DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
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36 I 05/20 DUZ TRANSFER I EDITORIAL EDITORIAL Mit dem Beginn des Jahres 2020, das so dramatisch vom Coronavirus geprägt ist, hat nach über fünf Jahren außerordentlich erfolgreicher Aufbauarbeit Prof. Dr. Hans- Hennig von Grünberg zum 1. März den Vorsitz der Hochschulallianz für den Mittelstand (HAfM) abgegeben. Er hat die HAfM mit seinem Tatendrang, seinen Ideen und seiner unnachahmlich sprühenden Art geprägt. Legendär waren seine Zusammenfassun- gen unserer Transferkonferenzen, in denen er mit Countdown-Zähler die Inhalte ein- Foto: Tim David Müller-Zitzke schließlich einer tiefgründigen Diskussion für alle Beteiligten nochmal in zehn Minu- ten lebendig gemacht hat. Für die vorliegende fünfte Ausgabe von DUZ Transfer hat Hans-Hennig von Grünberg die Ergebnisse der vierten Transferkonferenz der HAfM noch einmal auf den Punkt gebracht. Doch diese Ausgabe gewährt Ihnen noch weitere vielfältige Einblicke in die Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff Ergebnisse und beleuchtet die These „Strukturschwache Regionen brauchen starke Der Rektor der Hochschule Bre- Hochschulen“ der vierten Transferkonferenz der HAfM mit unterschiedlichen Blick- merhaven hat zum 1. März 2020 den Vorstandsvorsitz der Hoch- richtungen. Die Transferaktivitäten von Hochschulen für angewandte Wissenschaften schulallianz für den Mittelstand werden darüber hinaus anhand konkreter Projekte und Beispiele aus den Hochschulen übernommen. aufgezeigt. Dabei wird das vielfältige Spektrum deutlich und erlebbar. Als neuer Vorstandsvorsitzender freue ich mich, den Geist der HAfM weiterführen zu dürfen. Es ist der HAfM bereits gelungen, Themen von den Hochschulen für angewandte Wissenschaften ins Bewusstsein zu bringen und eine breite öffentliche Wahrnehmung dafür zu erzielen. In meiner Amtszeit soll die Transferorientierung und insbesondere das zentrale Thema der HAfM, die Mittelstandsorientierung, noch deutlich stärker fo- kussiert werden. Die Hochschulen sind die zentralen Partner für Innovationsprozesse in den Regionen und damit auch für den Mittelstand. Dies müssen, können und werden die Hochschulen noch sichtbarer machen. Dazu bietet dieses Heft bereits interessante Einblicke – weitere werden folgen. Ich wünsche Ihnen spannende Impulse. Bleiben Sie gesund! Ihr Peter Ritzenhoff INHALT 37 SCHLÜSSELFAKTOR BILDUNGSLAND- 44 BEST-PRACTICE-BEISPIELE VON DER Stifterverbands: Im Interview zieht SCHAFT TRANSFERTAGUNG Andrea Frank eine Zwischenbilanz Die unterschiedlichen Problemlagen Das Technologie Zentrum Dortmund in strukturschwachen Räumen hat ebnet den Weg für Hightech- 49 CHANCEN FÜR ABSOLVENTEN jüngst eine IW-Studie untersucht. Start-ups und innovative Wie blicken Senior-Unternehmer auf Hochschulen spielen eine entschei- Unternehmen. Ein Projekt an der die Unternehmensübergabe? Befunde dende Rolle bei der Stärkung der Hochschule Magdeburg-Stendal will einer Studie der htw saar Regionen, meint Klaus-Heiner Röhl Unternehmen helfen, attraktiver für Auszubildende zu werden. Und 50 WIRTSCHAFT TRIFFT HOCHSCHULE 40 MISSION TRANSFER an der Hochschule Hamm-Lippstadt Wirtschaftswissenschaftler richten Wenn Hochschulen strukturschwa- erarbeiten Studierende Konzepte für ihre Forschung zunehmend nach den chen Regionen wirkungsvoll helfen den Handel und Unternehmen vor Ort Bedürfnissen regionaler Unterneh- sollen, muss die anwendungsorien- men aus – vier Beispiele tierte Forschung gestärkt werden. 47 „TRANSFER UND KOOPERATION MÜS- Nachlese zur vierten Berliner Trans- SEN ZUR CHEFSACHE WERDEN“ 53 NEUER VORSTAND DER HAFM ferkonferenz Fünf Jahre Transfer-Audit des 54 IMPRESSUM
XXXXXXXXX I DUZ TRANSFER 05/20 I 37 SCHLÜSSELFAKTOR BILDUNGSLANDSCHAFT Die unterschiedlichen Problemlagen in strukturschwachen Räumen hat jüngst eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft untersucht. Hochschulen spielen eine entscheidende Rolle bei der Stärkung der Regionen, meint der Mitautor der Studie Klaus-Heiner Röhl GASTBEITRAG: KLAUS-HEINER RÖHL Seit mehreren Jahren wird verstärkt die Frage diskutiert, DEMOGRAFISCHES STADT-LAND-GEFÄLLE ob der regionale Zusammenhalt in Deutschland gefährdet ist. Die zunehmende Konzentration der Bevölkerung und Woher rührt also der Glaube vieler Menschen – und vor die Verortung digitaler Unternehmen in den Ballungsräu- allem der Kommentatoren in den Medien – dass die Repu- men befeuerten das Narrativ von den zurückbleibenden blik eine zunehmende Spaltung in prosperierende Städte ländlichen Räumen, die „abgehängt“ oder zumindest und verarmende ländliche Regionen erlebe? Einen Hinweis davon bedroht seien. Die empirische Analyse der regiona- darauf gibt die Demografie: Anders als für die genannten