Digitale Transformation erfolgreich umsetzen - Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen - BMWi
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IMPULSPAPIER Digitale Transformation erfolgreich umsetzen Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für Industrieunternehmen
Impressum Herausgeber Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Öffentlichkeitsarbeit 11019 Berlin www.bmwi.de Redaktionelle Verantwortung Plattform Industrie 4.0 Bülowstraße 78 10783 Berlin Gestaltung PRpetuum GmbH, München Stand März 2020 Bildnachweis Lilian Matischok (S. 3) Christoph Plass (S. 4) iStock/metamorworks (Titel, S. 8, S. 10) iStock/gorodenkoff (S. 12) iStock/ipopba (S. 15) Diese und weitere Broschüren erhalten Sie bei: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Referat Öffentlichkeitsarbeit Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. E-Mail: publikationen@bundesregierung.de Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum www.bmwi.de Verkauf bestimmt. Nicht zulässig ist die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsständen Zentraler Bestellservice: der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Telefon: 030 182722721 Aufkleben von Informationen oder Werbemitteln. Bestellfax: 030 18102722721
2 Inhalt 1. Executive Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 2.1 Kontext und Einbettung in die AG-6-Arbeitv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Einführung in die dominanten Motivationen und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 3. Digitale/-s Lernen, Ideenfindung und Experimentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 4. Neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 5. Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 6. Ausblick und allgemeine Empfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3 1. Executive Summary Mit der Publikation des Ergebnispapiers Digitale Geschäfts Im Handlungsfeld Strategie wird erarbeitet, was langfristig modelle für die Industrie 4.0 hat die Arbeitsgruppe 6 der erreicht und wie der Weg dahin gestaltet werden soll. In Plattform Industrie 4.0 einen Beitrag zum tieferen Verständ Implementierung beschäftigen Unternehmen sich mit den nis digitaler Geschäftsmodelle und deren Wirkweisen ge Fragen nach dem passenden Vorgehen, z. B. bezogen auf leistet. Digitale Geschäftsmodelle verstehen und beschrei- Organisationsstruktur und Finanzierung, die einzusetzen- ben zu können, ist ein erster wichtiger Schritt zur digitalen den Methoden und Technologien und die richtigen Partner Transformation. In der Praxis erleben wir allerdings: Die und Zulieferer. größeren Hürden und Herausforderungen tauchen erst in der Umsetzung auf und scheinen zum Teil nahezu unüber- Auch die HR-Seite (Human Resources) hat ihre Herausfor- windlich. Aus diesem Grunde hat sich die Arbeitsgruppe im derungen. Im Themengebiet Personal geht es darum, wel- Jahr 2019 intensiver mit unseren Erfahrungen mit der che Kompetenzen benötigt werden und wie man diese auf- „Transformation der Organisation“ auseinandergesetzt. bauen oder durch Talente von außen ins Unternehmen holen kann. Eng damit verbunden ist der Bereich Kultur: Aus eigenen Erfahrungen und den Fallbeispielen unserer Welche Unternehmenskultur ist für die jeweilige Zielset- zahlreichen Gesprächspartner/-innen können wir drei zung förderlich und welche Entwicklungsimpulse braucht dominante Motivationen für Digitale Transformation es bezüglich Kommunikation, Zusammenarbeit, Führung erkennen, die jeweils spezifische Herausforderungen und und Arbeitsweisen. Schließlich ist noch die Auseinanderset- Spielregeln mit sich bringen: zung mit den externen Rahmenbedingungen und der Dynamik im Marktumfeld erfolgsentscheidend: Welche • Digitalisierung zur Stärkung des bisherigen Kern gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten und wie ändern geschäfts sich diese? Was passiert auf dem Markt und in den Wert- schöpfungsketten? Wie reif und nutzbar sind neue Techno- • Erschließung neuer Märkte und Geschäftsfelder durch logien, Standards und Architekturen? neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte Diese drei Motivationen beschreiben damit eine Spann- • digitale Innovationsaktivitäten zur Ideengenerierung breite an Reaktionen der Unternehmen auf die sich wan- und -validierung mit dem Ziel, digitales Wissen und delnden Einflussfaktoren. Oft legen sich Unternehmen innovative Ideen für die langfristige Zukunft des Unter- nicht auf eine Motivation fest, sondern verfolgen sie paral- nehmens zu generieren lel oder wechselnd. Die Übergänge und notwendigen Ver- änderungen müssen jedoch bewusst gestaltet werden. Jede In allen drei Motivationen lassen sich die Handlungsfelder dieser Motivationen bringt eine andere Definition von in fünf zentrale Herausforderungen strukturieren: Strategie, Erfolg mit sich und benötigt für deren Umsetzung die pas- Implementierung, Personal, Kultur und externe Rahmen- senden Spielregeln. bedingungen. „Wer die Digitale Transformation in etablierten Industrieunternehmen mitgestaltet, findet sich schnell im Spannungsfeld zwischen alten und neuen Technologien, bewährten und modernen Management-Methoden, profitablem Bestandsgeschäft und investitionsintensiven Innovationen wieder. Meine persönlichen Take-aways: 1. Im Explore-Umfeld und in der Skalierungsphase sollte man keine Exploit-Maßstäbe anlegen, weder für Businesspläne noch für Pro- zessreife. 2. Lernen bedeutet, Altes loslassen und Neues ausprobieren. Nicht alles klappt sofort oder hilft auf Dauer. Wenn etwas nicht (mehr) funktioniert: Tue etwas anders. 3. Leicht gesagt, schwer getan: Kooperationskünstler werden. Jede und jeder als Person, aber auch auf Unternehmensebene.“ Lilian Matischok, Business Chief Digital Office – Industrial Technology, Robert Bosch GmbH
4 1. E X E C U T I V E S U M M A RY „Bisher standen bei der Digitalisierung vor allem Technologien, Geschäftsmodelle und Eco-Systeme im Vordergrund. Führungskräfte erkennen nun, dass sie die neuen Heraus- forderungen anders als bisher angehen müssen. Vor allem gilt es, die Menschen mitzu- nehmen. Bei der Digitalen Transformation sind daher Strategie-, Führungs- und Qualifi- kationsprozesse sowie die aktive Weiterentwicklung der Unternehmenskultur entscheidend für den Erfolg. Es war mir eine Freude, die Arbeitsgruppe ,Digitale Transformation erfolgreich umsetzenʼ im Rahmen der Plattform Industrie 4.0 zu leiten. Durch die konstruktive Mitarbeit und Offenheit konnten wir tiefgreifende Erfahrungen aus den Unternehmen zusammentra- gen und analysieren. Die Erkenntnisse hat die Arbeitsgruppe auf den Punkt gebracht und in diesem Papier veröffentlicht. Vielen Dank und viel Spaß beim Lesen!“ Christoph Plass, Mitglied des Vorstands, UNITY AG An die Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts ten. Das beinhaltet auch einen bewussten Umgang mit werden häufig klare ROI-Ziele (Return on Investment) Misserfolgen und eine konsequente Förderung kollabora geknüpft. Diese gilt es, konsequent zu verfolgen und in eine tiver Arbeitsstrukturen. Lernen ist in dieser Phase das längerfristige Strategie einzubetten. Das spürbare Commit- Leitmotiv. ment des Managements ist die notwendige Basis für alle Veränderungsaktivitäten. Eine breite und frühe Kommuni- Bei der Zielsetzung, digitale Lösungen zu industrialisieren kation der Strategie sowie die Möglichkeiten der aktiven und zu vermarkten (neue digitale Geschäftsmodelle und Beteiligung schaffen Akzeptanz in der Belegschaft und Produkte), sollten die entwickelten Lösungen früh in Pro- beschleunigen die Umsetzung. Interdisziplinäres, funkti- jekten mit Kunden validiert und auf Kundenmehrwert hin onsübergreifendes Arbeiten und Kooperationsfähigkeit ausgerichtet werden. Nach und nach können so aus Kunden sind wesentliche Erfolgsfaktoren. projekten skalierende Produkte oder Services erarbeitet wer den. Eine grundsätzliche Skalierungsfähigkeit der Lösungs Bei der Motivation, lernen oder innovieren zu wollen ideen ist notwendige Voraussetzung. Die für die Skalierung (Digitale/-s Lernen, Ideenfindung & Experimentieren), erforderlichen Fähigkeiten müssen aufgebaut oder durch kommt es vor allem bei der Umsetzung darauf an, kreati- Partnerunternehmen bereitgestellt werden. Das Wechsel- ven Handlungsspielraum zu schaffen – verankert in der spiel zwischen Entwicklungsfortschritten und Marktreso- Strategie, organisatorisch und kulturell. Hier liegt der nanz setzt eine hohe Lern- und Veränderungsfähigkeit vor- Erfolgsfaktor darin, schnell und agil Lernzyklen zu gestal- aus.
