Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"

Die Seite wird erstellt Finn-Luca Knoll
 
WEITER LESEN
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
bürgerorientiert · professionell · rechtsstaatlich

Dokumentation zur
Online-Fachtagung zur Prävention von „Clankriminalität“

lka.polizei.nrw
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
Inhaltsverzeichnis

         1        Einführung                                    4

         2        Programm                                      5

         3        Dokumentation und Ergebnisse                  6

         3.1      Begrüßung und Einführung                      6
         3.2      Podiumsdiskussion                             7
         3.3      Workshops                                     10

         3.4      Markt der Möglichkeiten                       15

         3.5      Vortrag: Grüße aus der Parallelgesellschaft   16
         3.6      Fragen und Antworten im Plenum                16

         4        Fazit und Ausblick                            19

         5        Literatur                                     19

lka.polizei.nrw
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
1 Einführung
Die Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle (KKF) des Landeskriminalamtes Nord-
rhein-Westfalen (LKA NRW) richtete im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Pro-
jekts „Orientierung, Integration, Perspektiven – 360°-Maßnahmen zur Vorbeugung von Clan-
kriminalität“ (360°) am 02. Dezember 2020, unter Schirmherrschaft von Herrn Minister Herbert
Reul, eine Online-Fachtagung zur Prävention von „Clankriminalität“ aus. In diesem Bericht
werden der Verlauf sowie die Ergebnisse der Tagung dokumentiert.

Wie der Titel der Veranstaltung bereits impliziert, bestand das   Referentinnen und Referenten stellen konnten. Via Online-
wesentliche Ziel der Tagung darin, der Herausforderung der        Links wurden Workshops im Videokonferenzformat ausge-
vorbeugenden Bekämpfung von „Clankriminalität“ durch eine         richtet. Zudem hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
multiprofessionelle und überregionale Betrachtung des Phä-        die Gelegenheit den „Markt der Möglichkeiten“, einen virtuel-
nomens zu begegnen und in einen Austausch hierüber zu             len Ausstellungsraum von insgesamt vierzehn Präventions-
treten.                                                           anbietern, zu betreten.

Da Kriminalprävention nicht durch die Polizei allein geleistet    Geplant und organisiert wurde das Symposium von der KKF
werden kann, wurden neben Mitarbeiterinnen und Mitarbei-          des LKA NRW unter der Leitung von Dr. Maike Meyer. Orga-
tern des LKA NRW und der Kreispolizeibehörden Bochum,             nisatorisch waren hauptverantwortlich Alexander Werner und
Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen              Kai Seidensticker. Zudem waren weitere Mitarbeiterinnen
und Recklinghausen weitere Expertinnen und Experten aus           und Mitarbeiter des LKA NRW sowie Praktikantinnen und
unterschiedlichen Ressorts der nordrhein-westfälischen Lan-       Praktikanten in den Ablauf der Veranstaltung eingebunden.
desregierung sowie den Bereichen der Wissenschaft, der Kri-       Darüber hinaus wurde die Online-Tagung von sechs Exper-
minalprävention, der Sozialen Arbeit und der Medien einge-        tinnen und Experten in drei Workshops unterstützt. Rund 110
laden.                                                            Personen nahmen an der Veranstaltung teil. Somit konnte die
                                                                  Fachtagung, trotz der Covid-19-Pandemie und der entspre-
Ausgerichtet wurde die Onlineveranstaltung im Oktogon auf         chenden gesundheitsrechtlichen Regelungen, erfolgreich
Zeche Zollverein in Essen. Hierzu wurde eine Internetseite        und mit reger Beteiligung stattfinden. Nachfolgend ist das
für die Tagung eingerichtet, über die die Teilnehmerinnen         Programm der Veranstaltung dargelegt.
und Teilnehmer via Livestream am Plenum partizipieren und
Fragen in eine Podiumsdiskussion einbringen oder an die

lka.polizei.nrw
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
2 Programm
09:00 Uhr         Begrüßung und Einführung

                  Herbert Reul, Innenminister NRW
                  LKD Jörg K. Unkrig, IM NRW Leiter des Referates 424
                  Dr. Maike Meyer, LKA NRW, Leiterin der KKF

09:30 Uhr         Podiumsdiskussion

                  Moderation: Christian David

11:15 Uhr         Workshopphase I
                  Markt der Möglichkeiten I

13:00 Uhr         Workshopphase II
                  Markt der Möglichkeiten II

14:30 Uhr         Vortrag: Grüße aus der Parallelgesellschaft

                  Christine Kensche, WELT

15:00 Uhr         Vorstellung der Ergebnisse der Workshops

lka.polizei.nrw
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
3 Dokumentation und Ergebnisse

3.1 Begrüßung und Einführung
Dr. Maike Meyer, Leiterin der Kriminalistisch-Kriminolo-        bei der Bekämpfung der sogenannten Clankriminalität und
gischen Forschungsstelle des Landeskriminalamtes                erläuterte die diesbezügliche strategische Ausrichtung der
Nordrhein-Westfalen                                             Polizei Nordrhein-Westfalen. In diesem Zusammenhang ap-
                                                                pellierte er an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Wir
                                                                brauchen das, was Sie schon wissen und können, um es zu-
                                                                sammenzuführen.“

                                                                LKD Jörg K. Unkrig, Leiter des Referates 424 des Minis-
                                                                teriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen

Foto: Interartes GmbH

Die Veranstaltung wurde durch Frau Dr. Meyer, Leiterin der
KKF eröffnet, die im weiteren Verlauf durch die Veranstaltung
führte.                                                         Foto: Interartes GmbH

Herbert Reul, Minister des Innern des Landes Nordrhein-         Herr Unkrig, Leiter des Projektes 360°, betonte zu Beginn der
Westfalen                                                       Veranstaltung, dass „Integration, Orientierung und Perspek-
                                                                tiven“ drei wichtige Keywords für die Prävention von „Clankri-
                                                                minalität“ darstellen. Zielgenaue Maßnahmen zur Integration
                                                                und Minderung von Vorurteilen seien in Zusammenarbeit des
                                                                Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen mit
                                                                der Wissenschaft, pädagogischen Fachkräften und Angehö-
                                                                rigen der Zielgruppe zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund
                                                                wurden bereits erste Ansätze ins Leben gerufen.

                                                                Er zog als Zwischenfazit: "Mit Prävention kommen wir lang-
                                                                fristig vor die Lage, verhindern Straftaten und Opfer und ver-
Foto: Interartes GmbH
                                                                ändern die Perspektiven der Teilnehmenden und ihrer Fami-
                                                                lien." Zum Abschluss appellierte Herr Unkrig an die Teilneh-
Im Anschluss richtete Herr Minister Herbert Reul sein Gruß-     merinnen und Teilnehmer, zu Co-Autorinnen und Autoren der
wort per Videoeinspielung an die Teilnehmerinnen und Teil-      Geschichten für die Zukunft der Zielgruppe zu werden.
nehmer. Er betonte dabei die gleichwertige Bedeutung und
Umsetzung von Repressions- und Präventionsmaßnahmen
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
3.2         Podiumsdiskussion
Im Anschluss an die Begrüßung leitete Frau Dr. Meyer zur         Präventionsarbeit kann eine (sicherheits-)politische Dimen-
Podiumsdiskussion über. Diese wurde von Christian David,         sion haben bzw. bekommen. Dadurch können schnell politi-
Moderator, Reporter und Medientrainer und unter anderem          sche Interessenkonflikte entstehen, die mit dem eigentlichen
tätig für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, moderiert. Als    ‚Problem‘ nicht mehr unmittelbar zu tun haben bzw. dieses
Diskussionsschwerpunkte wurden vorab die besonderen              überlagern.
Herausforderungen bei der Prävention von „Clankriminalität“,
die Möglichkeiten zum Erreichen der Zielgruppe, die Ursa-        Prävention basiert im Kern auf Freiwilligkeit. Diese Freiwillig-
chen des Phänomens „Clankriminalität“ und die Frage nach         keit kann nur durch gemeinsames Vorgehen und die Aner-
relevanten Akteurinnen und Akteuren vereinbart. Zuvor hat-       kennung des jeweils anderen erreicht werden.“
ten die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer Ein-
                                                                 Sahar El-Zein,
gangsstatements eingereicht, die durch Herrn David bei ihrer
                                                                 Integrationsrat der Stadt Essen
jeweiligen Vorstellung vorgelesen wurden und wie folgt lau-
                                                                 „Als Integrationsratsmitglied liegt mein Fokus auf der Verbes-
teten:
                                                                 serung der Aufenthaltsberechtigungen (Kettenduldungen),
LKD Thomas Jungbluth,                                            Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Schule und
LKA NRW, Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität:         Ausbildung, Abbau von Diskriminierungen gegenüber Men-
„Erfolgreiche Kriminalprävention im Bereich Clankriminalität     schen, die in Großfamilien leben und vertraulicher Kontakt zu
kann nur gelingen, wenn verschiedene gesellschaftliche           Polizei und Presse zum Abbau von Vorurteilen.
Kräfte ihr Know-how einbringen und an einem Strang ziehen.       Als langjährige Jugendgruppenleiterin versuche ich bei Ju-
                                                                 gendlichen Selbstwirksamkeitspotentiale zu wecken und sie
Für die Polizei bedeutet das:                                    in ihrer Phase der Lebenswegorientierung zu begleiten. Unter
1. die notwendigen Institutionen an der Suche nach Lösun-        dem Motto ‚Lerne dein Land kennen‘ setzen wir uns mit der
gen zu beteiligen und damit alle relevanten gesellschaftlichen   Geschichte, Gegenwart und Zukunft in Deutschland und Eu-
Kräfte an einen Tisch zu bekommen,                               ropa auseinander.“