len Entwicklung in Deutschland zeigt allerdings ein sehr Wirtschaftsindikatoren lässt sich für die Bevölkerungsent- differenziertes Bild. Ein Auseinanderdriften urbaner und wicklung tatsächlich eine Spaltung zwischen Stadt und Land ländlicher Regionen wird für wirtschaftliche Kernkriteri- konstatieren. Mit der Konzentration der Bevölkerung seit en wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner, die der Jahrtausendwende in den urbanen Regionen – genauer kaufkraftbereinigten Einkommen oder die Arbeitslosen- in etwa 35 beliebten Groß- und Universitätsstädten – ging quote nicht bestätigt. Vielmehr zeigt sich für diese Indi- eine Verjüngung einher, während die Alterung der ländli- katoren der wirtschaftlichen Lage sogar eine Konvergenz chen Räume sich spiegelbildlich beschleunigt hat. Haupt- der verschiedenen Regionstypen in Deutschland. Insbe- grund hierfür ist, dass vor allem junge Menschen in die sondere für das BIP sind divergierende Entwicklungen Großstädte wandern. Hierbei spielt die Arbeitsmigration für der Wirtschaftskraft, die die aktuelle Diskussion prägen, die Wahl des ersten Arbeitsplatzes, aber noch stärker die statistisch nicht feststellbar. Bildungsmigration die entscheidende Rolle. Während also
38 I 05/20 DUZ TRANSFER I GASTBEITRAG viele Großstädte wachsen und es zu Engpässen auf dem Wohnungsmarkt kommt, verlassen gerade junge Menschen ländlich geprägte oder strukturschwache Regionen. Der positive Befund, der sich aus der Analyse der meisten Regionalindikatoren ergibt, könnte daher durchaus eine etwas trügerische Momentaufnahme sein. Gerade in Ostdeutschland sind die Einwohner- verluste in den letzten drei Jahrzehnten in vielen Re- gionen beträchtlich und im ländlichen Raum fehlen dort junge Menschen, die selbst Kinder bekommen könnten. Dabei hält die Abwanderung immer noch an – nun allerdings nicht mehr auf Westdeutschland, sondern auf die attraktiven Städte der neuen Bundes- länder wie Leipzig, Rostock oder Jena gerichtet. Feh- len in den ländlichen Regionen aber junge Menschen, werden sie unattraktiv für Unternehmensansiedlun- gen und die Wirtschaftskraft leidet über kurz oder lang. Die günstige Entwicklung von Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskraft je Einwohner im Osten ist zum Teil auf die Abwanderung zurückzuführen, da sie gemeinsam mit der Verrentung stärkerer Jahrgänge die Verknappung von Arbeitskräften befördert. REGIONAL UNTERSCHIEDLICHE PROBLEMLAGEN Zudem gibt es eine Reihe von Regionen in Deutsch- land, die trotz genereller wirtschaftlicher Konvergenz erhebliche Probleme aufweisen. Allerdings unter- scheiden sich die jeweiligen Problemlagen, sodass man nicht pauschal von zurückbleibenden oder gar abgehängten Regionen sprechen kann. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat in einer umfassenden Regionalstudie (siehe Literaturhinweis rechte Seite unten) diese Problemlagen herausgearbeitet. Jenseits der genannten demografischen Probleme, die neben den meisten ländlichen Regionen Ostdeutschlands auch periphere Regionen im Westen betreffen, gibt es städtische Problemregionen, die am allgemeinen Boom der Metropolen und Hochschulstädte in den letzten 20 Jahren nicht teilhatten. An erster Stelle ist hier das Ruhrgebiet zu nennen, mit 5,1 Millionen Ein- wohnern immer noch der größte deutsche Ballungs- raum. Aber auch infrastrukturell sind eine Reihe von Regionen schlecht aufgestellt, obwohl der Ausbau regionaler Verkehrswege seit Jahrzehnten zum Kanon regionalpolitischer Maßnahmen zählt. Ein besonderes Problem ist dabei die digitale Infrastruk- tur – viele weniger dicht besiedelte Regionen in Ost- und Westdeutschland sind tatsächlich noch abge- hängt, wenn man sich die Versorgung mit schnellen Breitbandnetzen anschaut. Ohne eine gute digitale Anbindung ist die Ansiedlung innovativer Wachs- tumsunternehmen aber kaum vorstellbar. Daneben gibt es auch eine Reihe ländlicher Regionen, die zwar
GASTBEITRAG I DUZ TRANSFER 05/20 I 39 „Die betroffenen Regionen sind oft bereits seit Jahrzehnten Fördergebiet, sodass eine durchgreifende Verbesserung der Lage neue Antworten erfordert“ nicht zurückfallen, aber aufgrund fehlender wertschöpfungs- ihrem Start zum Teil noch in ihre Rolle als Fokus für regionale starker Unternehmen wirtschaftsschwach sind. Zum Teil tritt Innovationsnetzwerke und „Anker“ für junge Menschen in dies mit einer ungünstigen demografischen Struktur und/ der Region hineinwachsen. Zwar werden Schulabsolventen, oder schlechter Infrastruktur kombiniert auf. Hier wären die zum Studium an einen Hochschulstandort außerhalb der zum Beispiel die Küstenregionen Schleswig-Holsteins und Metropolen gehen, weniger häufig als in den großen Universi- Teile von Rheinland-Pfalz zu nennen. tätsstädten am Ausbildungsort verbleiben. Doch