Digitale Transformation erfolgreich umsetzen - Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen - BMWi

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Digitale Transformation erfolgreich umsetzen - Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen - BMWi
IMPULSPAPIER

Digitale Transformation erfolgreich
umsetzen
Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen
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Impressum

Herausgeber
Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie (BMWi)
Öffentlichkeitsarbeit
11019 Berlin
www.bmwi.de
Redaktionelle Verantwortung
Plattform Industrie 4.0
Bülowstraße 78
10783 Berlin
Gestaltung
PRpetuum GmbH, München
Stand
März 2020
Bildnachweis
Lilian Matischok (S. 3)
Christoph Plass (S. 4)
iStock/metamorworks (Titel, S. 8, S. 10)
iStock/gorodenkoff (S. 12)
iStock/ipopba (S. 15)
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                                                          Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
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Inhalt

1.              Executive Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2.              Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5
                2.1	Kontext und Einbettung in die AG-6-Arbeitv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
                2.2	Einführung in die dominanten Motivationen und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5

3.	Digitale/-s Lernen, Ideenfindung und Experimentieren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

4.	Neue digitale Geschäfts­modelle und Produkte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

5.	Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

6.	Ausblick und allgemeine Empfehlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

7.              Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Digitale Transformation erfolgreich umsetzen - Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen - BMWi
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1. Executive Summary

Mit der Publikation des Ergebnispapiers Digitale Geschäfts­         Im Handlungsfeld Strategie wird erarbeitet, was langfristig
modelle für die Industrie 4.0 hat die Arbeitsgruppe 6 der           erreicht und wie der Weg dahin gestaltet werden soll. In
Plattform Industrie 4.0 einen Beitrag zum tieferen Verständ­        Implementierung beschäftigen Unternehmen sich mit den
nis digitaler Geschäftsmodelle und deren Wirkweisen ge­­            Fragen nach dem passenden Vorgehen, z. B. bezogen auf
leistet. Digitale Geschäftsmodelle verstehen und beschrei-          Organisationsstruktur und Finanzierung, die einzusetzen-
ben zu können, ist ein erster wichtiger Schritt zur digitalen       den Methoden und Technologien und die richtigen Partner
Transformation. In der Praxis erleben wir allerdings: Die           und Zulieferer.
größeren Hürden und Herausforderungen tauchen erst in
der Umsetzung auf und scheinen zum Teil nahezu unüber-              Auch die HR-Seite (Human Resources) hat ihre Herausfor-
windlich. Aus diesem Grunde hat sich die Arbeitsgruppe im           derungen. Im Themengebiet Personal geht es darum, wel-
Jahr 2019 intensiver mit unseren Erfahrungen mit der                che Kompetenzen benötigt werden und wie man diese auf-
„Transformation der Organisation“ auseinandergesetzt.               bauen oder durch Talente von außen ins Unternehmen
                                                                    holen kann. Eng damit verbunden ist der Bereich Kultur:
Aus eigenen Erfahrungen und den Fallbeispielen unserer              Welche Unternehmenskultur ist für die jeweilige Zielset-
zahlreichen Gesprächspartner/-innen können wir drei                 zung förderlich und welche Entwicklungsimpulse braucht
dominante Motivationen für Digitale Transformation                  es bezüglich Kommunikation, Zusammenarbeit, Führung
erkennen, die jeweils spezifische Herausforderungen und             und Arbeitsweisen. Schließlich ist noch die Auseinanderset-
Spielregeln mit sich bringen:                                       zung mit den externen Rahmenbedingungen und der
                                                                    Dynamik im Marktumfeld erfolgsentscheidend: Welche
• Digitalisierung zur Stärkung des bisherigen Kern­                 gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten und wie ändern
  geschäfts                                                         sich diese? Was passiert auf dem Markt und in den Wert-
                                                                    schöpfungsketten? Wie reif und nutzbar sind neue Techno-
• Erschließung neuer Märkte und Geschäftsfelder durch               logien, Standards und Architekturen?
  neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte
                                                                    Diese drei Motivationen beschreiben damit eine Spann-
• digitale Innovationsaktivitäten zur Ideengenerierung              breite an Reaktionen der Unternehmen auf die sich wan-
  und -validierung mit dem Ziel, digitales Wissen und               delnden Einflussfaktoren. Oft legen sich Unternehmen
  innovative Ideen für die langfristige Zukunft des Unter-          nicht auf eine Motivation fest, sondern verfolgen sie paral-
  nehmens zu generieren                                             lel oder wechselnd. Die Übergänge und notwendigen Ver-
                                                                    änderungen müssen jedoch bewusst gestaltet werden. Jede
In allen drei Motivationen lassen sich die Handlungsfelder          dieser Motivationen bringt eine andere Definition von
in fünf zentrale Herausforderungen strukturieren: Strategie,        Erfolg mit sich und benötigt für deren Umsetzung die pas-
Implementierung, Personal, Kultur und externe Rahmen-               senden Spielregeln.
bedingungen.

                                              „Wer die Digitale Transformation in etablierten Industrieunternehmen mitgestaltet,
                                              findet sich schnell im Spannungsfeld zwischen alten und neuen Technologien,
                                              bewährten und modernen Management-Methoden, profitablem Bestandsgeschäft
                                              und investitionsintensiven Innovationen wieder.

                                              Meine persönlichen Take-aways: 1. Im Explore-Umfeld und in der Skalierungsphase
                                              sollte man keine Exploit-Maßstäbe anlegen, weder für Businesspläne noch für Pro-
                                              zessreife. 2. Lernen bedeutet, Altes loslassen und Neues ausprobieren. Nicht alles
                                              klappt sofort oder hilft auf Dauer. Wenn etwas nicht (mehr) funktioniert: Tue etwas
                                              anders. 3. Leicht gesagt, schwer getan: Kooperationskünstler werden. Jede und jeder
                                              als Person, aber auch auf Unternehmensebene.“

                                              Lilian Matischok, Business Chief Digital Office – Industrial Technology, Robert Bosch GmbH
Digitale Transformation erfolgreich umsetzen - Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen - BMWi
4         1. E X E C U T I V E S U M M A RY

                                              „Bisher standen bei der Digitalisierung vor allem Technologien, Geschäftsmodelle und
                                              Eco-Systeme im Vordergrund. Führungskräfte erkennen nun, dass sie die neuen Heraus-
                                              forderungen anders als bisher angehen müssen. Vor allem gilt es, die Menschen mitzu-
                                              nehmen. Bei der Digitalen Transformation sind daher Strategie-, Führungs- und Qualifi-
                                              kationsprozesse sowie die aktive Weiterentwicklung der Unternehmenskultur
                                              entscheidend für den Erfolg.

                                              Es war mir eine Freude, die Arbeitsgruppe ,Digitale Transformation erfolgreich umsetzenʼ
                                              im Rahmen der Plattform Industrie 4.0 zu leiten. Durch die konstruktive Mitarbeit und
                                              Offenheit konnten wir tiefgreifende Erfahrungen aus den Unternehmen zusammentra-
                                              gen und analysieren. Die Erkenntnisse hat die Arbeitsgruppe auf den Punkt gebracht und
                                              in diesem Papier veröffentlicht. Vielen Dank und viel Spaß beim Lesen!“

