Digitalisierte Identität - rheingold salon
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Digitalisierte Identität Digitalisierung! Traum oder Alptraum? Zur Psychologie der Identitätsbildung im Zeitalter der Digitalisierung Von Jens Lönneker – Diplom-Psychologe und Geschäftsführer des rheingold salon Die Welt wird nicht, sie ist bereits in vielen Bereichen unseres Alltags digital. Und damit verändert sich unser Leben und unser Mensch-Sein. Alles neu, alles anders? Und wenn ja, was verändert sich, was bewegt uns? Aber was ist überhaupt Digitalisierung? Das Schlagwort von der Digitalisierung kann man so auslegen, dass damit generell die Erfahrungen und Erwartungen zusammengefasst werden, die wir mit dem Einfluss der neuen technologischen Möglichkeiten von heute verbinden. Die meisten Beiträge zur Digitalisierung beschäftigen sich denn auch vor allem mit den technischen und faktisch- sachlichen Konsequenzen wie dem Entstehen neuer Business-Modelle und den damit verbundenen Möglichkeiten wie neuen Formen von Bankgeschäften, Nachrichtenübermittlung, Targeting etc. Ganz wesentlich betrifft die Digitalisierung aber auch unser Selbstverständnis und unsere Seele. Mit fortschreitendem Durchdringen der verschiedenen Bereiche unseres Zusammenlebens wird sie dies sogar immer mehr tun. Diese nicht-technologische Seite der Digitalisierung steht oft eher im Hintergrund oder sie wird als Zukunfts-Fiktion in Romanen und Filmen behandelt, die meist die traumhaften – noch öfter aber die alptraumhaften – Züge künftiger Entwicklungen herausstellen. Diese Einflüsse der Digitalisierung lassen sich aber nicht nur als Science Fiction angehen sondern auch psychologisch betrachten. In diesem Beitrag wird dafür ein tiefenpsychologischer Ansatz gewählt, der den Fokus auf die Identität und die Identitätsbildung – und damit auf das Selbstverständnis der Menschen legt: Welchen Einfluss nimmt die Digitalisierung auf die Identität und die Identitäts- Bildung? Und welche Effekte ergeben sich letztlich aus dieser Perspektive – Einfluss der Digitalisierung auf die Identität – für das Wirtschaftsleben – zum Beispiel für die Bedeutung von Marken oder die Formen der Werbung? 1. Ausgangspunkt: Die psychologische Revolutionierung und Entwertung intelligenter Arbeit Digitale Technologien revolutionieren psychologisch stark unsere Vorstellungen von Arbeit und nicht nur faktisch-sachlich. Denn digitale Technologien können künftig auch die durch Muster und Routinen geprägten Formen intelligenter menschlicher Arbeit ersetzen. Damit verändern sie einen zentralen Kern dessen, was Arbeit psychologisch bislang ausmacht. In vielen Berufen, aber auch in unserer häuslichen Arbeit, geht es bislang oft gerade darum, Muster und Routinen zu erlernen und zu entwickeln, um sie dann möglichst eloquent zu beherrschen und einsetzen zu können. In Begriffen wie „Berufserfahrung“ schlugen sich dieses Knowhow und die damit verbundene Wertschätzung bislang nieder. Durch die Digitalisierung wird dieses in Form von Mustern und Routinen erworbene Erfahrungs-Können jedoch von Maschinen ausführbar und dadurch als menschliches Können entwertet. Damit wird ein wesentliches Moment von dem obsolet, was uns als arbeitendes, erwachsenes und wertvolles Mitglied einer Gemeinschaft bislang stolz gemacht hat. Haben nicht frühere industrielle Revolutionen ebenfalls das von der Arbeit geprägte Selbstverständnis stark verändert? Natürlich haben sie das und auch in der Vergangenheit massiv beispielsweise auf das Arbeitsleben der Weber, Landarbeiter, Handwerker Einfluss genommen. Auch Seite 1 von 7