5 2. Einleitung 2.1 Kontext und Einbettung in die Was häufig fehlt, ist eine klare Vorstellung des WARUM: eine AG-6-Arbeit durchgängige Strategie, die sowohl die Vision als auch kon krete Ziele für alle Ebenen verständlich macht und den Rah- Die Arbeitsgruppe Digitale Geschäftsmodelle in der Indust- men für die passenden Maßnahmen und Aktivitäten bildet. rie 4.0 vereint Fachexpertise aus Industrie, Forschung und Politik, um die Wirkprinzipien digitaler Geschäftsmodelle Sind die komplexen Zusammenhänge zwischen Strategie, für die Industrie zu erkennen, zu verstehen und Empfeh- Implementierung in der Organisation, Personal und Kultur lungen abzugeben. Auf breites Interesse ist dabei das Ergeb- nicht hinreichend verstanden, führen die Aktivitäten zu nispapier „Digitale Geschäftsmodelle für die Industrie 4.0“ Aktionismus und Widersprüchlichkeiten, aber nicht zum gestoßen, das im Frühjahr 2019 veröffentlicht wurde. Dieses Ziel. Papier beschreibt zentrale digitale Geschäftsmodelle, deren Mechanismen anhand von Praxisbeispielen greifbar gemacht Die Arbeitsgruppe hat sich diesem Thema eingehend gewid werden. Es zeigt mögliche Wege auf, wie durch den Einsatz met, Erkenntnisse diskutiert, strukturiert, iteriert und an intelligenter Produkte und das Angebot betriebsbegleiten schließend zu Papier gebracht. Das Ergebnis ist ein struktu- der Services neue erfolgreiche Geschäftsmodelle entstehen rierter Überblick über die dominanten Motivationen, die können. Unternehmen meist mit der Digitalen Transformation im Sinn haben, und über damit verbundene Herausforderun- Dennoch zeigte sich in Gesprächen innerhalb der Arbeits- gen und Empfehlungen. gruppe und mit Entscheidungstragenden unterschiedlichs- ter Unternehmen eine zentrale Hürde der erfolgreichen Digitalen Transformation: die organisatorische Umsetzung 2.2 Einführung in die dominanten der konzeptionellen Grundlagen! Motivationen und Herausforderungen Selten scheitert die Umsetzung digitaler Innovationen am Mit der Umsetzung der Digitalen Transformation verfolgen fehlenden technologischen Wissen. Die größte Hürde scheint Unternehmen vielschichtige Zielsetzungen. Um den Heraus das Meistern des damit verbundenen Veränderungsprozes- forderungen der Digitalen Transformation zu begegnen, ist ses zu sein. Deutsche Unternehmen müssen sich nicht nur zunächst wichtig, die Zielsetzungen zu verstehen und einzu- technologisch, sondern auch kulturell oder organisatorisch ordnen. Die Literatur unterscheidet häufig zwischen den neu erfinden. Viele Unternehmen starten kleinschrittig zwei Kernperspektiven Exploration (Erkunden) und Exploi- und lokal mit Einzelteilen des WIE, also der Mittel und tation (Ausnutzen). Sie bilden das Spannungsfeld, in dem Wege. Sie beginnen dezentral mit der Erforschung digitaler sich viele etablierte Unternehmen heute bewegen, oft als Technologien oder mit der Einführung digitaler Kultur. Ambidexterity – Beidhändigkeit – bezeichnet. Abbildung 1: Umsetzung digitaler Innovationen Motivation & Zielsetzung Implemen- Kultur tierung Personal
6 2. E I N L E I T U N G Exploitation bezeichnet effizientere oder effektivere Wert- Innovationen entwickelt, die dann zu einem neuen Geschäfts schöpfung im bestehenden Geschäft und beschreibt eine feld ausgebaut werden sollen. Dennoch ist aus unserer kurzfristige Perspektive der Digitalen Transformation. Ex Sicht die Unterscheidung sinnvoll und notwendig, da jede ploitation geschieht häufig über die Reduktion von Kosten dieser drei Motivationen eine andere Definition von Erfolg durch Einsatz digitaler Technologien oder durch Steigerung und dazu passende Spielregeln zur Umsetzung benötigt. von Umsätzen durch digitale Vertriebskanäle oder (digitale) Zusatzangebote zum Kerngeschäft. In unseren Diskussionen haben sich dabei fünf zentrale Herausforderungen gezeigt, mit denen sich die wesentli- Exploration bezeichnet den experimentellen Umgang mit chen Handlungsfelder in allen drei Motivationen struktu- Innovation zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit, oft mit dem rieren lassen: Strategie, Personal, Implementierung, Kultur Ziel, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Investitionen in und externe Rahmenbedingungen. Exploration bedeuten Investitionen in die ungewisse Zu kunft – eine langfristige Perspektive. Im Handlungsfeld Strategie wird erarbeitet, was langfristig erreicht werden und wie der Weg dahin gestaltet werden Aus der Analyse der Erfahrungen und Interviews in unserer soll. In Implementierung beschäftigen Unternehmen sich Arbeitsgruppe kristallisierten sich drei Muster von strategi- mit den Fragen nach dem passenden Vorgehen, z. B. bezo- schen Zielsetzungen in der Digitalen Transformation in gen auf Organisationsstruktur und Finanzierung, die ein- Industrieunternehmen heraus, die wir die drei dominan- zusetzenden Methoden und Technologien und die richti- ten Motivationen nennen: gen Partner und Zulieferer. Unternehmen agieren im Rahmen der Digitalen Transfor- Auch die HR-Seite (Human Resources) hat ihre Herausfor- mation, um (1) zu lernen, Ideen zu finden und zu experi- derungen. Im Themengebiet Personal geht es darum, wel- mentieren, (2) neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte che Kompetenzen benötigt werden und wie man diese auf- zu entwickeln, (3) das bestehende Kerngeschäft zu digitali- bauen oder durch Talente von außen ins Unternehmen sieren. holen kann. Schließlich lassen sich große Veränderungen bezüglich der gegenwärtig und in Zukunft benötigten Grundsätzlich kommt der Druck von außen, vom Markt, Fähigkeiten beobachten (siehe Grafik WEF). Eng damit ver- d. h. von Kunden sowie alten und neuen Wettbewerbern. bunden ist der Bereich Kultur: Welche Unternehmenskul- Daher existieren diese drei Motivationen oft parallel, bezie- tur ist für die jeweilige Zielsetzung förderlich und welche hungsweise sind miteinander verbunden. Zum Beispiel gibt Entwicklungsimpulse braucht es bezüglich Kommunikation, es Innovationsprogramme, die sich mit der Ideengenerierung Zusammenarbeit, Führung und Arbeitsweisen. Schließlich zu Problemstellungen aus dem bestehenden Kerngeschäft ist noch die Auseinandersetzung mit den externen Rah- beschäftigen, oder es werden im Inkubationsprogramm menbedingungen und der Dynamik im Marktumfeld Abbildung 2: Exploration und Exploitation Exploration: Langfristige Perspektive Exploitation: Kurz- und mittelfristige Perspektive Zukünftige Diversifizierung, Umsätze steigern Kosten reduzieren Möglichkeiten erweitern Neugeschäft Dominante Motivationen Digitale/-s Lernen, Ideenfindung Neue digitale Geschäftsmodelle Digitalisierung des und Experimentieren und Produkte bestehenden Kerngeschäfts
