DSTV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019 - WWW.DSTV.DE

 
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    DStV Kurzposition zu den
    Europawahlen 2019
und Interviews zur Steuerberatung in Europa mit

§     Nicola Beer (FDP), Spitzenkandidatin für die Europawahlen
§     Evelyne Gebhardt (SPD), Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments
§     Dr. Andreas Schwab (CDU), Binnenmarktpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion

    Baden-                       Berlin-
    Württemberg                  Brandenburg

                               Rheinland-      Saarland             Schleswig-     Westfalen-
                               Pfalz                                Holstein       Lippe
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Impressum

     Verantwortlich für den Inhalt:

     Deutscher Steuerberaterverband e.V.
     Littenstraße 10
     10179 Berlin

     Telefon: 030 27876-2
     Telefax: 030 27876-799
     E-Mail: dstv.berlin@dstv.de
     www.dstv.de

     Stand: Februar 2019

     Bildnachweis:
     Titelbild: © fotostar
     Seite 06 (v.l.n.r.):
     © Laurence Chaperon
     © Europäisches Parlament
     © Andreas Schwab

     ÜBER DEN DEUTSCHEN STEUERBERATERVERBAND e.V.
     Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) repräsentiert bundesweit rund 36.500 und damit über 60 % der
     selbstständig in eigener Kanzlei tätigen Berufsangehörigen. Er vertritt ihre Interessen im Berufsrecht, im Steuer-
     recht, der Rechnungslegung und dem Prüfungswesen. Die Berufsangehörigen sind als Steuerberater, Steuerbe-
     vollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Berufsgesellschaften, in den uns angehörenden 16
     regionalen Mitgliedsverbänden freiwillig zusammengeschlossen.

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

   MAKE EUROPE YOUROPE.
   „Im Dialog mit den Menschen und für den Erhalt der Vielfalt in Europa – Dafür steht das Europäische Parlament.“
                                                                                   StB/WP Harald Elster, Präsident des DStV

   Am 26. Mai ist Europawahl. Geh wählen!
                                                                                                    © Foto: Frederic Schweizer

DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

Vom 24. bis 26. Mai entscheiden Europas Bürgerin-           tionierenden Binnenmarkt liegt im ureigenen nati-
nen und Bürger bereits zum neunten Mal seit den             onalen Interesse Deutschlands und der deutschen
ersten Direktwahlen im Jahr 1979 über die politische        Steuerberater. Je mehr Wählerinnen und Wähler den
Zusammensetzung des Europäischen Parlaments.                Urnengang antreten, desto geringer wird der Einfluss
Umfragen zufolge könnten antieuropäische Parteien           destruktiver politischer Kräfte im neuen Europäischen
Zuwächse verzeichnen. Es wird bei diesen Wahlen             Parlament. Aus diesem Grund ruft der DStV alle wahl-
also auch ganz grundsätzlich über die Zukunft der           berechtigten Bürgerinnen und Bürger zur Beteili-
Europäischen Union (EU) mitentschieden. Für den             gung an den Europawahlen auf und unterstützt die
Deutschen Steuerberaterverband e.V. (DStV) steht            Kampagne „MAKE EUROPE YOUROPE“ der Euro-
fest: Eine starke und effiziente EU mit einem funk-         päischen Bewegung Deutschlands (EBD).

                                                                                                                                 03
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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

         DER DStV FORDERT MEHR DIALOG FÜR MEHR BÜRGERNÄHE IN DER EU

         Für den Berufsstand der Steuerberater und Wirt-                               Nicht nur das deutsche Steuer- und Berufsrecht wird
         schaftsprüfer in Deutschland hat der Einfluss euro-                           zunehmend durch den Einfluss europäischer Gesetz-
         päischer Gesetzgebung und Rechtsprechung auf die                              gebung geprägt. Auch die Union selbst, ihre Institu-
         praktische Tätigkeit deutlich zugenommen. Diese                               tionen, ihre Kommunikation und ihre Arbeitsweise
         Entwicklung wird sich in der kommenden Legislatur-                            werden sich unter dem Eindruck der Entwicklungen
         periode weiter verstärken. Aus diesem Grund hat der                           der letzten Jahre in Europa verändern. Aus Sicht des
         DStV sein Engagement auf europäischer Bühne ausge-                            DStV ist es daher umso wichtiger, den konstruktiv-
         baut. Nur durch einen kontinuierlichen Austausch                              kritischen Dialog mit der Europäischen Kommission,
         mit den EU-Institutionen können die Interessen                                dem Rat und den Abgeordneten des Europäischen
         und Bedürfnisse unserer Mitglieder, vor allem der                             Parlaments zu suchen.
         kleinen und mittelständischen Kanzleien der Steuer-
         berater und Wirtschaftsprüfer, und der Mandanten in
         Brüssel Gehör finden.

         STEUERBERATER ALS GARANTEN FÜR QUALITÄT UND
         VERBRAUCHERSCHUTZ ANERKENNEN

         Zuletzt sahen sich Steuerberater vermehrt undiffe-                            Steuerberaters ist ausgerichtet auf den Vorrang der
         renzierter Kritik ausgesetzt. Skandale um Cum-Ex-                             persönlichen berufsspezifischen Leistung vor den wirt-
         Geschäfte oder um die Panama- bzw. Paradise-Pa-                               schaftlichen Aspekten der Tätigkeit. Es ist geprägt durch
         pers wurden an vielen Stellen vereinfacht mit einem                           die unabhängige und unparteiliche Erfüllung der
         angeblich generellen moralischen Fehlverhalten der                            den steuerberatenden Berufen übertragenen Aufgabe,
         Berufsträger begründet. Dabei ist aber die ganz über-                         eine umfassende Hilfeleistung in Steuersachen zu ge-
         wiegende Mehrheit der deutschen Steuerberater                                 währleisten. Der Gesetzgeber selbst hat dem Steuer-
         nicht in kritische Steuergestaltungsmodelle involviert,                       berater diese Funktion übertragen. Steuerberater sind
         wie z.B. eine Studie der Grünen im Europaparlament                            danach verpflichtet, die steuerlichen Interessen ihrer
         jüngst feststellte1. Die eigentliche Ursache für aggres-                      Mandanten mit legalen Mitteln durchzusetzen.
         sive Steuervermeidung sind Steueroasen und Staaten,                           Sie zeichnen sich durch ein besonderes Vertrauens-
         auch innerhalb der EU, die globale Konzerne durch                             verhältnis zu ihren Mandanten aus und gewährleisten
         ihre unterschiedlichen Steuersysteme zum „Forum-                              im Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren die Chancen-
         Shopping“ einladen.                                                           und Waffengleichheit gegenüber den Finanzverwal-
                                                                                       tungen.
         Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gehören in
         Deutschland zu den freien Berufen und sind auch im                            Dass sie heute diese zentrale Position im Wirtschaftsle-
         Europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen ein                             ben und in der Rechtspflege einnehmen, ist vor allem
         bedeutender Wirtschaftsfaktor. Das Berufsbild des                             auf ihre strikte Qualitätsorientierung zurückzufüh-

         1
           Usual Suspects? Co-conspirators in the business of tax dodging, A study commissioned by the Greens/EFA Group in the European Parliament, Ben Schumann,
         23. Januar 2017. Die Studie ist online verfügbar unter https://www.greens-efa.eu/files/doc/docs/d6bd745c6d08df3856eb6d49ebd9fe58.pdf.