deren Können war auf einmal plötzlich weniger wert. Und es wurden neue Berufe geschaffen – etwa Elektriker oder Maschinenschlosser, die es so vorher nicht gab. Insofern wiederholt sich heute lediglich die Geschichte nur eben mit den neuen technologischen Errungenschaften. Dennoch ist dieses Mal etwas anders. Denn es gibt auch eine neue psychologische Dimension in den Umwälzungen. Wenn ein von einem Algorithmus gesteuertes System vorgeblich besser operiert als ein menschlicher Chirurg oder Bewerber effizienter für eine Stelle auswählen kann als ein menschlicher Gutachter (Nadine Bös 2018) sowie Online-Werbung bei vermeintlich gleicher Qualität kostengünstiger aussteuert als ein Marketing-Manager, dann bekommen Maschinen eine neue psychologische Qualität. Sie ersetzen nicht mehr nur die Arbeit, die uns monoton, stupide, mühselig und lästig erscheint wie vielfach in früheren industriellen Revolutionen, sondern zunehmend auch die, auf die wir stolz sind und die uns in unserem Selbstverständnis und wie selbstverständlich als „Spezies vom überlegenen Menschen“ auszeichnet. In der psychologischen Perspektive – also in unserem Erleben – waren Maschinen bislang groß, mächtig, schnell etc. aber sie waren tendenziell dumme Automaten, die gesteuert werden müssen. Dies verkehrt sich jedoch mit der Digitalisierung in unserem Empfinden immer mehr ins Gegenteil: Heute sind es danach die Maschinen, die wir für sehr komplexe Tätigkeiten anlernen, damit sie am Ende dieselben Prozesse schneller und besser machen als wir selbst: So haben es etwa die im März 2018 gekündigten 200 Zalando-Marketing-Mitarbeiter erlebt, die erst die Algorithmen erzeugten, durch welche sie dann später ersetzt wurden (Digital Pioneers 2018). Menschen zeigen künftig vielleicht noch den Weg auf, entwickeln intelligente Muster und Routinen, die dann aber von lernenden Systemen und ihren Rechenkapazitäten so weiter optimiert werden, dass es menschlichen Support praktisch nicht mehr braucht. Die schon vor einem halben Jahrhundert vom österreichischen Philosophen Günther Anders entwickelte These von der „Antiquiertheit des Menschen“ und seiner „prometheischen Scham“ (Günther Anders 1956) bekommt angesichts der Möglichkeiten der Technologie heute eine neue Aktualität. Wir erleben nun die „Maschinen“ als uns überlegen in einem Bereich, von dem wir glaubten, wir seien darin unschlagbar und hätten damit als Spezies einen Platz als Herrscher über das Weltgeschehen für immer sicher: unsere Intelligenz. Heute erleben wir die Maschinen nicht nur als stärker und schneller, sondern zunehmend auch als schlauer als wir selbst. Mit unserer Intelligenz wird ein zentrales psychologisches Moment unserer menschlichen Identität in Frage gestellt (Friedhelm Greis 2017). Und das ist eine neue psychologische Qualität mit weitreichenden Konsequenzen: Viele Menschen halten sich selbst nicht mehr für klüger, sondern bestenfalls nur noch für kreativer und empathischer als moderne digitale Systeme. Für den Bereich der Arbeit heißt das, dass Menschen sich immer weniger als „Kopf“ bzw. als steuernd erleben. Genauer gesagt als ersetzbarer „Kopf“ mit den schlechteren bzw. teureren Leistungen. Die Intelligenz, komplexe Situationen erfolgreich zu bearbeiten, kann heute auf den unterschiedlichsten Worklevels von technischen Systemen ersetzt werden: Ein elektronisches Bezahlsystem macht eine Kassiererin ebenso obsolet wie eine ausgeklügelte Software in vielen Fällen den Steuerberater. Zusammengefasst lässt sich dies in der Hypothese formulieren: Die menschliche Identität wird in unserem Erleben heute gerade neu definiert – sie ist nun mehr empathisch-kreativ aber nicht mehr vor allem intelligent. Seite 2 von 7