2. EINLEITUNG 7 Abbildung 3: Veränderungen der gegenwärtig und in Zukunft benötigten Fähigkeiten 2022 Skills Outlook Growing Declining 1 Analytical thinking and innovation 1 Manual dexternity, endurance and precision 2 Active learning and learning strategies 2 Memory, verbal, auditory and spatial abilities 3 Creativity, originality and initiative 3 Management of financial, material resources 4 Technology design and programming 4 Technology installation and meterial resources 5 Critical thinking and analysis 5 Reading, writing, math and active listening 6 Complex problem-solving 6 Management of personell 7 Leadership and social influence 7 Quality control and safety awareness 8 Emotional intelligence 8 Coordination and time management 9 Reasoning, problem-solving and ideation 9 Visual, auditory and speech abilities 10 System analysis and evaluation 10 Technology use, monitoring and control Source: Source: Future Future of of Jobs Jobs Report Report 2018, 2018, World World Economic Economic Forum Forum erfolgsentscheidend: Welche gesetzlichen Rahmenbedin- nisse, Erfolgsfaktoren und Handlungsempfehlungen – gungen gelten und wie ändern sich diese? Was passiert auf gegliedert nach den dominanten Motivationen und aufge- dem Markt und in den Wertschöpfungsketten? Wie reif teilt in die zentralen Handlungsfelder. Untermauert werden und nutzbar sind neue Technologien, Standards und Archi- diese Erkenntnisse jeweils von einzelnen, prägnanten Fall- tekturen? beispielen. Da sich die Ausgestaltung der Handlungsfelder je nach Moti vation stark unterscheidet, finden Sie im Folgenden einen strukturierten Überblick über häufig auftretende Hinder-
8 3. Digitale/-s Lernen, Ideenfindung und Experimentieren Ein wesentlicher Treiber von Unternehmen, sich mit neuen Aufbrechen von Silo-Denken und an einer klaren Vorstel- digitalen Technologien und deren Innovationspotenzial aus- lung gearbeitet, welche Art von Mitarbeiter/-innen sie benö einanderzusetzen, ist, die Zukunftsfähigkeit des Unterneh- tigen bzw. wie diese weiterqualifiziert werden müssen. Der mens sicherzustellen. Neben der Einführung neuer digitaler notwendige Qualifizierungsbedarf ist dabei unternehmens Geschäftsmodelle (Kap. 4) und der Digitalisierung des Kern- individuell und kann sich auf digitale und agile Denk- und geschäfts (Kap. 5) geht es hierbei insbesondere auch um die Arbeitsweisen, Basiswissen zu neuen Technologien, Metho- grundsätzliche Befähigung von Organisation und Mitar den, Anwendungswissen, z. B. im Umgang mit digitalen beiter/-innen, neue Ideen zu generieren und mit neuen Ge Medien oder Softwareanwendungen, Schulungen in neuen schäftsmodellen zu experimentieren. Dabei ist dies nicht als Arbeitsprozessen etc. beziehen. Darüber hinaus wurden einmalige Aktivität, sondern als kontinuierlicher (Lern-)Pro- organisatorische Voraussetzungen geschaffen, um digital zess der Digitalisierung zu verstehen (Blank 2020, S. 23). Vor arbeiten zu können, bspw. eine zukunftssichere IT-Infra- allem mittelständische Unternehmen sind es oftmals nicht struktur mit den passenden Softwareanwendungen. gewohnt, explorativ oder agil zu arbeiten oder mit innova tiven Ansätzen, die möglicherweise das eigene Geschäfts Weiterhin spielt die Sicht auf Misserfolge oder Fehler als modell auf den Prüfstand stellen, zu experimentieren. wertvolle Lernerfahrung und der konstruktive Umgang mit denselben eine wesentliche Rolle. Wenn es gelingt, Erfah- Über Jahre eingeübte Phrasen und Glaubenssätze, wie „Das rungen aus Misserfolgen in eine bessere Beurteilungskom- haben wir doch schon immer so gemacht“, hemmen die petenz umzuwandeln, dann können mehr erfolgverspre- Ideenfindung und können die Weiterentwicklung des Ge chende Ideen generiert werden (Sull 2004, 74 ff.). schäftsmodells aufgrund veränderter Marktbedingungen oder neuer Technologien behindern. Oft ist der quantitative Wert beim Experimentieren mit neuen Produktideen schwer oder gar nicht in eine mone- Unternehmen, die durch eine Vielzahl an neuen Ideen und täre Größe übersetzbar. Dies sollte daher auch nicht im durch Mut zum Experimentieren auffallen, haben oft an Fokus stehen. Vielmehr geht es in dieser Phase darum, agile der Flexibilisierung ihrer Organisationsstrukturen, dem Arbeitsweisen zu erlernen, Blickwinkel zu ändern und ite-
3. D I G I TA L E / -S L E R N E N , I D E E N F I N D U N G U N D E X P E R I M E N T I E R E N 9 rativ Entwicklungszyklen für neue Produktideen zu verste- Methoden aus den Bereichen Design Thinking oder Lean tigen. Lernen ist das zentrale Prinzip! (Bonakdar und Gass- Start-up lassen Mitarbeiter/-innen bei der Entwicklung mann 2016, 63 f.) konkreter Produktideen in interdisziplinären Teams arbei- ten. Dabei werden (potenzielle) Kunden und konkrete Kun- Im Folgenden werden Tipps und Tricks sowie Gefahren be denprobleme frühzeitig in den Mittelpunkt der Entwicklung schrieben, die beim Digitalen Lernen und Experimentieren gestellt. Grundlage ist ein hypothesenbasiertes Vorgehen: mit neuen Ideen zu beobachten sind. Dabei werden wir die Für jede neue Produkt- oder Geschäftsidee werden zentrale Handlungsfelder Strategie, Implementierung, Personal, zugrunde liegende Hypothesen formuliert, die dann Unternehmenskultur und externe Rahmenbedingungen schnellstmöglich an echten Kunden getestet werden. Durch besonders hervorheben. den Aufbau von Testszenarien und das Erstellen von Mini- mal Viable Products (MVPs) als kleinste lauffähige Einheit eines Prototyps können Unternehmen schnell vielverspre- Strategie chende Ideen identifizieren und weniger erfolgverspre- chende Produktideen frühzeitig einstellen (Ries 2011, 88). Ganz klar hat die Vorgabe einer strategischen Stoßrichtung Das evidenzbasierte Entwickeln von Produkten und Ge einen positiven Einfluss auf eine zielgerichtete Identifikation schäftsmodellen lässt Unternehmen an Geschwindigkeit neuer Produkt- und Geschäftsmodellideen, ohne dabei den gewinnen, gleichzeitig treffen sie Entscheidungen anhand Blick über den Tellerrand einzuschränken. Die klassische, von Marktdaten/-reaktionen bei minimalem Zeit- und oftmals sehr starre und kleinteilige strategische Planung als Ressourcenaufwand. Methode erweist sich jedoch in vielen Fällen als zunehmend ungeeignet. Die Aufgabe der Strategie sollte eher auf dem Bei den untersuchten Fallbeispielen, die erfolglos waren, Fokussieren von konkreten Such- und Lernfeldern liegen, konnte beobachtet werden, dass häufig lineare und lang in denen Kompetenzen im Bereich Innovieren