                                              Christoph Plass, Mitglied des Vorstands, UNITY AG

An die Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts               ten. Das beinhaltet auch einen bewussten Umgang mit
werden häufig klare ROI-Ziele (Return on Investment)               Misserfolgen und eine konsequente Förderung kollabora­
geknüpft. Diese gilt es, konsequent zu verfolgen und in eine       tiver Arbeitsstrukturen. Lernen ist in dieser Phase das
längerfristige Strategie einzubetten. Das spürbare Commit-         Leitmotiv.
ment des Managements ist die notwendige Basis für alle
Veränderungsaktivitäten. Eine breite und frühe Kommuni-            Bei der Zielsetzung, digitale Lösungen zu industrialisieren
kation der Strategie sowie die Möglichkeiten der aktiven           und zu vermarkten (neue digitale Geschäftsmodelle und
Beteiligung schaffen Akzeptanz in der Belegschaft und              Produkte), sollten die entwickelten Lösungen früh in Pro-
beschleunigen die Umsetzung. Interdisziplinäres, funkti-           jekten mit Kunden validiert und auf Kundenmehrwert hin
onsübergreifendes Arbeiten und Kooperationsfähigkeit               ausgerichtet werden. Nach und nach können so aus Kunden­
sind wesentliche Erfolgsfaktoren.                                  projekten skalierende Produkte oder Services erarbeitet wer­
                                                                   den. Eine grundsätzliche Skalierungsfähigkeit der Lösung­s­
Bei der Motivation, lernen oder innovieren zu wollen               ideen ist notwendige Voraussetzung. Die für die Skalierung
(Digitale/-s Lernen, Ideenfindung & Experimentieren),              erforderlichen Fähigkeiten müssen aufgebaut oder durch
kommt es vor allem bei der Umsetzung darauf an, kreati-            Partnerunternehmen bereitgestellt werden. Das Wechsel-
ven Handlungsspielraum zu schaffen – verankert in der              spiel zwischen Entwicklungsfortschritten und Marktreso-
Strategie, organisatorisch und kulturell. Hier liegt der           nanz setzt eine hohe Lern- und Veränderungsfähigkeit vor-
Erfolgsfaktor darin, schnell und agil Lernzyklen zu gestal-        aus.
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2. Einleitung

2.1	Kontext und Einbettung in die                             Was häufig fehlt, ist eine klare Vorstellung des WARUM: eine
     AG-6-Arbeit                                               durchgängige Strategie, die sowohl die Vision als auch kon­
                                                               krete Ziele für alle Ebenen verständlich macht und den Rah-
Die Arbeitsgruppe Digitale Geschäftsmodelle in der Indust-     men für die passenden Maßnahmen und Aktivitäten bildet.
rie 4.0 vereint Fachexpertise aus Industrie, Forschung und
Politik, um die Wirkprinzipien digitaler Geschäftsmodelle      Sind die komplexen Zusammenhänge zwischen Strategie,
für die Industrie zu erkennen, zu verstehen und Empfeh-        Implementierung in der Organisation, Personal und Kultur
lungen abzugeben. Auf breites Interesse ist dabei das Ergeb-   nicht hinreichend verstanden, führen die Aktivitäten zu
nispapier „Digitale Geschäftsmodelle für die Industrie 4.0“    Aktionismus und Widersprüchlichkeiten, aber nicht zum
gestoßen, das im Frühjahr 2019 veröffentlicht wurde. Dieses    Ziel.
Papier beschreibt zentrale digitale Geschäftsmodelle, deren
Mechanismen anhand von Praxisbeispielen greifbar gemacht       Die Arbeitsgruppe hat sich diesem Thema eingehend gewid­
werden. Es zeigt mögliche Wege auf, wie durch den Einsatz      met, Erkenntnisse diskutiert, strukturiert, iteriert und an­­
intelligenter Produkte und das Angebot betriebs­beglei­ten­    schließend zu Papier gebracht. Das Ergebnis ist ein struktu-
der Services neue erfolgreiche Geschäftsmodelle entstehen      rierter Überblick über die dominanten Motivationen, die
können.                                                        Unternehmen meist mit der Digitalen Transformation im
                                                               Sinn haben, und über damit verbundene Herausforderun-
Dennoch zeigte sich in Gesprächen innerhalb der Arbeits-       gen und Empfehlungen.
gruppe und mit Entscheidungstragenden unterschiedlichs-
ter Unternehmen eine zentrale Hürde der erfolgreichen
Digitalen Transformation: die organisatorische Umsetzung       2.2	Einführung in die dominanten
der konzeptionellen Grundlagen!                                     Motivationen und Herausforderungen

Selten scheitert die Umsetzung digitaler Innovationen am       Mit der Umsetzung der Digitalen Transformation verfolgen
fehlenden technologischen Wissen. Die größte Hürde scheint     Unternehmen vielschichtige Zielsetzungen. Um den He­­raus­
das Meistern des damit verbundenen Veränderungsprozes-         forderungen der Digitalen Transformation zu begegnen, ist
ses zu sein. Deutsche Unternehmen müssen sich nicht nur        zunächst wichtig, die Zielsetzungen zu verstehen und einzu-
technologisch, sondern auch kulturell oder organisatorisch     ordnen. Die Literatur unterscheidet häufig zwischen den
neu erfinden. Viele Unternehmen starten kleinschrittig         zwei Kernperspektiven Exploration (Erkunden) und Exploi-
und lokal mit Einzelteilen des WIE, also der Mittel und        tation (Ausnutzen). Sie bilden das Spannungsfeld, in dem
Wege. Sie beginnen dezentral mit der Erforschung digitaler     sich viele etablierte Unternehmen heute bewegen, oft als
Technologien oder mit der Einführung digitaler Kultur.         Ambidexterity – Beidhändigkeit – bezeichnet.

Abbildung 1: Umsetzung digitaler Innovationen

                                                    Motivation &
                                                    Zielsetzung

                            Implemen-
                                                                                   Kultur
                              tierung

                                                        Personal
Digitale Transformation erfolgreich umsetzen - Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen - BMWi
6          2. E I N L E I T U N G

Exploitation bezeichnet effizientere oder effektivere Wert-     Innovationen entwickelt, die dann zu einem neuen Geschäfts­
schöpfung im bestehenden Geschäft und beschreibt eine           feld ausgebaut werden sollen. Dennoch ist aus unserer
kurzfristige Perspektive der Digitalen Transformation. Ex­­     Sicht die Unterscheidung sinnvoll und notwendig, da jede
ploitation geschieht häufig über die Reduktion von Kosten       dieser drei Motivationen eine andere Definition von Erfolg
durch Einsatz digitaler Technologien oder durch Steigerung      und dazu passende Spielregeln zur Umsetzung benötigt.
von Umsätzen durch digitale Vertriebskanäle oder (digitale)
Zusatzangebote zum Kerngeschäft.                                In unseren Diskussionen haben sich dabei fünf zentrale
                                                                Herausforderungen gezeigt, mit denen sich die wesentli-
Exploration bezeichnet den experimentellen Umgang mit           chen Handlungsfelder in allen drei Motivationen struktu-
Innovation zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit, oft mit dem        rieren lassen: Strategie, Personal, Implementierung, Kultur
Ziel, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Investitionen in     und externe Rahmenbedingungen.
Exploration bedeuten Investitionen in die ungewisse Zu­­
kunft – eine langfristige Perspektive.                          Im Handlungsfeld Strategie wird erarbeitet, was langfristig
                                                                erreicht werden und wie der Weg dahin gestaltet werden
Aus der Analyse der Erfahrungen und Interviews in unserer       soll. In Implementierung beschäftigen Unternehmen sich
Arbeitsgruppe kristallisierten sich drei Muster von strategi-   mit den Fragen nach dem passenden Vorgehen, z. B. bezo-
schen Zielsetzungen in der Digitalen Transformation in          gen auf Organisationsstruktur und Finanzierung, die ein-
Industrieunternehmen heraus, die wir die drei dominan-          zusetzenden Methoden und Technologien und die richti-
ten Motivationen nennen:                                        gen Partner und Zulieferer.