2. Effekt I: „Berühmt-werden“ - Neue Werteräume und Statusformen Die Identität von Individuen ist nach Erikson (Erik H. Erikson 1968) das Ergebnis von vorangegangen Krisen und den für ihre Bewältigung entwickelten Lösungen. Überträgt man diesen Grundgedanken auf das Selbstverständnis des Menschen von sich selbst, dann führt die psychologische Entwertung intelligenter Arbeit in eine Identitätskrise. Die Konsequenz der Krise ist ein Prozess, der zu einer Modifikation und Neudefinition menschlichen Selbstverständnisses führt. Über Jahrhunderte hinweg waren klassische Produktionsarbeit, Handel und Dienstleitungen ein wesentliches psychologisches Moment für die Identitätsbildung. Die klassische Arbeit hat in einem solchen Umfang zur persönlichen Identität beigetragen, dass der Beruf sogar die Familiennamen prägte: Fischer, Kaufmann, Schmied etc. Auch heute noch stellen sich Menschen in deutschen, aber auch in vielen anderen Kulturen selbst vor, indem sie ihren Beruf nennen: „Ich bin Ingenieur/in“, „ich bin Schreiner/in“ oder auch in einem anderen, weiteren Verständnis „ich bin Hausfrau/mann“. Wenn sich nun die Bedeutung von klassischer Arbeit durch die Digitalisierung wie oben beschrieben verändert, wird ihr Beitrag für die Identitätsbildung – sowohl generell als auch individuell – schwächer werden. Welche Hinweise zeigen sich auf ergänzende und alternative Formate für die Identitätsbildung? Hier können Erkenntnisse aus der Forschung mit sehr jungen Altersgruppen aufschlussreich sein. Dies aus zwei Gründen: Zum einen ist der Lebensalltag junger Menschen bereits jetzt schon viel stärker von Digitalisierung geprägt und zum anderen hat die Digitalisierung entscheidenden Einfluss auf deren berufliche Perspektiven. In der Forschung ist hier insbesondere ein Datum auffällig: Die Zahl der jungen Menschen, die berühmt werden wollen, ist in den letzten Jahren von 14% auf 30% signifikant gestiegen (Ines Imdahl 2002, 2018) Dies passt in das Bild, dass die Anzahl der Follower, der Likes, der Sharing-Scores das sind, was heute bei vielen jungen Menschen zählt – egal wodurch und womit sie letztlich erzielt wurden. Sie liken, followen, sharen auch viel häufiger und bereitwilliger als ältere Gruppen. Berühmtheit und Bekanntheit gewährleisten Identität in Form von Bedeutung – und zwar abgesichert in der Spiegelung der anderen. Daher funktioniert es auch als strafendes, sanktionierendes Moment: „Dissen“, „aus der Gruppe schmeißen“, „Offline gehen“ sind Aktionen, die die Likability eines Menschen und damit sein soziales Bewunderungspotential herabsetzen kann. Dass Berühmtheit und Bekanntheit eine neue generelle Währung bei der Identitätsbildung darstellen kann, zeigt sich nicht nur in Zahlen, sondern auch in ausgedehnten psychologischen Tiefeninterviews. Gerade junge Befragte geben wie selbstverständlich an, dass sie später einmal berühmt sein werden. Die Wunschvorstellungen reichen dabei vom Gamer-Star bis zum Nobelpreisträger. Die Felder, in denen Einzelne berühmt werden, können sehr unterschiedlicher Natur sein. Ihnen ist jedoch gemeinsam, dass es sich nicht um Formen klassischer Arbeit handelt. Vielmehr steht das gegenseitige Entertaining im Vordergrund, das gegenüber klassischer Arbeit zentraler und bedeutsamer wird. Vordergründig wirkt es so, als ob die Sehnsucht nach Ablenkung und Unterhaltung nach dem Motto von „Brot und Spiele“ wieder Konjunktur bekommt. Die Redensart von „Brot und Spielen“ bekommt jedoch hier eine neue, andere Auslegung: Die jungen Altersgruppen verbinden mit den „Spielen“ zugleich auch das Geld und damit das „Brot“, das sie verdienen können – parallel oder statt klassischer Formen der Arbeit. Unterscheiden lassen sich dabei grundsätzlich generelle Felder der Berühmtheit in Bereichen wie Sport, Musik, Blogs, YouTube-Genres etc., die den allgemeinen gesellschaftlichen Mainstream- Rahmen bilden sowie partikuläre Bereiche, die nur von einer bestimmte Szene intensive Beachtung erfahren: Gamer, Gangsta-Rapper, Ultras etc. Bei letzteren bilden sich neue Formen aus, die mit dem „Verbotenen“ spielen und oft im gewissen Kontrast zu klassischen gesellschaftlichen Normen und Werten stehen. Die Szenerie ist so gestaltet, dass es praktisch jedem möglich ist, in irgendeinem Bereich ein kleiner oder großer Star zu sein: Der beste bayerische Gamer in der Gruppe X, der Seite 3 von 7
