Die USA vor, mit und nach Trump - PROKLA. Zeitschrift für ...
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PROKLA-Redaktion PROKLA 203 | 51. Jahrgang | Nr. 2 | Juni 2021 | S. 196-200 https://doi.org/10.32387/prokla.v51i203.1945 PROKLA-Redaktion Die USA vor, mit und nach Trump D ie Rede war von einem »Scherben- haufen«, den der scheidende Prä- sident hinterlassen hatte, »die weitere, Märkte krachend zusammenbrechen ließ – zumindest für eine gewisse Zeit. Wir fragten daher unter anderem nach deutliche Verschärfung der Einkom- der Macht des Finanzsektors, nach der mens- und Vermögensungleichheit im vorherrschenden Armutspolitik oder Land mit den Mitteln der Steuer- und nach der Bedeutung der Evangelikalen Sozialpolitik; die Lizenz zum Plündern – gesellschaftlichen Phänomenen, die von natürlichen Ressourcen in ausge- mit dem neoliberalen Aufschwung seit wiesenen Naturschutzgebieten und der Anfang der 1980er-Jahre einhergingen. Widerstand gegen jede internationale Der Scherbenhaufen sah im Novem- Politik des Klimaschutzes – die Liste ber 2020, als Donald Trump zur Wieder- lässt sich mühelos fortsetzen. Wie die wahl antrat, ähnlich aus, er war aber kei- Umfragen wenige Wochen vor der Wahl neswegs der erste seiner Art, wie eine anzeigen, hätte all dies allerdings mög- Fixierung auf die exzentrische Person licherweise noch immer nicht ausge- des Präsidenten es häufig nahelegt. In reicht, die Republikaner aus dem Wei- beiden Fällen hatte eine konservative ßen Haus zu treiben.« Eine treffende Regierung eine beinharte neoliberale Beschreibung der Lage in den USA im Politik betrieben, doch die gesellschaft- Herbst 2020? Nein, so stand es im Edito- liche Krise spitzte sich aus je unter- rial der PROKLA 153 aus dem Jahr 2008, schiedlichen Gründen zu. Damals ge- einem Heft, das vor rund zwölf Jahren schah dies dank der internen Dynamik unter dem Titel Die USA nach Bush er- des Wirtschaftssystems und insbeson- schien. Wenngleich auch dieser Präsi- dere der Finanzmärkte, diesmal durch dent gewisse Verhaltensauffälligkeiten ein Ereignis, das zwar ebenfalls mit der an den Tag legte, ging es uns damals bedenkenlosen Ressourcennutzung einer weniger um dessen Person als um die auf Wachstum gepolten Wirtschaftsord- strukturellen Hintergründe für den ka- nung zu tun hat, das Land aber dennoch tastrophalen Einbruch der Finanzmärk- von außen traf: die Covid-19-Pandemie, te, der die größten Investmentbanken die sich in den USA besonders verhee- des Landes ins Straucheln brachte, Mil- rend ausbreitete und auswirkte. Allein lionen einfacher Menschen ihre Häuser bis zum April 2021 führte sie zu mehr wegnahm und ihnen nichts als einen als einer halben Million Toten, sodass Schuldenberg beließ, sowie den Glau- hier durch die Seuche bis dahin mehr ben an das segensreiche Wirken freier Menschen ums Leben kamen als in je- 196
Editorial dem anderen Land der Erde. Das ging leisten können. Die Zahl und Größe der zum einen darauf zurück, dass Trump Trailer Parks ist in einem Ausmaß an- gegenüber dem grassierenden Virus das gewachsen, das sie sogar für Invest- praktizierte, was Benjamin Kunkel eine mentfirmen interessant werden ließ. »sadistische Nonchalance« nannte, also Sie haben sie in vielen Fällen den bis- eine Politik betrieb, die sich – wie bei herigen kleinen privaten Eigentümern ihm üblich – durch tägliche konfuse und abgekauft, um an ihnen nach ihrer üb- hetzerische Twitter-Meldungen, eine lichen Gewinnlogik zu verdienen – stets haarsträubende Ignoranz von Fakten, zum Nachteil der dortigen Bewohner unzählige Lügereien und bizarre Auf- und Bewohnerinnen. tritte in der Öffentlichkeit auszeichnete. Angesichts des wirtschaftlichen und Zum anderen kamen dabei die notori- sozialen Elends, das mit der Ausbreitung schen Defizite des Gesundheitssystems der Pandemie unübersehbar wurde, griff im reichsten Land der Welt