und Experi- andauernde Entwicklungsprozesse, die hauptsächlich auf mentieren aufgebaut und Ideen generiert werden sollen. Dies der eigenen Expertise basieren, vorherrschten. Produkte umfasst nicht nur Fach- und Technologiekompetenzen, wurden im eigenen „Elfenbeinturm“ (oftmals Synonym für sondern auch Methoden- (z. B. Geschäftsmodellentwicklung) zentrale Innovationseinheiten) an den tatsächlichen Kun- und Führungskompetenzen. Die Unternehmensstrategie denbedürfnissen vorbei entwickelt. Die Verschwendung sollte somit einen Rahmen für zielorientiertes, kontinuierli von Ressourcen und Frustration bei den Entwicklerinnen ches Lernen und Experimentieren schaffen (Markides 2013). und Entwicklern waren die Folge. In unseren Fallbeispielen haben wir außerdem beobachtet, dass eine weitere Gefahr Es ist bei den untersuchten Fallbeispielen zu beobachten, darin besteht, zu viele unkoordinierte Einzelaktivitäten zu dass oftmals von neuen Ideen zu schnell zu viel erwartet starten, denen dann – jede für sich gesehen – zu wenig wurde/wird. Vor allem die Bewertung anhand herkömmli- finanzielle und personelle Ressourcen und Priorität beige- cher Key-Performance-Indikatoren (z. B. Umsatz oder EBIT – messen werden. Gewinn vor Zinsen und Steuern) erweist sich nicht als zielführend. Daher muss klar herausgearbeitet und kom- muniziert werden, welche Ergebnisse im Rahmen der Ide- Personal engenerierung und des Experimentierens erwartet werden können und anhand welcher Indikatoren Erfolg festge- Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei Transformationsprozes- macht werden kann. Dies hilft, Frustration und falschen sen besteht darin, die Menschen in den Mittelpunkt zu stel- Erwartungen bei Mitarbeiter/-innen und Führungskräften len, mit ihnen gemeinsam an der Veränderung zu arbeiten entgegenzuwirken. Um Aktionismus zu vermeiden, sollte sowie ihren Befürchtungen durch einen ernst genomme- sich die Unternehmensstrategie auf eine handhabbare nen Change-Management-Prozess entgegenzuwirken Menge an Such- und Lernfeldern fokussieren. (Duwe 2018, S. 174). Ist die Akzeptanz geschaffen, hat sich die Zusammenstellung von interdisziplinären Teams mit internen und externen Partnern als sehr förderlich heraus- Implementierung gestellt, um neue Produktideen zu generieren. Wichtig ist, Mitarbeiter/-innen für diese neuen Kollaborationsformen Bei der Entwicklung von Produkt- und Geschäftsmodell auch inhaltlich und methodisch zu qualifizieren. Dazu ideen eignen sich explorative und agile Vorgehensweisen. gehören die Grundlagenvermittlung zu neuen Technolo-
10 3. D I G I TA L E /-S L E R N E N , I D E E N F I N D U N G U N D E X P E R I M E N T I E R E N gien und Trends, die Vermittlung und der Aufbau von Wis- che Experimente durch, wird zwangsläufig ein großer Teil sen bezüglich Methoden zur Entwicklung von Technologie- davon scheitern. Wichtig ist, dieses Scheitern nicht als Ver- und Geschäftsmodellinnovationen sowie das Erlernen von sagen zu begreifen, sondern stattdessen eine Lernkultur zu agilen Arbeitsweisen. Soft Skills wie Kommunikation, Mode etablieren. Es ist in Ordnung, wenn Vorhaben scheitern, so ration und Konfliktmanagement sind gefragt (Sczogiel et al. lange das Scheitern möglichst früh im Innovationsprozess 2019, S. 15 ff.). geschieht und zu einem signifikanten Erkenntnisgewinn führt. So nimmt man Geschwindigkeit auf, während man Nur durch die langfristige Verankerung solcher Methoden die Kosten im Rahmen hält und einen wertvollen Erfah- und Grundlagen gelingt es Unternehmen, aus Innovations- rungsschatz aufbaut (Bonakdar und Gassmann 2016, S. 63). aktivitäten kontinuierlich zu lernen. Auch an Führungs- kräfte werden hohe Anforderungen gestellt. Neben der Darüber hinaus wurde in vielen untersuchten Fallbeispie- Befähigung ihrer Mitarbeiter/-innen und der Wahrnehmung len deutlich, dass Innovationseinheiten das Bestandsge- einer entsprechenden Vorbildfunktion bedarf es basierend schäft wertschätzen müssen, da hier die finanziellen Mittel auf unseren Fallbeispielen Mut und Durchsetzungsstärke, für den Freiraum zur Exploration erwirtschaftet werden. um mit einer validierten Produktidee (ggf. auch unabhängig Auch bei etablierten Unternehmen profitieren die neuen vom derzeitigen Bestandsgeschäft) in den Markt zu treten. Ideen von der positiven Reputation des Unternehmens im Bestandsgeschäft. Kultur Als Gefahren sehen unsere Fallunternehmen eventuelle Konflikte, die sich durch den „Experimentier-Freiraum“ der Gerade beim Experimentieren kann die Unternehmenskultur Mitarbeiter/-innen ergeben können. Die Unternehmen, die einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie ist es, die das richtige eher Zweiklassengesellschaften provozierten, scheiterten an Umfeld für Offenheit, Kreativität, Mut, Gestaltungswillen Neid, Missgunst und Rivalität. Durch diese Befindlichkeiten und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter/-innen und Füh- gelingt oftmals der Transfer von neuen Produktideen oder rungskräfte schafft (Laloux 2015, 33 f.). Führt man zahlrei- Arbeitsweisen in das operative Tagesgeschäft nicht. Experi-
3. D I G I TA L E / -S L E R N E N , I D E E N F I N D U N G U N D E X P E R I M E N T I E R E N 11 mentierräume sollten daher die kulturelle Grundlage sowohl In diesem Zusammenhang wird es als besonders wichtig für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle als auch zur angesehen, Wege zu finden, die eine unbürokratische Zu Optimierung des Bestandsgeschäfts generieren. sammenarbeit erlauben mit Start-ups und anderen Unter- nehmen, zu denen man potenziell konkurriert oder die bis- her nur eine Zulieferfunktion ausüben (Chesbrough 2003, Externe Rahmenbedingungen 43 ff.). Erfolgreiche Produkte, Dienstleistungen und Geschäfts modelle werden immer stärker in unternehmensübergrei- Durch die Digitalisierung werden Branchenstrukturen auf- fenden Kooperationen geschaffen. Auch hier geht es um gerissen, neue Player drängen über Nacht auf vermeintlich einen Mind-Shift: Ziel ist es, für jeden beteiligten Partner etablierte Märkte und bedrohen die Geschäftsmodelle der einen Mehrwert zu schaffen und nicht mehr nur für das etablierten Marktakteure. Uber, Airbnb & Co. sind promi- eigene Unternehmen. Die Frage ist also nicht mehr: „Wer nente Beispiele dafür, wie plattformbasierte Geschäftsmo- bekommt den größten Teil vom Kuchen?“ Sondern: „Wie delle Regeln auf freien Märkten neu definieren (Gassmann kann ich den Kuchen so teilen, dass jeder Stakeholder ein et al. 2017, S. 5). Dadurch wird das stetige Beobachten von adäquates Stück davon bekommt?“ Marktaktivitäten und das damit verbundene Lernen von Vorreitern zu nicht mehr wegzudenkenden Aufgaben für In Deutschland wird sehr vorsichtig, eher zurückhaltend die Generierung neuer Produkt-, Dienstleistungs- und mit dem Aufbau von Partnerschaften umgegangen. Experi- Geschäftsmodellideen. mentierfelder sollten neue Partnerschaften einfacher und schneller ermöglichen. Fallbeispiel: Digitale Innovation im Mittelstand Im nachstehend beschriebenen Fallbeispiel wurde in einem mit- Hilfreich bei der Ideenfindung sowie der Entwicklung erster telständischen Unternehmen (