Pilzesammler mit den meisten YouTube-Followern etc. Wichtige Fragen betreffen die Position in der Hierarchie der öffentlichen Wahrnehmung: Ist man z.B. auf Platz 1 oder nur in den Top Ten? Wird ein Clip mehr oder weniger geklickt als vom Konkurrenten? Wie wichtig die Bekanntheit und das Feedback aus dem Netz in Form von Downloads, Likes generell und persönlich für die Identitätsbildung ist, lässt sich exemplarisch gut an der Biographie über den deutschen Rapper Sun Diego nachlesen (Sun Diego / Dennis Sand 2018). Innerhalb der Social Media bilden sich so betrachtet heute neue Formen der Identitätsbildung aus. Die Instagram-Posts und Posings lassen sich vor diesem Hintergrund als Plattform für Darstellungen sehen, wie und wer man heute sein will – bzw. nicht sein will. Klassische Arbeit und Beruf führen dort mehr ein Hintergrunddasein. Die herkömmlichen Formen der Arbeit scheinen in der Lebenswelt der jungen Gruppen gegenüber dem Identitäts-Glamour der Social Media zu verblassen. Die Krönung ist es für viele vielmehr, hier so relevant und bekannt zu sein, dass sie von Web-Einnahmen finanziell gut leben können. Es legt sich der Verdacht nahe, dass auch dies ein Hintergrund für die hohe Abbrecherquote in klassischen Ausbildungsberufen ist: Identität als Mensch und Person stellt sich heute weniger über die klassische Arbeit her als über die Performance im Netz – immer mit der Hoffnung vielleicht selbst finanziell irgendwann davon zu profitieren. 3. Effekt II: Digitale Brot und Spiele – neue Digitalgötter Mit der psychologischen Entwertung intelligenter Arbeit und der Verlagerung identitätsbildender Momente in den Show- und Entertaining-Kosmos des Internets wird von vielen auch ein Stück „Mündigkeit“ im Sinne Adornos (Theodor W. Adorno 1971) und eigene Verantwortung an die neuen intelligenten Systeme abgetreten: Die Höhe der Matchquote zwischen zwei Partnern beim Dating, die „Verlässlichkeitsquote“ bei der Vergabe von Finanzdienstleistungen, die Diagnose ob „sterbenskrank oder Heilungsperspektive“ wird von Algorithmen berechnet und meist nicht hinterfragt – mit dem Argument, dass die Technologie die Angelegenheiten besser, umfassender einschätzt als der Mensch – selbst in Liebesangelegenheiten. Psychoanalytisch formuliert schafft sich das „Ich“ ein digitales „Über-Ich“, dessen Entscheidungen und Befunde nicht mehr wirklich in Zweifel gezogen werden. Das ermöglicht Verantwortung abgeben zu können – insbesondere auf unangenehmen und schwierigen Feldern. Die digitalen „Über-Ich“-Maschinen entscheiden z.B. vor dem Hintergrund der Auswertung von hunderttausenden Patientendaten und mit der Kapazität von neuronal vernetzten Computern, wer Heilungschancen hat und wer nicht – wie z.B. Christoph Sackmann im Focus berichtet (Christoph Sackmann 2018). Oder sie stellen Richtern Rückfallprognosen von Tätern zur Verfügung wie jetzt schon in den USA. Da wo Menschen bislang aufgrund ihres Arbeits-Selbstverständnisses selbst in die Verantwortung gegangen sind, werden sie es in Zukunft nicht unbedingt mehr tun, wenn die Maschinen als „schlauer“ erlebt werden. Die Digitalisierung schafft so neue Digitalgötter, denen wir uns anvertrauen und einen Teil unserer Mündigkeit opfern. Daraus abgleitet lässt sich die Hypothese formulieren, dass die Digitalisierung die Neigung fördert, die Bewältigung von komplexen Aufgabenstellungen einerseits tendenziell klugen Systemen und Instanzen zu überlassen, um sich dann andererseits verstärkt „lustvolleren“ Aktivitäten im Netz widmen und in von Träumen und Tagträumen geprägten Welten bewegen zu können. Die Social Media Szenerien bieten hierfür viel psychologischen Raum wie Studien zeigen – ob beim Gaming, Surfen oder in Clips. In diesem Sinne lässt sich auch von einer Tendenz zur Regression bei der Identitätsbildung sprechen: Aus dieser regressiven Perspektive betrachtet wird psychologisch der Verlust an Einflussmöglichkeiten bei den klassischen Formen der Arbeit durch Entertaining kompensiert. Hier fände sich dann tatsächlich eine Parallele zur historischen Einordnung des Brot und Spiele-Phänomens: Denn Brot und Spiele standen gesellschaftlich immer dann hoch im Kurs, wenn die individuellen Verantwortungs- und Gestaltungsspielräume eher gering waren. Seite 4 von 7