Unternehmen agieren im Rahmen der Digitalen Transfor-           Auch die HR-Seite (Human Resources) hat ihre Herausfor-
mation, um (1) zu lernen, Ideen zu finden und zu experi-        derungen. Im Themengebiet Personal geht es darum, wel-
mentieren, (2) neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte      che Kompetenzen benötigt werden und wie man diese auf-
zu entwickeln, (3) das bestehende Kerngeschäft zu digitali-     bauen oder durch Talente von außen ins Unternehmen
sieren.                                                         holen kann. Schließlich lassen sich große Veränderungen
                                                                bezüglich der gegenwärtig und in Zukunft benötigten
Grundsätzlich kommt der Druck von außen, vom Markt,             Fähigkeiten beobachten (siehe Grafik WEF). Eng damit ver-
d. h. von Kunden sowie alten und neuen Wettbewerbern.           bunden ist der Bereich Kultur: Welche Unternehmenskul-
Daher existieren diese drei Motivationen oft parallel, bezie-   tur ist für die jeweilige Zielsetzung förderlich und welche
hungsweise sind miteinander verbunden. Zum Beispiel gibt        Entwicklungsimpulse braucht es bezüglich Kommunikation,
es Innovationsprogramme, die sich mit der Ideengenerierung      Zusammenarbeit, Führung und Arbeitsweisen. Schließlich
zu Problemstellungen aus dem bestehenden Kerngeschäft           ist noch die Auseinandersetzung mit den externen Rah-
beschäftigen, oder es werden im Inkubationsprogramm             menbedingungen und der Dynamik im Marktumfeld

Abbildung 2: Exploration und Exploitation

           Exploration: Langfristige Perspektive                  Exploitation: Kurz- und mittelfristige Perspektive

          Zukünftige                   Diversifizierung,
                                                                    Umsätze steigern              Kosten reduzieren
    Möglichkeiten erweitern             Neugeschäft

                                                Dominante Motivationen

    Digitale/-s Lernen, Ideenfindung         Neue digitale Geschäftsmodelle                  Digitalisierung des
          und Experimentieren                        und Produkte                        bestehenden Kerngeschäfts
2. EINLEITUNG          7

Abbildung 3: Veränderungen der gegenwärtig und in Zukunft benötigten Fähigkeiten

    2022 Skills
    Outlook
    Growing                                                      Declining

    1    Analytical thinking and innovation                      1    Manual dexternity, endurance and precision
    2    Active learning and learning strategies                 2    Memory, verbal, auditory and spatial abilities
    3    Creativity, originality and initiative                  3    Management of financial, material resources
    4    Technology design and programming                       4    Technology installation and meterial resources
    5    Critical thinking and analysis                          5    Reading, writing, math and active listening
    6    Complex problem-solving                                 6    Management of personell
    7    Leadership and social influence                         7    Quality control and safety awareness
    8    Emotional intelligence                                  8    Coordination and time management
    9    Reasoning, problem-solving and ideation                 9    Visual, auditory and speech abilities
    10   System analysis and evaluation                          10   Technology use, monitoring and control

   Source:
   Source: Future
           Future of
                  of Jobs
                     Jobs Report
                          Report 2018,
                                 2018, World
                                       World Economic
                                             Economic Forum
                                                      Forum

erfolgsentscheidend: Welche gesetzlichen Rahmenbedin-         nisse, Erfolgsfaktoren und Handlungsempfehlungen –
gungen gelten und wie ändern sich diese? Was passiert auf     ge­glie­dert nach den dominanten Motivationen und aufge-
dem Markt und in den Wertschöpfungsketten? Wie reif           teilt in die zentralen Handlungsfelder. Untermauert werden
und nutzbar sind neue Technologien, Standards und Archi-      diese Erkenntnisse jeweils von einzelnen, prägnanten Fall-
tekturen?                                                     beispielen.

Da sich die Ausgestaltung der Handlungsfelder je nach Moti­
vation stark unterscheidet, finden Sie im Folgenden einen
strukturierten Überblick über häufig auftretende Hinder-
8

3.	Digitale/-s Lernen, Ideenfindung und
    Experimentieren
Ein wesentlicher Treiber von Unternehmen, sich mit neuen         Aufbrechen von Silo-Denken und an einer klaren Vorstel-
digitalen Technologien und deren Innovationspotenzial aus-       lung gearbeitet, welche Art von Mitarbeiter/-innen sie benö­
einanderzusetzen, ist, die Zukunftsfähigkeit des Unterneh-       tigen bzw. wie diese weiterqualifiziert werden müssen. Der
mens sicherzustellen. Neben der Einführung neuer digi­taler      notwendige Qualifizierungsbedarf ist dabei unternehmens­
Geschäftsmodelle (Kap. 4) und der Digitalisierung des Kern-      individuell und kann sich auf digitale und agile Denk- und
geschäfts (Kap. 5) geht es hierbei insbesondere auch um die      Arbeitsweisen, Basiswissen zu neuen Technologien, Metho-
grundsätzliche Befähigung von Organisation und Mitar­            den, Anwendungswissen, z. B. im Umgang mit digitalen
beiter/-innen, neue Ideen zu generieren und mit neuen Ge­­       Medien oder Softwareanwendungen, Schulungen in neuen
schäftsmodellen zu experimentieren. Dabei ist dies nicht als     Arbeitsprozessen etc. beziehen. Darüber hinaus wurden
einmalige Aktivität, sondern als kontinuierlicher (Lern-)Pro-    organisatorische Voraussetzungen geschaffen, um digital
zess der Digitalisierung zu verstehen (Blank 2020, S. 23). Vor   arbeiten zu können, bspw. eine zukunftssichere IT-Infra-
allem mittelständische Unternehmen sind es oftmals nicht         struktur mit den passenden Softwareanwendungen.
gewohnt, explorativ oder agil zu arbeiten oder mit inno­va­­
ti­ven Ansätzen, die möglicherweise das eigene Ge­schäfts­       Weiterhin spielt die Sicht auf Misserfolge oder Fehler als
modell auf den Prüfstand stellen, zu experimentieren.            wertvolle Lernerfahrung und der konstruktive Umgang mit
                                                                 denselben eine wesentliche Rolle. Wenn es gelingt, Erfah-
Über Jahre eingeübte Phrasen und Glaubenssätze, wie „Das         rungen aus Misserfolgen in eine bessere Beurteilungskom-
haben wir doch schon immer so gemacht“, hemmen die               petenz umzuwandeln, dann können mehr erfolgverspre-
Ideenfindung und können die Weiterentwicklung des Ge­­           chende Ideen generiert werden (Sull 2004, 74 ff.).
schäftsmodells aufgrund veränderter Marktbedingungen
oder neuer Technologien behindern.                               Oft ist der quantitative Wert beim Experimentieren mit
                                                                 neuen Produktideen schwer oder gar nicht in eine mone-
Unternehmen, die durch eine Vielzahl an neuen Ideen und          täre Größe übersetzbar. Dies sollte daher auch nicht im
durch Mut zum Experimentieren auffallen, haben oft an            Fokus stehen. Vielmehr geht es in dieser Phase darum, agile
der Flexibilisierung ihrer Organisationsstrukturen, dem          Arbeitsweisen zu erlernen, Blickwinkel zu ändern und ite-
3. D I G I TA L E / -S L E R N E N , I D E E N F I N D U N G U N D E X P E R I M E N T I E R E N   9