12 4. Neue digitale Geschäftsmodelle und Produkte In vielen der uns vorliegenden Praxisbeispielen haben Unter Strategie nehmen auf Basis der im Kerngeschäft oder in Innovations- Initiativen gewonnenen Erfahrung entschieden, die dort Da es Durchhaltevermögen braucht, um neue Geschäftsfel- entstandenen digitalen Lösungen als Produkt oder Geschäfts der im Bereich der Digitalisierung aufzubauen, ist eine modelle auch extern zu vermarkten. Damit betreten Unter- langfristige Vision im Einklang mit der Unternehmensstra- nehmen, die bisher beispielsweise Maschinenkomponen- tegie nötig. Eine strategische Grundvoraussetzung bei allen ten, Automatisierungstechnik oder Maschinen verkaufen, Ungewissheiten in diesem Umfeld: Die zugrunde liegende Neuland in Form von Softwareprodukt-Geschäften, X-as-a- Geschäftsidee muss bzgl. Marktstruktur und Kundenanfor- Service-Geschäftsmodellen oder dem Betrieb von IT-Lösun derungen, aber auch bzgl. der Wertschöpfungskette prinzi- gen. In vielen Fällen verspricht man sich davon profitables piell skalierungsfähig sein. Das heißt, es muss zum einen Wachstum in neuen Geschäftsfeldern, unterschätzt aber eine ausreichend hohe Anzahl von adressierbaren Markt- häufig die Höhe der erforderlichen Investitionen und die segmenten und Kundentypen geben, die vergleichbare Zeitdauer, bis diese neuen Geschäftsfelder relevant Umsatz Anforderungen haben und mit der gleichen Lösung bedient und Gewinn abwerfen. Will man mit Realitätssinn verfolgen, werden können. Zum anderen müssen die Wertschöpfungs woran man den Erfolg dieser Unternehmungen erkennt, so prozesse zur Lösung des Kundenproblems so gestaltbar sollte man vor allem auf Wachstumsraten mit neuen Pro- sein, dass Umsatzwachstum ohne dazu proportionale Aus- dukten/Geschäftsmodellen und auch mit neuen Kunden weitung der Ressourcen und Investitionen möglich ist. schauen. Weitere Indikatoren sind beispielsweise eine stär- kere Wahrnehmung als Innovationsführer auf dem Markt Oft kommt man durch erfolgreiche Beispiele aus anderen oder datenbasierte Einblicke in das Nutzungsverhalten der Branchen auf gute Ideen. „Klug kopieren“ ist explizit erlaubt. Kunden oder den Lebenszyklus der Produkte. Der Return Typischerweise funktioniert nicht alles gleich so, wie man on Investment in solchen Aktivitäten ist meist nicht zuver- sich das in strategischen Überlegungen theoretisch vorge- lässig planbar und die initialen Erwartungen sind häufig stellt hat. Geduldig auszuprobieren und die Strategie als viel zu optimistisch. Nach den ersten enttäuschten Erwar- lebendes Dokument zu verstehen, ist daher sehr sinnvoll. tungen kommt daher oft die Frage auf, ob und wie lange In der Praxis kann man allerdings auch beobachten, dass in die gestarteten Aktivitäten weitergeführt werden sollen. vielen Unternehmen zu lange abgewartet wird, bis Aktivi-
N E U E D I G I TA L E G E S C H Ä F T S M O D E L L E U N D P R O D U K T E 13 täten eingestellt werden, die entweder keinen Markt- bzw. Personal Kundenbedarf haben oder prinzipiell nicht skalierbar sind. Die Besetzung der Führungspositionen in diesem Bereich Der Blick auf andere Branchen ist vor allem bei der Ent ist erfolgskritisch. Es braucht starke, unternehmerische wicklung von datenbasierten Geschäftsmodellen sinnvoll. Generalisten mit Kunden- und Marktorientierung, Bran- Daten bilden oftmals eine Basis für ganz neue Services und chenerfahrung sowie Wissen über digitale Geschäftsprak- Geschäftsmodelle, die häufig nicht unmittelbar mit den tiken und -technologien. Da zwischen Explore und Exploit eigenen Produkten oder Wertschöpfungsketten verbunden navigiert werden muss, ist ein beidhändiger Führungsstil sind. notwendig. In diesem Umfeld ist unternehmerischer Prag- matismus sehr hilfreich, denn die verschiedenen, oft recht Ebenfalls ist die Auseinandersetzung mit Wettbewerbern komplexen Handlungsstränge erfordern es, das richtige lohnend. Nur wer aus der eigenen Wertschöpfungskette Timing zu finden sowie improvisieren und gestalten zu ausbricht, kann mehrdimensionale Wertschöpfungsnetze können. Besetzt man solche Positionen mit erfahrenen aufbauen, die gegebenenfalls das Potenzial von Geschäfts- Führungskräften aus dem Exploit-Umfeld, besteht das modellen in Form von Intermediären haben. Risiko, dass man Verwalter auf Gestalter-Jobs setzt. Digital erfahrene Kandidatinnen und Kandidaten von außerhalb oder aus dem Pool der Nachwuchsführungskräfte wiede- Implementierung rum laufen oft Gefahr, v. a. im Konzernumfeld, an der internen Politik, an fehlenden Branchenkenntnissen oder Bei der Implementierung von digitalen Geschäftsmodellen am fehlenden Netzwerk zu scheitern. ist ein Bewusstsein darüber hilfreich, dass realistische, vali- dierbare Zwischenschritte über Kundenprojekte mit rele- vantem Kundenmehrwert notwendig sind, damit sich ein Kultur solches Geschäftsmodell unter Marktanforderungen bewähren kann. Es braucht eine adaptive Steuerung über Durch die andauernde Wachstums- und Skalierungsphase schnelle Feedback-Zyklen aus diesen Kundenprojekten, um müssen immer wieder Organisation und Arbeitsweise darüber dann das Produkt bzw. das Geschäftsmodell wei- angepasst werden. Management und Mitarbeiter/-innen terzuentwickeln und in Skalierung zu bringen. Die Lean- benötigen eine hohe Anpassungs- und Lernbereitschaft, Start-up-Methoden (build-measure-learn) sind dazu gut um schnell zu lernen und bisherige Arbeitsweisen wieder geeignet, weil sie schnelles Kunden-Feedback liefern und abzulegen. Es ist der Spagat zu schaffen, zwar höhere Stan- eine Anleitung bieten, wie man projektorientiert starten dards aus der Exploit-Welt anzustreben, aber dabei den- und gleich Skalierungsfähigkeit mitdenken kann. noch Improvisationstalent zu nutzen und zu schätzen. Um die Balance zwischen Unabhängigkeit vom Kerngeschäft Bei der Budget-, Ressourcen- und Zeitplanung werden die und Kooperation mit dem Kerngeschäft zu finden, ist eine Aufwände und die Dauer für Aktivitäten in den Bereichen stetige konstruktive Auseinandersetzung