4. Ausblick: Konsequenzen für unseren Wirtschaftsalltag Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Neuausrichtung unserer Identität durch die Digitalisierung? Für den Wirtschaftsalltag wurden hier einige zentrale Thesen entwickelt: These 1: Unternehmen / Marken müssen sich künftig „hybrid“ aufstellen – als Götter zum Anfassen. Die Digitalisierung wird dazu führen, dass digitale Systeme vermehrt zum allgemeinen Vorbild von Unternehmensleistungen werden. Das bedeutet, dass die Leistungserwartungen der Kunden eher steigen werden, aber auch die Bereitschaft, Unternehmen und Marken wie bei den „intelligenten“ Systemen in ihrer Bedeutung zu erhöhen: Sie werden wie die neuen digitalen Götter verstärkt zum Bestandteil des „kollektiven Über-Ich“ – und damit wichtige gesellschaftliche Orientierungs- und Haltepunkte darstellen. Das bedeutet konkret, dass nicht mehr allein das gekaufte Produkt im Fokus steht, sondern das Unternehmen im Ganzen. Dies trifft umso mehr zu, je bedeutsamer das Unternehmen in der gesellschaftlichen Orientierung eingestuft wird. Kunden delegieren ihre Wünsche an die Unternehmen und erwarten, dass Unternehmen verstärkt Verantwortung für ihre bzw. für die Konsequenzen des Kundenhandelns übernehmen – und zwar von Einkauf, Produktion, Werbung bis zum Verkauf und Gebrauch. Die Götter müssen sich beweisen. Die hohen Leistungserwartungen werden daher künftig immer wieder geprüft und herausgefordert werden. NGOs und Testinstitutionen, Blogger, Feedback-Portale werden für ein ständiges Monitoring sorgen. Die Götter sind also immer in Gefahr in Ungnade zu fallen. „Hybrid“ bedeutet, dass Kunden künftig ihre modernen Götter nicht einfach verehren, sondern erwarten, dass diese dazu beitragen, dass sie als Kunden selbst gut performen können und im Ideal sogar selbst an ihrer Bekanntheit und Berühmtheit arbeiten können. Brand as a hero war gestern – künftig ist entscheidend was das Unternehmen vielmehr umgekehrt dafür leistet, dass Individuen aus der Zielgruppe bekannt und berühmt werden? Zusammengefasst brauchen die hybriden Unternehmen der Zukunft eine Digital und eine Casual Intelligence: - Digital Intelligence: Unternehmen werden einerseits dem digitalen Über-Ich unserer Gesellschaft zugeordnet und müssen daher als kompetent, verlässlich und zukunftsorientiert wahrgenommen werden. - Casual Intelligence: Sie müssen aber zugleich andererseits auch einen Beitrag im digitalen Show- und Entertaining- Kosmos für ihre Zielgruppen offerieren: Brand as a hero war gestern - was leistet das Unternehmen vielmehr umgekehrt dafür, damit Individuen aus der Zielgruppe bekannt und berühmt werden? These 2: Kommunikation für „schizophrene“ Zielgruppen / Stakeholder Je weniger sich die Zielgruppen durch die Digitalisierung selbst in der Verantwortung sehen, umso mehr werden von den Unternehmen als Repräsentanten des digitalen Über-Ich unmögliche Lösungen eingefordert: Beispiele sind etwa Fleisch zu Discountpreisen – aber bitte nicht aus einer Massentierhaltung; Benzin sparen – aber trotzdem SUV fahren wollen; Packungen aus nachwachsenden Rohstoffen, aber keine Müllberge; Aromakapseln, aber kein Aluminium etc. Die Unternehmen werden daher künftig noch mehr und häufiger in Zwickmühlen geraten, weil sie nicht alle Forderungen zugleich erfüllen können. Sie werden dabei immer wieder zu Sündenböcken gemacht werden, die wichtige Wünsche nicht erfüllen. Demgegenüber lässt sich nicht rational sondern nur psychologisch argumentieren (Jens Lönneker 2015). Die Herausforderung liegt künftig dabei darin, psychologische Kommunikationsstrategien zu entwickeln, wenn die öffentliche Wahrnehmung kritisch wird. Seite 5 von 7