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

ren. Dauerhaft gewährleistet wird dieser Fokus auf Qua-                       intermediäre verschärft werden kann. Die im
lität nur durch ein in sich austariertes Gesamtsystem                         Juni 2018 in Kraft getretene Richtlinie zur Einführung
für freiberufliches Wirken, in dem die Selbstverwaltung                       einer Meldepflicht für grenzüberschreitenden Steu-
in Kammern und Verbänden und berufliche Standards                             ergestaltung (sog. DAC 6 Richtlinie) ist ein Beispiel
zentrale Elemente sind. Das Europäische Parlament2                            dafür. Andererseits möchte die EU-Kommission aber
und der Europäische Gerichtshof3 teilen diese Auffas-                         dem Modell des partiellen Berufszugangs folgen und
sung. Daher obliegt es auch primär den Mitgliedstaaten,                       durch eine angestrebte Deregulierung der Vorbehalts-
die Bedeutung von Freien Berufen und deren Berufs-                            aufgaben die steuerliche Hilfeleistung auch solchen
reglementierungen im jeweiligen nationalen Kontext zu                         Dienstleistern ermöglichen, die weder ein Berufsrecht
regeln. Nur so kann ein hoher Schutz von Verbrauchern                         kennen noch über eine Berufsaufsicht verfügen.
und Arbeitskräften gewährleistet und die Wahrung
einer ordnungsgemäßen Rechtspflege nachhaltig                                 Das zuletzt von der EU-Kommission eingeleitete Ver-
garantiert werden.                                                            tragsverletzungsverfahren richtet sich unmittelbar
                                                                              gegen die Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater in
Lediglich die EU-Kommission tut sich bisher mit einer                         Deutschland und offenbart, dass die EU-Kommission
Anerkennung dieser Rolle der Steuerberater schwer.                            die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der
Dies wird deutlich bei einem Blick auf die zuneh-                             Freien Berufe im Binnenmarkt (noch) nicht erkennt. Es
mend inkohärente berufsrechtliche Politik der EU-                             wäre daher durchaus sinnvoll, auf europäischer Ebene
Kommission im Bereich der Steuerberatung. Zum                                 eine Legaldefinition der Freien Berufe zu veran-
einen sucht die EU-Kommission nach Wegen, wie die                             kern. Dies würde den freiberuflichen Rechtsrahmen im
Regulierung von bzw. die Aufsicht über sog. Steuer-                           Dienstleistungsbinnenmarkt erheblich stärken.

DAS SUBSIDIARITÄTSPRINZIP IN DER REGULIERUNG DER
FREIEN BERUFE IN EUROPA

Es wäre politisch wünschenswert, wenn jede neue Ini-                          EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche
tiative der EU-Kommission zwingend die Handlungsfä-                           Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern die politischen
higkeit der EU stärken würde. Dazu dürfen Regelungen                          Ziele von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler
nicht zu kleinteilig angelegt sein und müssen getreu                          noch auf regionaler Ebene ausreichend verwirklicht
dem Motto „Groß im Großen – Klein im Kleinen“ das                             werden können.
Subsidiaritätsprinzip respektieren. Die praktische An-
wendung des Subsidiaritätsprinzips ist somit ein zent-                        Besonders in der Dienstleistungserbringung sind we-
raler Ansatz zur Stärkung der Akzeptanz der EU                                sentliche lokale Ausrichtungen unabdingbar. Berufszu-
insgesamt. Das Subsidiaritätsprinzip befasst sich mit                         gangs- und Berufsausübungsregeln sind nicht per se
der Frage, wer wann entscheidet, aber auch, wer ggf.                          ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr.
besser geeignet ist, zu entscheiden. Dabei legt es eine                       Bei Steuerberatern ist die Kenntnis der Sprache am
genau definierte Rangfolge staatlich-gesellschaftlicher                       Erbringungsort, aber aus praktischer Sicht auch Kennt-
Maßnahmen fest und bestimmt die prinzipielle Nach-                            nis der komplexen Vorschriften des materiellen und
rangigkeit der jeweils höheren Ebene. Dabei wird die                          formellen Steuerrechts, erforderlich. Die Komplexität

2
  Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG mit Blick auf die Regulierung und die Notwendigkeit einer Reform
der freiberuflichen Dienstleistungen (2017/2073(INI)), Straßburg, 18. Januar 2018.
3
  EuGH, Rechtssache C-415/93, C-176/96, C-325/08, C-309/99.

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

         der nationalen Vorschriften und der ebenfalls damit      befürchten, dass Mehrheitsentscheide auf nationaler
         verbundenen Bedürfnisse der Dienstleistungsemp-          Ebene des einzelnen Mitgliedstaats zu einem inkohä-
         fänger macht es insbesondere für Berufsangehörige in     renten Besteuerungssystem führen. Dies trifft insbe-
         kleinen und mittelgroßen Kanzleien nahezu unmög-         sondere die Bereiche, in denen noch keine Harmoni-
         lich, qualitativ hochwertige Dienstleistungen in mehr    sierung vorliegt, wie etwa bei der Gewerbesteuer. Es
         als einem Staat anzubieten. Für die Qualitätssicherung   wäre geradezu fahrlässig, vorher national notwendige
         und Integrität des Berufsstandes der Steuerberater ist   Entscheidungskompetenzen abzugeben. Schließlich
         es daher wichtig, dass lokale Gegebenheiten in der Be-   ist es Aufgabe des nationalen Gesetzgebers, für ein
         rufsregulierung widergespiegelt werden.                  verständliches und kohärentes Besteuerungssystem
                                                                  Sorge zu tragen. Können Beschlüsse mit qualifizierter
         Dennoch erkennt der DStV das große Potential des         Mehrheit gefasst werden, bestünde die reale Gefahr,
         Dienstleistungsbinnenmarktes an und möchte im Dia-       dass Mitgliedstaaten gezwungen wären, Steuernor-
         log notwendige Reformen mitgestalten. Die bestehen-      men umzusetzen, die ihren steuerlichen Grundsätzen
         den Regeln müssen dabei aber zielgenau und sinnvoll      systemfremd wären.
         reformiert werden, um so den Binnenmarkt nachhaltig
         zu stärken. Hier gilt: Qualität vor Quantität!           Schließlich darf bei den Überlegungen zur Einführung
                                                                  eines qualifizierten Mehrheitsentscheids nicht außer
         Auch in der Steuergesetzgebung möchte sich der DStV      Acht gelassen werden, dass es sich hierbei um nicht
         den notwendigen Reformen nicht verschließen. Die         weniger als das „Königsrecht“ der nationalen
         Diskussion um die Einführung eines qualifizier-          Parlamente handelt: das Haushaltsrecht. Bei einer
         ten Mehrheitsentscheids wird aber aus Sicht des          Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Mitglied-
         DStV zu früh geführt. Zunächst muss das Steuersys-       staaten müssen die Risiken einer Entwertung dieses
         tem in Europa vereinheitlicht sein. Andernfalls ist zu   gewichtigen Rechts mit eingepreist werden.

