Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung

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Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
DEKARBONISIERUNG – FLEXIBILITÄT

Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen
und intelligenten Energieversorgung
Perspektive eines Übertragungsnetzbetreibers
Sebastian Schleich, Bastiaan Milatz, Christoph Kohler und Andreas Langer

Die deutsche Energiewirtschaft befindet sich inmitten eines Paradigmenwechsels und die Übertragungsnetze sind zu einem
Schlüsselelement dieses Wandels geworden. Der Erfolg der zweiten Phase der Energiewende hängt, wie hier gezeigt wird,
wesentlich davon ab, wie die Potenziale der Kopplung verschiedener Sektoren erfolgreich zur Flexibilisierung des Energie-
systems genutzt werden können.

Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, dem
Kernenergieausstieg sowie dem gesetzlich
verankerten Ausstieg aus der Kohleverstro-
mung ist die erste Phase der Energiewende
geprägt durch eine grundlegende Verände-
rung der Stromerzeugung. Auf dem einge-
schlagenen Dekarbonisierungspfad mit dem
Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050
wird sich dieser Wandel fortsetzen – beglei-
tet durch eine zunehmend sektorenübergrei-
fende Transformation [1].

Die Volatilität der Stromerzeugung und die
Veränderung ihrer geografischen Verteilung
führen dazu, dass die Netzbetreiber in das
System eingreifen müssen, um die Systemsi-
cherheit zu gewährleisten. Eine Anpassung
der historisch auf kurze Transportdistanzen                Im Rahmen der Sektorenkopplung und der Koordinierung einer Vielzahl unterschiedlicher Industrien
                                                           und Akteure nehmen Netzbetreiber eine Schlüsselrolle ein                       Bild: Adobe Stock
ausgerichteten Infrastruktur durch Optimie-
rung, Verstärkung und Ausbau der Netze ist
zur Bewältigung der energiepolitischen Ziele     als auch die der Industrie für die Stromver-              turbereich und den Sektoren Mobilität, In-
von essenzieller Bedeutung.                      sorgung nutzbar gemacht werden können.                    dustrie und Wärme ist daher ein unverzicht-
                                                 Durch Lastverschiebung oder Rückeinspei-                  barer Baustein einer effizienten Umsetzung
Auch die Sektoren Mobilität, Industrie und       sung kann die zusätzliche Systemflexibilität              der Sektorenkopplung. Regulatorische Im-
Wärme sind im Zuge der Dekarbonisierung          einen erheblichen Beitrag sowohl zur tempo-               pulse – basierend auf marktwirtschaftlichen
einem grundlegenden Systemwandel unter-          rären Deckung einer kurzfristig gestiegenen               Prinzipien – sollten daher einen geeigneten
worfen und befinden sich auf dem Pfad zu-        Stromnachfrage als auch zur Systemstabilisie-             Rahmen geben und den Aufbau fördern.
nehmender Elektrifizierung. Diese Entwick-       rung leisten. Dieser systemische Beitrag der
lungen führen dazu, dass sich neben der          Sektorenkopplung soll hier beispielhaft für               Zur Ableitung wesentlicher Etappen auf dem
Erzeugungs- auch die Nachfragestruktur           das Betrachtungsjahr 2035 aufgezeigt werden.              Weg der Realisierung der Sektorenkopplung
grundlegend ändert. Beide Entwicklungen                                                                    – und damit auch der Energiewende – ist
zusammen erfordern eine Flexibilisierung         Marktwirtschaftliche Prinzipien                           zunächst die Formulierung eines Zielbildes
und Kopplung des Gesamtsystems, welche           bilden den Grundstein für die                             erforderlich. Darauf basierend können die
mit umfassenden Herausforderungen auf            Sektorenkopplung                                          fundamentalen Phasen für den Erfolg der
technischer, wirtschaftlicher und regulatori-                                                              Sektorenkopplung abgebildet werden.
scher Ebene verbunden ist.                       Die zielkonforme Umsetzung der Sektoren-
                                                 kopplung bedingt eine enge Abstimmung der                 Doch wie sieht die Sektorenkopplung im Jahr
Die in Frage kommenden Kopplungstechno-          technischen Entwicklungen zwischen den                    2035 aus? Basierend auf dem Netzentwick-
logien (z.B. Power-to-Gas, Power-to-Mobility,    verschiedenen Akteuren der jeweiligen Bran-               lungpsplan (2021; Szenario B2035) ist ein
Power-to-Industry) ermöglichen, dass sowohl      chen. Ein abgestimmtes Voranschreiten der                 realistisches Szenario in Abb. 1 und 2 dar-
die Speicherpotenziale der Elektromobilität      Entwicklungen im Energie- bzw. Infrastruk-                gestellt [2], [3].