zum Tragen, die Trump-Regierung im Frühjahr 2020 das vor allem seinen afroamerikanischen zu Stützungsmaßnahmen, bei denen und lateinamerikanischen Bürgern und massenhaft Schecks verteilt wurden, Bürgerinnen oft nicht einmal den ele- die mit der persönlichen Unterschrift mentarsten Schutz gegen die Seuche des Präsidenten verziert waren. Parallel gewähren konnte. dazu wuchsen die Einkommen von Mil- Auch bei den gesellschaftlichen Fol- lionären und insbesondere von Milliar- gen zeigten sich keineswegs neue Mus- dären weiter kräftig an, und vor allem ter, sondern meist nur eine Verschär- Handelsplattformen und IT-Konzerne fung der seit Jahrzehnten bekannten wiesen Kurssprünge und Gewinne wie Verwerfungen: Die Reichen wurden nie zuvor auf. Das wirft die Frage auf, (wieder einmal) noch reicher, die Ar- wie die Parteien der Republikaner und men standen Schlange vor kirchlichen der Demokraten sich diesen Entwick- oder karitativen Einrichtungen, die lungen gegenüber positionierten. Wie kostenlos warmes Essen verteilen. In kam es, dass die Wahl vom November einem Land, das jahraus, jahrein einen 2020 keineswegs zu dem von vielen riesigen Überschuss an Lebensmitteln erwarteten Erdrutschsieg der Demo- produziert, ist das Problem des Hun- kraten führte? Zwar gewann Joe Biden gers abermals in einer Schärfe an den mit mehr als sieben Millionen Stimmen Tag getreten, wie man das sonst aus Vorsprung den popular vote, doch die- Ländern mit dem niedrigsten weltwei- se Überlegenheit übersetzte sich dank ten Pro-Kopf-Einkommen kennt. Ein des anachronistischen Wahlmänner- Fünftel der Bevölkerung hat seit dem Systems nur sehr viel weniger in deren wirtschaftlichen Einbruch durch die Stimmen. Vor allem aber verloren die Pandemie nicht immer genug zu essen, Demokraten im Repräsentantenhaus ein Achtel muss Lebensmittelgutschei- mehrere Sitze und haben dort nur noch ne in Anspruch nehmen. Dazu kommt, eine schwache Mehrheit; im Senat ist dass viele Millionen Menschen auf der ein Patt von 50:50 entstanden, sodass Straße, in Zelten oder in Wohnwagen le- sie lediglich mit der Stimme der Vize- ben, weil sie sich keine Wohnung mehr präsidentin zu einer Mehrheit kommen. 197
PROKLA-Redaktion Mike Davis untersucht in seinen An- seiner Amtszeit tatsächlich entwickelt merkungen zu den November-Wahlen, hat. Diesem Thema widmet sich Trevor wie es bei einer ungewöhnlich hohen Evans, der zeigt, dass sich seit den 1980er- Wahlbeteiligung vor allem den Republi- Jahren die wichtigsten makroökonomi- kanern gelungen ist, ihre Wählerschaft schen Trends (bei starken zyklischen mehr als zuvor zu mobilisieren, und iden- Schwankungen) unter Trump fortge- tifiziert dabei als entscheidende Grup- setzt haben, etwa die Abschwächung pen die BewohnerInnen in den Counties der Wachstumsraten des Sozialprodukts des sogenannten Rostgürtels sowie jene oder der Arbeitsproduktivität. Ebenso im kleinstädtischen Mittleren Westen, wenig neu war in der Zeit seiner Präsi- in den Vorstädten und im texanischen dentschaft, dass Unternehmen eine ste- Grenzland. Für diese Gruppen stand das tig sinkende Neigung zeigten, Investiti- Thema Wirtschaft im Mittelpunkt und onen vorzunehmen, sondern lieber dem sie meinten, diese würde sich mit den Druck der Aktionäre nachgaben, ihnen Republikanern besonders gut entwi- immer höhere Dividenden auszuzahlen ckeln. Margit Mayer analysiert die Poli- oder Aktien von ihnen zurückzukaufen. tik der Demokraten sowie ihr Verhältnis Abgesehen von dem kurzen Strohfeuer zur Linken und stellt spiegelbildlich zu des Anstiegs der Investitionen nach der den Befunden von Davis fest, dass sich großen Steuerreform von 2018 und von die Demokraten in ihrem Wahlkampf den Maßnahmen der Deregulierung für auf die gebildeten metropolitanen Mit- den Finanzsektor hat Trump die länger- telschichten konzentriert und die klein- fristigen Entwicklungen