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

INTERVIEWFRAGEN ZUR STEUERBERATUNG IN EUROPA

Nicola Beer (FDP)                        Evelyne Gebhardt (SPD)                         Dr. Andreas Schwab (CDU)
Spitzenkandidatin für die Europawahlen   Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments   Binnenmarktpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion

Regulierte steuerberatende Berufe sind ein eher deut-            Evelyne Gebhardt: Die Freien Berufe sind ein ganz
sches Phänomen. In vielen anderen Mitgliedstaaten ist            wesentlicher Bestandteil unseres Gesellschaftsmo-
der „Steuerberater“ als geschützter Beruf nicht bekannt.         dells und eine wichtige Säule des Europäischen Bin-
                                                                 nenmarkts. Für die Sicherung dieser Säule muss der
Wie kann man aus Sicht der Berufsverbände si-                    Europäische Gesetzgeber in den Europäischen Institu-
cherstellen, dass in Brüssel den Besonderheiten                  tionen und in den Mitgliedstaaten entsprechend Sorge
der Freien Berufe in Deutschland Rechnung ge-                    tragen. Deshalb setze ich mich im Ausschuss für Bin-
tragen wird?                                                     nenmarkt und Verbraucherschutz für die berechtigten
                                                                 Interessen von Berufsverbänden ein.
Nicola Beer: Die Freien Berufe in Deutschland sind
eine zentrale Säule einer qualitativ hochwertigen und            Dr. Andreas Schwab: Zunächst einmal liegt die In-
vertrauenswürdigen Dienstleistungsbranche sowie                  teressenvertretung in Europa bei den Freien Berufen
eines starken und innovativen Mittelstands. Im Zen-              selbst. Ihre hohe berufliche Unabhängigkeit ist ein
trum steht dabei eine besonders hohe Qualität der                wichtiges Element zur Durchsetzung staatlicher Regeln
Ausbildung und in der Konsequenz hervorragend                    auf offenen Märkten. Natürlich versuchen wir, diese
qualifizierte Fachkräfte. Die Selbstverwaltungsstruktu-          wichtige Rolle der Freien Berufe zu unterstützen. So
ren der Freien Berufe haben sich bewährt und wirken              ist es mir und meinen Kollegen bei den Beratungen
stabilisierend, so dass es neuer Beschränkungen und              des Dienstleistungspakets, das ich im letzten Jahr für
zusätzlicher Bürokratie aus Brüssel nicht bedarf. Wenn           die EVP als Koordinator und Berichterstatter im Bin-
wir hierfür auf EU-Ebene einstehen, bin ich überzeugt,           nenmarktausschuss betreut habe, sehr gut gelungen,
dass sich die Freien Berufe im europäischen Dienst-              die Anliegen der freien Berufe zu verteidigen, und wir
leistungsmarkt weiter erfolgreich positionieren wer-             haben gute Lösungen gefunden, um Anliegen im Ein-
den. Die Steuerberaterinnen und Steuerberater wer-               zelfall adäquat zu berücksichtigen. Die Steuerberatung
den mit Sicherheit auch in der Zukunft einen hohen               ist sehr stark im nationalen Kontext geregelt. Die Euro-
Stellenwert haben. Dies liegt zum einen daran, dass              päische Union hat nur eine begrenzte Zuständigkeit in
die Mandanten für das komplizierte Steuerrecht (so-              diesem Bereich. Eine gute Zusammenarbeit zwischen
wohl national wie auch europäisch) hervorragend qua-             den Mitgliedstaaten und den nationalen Verbänden ist
lifizierte Berater benötigen, die sie begleiten. Darüber         daher umso wichtiger.
hinaus sind grenzüberschreitende Sachverhalte in der
EU immer mehr an der Tagesordnung, All dies verlangt
eine Steuerberatung, die über die Grenzen hinweg                 Die EU-Kommission schlug zuletzt vermehrt massiv
denkt und berät.                                                 deregulierende Maßnahmen vor. Das Dienstleistungs-

                                                                                                                                           07
DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

         paket umfasste die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die         Dienstleistungspaket, das im Januar 2017 veröffentlicht
         europäische Dienstleistungskarte und die Reform des         wurde. All diese Vorschläge hätten kaum zu einer Ver-
         Notifizierungsverfahrens.                                   besserung des Europäischen Binnenmarkts geführt,
                                                                     sondern, im Gegenteil, zum Abbau von Qualität bei-
         Warum verfolgt die EU-Kommission eine so ag-                getragen. Die zuständige Generaldirektion der Europä-
         gressive „deregulierende“ Strategie?                        ischen Kommission GROW steht für einen Wirtschafts-
                                                                     liberalismus, der zwangsweise zum Abbau nationaler
         Dr. Andreas Schwab: Deutsche Produkte brauchen              Errungenschaften führt. Bisher konnten wir Sozialde-
         offene Märkte in Europa, und die Dienstleistungsfrei-       mokraten im Europäischen Parlament ein Gegenge-
         heit ist im EU-Vertrag primärrechtlich verankert. Das       wicht bilden und vernünftige Lösungen durchsetzen.
         wird immer wieder vergessen. Unverhältnismäßige Re-
         gelungen, die dem europäischen Binnenmarkt entge-
         genlaufen, sind daher schon primärrechtlich unzulässig.     Steuerberater in Deutschland fürchten eine massive
         Die EU-Kommission hatte mit dem Dienstleistungs-            Deregulierung des Berufsrechts und damit einherge-
         paket einen „horizontalen Problemlösungsansatz“             hende Qualitätsverluste.
         gegen unverhältnismäßige Berufsreglementierungen
         gewählt, der auch vom Parlament kritisch hinterfragt        Spielt die Frage der Qualität der Dienstleistun-
         wurde, denn eine pauschale „Deregulierung“ ist nicht        gen in der Beratung über Gesetzesentwürfe in
         sinnvoll, zumal der Beruf des Steuerberaters in man-        Brüssel eine Rolle?
         chen Mitgliedstaaten gar nicht reguliert ist. Regeln, die
         die Unabhängigkeit von Prüfung und Beratung sichern,        Evelyne Gebhardt: Bisher hat das Europäische Par-
         sind sogar wichtig. Nur so kann die soziale Marktwirt-      lament die Vorschläge der Europäischen Kommissi-
         schaft funktionieren.                                       on entschärfen können. Gerade die SPD hat sich im
                                                                     Europäischen Parlament stets für die Wahrung von
         Nicola Beer: Die Aufgabe der Europäischen Kom-              hohen Standards und für die Qualitätssicherung im
         mission ist es, die Regeln des Binnenmarktes effektiv       Binnenmarkt eingesetzt. Darum habe ich mich als
         durchzusetzen. Das begrüßen wir Freie Demokraten            eine der Verhandlungsführerinnen etwa während der
         grundsätzlich, denn Marktwirtschaft und Wettbewerb          Verhandlungen zum Dienstleistungspaket von Beginn
         sind die Grundlagen unseres Wohlstands. Gerade im           an gegen die Dienstleistungskarte ausgesprochen, was
         Dienstleistungssektor wird das enorme Potential des         letztlich auch zum Erfolg geführt hat.
         Binnenmarkts noch nicht ausreichend genutzt. Inso-
         fern erfüllt die Kommission ihre Aufgabe. Dies bedeu-       Dr. Andreas Schwab: Selbstverständlich ist Qualität
         tet aber nicht, dass wir jede einzelne Maßnahme des         die Basis jeder beruflichen Praxis. Gerade die Dienst-
         Dienstleistungspakets begrüßen. Das Paket darf nicht        leistungsberufe in Deutschland zeichnen sich durch
         zum Herkunftslandprinzip durch die Hintertür führen         ihre hohe Beratungsqualität aus. Dies ist europaweit
         und die erfolgreiche Selbstverwaltung der Steuerbera-       anerkannt und in der europäischen Gesetzgebung
         tung in Deutschland gefährden. Beispielsweise wurde         verankert. Gemeinsam mit meinen Kollegen habe ich
         die Dienstleistungskarte richtigerweise zurückgezogen,      mich im letzten Jahr erfolgreich dafür eingesetzt, im
         weil sie zu mehr als zu weniger Bürokratie geführt hätte.   Gesetzestext festzuschreiben, dass die Erfüllung des
         Evelyne Gebhardt: In den vergangenen Jahren wie-            Kriterienkatalogs der Verhältnismäßigkeitsprüfung,
         sen wesentliche Gesetzesvorschläge der Europäischen         durchaus auch positive Auswirkungen haben kann.
         Kommission bezüglich des Europäischen Binnen-               Somit werden auch die positiven Aspekte von Regulie-
         markts einen unangemessen hohen Deregulierungs-             rung, wie die Qualitätssicherung, hervorgehoben.
         grad auf. Dies zeigte sich etwa im damaligen Entwurf
         der Dienstleistungsrichtlinie, der Richtlinie zur gegen-    Nicola Beer: Wir Freie Demokraten sind überzeugt,
         seitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen oder im          dass die Qualität von Dienstleistungen durch Wettbe-