die Chancen, dass sie entweder am kleinstädtischen Bildungsort „Wurzeln BENÖTIGT WERDEN DIFFERENZIERTE REGIONALPOLITSICHE schlagen“ oder in ihre ländliche Heimatregion zurückkehren, ANTWORTEN dürften weit höher sein, als wenn sie zum Studium in eine Großstadt gezogen sind. Wie könnte eine regionalpolitische Antwort auf die geschil- derten Probleme aussehen? Die betroffenen Regionen sind oft Durch Hochschulen und Forschungseinrichtungen kann auch bereits seit Jahrzehnten Fördergebiet, sodass eine durchgrei- die regionale Gründungstätigkeit gestärkt werden. Eine gute fende Verbesserung der Lage offenbar neue Antworten (oder Gründerkultur ist ein weiterer Erfolgsfaktor der Regionalent- mehr Mittel) erfordert. Im Mittelpunkt der Regionalpolitik wicklung: Wirtschaftlich erfolgreiche Regionen weisen auch standen lange Zeit Zuschüsse für Unternehmensinvestitio- eine Vielzahl wachstumsstarker Start-ups auf. Der Aufbau nen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und ein Ausbau der eines gründungsaffinen Umfeldes rund um einen Hochschul- Infrastruktur. Angesichts fallender Arbeitslosenquoten und standort erfordert allerdings üblicherweise Akteure, die die eines Fachkräftemangels selbst in peripheren Regionen sind Initiative ergreifen – und Zeit. die bisherigen Ansätze aber nicht mehr überall geeignet. Die Regionalpolitik muss fallbezogene Antworten auf vielschich- Neben den Wirkungen auf das regionale Bildungs- und Inno- tige Probleme finden. vationssystem kann es durch die Stärkung der Hochschulen auch zu einer kulturellen Veränderung kommen: Die Anwe- Ab 2021 gibt es für die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe senheit der Studenten gibt dem jeweiligen Standort ein jün- „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) geres Image, Schulabgänger finden leichter Clubs und Treff- eine neue Förderkulisse ohne Ost-Fokus, nachdem 30 Jahre punkte junger Menschen und fühlen sich so eher veranlasst, lang 80 bis 90 Prozent der Regionalfördermittel in die neuen in der Region zu bleiben. Der „Herdeneffekt“, der Abiturienten Bundesländer geflossen sind. In diesem Zusammenhang soll- in nur etwa 30 bis 40 deutsche Städte mit bekannten Univer- ten inhaltlich die Schwerpunkte stärker in Richtung Innova- sitäten und Hochschulen zieht, wird durch die immer weiter tionsförderung verschoben werden. Innovationen bilden die voranschreitende Ausdifferenzierung der Hochschulland- Triebfeder für regionales Wachstum und können auch helfen, schaft in den Regionen zumindest deutlich abgemildert. // Antworten auf die demografischen Herausforderungen zu finden. Die Mittel der GRW sind jedoch mit 1,2 Milliarden Euro pro Jahr begrenzt – vor 20 Jahren wurden noch 4 bis 5 Milliar- den Euro pro Jahr für die Investitionsförderung und regionale wirtschaftsnahe Infrastruktur vergeben. Der Verzahnung mit DR. KLAUS-HEINER RÖHL anderen Programmen etwa für Forschungseinrichtungen, den Städtebau oder Schulungsmaßnahmen für Beschäftigte ist Senior Economist für Unternehmen und Arbeitslose kommt daher eine wachsende Bedeutung zu. im Kompetenzfeld Digitalisierung, Strukturwandel und Wettbewerb Foto: IW Köln HOCHSCHULEN UND FORSCHUNGSINSTITUTE STÄRKEN DIE im Hauptstadtbüro des Instituts der REGION deutschen Wirtschaft Köln e.V. Technologisch führende Regionen zeichnen sich durch eine hohe Wissensorientierung ihrer Wirtschaft aus, die auf guten Bildungseinrichtungen basiert. Forschungsinstitute, Universitäten und innovationsstarke Unternehmen sind LITERATUR eng vernetzt und bilden ein „innovatives Milieu“, das ständig Michael Hüther, Jens Südekum, Michael Voigtländer Neuerungen hervorbringt. Im Kontext der stärkeren Inno- vationsorientierung wächst auch die Bedeutung des Faktors (Hrsg.): Die Zukunft der Regionen in Deutschland – Bildung stark an. Die Bildungsexpansion ging bereits in den zwischen Vielfalt und Gleichwertigkeit. IW-Studien. Köln letzten drei Jahrzehnten mit einem starken Ausbau der 2019. Online abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/ regionalen Hochschulen einher. Deutschlandweit stieg die fileadmin/user_upload/Studien/Externe_Studien/2019/ Zahl der Hochschulstandorte – unter Einrechnung von De- IW-Regionalstudie_2019.pdf pendancen – von 1990 bis 2016 um 167 Prozent auf über 600. Die vielen Neugründungen müssen relativ kurze Zeit nach
