"Opfer" - in verschiedenen Religionen - Katholische Pfarrei ...

 
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„Opfer“ – in verschiedenen Religionen
                        Vortrag von Pf. Norbert Gatz, Fastenzeit 2021

Das Thema „Opfer“ ist ein sehr großes, vielschichtig und vielbedeutend und kann in
dieser kurzen Darstellung nur unvollkommen behandelt werden – das sei gleich am
Anfang gesagt. Mein Ziel ist es, einen Überblick zu geben und grundlegende
Aussagen zu treffen. Man nehme dies nicht als vorab geäußerte Entschuldigung für
etwaige Mängel, Weglassungen oder Fehler, sondern als Hinweis und als
Möglichkeit, das Nachfolgende mehr als Anreiz zu verstehen, sich mit dem, was
geäußert wurde oder wofür vielleicht die Neugier erweckt wurde, näher zu
beschäftigen. Der besseren Verständlichkeit wegen, werde ich die im Text
enthaltenen Quellenangaben in der Hörfassung nicht erwähnen.

Warum das Thema Opfer? „Das Opfer, so ist man sich weithin einig, ist die religiöse
Handlung par exellence. Es gilt als die zentrale Erscheinung des Kultes und als
wesentliches Element menschlichen Verhaltens gegenüber Gottheiten und allen
anderen überlegenen Mächten.“, so Rainer Flasche in dem Buch „Opfer und Gebet
in den Religionen. Ist das wirklich so? Resultiert diese Einschätzung mehr aus dem
Blick auf die Vergangenheit bzw. dem speziellen Blick der Religionswissenschaftler,
als dass es eine heute noch allseits übliche Praxis gäbe (Opferhandlungen) und eine
bewusste Haltung dazu gäbe? Sicherlich findet man in den Kirchen allenthalben
Opferlichtständer, an denen man Kerzen entzündet, ein Gebet spricht und in einen
sogenannten Opferstock einen finanziellen Obolus entrichtet. Ich war sehr
beeindruckt bei einem Besuch der Wallfahrtsstätte Lourdes, als man zwei Mitarbeiter
benötigte, um eine Opferkerze aufzustellen, die weit über einen Meter groß war und
mindestens 20 cm im Durchmesser maß. Wachs und Kerzendocht - ist es das, was
heute als „Opfer“ geblieben ist von dem was früher einmal ein Haaropfer, ein
Weihrauchopfer, ein Blut- oder Tieropfer, oder sogar ein Menschen- oder Selbstopfer
gewesen ist? Diese Aufzählung deutet bereits die Vielfalt der Formen eines Opfers
bzw. einer Opferhandlung an. Andere Einteilungen sprechen von Ahnenopfer,
Totenopfer, Geisteropfer. Oder aber von Zauberopfer, Anerkennungsopfer,
Lobopfer, Geschenkopfer, Gabenopfer, Sühneopfer, Dankopfer, Erstlingsopfer.
Auch die Art- und Weise des Opferns ist bezeichnend: Brandopfer, Feueropfer,
Räucheropfer, Schlachtopfer, Speiseopfer, Trankopfer, Grabopfer bis hin zum
Opfermahl (vgl. R. Flasche, ebd.).
Als katholischer Christ wäre anzumerken: Natürlich gibt es noch mehr als Wachs
und Kerzendocht. Wir feiern doch die Eucharistie als gemeinschaftliches Opfermahl.
Zwar nicht als nochmaliges oder erneutes Opfer Jesu, dass er selbst durch seinen Tod
einmalig erbracht hat, aber in Erinnerung daran und als Vergegenwärtigung für uns
Heutige, dass auch wir daran teilhaben können. Aber ist uns das wirklich und immer
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bewusst? Könnte es sein, dass mitunter andere Aspekte stark in den Vordergrund
rücken: die große Freude am Beisammensein, eine ansprechende und anspruchsvolle,
künstlerisch hochstehende musikalische Gestaltung (Ästhetizismus?), die Teilnahme
an einem gemeinsamen Mahl?
Vielleicht kann der Blick auf „Opfer“ und Opferhandlungen in anderen Religionen
den Blick auf das Elementare der eigenen Religion schärfen oder zumindest
inspirieren. Bevor ich fortfahre, möchte ich eine kurze Begriffsbestimmung
vornehmen. Mit „Opfer“ bzw. „Opferung“ wird meist eine Gabe verbunden, bzw. im
erweiterten Sinn eine Hin-Gabe. Dies kann sowohl etwas Gegenständliches sein, bis
zur Selbst-Hin-Gabe (meiner Person, meines Körpers, meines Lebens), als auch
etwas Geistig-Geistliches (Gesinnung, Haltung, Einstellung, Überzeugung).
Ich möchte in diesem Zusammenhang eher von einer „Zuwendung“ sprechen.
„Zuwendung“ meint ebenfalls etwas konkret Gegenständliches (wie wir z.B. eine
Geldsumme als Zuwendung geben oder erhalten), aber auch eine seelische bzw.
geistige Ausrichtung auf ein Gegenüber, als Ausdruck einer tiefen Verbundenheit,
die, im Idealfall, wechselseitig ist. Das heißt z.B.: Ich wende mich Gott zu, mit
meinen Gedanken, mit meinen Worten, in meiner Körperhaltung.