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

werb und offene Märkte grundsätzlich erhöht wird.           gebungsprozesse auf nationaler Ebene zu blockieren.
Dieser Gedanke liegt auch dem europäischen Binnen-          Dies widerspricht den Grundsätzen der Rechtsstaat-
markt zugrunde – durch mehr Wettbewerb sollen die           lichkeit. Die Verhandlungen mit Rat und Kommission
Verbraucherinnen und Verbraucher letztlich eine brei-       sind derzeit festgefahren.
tere Auswahl unter hochqualitativen Produkten und
Dienstleistungen erhalten. Vor diesem Hintergrund ist       Dr. Andreas Schwab: Fachkundige Beobachter wa-
die Frage zu bejahen. Die Gesetzgebung zum Dienst-          ren erstaunt, dass das Parlament nicht nur den Vor-
leistungshandel insgesamt, angefangen mit dem Pri-          schlag zur Dienstleistungskarte vollständig abgelehnt,
märrecht und der Dienstleistungsrichtlinie, soll Quan-      sondern auch die anderen Teile des Pakets mehr oder
tität und Qualität der verfügbaren Dienstleistungen         weniger aufgeschnürt hat. Wir haben uns dafür ein-
gleichermaßen fördern.                                      gesetzt, dass keine unabhängigen Kontrollstellen für
                                                            die Überwachung der Verhältnismäßigkeitsprüfung
                                                            geschaffen werden. Zudem hat das Parlament durch-
Zwar hatte sich der Binnenmarkt-Ausschuss gegen die         gesetzt, dass klar aus dem Gesetzestext hervorgeht,
Dienstleistungskarte ausgesprochen, sich bei der Ver-       welch positive Auswirkungen eine gute Regulierung
hältnismäßigkeitsprüfung und dem Notifizierungsver-         haben kann. Darüber hinaus war es das Parlament,
fahren aber fast vollständig der Position der Kommissi-     das festgeschrieben hat, dass den Mitgliedstaaten
on angeschlossen. Zuletzt kam nochmal Bewegung in           bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Beurteilungs-
die Beratungen zum Notifizierungsverfahren. Das sog.        spielraum zukommt. Auch beim Notifizierungsverfah-
Beschlussrecht soll nun doch aus dem Richtlinientext        ren war das Ersetzen des Beschlussrechts durch eine
gestrichen werden. Wir hatten das Beschlussrecht der        Empfehlung durchaus eine Option, für die das Parla-
EU-Kommission seit Beginn als nicht vereinbar mit der       ment sich im Rahmen der Trilogverhandlungen offen
europäischen Kompetenzordnung gehalten.                     gezeigt hat. Wichtig war für uns aber, dass wir nicht
                                                            hinter das zurückfallen, was das europäische Recht
Wird sich das Parlament dem Rat anschließen                 bereits heute in der Dienstleistungsrichtlinie vorgibt.
und das Beschlussrecht durch eine Empfeh-                   Denn nach der Dienstleistungsrichtlinie hat die Euro-
lung ersetzen?                                              päische Kommission in manchen Bereichen bereits
                                                            heute ein Beschlussrecht. Es ist deshalb schade, dass
Nicola Beer: Das ist schwer vorherzusagen – sinn-           trotz der Bereitschaft des Parlaments letztlich keine Tri-
voll wäre es jedenfalls. Denn das Beschlussrecht, das       logeinigung zustande gekommen ist.
die Kommission in ihrem Vorschlag sich selbst zuge-
dacht hat, passt nicht zur Gewaltenteilung zwischen
Legislative, Exekutive und Judikative. Damit könnte die     Ein weiteres „heißes Thema“ war die Anzeigepflicht
Kommission Gesetzgebungsvorhaben auf nationaler             für grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle.
und regionaler Ebene blockieren, ohne dass der Eu-          Ist eine Anzeigepflicht nicht der Anfang vom
ropäische Gerichtshof bereits eine Unvereinbarkeit mit      Ende der Verschwiegenheitspflicht der Freien
Unionsrecht festgestellt hätte. Daher plädiere ich dafür,   Berufe und so vom Schutz der Privatsphäre
es hier bei einer Empfehlung der Kommission zu be-          der Mandanten?
lassen, die im Gesetzgebungsverfahren angemessen            Ein ähnliches Problem zeigt sich derzeit mit dem Richt-
beachtet werden sollte.                                     linienentwurf zum Hinweisgeberschutz (Whistleblo-
                                                            wer). Demnach soll der Hinweisgeberschutz auch den
Evelyne Gebhardt: Wir Sozialdemokraten im Euro-             Schutz vor Strafverfolgung bei Verstößen gegen die
päischen Parlament setzen uns für eine Empfehlung           Verschwiegenheitspflicht beinhalten. Wie erklären
ein. Wir wollen kein System, das der Europäischen           Sie, dass die EU-Kommission den auch zu be-
Kommission unter dem Vorwand der Wahrung der                rücksichtigenden Rechtsstaatlichkeitsaspek-
Dienstleistungsfreiheit die Befugnis einräumt, Gesetz-      ten so wenig Achtung entgegenbringt?