rativ Entwicklungszyklen für neue Produktideen zu verste-               Methoden aus den Bereichen Design Thinking oder Lean
tigen. Lernen ist das zentrale Prinzip! (Bonakdar und Gass-             Start-up lassen Mitarbeiter/-innen bei der Entwicklung
mann 2016, 63 f.)                                                       konkreter Produktideen in interdisziplinären Teams arbei-
                                                                        ten. Dabei werden (potenzielle) Kunden und konkrete Kun-
Im Folgenden werden Tipps und Tricks sowie Gefahren be­­                denprobleme frühzeitig in den Mittelpunkt der Entwicklung
schrieben, die beim Digitalen Lernen und Experimentieren                gestellt. Grundlage ist ein hypothesenbasiertes Vorgehen:
mit neuen Ideen zu beobachten sind. Dabei werden wir die                Für jede neue Produkt- oder Geschäftsidee werden zentrale
Handlungsfelder Strategie, Implementierung, Personal,                   zugrunde liegende Hypothesen formuliert, die dann
Unternehmenskultur und externe Rahmenbedingungen                        schnellst­­möglich an echten Kunden getestet werden. Durch
besonders hervorheben.                                                  den Aufbau von Testszenarien und das Erstellen von Mini-
                                                                        mal Viable Products (MVPs) als kleinste lauffähige Einheit
                                                                        eines Prototyps können Unternehmen schnell vielverspre-
Strategie                                                               chende Ideen identifizieren und weniger erfolgverspre-
                                                                        chende Produktideen frühzeitig einstellen (Ries 2011, 88).
Ganz klar hat die Vorgabe einer strategischen Stoßrichtung              Das evidenz­basierte Entwickeln von Produkten und Ge­­
einen positiven Einfluss auf eine zielgerichtete Identifikation         schäftsmodellen lässt Unternehmen an Geschwindigkeit
neuer Produkt- und Geschäftsmodellideen, ohne dabei den                 gewinnen, gleichzeitig treffen sie Entscheidungen anhand
Blick über den Tellerrand einzuschränken. Die klassische,               von Markt­daten/-reak­­tionen bei minimalem Zeit- und
oftmals sehr starre und kleinteilige strategische Planung als           Ressourcenaufwand.
Methode erweist sich jedoch in vielen Fällen als zunehmend
ungeeignet. Die Aufgabe der Strategie sollte eher auf dem               Bei den untersuchten Fallbeispielen, die erfolglos waren,
Fokussieren von konkreten Such- und Lernfeldern liegen,                 konnte beobachtet werden, dass häufig lineare und lang
in denen Kompetenzen im Bereich Innovieren und Experi-                  andauernde Entwicklungsprozesse, die hauptsächlich auf
mentieren aufgebaut und Ideen generiert werden sollen. Dies             der eigenen Expertise basieren, vorherrschten. Produkte
umfasst nicht nur Fach- und Technologiekompetenzen,                     wurden im eigenen „Elfenbeinturm“ (oftmals Synonym für
sondern auch Methoden- (z. B. Geschäftsmodellentwicklung)               zentrale Innovationseinheiten) an den tatsächlichen Kun-
und Führungskompetenzen. Die Unternehmensstrategie                      denbedürfnissen vorbei entwickelt. Die Verschwendung
sollte somit einen Rahmen für zielorientiertes, kontinuierli­           von Ressourcen und Frustration bei den Entwicklerinnen
ches Lernen und Experimentieren schaffen (Markides 2013).               und Entwicklern waren die Folge. In unseren Fallbeispielen
                                                                        haben wir außerdem beobachtet, dass eine weitere Gefahr
Es ist bei den untersuchten Fallbeispielen zu beobachten,               darin besteht, zu viele unkoordinierte Einzelaktivitäten zu
dass oftmals von neuen Ideen zu schnell zu viel erwartet                starten, denen dann – jede für sich gesehen – zu wenig
wurde/wird. Vor allem die Bewertung anhand herkömmli-                   finanzielle und personelle Ressourcen und Priorität beige-
cher Key-Performance-Indikatoren (z. B. Umsatz oder EBIT –              messen werden.
Gewinn vor Zinsen und Steuern) erweist sich nicht als
zielführend. Daher muss klar herausgearbeitet und kom-
muniziert werden, welche Ergebnisse im Rahmen der Ide-                  Personal
engenerierung und des Experimentierens erwartet werden
können und anhand welcher Indikatoren Erfolg festge-                    Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei Transformationsprozes-
macht werden kann. Dies hilft, Frustration und falschen                 sen besteht darin, die Menschen in den Mittelpunkt zu stel-
Erwartungen bei Mitarbeiter/-innen und Führungskräften                  len, mit ihnen gemeinsam an der Veränderung zu arbeiten
entgegenzuwirken. Um Aktionismus zu vermeiden, sollte                   sowie ihren Befürchtungen durch einen ernst genomme-
sich die Unternehmensstrategie auf eine handhabbare                     nen Change-Management-Prozess entgegenzuwirken
Menge an Such- und Lernfeldern fokussieren.                             (Duwe 2018, S. 174). Ist die Akzeptanz geschaffen, hat sich
                                                                        die Zusammenstellung von interdisziplinären Teams mit
                                                                        internen und externen Partnern als sehr förderlich heraus-
Implementierung                                                         gestellt, um neue Produktideen zu generieren. Wichtig ist,
                                                                        Mitarbeiter/-innen für diese neuen Kollaborationsformen
Bei der Entwicklung von Produkt- und Geschäftsmodell­                   auch inhaltlich und methodisch zu qualifizieren. Dazu
ideen eignen sich explorative und agile Vorgehensweisen.                gehören die Grundlagenvermittlung zu neuen Technolo-
10         3. D I G I TA L E /-S L E R N E N , I D E E N F I N D U N G U N D E X P E R I M E N T I E R E N

gien und Trends, die Vermittlung und der Aufbau von Wis-                           che Experimente durch, wird zwangsläufig ein großer Teil
sen bezüglich Methoden zur Entwicklung von Technologie-                            davon scheitern. Wichtig ist, dieses Scheitern nicht als Ver-
und Geschäftsmodellinnovationen sowie das Erlernen von                             sagen zu begreifen, sondern stattdessen eine Lernkultur zu
agilen Arbeitsweisen. Soft Skills wie Kommunikation, Mode­                         etablieren. Es ist in Ordnung, wenn Vorhaben scheitern, so­­
ration und Konfliktmanagement sind gefragt (Sczogiel et al.                        lange das Scheitern möglichst früh im Innovationsprozess
2019, S. 15 ff.).                                                                  geschieht und zu einem signifikanten Erkenntnisgewinn
                                                                                   führt. So nimmt man Geschwindigkeit auf, während man
Nur durch die langfristige Verankerung solcher Methoden                            die Kosten im Rahmen hält und einen wertvollen Erfah-
und Grundlagen gelingt es Unternehmen, aus Innovations-                            rungsschatz aufbaut (Bonakdar und Gassmann 2016, S. 63).
aktivitäten kontinuierlich zu lernen. Auch an Führungs-
kräfte werden hohe Anforderungen gestellt. Neben der                               Darüber hinaus wurde in vielen untersuchten Fallbeispie-
Befähigung ihrer Mitarbeiter/-innen und der Wahrnehmung                            len deutlich, dass Innovationseinheiten das Bestandsge-
einer entsprechenden Vorbildfunktion bedarf es basierend                           schäft wertschätzen müssen, da hier die finanziellen Mittel
auf unseren Fallbeispielen Mut und Durchsetzungsstärke,                            für den Freiraum zur Exploration erwirtschaftet werden.
um mit einer validierten Produktidee (ggf. auch unabhängig                         Auch bei etablierten Unternehmen profitieren die neuen
vom derzeitigen Bestandsgeschäft) in den Markt zu treten.                          Ideen von der positiven Reputation des Unternehmens im
                                                                                   Bestandsgeschäft.