40 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG 1 MISSION TRANSFER Wenn Hochschulen strukturschwachen Regionen wirkungsvoll helfen sollen, muss die anwendungsorientierte Forschung gestärkt werden. Das geht mit Geld – und einer anderen Reputationslogik im akademischen Betrieb. Nachlese zur vierten Berliner Transferkonferenz TEXT: HANS-HENNIG VON GRÜNBERG Zwar sind Forschung und Wissens- und Technologietrans- tungskultur führe zu einer neuen Reputationslogik im aka- fer eigenständige Leistungsdimensionen einer Hochschule. demischen Betrieb. Und diese Reputationslogik sei die zen- In Zeiten missionsorientierter Forschungs- und Förderpoli- trale Stellschraube: Gelänge es, sie so zu ändern, dass sich tik reicht das aber nicht aus. Wenn es um die Erfüllung der die Anwendungsorientierung in der Forschung auch auf die Missionen geht, werden Forschung und Transfer zuneh- mend wahrgenommen als zentraler Teil eines komplexen Innovationsprozesses, der nicht linear, sondern mehrpolig und rekursiv angelegt ist. Forschung und Transfer sind zu so etwas wie „Funktionsmodulen“ innerhalb dieser mehr- PROF. DR. HANS-HENNIG schichtigen Innovationsprozesse geworden. VON GRÜNBERG Damit sie diese Rollen spielen können, muss die Forschung in Deutschland anwendungsorientierter werden. Darum Der Physiker war seit geht es dem Wissenschaftsrat in seinem jüngsten Positi- onspapier „Anwendungsorientierung in der Forschung“. 2010 zehn Jahre lang Weil von der Forschung wesentliche Beiträge zur Gestal- Präsident der Hochschule tung einer zukunftsfähigen Gesellschaft in einer globalen Niederrhein in Krefeld. Der Wettbewerbssituation erwartet würden, müsse die anwen- Physiker gehörte 2014 zu Foto: Matthew Schönfelder / HAfM dungsorientierte Forschung im deutschen Wissenschafts- den Gründungsmitgliedern system aufgewertet werden. der Hochschulallianz für Die zentrale Forderung des Papiers: Bewertungskriterien zur den Mittelstand, dessen Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen müssten breiter Vorstandsvorsitzender er bis angelegt werden, denn nur ein Wandel in unserer Bewer- März 2020 war.
TRANSFERTAGUNG I DUZ TRANSFER 05/20 I 41 Karrieren des wissenschaftlichen Nachwuchses po- sitiv auswirke, bekäme die anwendungsorientierte Forschung mehr Gewicht innerhalb unseres Wissen- IMPRESSIONEN schaftssystems. Eine zweite Forderung: Damit eine an- wendungsorientierte Forschung und ein darauf aufbau- der vierten Berliner Transferkonferenz ender Transfer ihre Rollen im Innovationssystem spielen (Seiten 6–9) von Fotograf Matthew Schoenfelder können, müssten sich in Deutschland Forschungsräume und -prozesse nach außen hin öffnen. Dafür sei es un- erlässlich, Begegnungsmöglichkeiten zwischen Vertre- tern der Wirtschaft und der Wissenschaft zu schaffen, strategische Partnerschaften zu fördern, Vernetzung zu organisieren. Der Organisation dieser Vernetzung, dem gemeinsamen Nachdenken über Forschung und Transfer, aber auch der gesellschaftlichen Aufwertung der anwendungsorientier- ten Forschung – diesen Zielen dienen die jährlich in Berlin stattfindenden Transferkonferenzen der Hochschulallianz für den Mittelstand (HAfM). 2 Zur vierten Berliner Transferkonferenz, bei der es um den Nutzen anwendungsorientierter Hochschulen für struktur- schwache Regionen ging, waren Ende Januar 2020 Experten und Entscheider aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft dazu in der Landesvertretung Brandenburg zusammenge- kommen, unter ihnen der Staatssekretär im Bundesmi- nisterium für Bildung und Forschung Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas und die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg Dr. Manja Schüle. Damit Hochschulen ihre Potenziale für die Regionen bes- ser nutzen können, müssten Fördersysteme verbessert 3 und die neue Mission der Hochschulen gesellschaftlich anerkannt werden. Gelinge dies, könnten die Hochschu- len ihre Rolle als „ehrliche Makler“ im Innovationsprozess forcieren, wozu sie durch ihre interdisziplinäre und nicht gewinnorientierte Ausrichtung prädestiniert seien, sagte die Bildungsberaterin Dr. Sybille Reichert. Aus Dortmund kamen dazu ermutigende Beispiele: So erwirtschaftet das Technologie Zentrum Dortmund, 1980 als Maßnahme gegen den Strukturwandel gegründet, heute einen Jahresumsatz von 920 Millionen Euro – ein Erfolgsmodell, bei dem die Dortmunder Hochschulen eine wesentliche Rolle spielen, berichtete Guido Baranowski. Auch das Thema Neugrün- dungen von Hochschulen wurde diskutiert. Prof. Dr. Klaus 4 Zeppenfeld, Gründer und Präsident der 2009 gegründeten Hochschule Hamm-Lippstadt, berichtete vom positiven ökonomischen Impact einer Hochschule in einer struktur- schwachen Region. Andererseits ist zwischen 1990 und 2016 die Zahl der Hochschulstandorte bereits um 167 Prozent ge- stiegen – eine Zahl, die Dr. Klaus-Heiner Röhl, Senior Eco- nomist für Unternehmen am Institut der deutschen Wirt- schaft Köln, in die Debatte warf. Vor diesem Hintergrund wirkt eine Idee sehr originell, von der Dr. Manja Schüle als Vorhaben der neuen Landesregierung Brandenburg berich- tete, nämlich „Präsenzstandorte“ von bereits bestehenden Hochschulen in akademisch bisher unerschlossenen Städ- 5 ten der Region zu gründen.