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

         Dr. Andreas Schwab: Aufgrund von Luxleaks und              Bei der Beurteilung der Auswirkungen der Whistleblo-
         den Panama Papers hat die Europäische Kommissi-            wer-Richtlinie muss sicherlich beachtet werden, dass
         on wohl etwas übertrieben. Als Anwalt kenne ich die        keine Pflicht zur Anzeige von Missständen besteht. Zu-
         hohe Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht für die        dem muss ein Hinweisgeber nach dem Standpunkt des
         Freien Berufe, sie darf nicht in Frage gestellt werden.    Rates zunächst interne Kanäle innerhalb seiner Orga-
         Dazu stehen wir! Wir bemühen uns in den noch an-           nisation nutzen, bevor er externe Kanäle nutzen kann.
         dauernden Verhandlungen zur Whistleblower Richtli-
         nie, Mehrheiten für diese Position zu finden.
                                                                    Auch im materiellen Steuerrecht tut sich derzeit viel
         Nicola Beer: Der deutsche Gesetzgeber muss die             in Brüssel. Die Einführung einer Digitalsteuer wird
         geänderte Richtlinie 2011/16/EU und damit eine An-         besprochen, die Mehrwertsteuersystemrichtlinie wird
         zeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungs-      reformiert, und das Parlament muss in steuerlichen
         modelle durch in der Richtlinie definierte Intermediäre    Angelegenheiten nur „konsultiert werden“.
         bis spätestens 31. Dezember 2019 in nationales Recht
         umsetzen. Hierbei kann ich die Sorgen der Betroffe-        Halten Sie es für gerechtfertigt, dass das Par-
         nen durchaus nachvollziehen. Die überschießenden           lament nur eine „Nebenrolle“ bei der steuerli-
         Vorschläge der Länder lassen erkennen, dass das ver-       chen Gesetzgebung hat?
         trauensvolle Verhältnis Mandant und Berater künftig
         anders bewertet werden könnte. Es gilt auf jeden Fall      Evelyne Gebhardt: Nein, natürlich nicht. Ich bin eine
         zu verhindern, dass Deutschland mit nationalen Allein-     europäische Föderalistin und als solche bin ich natür-
         gängen über das Ziel hinausschießt.                        lich für weitergehende Mitwirkungsmöglichkeiten des
                                                                    Europäischen Parlaments bei der europäischen Steu-
         Die Whistleblower-Richtlinie wird derzeit im Trilog zwi-   ergesetzgebung. Ich stimme der Europäischen Kom-
         schen Rat, Parlament und Kommission verhandelt. Der        mission zu, die Einstimmigkeitsentscheidung in der
         Rechtsausschuss des Parlaments hat den Entwurf der         Steuerpolitik ist undemokratisch und verhindert ein ef-
         Kommission sogar noch verschärft. Hierdurch droht          fektives und gemeinsames Vorgehen der EU in diesem
         die Gefahr, dass vertrauliche Mandantenbeziehungen         Bereich. Der Binnenmarkt soll den Wettbewerb und
         künftig kaum mehr entstehen können, weshalb eine           Handel stimulieren und nicht dazu führen, dass künst-
         Ausweitung der vom Rat geforderten Bereichsausnah-         lich Standortvorteile geschaffen werden, die zu Lasten
         men für Berufsgeheimnisträger auf Steuerberater und        der Allgemeinheit gehen. Allerdings müssen wir auch
         Wirtschaftsprüfer sinnvoll wäre. Der Strafverfolgung in    vorsichtig sein und behutsam vorgehen, denn Steu-
         minder schweren Fällen darf nicht alles andere unter-      erpolitik liegt bislang ausschließlich im Kompetenzbe-
         geordnet werden.                                           reich der Mitgliedstaaten. Das heißt, die Mehrheitsent-
                                                                    scheidung kann nur schrittweise kommen, ist aber,
         Evelyne Gebhardt: Die Richtlinie, mit der Anzeige-         wenn wir eine Europäische Union wollen, die nicht nur
         pflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen      mit mehr wirtschaftlicher Öffnung, sondern auch mit
         eingeführt wird, ist ja bereits am 25.Juni 2018 in Kraft   sozialem Frieden assoziiert sein soll, unverzichtbar.
         getreten und muss noch in nationales Recht umge-           Dr. Andreas Schwab: Trotz zunehmender europä-
         setzt werden. Bei der Ausgestaltung der Richtlinie hat     ischer Integration ist die Zuständigkeit in Steuerfragen
         der Europäische Gesetzgeber der gesetzlichen Ver-          nach wie vor weitgehend in den Händen der Mitglied-
         schwiegenheitspflicht von steuerberatenden Berufs-         staaten. Für das Europaparlament bedeutet dies zwar
         gruppen allerdings insoweit Rechnung getragen, dass        eine nachgeordnete Position, doch haben wir in den
         der Steuerberater von der Meldepflicht befreit werden      vergangenen Jahren, gerade in Reaktion auf größere
         kann und stattdessen der Steuerpflichtige selbst mel-      Steuerskandale, die Steuerpolitik in der EU zumindest
         depflichtig wird.                                          mit politischem Druck beeinflussen können. Eine stär-
                                                                    kere Rolle des Parlaments als „echter Mitgesetzgeber“

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

könnte gerade bei festgefahrenen Gesetzgebungs-           und Wesen nach sind sie seit über 100 Jahren die wich-
prozessen Abhilfe schaffen. Der kürzlich von der EU-      tigsten Rechtsquellen in Deutschland und Frankreich.
Kommission vorgestellte Fahrplan, um in bestimmten
Bereichen der europäischen Steuerpolitik schrittwei-      Dr. Andreas Schwab: Während die europäischen
se zum ordentlichen Gesetzgesetzgebungsverfahren          Steuergesetze den EU-Staaten in vieler Hinsicht Flexibi-
überzugehen, ist eine Diskussionsgrundlage für eine       lität einräumen, kann kaum von Flexibilität im Gesetz-
solche Überlegung.                                        gebungsprozess gesprochen werden. Zum Nachteil des
                                                          EU-Binnenmarkts wurden in der Vergangenheit oftmals
Nicola Beer: Steuerpolitik ist zuallererst Aufgabe der    Fortschritte in Steuerfragen von einzelnen Mitgliedstaa-
einzelnen Mitgliedstaaten, und das ist richtig so. Die    ten blockiert, wenn es um den Schutz nationaler Inte-
nationalen Parlamente haben keineswegs nur eine Ne-       ressen ging. Wenn Gesetzgebungsprozesse, wie etwa
ben-, sondern stets die Hauptrolle bei der steuerlichen   die Annahme der Zinsbesteuerungsrichtlinie, allein mehr
Gesetzgebung. Wir Freie Demokraten sind überzeugt:        als 14 Jahre dauern, dann ist eine schnelle Reaktion auf
Der faire Steuerwettbewerb, der sich in einem geeig-      wirtschaftliche Veränderungen schlichtweg nicht mög-
neten Ordnungsrahmen abspielt, bringt für die Bürge-      lich. Da stellt sich natürlich die Frage, was Steuerhoheit
rinnen und Bürger aller Staaten langfristig die besten    wirklich bedeutet, wenn Initiativen allein durch einen
Resultate. Deshalb plädiere ich dafür, das Einstimmig-    Mitgliedstaat blockiert werden können, die aber von
keitsprinzip in der Steuerpolitik beizubehalten. In an-   den 27 anderen EU-Staaten gewünscht werden und im
deren Politikfeldern, etwa der Außenpolitik, gehört die   Interesse der Europäischen Bürger liegen. Vor diesem
Einstimmigkeit dagegen dringend auf den Prüfstand.        Hintergrund ist die Debatte über den Übergang zur Be-
                                                          schlussfassung mit qualifizierter Mehrheit, die dankens-
Halten Sie die steuerlichen Gesetze für flexi-            werterweise ja auch der Bundestagspräsident Anfang
bel genug, um schnell auf wirtschaftliche Ver-            Februar unterstützt hat, von hoher Bedeutung. Für uns in
änderungen reagieren zu können? Wie flexi-                der EVP-Fraktion ist klar, dass wir gleichzeitig aber die Zu-
bel ist der Gesetzgebungsprozess?                         ständigkeit der Mitgliedstaaten nicht ignorieren dürfen,
                                                          gerade dann, wenn es um Steuersätze geht. Am Ende
Nicola Beer: Steuerliche Gesetze sollen zuvorderst        wird es darum gehen, eine ausgewogene Lösung zu fin-
Planbarkeit und Verlässlichkeit für die Bürgerinnen und   den, die einerseits den europäischen Binnenmarkt wei-
Bürger und die Unternehmen gewährleisten. Innerhalb       terbringt und andererseits die nationalen Rechte wahrt.
der steuerlichen Rahmenbedingungen spielen sich dy-
namische wirtschaftliche Veränderungen ab, aber wir       Wie sehen Sie die Einführung einer direkten
wollen die Wirtschaft nicht mit Steuern steuern. Des-     Steuer, die durch die Europäische Union erho-
halb ist es gut, dass der Gesetzgebungsprozess aus-       ben werden kann und direkt dem Haushalt zu-
reichend Gelegenheit zum Nachdenken, Diskutieren          fließt, bspw. eine Plastiksteuer?
und zum Einbeziehen von Sachverständigen bietet.
Wer schnell in die falsche Richtung läuft, kommt nie      Dr. Andreas Schwab: Das ist eine grundlegende
ans Ziel.                                                 Fragestellung, gerade im Hinblick auf den geplanten
Evelyne Gebhardt: Weder der europäische noch der          Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, der
bundesdeutsche Gesetzgebungsprozess kann auf wirt-        eine große Lücke im EU-Haushalt schaffen wird. Im
schaftliche Veränderungen schnell und flexibel reagie-    Rahmen der Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanz-
ren. Das heißt, wir müssen Regelungen schaffen, die       rahmen setzt sich die CDU/CSU-Gruppe im Europä-
so generell und zukunftsorientiert sind, wie möglich.     ischen Parlament für einen größeren EU-Haushalt ein.
Nehmen Sie beispielsweise das Bürgerliche Gesetzbuch      Die Schaffung von neuen Eigenmitteln kann dafür ein
oder den Code civil, beide Gesetzbücher unterlagen und    Ansatz sein. Aber auch hier gilt, dass wir die Zuständig-
unterliegen zwar häufigen Änderungen durch den nati-      keit der Mitgliedstaaten nicht außer Acht lassen.
onalen und europäischen Gesetzgeber aber ihrer Natur