Kultur                                                                             Als Gefahren sehen unsere Fallunternehmen eventuelle
                                                                                   Konflikte, die sich durch den „Experimentier-Freiraum“ der
Gerade beim Experimentieren kann die Unternehmenskultur                            Mitarbeiter/-innen ergeben können. Die Unternehmen, die
einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie ist es, die das richtige                   eher Zweiklassengesellschaften provozierten, scheiterten an
Umfeld für Offenheit, Kreativität, Mut, Gestaltungswillen                          Neid, Missgunst und Rivalität. Durch diese Befindlichkeiten
und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter/-innen und Füh-                          gelingt oftmals der Transfer von neuen Produktideen oder
rungskräfte schafft (Laloux 2015, 33 f.). Führt man zahlrei-                       Arbeitsweisen in das operative Tagesgeschäft nicht. Experi-
3. D I G I TA L E / -S L E R N E N , I D E E N F I N D U N G U N D E X P E R I M E N T I E R E N   11

mentierräume sollten daher die kulturelle Grundlage sowohl                In diesem Zusammenhang wird es als besonders wichtig
für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle als auch zur                   angesehen, Wege zu finden, die eine unbürokratische Zu­­
Optimierung des Bestandsgeschäfts generieren.                             sammenarbeit erlauben mit Start-ups und anderen Unter-
                                                                          nehmen, zu denen man potenziell konkurriert oder die bis-
                                                                          her nur eine Zulieferfunktion ausüben (Chesbrough 2003,
Externe Rahmenbedingungen                                                 43 ff.). Erfolgreiche Produkte, Dienstleistungen und Geschäfts­
                                                                          modelle werden immer stärker in unternehmensübergrei-
Durch die Digitalisierung werden Branchenstrukturen auf-                  fenden Kooperationen geschaffen. Auch hier geht es um
gerissen, neue Player drängen über Nacht auf vermeintlich                 einen Mind-Shift: Ziel ist es, für jeden beteiligten Partner
etablierte Märkte und bedrohen die Geschäftsmodelle der                   einen Mehrwert zu schaffen und nicht mehr nur für das
etablierten Marktakteure. Uber, Airbnb & Co. sind promi-                  eigene Unternehmen. Die Frage ist also nicht mehr: „Wer
nente Beispiele dafür, wie plattformbasierte Geschäftsmo-                 bekommt den größten Teil vom Kuchen?“ Sondern: „Wie
delle Regeln auf freien Märkten neu definieren (Gassmann                  kann ich den Kuchen so teilen, dass jeder Stakeholder ein
et al. 2017, S. 5). Dadurch wird das stetige Beobachten von               adäquates Stück davon bekommt?“
Marktaktivitäten und das damit verbundene Lernen von
Vorreitern zu nicht mehr wegzudenkenden Aufgaben für                      In Deutschland wird sehr vorsichtig, eher zurückhaltend
die Generierung neuer Produkt-, Dienstleistungs- und                      mit dem Aufbau von Partnerschaften umgegangen. Experi-
Geschäftsmodellideen.                                                     mentierfelder sollten neue Partnerschaften einfacher und
                                                                          schneller ermöglichen.

Fallbeispiel: Digitale Innovation im Mittelstand

Im nachstehend beschriebenen Fallbeispiel wurde in einem mit-             Hilfreich bei der Ideenfindung sowie der Entwicklung erster
telständischen Unternehmen (
12

4.	Neue digitale Geschäfts­modelle und
    Produkte
In vielen der uns vorliegenden Praxisbeispielen haben Unter­    Strategie
nehmen auf Basis der im Kerngeschäft oder in Innovations-
Ini­tiativen gewonnenen Erfahrung entschieden, die dort         Da es Durchhaltevermögen braucht, um neue Geschäftsfel-
entstandenen digitalen Lösungen als Produkt oder Ge­­schäfts­   der im Bereich der Digitalisierung aufzubauen, ist eine
modelle auch extern zu vermarkten. Damit betreten Unter-        langfristige Vision im Einklang mit der Unternehmensstra-
nehmen, die bisher beispielsweise Maschinenkomponen-            tegie nötig. Eine strategische Grundvoraussetzung bei allen
ten, Automatisierungstechnik oder Maschinen verkaufen,          Ungewissheiten in diesem Umfeld: Die zugrunde liegende
Neuland in Form von Softwareprodukt-Geschäften, X-as-a-         Geschäftsidee muss bzgl. Marktstruktur und Kundenanfor-
Service-Geschäftsmodellen oder dem Betrieb von IT-Lösun­        derungen, aber auch bzgl. der Wertschöpfungskette prinzi-
gen. In vielen Fällen verspricht man sich davon profitables     piell skalierungsfähig sein. Das heißt, es muss zum einen
Wachs­tum in neuen Geschäftsfeldern, unterschätzt aber          eine ausreichend hohe Anzahl von adressierbaren Markt-
häufig die Höhe der erforderlichen Investitionen und die        segmenten und Kundentypen geben, die vergleichbare
Zeitdauer, bis diese neuen Geschäftsfelder relevant Umsatz      Anforderungen haben und mit der gleichen Lösung bedient
und Gewinn abwerfen. Will man mit Realitätssinn verfolgen,      werden können. Zum anderen müssen die Wertschöpfungs­
woran man den Erfolg dieser Unternehmungen erkennt, so          prozesse zur Lösung des Kundenproblems so gestaltbar
sollte man vor allem auf Wachstumsraten mit neuen Pro-          sein, dass Umsatzwachstum ohne dazu proportionale Aus-
dukten/Ge­schäfts­modellen und auch mit neuen Kunden            weitung der Ressourcen und Investitionen möglich ist.
schauen. Wei­tere Indikatoren sind beispielsweise eine stär-
kere Wahr­neh­mung als Innovationsführer auf dem Markt          Oft kommt man durch erfolgreiche Beispiele aus anderen
oder daten­basierte Einblicke in das Nutzungsverhalten der      Branchen auf gute Ideen. „Klug kopieren“ ist explizit erlaubt.
Kunden oder den Lebenszyklus der Produkte. Der Return           Typischerweise funktioniert nicht alles gleich so, wie man
on Investment in solchen Aktivitäten ist meist nicht zuver-     sich das in strategischen Überlegungen theoretisch vorge-
lässig plan­bar und die initialen Erwartungen sind häufig       stellt hat. Geduldig auszuprobieren und die Strategie als
viel zu optimistisch. Nach den ersten enttäuschten Erwar-       lebendes Dokument zu verstehen, ist daher sehr sinnvoll.
tungen kommt daher oft die Frage auf, ob und wie lange          In der Praxis kann man allerdings auch beobachten, dass in
die gestarteten Aktivitäten weitergeführt werden sollen.        vielen Unternehmen zu lange abgewartet wird, bis Aktivi-
N E U E D I G I TA L E G E S C H Ä F T S M O D E L L E U N D P R O D U K T E   13