2. mit repressiven Maßnahmen zu unterstreichen, dass ein         Akin Şat,
Leben im Einklang unserer Rechtsordnung der richtige und         Sozialarbeiter, Ifak Bochum:
attraktivere Lebensentwurf ist; Verantwortung für die Familie    „Die Herausforderungen in der pädagogischen und kriminal-
erfordert ein Leben in Freiheit und kein Leben mit dem Risiko    präventiven Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind immer
im ‚Knast‘ zu landen.“                                           besonders anspruchsvoll. Die Zielgruppe erreicht man mit
                                                                 Empathie, vorurteilsfrei und individuell.“
Dr. Hatem Elliesie,
Rechts- und Islamwissenschaftler, Max-Planck-Institut
                                                                 Podium
(MPI) für ethnologische Forschung:
„Die Herausforderung besteht in einer gegenseitig möglichst
vorurteilsfreien Begegnung und einem vertrauensvollen Mit-
einander.“

Dr. Mitra Moussa Nabo,
Politologe, Nationales Zentrum für Kriminalprävention:
„Bevor Präventionsarbeit beginnen kann müssen zwei Fra-
gen so deutlich wie möglich beantwortet werden: Was will ich
vermeiden bzw. vorbeugen und wie will es vorbeugen?
                                                                 Foto: Interartes GmbH
Ein weiterer wichtiger Aspekt für eine sinnvolle Präventions-
arbeit ist, dass sie nicht stigmatisierend wirkt und ganze Be-
völkerungsgruppen oder Gemeinschaften in Sippenhaft
nimmt.

lka.polizei.nrw
Dokumentation zur Online-Fachtagung zur Prävention von "Clankriminalität"
Herr David eröffnete die Diskussion mit der Frage nach den          auf das Neue und Besondere in diesem Vorhaben zu richten
Herausforderungen und Chancen beim Erreichen der Ziel-              und dazu müsse ein klares Ziel definiert werden, an welcher
gruppe. Herr Şat konstatierte daraufhin, dass Freiwilligkeit        Stelle die Prävention greifen soll. Herr Jungbluth unterstrich,
ein zentraler Aspekt des Zusammenwirkens sei. Da die Fa-            dass falsche Vorbilder einen negativen Einfluss auf den Bil-
milien, nach seiner Erfahrung aus der Familienhilfe, ihrerseits     dungs- und Erziehungsaspekt nehmen können, weshalb Re-
kein Interesse daran hätten, dass ihre Angehörigen polizei-         pression seitens der Polizei notwendig sei, um den Leit-
lich in Erscheinung treten oder ins Gefängnis müssten, sei          spruch „Knast macht Männer“ zu entkräften und unterstrich
eine grundsätzliche Mitwirkungsbereitschaft oftmals vorhan-         dies mit den Worten: „Keine Repression ohne Prävention –
den. Zudem werde die Haltung gegenüber der Polizei koope-           Keine Prävention ohne Repression“. Es gäbe unterschiedli-
rativer, und viele Familien, die teilweise noch nie in ihrem        che Maßnahmenpakete für verschiedene Arten von Krimina-
Herkunftsland gewesen seien, würden sich als deutsch iden-          lität, und Probleme sollten durch Definitionen eingrenzbar ge-
tifizieren. Herr Jungbluth führte fort, dass die Polizei sich ei-   macht werden.
nen besseren Zugang zu der Zielgruppe erhoffe und dabei
Zeit und Geduld von Bedeutung seien. Frau El-Zein fügte             Es folgte die Publikumsfrage, inwiefern religiöse Ansichten
hinzu, dass es Kriminalität in jedem Milieu gebe und diese in       und Werte eine Rolle spielen würden. Herr Dr. Elliesie merkte
Bezug auf das hier fokussierte Milieu aufgrund von zahlrei-         an, dass Religion zwar eine Rolle spiele, jedoch keineswegs
chen Vorurteilen großgeredet würde. Jugendliche, die aus            in dem hohen Maße, wie oftmals vermittelt werde. Ferner
Clanfamilien stammen, sähen sich überdies bereits als Teil          würde sie nicht zur Rechtfertigung krimineller Handlungen
der Mehrheitsgesellschaft, jedoch gäbe es durch gegensei-           herangezogen werden. Aus dem bisherigen Forschungs-
tige Vorurteile und gereizte Stimmung keine stabile Vertrau-        stand ergebe sich sehr deutlich, dass neben sozio-ökonomi-
ensbasis zwischen Polizei und den in Rede stehenden Groß-           schen Beweggründen das tragende Element für kriminelle
familien.                                                           Handlungen tradierte oder vermeintlich tradierte Vorstellun-
                                                                    gen seien. Diesen werden im Verhältnis zur Religion Vorrang
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten die Möglichkeit,          gegeben.
ihre Fragen online in die Diskussion einzubringen. Die erste
Teilnehmerfrage lautete: „Wie würden Sie die Zielgruppe de-         Frau El-Zein berichtete in diesem Kontext aus der Praxis. Im
finieren?“ Frau El-Zein merkte an, dass sie die 14 bis 17-jäh-      Dialog mit Jugendlichen werde über Religion und die Inter-
rigen Jugendlichen aus der Jugendgruppe, mit der sie ar-            pretation der Werte des Islam, welche kriminelles Verhalten
beite, als ganz normale Jugendliche bezeichnen würde. Herr          verbieten würden, gesprochen. Auch Herr Şat bezeichnete
Dr. Moussa Nabo wies darauf hin, dass zwar eine Notwen-             Religion als Aufklärungsinstrument und berichtete, dass es
digkeit der Definition der Zielgruppe bestehe, es in diesem         bisher keine religionsspezifischen Hindernisse in der Famili-
Kontext allerdings unterschiedliche Vorstellungen gäbe, die         enhilfe gegeben habe.
einen Teil des Grundproblems darstellen würden, weshalb
                                                                    Herr Dr. Elliesie griff im Anschluss daran den Bildungsaspekt
die Definition der Zielgruppe ein Teil des Weges sei, der vor
                                                                    erneut auf und wies darauf hin, dass Bildung nicht als reine
ihnen allen liege. In diesem Kontext deutete Herr Dr. Elliesie
                                                                    Wissens- sondern vielmehr als Kompetenzvermittlung ver-
auf Generationen als Anhaltspunkt hin und verwies, unter Zu-
                                                                    standen werden müsse. Herr Dr. Moussa Nabo betonte, dass
stimmung durch Herrn Jungbluth, auf Bildung als zentralen
                                                                    Vorbilder nicht zwingend aus demselben Milieu der Ziel-
Aspekt der Kriminalprävention, besonders für die junge Ge-
                                                                    gruppe stammen müssen, sondern sich vorrangig nah an ih-
neration. Hinsichtlich des Bildungsaspektes ginge es laut
                                                                    rer Lebenswelt bewegen sollten, um einen positiven Einfluss
Frau El-Zein nicht allein um die berufliche Karriere und den
                                                                    auszuüben. Daran anschließend merkte Herr Dr. Elliesie an,
finanziellen Aspekt, sondern auch um Sicherheit bezüglich
                                                                    dass Menschen multiple Identitäten und soziale Rollen haben
des Aufenthaltsstatus. Clan-Mitglieder seien häufig lediglich
                                                                    können. Dies würde sich bei Angehörigen von Großfamilien
geduldet. Herr Şat fügte hinzu, dass Bildung, mit dem Fokus
                                                                    nicht wesentlich anders darstellen als bei anderen Bevölke-
auf die Ausbildung der Kinder, bereits ein definiertes Ziel der
                                                                    rungsgruppen. Bei Betrachtung der zweiten und dritten Ge-
Zusammenarbeit mit den entsprechenden Familien sei. Aber,
                                                                    neration solle man diesen Aspekt daher nicht aus den Augen
so Herr Dr. Moussa Nabo, nicht nur die Kriminalität, sondern
                                                                    verlieren. Daher könnten Vorbilder, durchaus auch außerhalb
auch sozialpolitische Aspekte, wie beispielsweise Probleme
                                                                    der Großfamilie, dem Milieu und sogar den spezifischen Le-
auf dem Arbeitsmarkt müssten betrachtet werden, da Bildung
                                                                    benswelten bestehen. Diesen Aspekt aufgreifend berichtete
alleine für erfolgreiche Prävention nicht ausreichen würde.
                                                                    Herr Şat, dass verschiedene Rolleninhaber, wie beispiels-
Dies sei bereits durch Studien belegt. Vielmehr sei der Blick