Ich lade Sie nun ein zu einer virtuellen Weltreise. Sie führt von Kontinent zu
Kontinent und soll dabei „Opfer“ und „Opferhandlungen“ in verschiedenen
Religionen und zu unterschiedlichen Zeiten näher bringen.

Starten wir in Mittelamerika. Im Jahr 2006 kam ein Film in die Kinos: „Apocalypto“
Er erhielt einige Aufmerksamkeit, zum einen weil er von dem Hollywoodstar Mel
Gibson herrührte (Produktion, Regie, Buch), der mit dem Film „Die Passion“ großes
Aufsehen erregt hatte und zum anderen, weil er als Nordamerikaner in die indigene
Welt Mittelamerikas im ausgehenden Mittelalter eintauchte. In der Handlung des
Filmes kämpft ein junger Mann um sein Leben und das Leben seiner Familie.
Kriegerische Menschenjäger der Maya haben sein Dorf angegriffen und ihn und
andere seines Stammes gefangen genommen. Sie sollen während einer großen
Zeremonie geopfert werden. Der Ritus sieht vor, dass den lebenden Menschen das
Herz herausgeschnitten, ja regelrecht herausgerissen und der Gottheit dargebracht
wird. Ist es möglich, dass Menschen soweit gehen und Opferungen auf solch
grausame Weise stattfinden? Manche Kritiker haben Mel Gibson eine historische
Unkorrektheit und große Übertreibung vorgeworfen. Blut- und Menschenopfer seien
in antiken Gesellschaften Teil eines komplexen religiösen Systems gewesen und für
ein Massenschlachten, wie im Film dargestellt, fehlten jegliche Befunde. (Nicolai
Grube, Sprachwissenschaftler in „Gibson-Film strotzt vor Fehlern“, Werner Siefer,
Focus-Redakteur, 2.01.2016). Die Mayas gelten als sogenannte Hochkultur mit
Schriftsprache, einer entwickelten Architektur und einem zuverlässigen
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Kalendersystem. Ihre Religion wird als polytheistisch bezeichnet, d.h. es gibt eine
Vielzahl von Gottheiten, allerdings auch so etwas wie einen höchsten Gott, genannt
Itzam Na, dem die anderen Götter dienen. Wie im „Handbuch der Religionen“ von
Mircea Eliade und Ioan Couliano ausgeführt wird, steht im Mittelpunkt ein
Blutopfer, bei dem der Mund der Gottesstatue mit Blut eingerieben wird („den Mund
öffnen“). Vorrang genießt das menschliche Blut, es wird als Sitz der Seele und der
Lebenskraft betrachtet (wikipedia, Maya). „Gewonnen“ wird das Blut durch das
bereits erwähnte Herausreißen des Herzens, durch Perforation oder Enthäutung. Das
Opfer des Blutes soll die Götter nicht nur gewogen machen, es sei sogar nötig, um
sie in „gewisser Weise am Leben zu erhalten“ (wikipedia), da die Maya sie sich als
sehr lang lebend, aber doch als sterbliche menschen- oder tierähnliche Wesen
vorstellen würden. Diese Auffassung weist einen Bezug zu den Opferriten der
Azteken auf, die eine kaum vorstellbare Zahl von Menschen opferten, ebenfalls durch
Herausschneiden des Herzens, damit ihr Weltalter Bestand hat und die Sonne ihre
Bahn fortsetzt.