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

         Nicola Beer: Wir Freie Demokraten lehnen eine durch        gestellt, das Bausteine einer erneuerten EU skizziert,
         die Europäische Union erhobene direkte Steuer ab. Ich      die politische Prioritäten effizienter adressiert und
         finde, wir sollten über die Abschaffung und Senkung be-    den Mitgliedstaaten dafür in anderen Bereichen mehr
         stehender Steuern sprechen, aber bestimmt nicht über       Spielräume lässt. Dazu gehörte auch der Vorschlag, die
         neue Steuern. Denn die Einführung einer direkten EU-       Fiskalpolitik auf dem Weg zur Fiskalunion voranzutrei-
         Steuer würde in den meisten Staaten wohl kaum von          ben und vor allem als ein Instrument zur Vermeidung
         entsprechenden Steuersenkungen begleitet; wir sehen        nicht mehr tragfähiger Verschuldung zu nutzen. Meiner
         ja in Deutschland, wie sich die Große Koalition an den     Meinung nach läge dies im Interesse aller Bürgerinnen
         Solidaritätszuschlag auch dann noch klammert, wenn         und Bürger, durch eine Fiskalunion schwere makro-
         dieser jegliche Legitimität verliert. Das bestehende Ei-   ökonomische Schocks abzufedern.
         genmittelsystem der EU sollte zwar an einigen Stellen
         vereinfacht werden, ist aber insgesamt dem gegenwär-       Sehen Sie weitere Gebiete des materiellen
         tigen institutionellen Gefüge der EU angemessen.           Steuerrechts, die zukünftig durch Brüssel be-
                                                                    einflusst werden könnten?
         Evelyne Gebhardt: Sie beziehen sich mit Ihrer Frage
         wahrscheinlich auf die Möglichkeit einer europäischen      Evelyne Gebhardt: Ganz klar, ja insbesondere im
         Fiskalunion. Ich persönlich würde dies sehr begrüßen.      Bereich der Digitalisierung sehe ich durchaus Potential
         Meiner Ansicht nach, wäre das die richtige Antwort         durch und in EU Gesetzgebung. Mitte September 2017
         auf die Finanzkrise gewesen, die die Schwächen einer       haben die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs,
         Währungsunion ohne Fiskalunion offenbart hat. Die          Spaniens und Italiens mit einem gemeinsamen Schrei-
         Euro-Währungsunion sollte Einheit schaffen, tatsäch-       ben einen neuen Impuls gegeben: Die Möglichkeit, Un-
         lich aber hat sie zu heftigen rechtlichen Konflikten ge-   ternehmen der digitalen Wirtschaft angemessen zu be-
         führt, z.B. im Zusammenhang mit der „no-bail out“–         steuern, sei eine bedeutende Herausforderung für die
         Bestimmung von Art.125 AEUV. Christine Lagarde,            EU. Man wolle nicht länger akzeptieren, dass diese Un-
         heute Direktorin des Internationalen Währungsfonds,        ternehmen in Europa nur minimaler Besteuerung unter-
         erklärte zu Zeiten der Euro- und Staatsschuldenkrise       lägen. Die Gruppe schlug vor, die EU-Kommission mit
         als französische Wirtschafts- und Finanzministerin:        der Untersuchung der Voraussetzungen für die Schaf-
         „Vergesst die Verträge!“ Was für ein Schlag gegen die      fung einer Ausgleichssteuer („equalisation tax“), einer
         Autorität des Unionsrechts! Schlimmer noch ist die Tat-    Sondersteuer auf digitale Dienstleistungen, zu beauftra-
         sache, dass die Euro- und Staatsschuldenkrise zu of-       gen. Konkrete Richtlinienvorschläge der EU-Kommission
         fenen Feindseligkeiten zwischen – vereinfacht gesagt       lagen seit dem 21. März 2018 vor. Dieses Gesetzge-
         – den Mitgliedsstaaten im Norden und im Süden der          bungsverfahren haben wir am 13. Dezember 2018 mit
         Euro-Union geführt hat. Gleichwohl war die Reformbe-       der Abstimmung im Plenum abgeschlossen, mit einem
         reitschaft in den Mitgliedstaaten bislang eher gering.     riesigen Erfolg für den sozialdemokratischen Berichter-
         In Zeiten, in denen nationale Interessen zunehmend         statter, wodurch in einem ersten Schritt eine Steuer von
         ohne Rücksicht auf das gemeinsame europäische              3% auf den weltweiten Jahresumsatz eingeführt wurde.
         Interesse formuliert werden, in denen der Mehrwert         Das ist sehr im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger,
         der europäischen Integration als Selbstverständlichkeit    wie auch erste Umfragen zeigen, wonach 80% der Bür-
         hingenommen, zu wenig erklärt und zu selten vertei-        ger in Deutschland, Frankreich, Österreich, den Nieder-
         digt wird, erscheint eine europäische Debatte über die     landen, Schweden und Dänemark die Einführung einer
         Zukunftsperspektiven der EU, die in einen Moment           Digitalsteuer für Technologiegiganten begrüßen. Hier
         der Ehrlichkeit mündet, sinnvoll. Mit diesem Ziel hat      haben wir auf europäischer Ebene schnell und umsich-
         die Kommission im März 2017 ein Weißbuch vorge-            tig gehandelt und Worten Taten folgen lassen.
         legt, in dem fünf mögliche Szenarien zur Zukunft der
         EU beschrieben werden. Darauf basierend hat Präsi-         Dr. Andreas Schwab: Drei äußerst wichtige Projekte
         dent Juncker im September 2017 ein „Szenario 6“ vor-       stehen noch aus, die – wenn sie in absehbarer Zukunft