These 3: Zielgruppen und Stakeholder suchen verstärkt Bewunderung und Wertschätzung. Je mehr die Identitätsbildung durch die Digitalisierung auf das Feedback anderer fokussiert, umso wichtiger werden anerkennende und wiederkehrende Aktionen und Reaktionen der Unternehmen. Es ist das Paradox des Narzissmus, dass er sich seine Selbstliebe erst in der Bewunderung der Anderen erfüllt. These 4: Mitarbeiter-Recruitment und Mitarbeiterbindung wird aufwändiger. Die Mitarbeiterbindung an Unternehmen, Berufe und klassische Arbeitsplätze wird schwächer. Bindung wird künftig eher dadurch erreicht, dass Mitarbeiter über das Unternehmen Teil einer „famous“ story werden können. Employer Branding wird daher an Bedeutung zunehmen. These 5: Unternehmen werden daraufhin geprüft, ob und welche identitätsstiftenden Angebote sie offerieren. Unternehmen werden heute zunehmend als ein Ganzes betrachtet: von der Produktion, der Personalpolitik bis hin zu den Marketingaktivitäten. Dies hat sich im Konzept von der identitätsbasierten Markenführung (Christoph Burmann 2012) niedergeschlagen. Welche Identität und welches Selbstverständnis entwickelt das Unternehmen selbst, wird daher zu einer zentralen Frage. Die Digitalisierung verstärkt diesen Trend: Was kann ich für die Identitätsbildung meiner Kunden versprechen, wenn ich Nike, AMG, Nespresso, Gerolsteiner, Thermomix bin? Die Frage nach der Identität und Identitätsausstattung der Unternehmen wird künftig im Wirtschaftsleben daher sehr zentral werden. Adorno, Theodor W. (1971), Erziehung zur Mündigkeit, Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker von 1959 bis 1969, Suhrkamp, Kadelbach, Gerd (Herausgeber) Anders, Günther (1956), Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. I Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1956, C.H.Beck Bös, Nadine (2018), „Komm spielen wir um die neue Stelle“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16./17.6.2018, Frankfurt Burmann, Christoph, Halaszovich; Thilo; Schade Michael; Piehler, Rico (2012), Identitätsbasierte Markenführung, Grundlagen – Strategie – Umsetzung – Controlling, Wiesbaden, Springer Gabler Digital Pioneers, (2018), https://t3n.de/news/zalando-spart-200-mitarbeiter-jobs- individualisierung-981580/,12.03.2018 Erikson, Erik H. (1968): Identity, Youth and Crisis. New York, Norton Greis, Friedhelm (2017), https://www.golem.de/news/kuenstliche-intelligenz-die-dummen- computer-noch-duemmer-machen-1712-131893, golem.de IT-News für Profis, 29.12.2017. In rational-technische Argumentationen weisen Experten häufig darauf hin, dass solche Systeme nicht wirklich klug und weder klüger noch dümmer als nicht digitalisierte Maschinen sind. Dies trifft jedoch nicht das psychologische Phänomen. Denn moderne IT-Systeme sind in Seite 6 von 7
der Lage Vorgänge von größerer Komplexität zu bearbeiten als es Maschinen bislang konnten. Und genau das führt dazu, dass sehr viele Menschen sie heute als „intelligent“ erleben, wie auch Greis einräumt. Psycho-logisch ersetzt die „digitale Technologie“ Menschen dort, wo sie meinen, sich selbst intelligent zu verhalten. Imdahl, Ines (2018), Selfies ungeschminkt, Studie des IKW - Industrieverband Körperpflege und Waschmittel e.V., Frankfurt , Imdahl, Ines, V.E.N.U.S (2002), Die neue Freundin-Frauen-Studie, Zum Selbst- und Unverständnis der Frauen in unserer Zeit, München, Burda Lönneker, Jens (2015), „Öffentliche Meinung in der Krise“, Eine tiefenpsychologische Analyse des rheingold salon im Auftrag der Heinz Lohmann Stiftung, Frankfurt Sackmann, Christoph (2018), „Medical Brain“ - Besser als Ärzte: Google will mit Künstlicher Intelligenz Ihren Tod vorhersagen, https://www.focus.de/finanzen/boerse/medical-brain- besser-als-aerzte-google-will-mit-kuenstlicher-intelligenz-ihren-tod- vorhersagen_id_9122462.html, Focus Online, 19.06.2018, München Sun Diego / Dennis Sand (2018): Yellow Bar Mitzvah, Die sieben Pforten vom Moloch zum Ruhm, München, riva Seite 7 von 7
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