Gehen wir weiter nach Nordamerika. Die Indianer im Nordosten der Vereinigten
Staaten, so Eliade/Couliano, haben die Vorstellung einer alles umfassenden Kraft,
die von den verschiedenen Stämmen verschieden benannt wird: manitu (Algonkin),
oki (Huronen), orenda (Irokesen) … und die von bestimmten Lebewesen und
Gegenständen verkörpert werden kann. Diese „Kraft“ hat die Fähigkeit, über Geister
mit den Menschen in Verbindung treten zu können, besonders mit den
Medizinmännern bzw. Schamanen. Die Menschen leben von dem, was sie umgibt,
von den Tieren, die sie für sich erlegen, von den essbaren Pflanzen, die sie finden.
Sie greifen auf diese Art und Weise in das Leben ein und versuchen durch Opfer-
und Sühnezeremonien so etwas wie einen Ausgleich zu schaffen.
Bei den Prärieindianern, die in einer Vielzahl von Stämmen und Völkern auftreten,
bildet sich vermutlich im 19. Jahrhundert der Ritus des Sonnentanzes heraus, zu dem
sich die Indianerstämme einer Region versammeln. Die männlichen Teilnehmer
erdulden dabei „entsetzliche körperliche Qualen, um so dem Höchsten Geist näher
zu kommen“ (Eliade/Couliano).

Ein großer „Sprung“ und wir sind in Australien angekommen. Die Ureinwohner,
durch das Inseldasein über Jahrtausende weitgehend isoliert, verharren auf dem
Stand als Jäger und Sammler, allerdings ohne Pfeil und Bogen und Metallwerkzeuge.
Sie entwickeln keine Schrift, keinen Ackerbau. In Clans von bis zu 50 Menschen
durchstreifen sie ihr Stammesgebiet als Nomaden und leben von dem, was sie
vorfinden, ohne Vorräte anzulegen und ohne privates Eigentum (Ingo Neumayer,
Planet Wissen). Viele Forscher gehen davon aus, dass sie keine Götter kennen und
verehren. Laut Eliade/Couliano jedoch verehren die Ureinwohner, die Aborigines,
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einen Schöpfergott in den Höhen des Himmels. Zu den Initiationsriten, streng geheim
und sehr bedeutsam, würde er seine Wohnstatt verlassen, um zugegen zu sein.
(Eliade/Couliano). Im Alltag seien die Geister bedeutsam, die sich zwischen Himmel
und Erde frei bewegen können und die die Urheber der Welt als einem bewohnbaren
Raum sind. Die Schöpfung geschah in der sogenannten „Traumzeit“ die, historisch
betrachtet, sehr weit zurückliegt, aber eigentlich nicht vergangen und für die
Aborigenes noch allgegenwärtig ist, „als eine Art metaphysischer Parallelwelt“ (J.
Neumayer). Eliade/Couliano sprechen davon, dass die Ureinwohner angesichts eines
Felsens oder eines Baumes „dem Treiben der mythischen Urwesen“ zuschauen
können. Beredtes Beispiel dafür ist wohl die Verehrung des Uluru (Ayers Rock) als
heiligem Berg.
Wenn der Zeitpunkt der Initiationsriten für die Knaben erreicht ist, werden ihnen
rituelle Verwundungen zugefügt und Blutbesprengungen und sie erleiden einen
Scheintod. In diesem „symbolischen Tod“ sollen sie sich auf die heiligen Ursprünge
der Welt entsinnen. Die Aborigenes haben also “eine höchst spirituelle Verbindung
zur Natur“ (I. Neumayer)