nötig. Go-to-Market und Operations der Geschäftsmodelle oft stark unterschätzt. Daher müssen früh entsprechende Sta- keholder sowie Expertinnen und Experten eingebunden Externe Rahmenbedingungen werden, z. B. aus Vertrieb, IT-Betrieb, Kundenservice etc., um die entsprechenden Aktivitäten anzugehen. Die dazu Im Umfeld digitaler Geschäftsmodelle findet man zum fehlenden Bausteine können sukzessive aufgebaut werden. einen eine Marktdynamik vor, die deutlich schneller ist als Es bieten sich dazu auch Kooperationen an, in denen im Kerngeschäft. Zum anderen sind viele rechtliche Rah- andere Firmen als z. B. Vertriebs- und Delivery-Partner oder menbedingungen noch in der Entstehung, diffus oder län- IT-Betreiber die notwendigen Fähigkeiten einbringen. derspezifisch. Das erfordert, sich laufend gut informiert zu Organisatorisch empfiehlt es sich, diese neuen Geschäfts- halten über rechtliche Rahmenbedingungen, Zertifikate felder entweder vom Kerngeschäft zu separieren, um die und globale Unterschiede. Man muss abwägen, ob man sich dort geltenden Exploitation-Standards zu meiden, oder bei unklarer rechtlicher Lage von Juristen ausbremsen lässt aber in einen profitablen Bereich zu integrieren, dessen oder bewusst Risiken eingeht. Die Abtastrate für Entwick- Management den Umgang mit Ambidextrie beherrscht lungen bzgl. Markt, Trends, Technologien und Wettbe- und die notwendige Rückendeckung gibt. werbslandschaft muss gegenüber klassischen Geschäftsfel-
14 N E U E D I G I TA L E G E S C H Ä F T S M O D E L L E U N D P R O D U K T E dern deutlich erhöht werden. Bei der Frage, ob Zeit und man stets prüfen, ob die Verwendung von Open Source, die Geld in eigene Entwicklung oder Delivery-Fähigkeit gesteckt Kooperation mit IT-Firmen oder die Akquisition von Start- werden soll (Make-Buy-or-Partner-Entscheidung), sollte ups nicht schneller und günstiger zum Ziel führt. Fallbeispiel: Aufbau Software-Einheit im Konzernumfeld Das folgende Praxisbeispiel reflektiert die Erfahrungen, die bei tiv tätige Einheiten typischerweise gemessen werden, sind in der Gründung einer Software-Geschäftseinheit im Kontext von Skalierungs- und Wachstumsphasen ungeeignet. Erwartungs Industrie 4.0 im Konzernumfeld gemacht wurden. haltung und Realität bzgl. Planbarkeit von Umsätzen und Pro- fitabilität passen nicht zusammen. Bis zum Zeitpunkt der Nach einer systematischen Innovationsphase zur Generierung Zusammenführung stand für die Mitarbeiter/-innen vor allem und Validierung von Industrie-4.0-Lösungsansätzen bewährten der konzerninterne Markt sowie die Realisierung von Leucht- und verbreiteten sich viele der Ideen im konzerninternen Pro- turmprojekten im Fokus. Die bisherige Arbeitsweise war daher duktionsumfeld. Ein parallel dazu laufendes Strategieprojekt durch kundenorientiertes Software Engineering und Projektab- bewertete das externe Marktpotenzial ebenfalls als aussichts- wicklung geprägt. Zwar waren durch das Kerngeschäft Ver- reich. Dadurch reifte der Entschluss, mit den vorhandenen und triebskanäle und -beziehungen zu externen Industriekunden entstehenden Software-Lösungen ein neues Geschäftsfeld Soft- vorhanden, allerdings weder für Software-Produkte noch zu ware aufzubauen. den für Software- und IT-Anschaffungen verantwortlichen Ent- scheidungstragenden. Die strategische Zielsetzung, skalierendes Personal und Kompetenz in der Software-Entwicklung sind Software-Geschäft für den externen Markt unternehmerisch durch interne Software- und IT-Dienstleister und akquirierte auf- und auszubauen, brachte daher neue Anforderungen an Start-ups bereits vorhanden. Die Integration der Bereiche mit die Fähigkeiten der Organisation ebenso wie Herausforderun- sehr unterschiedlicher Herkunft sowie die Ausrichtung der gen bzgl. Kultur mit sich. Beispielsweise mussten Vertrieb und Belegschaft auf neue Arbeitsweisen, Prioritäten und Kunden Marketing für den externen Markt und für das Software- sind eine sehr herausfordernde Aufgabe für das Führungsteam. Geschäft aufgebaut und mit erfahrenen Mitarbeiter/-innen, Die entstehenden Spannungen führen zeitweise zu hoher teils von extern, besetzt werden. Der externe Markt bedeutet für Unzufriedenheit bei Mitarbeiter/-innen und Führungskräften Belegschaft und Führungskräfte, die bisher im internen Markt und damit verbundener Fluktuation. Eine zusätzliche Heraus- auf meist freundlich gesonnene Kolleginnen und Kollegen und forderung ist in einem vom Exploit-Modus geprägten Konzern- wenig Konkurrenz trafen, einen großen Schritt aus der eigenen umfeld, nicht zu früh mit den üblichen – v. a. auf Fehlervermei- Komfortzone heraus. Höhere Risiken einzugehen und auch dung und Effizienzsteigerung ausgerichteten – Maßstäben und interne Projekte zurückzustellen, um dem Aufbau des externen Prozessen an neue Geschäftsfelder heranzugehen und es auszu- Geschäfts die nötige Priorität zu geben, ist eine kontinuierliche halten, dass viele Fragen nur provisorisch beantwortet und viele Führungsaufgabe. Außerdem zeigte sich, dass die bisher im Prozesse zunächst improvisiert werden müssen. internen Markt und in frühen Innovationsphasen sinnvolle Pro- jektorientierung in Zukunft die begrenzende Größe für die Ska- Die Bereiche wurden als Nukleus in einer neu eingerichteten lierung des Geschäftsmodells darstellen würde. Um durch Wie- Geschäftseinheit zusammengeführt. Die neue Geschäftseinheit derverwendung und replizierbare Abläufe skalierendes Geschäft entstand außerhalb der etablierten Strukturen und Prozesse des zu ermöglichen, müssen daher Organisation, Prozesse und Kerngeschäfts und mit direktem Berichtsweg an den zuständi- Arbeitsweise über die Zeit von eher projektartiger Arbeitsweise gen Vorstand. So wurde die Möglichkeit geschaffen, die spezifi- auf die Entstehung, Vermarktung und Betrieb von Software- schen Anforderungen des Software-Geschäfts zu berücksichtigen Produkten weiterentwickelt werden. Zudem müssen Betriebs- und die Spielregeln während der Skalierungsphase auf die spe- und Supportprozesse und -strukturen immer wieder auf das zielle Situation anzupassen. Trotz dieses Schutzraums war und wachsende externe Geschäft und neue Kundenanforderungen ist die durch Exploit-Mechanismen geprägte kaufmännische (z. B. verschiedene Deployment-Szenarien) angepasst werden. Steuerungslogik des Konzerns für die neue Geschäftseinheit eine Das erfordert ein hohes Maß an Lern- und Veränderungsbereit- Herausforderung. Budgetplanung und -anpassung laufen im schaft, das nicht bei allen beteiligten Personen vorausgesetzt Jahreszyklus. Die kaufmännischen Kennzahlen, an denen opera- werden kann.