lka.polizei.nrw
weise Lehrerinnen und Lehrer, die Zielgruppe erreichen kön-        sen. Darüber hinaus wurde die Übernahme von Verantwor-
nen und Prävention offen, ressourcenorientiert und interkul-       tung für das eigene Leben genannt, da sich betroffene Per-
turell stattfinden sollte.                                         sonen auch ein Stück weit selbst helfen müssten, so Herr Dr.
                                                                   Moussa Nabo. Dies solle durch ein gegenseitiges Geben und
In Bezug auf die Frage, welche Ursachen es für Clankrimina-        Nehmen stattfinden. Jugendliche, bei denen entsprechende
lität gäbe, antwortete Herr Jungbluth, dass Ehrverteidigung        Indikatoren erkannt werden, sollten Herrn Dr. Elliesie zufolge
der Familie, negative Vorbilder und fehlende Integration Teile     auf lokaler Ebene frühzeitig in der sogenannten sekundären
der Ursache seien. Herr Dr. Elliesie griff an dieser Stelle den    Sozialisation aufgefangen werden. Im Kindergarten oder in
von Herrn Dr. Moussa Nabo eingebrachten, sozio-politischen         der Schuleingangsphase Kindern mit durchdachten sozialpä-
Aspekt auf und ergänzte in diesem Zusammenhang, dass               dagogischen Maßnahmen, Angeboten und Perspektiven zu
sich kriminalitätsbegünstigende Faktoren auch auf längere          begegnen, sei ein probates Mittel der Prävention, damit die
Phasen ungeklärter Aufenthaltstitel zurückführen lassen. Die       Biografien von Jugendlichen nicht in einer selbsterfüllenden
damit zusammenhängenden Schwierigkeiten in der Auf-                Prophezeiung enden.
nahme der Erwerbstätigkeit und daraus resultierende sozio-
ökonomische Anreize, die kriminelles Gebaren in Aussicht           Moderator Christian David fragte abschließend nach Zu-
stellen, förderten nicht selten, dass die oder der eine oder an-   kunftswünschen für die Prävention von Clankriminalität. Herr
dere auf die schiefe Bahn gerate. Dem schloss sich Frau El-        Şat sprach in diesem Kontext kontraproduktive Medienbe-
Zein an, indem sie verdeutlichte, dass es unabhängig von der       richte an und äußerte den Wunsch, dass in der Berichterstat-
Clan-Struktur oder Ehrverteidigung verschiedene Ursachen           tung vor allem positive Facetten des Milieus Berücksichti-
für Kriminalität, wie beispielsweise mangelnde Bildung oder        gung finden sowie bereits bestehende Projekte fortgesetzt
ein falsches Verständnis von Ehre, gäbe. Herr Şat fügte            bzw. ausgebaut werden sollten. Auch Herr Dr. Moussa Nabo
hinzu, dass es gemeinsame Merkmale krimineller Clan- und           wünschte sich weniger Stigmatisierung und mehr Sachlich-
Nicht-Clan-Gruppierungen gäbe, wie die Abhängigkeit von            keit, sowohl in der medialen Darstellung, als auch im Allge-
staatlichen Transferleistungen und das Leben in sozialen           meinen. Laut Frau El-Zein sollte der Clanbegriff abgeschafft
Brennpunkten. Gäbe es überdies eine eindeutige Antwort auf         und anstatt einer Pauschalisierung kriminelle von nicht-krimi-
diese Frage, merkte Herr Dr. Moussa Nabo an, so würde be-          nellen Familienmitgliedern deutlicher voneinander unter-
reits ein problemspezifisches Präventionskonzept existieren.       schieden werden. Fakten und Statistiken sollten den Diskurs
                                                                   bestimmen. Herr Dr. Elliesie unterstrich die Notwendigkeit
Wie Angehörige der jungen Generationen aus dem negativ             der repressiven Schiene. Er sprach sich dafür aus, die zahl-
projizierten Feindbild herausgeholt werden können, lautete         reichen Bemühungen und erfolgreichen Ansätze der präven-
die letzte Frage aus dem Kreise der Teilnehmerinnen und            tiven Arbeit in Nordrhein-Westfalen in der Informationspolitik
Teilnehmer. Die Beteiligten der Podiumsdiskussion waren            deutlicher zu kommunizieren. Der Wunsch Herrn Jungbluths
sich darin einig, dass soziale Anerkennung und Aufklärung          ist, in fünf Jahren die Veranstaltung wiederholen und Erfolge
einen Teil des kleinschrittigen Lösungsweges darstellen müs-       präsentieren zu können.