täten eingestellt werden, die entweder keinen Markt- bzw.           Personal
Kundenbedarf haben oder prinzipiell nicht skalierbar sind.
                                                                    Die Besetzung der Führungspositionen in diesem Bereich
Der Blick auf andere Branchen ist vor allem bei der Ent­            ist erfolgskritisch. Es braucht starke, unternehmerische
wick­lung von datenbasierten Geschäftsmodellen sinnvoll.            Generalisten mit Kunden- und Marktorientierung, Bran-
Daten bilden oftmals eine Basis für ganz neue Services und          chenerfahrung sowie Wissen über digitale Geschäftsprak-
Ge­­schäfts­modelle, die häufig nicht unmittelbar mit den           tiken und -technologien. Da zwischen Explore und Exploit
eigenen Produkten oder Wertschöpfungsketten verbunden               navigiert werden muss, ist ein beidhändiger Führungsstil
sind.                                                               notwendig. In diesem Umfeld ist unternehmerischer Prag-
                                                                    matismus sehr hilfreich, denn die verschiedenen, oft recht
Ebenfalls ist die Auseinandersetzung mit Wettbewerbern              komplexen Handlungsstränge erfordern es, das richtige
lohnend. Nur wer aus der eigenen Wertschöpfungskette                Timing zu finden sowie improvisieren und gestalten zu
ausbricht, kann mehrdimensionale Wertschöpfungsnetze                können. Besetzt man solche Positionen mit erfahrenen
aufbauen, die gegebenenfalls das Potenzial von Geschäfts-           Füh­rungskräften aus dem Exploit-Umfeld, besteht das
modellen in Form von Intermediären haben.                           Risiko, dass man Verwalter auf Gestalter-Jobs setzt. Digital
                                                                    erfahrene Kandidatinnen und Kandidaten von außerhalb
                                                                    oder aus dem Pool der Nach­wuchsführungskräfte wiede-
Implementierung                                                     rum laufen oft Gefahr, v. a. im Konzernumfeld, an der
                                                                    internen Politik, an fehlenden Bran­chenkenntnissen oder
Bei der Implementierung von digitalen Geschäftsmodellen             am fehlenden Netzwerk zu scheitern.
ist ein Bewusstsein darüber hilfreich, dass realistische, vali-
dierbare Zwischenschritte über Kundenprojekte mit rele-
vantem Kundenmehrwert notwendig sind, damit sich ein                Kultur
solches Geschäftsmodell unter Marktanforderungen
bewähren kann. Es braucht eine adaptive Steuerung über              Durch die andauernde Wachstums- und Skalierungsphase
schnelle Feedback-Zyklen aus diesen Kundenprojekten, um             müssen immer wieder Organisation und Arbeitsweise
darüber dann das Produkt bzw. das Geschäftsmodell wei-              angepasst werden. Management und Mitarbeiter/-innen
terzuentwickeln und in Skalierung zu bringen. Die Lean-             benötigen eine hohe Anpassungs- und Lernbereitschaft,
Start-up-Methoden (build-measure-learn) sind dazu gut               um schnell zu lernen und bisherige Arbeitsweisen wieder
geeignet, weil sie schnelles Kunden-Feedback liefern und            abzulegen. Es ist der Spagat zu schaffen, zwar höhere Stan-
eine Anleitung bieten, wie man projektorientiert starten            dards aus der Exploit-Welt anzustreben, aber dabei den-
und gleich Skalierungsfähigkeit mitdenken kann.                     noch Improvisationstalent zu nutzen und zu schätzen. Um
                                                                    die Balance zwischen Unabhängigkeit vom Kerngeschäft
Bei der Budget-, Ressourcen- und Zeitplanung werden die             und Kooperation mit dem Kerngeschäft zu finden, ist eine
Aufwände und die Dauer für Aktivitäten in den Bereichen             stetige konstruktive Auseinandersetzung nötig.
Go-to-Market und Operations der Geschäftsmodelle oft
stark unterschätzt. Daher müssen früh entsprechende Sta-
keholder sowie Expertinnen und Experten eingebunden                 Externe Rahmenbedingungen
werden, z. B. aus Vertrieb, IT-Betrieb, Kundenservice etc.,
um die entsprechenden Aktivitäten anzugehen. Die dazu               Im Umfeld digitaler Geschäftsmodelle findet man zum
fehlenden Bausteine können sukzessive aufgebaut werden.             einen eine Marktdynamik vor, die deutlich schneller ist als
Es bieten sich dazu auch Kooperationen an, in denen                 im Kerngeschäft. Zum anderen sind viele rechtliche Rah-
andere Firmen als z. B. Vertriebs- und Delivery-Partner oder        menbedingungen noch in der Entstehung, diffus oder län-
IT-Betreiber die notwendigen Fähigkeiten einbringen.                derspezifisch. Das erfordert, sich laufend gut informiert zu
Organisatorisch empfiehlt es sich, diese neuen Geschäfts-           halten über rechtliche Rahmenbedingungen, Zertifikate
felder entweder vom Kerngeschäft zu separieren, um die              und globale Unterschiede. Man muss abwägen, ob man sich
dort geltenden Exploitation-Standards zu meiden, oder               bei unklarer rechtlicher Lage von Juristen ausbremsen lässt
aber in einen profitablen Bereich zu integrieren, dessen            oder bewusst Risiken eingeht. Die Abtastrate für Entwick-
Management den Umgang mit Ambidextrie beherrscht                    lungen bzgl. Markt, Trends, Technologien und Wettbe-
und die notwendige Rückendeckung gibt.                              werbslandschaft muss gegenüber klassischen Geschäftsfel-
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dern deutlich erhöht werden. Bei der Frage, ob Zeit und                          man stets prüfen, ob die Verwendung von Open Source, die
Geld in eigene Entwicklung oder Delivery-Fähigkeit gesteckt                      Kooperation mit IT-Firmen oder die Akquisition von Start-
werden soll (Make-Buy-or-Partner-Entscheidung), sollte                           ups nicht schneller und günstiger zum Ziel führt.

Fallbeispiel: Aufbau Software-Einheit im Konzernumfeld

Das folgende Praxisbeispiel reflektiert die Erfahrungen, die bei                 tiv tätige Einheiten typischerweise gemessen werden, sind in
der Gründung einer Software-Geschäftseinheit im Kontext von                      Skalierungs- und Wachstumsphasen ungeeignet. Erwartungs­
Industrie 4.0 im Konzernumfeld gemacht wurden.                                   haltung und Realität bzgl. Planbarkeit von Umsätzen und Pro-
                                                                                 fitabilität passen nicht zusammen. Bis zum Zeitpunkt der
Nach einer systematischen Innovationsphase zur Generierung                       Zusammenführung stand für die Mitarbeiter/-innen vor allem
und Validierung von Industrie-4.0-Lösungsansätzen bewährten                      der konzerninterne Markt sowie die Realisierung von Leucht-
und verbreiteten sich viele der Ideen im konzerninternen Pro-                    turmprojekten im Fokus. Die bisherige Arbeitsweise war daher
duktionsumfeld. Ein parallel dazu laufendes Strategieprojekt                     durch kundenorientiertes Software Engineering und Projektab-
bewertete das externe Marktpotenzial ebenfalls als aussichts-                    wicklung geprägt. Zwar waren durch das Kern­geschäft Ver-
reich. Dadurch reifte der Entschluss, mit den vorhandenen und                    triebskanäle und -beziehungen zu externen Industriekunden
entstehenden Software-Lösungen ein neues Geschäftsfeld Soft-                     vorhanden, allerdings weder für Soft­ware-Pro­dukte noch zu
ware aufzubauen.                                                                 den für Software- und IT-Anschaffungen verantwortlichen Ent-
                                                                                 scheidungstragenden. Die stra­tegische Zielsetzung, skalierendes
Personal und Kompetenz in der Software-Entwicklung sind                          Software-Geschäft für den externen Markt unternehmerisch
durch interne Software- und IT-Dienstleister und akquirierte                     auf- und auszubauen, brachte daher neue Anforderungen an
Start-ups bereits vorhanden. Die Integration der Bereiche mit                    die Fähigkeiten der Organisation ebenso wie Herausforderun-
sehr unterschiedlicher Herkunft sowie die Ausrichtung der                        gen bzgl. Kultur mit sich. Beispielsweise mussten Vertrieb und
Belegschaft auf neue Arbeitsweisen, Prioritäten und Kunden                       Marketing für den externen Markt und für das Software-
sind eine sehr herausfordernde Aufgabe für das Führungs­team.                    Geschäft aufgebaut und mit erfahrenen Mitarbeiter/-innen,
Die entstehenden Spannungen führen zeitweise zu hoher                            teils von extern, besetzt werden. Der externe Markt bedeutet für
Unzufriedenheit bei Mitarbeiter/-innen und Führungskräften                       Beleg­schaft und Führungskräfte, die bisher im internen Markt
und damit verbundener Fluktuation. Eine zusätzliche Heraus-                      auf meist freundlich gesonnene Kolleginnen und Kollegen und
forderung ist in einem vom Exploit-Modus geprägten Konzern-                      wenig Konkurrenz trafen, einen großen Schritt aus der eige­nen
umfeld, nicht zu früh mit den üblichen – v. a. auf Fehlervermei-                 Komfortzone heraus. Höhere Risiken einzugehen und auch
dung und Effizienzsteigerung ausgerichteten – Maßstäben und                      interne Projekte zurückzustellen, um dem Aufbau des externen
Prozessen an neue Geschäftsfelder heranzugehen und es auszu-                     Geschäfts die nötige Priorität zu geben, ist eine kontinuierliche
halten, dass viele Fragen nur provisorisch beantwortet und viele                 Führungsaufgabe. Außerdem zeigte sich, dass die bisher im
Prozesse zunächst improvisiert werden müssen.                                    internen Markt und in frühen Innovations­pha­sen sinnvolle Pro-
                                                                                 jektorientierung in Zukunft die begren­zende Größe für die Ska-
Die Bereiche wurden als Nukleus in einer neu eingerichteten                      lierung des Geschäftsmodells darstel­len würde. Um durch Wie-
Geschäftseinheit zusammengeführt. Die neue Geschäftseinheit                      derverwendung und replizierbare Abläufe skalierendes Geschäft
entstand außerhalb der etablierten Strukturen und Prozesse des                   zu ermöglichen, müssen daher Organisation, Prozesse und
Kerngeschäfts und mit direktem Berichtsweg an den zuständi-                      Arbeitsweise über die Zeit von eher projektartiger Arbeitsweise
gen Vorstand. So wurde die Möglichkeit geschaffen, die spezifi-                  auf die Entstehung, Ver­mark­tung und Betrieb von Software-
schen Anforderungen des Software-Geschäfts zu berücksichtigen                    Produkten weiterentwickelt werden. Zudem müssen Betriebs-
und die Spielregeln während der Skalierungsphase auf die spe-                    und Supportpro­zesse und -strukturen immer wieder auf das
zielle Situation anzupassen. Trotz dieses Schutzraums war und                    wachsende externe Geschäft und neue Kundenanforderungen
ist die durch Exploit-Mecha­nismen geprägte kaufmännische                        (z. B. verschiedene Deployment-Szenarien) angepasst werden.
Steuerungslogik des Konzerns für die neue Geschäftseinheit eine                  Das erfordert ein hohes Maß an Lern- und Veränderungsbereit-
Herausforderung. Budgetplanung und -anpassung laufen im                          schaft, das nicht bei allen beteiligten Personen vorausgesetzt
Jahreszyklus. Die kaufmännischen Kennzahlen, an denen opera-                     werden kann.
15