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

von den Finanzministern angenommen werden – den           nationaler Ebene vollumfänglich zur Senkung der Re-
europäischen Steuerrahmen stark beeinflussen wer-         gelsteuersätze eingesetzt werden.
den: die Finanztransaktionssteuer, die Gemeinsame
konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundla-       Evelyne Gebhardt: Ich finde es sehr gut, dass Sie die
ge sowie die Digitalsteuer, die zwar immer wieder ge-     Mehrwertsteuersystemrichtlinie ansprechen, denn sie
fordert wird, deren Auswirkungen im globalen Rahmen       beschäftigt sich mit einem gesellschaftlichen Problem,
aber bis heute unterschätzt werden.                       dass wir unbedingt auf europäischer Ebene angehen
                                                          müssen und damit meine ich systematische und die
Nicola Beer: Um den Ordnungsrahmen für den Steu-          Gesellschaft schädigende Steuerhinterziehung. Tat-
erwettbewerb innerhalb der EU weiter zu verbessern,       sächlich räumt Artikel 11 dieser Richtlinie den Mitglied-
unterstützen wir die Schaffung einer Gemeinsamen          staaten lediglich einen weiten Spielraum bei der Wahl
(Konsolidierten) Körperschaftsteuer-Bemessungsgrund-      der Mittel zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung
lage (GK(K)B). Durch eine solche einheitliche Bemes-      ein. Das hat auch der EuGH in einem Vertragsverlet-
sungsgrundlage für die Körperschaftsteuer wird unnöti-    zungsverfahren gegen Schweden im Jahr 2009 festge-
ge Bürokratie vermieden, die Höhe der Besteuerung in      stellt. Aufgrund der Pluralität der Steuersysteme in der
den einzelnen Mitgliedstaaten wird besser vergleichbar    EU kann diese Richtlinie so wie auch ihre Vorgängerin
und der Steuerwettbewerb dadurch transparenter. An-       eben nur ein mehrwertsteuerrechtliches Grundgesetz
sonsten gilt: Wir Freie Demokraten stehen für Vielfalt    sein. Ich als europäische Föderalistin und Sozialdemo-
der Steuersätze innerhalb der EU. Eine Angleichung mit    kratin wäre selbstverständlich dafür, die Begriffe der
Mindest-, Höchst- oder Einheitssteuersätzen ist mit uns   Steuerumgehung etc. streng und genau zu definieren
nicht zu machen.                                          und auch die entsprechenden Sanktionen zu verein-
                                                          heitlichen, aber nach dem derzeitigen Stand der euro-
Wie will man das Problem in den Griff bekom-              päischen Integration und der übermäßigen Macht der
men, dass die Mitgliedstaaten zum Teil ei-                Mitgliedstaaten in Gesetzgebungsverfahren, ist diese
nen weiten Spielraum bei der Umsetzung der                Regelung der kleinste gemeinsame Nenner.
Mehrwertsteuersystemrichtlinie haben und es
deshalb zu größeren Unterschieden innerhalb               Dr. Andreas Schwab: Wie auch viele andere EU-
der EU kommt (bspw. Regelungen zur umsatz-                Gesetze im Bereich des Steuerrechts lässt auch die
steuerlichen Organschaft, Artikel 11)?                    Mehrwertsteuersystemrichtlinie den Mitgliedstaaten
                                                          an vielen Stellen viel Spielraum. Allerdings sieht die-
Nicola Beer: Dies sehe ich vor allem dann kritisch,       se Richtlinie bereits heute Instrumente vor, um eine
wenn die nationalen Unterschiede sich auf den Wett-       einheitliche Auslegung der Gerichte und Finanzver-
bewerb auswirken. Im Körperschaftsteuerbereich            waltungen zu erreichen. So wurde beispielsweise der
versuchen wir mit der GK(K)B ein europäisches Le-         Mehrwertsteuerausschuss eingerichtet, der Leitlinien
vel-Playing-Field zu schaffen, da sollte bei der Mehr-    verfasst, mit dem Ziel, eine koordinierte Anwendung
wertsteuer nicht das Gegenteil gemacht werden.            der Richtlinienbestimmungen sicherzustellen. Einige
Grundsätzlich befürworte ich daher die Vereinfachung      dieser Leitlinien wurden in der Zwischenzeit auch schon
und Harmonisierung der Mehrwertsteuer in Europa.          in verbindliche Durchführungsmaßnahmen umgewan-
Dies bedeutet unter anderem, den Katalog der Leis-        delt. Gerade im Hinblick auf die Regelung zur umsatz-
tungen, für die Mitgliedstaaten die ermäßigte Mehr-       steuerlichen Organschaft ist für uns als EVP-Fraktion
wertsteuer erheben dürfen, zu verschlanken. Ermäßig-      wichtig, langfristig sicherzustellen, dass negative Aus-
te Mehrwertsteuersätze sollen in den Mitgliedstaaten      wirkungen auf den EU-Binnenmarkt und Widersprü-
künftig nur noch für Leistungen erhoben werden, die       che zu den Grundprinzipien des gemeinschaftlichen
einen Bezug zum materiellen und kulturellen Grund-        Mehrwertsteuersystems vermieden werden. Hierauf
bedarf haben. Steuermehreinnahmen infolge der             werden wir auch in Zukunft ein Auge werfen und den
Abschaffung von ermäßigten Steuersätzen sollen auf        Dialog mit der EU-Kommission weiterführen.

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

         Europawahl                                                rungen in Echtzeit bewirken. Des Weiteren dürfte sich
                                                                   die Tätigkeit, die Kommunikation und die Angebote
         In diesem Jahr stehen die Europawahlen an. Steuern        der steuerberatenden Berufe noch viel mehr in den
         – und somit die Finanzierung der EU – sowie die Ver-      internetbasierten Bereich verlagern. Genauso wie die
         besserung des Binnenmarktes werden dabei wieder           Digitalisierung im Europäischen Binnenmarktes die be-
         Eckpfeiler der neuen EU-Kommission bilden.                stehende Berufsreglementierung verändern kann, wird
                                                                   sie zu einer Triebfeder, die zu einer zunehmenden Eu-
         Welche Herausforderungen sehen Sie in den                 ropäischen Steuergesetzgebung beitragen wird.
         kommenden Jahren auf unseren Berufsstand
         zukommen? In welchen Bereichen wird die Steu-
         erberatung durch Europa beeinflusst werden?               Sicherlich wird die Digitalisierung das Berufsbild auch
                                                                   der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Beru-
         Dr. Andreas Schwab: Auch der Berufsstand der              fe beeinflussen.
         Steuerberater wird in den nächsten Jahren durch die
         zunehmende Digitalisierung und Globalisierung vor         Sehen Sie die EU bei der Digitalisierung auf
         neue Herausforderungen gestellt. Neue Steuermo-           dem richtigen Weg? Wie können die EU-Kom-
         delle werden Einzug halten, zudem werden Verfahren        mission und das Europaparlament die Dienst-
         unter Umständen komplexer. Hinzu kommt die natio-         leistungserbringer im Zuge der Digitalisierung
         nale Prägung des Steuerrechts. Europa kann da vieles      unterstützen?
         vereinfachen mit mehr Kooperation zwischen den Mit-
         gliedstaaten im Steuerbereich beispielsweise.             Evelyne Gebhardt: Die Europäische Institutionen ha-
                                                                   ben in der laufenden Wahlperiode die Digitalisierung
         Nicola Beer: Ich sehe in erster Linie die Auswirkun-      im Europäischen Binnenmarkt zur Priorität erklärt und
         gen der Digitalisierung als wichtigste Herausforderung.   eine ganze Reihe von zukunftsweisenden Regelungen,
         Hier gilt es insbesondere für die EU, den Binnenmarkt     etwa in den Bereichen e-Commerce, Plattformen, Por-
         zu vervollständigen. Die Steuerberaterinnen und Steu-     tabilität oder Geoblocking, verabschiedet. In Zukunft
         erberater sind dabei in vielen Bereichen schon sehr       werden wir im Europäischen Gesetzgebungsprozess
         weit, etwa bezüglich der digitalen Kommunikation mit      in einem weit höheren Maße über Regeln für Daten-
         Mandanten, aber auch mit der Finanzverwaltung. Al-        sicherheit, Robotics und künstliche Intelligenz diskutie-
         lerdings wird auch die weiter fortschreitende Digitali-   ren. Wir werden Antworten darauf finden müssen, wie
         sierung der Finanzverwaltung die Steuerberaterinnen       wir mit der Digitalisierung unserer Gesellschaft umge-
         und Steuerberater in erhöhtem Maße fordern. Darü-         hen. Ich will, dass die Digitalisierung den Menschen
         ber hinaus ist Cybersicherheit auch für Steuerberatung    dient, die Qualität ihrer Berufsausübung erhöht und
         eine große Herausforderung. Hier sehe ich einerseits      nicht, dass wir die Technik an sich über ihren gesell-
         berufsrechtliche Fragen, die in der näheren Zukunft       schaftlichen Nutzen stellen.
         auf der Agenda stehen könnten. Andererseits wird
         die Umsetzung der Anzeigepflicht die Steuerberatung       Ich würde mich freuen, wenn die Europäischen Insti-
         wohl für viele Jahre auf Trab halten.                     tutionen sich bei der künftigen Rechtsetzung darauf
                                                                   verständigen könnten, dass die Digitalisierung nicht zu
         Evelyne Gebhardt: Ich denke, dass die Digitalisie-        einem Abbau von Dienstleistern und ihren Angestell-
         rung die steuerberatenden Berufe grundlegend ver-         ten führen darf, sondern die Qualität und den Nutzen
         ändern wird. Big Data, Block-Chain, Cybersecurity und     ihrer Tätigkeit verbessert. Gerade im Bereich der Digi-
         der Einsatz von künstlicher Intelligenz werden die Tä-    talisierung ist es dringend erforderlich, angemessene
         tigkeiten in hohem Maße bestimmen und die steu-           Regeln zum Schutz von Dienstleistungserbringern zu
         erliche Datenverarbeitung, den Datenaustausch und         verankern, wie wir dies etwa bei Regelungen zu Online
         die Anpassung von Vorgängen an gesetzliche Ände-          Plattformen bisher geschafft haben.