lka.polizei.nrw
3.3 Workshops
Im Rahmen der Online-Fachtagung wurden insgesamt drei             3.   Wie könnten diese Narrative genutzt werden?
Workshops in zwei Phasen durchgeführt. Mit den Workshops
wurden unterschiedliche Facetten der Prävention von „Clan-        Dabei fiel auf, dass sich viele der gesammelten Narrative we-
kriminalität“ aufgegriffen. Die Workshops wurden jeweils von      der als clan-, noch als kulturspezifisch einordnen ließen, son-
einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter des LKA NRW mode-           dern größtenteils auch in der Mehrheitsgesellschaft oder an-
riert und von Expertinnen und Experten fachlich unterstützt.      deren kriminellen Gruppen zu finden sind. Folgend wird eine
Es nahmen jeweils rund 13 bis 20 Personen je Phase an den         Auswahl aufgeführt:
einzelnen Workshops teil. Nachfolgend werden die Ergeb-
nisse der Workshops dargelegt.                                    Narrative und Wertvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft
                                                                  „Es gilt das Gewohnheitsrecht vor dem Gesetz“.
Workshop 1: Nutzung von Narrativen arabischsprachi-               Verschiedene Ausprägungen von gelebtem Gewohnheits-
ger Familienclans                                                 recht lassen sich auch in anderen Teilen der westlichen Ge-
Moderation:     Alexander Werner (LKA NRW)                        sellschaft finden. Regelmäßige Beispiele finden sich z. B. bei
Experten:       Dr. Mitra Moussa Nabo (NZK)                       Grundstücksstreitigkeiten oder im Wege- und Arbeitsrecht.
                Maximilian Pollux, Sichtwaisen e.V.
                                                                  „Kompromissbereitschaft ist ein Zeichen von Schwäche.“
                                                                  Diese Sichtweise mag zwar, ohne dass dies empirisch belegt
Der Workshop 1 hatte zum Ziel, Narrative des in Rede ste-
                                                                  wäre, ein Kennzeichen des sog. „Clanmilieus“ sein, findet
henden Milieus und deren möglichen kriminalitätsbegünsti-
                                                                  sich jedoch ebenfalls in vielen Teilen unterschiedlicher Ge-
genden oder -legitimierenden Bedeutungen zu identifizieren
                                                                  sellschaften, insbesondere in Bezug auf die sogenannte Leis-
und hinsichtlich ihres Umdeutungspotentials zu bewerten.
                                                                  tungsgesellschaft, wieder. Ob Kompromisse eingegangen
Diese Zielsetzung fußt auf den Grundannahmen, dass krimi-
                                                                  werden ist situativ und schließlich von vielen Faktoren, wie
nalitätsbegünstigende Vorstellungen von Normen, Werten
                                                                  Schichtzugehörigkeit, Bildung oder Argumentationsvermö-
und Wirklichkeit existieren und u. a. durch Narrative als Vehi-
                                                                  gen, abhängig. Kompromisslosigkeit wird insbesondere kri-
kel vermittelt werden können. Dahinter steht die Absicht,
                                                                  minellen Milieus, unabhängig vom ethnischen oder kulturel-
strafrechtlich relevantem Verhalten durch eine kultursensible
                                                                  len Hintergrund, zugeschrieben.
Herangehensweise vorzubeugen, indem die Kommunikation
mit der Zielgruppe an bereits Bekanntem ansetzt, ohne auf         Narrative und Wertvorstellungen krimineller Gruppen
eine, wenig erfolgversprechende, kulturelle Assimilation zu       „Knast macht Männer.“
setzen.                                                           Ein verbreitetes Narrativ, dass insbesondere im Milieu der
                                                                  Banden- und organisierten Kriminalität verbreitet zu sein
Im ersten Impulsvortrag referierte Herr Dr. Moussa Nabo zur
                                                                  scheint. Ein Gegennarrativ könnte lauten: „In den Knast gehst
Definition von Narrativen und ihrer Funktion als Träger von
                                                                  Du allein“.
Sinngehalten, denen Bedeutung zur Identitätsbildung und als
Erklärungsansätze eines subjektiven Weltverständnisses zu-
                                                                  „Es gilt das Recht des Stärkeren.“
kommen. Darauf aufbauend berichtete Herr Pollux von sei-
                                                                  Eine Haltung, der dann entgegen gewirkt werden kann, wenn
nen Erfahrungen beim Umgang mit Narrativen in der krimi-
                                                                  ein erweitertes Verständnis des Begriffs Stärke geweckt wird.
nalpräventiven Praxis und verwies anhand einiger Beispiele
                                                                  Dies geht einher mit der Chance, eigene Stärken (Fähigkei-
auf ihre Bedeutung als Handlungsorientierung innerhalb so-
                                                                  ten oder Talente) entwickeln und zeigen zu können, wie sie
zial abweichender Milieus.
                                                                  der Ansatz „Fördern durch Fordern“ (z. B. von Paidaia e.V.)
Im Rahmen der anschließenden Diskussion wurden die fol-           verfolgt.
genden Fragestellungen diskutiert:
                                                                  „Ablehnung oder Verachtung des Rechtsstaats und außerge-
1.    Welche Narrative schreiben wir dem arabischsprachigen       richtliche Konfliktregulierung.“
      Clanmilieu zu?                                              Dahinter mag die Unkenntnis über die Bedeutung und Vor-
2.    Welche davon könnten kriminalitätsbegünstigend oder         züge von Rechtsstaatlichkeit oder über Zustände in anderen
      -legitimierend wirken?

lka.polizei.nrw
Ländern, einhergehend mit deren Glorifizierung oder Roman-       Im Verlauf der Diskussionen zeigte sich, dass die Benennung
tisierung, liegen. Die Vermittlung des rechtsstaatlichen Sys-    von (zugeschriebenen) Narrativen schwierig von Pauschalur-
tems der BRD, auf die z. B. Projekte des Ministeriums der        teilen über die Community zu trennen ist. Weiterhin scheint
Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen abzielen, könnte           das Vorurteil zu bestehen, bei der in Rede stehende Commu-
diesbezüglich gewinnbringend sein.                               nity handele es sich um ein homogenes Kollektiv. Diese An-
                                                                 nahme ist geeignet, das Gelingen von Integrationsbemühun-
Narrative und Wertvorstellungen der Community                    gen und individuelle Interventions- oder Hilfsmaßnahmen zu
Als weitgehend aber nicht ausschließlich milieuspezifische       gefährden.
Narrative oder Werte wurden unter anderem die folgenden
diskutiert:                                                      Narrative wurden als identitätsstiftend bewertet. Doch kön-
                                                                 nen mehrere Identitäten in einer Familie oder in einer Person,
„Die Familie und ihr Ansehen gehen über alles und müssen         z. B. eine kurdische, eine arabische und eine deutsche, zu-
verteidigt werden. Für sie lohnt es sich zu töten und zu ster-   gleich existieren und harmonisch neben- oder im Konflikt mit-
ben.“                                                            einander stehen. Dies sollte beim Umgang mit Individuen be-
Eine potentiell gefährliche Haltung, der vielleicht mit Gegen-   rücksichtigt werden.
fragen begegnet werden könnte: Würde Deine Mutter wollen,
dass Du stirbst, tötest oder inhaftiert wirst?                   Schließlich wurde festgestellt, dass auch (fiktive) Fremdzu-
                                                                 schreibungen auf das Selbstkonzept von Personen oder
„Wir, als Familie oder Gruppe, halten zusammen.“                 Gruppen wirken und zur Entstehung von Narrativen beitragen
Dieser Zusammenhalt kann das Resultat langjähriger Aus-          können, wie Mafiafilme oder Serien wie 4Blocks eindrücklich
grenzungsprozesse sein, indem sich die Community auf die         zeigen.
verbleibende Ressource der eigenen sozialen Gruppe bzw.
der Familie zurückzog. Die enge Bindung an die Familie kann      Diskriminierungs- und Desintegrationsprozesse können ei-
eine starke soziale Ressource sein, deren Nutzung stabilisie-    nen sich verstetigenden Kreislauf von Ausgrenzung und Ab-
rend wirken kann (vgl. Hirschis Bindungstheorie1). Insofern      schottung befördern und scheinen inzwischen zu einer von
begründet sich der Einbezug des familiären Umfelds im Rah-       allen Seiten als selbstverständlich empfundenen „Unzugehö-
men vieler kriminalpräventiver Programme (z. B. Kurve Krie-      rigkeit“ arabischsprachiger Großfamilien zur deutschen Auf-
gen). Dennoch wurde auch das Erfordernis der Förderung           nahmegesellschaft geführt zu haben.
von Integrationsbereitschaft betont, da sich anderenfalls Ab-
grenzungsprozesse von Seiten der Community realisieren           Workshop 2: Zugang zu Zielgruppen
bzw. verstärken können.                                          Moderation:    Klaus Kaulich (LKA NRW)
                                                                 Experte:       Dr. Hatem Elliesie, MPI
Im Zuge der Diskussion um Geschlechterrollen wurde die Be-       Expertin:      Varinia Fernanda Morales, bikup gGmbH
nachteiligung und Viktimisierung von Frauen thematisiert.
Sofern sich Hinweise auf patriarchale Strukturen bestätigen,     Ziel des 2. Workshops war es, relevante Hürden beim Zu-
könnten selektiv-präventive Empowerment-Ansätze für Mäd-         gang zur Zielgruppe zu identifizieren und herauszufinden,
chen und Frauen (z. B. von 180 Grad Wende) oder Pro-             welche Institutionen oder Personen die besten Aussichten
gramme für Jungen und junge Männer (z. B. von HEROES)            beim Zugang zu den einzelnen Zielgruppen haben. Ferner
erfolgversprechend sein.                                         sollte die Fragestellung, ob eine Differenzierung des Milieus
                                                                 in einzelnen Zielgruppen zielführend sein könnte, diskutiert
In Bezug auf den (islamischen) Glauben wurde dessen Be-          werden.
deutung bis hin zur Verwendung des Begriffs „Pseudoreligio-
sität“ diskutiert. Sofern eine (muslimische) Gläubigkeit vor-    Frau Morales stellte im ersten Impulsvortrag die bikup
liegt oder behauptet wird, könnte ein präventiver Ansatz in      gGmbH vor. bikup setzt sich für ein gleichberechtigtes und
der Abstellung von Kriminalität (bzw. einzelner Delikte wie      vorurteilsfreies Miteinander von in Deutschland lebenden
Diebstahl oder Körperverletzung) als „haram“ (Tabu, verbo-       Menschen ein. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die professio-
ten) bestehen.                                                   nelle Sprach- und Kulturmittlung. Diese umfasst unter ande-
                                                                 rem die Fortbildung zur zertifizierten Sprach- und Integrati-