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 5                                                                                                 27
Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
DEKARBONISIERUNG – FLEXIBILITÄT

Auch wenn es unterschiedliche Experten-               der Zukunft nicht für Transport der „letzten        einem Beispiel dargestellt werden. Es ist
meinungen zur Ausprägung einzelner Ener-              Kilowattstunde“ in selten auftretenden Ein-         Freitag der 15.06.2035 – 12:53 Uhr in der
gieträger und zur Höhe des Nettostromver-             speisespitzen dimensioniert.                        von Industrie- und Technologiekonzernen
brauchs gibt, so sind die Entwicklungen für                                                               geprägten Metropolregion Rhein-Neckar.
das bestehende Energiesystem herausfor-               Also alles wie heute? – Keineswegs!                 Schon den ganzen Vormittag über ist der
dernd. Der Wegfall von konventioneller Leis-                                                              Himmel nahezu wolkenlos und die Pho-
tung – bei steigendem Strombedarf – wird              Die veränderte Erzeugungsstruktur und der           tovoltaikanlagen in der Region speisen
durch die Leistungszunahme aus erneuer-               technologische Fortschritt im Zuge der Ener-        Strom auf Ebene der Verteilnetze ein, wäh-
baren Energien überkompensiert. Hieraus               giewende bringen auch für Systemdienst-             rend die Last im Verteilnetz in diesem Zeit-
resultiert eine zunehmende Volatilität der            leistungen einen tiefgreifenden Wandel mit          raum relativ gering ist.
Energieerzeugung, welche zu einem steigen-            sich. Werden diese heute im Wesentlichen
den Bedarf an Flexibilitätsleistungen führt,          aus konventionellen Kraftwerken, Pumpspei-          Auf einem Industriegelände eines Chemie-
die aus verschiedenen Sektoren bereitge-              chern und zunehmend Batteriespeichern               unternehmens geht ein externes, verschlüs-
stellt werden können.                                 erbracht, so rücken mit fortschreitender            seltes Signal ein und eine große, moderne
                                                      Reduktion des konventionellen Kraftwerk-            Anlage zur Chlor-Alkali-Elektrolyse geht in
Systemdienstleistungen:                               parks Technologien verschiedener Sektoren           den Teillastbetrieb über. Zum selben Zeit-
Auch in 2035 erforderlich                             wie die Elektromobilität, flexible industrielle     punkt erhalten tausende Elektrofahrzeuge
für eine jederzeit sichere                            Lasten und Elektrolyseure als Anbieter von          in der Region gleichzeitig ein Steuerungs-
Stromversorgung                                       Systemdienstleistungen in den Fokus. Hinzu          signal zum Aufladen der verfügbaren Batte-
                                                      kommen innovative Systeme wie z. B. Netz-           riekapazitäten. Diese Ereignisse geschehen
Auch im Jahr 2035 setzen Übertragungs-                booster zur kurzfristigen Netzstabilisierung        nur scheinbar unabhängig voneinander.
netzbetreiber Systemdienstleistungen ein,             bei Leitungsausfällen oder sog. STATCOM-            Tatsächlich bedingen sie einander und lau-
um Frequenz, Spannung und Leistungsbe-                Anlagen (engl. Static Synchronous Compen-           fen in der Systemführung in der Transnet-
lastung innerhalb der Grenzwerte zu hal-              sator) zur Blindleistungskompensation und           BW-Hauptschaltleitung in Wendlingen bei
ten und so die Stromversorgung jederzeit              zur Spannungshaltung.                               Stuttgart zusammen.
sicherzustellen. Wie heute sind dabei zur
Frequenzhaltung der Einsatz von Regelre-              Beispiel: Sektorenüber-                             Bereits in den Vorplanungsprozessen der
serve sowie Redispatch-Maßnahmen zur                  greifender Redispatch                               Netzbetreiber hat sich gezeigt, dass an die-
Vermeidung von lokalen oder überregiona-              im Jahr 2035                                        sem Tag mit einer ungewöhnlichen Last-
len Netzengpässen und zur Spannungshal-                                                                   Erzeugungssituation zu rechnen ist. In der
tung erforderlich. Zwar ist der Ausbau der            Wie im Zielbild einer sektorenübergrei-             Spitze wird eine Photovoltaikeinspeisung
Stromnetze nach den Netzentwicklungs-                 fenden Flexibilisierung die verschiedenen           von knapp 10 GW allein in Baden-Württem-
plänen im Jahr 2035 bereits weit vorange-             Akteure konkret einen Beitrag für die               berg prognostiziert, sodass die volatil ein-
schritten, gleichzeitig sind die Stromnetze           Systemstabilität leisten können, soll an            gespeiste Energie die Netzbetriebsmittel im
                                                                                                          Verteilnetz zu überlasten droht.