Ziehen wir weiter: „Der Chinesische Volksglaube“ – das ist etwas, dass es eigentlich
nicht gibt, zumindest nicht in einer Form westlich geprägter Vorstellung von
Religion. Er wird als ein Gemisch aus religiösen und nicht-religiösen Praktiken
angesehen, ohne Theologie, ohne Kleriker, ohne Organisation. Doch es gibt Riten
die der Familienvater zelebriert z.B. zu einer Hochzeit oder zum Neujahr. Verbreitet
ist die Vorstellung der Existenz von Geistern in einer unsichtbaren Sphäre.
Ahnenverehrung, lokale Kulte und Elemente aus Buddhismus, Daoismus,
Konfuzianismus, Fengshui und anderem fließen zusammen bzw. werden jeweils
verwendet.
„Konfuzianismus (und heute Kapitalismus und Kommunismus) dienen für
gewöhnlich als Anleitung für das tägliche Leben, Daoismus ist bei Exorzismus und
Läuterung sinnvoll, für Begräbnisse wendet man sich an buddhistische Priester.“
(wikipedia, Caroline Blunden u. Mark Elvin: Weltatlas der alten Kulturen: China.)
Weit verbreitet sind rituelle Formen der Verehrung der Vorfahren (Ahnenkult) und
lokaler Gottheiten. Besonders auf dem Land finden sich an einem zentralen Platz in
der Wohnung Bilder und Statuen der Ahnen, Gottheiten oder wichtiger Personen, das
können durchaus auch die von Mao Zedong oder Deng Xiaoping sein. Die Gottheiten
können bei der Erfüllung von Wünschen und der Lösung von Problemen helfen.
Diese werden in einem Gebet und einem Weihrauchstäbchen vorgebracht, oft kniend
und mit Verbeugungen, verbunden mit einem Versprechen für eine Gegenleistung
(Opfer?).