1
    Hirschi (1969): Causes of delinquency.

lka.polizei.nrw
onsmittlerin, zum zertifizierten Sprach- und Integrationsmitt-     Die beiden Forschungsfelder (Türsteher- und Kampfsport-
ler (SIM) und die Vermittlung derselben über den landeswei-        szenen) unterscheiden sich jedoch in einem wesentlichen
ten bikup Sprachmittlerpool NRW.                                   Aspekt, was auch Auswirkungen auf den Zugang im Allge-
                                                                   meinen hat: Da es sich in der Türsteherszene um eine Pro-
Weiterhin berichtete Frau Morales von dem erfolgreichen Zu-        fession handele, könne man als Forscherin und Forscher,
gang zur Zielgruppe in der Praxis. Dabei geht es um den Ein-       die/der nur temporär in dem spezifischen Handlungsfeld un-
satz von professionell zertifizierten SIM, die in Zusammenar-      terwegs sei, allenfalls geduldet werden. Demgegenüber wäre
beit mit pädagogischen Fachkräften und polizeilichen An-           es in der Kampfsportszene durchaus möglich, über Vereins-
sprechpartnern beispielweise in den NRW-Landesinitiativen          mitgliedschaften als vollwertiges Mitglied anerkannt zu wer-
und -projekten zu Prävention von Kinder- und Jugendkrimi-          den, wenn man in der Lage sei, sich „leibhaftig“ einzubringen.
nalität, wie „KURVE KRIEGEN“, „KLAR KOMMEN“ und                    Man sehe also daran, dass es unterschiedliche Zugangs-
„360°“, tätig sind.                                                schwellen gibt. Ähnliche gestalte es sich bei Angehörigen von
                                                                   Familienverbänden, die man als „Clans“ bezeichnet. Ent-
Frau Morales erklärte, dass für die SIM bei ihren Einsätzen
                                                                   scheidend sei die Fähigkeit der soziokulturellen verbalen und
im Zusammenhang mit Clankriminalität die vertrauensbil-
                                                                   non-verbalen Kommunikation. Diese sei der Schlüssel zur
dende Kontaktaufnahme im Fokus stehe, da die Zusammen-
                                                                   Zielgruppe.
arbeit mit der Polizei zu anfänglichem Misstrauen führe. Auf
eine transparente kultursensible verbale und nonverbale            Unter Bezugnahme auf ein Zwiebelbild, nach dem sich groß-
Kommunikation, gepaart mit situativem Wissen, sei zu ach-          familiäre Strukturen als konzentrische Kreise mit einem har-
ten. Die soziokulturelle Ansprache wie auch die wertschät-         ten Kern in der Mitte darstellen lassen, erläuterte Herr Ellie-
zende und ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe stärke              sie, wie man sich der Zielgruppe in diesem Sinne nähern
die Glaubwürdigkeit gegenüber den Familien. „Es geht nicht         könne; nämlich zunächst über den äußeren Zirkel von Ange-
darum, ihre Sprache zu sprechen, sondern dieselbe Sprache          hörigen der Familien, die kein strafrechtlich relevantes Ver-
zu sprechen und somit schon beim ersten Kontakt Zugang zu          halten aufweisen. Über diese „gate keeper“ arbeite man sich
den Jugendlichen zu finden.“ Die Eltern seien bereit, zu ko-       dann gewöhnlich sukzessive so weit an die zunehmend straf-
operieren, wenn ihnen verständlich gemacht würde, dass es          rechtsrelevanteren Zirkel und bestenfalls an den Kern des
um das Wohl und die Zukunft ihres Kindes gehe. Es seien            Zwiebelbildes heran. Abschließend hob er hervor, dass das
Schlüsselkompetenzen über die fachlichen Kompetenzen               verdeckte Forschen ein Ausnahmefall ist, da es aus ethi-
hinaus gefragt. Die SIM verfügen über diese Schlüsselkom-          schen und forschungspolitischen Gründen sehr problema-
petenzen und werden ihrer Rolle als Brückenbauer und Tür-          tisch ist und die Qualität der Datenerhebung deutlich mindert.
öffner gerecht. In Zusammenarbeit mit den pädagogischen            Abgesehen davon, besteht für den Forscher immer die Ge-
Fachkräften leisten sie einen wichtigen Beitrag beim Zugang        fahr entdeckt zu werden, wodurch sich der Forscher plötzlich
zu der Zielgruppe.                                                 in einer veritablen Bedrohungslage wiederfinden kann. Er be-
                                                                   treibe daher auch unter keinen Umständen verdeckte For-
Im Anschluss beging Dr. Elliesie mit den Teilnehmerinnen
                                                                   schung. Vielmehr begegnet er mit seinen Forscherteams den
und Teilnehmern eine theoretische Betrachtung zu wissen-
                                                                   Akteurinnen und Akteuren transparent unter Darlegung des
schaftlichen Feldstudien. Dabei nahm er Bezug auf die Eth-
                                                                   wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses, auch wenn
nografie, eine sozialwissenschaftliche Forschungsstrategie,
                                                                   dadurch der eine oder andere Zugang nicht gewährt wird.
mit welche mehr oder weniger bekannte ethnische Gruppen,
                                                                   Hierzu bedarf es in aller Regel Zeit, die es sich zu investieren
Gemeinschaften oder andere soziale Einheiten und deren
                                                                   lohnt, um einen nicht unwesentlichen Beitrag zur gesamtge-
Handlungsweisen und Wissensformen erforscht werden. Die
                                                                   sellschaftlichen Debatte beizusteuern.
teilnehmende Beobachtung gelte in diesem Zusammenhang
beim (methodischen) Zugang als Königsweg der ethnografi-           Die Vertrautheit einer Zielgruppe erfährt man über die Spra-
schen Feldforschung. Der Zugang zu Zielgruppen stelle eine         che, über Sensibilität für die Eigenheiten einer Gruppe und
Herausforderung dar, was sich in der empirischen Sozialwis-        über Devianzen, an denen man ruhig und unspektakulär an-
senschaft nicht alleine auf den Einstieg (getting in) reduzieren   knüpfen kann. Dies erfordert Zeit und Geduld. Der Feldzu-
lässt, sondern ein kontinuierlicher Aushandlungsprozess von        gang muss praktisch gelöst und später erforscht werden.
Teilnahmerechten (getting on) sei. Er exemplifizierte dies am
Beispiel der Türsteher- und Kampfsportszenen, die Verbin-          Im Rahmen der anschließenden Diskussion sollten die fol-
dungen zu Großfamilien einschlägiger Provenienzen haben.           genden Fragestellungen diskutiert werden:

lka.polizei.nrw
1.    Welche Akteure haben (welche) Probleme beim Zugang          Die Maßnahmen sollten durch eine sorgfältige Kommunikati-
      zum Milieu, bzw. zu welchen Teilen des Milieus?             onskultur begleitet werden. Man muss eine gemeinsame
2.    Welche Akteure/Personen können (wie) auf die Ziel-          Sprachebene mit den Familien finden, die bei der ersten Ge-
      gruppe zugehen?                                             neration im Vergleich zur zweiten und dritten eine andere An-
3.    Wer genießt Respekt im Milieu und woran erkennt man         sprache benötigt. Neben der Kommunikationskultur ist auch
      diese Personen?                                             das Erfassen der verschiedenen Kulturen und ihrer Körper-
                                                                  sprachen von Relevanz. In dieser Hinsicht sollte das polizei-
Zunächst vorangestellt wurde die Frage: Was ist eine Clan-        liche Aus-und Fortbildungsangebot auf interkultureller Ebene
familie im Sinne der Bekämpfung von Clankriminalität und so-      angepasst und erweitert werden. Statt Stigmatisierung ist auf
mit im Sinne des Projektes „360° Integration, Orientierung,       Sensibilisierung zu setzen.
Perspektiven“?
                                                                  Durch gemeinsames, professionelles und kulturangepasstes
Allein durch die Bezeichnung „Prävention von Clankriminali-       Einschreiten konnte das Polizeipräsidium Essen bereits wei-
tät“ erfolgt eine Fokussierung und potentielle Stigmatisierung,   tere Auseinandersetzungen zweier Clanfamilien verhindern.
die das Gegenteil der gewünschten Ziele mit sich bringen          Der Zugang zu den beteiligten Familien ist bis zum heutigen
kann. Stigmatisierung war den gesamten Tag über ein allge-        Tage gegeben. Das Modell eines wertschätzenden und
genwärtiges Thema. Den Familien sollte nicht das Gefühl ge-       transparenten Umgangs kann somit aufgehen.
ben werden, im Fokus der Prävention und Repression zu ste-
hen. Und da der Ausstieg aus einer Familie nicht möglich ist,     Die Grundidee, einen kriminalpräventiven Ansatz speziell zur
sollte verständlicherweise auch nicht vom Ausstieg aus Clan-      Bekämpfung von Clankriminalität zu entwickeln, sollte noch
familien gesprochen werden.                                       einmal überdacht werden. Fraglich ist, ob die Bezeichnung
                                                                  „Prävention und Bekämpfung von Clankriminalität“ überhaupt
Das polizeiliche Einschreiten in den Familien wirke insbeson-     in dieser Form Verwendung finden sollte und ob es in der Tat
dere auf die Frauen misstrauenerweckend. In vielen Kultur-        einer speziellen Prävention für Clankriminalität bedarf?
kreisen hat die Polizei/der Staat einen anderen Status als in
Deutschland. Die Familien sind es nicht gewohnt, dass die         Parallel zu dem Projekt 360°, welches sich auf dem richtigen
Polizei/der Staat den Menschen helfen möchte. Selbstver-          Weg befindet und bereits guten Zugang findet, sollte über-
ständlich ist die polizeiliche Repression unabdingbar. Aller-     prüft werden, ob phänomenspezifische Prävention bei der
dings kann durch die Repression oftmals „das Porzellan für        Herausforderung Clankriminalität zielführend ist. Die einzel-
die Prävention“ zerschlagen werden. Als Beispiel wurde die        nen Deliktsbereiche sind mit der bereits etablierten Präven-
interne Informationsbroschüre eines Polizeipräsidiums ge-         tion von Jugend-, Gewalt-, Cyber- und Drogenkriminalität, der
nannt, die durchaus stigmatisierend wirken könne. Repres-         technischen Prävention und Prävention von Vermögens- und
sion und Prävention sollten aufeinander abgestimmt werden.        Eigentumsdelikten abgedeckt. Die Fokussierung auf die indi-
Repressive Maßnahmen können zudem mit der Zeit ab-                viduelle Handlungsebene sollte reduziert werden. Anstelle
stumpfen und erfüllen ihre Zielrichtung nicht mehr.               dessen sollten verstärkt die gruppendynamischen Prozesse
                                                                  betrachtet werden, um vorhandene Subsysteme innerhalb
Die Konzepte zum Einschreiten in Clanfamilien sollten daher       der Gruppen aufzubrechen (siehe Workshop 3).
mit verschiedenen Institutionen als auch der polizeilichen Re-
pression und Prävention gemeinsam geplant und umgesetzt           Mit einem ganzheitlichen, evidenzbasierten Ansatz von Netz-
werden. Außerpolizeiliche Akteure können die Maßnahmen            werkarbeit zwischen Repression, (Kriminal-)Prävention und
der Polizei auf anderer Ebene erläutern und so einen Zugang       dem Agieren weiterer Institutionen und Akteure in Quartieren
zu den Familien schaffen. Sie können Transparenz schaffen         mit einem hohen Anteil an Clanfamilien und Clankriminalität
und sozusagen „Promotion“ für die Polizei leisten, indem sie      wäre ein raumbezogener Ansatz zu testen. Dies würde eine
die Maßnahmen kommunikativ begleiten.                             gruppenspezifische Stigmatisierung ausschließen.

Mehrere Akteure verschiedener Institutionen, die einen Zu-        Die Sozialkompetenzen guter Integrations- und Bezirks-
gang zu Clanfamilien haben, betonten, dass dieser nur mit         dienstbeamtinnen und -beamten, die bereits etabliert sind
einer klaren, ehrlichen und offenen Kommunikation möglich         und ein über ein gewisses Standing verfügen, schlagen Brü-
ist. Mit viel Empathie muss Vertrauen geschaffen werden.          cken, welche über die fachlichen Kompetenzen hinausgehen
Dies erfordert Geduld und Zeit.                                   und für die Zusammenarbeit mit der Zielgruppe unverzichtbar

lka.polizei.nrw
sind. Diese „Brückenbauer“ sind zu (ver-)stärken. Hierzu be-    der potenziellen Maßnahmen. Die Darstellung des Konzep-
darf es konkreter Maßnahmen lokaler und regionaler Institu-     tes GVI mündete in die Fragestellungen (1) welche Vorteile
tionen wie auch des Einsatzes professioneller Sprach- und       der Fokus auf Gruppen bieten kann, (2) wie Gruppen präven-
Integrationsmittlerinnen, bzw. Sprach- und Integrationsmitt-    tiv adressiert werden können und (3) wie sich abweichendes
ler, die den Zugang zur Zielgruppe in Zusammenarbeit mit        Verhalten durch Gruppen beeinflussen lässt.
den pädagogischen Fachkräften und polizeilichen Ansprech-
partnern gezielt ermöglichen. Zudem ist eine wissenschaftli-    Im Ergebnis wurde herausgestellt, dass der Fokus von Prä-
che Begleitung und Bewertung der Präventionsmaßnahmen           ventionsprogrammen auf eine spezifische Gruppe schwierig
unabdingbar.                                                    und teilweise nicht möglich ist. Dies zeigt sich allein bei der
                                                                Schwierigkeit der Bestimmung einer konkreten Zielgruppe
Workshop 3: Gruppenbezogene Devianz und Prävention              bei der Bekämpfung von Clankriminalität. In diesem Kontext
Moderation:    Kai Seidensticker (LKA NRW)                      wurde auch die Frage aufgeworfen, ob eine Stigmatisierung
Expertin:      Prof. Dr. Ruth Linssen, FH Münster               durch das gewählte Wording (z. b. Clanmilieu, Aussteiger,
Experte:       Polizeioberrat Bernd Röser, PP Essen             zero-tolerance) nicht zu einer „Verhärtung der Fronten“ bei-
                                                                tragen würde und daher für die präventiven Bemühungen e-
Im Rahmen des Workshops 3 wurde zunächst von Frau Prof.         her kontraproduktiv sei. Neben dem Gruppenfokus wird auch
Dr. Ruth Linssen aus sozialwissenschaftlich-kriminologischer    die Konzentration auf das Umfeld, also auf die peer groups
Sicht ein Einblick in die theoretische Erklärung abweichenden   der Gruppenmitglieder und das Wohnumfeld als relevant be-
Verhaltens aus der Gruppe gegeben. Dabei ging sie auf           trachtet. Wie genau diese zu adressieren sind bzw. welche
Merkmale und unterschiedliche Arten von Gruppen ein und         konkreten Maßnahmen getroffen werden können, konnte in
zeigte unterschiedliche kriminologische Theorien zur Erklä-     der Kürze der Zeit nicht erarbeitet werden. Allerdings wurde
rung abweichenden Verhaltens auf. Ihren Impuls schloss          herausgestellt, dass schon viele Maßnahmen in unterschied-
Frau Prof. Dr. Linssen mit fünf Ansatzpunkten (Moralisierung,   lichen Kontexten existieren würden und eine stärkere Vernet-
Selektion, Monitoring, Anreizsysteme, Persönliche Beziehun-     zung und Verknüpfung dieser Maßnahmen(pakete) als viel-
gen) für die Präventionsarbeit ab.                              versprechend bewertet werden. Darüber hinaus wird großes
                                                                Potenzial in der Unterstützung der Selbstorganisation und
Im Anschluss stellte Herr Röser die polizeipraktische Rele-
                                                                Selbstverantwortung der Community gesehen. Eine externe
vanz gruppenbezogener Devianz anhand von drei anschau-
                                                                Unterstützung interner Präventionsbestrebungen kann als
lichen Fallbeispielen aus dem Polizeipräsidium Essen dar.
                                                                Brücke zwischen der Community und der Mehrheitsgesell-
Dabei stellt er insbesondere auf die Herausforderungen für
                                                                schaft betrachtet werden, durch welche potenziell entstan-
die Bewältigung solcher tumultartiger Einsatzlagen und die
                                                                dene oder in Entstehung befindliche Gräben überwunden
negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung ab, wodurch
                                                                werden können. Grundsätzlich kann bei der Durchführung
die hohe Relevanz gruppenbezogener Devianz deutlich her-
                                                                von Präventionsmaßnahmen davon ausgegangen werden,
ausgestellt wurde.
                                                                dass für eine erfolgreiche Umsetzung sogenannte glaubhafte
Zur Einführung in die Arbeitsphase wurde von Kai Seidensti-     Botschafter notwendig seien, die ein positives Selbstbild in
cker in die Thematik der gruppenbezogenen Prävention ein-       die Community tragen können.
geführt und diese exemplarisch anhand des Konzeptes
„Group Violence Intervention“ (GVI) herausgearbeitet. Hier-
bei ging es insbesondere um die Darstellung des GVI-Pro-
zessablaufes, der beteiligten Akteurinnen und Akteure sowie