                                                                                                          Dies antizipierend haben die Prognose-
                                                                                                          prozesse der Netzbetreiber ergeben, dass
                                                                                                          ab dem Mittag Redispatch-Maßnahmen
                                                                                                          erforderlich werden – also die örtliche
                                                                                                          Verschiebung von Einspeisung bzw. Last,
                                                                                                          um Netzengpässe zu verhindern und das
                                                                                                          Stromsystem stabil zu halten. Über mehrere
                                                                                                          Stunden müssen mehrere hundert MW
                                                                                                          Leistung innerhalb der TransnetBW-Regel-
                                                                                                          zone örtlich verschoben werden.

                                                                                                          Auf Basis einer netzebenenübergreifenden
                                                                                                          Optimierung unter Berücksichtigung der
                                                                                                          Kosten und der netztechnischen Wirksam-
                                                                                                          keit geht ein automatisiertes Signal aus der
                                                                                                          TransnetBW-Leitwarte an die Chlor-Alkali-
                                                                                                          Anlage, die ihren Strombezug aus dem
                                                                                                          Höchstspannungsnetz von 400 MW auf
Abb. 1   Gegenüberstellung: Installierte Leistung 2019/2035 (NEP 2035 (2021), Szenario B2035)             200 MW durch Zuschaltung eines stand-
                                                                                                          ortbezogenen Batteriespeichers verringert.

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Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
DEKARBONISIERUNG – FLEXIBILITÄT

                                                                                                     bare-Energien-Anlagen, Gaskraftwerken und
                                                                                                     Speichern stellen auch industrielle Lasten,
                                                                                                     Elektrolyseure und Pools von Elektrofahrzeu-
                                                                                                     gen ihre Flexibilität über Aggregatoren zur
                                                                                                     Verfügung.

                                                                                                     Die sektorenübergreifende Koordination der
                                                                                                     Redispatch-Maßnahmen erfolgt aufgrund
                                                                                                     des hohen Datenaufkommens über automa-
                                                                                                     tisierte Plattformlösungen, welche den Flexi-
                                                                                                     bilitätsbedarf der Netzbetreiber und das
                                                                                                     Flexibilitätsangebot vieler oft dezentraler
                                                                                                     Akteure effizient zusammenführen.