42 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG Einen breiten Raum in der Diskussion nahm die Frage ein, ob meinschaft (DTG). Während Ministerin Dr. Manja Schüle (SPD) die Förderung der transferorientierten Forschung in Deutsch- und Dr. Thomas Sattelberger (FDP) sich in einer lebhaften Po- land noch verbessert werden kann. „Wir werden ein Förderpro- diumsdiskussion offen für diesen Vorschlag aussprachen, ließ gramm aufsetzen, in dem der Transfer eine wesentliche Be- Dr. Stefan Kaufmann (CDU) immerhin eine „gewisse Grund- deutung hat“, kündigte Staatssekretär Lukas an. Das kann nur sympathie“ erkennen. begrüßt werden. „Gleichwohl vermissen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler thematisch offene und flexible Förder- Eines sollte klar sein: Förderanträge, die ein junger Nach- formate, die es erlauben, der Dynamik wechselnder Orientie- wuchswissenschaftler zur Förderung seiner angewandten For- rungen im Forschungsprozess gerecht zu werden und externe schung von einer DTG bewilligt bekäme, würden seiner Reputa- Kooperationspartner bei Bedarf, nicht aber verpflichtend mit tion nützen und könnten ein wichtiges Element zur Förderung einzubeziehen“, schreibt der Wissenschaftsrat. Und: „Die Viel- seiner weiteren Karriere sein. Soll heißen: Die DTG würde wie falt und Dynamik der Förderformate und -programme erschei- keine andere Maßnahme die vorherrschende Reputationslogik nen den Forschenden zudem oftmals als unübersichtlich und des Wissenschaftssystems umpolen und auf diesem Wege die kleinteilig. Sich jeweils wieder auf die Logik des jeweiligen För- „Anwendungsorientierung der Forschung“ massiv stärken. derers, das spezifische Format oder das konkrete Programm einzustellen, ist aufwändig, kostet Zeit und produziert unter Und: Eine DTG könnte dafür sorgen, dass Hochschulen für Umständen Pfadabhängigkeiten.“ angewandte Wissenschaften in ihrer Mission für einen regi- onalen Transfer wirklich ernst genommen werden. Mit se- Die Lösung dieses Problems ist seit Jahren eine Hauptforde- gensreicher Wirkung für jede Region, auch und gerade die rung der HAfM: die Einrichtung einer Deutschen Transferge- strukturschwache. // 6 7 8 9 IMPRESSIONEN 1 Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg (ehemaliger Präsident der Hochschule Niederrhein) und Dr. Manja Schüle (Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg) +++ 2 Dr. Muriel Helbig (Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck) +++ 3 Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, Dr. Manja Schüle und Plenum +++ 4 Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas (Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung) +++ 5 Dr. Manja Schüle und Plenum +++ 6 Prof. Dr.-Ing. Winfried Lieber (Rektor Hochschule Offenburg) und Dr. Sybille Reichert (Director Reichert Consulting for Higher Education) +++ 7 Der neue und alte Vorstand der Hochschulallianz (HAfM): Prof. Dr.-Ing. Winfried Lieber, Dr. Muriel Helbig, Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg (ehemaliger Präsident der Hochschule Niederrhein und ehemaliger HAfM-Vorstandsvorsitzender) und Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff (Rektor der Hochschule Bremerhaven und neuer HAfM-Vorstandsvorsitzender) +++ 8 Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff, Dr. Stefan Kaufmann (CDU), Ministerin Dr. Manja Schüle (SPD) und Dr. Thomas Sattelberger (FDP) +++ 9 Prof. Dr. Klaus Zeppenfeld (Präsident der Hochschule Hamm-Lippstadt), Guido Baranowski (Geschäftsführer Technologie Zentrum Dortmund) und Dr. Jan Fritz Rettberg (Chief Information/Innovation Office der Stadt Dortmund)
TRANSFERTAGUNG I DUZ TRANSFER 05/20 I 43 „Im Zentrum unserer Initiativen steht die Wissenschaft“ kleine Firmen häufig eine große Her- „Die enge Zusammenarbeit zwischen ausforderung. Sie müssen sich überdies Wissenschaft und Wirtschaft ist von überlegen, wie sie qualifizierte Fach- herausragender Bedeutung, weil kräfte gewinnen und die Kooperation durch Kooperationen zwischen Unter- mit interessanten Wissenschaftsein- nehmen, Hochschulen und außeruni- richtungen sicherstellen können. versitären Forschungseinrichtungen regionale Potenziale aktiviert und Wir reduzieren in Brandenburg die- weiterentwickelt werden, die zur Stei- se Hürden mit unterschiedlichen In- gerung der Innovationskraft und der strumenten – beispielsweise mit den Wettbewerbsfähigkeit dieser Regionen neu eingerichteten Präsenzstellen der führen. Viele Unternehmen in struk- Hochschulen. Das hilft einerseits Re- turschwachen Regionen investieren zu gionen, die keine Hochschule in ihrer wenig in Forschung und Entwicklung, unmittelbaren Nähe haben. Anderseits weil ihnen hierfür die finanziellen Mit- können wir so Unternehmen vor Ort tel und auch qualifizierte Mitarbeiter Dr. Manja Schüle ein interessantes Kooperationsangebot fehlen. Demzufolge entstehen dort ist seit dem 20. November 2019 Ministerin unterbreiten und den Zugang zum Wis- kaum Innovationen. Das macht diese für Wissenschaft, Forschung und Kultur senschaftssystem weiter sicherstellen. Regionen weniger attraktiv für Unter- des Landes Brandenburg. Zuvor war die Im Zentrum unserer Initiativen steht nehmer und Arbeitskräfte. Politikwissenschaftlerin direkt gewähltes Mitglied im Deutschen Bundestag (SPD) die Wissenschaft. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind unsere Um diesen Teufelskreis zu durch- bei der Bundestagswahl 2017. In dieser zentralen Partner bei der Entwicklung brechen, sind auch starke, öffentlich Zeit war sie Mitglied im Ausschuss für brandenburgischer Regionen. Sie schaf- finanzierte Investitionen in Wissen- Bildung, Forschung und Technikfolgenab- fen wissensbasierte Gründungen und schaft und Forschung notwendig so- schätzung und stellvertretendes Mitglied wie ein funktionierender Transfer von im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sind unsere Impulsgeber für den gesell- schaftlichen Wandel.“// Wissen und Technologien zwischen sowie im Ausschuss Digitale Agenda. Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen. Für eine erfolgreiche „Wie machen wir Wissenschaft wirk- sam? Ich bin überzeugt, dies gelingt „Die Besonderheiten Umsetzung der Maßnahmen zur För- derung von Kooperationen zwischen uns nur über ein Bündnis – ein Bündnis zwischen Unternehmen verschiedens- der Regionen Wissenschaft und Wirtschaft sind eine ganzheitliche Betrachtung des Förder- ter Branchen und der lokal ansässigen Hochschulen. Beide Gruppen sind per- berücksichtigen“ systems für strukturschwache Regi- onen und flankierende Maßnahmen manent aufgefordert, sich zu einem zur Stabilisierung der demografischen Netzwerk zusammenzufinden, um die Lage erforderlich. Zudem müssen Wirtschaftskraft und Innovationsfähig- die Fördermaßnahmen die Beson- keit in allen Regionen zu befördern. derheiten der einzelnen Regionen berücksichtigen. Denn ein erfolgrei- Klar: Die Impulse kommen aus der Wis- cher Strukturwandel kann nur dann senschaft. Sie tragen entscheidend dazu gelingen, wenn er auf den regional bei, die wirtschaftliche Entwicklung vorhandenen Kompetenzen aufbaut. einer Region voranzutreiben. Dies gilt Daher muss die Förderung Bottom-up, insbesondere in einem Land wie Bran- anwendungsorientiert, themen- und denburg, das von kleinen und mittleren akteursoffen sein; sie muss interdiszi- Unternehmen geprägt ist. Sie sind ange- plinäre Bündnisse und offene Innova- wiesen auf die Ideen der Experten. Wir tionskulturen unterstützen. unterstützen sie mit unserer Transfer- strategie und schätzen ihre Bedeutung Mit der Programmfamilie „Innovation für die regionale Entwicklung. & Strukturwandel“ hat das BMBF be- Dr. Stefan Kaufmann reits gute Erfahrung bei der gezielten Wir stärken den Transfer von Wissen in ist Mitglied des Deutschen Bundestages Förderung von Innovationen in struk- die Unternehmen. Dafür haben wir ein (CDU), Obmann der CDU/CSU-Fraktion turschwachen Regionen gesammelt Programm aufgelegt, das beispielsweise im Ausschuss für Bildung, Forschung und und plant, bis 2024 600 Millionen Euro Fachhochschulen bei der Entwicklung Technikfolgenabschätzung und Vorsitzen- für neue Programme bereitzustellen. ihrer Potenziale unterstützt. Gleichzei- der der Enquete-Kommission „Berufliche Damit wird die Attraktivität dieser Re- tig versuchen Unternehmen, sich aktiv Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des gionen als Wirtschaftsstandort und Ort am Transfer zu beteiligen. Das ist für Deutschen Bundestages. zum Leben nachhaltig verbessert.“ //
44 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG: BEST PRACTICE Foto: Technologiepark Dortmund KEINER GEHT ALLEIN Das Technologie Zentrum Dortmund (TZDO) ist die Keimzelle eines der größten Technologieparks Europas. Seit 35 Jahren ebnet es den Weg für Hightech-Start-ups und innovative Unternehmen „Strukturwandel endet nie“, sagt Guido Baranowski. Und er „Das Technologiezentrum und der Technologiepark sind die muss es wissen. Der 67-Jährige gilt als Schlüsselfigur beim Keimzellen unserer IT-Entwicklung“, sagt Dr. Jan Fritz Rett- Aufstieg der einstigen Stahl-Kohle-Bier-Stadt Dortmund zu ei- berg, Chief Information/Innovation Officer (CIO) der Stadt nem bedeutenden Dienstleistungs- und Technologiestandort. Dortmund. „Fast alle innovativen Ausgründungen hatten oder haben dort ihre Heimat. Der günstige Büroraum, die Das TZDO, das Baranowski seit der Gründung 1985 leitet, zählt Infrastruktur – das hilft echt.