lka.polizei.nrw
3.4 Markt der Möglichkeiten
Der parallel zu den Workshops geöffnete virtuelle „Markt der           bei (geflüchteten) Jugendlichen; HennaMond e.V.; Bildungs-
Möglichkeiten“ bot den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die             werk der Humanistischen Union NRW e.V.; KKF mit dem
Gelegenheit, sich über staatliche und nichtstaatliche Instituti-       BMBF-geförderten Forschungsprojekt zur Prävention von
onen der Kriminalprävention sowie über deren Projekte zu in-           Clankriminalität; MafiaNeinDanke! e.V.; Operation Ceasefire
formieren. Insgesamt stellten vierzehn Anbieter ihr Informati-         (Group Violence Intervention); Paidaia e. V.; Sicherheitsko-
onsmaterial (Videos, Vorträge, Präsentationen, Texte, Poster           operation Ruhr - Clankriminalität; Sichtwaisen e.V..
oder Bilder) oder Web-Links, z.B. zu Inhalten Ihrer eigenen
Webpräsenz, auf einem jeweils eigens eingerichteten Online-
„Marktstand“ zur Verfügung.

                                                                       Foto: Marktstand des Projekts 360° (Interartes GmbH)

                                                                       Die einzelnen Marktstände ähnelten in ihrem Aufbau der
Foto: Drop-Down Menü des Marktes der Möglichkeiten (Interartes GmbH)   Hauptseite des Plenums. Auch hier wurden in den meisten
                                                                       Fällen interaktive Frage- und Antwortfelder eingerichtet und
Bei den ausstellenden Institutionen handelte es sich um die            von den Ausstellern betreut, so dass die Teilnehmerinnen
folgenden: Projekt Integration, Orientierung, Perspektiven -           und Teilnehmer mit Ihnen in den Austausch treten konnten.
360° - Vorbeugung von Clankriminalität; Programm Kurve
Kriegen (durch die AWO Essen); 180 Grad Wende; Balu und
Du e.V.; bikup - Internationale Gesellschaft für Bildung, Kul-
tur, Partizipation gGmbH"; BROTHERS - Gewaltprävention

lka.polizei.nrw
3.5 Vortrag: Grüße aus der Parallelgesellschaft
Christine Kensche, WELT                                             Karrieren zu begleiten. Frau Kensche resümierte, dass das
                                                                    Milieu nicht schwarz-weiß sei. Es gäbe viele Grautöne und
Nach Abschluss der Workshopphasen las Christine Kensche,            zum Teil widersprüchliche Facetten, so wie auch jede Person
Buchautorin und Journalistin, aus ihrem Buch „Auf der Straße        verschiedene Identitäten innehabe.
gilt unser Gesetz“, das Einblicke in das Leben des Angehöri-
gen einer bekannten Clanfamilie bietet. Sie stand in engem
Kontakt mit Khalil O. (Name geändert), der heute in Berlin mit
Jugendlichen arbeitet und aus einer Mhallamiye-Familie
stammt. Er berichtet von einem „Gangster-Burnout“ und da-
von, dass er sich alleine nichts habe aufbauen können, bis er
Kontakt zu Personen außerhalb des Clans gehabt habe. Kin-
der und Jugendliche bräuchten deshalb Vorbilder und er
schlug das Konzept einer Ganztagsschule von der ersten bis
zur zehnten Klasse als Präventionsansatz vor. Zudem sei
„Aussteiger“ nicht das richtige Wort für Personen in seiner Si-
tuation. Man steige nicht aus seiner Familie aus und wolle in
Kontakt bleiben. Frauen sollen zudem nicht als Opfer darge-
stellt, sondern im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes in die
Arbeit einbezogen werden, denn sie hätten als Mütter einen
hohen Leidensdruck. Das Bedürfnis nach Anerkennung
durch die Mehrheitsgesellschaft bestehe überdies und resul-
tiere in Abschottung, wenn dieses nicht erfüllt werde.

Zusammenfassend wurde nach der Anschlussdiskussion
und der Beantwortung von Publikumsfragen festgehalten,
                                                                    Foto: Interartes GmbH
dass Sicherheit nur durch legale Verdienste gewährleistet
werden könne. Zudem sei es sinnvoll, bereits in der Schule

        3.6             Fragen und Antworten im Plenum
Im Frage- und Antwortbereich des Hauptstreams wurden von            3.   „In einer Broschüre der Polizei NRW zu "Familienclans"
55 Teilnehmerinnen und Teilnehmern 57 Fragen gestellt bzw.               wird die stetige Abgrenzung zwischen Kriminellen und
Anmerkungen hinterlassen, auf die insgesamt 106 Mal von                  anderen wegen "gleicher Denkmuster" und Schweigen
anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern reagiert wurde.                  über kriminelle Aktivitäten Einzelner abgelehnt. Wie
Die fünf Beiträge, die die meisten positiven Reaktionen er-              passt das zur Prävention?“
hielten, waren die folgenden:                                       4.   „Respekt und Wertschätzung ist Basis allen polizeilichen
                                                                         Handelns. Dies wird bei der kriminellen Minderheit als
1.      „Es ist wichtig, [die] Zielgruppe zu beschreiben. Wir ar-        Schwäche wahrgenommen. Es herrscht eine menschen-
        beiten mit gefährdeten Jugendlichen, einer vulnerablen           verachtende, frauenfeindliche gewaltaffine Sprache vor.
        Gruppe, und Kindern, die kriminell aufgefallen sind. [Wir        Empfehlungen für die Praxis?“
        brauchen] ein Wording, das vorurteilsfrei am Problem        5.   „Das Fremdbild bestimmt das Selbstbild! Wie bekommen
        ansetzt. [Der] Begriff Clan-Familien ist hinderlich.“            wir die jungen Generationen aus dem negativ-projizier-
2.      „SUPER Beitrag!!!“2                                              ten Fremdbild heraus?“

2
    Als Reaktion auf den Vortrag von Frau Kensche.

lka.polizei.nrw
Im Verlauf der Veranstaltungen blieben die folgenden neun                 sondern versuchen beschreibende und charakterisie-
Fragen offen, auf die die KKF im Nachgang einging.                        rende Faktoren eines zu untersuchenden Feldes, wel-
                                                                          ches im Kontext von Kriminalität verortet werden kann,
1.      Frage:                                                            zu beschreiben. Um konkret auf dieses Phänomen mit
        Vereinbaren sich solche Bezeichnungen wie „Clanfami-              Maßnahmen, die sowohl repressiver als auch präventi-
        lie“ mit der pädagogischen Arbeit? Erschwert das nicht            ver Natur sein können und sollten, einzugehen, muss
        die pädagogische Arbeit mit den Familien und Jugendli-            sich definitorisch auf grundlegende, phänomenbeschrei-
        chen?                                                             bende Charakteristika geeinigt werden. In der öffentli-
        Antwort:                                                          chen Wahrnehmung steht zur Zeit die Kriminalität durch
        Innerhalb der pädagogischen Zusammenarbeit mit den                Angehörige arabischstämmiger Großfamilien im Fokus,
        Klientinnen und Klienten wird im Rahmen der Familien-             die zwar unter dem Begriff der "Clankriminalität" subsu-
        und Jugendhilfe nicht konkret von „Clankriminali-                 miert werden können, deren Herkunft aber nicht automa-
        tät“/„Clan“ gesprochen. Der pädagogische Ansatz ergibt            tisch determinierend für den Begriff der "Clankriminalität"
        sich nicht rein aus der vermeintlichen Zugehörigkeit zu           steht, sondern eben nur eines von vielen möglichen Cha-
        einem „Clan“, sondern aus der individuellen familiären            rakteristika dieses sozialen Gefüges darstellt. Diesbe-
        und/oder persönlichen Situation des Kindes/Jugendli-              züglich ist auch bereits ein Forschungsvorhaben ange-
        chen beispielsweise durch Gewaltauffälligkeit, Straffäl-          laufen, um das Phänomen zu konkretisieren, abzugren-
        ligkeit, oder prekäre familiäre Lebenswelten.                     zen und zu bezeichnen.