Abb. 2   Entwicklung flexibler Verbraucher und Power-to-Gas-/Power-to-X-Anlagen                      Ein erster Schritt in diese Richtung erfolgt
                                                                                                     zum 01.10.2021 mit der Umsetzung der
                                                                                                     NABEG 2.0-Vorgaben für ein neues Redis-
Ergänzend wird – wiederum als Ergebnis                der Chlor-Alkali-Anlage dahinter kann der      patch Regime („Redispatch 2.0“). Erstmals
der Optimierung – ein Pool von rund 10.000            Netzengpass vermieden werden, indem der        müssen damit alle Erzeugungs- und Spei-
Elektrofahrzeugen im Verteilnetz ange-                Strombezug verschoben wird. Das Zusam-         cheranlagen mit einer Kapazität von mehr
steuert (Annahme: ca. 9.000 Fahrzeuge an              menspiel der Sektoren Industrie, Mobilität     als 100 kW (bisher 10 MW), inklusive
Wallbox mit Ladeleistung 11 kW und 1.000              und Energiewirtschaft gewährleistet die        Erneuerbare-Energien- und KWK-Anlagen,
Fahrzeuge an Schnellladesäule mit 100 kW,             Systemstabilität.                              in den Redispatch einbezogen werden. Um
Annahmen abgeleitet aus [10]). Insgesamt                                                             Redispatch 2.0 zu ermöglichen, haben
werden somit 200 MW an Redispatch-Leis-               Plattformlösungen ebnen                        TransnetBW und Netze BW daher die
tung als Gegenmaßnahme aktiviert. Ein                 der Weg                                        Plattformlösung „DA/RE“ initiiert. DA/RE
Aggregator hat das netzdienliche Potenzial                                                           (Datenaustausch/Redispatch) organisiert
seines Fahrzeugpools über eine Flexibili-             Das Beispiel verdeutlicht die wesentlichen     die Abstimmung und den Datenaustausch
tätsplattform angeboten, welche in den                Entwicklungen beim Einsatz der System-         zwischen den Netzbetreibern verschiede-
Optimierungsprozess der Netzbetreiber ein-            dienstleistungen in den kommenden Jahren.      ner Netzebenen sowie mit den Flexibilitäts-
gebunden ist. Das intelligente Lademanage-            Werden z. B. im Zuge von Redispatch-Maßnah-    anbietern. Ein Algorithmus wählt dabei die
ment der Fahrzeuge erlaubt eine Steuerung             men heute noch oft CO2-intensive Kohlekraft-   effizientesten Anlagen zur Behebung der
ihrer Ladevorgänge.                                   werke durch den Übertragungsnetzbetreiber      prognostizierten Netzengpässe aus. Effizient
                                                      zum Hochfahren angewiesen, so tragen im        bedeutet in diesem Fall die Auswahl der kos-
Durch die Erhöhung des Strombezugs der                Jahr 2035 eine Vielzahl von Technologien       tengünstigsten Maßnahmen unter Berück-
Elektrofahrzeuge vor dem potenziellen Eng-            verschiedener Sektoren zur Stabilisierung      sichtigung netztechnischer Wirksamkeiten.
pass sowie der Reduktion des Strombezugs              des Gesamtsystems bei. Neben u. a. Erneuer-    In der netzübergreifenden Optimierung wer-
                                                                                                     den dabei auch bestehende Netzrestriktionen
                                                                                                     berücksichtigt, sodass die Entstehung neuer
                                                                                                     Engpässe durch Redispatch-Abrufe vermie-
                                                                                                     den wird [4].