5.	Digitalisierung des bestehenden
    Kerngeschäfts
Der Erfolg der Digitalisierungsaktivitäten im Kerngeschäft        Kundenbindung und -zufriedenheit. Zudem sind die Ideen
ist in vielen Fällen gut messbar. Es lassen sich klare Erfolgs-   und das Wissen der Anwender sehr wertvoll für die Gestal-
kriterien in Bezug auf Umsatzsteigerungen und eine                tung des Angebots.
Reduktion von laufenden Kosten definieren. Auch in stabi-
len und wiederkehrenden Einnahmen können neue, durch
die Digitalisierung ermöglichte Preismodelle (wie beispiels-      Implementierung
weise pay-per-use) geeignet und sinnvoll sein. Durch die
Digitalisierung des Kerngeschäfts können bestehende Kun-          Zur Digitalisierung im Kerngeschäft ist eine sehr enge
dengruppen besser gehalten und wachsende Ansprüche                Zusammenarbeit zwischen den operativen Bereichen und
von Kunden erfüllt werden. Somit zeigen eine erhöhte              den für die Digital- und IT-Themen zuständigen Einheiten
Wettbewerbsfähigkeit und eine stabilere Marktposition den         nötig. Ob das über entsprechende Projektstrukturen oder
Erfolg der Veränderungen an. Dabei tragen die Effizienz-          über klassische Aufbauorganisationen abgebildet wird, ist
steigerungen und eine geringere Time-to-Market durch die          im Unternehmenskontext zu entscheiden. Klassischerweise
Digitalisierung auch zu einer Kostenreduktion bei.                liegt die inhaltliche Ausrichtung und Führung in der Hand
                                                                  des Managementteams des Bestandsgeschäfts. Dafür sind
                                                                  vor allem das Commitment des Top- und mittleren
Strategie                                                         Managements sowie eine gute Verbindung zu den einzel-
                                                                  nen Fachbereichen notwendig. Eigene Verantwortung und
ROI-(Return on Investment) und Prozessziele helfen, die           Entscheidungsbefugnisse der Fachbereiche sowie interdis-
Veränderungen in der Organisation zu verankern. Operati-          ziplinäres und funktionsübergreifendes Arbeiten können
onal Excellence in den Prozessabläufen und in der IT-Infra-       die interne Zusammenarbeit stärken und die Zuverlässig-
struktur sind eine Grundvoraussetzung für eine erfolgrei-         keit und Stabilität der Innovationen erhöhen. So kann ver-
che Umsetzung. Außerdem sind die Akzeptanz und                    mieden werden, dass durch Setzen auf unreife Innovatio-
Mitwirkung der Mitarbeiter/-innen essenziell. Diese wird          nen ein Risiko für das Kerngeschäft entsteht.
unter anderem von einer frühen und breiten Kommunika-
tion der Strategie positiv beeinflusst. Teilhabe und Mitge-
staltung sind weitere wichtige Mittel, um Reaktanzen              Personal
gegen die Veränderungen zu begegnen. Nicht zu vernach-
lässigen ist auch die Akzeptanz und Partizipation der Kun-        Führungskräfte sollten sich ihrer Vorbildfunktion für die
den, für welche die Digitalisierung des Kerngeschäfts eines       Kooperationsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft im
Unternehmens ebenfalls größere Veränderungen bedeuten             Unternehmen bewusst sein. Darüber hinaus sind Change-
kann. Eine Priorisierung der Nutzerperspektive sowie ein          Management-Fähigkeiten im Rahmen der Digitalisierung
enger Austausch mit den Kunden fördern die langfristige           des Kerngeschäfts essenziell. Neben solidem Wissen über
16         5. D I G I TA L I S I E R U N G D E S B E S T E H E N D E N K E R N G E S C H Ä F T S

das bestehende Kerngeschäft sowie die damit verbundenen                             zu etablieren. Somit kann vermieden werden, dass die
Prozesse und Bedarfe werden auch Kenntnisse hinsichtlich                            Digitalisierung zum Profilierungsthema und Auslöser für
neuer digitaler Technologien und eine Offenheit für Neues                           interne Machtkämpfe wird.
und Veränderung benötigt. Es ergibt sich somit ein heraus-
fordernder Kompetenzmix. Mit Ausdauer und Disziplin
sowie einer konservativen Neugier bei Entscheidungen                                Externe Rahmenbedingungen
kann dieser Spagat gemeistert werden.
                                                                                    Bei der Entwicklung neuer Themen und Ausrichtungen
                                                                                    stehen Unternehmen oftmals vor der Frage, ob sie intern
Kultur                                                                              Know-how aufbauen oder auf externes Wissen und fertige
                                                                                    Technologiebausteine zurückgreifen. Letztere sind häufig
Bei der Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts ist                           schneller verfügbar, treffen jedoch nicht immer die genauen
der Aufwand für das Change-Management häufig deutlich                               Bedürfnisse des Unternehmens. Die Geschäfts­beziehungen
größer als zunächst angenommen. Zu schnelles Voran-                                 sollten in jedem Fall agil und fair gestaltet werden, um lang­
schreiten, ohne die Belegschaft ausreichend einzubeziehen                           fristige Partnerschaften zu ermöglichen. Darüber hi­­naus
und Zeit für eine Veränderungsakzeptanz zu geben, verhin-                           sollte der europäische Rechtsrahmen (beispielsweise die
dert oft eine langfristige Verankerung in der Unterneh-                             DSGVO – Datenschutz-Grundverordnung) als Unterstüt-
menskultur. Anreize, beispielsweise für die Kooperation                             zung und Chance angesehen werden, da er einen sicheren
zwischen Abteilungen, helfen, die gewünschten Verhaltens-                           und vertrauenswürdigen Datenaustausch zur Selbstver-
weisen und damit Kulturveränderungen im Unternehmen                                 ständlichkeit macht.