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DStV KURZPOSITION ZU DEN EUROPAWAHLEN 2019

Dr. Andreas Schwab: Die Digitalisierung stellt die EU       von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Unternehmen
vor zwei Herausforderungen: Zum einen müssen wir            besser zu schützen. Hier können die EU-Kommission
die Entwicklung der digitalen Infrastrukturen in allen      und das Europaparlament gezielte Maßnahmen ergrei-
Mitgliedstaaten gleichwertig vorantreiben und gegen         fen. Dies würde letztendlich auch Dienstleistungser-
Cyberattacken sichern. Zum andern kann die Digitalisie-     bringern wie zum Beispiel den Steuerberaterinnen und
rung nur dann von Europa mitgestaltet werden, wenn          Steuerberatern helfen.
wir die Regeln setzen. Dafür brauchen wir jedoch einen
regulatorischen Rahmen, der viel Einheitlichkeit schafft.   Wofür werden Sie sich in der kommenden Legis-
Deswegen müssen weitere Anstrengungen unternom-             laturperiode speziell einsetzen?
men werden, denn es gibt noch immer erhebliche
Regelungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten.         Nicola Beer: Mit Blick auf die Digitalisierung setzen
Wichtig ist natürlich, dass wir uns darum bemühen,          wir uns insbesondere für ein Europa ein, welches Maß-
auch die Unternehmen und Dienstleistungserbringer           stäbe in Bezug auf Datenschutz und Cybersicherheit
zu unterstützen, damit auch sie von der Digitalisierung     setzt. Wir wollen eine digitale Infrastruktur für Europa
profitieren können. Dafür müssen wir im Einzelfall auch     sicherstellen, die es uns ermöglicht, auch unabhän-
finanzielle Förderung bereitstellen.                        gig von außereuropäischen Anbietern unsere Daten
                                                            aufzubewahren und zu nutzen. Wir werden uns auf
Nicola Beer: Die Digitalisierung verändert die Welt         europäischer Ebene auch für eine digitale Verwaltung
grundlegend. Alles wird globaler, individualisierter und    einsetzen. Anträge und Informationen müssen für
vernetzter. Dies bietet für die Bürgerinnen und Bür-        Bürgerinnen und Bürger digital verfügbar, online ab-
ger sowie die Wirtschaft in Europa enorme Potentiale.       wickelbar und durch eine digitale Identität auch online
Um sie bestmöglich nutzen zu können, muss die EU            verifizierbar sein. Wir wollen daher einen elektroni-
noch viel mehr tun. Dies beginnt bei der Schaffung          schen Personalausweis, der EU-weit einsetzbar ist. Wir
von Gigabit-Infrastrukturen in der Fläche für Europa.       setzen uns zudem für eine EU-e-residency nach dem
Zum Beispiel sollte der europäische Haushalt dort,          Vorbild Estlands ein.
wo nationale Anstrengungen nicht ausreichen, Mittel
für den europaweiten Glasfaserausbau bereitstellen.         Evelyne Gebhardt: Im Falle meiner Wiederwahl
Zudem fordern wir Freie Demokraten europäische              werde ich mich gerne wieder für das Europäische Ver-
Digital-Freiheitszonen. Diese sollen im Hinblick auf re-    braucherrecht und für einen Binnenmarkt mit hohen
gulatorische Maßnahmen einen höheren Freiheitsgrad          sozialen Standards einsetzen. Außerdem für ein Be-
haben, europäischem Recht unterliegen und beson-            rufsrecht, das Arbeitsplätze schafft und keinen exis-
ders günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen             tenzbedrohenden Verdrängungswettbewerb fördert.
bieten, um die Gründung und Ansiedlung junger, for-         In dem Zusammenhang freue ich mich über eine Fort-
schungsintensiver Unternehmen zu erleichtern. Auch          setzung der bestehenden Zusammenarbeit und des
beim gemeinsamen Binnenmarkt für Digitales oder             Meinungsaustausches mit Ihnen.
Fragen der Cyber- und Datensicherheit muss noch viel
vorangetrieben werden, damit die EU nicht ins Hinter-       Dr. Andreas Schwab: Der Binnenmarkt ist die wirt-
treffen gerät.                                              schaftliche Herzkammer Europas. Sie hat zu unserem
                                                            Vorteil bislang gut funktioniert, das muss so bleiben!
Sinnvoll wäre es, wenn europäische Forschungsmittel         Ich kämpfe dafür, dieses wirtschaftliche Asset zu ver-
gezielt zur Erforschung von Datenschutztechnologien         teidigen, und wo es verbessert werden muss, müssen
und -infrastruktur verwendet werden. Ziel sollte ein        Entscheidungen her. Die meisten Probleme stammen
weitestgehend autarkes Europa mit eigenen Cloud-An-         aus der fehlenden „Durchsetzung“ bestehender Re-
bietern und europäischen Datenschutzstandards sein,         geln. Dieses Problem müssen wir in der nächsten Le-
um etwa die Abhängigkeit von außereuropäischen              gislaturperiode angehen.
Cloud-Anbietern zu verringern und damit die Daten

                                                                                                                            15
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