                                                                                                     Doch bereits heute ist absehbar, dass das
                                                                                                     Stromsystem zukünftig auf deutlich klein-
                                                                                                     teiligere Flexibilitätspotenziale – insbe-
                                                                                                     sondere der Nachfrageseite – aus verschie-
                                                                                                     denen Sektoren nicht verzichten sollte.
                                                                                                     Elektroautos, Wärmepumpen, Speicher
                                                                                                     und Elektrolyseure werden im Zuge eines
                                                                                                     „Redispatch 3.0“ in die Prognose und Netz-
                                                                                                     optimierungsprozesse integriert werden
                                                                                                     müssen. Hierzu ist eine Weiterentwicklung
                                                                                                     der Plattformlösungen erforderlich, um zu-
                                                                                                     künftig eine Integration dieser Kleinstflexi-
Abb. 3   Phasenmodell zur Entwicklung eines funktionsfähigen Marktes (für Flexibilitätsleistungen)   bilität zu ermöglichen und über neu zu ent-
         (Schema)
                                                                                                     wickelnde Marktmechanismen anzureizen.

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 5                                                                                    29
Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
DEKARBONISIERUNG – FLEXIBILITÄT

Drei (Markt-)Phasen der Sekto-                 zug von staatlichen Eingriffen. Die einzige     ■ Stärkung der Preissignale und Befä-
renkopplung                                    verbleibende Aufgabe ist das Monitoring         higung der Unternehmen auf breiter Basis
                                               der Marktentwicklung und ggf. korrektive        durch Dynamisierung von Abgaben und
Damit im Jahr 2035 Systemdienstleistun-        Eingriffe bei Fehlentwicklungen bzw. -an-       Umlagen.
gen sektorenübergreifend über Plattform-       reizen, welche für die Festigung des Mark-
Lösungen bereitgestellt werden können,         tes und seiner Teilnehmer relevant sind.        Dem zugrunde liegt der Gedanke des sog.
muss die Sektorenkopplung – übergeord-                                                         „Level Playing Field“, welches allen existie-
net – drei verschiedene Phasen durchlau-       Die technologischen Herausforderungen           renden und potenziellen Marktteilnehmern
fen (s. Abb. 3). Grundlage für das Durchlau-   der Sektorenkopplung spiegeln sich u. a.        die gleichen Chancen zur Partizipation er-
fen dieser Phasen sind eine entsprechende      im fehlenden Ausbau der Infrastruktur in        möglicht. Durch den Abbau der technischen
Zielformulierung (mit dem damit verbun-        den verschiedenen Sektoren wider. Daraus        und regulatorischen Hürden kann ein
denen politischen und gesellschaftlichen       ergeben sich Lücken in der Kopplung der         ausreichend wirtschaftlicher, liquider und
Willen) und europarechtliche Rahmenbe-         Sektoren. Beispiele hierfür sind die geringe    effizienter Flexibilitätsmarkt entstehen, an
dingungen.                                     Geschwindigkeit beim Ausbau der Lade-           dem sowohl große als auch kleine Markt-
                                               säuleninfrastruktur, von Wasserstoff- und       teilnehmer partizipieren können. Aus Sicht
Jede der drei Phasen ist von unterschied-      Kommunikationsnetzen. Darüber hinaus            eines potenziellen Anbieters von System-
lichen technologischen, regulatorischen        gilt es, Technologien mit aussichtsreichen      dienstleistungen kann sich eine Teilnahme
und wirtschaftlichen Herausforderungen         Entwicklungspotenzialen durch weitere           nur rentieren, wenn die Erlöse die anfal-
geprägt, welche für eine erfolgreiche Etab-    Forschung zur Marktnähe zu bringen (z. B.       lenden individuellen Kosten (z. B. Trans-