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Und weiter Richtung Westen: Der Hinduismus ist stark verbreitet im indischen
Raum, aber auch weit darüber hinaus. Im Hinduismus, so Madelaine Biardeau (M.
Biardeau/Ch. Malamoud, Le Sacrifice dans l’Inde ancienne), sei das Opfer das
zentrale Ordnungsprinzip. Wobei auch hier anzumerken ist, dass es den
„Hinduismus“ als einheitliche Religion nicht gibt, sondern unter dieser Bezeichnung
verschiedene Religionen vereint werden, die gemeinsame Traditionen haben, sich
darin überlagern und beeinflussen, aber in den heiligen Schriften, der Götterwelt, in
Ritualen      und      Glaubenslehren       Unterschiede      aufweisen       können.
Religionswissenschaftler sprechen heute eher von Hindu-Traditionen oder Hindu-
Religionen. Auch die früher übliche Charakterisierung als Polytheismus wird so
nicht mehr aufrecht erhalten. In den aktuellen spirituellen Strömungen nehmen die
Manifestationen (Aspekte) Brahmas, dem Erschaffer der Welt, jeweils den Platz
eines „einzigen, allumfassenden und damit verehrungswürdigen“ Gottes ein. (vgl.
wikipedia, Hinduismus). Es sind Vishnu (Erhalter und Bewahrer der Welt), Shiva
(Vollender und Zerstörer der Welt) und Shakti (kosmische Energie, verehrt als
göttliche Mutter). Anette Wilke (Opfer, Gebet und Gebetsopfer im Hinduismus) führt
aus, dass der Veda, die wirkmächtigste Sakralliteratur der Hindus, fast ausschließlich
vom Opferwesen handelt. Sie unterscheidet a) feierliche, gemeinschaftliche
(kommunale) Opfer, b) häusliche Opfer und c) verinnerlichte Opfer. Zu den
feierlichen Opfern zählt sie Feueropfer, die in früheren Zeiten auch Menschenopfer
sein konnten, Selbstverstümmelungen und Tieropfer. Bei den häuslichen Opfern
finden sich das täglich verrichtete Hausopfer – gekochte Milch wird in ein Opferfeuer
gegossen, dass dem Herdfeuer entnommen wurde – und auch die „fünf großen Opfer“
die in traditionellen Haushalten täglich vollzogen werden und unterschiedliche
Adressaten haben. Da ist das Opfer an die Götter: geschmolzene Butter oder gekochte
Nahrung wird ins Feuer gegossen. Dann das Opfer an die Kreaturen und Geister:
etwas von der täglichen Nahrung wird auf den Boden gestreut oder in die Luft
geworfen. Weiterhin das Opfer an die Ahnen: mit Reisballen oder einer
Wasserspende. Das Opfer an die Menschen: durch Speisung von Gästen; Fremden;
Asketen oder Bettlern. Schließlich das höchste der fünf Opfer: das „Brahmanopfer“,
das Opfer an das Absolute im Rezitieren vedischer Texte. Verinnerlichte Opfer
können verstanden werden als Selbstopfer in Form von Askese bzw. Entsagertum bis
hin zum geistigen Selbstopfer, dass man verstehen kann als Bereitschaft eines
leidenschaftlichen Verehrers einer Gottheit, sich selbst zu töten. Wilke merkt
weiterhin an, dass der gängigste Begriff für Opfer – „yajna“ – „nicht nur
Opferhandlungen der Entäußerung und der Zerstörung materieller Objekte im Feuer,
sondern Verehrung im weitesten Sinne, einschließlich devotionaler Akte“ umfasst.
Wilke begründet dies damit, dass die ursprüngliche Bedeutung von „yajna“ mit
einem Gastritual zusammenhängt. Den Gottheiten wird mit vegetarischen Speisen
und anderen Gaben aufgewartet, wie einem bevorzugten Gast. Der Opferbegriff
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weitet sich noch weiter, wenn man in Betracht zieht, dass Brahmanen die
Verpflichtung des „japahoma“ kennen, worunter man ein „Wortopfer“ bzw. ein
„geistiges Opfer“ verstehen kann, dass eine eigenständige Handlung darstellt. In
einer der heiligen Schriften heißt es: „Der Feueraltar ist Sprache, denn er ist mit
Sprache aufgebaut.“ Wilke bezeichnet die Konsekration der Backsteine mit Mantras,
also heiligen Formeln, als das zentrale Moment bei der Aufschichtung des Altares.
Ihnen, den Mantras, wird eine inhärente Wirksamkeit zugeschrieben, da sie die
klangliche Verkörperung kosmischer Kräfte darstellen. Wilke spricht von einer
Entwicklung durch „symbolische Substitutionen“, also eine Art Ersetzung wie z.B.
das Menschenopfer durch Tieropfer, das Tieropfer durch eine zerbrochene
Kokosnuss, das Blut durch Zinnober, die materielle Gabe durch das Wort. Als
wirkmächtigste Substitution bezeichnet J.C. Heestermann „die spätvedische
Ersetzung des Opfers durch Wissen und die Identifikation von Opfer und Selbst.“ In
seinem Aufsatz: „Vedisches Opfer und Transzendenz“ schreibt er: „Das Wichtigste
ist …, dass aus dem ursprünglich grausam-gefährlichen Opfer eine neue und
einzigartige Vorstellung der Transzendenz gewonnen wurde. Sie weist hin auf die
Idee, dass der Mensch sich von der Welt lossagen kann, um in sich selbst das
Transzendente zu verwirklichen.“