“ Auch bei der Digitalisierung, zu den Stars der deutschen Transferszene. Es ist die Keimzel- „der Fortsetzung des Strukturwandels mit anderen Mit- le des Technologieparks Dortmund, der heute rund 300 Un- teln“, wie Rettberg betont. ternehmen mit gut 13 500 Beschäftigten eine Heimat bietet, darunter namhafte Player wie der Halbleiterhersteller Elmos, Auch Baranowski sieht im Gründersupport den Schlüssel: das Medizintechnikunternehmen Boehringer Ingelheim mic „Wir lassen die Start-ups nie allein auf dem Weg ins eige- roparts, das Fraunhofer Institut für Software- und System- ne Unternehmen. Das TZDO hilft bei der Kapitalakquise, technik ISST und das Fraunhofer Institut für Materialfluss beim Businessplan, bei Förder- oder Patentanträgen. Es und Logistik IML. Hinzu kommen die benachbarte Techni- übernimmt Empfangs- und Telefonservice, Facility Ma- sche Universität (TU) und die Fachhochschule (FH) Dortmund nagement, organisiert Messebeteiligungen, Personaltrans- mit zusammen rund 50 000 Studierenden, das Max-Planck- fer und vieles mehr, um den zügigen Transfer von Ideen in Institut für molekulare Physiologie, das Leibniz-Institut für marktfähige Produkte zu ermöglichen. Immer neuen Nach- Analytische Wissenschaften ISAS sowie zwei Dutzend weite- wuchs findet das TZDO in einem Gründerwettbewerb, bei re Institute auf dem 420 Hektar großen Wissenschafts- und dem zweimal jährlich die jeweils besten Start-ups ange- Technologiecampus Dortmund. Ein gigantisches Potenzial. sprochen und eingeladen werden, sich im Technologiepark anzusiedeln. „Silicon Dortmund“, die Vision aus den Gründungsjahren des Technologiezentrums, ist so längst Realität geworden, ähn- Zu den bekannten TZDO-Schwerpunkten zählen Logistik-IT, lich wie in Berlin oder Aachen, wo in den 1980er-Jahren ver- Mikrosystemtechnik, Umwelttechnologie, Elektromobili- gleichbare Zentren entstanden. Dem ursprünglichen Image- tät, Produktions- und Fertigungstechnologie. Doch die The- vorsprung der Konkurrenten hatte Dortmund eigene Vorteile men ändern sich. „Wer weiß schon, ob Produktionstech- entgegenzusetzen – etwa die weite „grüne Wiese“ neben einer nik in fünf Jahren noch à jour ist“, sagt Guido Baranowski. technisch orientierten Universität, die Lage am Autobahn- „Deshalb beobachten wir die Entwicklungen genau.“ Ein ak- kreuz A40/A45 und engagierte Antreiber wie Baranowski. tueller Fokus seiner Arbeit liegt auf Biomedizin – und das schon lange vor der Corona-Krise. „Wir holen gerade junge „Das TZDO fördert neue, zukunftsweisende Technologie- Biotech-Firmen aus ganz Deutschland in unser Biomedizin und Wirtschaftsprozesse“, erklärt der Ehrenvorsitzende des Zentrum Dortmund, sogar aus Bayern und Berlin“, freut Bundesverbandes der Technologiezentren. „Wir entdecken sich der TZDO-Geschäftsführer. Start-ups, geben ihnen jede Hilfe, um loszulegen, und bieten dann ideale Wachstumsbedingungen im Technologiepark.“ Und das Beste: Auch wenn Firmen nach Jahren den Kokon Gesellschafter des TZDO sind Dortmunder Kreditinstitute, des Technologieparks verlassen, um noch stärker zu wach- die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer, sen, bleiben sie meist in der Region. Baranowski: „Die gut 400 die TU und die FH, vor allem aber die Stadt Dortmund mit Unternehmen, die über die Jahre bei uns ausgezogen sind, 46,5 Prozent der Anteile. tragen weiterhin kräftig zum Strukturwandel bei.“ //
TRANSFERTAGUNG: BEST PRACTICE I DUZ TRANSFER 05/20 I 45 Foto: HMS / Matthias Sasse BACKEN, KELTERN, UMWELTSCHUTZ Was hilft Unternehmen dabei, innovativer und attraktiver für Auszubildende zu werden – gerade in strukturschwachen Regionen? Ein Projekt an der Hochschule Magdeburg-Stendal geht dieser Frage nach Halloren-Kugeln, Rotkäppchen-Sekt, Wikana-Kekse, Ab- thi, Abtshof Magdeburg, Nordbrand, die Rotkäppchen- sinth 66 – an kulinarischen Kultmarken herrscht in Mumm Sektkellereien und die Winzervereinigung Sachsen-Anhalt kein Mangel. Mit elf prominenten Lebens- Freyburg-Unstrut. mittelherstellern arbeitet eine Projektgruppe um den Wirt- schaftsinformatiker Prof. Dr. Michael Herzog in einem Mo- „Das Interesse war riesig. Denn hier in Sachsen-Anhalt, ge- dellversuch namens „Nachleben“ zusammen. Ihr Thema: rade auf dem Land, herrscht ein großer Mangel an Auszu- Nachhaltigkeit in Lebensmittelberufen. bildenden“, erklärt Michael Herzog. „Ein Vorteil der Produk- tion in strukturschwachen Regionen wie der Altmark sind Herzog befasst sich an der Hochschule Magdeburg-Stendal oft sehr günstige Produktionsbedingungen. Doch um Nach- mit technisch basierten Lehr- und Lernmethoden. Im Pro- wuchs anzuziehen, muss man besonders attraktive Ausbil- jekt Nachleben entwickelt er Lernmodule für Auszubilden- dungsinhalte anbieten. Themen, die interessieren – so wie de der Lebensmittelberufe. Herzog: „Die Module sollen die Umwelt- und Klimaschutz.“ jungen Leute anregen, ökologische Fragen mitzudenken und herkömmliche Herstellungs- und Vertriebsprozesse Am Anfang der Projektarbeit standen Interviews: Wie ste- zu hinterfragen.