lierung abgebaut werden müssen.                Speichertechnologien) [8].                      aktionskosten, Umstellung der Produkti-
                                                                                               onsprozesse, Vorhaltung der Flexibilität,
Die Phase 1 („Marktvorbereitung“) ist          Aus Perspektive der Übertragungsnetzbe-         Produktionsverluste durch Bereitstellung,
gekennzeichnet von Forschungsprojekten         treiber (als Nachfrager von Leistungen zur      Kosten für Aggregatoren) – angemessen –
und Förderprogrammen [5], um die grund-        Wahrung der Systemstabilität) betrifft dies     übersteigen.
legende technologische Machbarkeit zu          u.a. den Aufbau geeigneter Plattformen
sondieren. Die Technologieoffenheit bildet     (wie z. B. DA/RE) als zentralisierte An-        Für Unternehmen liegen die Herausfor-
einen wesentlichen Baustein, um den poten-     laufstelle für Flexibilitätsanbieter. Hierbei   derungen insbesondere in den beiden
ziellen Lösungsraum für den Aufbau eines       sind nicht nur die geltenden gesetzlichen       Phasen der Marktvorbereitung und des
Marktes nicht frühzeitig einzuschränken        Anforderungen, z. B. bezüglich IT-Sicher-       Markthochlaufs. Die technologischen, re-
[6], [7]. Die Aufgabe der Politik ist somit    heit, sondern auch darüber hinausgehende        gulatorischen und wirtschaftlichen Unab-
nicht die Festlegung technischer Vorgaben,     Anforderungen (Qualifizierung der Teil-         wägbarkeiten, welche sich bei dem Aufbau
sondern die Formulierung des Zieles. Durch     nehmer durch Anforderungsprofile, Pro-          eines Marktes ergeben, sind frühzeitig im
den stärkeren Forschungscharakter der          zessautomatisierung etc.) zu berücksich-        Rahmen des eigenen Entwicklungspfa-
Pilotvorhabenwerden Hürden identifiziert,      tigen. Aus Sicht der Industrie gilt es zu       des funktionsübergreifend zu erarbeiten
welche in Bezug auf die Phase 2 („Markt-       prüfen, inwiefern eine Flexibilisierung         und fortlaufend zu prüfen. Nur wenn die
hochlauf“) abzubauen sind.                     der Produktionsprozesse und Partizipati-        Auswirkungen der unterschiedlichen Ent-
                                               on am Markt für Systemdienstleistungen          wicklungen kontinuierlich evaluiert und
In Abhängigkeit der Technologie unter-         machbar und rentabel ist.                       bewertet werden, können frühzeitig kor-
scheiden sich die Hemmnisse und Her-                                                           rektive Maßnahmen ergriffen werden. Die
ausforderungen, sodass die Erfolgsaus-         Eine Vielzahl regulatorischer Hürden ste-       bestehende Planungsunsicherheit ist Be-
sichten der verschiedenen Technologien         hen aktuell dem Aufbau marktbasierter           standteil in einem volatilen Markt-umfeld
durch Branche und Politik iterativ kon-        Flexibilitätsbereitstellung durch Sektoren-     wie der Energiewirtschaft und der Sekto-
sultiert und bewertet werden müssen. Für       kopplung im Wege und sollten daher abge-        renkopplung.
die Phase 2 sind diese regulatorischen         baut werden, um Anreize für Marktakteu-
Hemmnisse durch Reformen entspre-              re zu setzen. Dazu gehören z. B. [9]:           Das bedeutet für Unternehmen: Sie müs-
chend abzubauen, um die fundamentalen                                                          sen Chancen und Risiken der Sekto-
Weichen für die Weiterentwicklung des          ■ rentable Flexibilitätsbereitstellung durch    renkopplung fortlaufend für sich selbst
Marktes zu stellen. Durch Subventionen         Anpassung der Netzentgeltverordnung;            bewerten und unter Berücksichtigung
können Impulse gesetzt werden, um den          ■ Erweiterung der Möglichkeiten der Fle-        des eigenen Entwicklungspfades ent-
Markthochlauf zu beschleunigen.                xibilitätsbereitstellung für Unternehmen        sprechende Organisationsstrukturen und
                                               durch Abbau von Marktzugangsbedingun-           Kompetenzen aufbauen. Nur so kann die
Wurden die ersten beiden Phasen erfolg-        gen;                                            Basis für Investitionsentscheidungen
reich durchlaufen und die richtigen poli-      ■ diskriminierungsfreien Zugang her-            geschaffen und durch das Anbieten von
tischen Maßnahmen für die Entwicklung          stellen, überprüfen und anpassen, um auch       Systemdienstleistungen ein nachhaltiger
eines Massenmarktes getroffen, so erfolgt      kleineren Anbietern einen Zugang zu Flexi-      Beitrag für die Systemstabilität gewähr-
in Phase 3 der nahezu vollständige Rück-       bilitätsmärkten zu ermöglichen;                 leistet werden.