somit nur re- städischen sowie die ländlichen Regio- lativ wenig beeinflusst. Der gewaltige nen vernachlässigt haben. Gerade dort wirtschaftliche Einbruch als Folge der gelang es anfangs Bernie Sanders, dem Pandemie zwang die Regierung dazu, den führenden Vertreter der progressiven bisher hochgehaltenen Fiskalkonserva- Demokraten, entscheidende Erfolge zu tismus, also die Politik der »schwarzen erzielen, doch wurde er in der Folge – wie Null«, weitgehend aufzugeben, und die generell die VertreterInnen dieser Rich- ersten wirtschaftspolitischen Entschei- tung – durch das Partei-Establishment dungen der neuen Biden-Regierung massiv ausgebremst. Es bleibt abzuwar- weisen ebenfalls in die Richtung einer ten, wie sich das Verhältnis der verschie- »Dämmerung des Neoliberalismus«. Ob denen Flügel weiter entwickeln wird. sich eine solche tatsächlich ereignen Ungeachtet der persönlichen Miss- wird, erscheint angesichts der politi- erfolgsgeschichte Trumps – einem wie- schen Kräfteverhältnisse jedoch mehr derholten Bankrotteur, dem nach sei- als fraglich. Sie würde nichts weniger ner Amtszeit zahlreiche Prozesse wegen als eine massive Erhöhung der Steuern Steuer- und Versicherungsbetrug sowie für Vermögende und gut verdienende Bilanzfälschungen drohen – wird ihm Unternehmen voraussetzen. von der republikanischen Basis Kompe- Die Neuorientierung der Wirtschafts- tenz in Angelegenheiten der Wirtschaft politik wird vermutlich eine sehr viel zugesprochen. Damit stellt sich die Fra- weniger radikale Umkehr bedeuten, als ge, wie sich die Wirtschaft in den Jahren vielfach angenommen wird, wie auch 198
Editorial Christoph Scherrer in seiner Analyse der rückging. Der Autor verfolgt, inwieweit Außenwirtschaftspolitik zeigt. Denn hier die Dimensionen der Klassenzuge- diese war unter Präsident Trump trotz hörigkeit und der Hautfarbe miteinan- aller donnernden America-first-Rhetorik der verschränkt sind, und wie sich das noch nie anders als an den Interessen System der Masseninhaftierungen unter des US-amerikanischen Kapitals ori- der Trump-Regierung entwickelt hat. entiert und in der Praxis keineswegs Auch wenn Trump selbst gerne als so konsequent protektionistisch, wie Vertreter von Law and Order auftrat, dieser für sich in Anspruch nahm. Auf war sein Umgang mit staatlichen Insti- der anderen Seite dürfte Joe Biden eine tutionen und Gesetzen stets von per- Reihe der Maßnahmen seines Vorgän- sönlichem Opportunismus geprägt, was gers bestehen lassen und faktisch eine sich insbesondere in seinem Verhält- Politik anstreben, die eine »Kreuzung nis zu rechten Milizen und in seiner von Obama und Trump« darstellen wird. Reaktion auf die verlorene Präsiden- Auch der Bereich der Kulturpolitik, tenwahl zeigte. Milizen wie die Proud den Nick Prasse unter die Lupe nimmt, Boys, die zunächst gegenüber dem Staat war in den letzten Jahren vor allem überwiegend kritisch eingestellt waren durch langfristig etablierte Struktu- und seit der neoliberalen Wende einen ren geprägt, insbesondere durch das starken Aufschwung erlebten, erfuhren im europäischen Vergleich minimale von ihm Anerkennung und Zuspruch. staatliche Engagement, demgegenüber Carolyn Gallaher und Jaclyn Fox gehen in der Sektor stets auf Kommerzialisie- ihrem Beitrag der Frage nach, ob sich rung setzte, und dort, wo diese nicht diese Milizen zu Paramilitärs entwi- erfolgreich sein konnte, auf Philantro- ckeln würden. Sie sehen dabei in der pie angewiesen blieb. Dass die Trump- Vergangenheit zwei mögliche Pfade. Regierung staatliche Ausgaben dazu als Der eine bestand darin, dass die Mili- »überflüssig« und »verschwenderisch« zen sich mit den sogenannten Weißen ansah, dürfte niemanden überraschen. Nationalisten, die einen (weißen) Eth- Gerade dieser Bereich und die in ihm nostaat anstreben, verbündeten; doch häufig prekär Beschäftigten wurden standen dem insbesondere