2.      Frage:                                                       4.   Frage:
        Ist zu befürchten, dass hier ansässige kriminelle Großfa-         Es ist so erfreulich wie wichtig, dass wir uns bereits in
        milien Geflüchteten und anderen Personengruppen auf-              einem interdisziplinären Austausch befinden. Aber wie
        zeigen, wie man ungelernt sehr schnell an Geld kommen             kann dies konkret auf operativer Ebene verstetigt wer-
        kann? Wäre Prävention nicht auch die Verhinderung der             den? Was kann die SiKo Ruhr hier leisten?
        Bildung neuer Clans?                                              Antwort:
        Antwort:                                                          Das Ziel der Sicherheitskooperation Ruhr ist ein behör-
        Die Möglichkeit, dass Personen des kriminellen Milieus            den- und bezirksübergreifender Austausch als Ergän-
        die prekäre Situation von Geflüchteten ausnutzen und              zung zu bestehenden lokalen und überregionalen Instru-
        diese für z. B. BtM-Handel auf der Straße einsetzen, be-          menten. Hierzu wurden zunächst der Status Quo erfasst
        steht durchaus. Es gibt beobachtete Fälle in diesem               und Bedarfe identifiziert. Zur Förderung der Vernetzung
        Kontext, jedoch lässt sich hierbei bislang noch nicht eine        der Kooperationspartner werden spezifische Arbeits-
        Entstehung neuer "Clans" identifizieren.                          kreise eingerichtet und eine Wissensplattform entwi-
                                                                          ckelt. Auf operativer Ebene ist die Sicherheitskoopera-
3.      Frage:                                                            tion Ruhr in der Lage, Informationen zusammenzufüh-
        Die Frage ist, ob man Kriminalitätsphänomene über ei-             ren, Querbezüge zwischen den beteiligten Stellen (Kom-
        nen Begriff definieren sollte, der pauschal Gruppen stig-         munen, Zoll, Polizei, Finanzverwaltung) zu erkennen und
        matisiert, die nicht alle Straftaten begehen. Zudem wird          Netzwerkanalysen bereitzustellen. Bei Bedarf führt die
        der Begriff "Clan" i.d.R. mit einer bestimmten Herkunfts-         Geschäftsstelle der Sicherheitskooperation Ruhr Fallbe-
        zuschreibung genutzt.                                             sprechungen durch und unterstützt die ermittlungsfüh-
        Antwort:                                                          renden Dienststellen.3
        Es ist richtig, dass die Verwendung dieser Begrifflichkeit
        durchaus problematisch und diskussionswürdig ist. Im         5.   Frage:
        wissenschaftlichen Diskurs wird die Verwendung des                Inwiefern sollte bei der Prävention von Clankriminalität
        Begriffs "Clan" bzw. "Clankriminalität" weitreichend dis-         das Verhalten und Auftreten der repressiv tätigen Polizei
        kutiert. Die aktuell bestehenden Ansätze zur Definition           im Umgang mit der Zielgruppe ins Blickfeld genommen
        von "Clan" und "Clankriminalität" weisen zunächst ein-            werden? Nicht als Sonderbehandlung, sondern als Ga-
        mal nicht grundsätzlich auf eine bestimmte Herkunft hin,          rant von Gleichbehandlung.

3
    Antwort der Sicherheitskooperation Ruhr.

lka.polizei.nrw
Antwort:                                                       7.   Frage:
      Repression ist nur ein Bestandteil einer ganzheitlichen             Mich interessiert, inwiefern die Diskutierenden hier die
      Strategie. Für bereits bestehende kriminelle Strukturen             Definition des BKA für praktikabel halten. Aus unserer
      wird hiermit ein Zeichen für eine konsequente Strafver-             Sicht (Verein mafianeindanke) sind OK-Strukturen im-
      folgung gesetzt. Ebenso kann dies abschreckend auf                  mer abgeschottet, warum ist dann die ethnische Ab-
      Personen im Milieu wirken, die nur geringfügig oder nicht           schottung so relevant?
      straffällig geworden sind. Nichtdestotrotz gilt es, die spe-        Antwort:
      zifizierte, bedarfsgerechte Präventionsarbeit auf ver-              Inwiefern sich die ethnische Abschottung innerhalb der
      schiedenen Ebenen und die Zusammenarbeit mit unter-                 sog. „Clankriminalität“ von der OK-Abschottung abgrenzt
      schiedlichen Behörden als Ziel zur langfristigen Eindäm-            und welche besondere Relevanz diese für den Zugang
      mung der Entstehung krimineller Strukturen voranzutrei-             zum Feld aus wissenschaftlicher aber auch aus polizeili-
      ben. Insbesondere wird hier die Jugendarbeit ein wichti-            cher Ermittlungssicht hat, ist noch nicht abschließend
      ges Mittel sein, um eben neben repressiven Maßnahmen                geklärt und wird gerade in Form kriminologischer und
      pädagogisch integrative Hilfsangebote und Alternativen              ethnographischer Studien versucht zu erhellen. Die
      zu schaffen. Darüber hinaus wurden bereits innerhalb                BKA-Definition ist dabei ein Ansatz, um auf einer ge-
      der Forschung Untersuchungen initiiert, die sich mit der            meinsamen Basis zu diskutieren und ist gleichwohl noch
      Wirksamkeit repressiver Maßnahmen aber auch mit                     nicht abschließend.
      eben damit verbundenen intendierten und nicht inten-
      dierten Effekten beschäftigen.                                 8.   Frage:
                                                                          Welche eventuell familiären Werte könnte die Kriminali-
6.    Frage:                                                              tät legalisieren? Empfindung der Ungerechtigkeit führt
      Ist die Schwierigkeit, die Zielgruppe zu präzisieren nicht          nicht automatisch zu kriminellem Handeln!
      vielleicht auch einfach die Folge eines allzu diffusen              Antwort:
      Konstrukts "Clankriminalität"?                                      Richtig ist, dass Ausgrenzung und erfahrene Ungerech-
      Antwort:                                                            tigkeit nicht automatisch in eine kriminelle Karriere füh-
      Aufgrund der bisherigen Informationen aus Ermittlungen              ren. Es stellt sich die Frage, welche Werte kriminelles
      und Verfahren sowie der aktuellen, wenigen wissen-                  Handeln rechtfertigen. Eine Erkenntnis der Workshops
      schaftlichen Auseinandersetzungen mit der Thematik,                 war in diesem Zusammenhang, dass diese Werte häufig
      zeichnet sich ein grobes Bild des Phänomens ab. Durch               weder „clan“- noch kulturspezifisch sind, sondern sich
      die besonderen, zum Teil heterogenen, Charakteristika               ebenso innerhalb der Mehrheitsgesellschaft oder inner-
      und den damit verbundenen erschwerten Zugang zum                    halb krimineller Gruppierungen im Allgemeinen verorten
      Feld konnte zwar das Phänomen als solches ausge-                    lassen. Diesbezüglich ist auch bereits ein Forschungs-
      macht werden, jedoch sind konkrete Ansatzpunkte zur                 vorhaben angelaufen, um eventuelle kriminogene Nor-
      Prävention, fernab repressiver Methoden, bisher nur ru-             men- und Wertvorstellungen des Milieus zu erörtern.
      dimentär erforscht. Um bedarfsgerechte Angebote in
      diesem Zusammenhang umzusetzen, gilt es zunächst               9.   Frage:
      die einzelnen Akteure, die Rollen und die Struktur des              Welche Rolle könnte Zivilcourage spielen, wenn die Ju-
      Phänomens zu erörtern. Im Rahmen mehrerer Projekte                  gendlichen auf der Straße Straftaten begehen und Men-
      und Initiativen wird dies versucht. Die Bund-Länder Initi-          schen einfach vorbei gehen, ohne darauf zu reagieren?
      ative zur Bekämpfung von „Clankriminalität“ (BLICK) der             Antwort:
      LKÄ und des BKA untersucht gemeinsam diese Thema-                   Zivilcourage setzt in jeglicher Hinsicht ein Zeichen. Je-
      tik und erarbeitet derzeit eine adäquate Definition des             doch sollte diese nur in dem Maße erfolgen, dass keine
      Phänomens und der damit verbundenen Zielgruppe.                     Eigengefährdung besteht. Im Ernstfall können konflikt-
                                                                          beteiligte Personen angesprochen werden, es sollte
                                                                          aber zusätzlich die Polizei hinzugerufen werden.

lka.polizei.nrw
Sie können auch lesen