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Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
DEKARBONISIERUNG – FLEXIBILITÄT

Mit innovativen und ganz-                        setzten Instrumente, z. B. Regelleistung       tät für die Bereitstellung von Systemdienst-
einheitlichen Ansätzen                           zur Frequenzhaltung und Redispatch zur         leistungen zu beherrschen. Das volle Poten-
zum Erfolg                                       Vermeidung von Netzengpässen und zur           zial kann jedoch erst ausgeschöpft werden,
                                                 Spannungshaltung, werden auch in Zu-           wenn ausreichend viele Akteure aus ver-
Die zentralen Herausforderungen, die mit         kunft gebraucht. Durch Änderungen der          schiedenen Sektoren ihre Flexibilitätspo-
einer erfolgreichen Transformation des           gesetzlichen Rahmenbedingungen wie             tenziale zur Verfügung stellen.
Ener-giesystems verbunden sind, können           beispielsweise dem NABEG 2.0 wurde der
nur durch die sektorenübergreifende Ein-         regulatorische Grundstein gelegt, um mit       Die Partizipation an Märkten zur Bereit-
bindung vieler Akteure bewältigt werden.         der zukünftigen Kleinteiligkeit von Erzeu-     stellung von Systemdienstleistungen wird
Im Rahmen der Sektorenkopplung und der           gungsanlagen umzugehen. Für die Integra-       allerdings im Wesentlichen von der Mach-
Koordinierung einer Vielzahl unterschied-        tion von kleineren Flexibilitätspotenzialen    barkeit, der Umsetzungskomplexität und
licher Industrien und Akteure nehmen             auf Nachfrageseite müssen hingegen die         der Wirtschaftlichkeit der Teilnahme be-
Netzbetreiber eine Schlüsselrolle ein.           Instrumente sowie die Marktmechanismen         stimmt. Die grundlegende konzeptionelle
                                                 weiterentwickelt werden, damit auch diese      Machbarkeit und Umsetzungskomplexität
Als Systemverantwortliche sind die Über-         zukünftig einen Beitrag für die Systemsta-     ist bereits heute Untersuchungsgegenstand
tragungsnetzbetreiber die zentrale Anlauf-       bilität leisten können.                        bei Unternehmen. Die Hürden der Umset-
stelle, um die Stabilität des Energiesys-                                                       zung sind jedoch aufgrund der fehlenden
tems – trotz zunehmender Dezentralität           Durch geeignete Plattformlösungen wie z. B.    Wirtschaftlichkeit durch fehlende Refor-
von Erzeugung und Nachfrage – jederzeit          DA/RE werden skalierbare Grundlagen            mierung der Abgaben- und Umlagensyste-
sicherzustellen. Die hierbei heute einge-        geschaffen, um die zunehmende Komplexi-        matik entsprechend hoch.

                                 ENERGIEWENDE MACHEN,
                                 WÄHREND ANDERE NOCH
                                 DARÜBER REDEN?
                                 Sie können das.

