nachdem er das
Physiologische Institut der tierärztlichen Hochschule in seiner Heimatstadt geleitet hatte, erhielt
Korányi 1909 eine ordentliche Professur und wurde Ärztlicher Direktor der III. Medizinischen Kli-
nik der Pázmany-Peter-Universität Budapest.

Für Korányi standen Fragen des physiologischen Fachgebietes im Vordergrund. Er wurde vor                                        Wissenschaftliche
allem mit seinen Arbeiten zur Osmoregulation tierischer Flüssigkeiten bekannt. Er wandte                                        Schwerpunkte
bei seinen Stoffwechseluntersuchungen als einer der ersten physiko-chemische Methoden
an; so führte er 1897 die Kryoskopie als erste Methode zur Prüfung der Nierenfunktion ein. Er
hatte festgestellt, dass erkrankte Nieren nicht mehr in der Lage waren, einen konzentrierten
Urin zu bilden. In der Gefrierpunktserniedrigung des Urins fand er einen Nierenfunktionspa-
rameter. Der Begriff der Hyposthenurie geht auf Korányi zurück. Er beschrieb die Nierenin-
suffizienz als Folge einer Störung der Organfunktion und erarbeitete eine genauere Definition
dieses Begriffes.

Zum Zeitpunkt des Kongresses 1930 erreichte die Zahl der Mitglieder der Gesellschaft mit                                        Entwicklungen der
497 einen Höchststand. Aus Anlass der 10. Tagung wurde auf Vorschlag von Hermann Strauß                                         Gesellschaft während
ein einmaliger Preis von M. 1000.- aus dem Vermögen der Gesellschaft ausgelobt, der den                                         der Präsidentschaft
Namen „Boas-Preis“ erhielt. Das Thema lautete: „Die bakterielle und abakterielle Genese von
Pankreaserkrankungen“. Zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft wurden der Tagungsvorsit-
zende v. Korányi sowie Knud Faber, Kopenhagen, Max Einhorn, New York, Abraham Hijmans
van den Bergh, Utrecht und Elliot P. Joslin, Boston, gewählt.

Physiologische und klinische Untersuchungen über den osmotischen Druck thierischer Flüssigkeiten. Z klin Med 1897; 33: 1-54     Ausgewählte
und 1898; 34: 1-52.
v. Korányi A und Richter PF, Physikalische Chemie und Medizin. Ein Handbuch, 2 Bände, Leipzig 1907 u. 1908, ein Werk, für das
                                                                                                                                Publikationen
Hermann Strauss den Beitrag über die Magen-Darm-Krankheiten verfasste.
Krankheiten der Harnorgane. Leipzig 1918.
Die Pathogenese der nephrotischen Wasserretention. Wien 1925.
Vorlesungen über funktionelle Pathologie und Therapie der Nierenkrankheiten. Berlin 1929

                                                                                                                                19
Wilhelm Falta Wien
                        * 1876 in Karlsbad/Karlovy Vary, † 1950 in Obermarkersdorf/Österreich

                        11. Tagung
                        Wien, 6. – 8. Oktober 1932

                 Vita   Wilhelm Falta sammelte erste Erfahrungen als Demonstrator bei dem Pathologen Hans Chiari in
                        Prag. Danach bildete er sich in physiologischer Chemie bei Hugo Huppert, ebenfalls in Prag, fort.
                        Seit 1901 war er in der Baseler Medizinischen Universitätsklinik bei Friedrich von Müller und
                        dessen Nachfolger Wilhelm His Jr. tätig. 1906 habilitiert wechselte Falta im gleichen Jahr an die I.
                        Medizinische Universitätsklinik zu Carl von Noorden nach Wien und blieb dort auch unter Karel F.
                        Wenckebach. 1919 erhielt Falta eine a.o. Professur für Stoffwechsel- und Ernährungskrankheiten.
                        Von 1919 bis 1947 leitete er als Primararzt die Medizinische Klinik des Kaiserin Elisabeth Spitals
                        in Wien. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich trat Falta im Mai 1938 der NS-
                        DAP bei. Seit 1937 gehörte er neben Erich Grafe und Wilhelm Stepp dem Vorstand der Gesellschaft
                        für Verdauungs- und Stoffwechselkrankeiten an.

   Wissenschaftliche    Geprägt durch Carl von Noorden beschäftigte sich Falta als Endokrinologe systematisch mit
      Schwerpunkte      Stoffwechselkrankheiten, vornehmlich mit dem Diabetes mellitus. In seiner Klinik im Wiener
                        Kaiserin Elisabeth Spital verfügte er über ein modernes Labor, das ihm eine weitere Forscher-
                        tätigkeit erlaubte. In der Vor-Insulinära befasste sich Falta mit den Möglichkeiten der diäete-
                        tischen Beeinflussung des Diabetes mellitus. Umgehend nach Einführung des Insulins stand
                        die Insulinbehandlung insbesondere mit Depotpräparaten im Zentrum seines Interesses.
                        Für das Fachgebiet der Endokrinologie versuchte er frühzeitig eine Systematisierung der hor-
                        monell bedingten Erkrankungen zu erarbeiten.