Schauen wir nun auf Afrika. Vorherrschende Religionen sind das Christentum und
der Islam. Schätzungen um die Jahrtausendwende besagen, dass aber immerhin ca.
100 Millionen Menschen afrikanischen Religionen anhängen. Bei ebenfalls
geschätzten 3000 Ethnien mit ca. 1000 verschiedenen Sprachen lässt sich einsehen,
dass ich mich auf einige grundlegende und mehr oder weniger gemeinsame
Merkmale der zahlreichen afrikanischen Religionen beschränke. Gemeinsam ist der
Glaube an ein höchstes Wesen, einen Gott der Schöpfung, der jenseitig und
unerreichbar ist und männlich oder weiblich sein kann. Der Glaube, die Religion ist
tief mit dem gesamten Leben durchwoben, „Jedes Ereignis im Leben wird auf
übernatürliche Ursachen zurückgeführt.“ (wikipedia) Großes Gewicht hat die
Gemeinschaft, weniger der Einzelne. Die Religion soll dazu beitragen, Harmonie zu
erreichen in den Familien, zwischen den Clans und Stämmen. Allgegenwärtig sind
Ahnen und Geister, die schützend und helfend wirken können, mitunter mächtig wie
Götter. Über ein Medium, das ein Mensch, ein Traum oder eine Vision sein kann,
äußern sich die Ahnen und ihre Wünsche müssen möglichst erfüllt werden. Die
Geister stehen oft in Verbindung mit Naturerscheinungen (Luft, Erde, Donner,
Berge, Erdbeben, …) und sind als deren Personifizierungen zu betrachten. Verbreitet
ist ebenfalls der Glaube an Hexerei und Magie, die meist als Erklärung dienen, für
sonst nicht erklärliche Ereignisse, besonders Unfälle und Schicksalsschläge. Hexen
und Zauberer können durchaus sehr angesehen und geschätzt sein, wie z.B. bei den
Yoruba in Nigeria. Die von ihnen eingesetzten mystischen Kräfte finden ihren
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Niederschlag z.B. im westafrikanischen Voodoo. Kulthandlungen sind fast immer
verbunden mit kollektiven Ritualen, bei denen Musik und Tanz, aber auch
Opferhandlungen einen wichtigen Platz einnehmen, in ihnen geht es um Dank und
Demut gegenüber der Schöpfung, um Vergebung für den notgedrungenen Eingriff
des Menschen in den Naturhaushalt und um Respekt und Ehrfurcht gegenüber dem
Leben, den Ahnen und den Traditionen (vgl. wikipedia, Opfer).