                                                                              Bei TransnetBW haben wir ein Ziel:
                                                                      die Herausforderungen der Energiewende
                                                               meistern – zum Wohle des Landes und der Region.
                                                                                               www.transnetbw.de/karriere

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 5                                                                              31
Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
DEKARBONISIERUNG – FLEXIBILITÄT

Ungeachtet dieser Hemmnisse sind Unter-                     [2] 50Hertz Transmission GmbH; Amprion GmbH; TenneT           [8] acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften
nehmen gut beraten, die (wirtschaftlichen)                      TSO GmbH; TransnetBW GmbH, „https://www.netz-                  e. V., „https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublica-
Potenziale, die durch die Bereitstellung                        entwicklungsplan.de/sites/default/files/paragraphs-            tion/2017_11_14_ESYS_Sektorkopplung.pdf,“ November
von Systemdienstleistungen gehoben wer-                         files/NEP_2035_V2021_1_Entwurf_Kap.2.pdf,“                     2017. [Online].
den können, fortlaufend bereichsübergrei-                       2021. [Online].                                           [9] Kopernikus-Projekt SynErgie, „https://www.ffegmbh.de/
fend zu prüfen. Durch frühzeitige Zusam-                    [3] 50Hertz Transmission GmbH; Amprion GmbH; TenneT                attachments/article/869/SynErgie%20Positionspapier%20
menarbeit mit den Netzbetreibern, z. B. im                      TSO GmbH; TransnetBW GmbH, „https://www.netzent-               Regulatorische%20Rahmenbedingungen.pdf,“ [Online].
Rahmen von gemeinsamen Pilotprojekten,                          wicklungsplan.de/sites/default/files/paragraphs-files/    [10] VDE, „https://www.vde.com/resource/blob/988408/
ergeben sich gegenseitige Chancen zum                           NEP_2035_V2021_1_Entwurf_Zahlen-Daten-Fakten.                  ca81c83d2549a5e89a4f63bbd29e80c6/technischer-
Aufbau von Know-how sowie zur Mitge-                            pdf,“ 2021. [Online].                                          leitfaden-ladeinfrastruktur-elektromobilitaet---version-
staltung von Marktprozessen. Sofern sich                    [4] Netze BW GmbH, TransnetBW GmbH, „https://www.                  3-1-data.pdf,“ Januar 2020. [Online].
aus den veränderlichen Rahmenbedingun-                          dare-plattform.de/,“ 2021. [Online].
gen verlässliche Erfolgsaussichten abzeich-                 [5] Tagesspiegel, „https://background.tagesspiegel.de/        S. Schleich, C. Kohler, Referenten Sonder-
nen, gilt es, die entsprechend vorbereitete                     energie-klima/saebel-oder-florett-wie-wasserstoff-ge-     aufgaben Produkte & Nichtstandardisierte
Sektorenkopplungsstrategie in die Tat um-                       foerdert-werden-sollt,“ November 2020. [Online].          Märkte, TransnetBW GmbH, Stuttgart; B.
zusetzen.                                                   [6] Tagesspiegel, „https://background.tagesspiegel.de/        Milatz, Manager, A. Langer, Partner, Energy,
                                                                energie-klima/wasserstoff-strategie-technologieoffen-     Resources & Industrials (RA), Deloitte GmbH
Literatur                                                       statt-ideologisch,“ April 2020. [Online].                 Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Stuttgart
                                                            [7] Handelsblatt, „https://www.handelsblatt.com/politik/      s.schleich@transnetbw.de
[1] BMWi, „https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publika-            deutschland/energie-der-zukunft-deutschland-investiert-   c.kohler@transnetbw.de
    tionen/Energie/achter-monitoring-bericht-energie-der-       700-millionen-euro-in-wasserstoff-projekte-/26789866.     b.milatz@deloitte.de
    zukunft.pdf?__blob=publicationFile&v=4,“ [Online].          html,“ Januar 2021. [Online].                             anlanger@deloitte.de

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Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung Durch Sektorenkopplung zu einer ökonomischen und intelligenten Energieversorgung
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