Fallbeispiel: Ausbau Servicegeschäft im Familienunternehmen

Das nachfolgende Fallbeispiel beschreibt ein Familienunter­                         Fällen begrenzt. Häufig gehen derartige Transformationen mit
nehmen, welches Baugeräte und -mittel im Premiumsegment                             Ängsten bei der Belegschaft einher. Neben einer guten internen
produziert. Das Ziel des Unternehmens ist es, qualitativ sehr                       Kommunikation war es daher essenziell, dass die Veränderun-
hochwertige und langlebige Produkte zu produzieren und zu                           gen vom Top-Management angeregt und entsprechend unter-
verkaufen. Mit der Digitalisierung wurden neue Wege auspro-                         stützt wurden. Für eine erfolgreiche Softwareentwicklung wur-
biert und erschlossen, ohne dass die Digitalisierung nur dem                        den beispielsweise für den Bereich typische Methoden wie
Selbstzweck diente. Zunächst wurde konsequent auf den Aus-                          Scrum und agiles Arbeiten im Unternehmen eingeführt. Die
bau des Service gesetzt. Die Erkenntnisse aus den Kundenge-                         Applikationen mussten nunmehr nicht erst voll ausgereift auf
sprächen wurden in neue, innovative Ideen umgewandelt. So                           den Markt kommen, sondern sollten so schnell wie möglich von
bietet das Unternehmen heute die Nutzung der Geräte als Ser-                        Kunden getestet werden, um Feedback einzuholen. Diese Verän-
viceleistung an. Darüber hinaus wurde eine Software zur Be­­                        derungen und der Fokus auf Minimum Viable Products wurden
triebsmittelverwaltung für die Kunden entwickelt. Als traditio-                     durch kleine Teams und konsequente Kommunikation voran­
nell produzierendes Unternehmen war die Veränderung hin zu                          getrieben. Mit der Einführung der Serviceverträge und einem
einem umfassenden Serviceangebot sowie zur Entwicklung und                          Flottenmanagement, das auch die Geräte anderer Hersteller
zum Vertrieb eines Softwareproduktes mit größeren Herausfor-                        mit abdeckt, geht alle vier Jahre der Austausch der eigenen
derungen verbunden. Für die Softwareentwicklung wurden                              Geräte beim Kunden einher. Des Weiteren positioniert sich das
Expert/-innen neu eingestellt und neue Teams gebildet. Diese                        Unternehmen als Plattformanbieter gegenüber seinen Markt-
Veränderungen wurden vom Top-Management angeregt und                                teilnehmern und stößt auf ein neuartiges Marktumfeld und bis
unterstützt. Neue Positionen wurden jedoch nicht nur bei der                        dato unbekannte Wettbewerber. Diese Veränderung im Ge­­schäfts­
Softwareentwicklung geschaffen. Das Verkaufen von Services                          modell führte zu einer Verkürzung der Innovationszyklen und
bzw. Lösungen benötigt ein anderes Verständnis des (Software-)                      somit auch zu einer Neuausrichtung der Forschung und Ent-
Produkts, sodass auch der Vertrieb entsprechend weiterentwickelt                    wicklung im Unternehmen. Hinter diesen Veränderungen steckt
werden musste. Die Integration von neuen Mitarbeiter/-innen                         eine tiefgehende Neugestaltung innerhalb des Unternehmens
und Rollen in bestehende Strukturen ist oftmals nicht einfach.                      und seiner Prozesse, der mit einer klaren Vision und Umset-
Die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter/-innen ist in vielen                   zungswillen begegnet wurde.
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6.	Ausblick und allgemeine Empfehlung

Sieben Jahre ist es jetzt her, dass die Plattform Industrie 4.0   Die aktuelle Diskussion rund um die digitale Souveränität
auf der Hannover Messe 2013 als Initiative bekannt gegeben        Europas und das daraus resultierende Projekt GAIA-X der
wurde. Industrie 4.0 war und ist Zukunftsprojekt des Aktions­     Bundesregierung sind Vorgänge, die vielleicht wieder
plans Hightech-Strategie 2020. Die Bundesregierung griff          neuen Schwung und Euphorie in das ein oder andere ein-
damit die rasante gesellschaftliche und technologische Ent-       geschlafene Digitalisierungsunterfangen von Unternehmen
wicklung in diesem Bereich auf und legte Strukturen für           bringen werden. Deutlich zeigt sich aber auch: Die notwen-
die Zusammenarbeit aller Akteure des Innovationsgesche-           digen Investitionen in neue Technologien und Skalierungs-
hens in Deutschland fest.                                         Fähigkeiten kann jedes einzelne deutsche Unternehmen
                                                                  für sich im internationalen Wettbewerb nicht bewältigen.
Seitdem ist viel passiert – Innovation-Hubs sind aus dem          Nur gemeinsam, in unternehmensübergreifenden Koope-
Boden gestampft, Digitalschmieden gegründet worden und            rationen und Ökosystemen und mit gemeinsamen Investi-
Konzerne haben sich wie nie zuvor um Kooperationen mit            tionen werden sich digitale Geschäftsmodelle nachhaltig
Start-ups beworben. Jedes Dax-30-Unternehmen leistet sich         und wertstiftend realisieren lassen. Die AG 6 Digitale
im Durchschnitt drei Innovationslieferanten (Quelle: BCG-         Geschäftsmodelle der Plattform Industrie 4.0 wird sich
Studie). Das weltweite Investitionsvolumen von Risikokapi-        daher im Jahr 2020 mit dem Themenschwerpunkt Digitale
talgebern verfünffachte sich zwischen 2013 und 2018               Ökosysteme in der produzierenden Industrie auseinander-
(Quelle: Manager Magazin). Wie auch in den drei hier auf-         setzen und Impulse für politische Vorhaben und Rahmen-
geführten Fallbeispielen haben zahlreiche Unternehmen in          bedingungen geben.
Deutschland mutig digitale Geschäftsmodelle entworfen
und auf den Markt gebracht. Es wurde viel geschrieben, viel
diskutiert und viel Geld investiert. Die Resultate? Einige
Konzerne schließen gerade mehr oder weniger geräuschlos
ihre Innovation-Hubs und Start-up-Plattformen wieder,
die eine oder andere visionäre Akquisition wurde an den
nächsten Besitzer weiterverkauft und ein Gewinner des
erwarteten The-winner-takes-it-all-Plattformwettrennens
im Indus­trie-4.0-Kontext ist nicht auszumachen.

Nicht nur Mittelständler sind desillusioniert, weil sich die
zahlreichen Digitalinitiativen und Investitionen nicht in
entsprechenden Umsätzen niederschlagen. Ist die Transfor-
mation der Organisation zu kurz gekommen – wurde zu
wenig auf Strategie, Personal, Kultur, Implementierung und
die externen Rahmenbedingungen Wert gelegt? Oder ist
der Wirtschaftsstandort Deutschland einfach nicht in der
Lage, erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle hervorzubrin-
gen?

Unserer Meinung nach waren in vielen Fällen überhöhte
Erwartungshaltungen an die zahlreichen Initiativen ge­­
knüpft. Wir befinden uns jetzt in dem berüchtigten „Tal der
Enttäuschung“ des Gartner Hype Cycles. Die gute Nach-
richt: Darauf folgt der „Pfad der Erleuchtung“. Nach dem
schmerzhaften Kontakt mit der Realität und dem Verarbei-
ten der Lessons Learned geht es somit mit Realitätssinn
bald wieder bergauf. Wir vertrauen darauf, dass zeitnah das
„Plateau der (hoffentlich digitalen) Produktivität“ zu errei-
chen ist.
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