diametral daher von der Covid-19-Epidemie be- entgegengesetzte Haltungen zum Staat sonders stark getroffen, was allerdings entgegen. Der zweite lag darin, dass die zu verstärkten Bemühungen der Kultur- unterschiedlichen Gruppierungen einen schaffenden geführt hat, sich über Netz- gemeinsamen Nenner in ihrer Rolle als werke neu zu organisieren. Ein weiterer Erfüllungsgehilfen der Trumpschen Bereich, dem ein eigener Beitrag gewid- Machtansprüche finden würden. Ge- met ist, gilt dem Gefängnissystem, das nau das geschah bei dem Angriff auf das Lukas Egger näher untersucht. Seit den Kapitol vom 6. Januar 2021. Sie folgten 1970er-Jahren gibt es in den USA eine damit der Aufforderung des abgewähl- für ein westliches Land einzigartig hohe ten Präsidenten, sich für ihn, dem man Inhaftierungsrate, die zum allergrößten die Wahl angeblich »gestohlen« hatte, Teil die schwarze Bevölkerung traf und stark zu machen. Trump selbst setzte ganz überwiegend auf Drogendelikte zu- sich nicht, wie viele der bewaffneten 199
PROKLA-Redaktion Randalierenden es erwartet hatten, an Neben diesen Beiträgen widmet sich die Spitze dessen, was ihnen als »Sturm« auch der »Einspruch« von Mitchell G. auf das Kapitol galt, sondern sah sich Ash den Zuständen in den USA. Er stellt die Vorgänge in aller Ruhe zu Hause im sich die Frage, ob die Ursache für die Fernsehen an. Das enttäuschte viele, aktuelle politische Krise des Landes in dennoch scheint dies die Faszination, deren Verfassung von 1787 liegt. Doch die er auch außerhalb der eigentlichen die Verfassung ist ursprünglich in kei- Miliz-Angehörigen immer noch ausübt, ner Weise »demokratisch« und wird nicht wirklich gebrochen zu haben. Ob- bis heute sehr unterschiedlich inter- wohl es inzwischen Belege dafür gibt, pretiert – so meinten etwa viele von dass Gelder, die in den letzten Monaten denen, die ins Kapitol eindrangen, sie für die Kampagne seiner Wiederwahl würden nichts anderes tun, als sie zu eingesammelt wurden, zu einem gro- verteidigen. ßen Teil veruntreut wurden, hielt der Jenseits des Schwerpunkts erscheint Zustrom des Geldes von Kleinspende- ein Text von Stefanie Hürtgen, die darin rInnen, die ihm ihre unverbrüchliche ihre Kritik an dem Konzept der »impe- Treue bezeugen wollen, weiter an. Die rialen Lebensweise«, wie es von Ulrich anhaltende Bedeutung dieser grassroots- Brand und Markus Wissen in ihrem Bewegung belegt, wie tief gespalten die gleichnamigen Buch vertreten wird, Gesellschaft trotz aller Appelle der neu- fortsetzt. Der erste Teil erschien in H. en Regierung zur Versöhnung bleibt. 198/2020. Der PROKLA Förderverein Die PROKLA erscheint seit 1971 und bietet politisch engagierte sozialwissenschaftli- che und ökonomische Analysen. Allein von den Verkaufserlösen kann sich die PRO- KLA nicht finanzieren, und in die Abhängigkeit von Parteien oder großen Verlagen wollte sie sich nie begeben. Deshalb wird die PROKLA von einem Förderverein her- ausgegeben, der »Vereinigung zur Kritik der politischen Ökonomie e.V.«, die jährlich in ihrer Vollversammlung die Redaktion der Zeitschrift wählt und die nächsten The- menschwerpunkte diskutiert. Kritische Sozialwissenschaft kann nicht dem Markt überlassen werden. Ohne solida- rische Strukturen und finanzielle Unterstützung sind Zeitschriften wie die PROKLA kaum möglich. Die finanziellen Beiträge der Vereinsmitglieder ermöglichen das Er- scheinen der PROKLA, sie schaffen die Voraussetzungen für Kontinuität und Planbar- keit, wie sie für die Redaktionsarbeit unabdingbar sind. Wir freuen uns über weitere Mitglieder, regelmäßige Spenden oder einmalige Zuwendungen. Weitere Informati- onen teilen wir gerne per E-Mail mit (redaktion@prokla.de). Vereinigung zur Kritik der politischen Ökonomie e.V. | Postbank Berlin | IBAN: DE17 1001 0010 0538 1351 00 | BIC: PBNKDEFF 200
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