Ein letztes Beispiel (unter vielen noch möglichen): Opfer im antiken Rom. „Der
römische Götterhimmel war umfangreich und umfasste neben den Göttern auch noch
Geisterwesen, Personifikationen, Halbgötter und auch viele Ungeheuer.“ (wikipedia,
Römische Mythologie) Ab dem 5. Jh. V. Chr. hielten die griechischen Gottheiten in
Rom Einzug, wenn auch mit anderem Namen. Hinzu kamen verschiedene Gottheiten
aus den eroberten Provinzen. Kein wichtiger Gott sollte vergessen sein, damit Unheil
vermieden werde. So verehrten die Römer auch die Novensiles, „kollektive
Gottheiten von dunkler Bedeutung.“ Man geht davon aus, dass es kein einheitliches
Glaubenssystem gab und keine heiligen Schriften. „Die Römer hätten gewusst, dass
es Götter gab, aber sie hätten nicht an sie geglaubt in einem verinnerlichten Sinn.
Auch gäbe es nicht das individuelle Seelenheil. Vielmehr konzentrierten sie sich
vorrangig um die Ausführung von Ritualen.“ (wikipedia, Bezug auf Mary Beard,
2015). Die vielen und sehr detaillierten Rituale bildeten quasi die römische Religion,
die ein fester Bestandteil der res publica war. An den Ritualen wurde streng
festgehalten. Sie mussten genau beachtet werden. Schon eine geringe Abweichung
im Vollzug, z. B. ein Versprecher im Text konnte den Zorn der Götter hervorrufen.
Es musste dann ein Sühneopfer dargebracht und der eigentliche Ritus wiederholt
werden. Zu den Ritualen gehörte die Opferung von Tieren, Pflanzen und anderen
Dingen. Wie streng man dabei vorging möge folgende Schilderung erhellen: „Die
Opfertiere, meistens Haustiere wie Schafe, Schweine oder Rinder, wurden
unterschieden nach Geschlecht, Alter, Hautfarbe, ob sie kastriert waren oder nicht,
noch gesäugt wurden (lactentes) oder nicht (maiores). Grundsätzlich ist, dass die
weiblichen Gottheiten weibliche und die männlichen Gottheiten männliche
Opfertiere erhielten … Für verschiedene Tiere waren verschiedene Holzarten für das
Opferfeuer vorgeschrieben, man unterschied u. a. glücksbringende Bäume (arbores
felices) und unheilvolle Bäume (arbores infelices). Das ausgesuchte Tier wurde
festlich geschmückt und in einer feierlichen Prozession zum Altar geführt. Unter der
Begleitung von Flötenmusik zog sich der Opferherr die Toga über den Kopf, dann
sprach er exakt die bisweilen komplizierte Darbringungsformel nach. Dann bestrich
er die Stirn des Tieres mit Salz und Schrot (mola salsa) und fuhr mit dem Messer
vom Nacken bis zum Schwanz über den Rücken des Tieres, danach erst erfolgte die
Tötung. Die Untersuchung der Eingeweide des Tieres … die in ihrer Form wiederum
bestimmten Regeln entsprechen mussten, entschied über die Frage, ob der Gott das
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Opfer akzeptiert hatte, also ob die Opferung gültig war oder wiederholt werden
musste.“ (vgl. wikipedia, Opfer)

Der französische Historiker Paul Veyne trifft folgendes Urteil: „ … der antike
Mensch (stellte) sich die Götter als überwältigende, anbetungswürdige, den Mensch
überlegene Wesen vor. … Die heidnische Religion und Kulte aber machten kein
Angebot eines liebenden Gottes. Die pagane Frömmigkeit gründet auf die Opfer. Die
Götter sind aus der paganen Vorstellungswelt nicht sehr eng mit der Menschheit
verbunden, so dass man sie beständig stören dürfte. Sie werden nicht über die eigene,
individuelle seelische Befindlichkeit in Kenntnis gesetzt. Einzig darf der Glaubende
sie an die Beziehung erinnern, die mit einem von ihnen durch wiederholt
dargebrachte Opferungen entstanden ist. Pagane Religiosität sei … ein Ensemble von
Praktiken, es ginge nicht um dezidierte Überzeugungen und Vorstellungen, sondern
darum seine Religion zu praktizieren. Die Götter, so in der Vorstellung der
Glaubenden, achteten darauf, dass ihre Person, ihr Namen und Tempel, ihre Würde
respektiert und bemerkt würden. Im Paganismus sei jede sich im Bewusstsein des
Glaubenden abspielende Verbindung zwischen den Göttern und den Menschen
fremd.“ (vgl. wikipedia, Opfer)

Mein Resümee angesichts so vieler verschiedener und bemerkenswerter
Opferhandlungen: Ich bin dankbar für den, für meinen christlichen Glauben, in dem
mir Gott so nahe kommt, weil er das höchste Opfer einmal und für immer selbst
vollzogen hat – für die Menschen, für mich. Ich bin dankbar, dass er uns einen Ritus
geschenkt hat, der uns auch heute daran teilhaben lässt, einen Ritus, in dem er sich
selbst uns schenkt, sich uns zuwendet.

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