    Entwicklungen der   Die eigentlich für 1931 geplante Tagung war wegen der zunehmenden Verschlechterung der
Gesellschaft während    wirtschaftlichen Situation auf 1932 verschoben worden. Der Rückgang der Mitgliederzahl auf
  der Präsidentschaft   425 wurde vom Generalsekretär mit den ökonomischen Verhältnissen erklärt. Während der
                        Mitgliederversammlung wurden geringfügige Änderungen der Satzung für den beratenden
                        Ausschuss beschlossen. Dieser bestand aus 20 Mitgliedern, die für die Dauer von 3 Tagun-
                        gen gewählt wurden. Weitergehende organisatorische Veränderungen finden sich für die Zeit
                        1931/1932 in den Mitteilungen des Generalsekretärs nicht. Zum Vorsitzenden der 12. Tagung
                        1933 in Berlin wurde Hermann Strauß und zu seinem Stellvertreter Carl Hegler per Akklama-
                        tion gewählt.
                        Einen Programmschwerpunkt bildete entsprechend der Spezialisierung des Vorsitzenden das
                        Thema „Insulin und Diabetes“, daneben wurde über „Enterale und parenterale Resorption“ und
                        über „Erkrankungen des Rektum und Sigma“ referiert und ausführlich diskutiert.

         Ausgewählte    Die Therapie des Diabetes mellitus. Ergeb Inn Med Kinderheilkd 1908; 2: 74-141.
                        Die Erkrankungen der Blutdrüsen. Berlin 1913.
        Publikationen   Die Mehlfruechtekur bei Diabetes mellitus. Berlin 1920.
                        Die Zuckerkrankheit. Berlin-Wien 1936.

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1933 - Die ausgefallene 12. Tagung und der
Vorstand der Gesellschaft
Geplante 12. Tagung (Vorsitz Hermann Strauß)
Berlin, September 1933

„Der Vorsitzende teilt mit, dass am 29. 4. 1933 Vorstand und Ausschuss ihre Ämter niederge-
legt und die Wahrnehmung der Interessen der Gesellschaft dem stellvertretenden Vorsitzenden
Prof. Hegler und dem bisherigen Generalsekretär Prof. von den Velden übertragen haben. Allen
Mitgliedern war zur Kenntnis gebracht worden, dass die für Herbst 1933 vorgesehene Tagung
der Gesellschaft auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Anschluß an
die Frühjahrstagung in Wiesbaden 1934 stattfinden würde“.1 Diese dürren Worte Carl Heglers
umschreiben die tiefgehende Zäsur, die im April 1933 die Gesellschaft traf. Sie war Folge der
Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Ärzte durch die NS-Herrschaft und der „Gleich-
schaltung“ auch der wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

Etwa ein Viertel der Mitglieder im Jahre 1932 war jüdischer Herkunft. Sie wurden aus dem
Mitgliederverzeichnis gestrichen. 1938 war der Mitgliederstand mit 215 gegenüber 1932 um
nahezu 50% reduziert.
Fünf (Boas, Rosenfeld, Biedl, Hijmans van den Bergh, Korányi) der elf Vorsitzenden zwischen
1914 und 1933 waren jüdische Ärzte und Wissenschaftler. Vier des im Frühjahr 1933 amtie-
renden sechsköpfigen Vorstandes, Hermann Strauß, Paul Wolff, Ferdinand Blumenthal und
Otto Porges, wurden gezwungen zurückzutreten. Reinhard von den Velden konnte bis 1936 in
seiner Funktion verbleiben. Der beratende Ausschuss der Gesellschaft bestand aus 20 Mit-
gliedern, zu denen Leopold Lichtwitz, Paul F. Richter, Georg Rosenfeld, Heinrich Schur und
Walter Zweig zählten. Ein neuer Ausschuss wurde zwischen 1933 und 1945 nicht mehr be-
rufen.

Hermann Strauß (geb. 1868 in Heilbronn, gest. 1944 im Ghetto Theresienstadt) war seit 1910
Ärztlicher Leiter der Abteilung Innere Medizin am Jüdischen Krankenhaus Berlin. Er hatte
sich bei Carl Anton Ewald, Franz Riegel und bei Hermann Senator an der III. Medizinischen
Universitätsklinik der Charité ambitioniert zum Internisten ausgebildet. Die Reststickstoff-Be-
stimmung zur Nierenfunktionsprüfung, die kochsalzarme Diät als Therapie und die Konstruk-
tion der „Strauß-Kanüle“ zur einfachen venösen Blutentnahme gehen auf ihn zurück. 1897
habilitiert wurde Strauß 1902 zum a.o. Professor der Berliner Universität ernannt. Seit 1900
widmete er sich zunehmend den Verdauungskrankheiten: Er führte die Laevulose-Probe2 als
Leberfunktionstest ein, die er mit dem späteren Immunologen Hans Sachs erarbeitet hatte
und entwickelte gemeinsam mit Georg Wolf jenes Recto-Sigmoidoskop3, das über mehr als
sieben Jahrzehnte Standardinstrument war. Strauß befasste sich zudem eingehend mit den
Erkrankungen von Rectum und Sigma.4 Er wurde im Juli 1942 aus Berlin in das Ghetto The-
resienstadt deportiert und starb dort am 17. Oktober 1944.

Seit 1925 war Reinhard von den Velden (geb. 1880 in Strassburg, gest. 1941 in Buenos Aires)
Generalsekretär der Gesellschaft. Er wurde 1907 in Marburg für Innere Medizin und expe-
                                                                                                                             StrauSS

1   Vhlg Gesell Verdauungs Stoffwechselkr, XII. Tagung in Wiesbaden 1934. Leipzig 1934, 11.
2   Strauß H. Zur Funktionsprüfung der Leber. Dtsch Med Wochenschr 1901; 27: 757-9 und 786-7.
3   Die Procto – Sigmoskopie und ihre Bedeutung für die Diagnostik und Therapie der Krankheiten des Rektum und des
    Sigmoideum. Leipzig 1910.
4   Strauß H. Erkrankungen des Rectum und Sigmoideum. Pathologie, Diagnostik, Verlauf und klinische Therapie. Berlin 1922.

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