15 5. Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts Der Erfolg der Digitalisierungsaktivitäten im Kerngeschäft Kundenbindung und -zufriedenheit. Zudem sind die Ideen ist in vielen Fällen gut messbar. Es lassen sich klare Erfolgs- und das Wissen der Anwender sehr wertvoll für die Gestal- kriterien in Bezug auf Umsatzsteigerungen und eine tung des Angebots. Reduktion von laufenden Kosten definieren. Auch in stabi- len und wiederkehrenden Einnahmen können neue, durch die Digitalisierung ermöglichte Preismodelle (wie beispiels- Implementierung weise pay-per-use) geeignet und sinnvoll sein. Durch die Digitalisierung des Kerngeschäfts können bestehende Kun- Zur Digitalisierung im Kerngeschäft ist eine sehr enge dengruppen besser gehalten und wachsende Ansprüche Zusammenarbeit zwischen den operativen Bereichen und von Kunden erfüllt werden. Somit zeigen eine erhöhte den für die Digital- und IT-Themen zuständigen Einheiten Wettbewerbsfähigkeit und eine stabilere Marktposition den nötig. Ob das über entsprechende Projektstrukturen oder Erfolg der Veränderungen an. Dabei tragen die Effizienz- über klassische Aufbauorganisationen abgebildet wird, ist steigerungen und eine geringere Time-to-Market durch die im Unternehmenskontext zu entscheiden. Klassischerweise Digitalisierung auch zu einer Kostenreduktion bei. liegt die inhaltliche Ausrichtung und Führung in der Hand des Managementteams des Bestandsgeschäfts. Dafür sind vor allem das Commitment des Top- und mittleren Strategie Managements sowie eine gute Verbindung zu den einzel- nen Fachbereichen notwendig. Eigene Verantwortung und ROI-(Return on Investment) und Prozessziele helfen, die Entscheidungsbefugnisse der Fachbereiche sowie interdis- Veränderungen in der Organisation zu verankern. Operati- ziplinäres und funktionsübergreifendes Arbeiten können onal Excellence in den Prozessabläufen und in der IT-Infra- die interne Zusammenarbeit stärken und die Zuverlässig- struktur sind eine Grundvoraussetzung für eine erfolgrei- keit und Stabilität der Innovationen erhöhen. So kann ver- che Umsetzung. Außerdem sind die Akzeptanz und mieden werden, dass durch Setzen auf unreife Innovatio- Mitwirkung der Mitarbeiter/-innen essenziell. Diese wird nen ein Risiko für das Kerngeschäft entsteht. unter anderem von einer frühen und breiten Kommunika- tion der Strategie positiv beeinflusst. Teilhabe und Mitge- staltung sind weitere wichtige Mittel, um Reaktanzen Personal gegen die Veränderungen zu begegnen. Nicht zu vernach- lässigen ist auch die Akzeptanz und Partizipation der Kun- Führungskräfte sollten sich ihrer Vorbildfunktion für die den, für welche die Digitalisierung des Kerngeschäfts eines Kooperationsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft im Unternehmens ebenfalls größere Veränderungen bedeuten Unternehmen bewusst sein. Darüber hinaus sind Change- kann. Eine Priorisierung der Nutzerperspektive sowie ein Management-Fähigkeiten im Rahmen der Digitalisierung enger Austausch mit den Kunden fördern die langfristige des Kerngeschäfts essenziell. Neben solidem Wissen über
16 5. D I G I TA L I S I E R U N G D E S B E S T E H E N D E N K E R N G E S C H Ä F T S das bestehende Kerngeschäft sowie die damit verbundenen zu etablieren. Somit kann vermieden werden, dass die Prozesse und Bedarfe werden auch Kenntnisse hinsichtlich Digitalisierung zum Profilierungsthema und Auslöser für neuer digitaler Technologien und eine Offenheit für Neues interne Machtkämpfe wird. und Veränderung benötigt. Es ergibt sich somit ein heraus- fordernder Kompetenzmix. Mit Ausdauer und Disziplin sowie einer konservativen Neugier bei Entscheidungen Externe Rahmenbedingungen kann dieser Spagat gemeistert werden. Bei der Entwicklung neuer Themen und Ausrichtungen stehen Unternehmen oftmals vor der Frage, ob sie intern Kultur Know-how aufbauen oder auf externes Wissen und fertige Technologiebausteine zurückgreifen. Letztere sind häufig Bei der Digitalisierung des bestehenden Kerngeschäfts ist schneller verfügbar, treffen jedoch nicht immer die genauen der Aufwand für das Change-Management häufig deutlich Bedürfnisse des Unternehmens. Die Geschäftsbeziehungen größer als zunächst angenommen. Zu schnelles Voran- sollten in jedem Fall agil und fair gestaltet werden, um lang schreiten, ohne die Belegschaft ausreichend einzubeziehen fristige Partnerschaften zu ermöglichen. Darüber hinaus und Zeit für eine Veränderungsakzeptanz zu geben, verhin- sollte der europäische Rechtsrahmen (beispielsweise die dert oft eine langfristige Verankerung in der Unterneh- DSGVO – Datenschutz-Grundverordnung) als Unterstüt- menskultur. Anreize, beispielsweise für die Kooperation zung und Chance angesehen werden, da er einen sicheren zwischen Abteilungen, helfen, die gewünschten Verhaltens- und vertrauenswürdigen Datenaustausch zur Selbstver- weisen und damit Kulturveränderungen im Unternehmen ständlichkeit macht. Fallbeispiel: Ausbau Servicegeschäft im Familienunternehmen Das nachfolgende Fallbeispiel beschreibt ein Familienunter Fällen begrenzt. Häufig gehen derartige Transformationen mit nehmen, welches Baugeräte und -mittel im Premiumsegment Ängsten bei der Belegschaft einher. Neben einer guten internen produziert. Das Ziel des Unternehmens ist es, qualitativ sehr Kommunikation war es daher essenziell, dass die Veränderun- hochwertige und langlebige Produkte zu produzieren und zu gen vom Top-Management angeregt und entsprechend unter- verkaufen. Mit der Digitalisierung wurden neue Wege auspro- stützt wurden. Für eine erfolgreiche Softwareentwicklung wur- biert und erschlossen, ohne dass die Digitalisierung nur dem den beispielsweise für den Bereich typische Methoden wie Selbstzweck diente. Zunächst wurde konsequent auf den Aus- Scrum und agiles Arbeiten im Unternehmen eingeführt. Die bau des Service gesetzt. Die Erkenntnisse aus den Kundenge- Applikationen mussten nunmehr nicht erst voll ausgereift auf sprächen wurden in neue, innovative Ideen umgewandelt. So den Markt kommen, sondern sollten so schnell wie möglich von bietet das Unternehmen heute die Nutzung der Geräte als Ser- Kunden getestet werden, um Feedback einzuholen. Diese Verän- viceleistung an. Darüber hinaus wurde eine Software zur Be derungen und der Fokus auf Minimum Viable Products wurden triebsmittelverwaltung für die Kunden entwickelt. Als traditio- durch kleine Teams und konsequente Kommunikation voran nell produzierendes Unternehmen war die Veränderung hin zu getrieben. Mit der Einführung der Serviceverträge und einem einem umfassenden Serviceangebot sowie zur Entwicklung und Flottenmanagement, das auch die Geräte anderer Hersteller zum Vertrieb eines Softwareproduktes mit größeren Herausfor- mit abdeckt, geht alle vier Jahre der Austausch der eigenen derungen verbunden. Für die Softwareentwicklung wurden Geräte beim Kunden einher. Des Weiteren positioniert sich das Expert/-innen neu eingestellt und neue Teams gebildet. Diese Unternehmen als Plattformanbieter gegenüber seinen Markt- Veränderungen wurden vom Top-Management angeregt und teilnehmern und stößt auf ein neuartiges Marktumfeld und bis unterstützt. Neue Positionen wurden jedoch nicht nur bei der dato unbekannte Wettbewerber. Diese Veränderung im Geschäfts Softwareentwicklung geschaffen. Das Verkaufen von Services modell führte zu einer Verkürzung der Innovationszyklen und bzw. Lösungen benötigt ein anderes Verständnis des (Software-) somit auch zu einer Neuausrichtung der Forschung und Ent- Produkts, sodass auch der Vertrieb entsprechend weiterentwickelt wicklung im Unternehmen. Hinter diesen Veränderungen steckt werden musste. Die Integration von neuen Mitarbeiter/-innen eine tiefgehende Neugestaltung innerhalb des Unternehmens und Rollen in bestehende Strukturen ist oftmals nicht einfach. und seiner Prozesse, der mit einer klaren Vision und Umset- Die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter/-innen ist in vielen zungswillen begegnet wurde.
17 6. Ausblick und allgemeine Empfehlung Sieben Jahre ist es jetzt her, dass die Plattform Industrie 4.0 Die aktuelle Diskussion rund um die digitale Souveränität auf der Hannover Messe 2013 als Initiative bekannt gegeben Europas und das daraus resultierende Projekt GAIA-X der wurde. Industrie 4.0 war und ist Zukunftsprojekt des Aktions Bundesregierung sind Vorgänge, die vielleicht wieder plans Hightech-Strategie 2020. Die Bundesregierung griff neuen Schwung und Euphorie in das ein oder andere ein- damit die rasante gesellschaftliche und technologische Ent- geschlafene Digitalisierungsunterfangen von Unternehmen wicklung in diesem Bereich auf und legte Strukturen für bringen werden. Deutlich zeigt sich aber auch: Die notwen- die Zusammenarbeit aller Akteure des Innovationsgesche- digen Investitionen in neue Technologien und Skalierungs- hens in Deutschland fest. Fähigkeiten kann jedes einzelne deutsche Unternehmen für sich im internationalen Wettbewerb nicht bewältigen. Seitdem ist viel passiert – Innovation-Hubs sind aus dem Nur gemeinsam, in unternehmensübergreifenden Koope- Boden gestampft, Digitalschmieden gegründet worden und rationen und Ökosystemen und mit gemeinsamen Investi- Konzerne haben sich wie nie zuvor um Kooperationen mit tionen werden sich digitale Geschäftsmodelle nachhaltig Start-ups beworben. Jedes Dax-30-Unternehmen leistet sich und wertstiftend realisieren lassen. Die AG 6 Digitale im Durchschnitt drei Innovationslieferanten (Quelle: BCG- Geschäftsmodelle der Plattform Industrie 4.0 wird sich Studie). Das weltweite Investitionsvolumen von Risikokapi- daher im Jahr 2020 mit dem Themenschwerpunkt Digitale talgebern verfünffachte sich zwischen 2013 und 2018 Ökosysteme in der produzierenden Industrie auseinander- (Quelle: Manager Magazin). Wie auch in den drei hier auf- setzen und Impulse für politische Vorhaben und Rahmen- geführten Fallbeispielen haben zahlreiche Unternehmen in bedingungen geben. Deutschland mutig digitale Geschäftsmodelle entworfen und auf den Markt gebracht. Es wurde viel geschrieben, viel diskutiert und viel Geld investiert. Die Resultate? Einige Konzerne schließen gerade mehr oder weniger geräuschlos ihre Innovation-Hubs und Start-up-Plattformen wieder, die eine oder andere visionäre Akquisition wurde an den nächsten Besitzer weiterverkauft und ein Gewinner des erwarteten The-winner-takes-it-all-Plattformwettrennens im Industrie-4.0-Kontext ist nicht auszumachen. Nicht nur Mittelständler sind desillusioniert, weil sich die zahlreichen Digitalinitiativen und Investitionen nicht in entsprechenden Umsätzen niederschlagen. Ist die Transfor- mation der Organisation zu kurz gekommen – wurde zu wenig auf Strategie, Personal, Kultur, Implementierung und die externen Rahmenbedingungen Wert gelegt? Oder ist der Wirtschaftsstandort Deutschland einfach nicht in der Lage, erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle hervorzubrin- gen? Unserer Meinung nach waren in vielen Fällen überhöhte Erwartungshaltungen an die zahlreichen Initiativen ge knüpft. Wir befinden uns jetzt in dem berüchtigten „Tal der Enttäuschung“ des Gartner Hype Cycles. Die gute Nach- richt: Darauf folgt der „Pfad der Erleuchtung“. Nach dem schmerzhaften Kontakt mit der Realität und dem Verarbei- ten der Lessons Learned geht es somit mit Realitätssinn bald wieder bergauf. Wir vertrauen darauf, dass zeitnah das „Plateau der (hoffentlich digitalen) Produktivität“ zu errei- chen ist.
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