“ Die interaktiven Lehr- und Lernmodule hen die Führungskräfte zum Thema Nachhaltigkeit? Wo für Süßwarentechnologie, Lebensmitteltechnik, Brenne- wünschen sie sich Denkanstöße? Dann gingen Forscher und rei, Destillation und Weintechnologie werden zunächst Auszubildende durch die Betriebe und sammelten Ideen für den beteiligten Betrieben in Sachsen-Anhalt, ab 2021 dann Lernmodule, die demnächst von Auszubildenden und Leh- deutschlandweit zur Verfügung stehen. Dafür engagiert renden getestet werden. Die Module können Erklär-Videos sich das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) „in bemer- beinhalten, Berechnungen der CO2-Bilanz von Produktzuta- kenswertem Ausmaß“ für das Projekt, wie Herzog feststellt. ten oder interaktive Anleitungen für die Suche nach Ener- giesparpotenzial im Betrieb. „Zwei Drittel des Projekts liegen jetzt hinter uns“, sagt Mi- chael Herzog. „Die Interviews sind gemacht, viele Videos gedreht. Nun geht es darum, die Module auf die Lernplatt- form Cosito zu setzen, die an der Otto-von-Guericke-Uni- versität Magdeburg entwickelt wurde.“ Für Mai/Juni dieses Jahres sind die ersten Praxistests geplant. Foto: HMS / Matthias Sasse Am Ende des Projekts – im Frühjahr 2021 – sollen praxis taugliche, Tablet-optimierte Produkte stehen, die den Be- dürfnissen der Auszubildenden und ihrer Lehrbetriebe ent- gegenkommen und die eines ihrer Hauptprobleme lösen: „Die Betriebe in Sachsen-Anhalt sind oft extrem weit von Auch die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist den Berufsschulen entfernt. Da ist zeit- und ortsunabhän- an Nachleben beteiligt, ebenso wie diverse Industrie- und giges Online-Lernen perfekt“, so Herzog: „Die Digitalisie- Handelskammern sowie Nahrungsmittelverbände. Zu den rung ist eine Chance für strukturschwache Regionen. Was elf Praxispartnern zählen Bodeta, Halloren, Henglein, Ka- sie dann noch brauchen, ist eine gute Datenanbindung.“ //
46 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG: BEST PRACTICE Foto: HSHL NACHHALTIGKEIT FÜR DIE REGION In einem Projekt an der Hochschule Hamm-Lippstadt erarbeiten Studierende Konzepte für den Einzelhandel und Unternehmen vor Ort „Nachhaltigkeit bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die genseitiges Profitieren von Wirtschaft und Hochschule: ökonomische, soziale und ökologische Aspekte zusammen- „Vielfach gehen Einzelhändler im Tagesgeschäft auf und bringen“, sagt Prof. Dr. Judith Maja Pütter von der Hoch- haben wenig Zeit für übergreifende Themen“, so Olk. „Die schule Hamm-Lippstadt. Theoretisch ganz einfach. Aber Untersuchung hat uns als Wirtschaftsförderung wichtige was heißt das in der Praxis? „Vor Ort fehlt Organisationen Erkenntnisse geliefert, auf deren Basis wir sicher weitere oder Unternehmen oft die Zeit für derartige Fragen. Da Ideen kreieren werden.“ Wenn Judith Maja Pütter das Pro- können Hochschulen wertvolle Unterstützung leisten“, so jektseminar im Wintersemester erneut abhält, erwartet sie Pütter. denn auch „einige Wiederholungstäter auf Unternehmens- seite: Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit nehmen die Fir- Im Projektseminar „Sustainability Management“ hat die men der Region jede Hilfe begeistert an.“ Professorin für Betriebswirtschafslehre mit den Schwer- punkten Strategisches Management und Unternehmens- Und davon wird künftig noch mehr kommen: Gemeinsam führung genau das getan: Um praxistaugliche Lösungs- mit zwei Kollegen baut Pütter derzeit den Forschungs- vorschläge zu erarbeiten, ließ sie Studierende erkunden, schwerpunkt „Nachhaltigkeit und Digitalisierung“ auf. Ent- was den öffentlichen Nahverkehr in der Region attraktiver sprechende Drittmittelanträge sind in Arbeit. // machen oder wie ein nachhaltiges Ladenkonzept für den Lippstädter Textil-Einzelhandel aussehen könnte. So wur- den die Modegeschäfte gefragt, was sie mit nicht verkauf- ten Artikeln wie Retouren oder Ausstellungsware anfangen und wie nachhaltig der Beschaffungs- und Bestellprozess bislang abläuft. Projektpartner waren die Großbäckerei Kuchenmeister, der Hofladen Bauer Engels, das Studierendenwerk Pa- derborn, die RLG Regionalverkehr Ruhr-Lippe GmbH, die Stadt Rietberg, der Metallverarbeiter Pöttker und die Wirt- schaftsförderung Lippstadt. „Sie stellten die Aufgaben, lie- ferten Input und begleiteten die Studierenden durch das Projekt“, erklärt Pütter. Deren Aufgabe war es dann, weit- gehend selbstständig Nachhaltigkeitsberichte, Bedarfsstu- dien, Event-, Mehrweg-, Logistik- oder Marketingkonzepte zu erarbeiten. Foto: HSHL Josie Olk, die das Projekt vonseiten der Wirtschaftsförde- rung koordinierte, sieht darin ein ideales Beispiel für ge-
STRATEGIEENTWICKLUNG I DUZ TRANSFER 05/20 I 47 „TRANSFER UND KOOPERATION MÜSSEN ZUR CHEFSACHE WERDEN“ Vor fünf Jahren hat der Stifterverband sein Transfer-Audit gestartet. Hochschulen können mit dem Instrument ihre Kooperations- und Transferstrategie weiterentwickeln. Im DUZ Transfer-Interview zieht Andrea Frank Zwischenbilanz INTERVIEW: RAINER DETTMAR Frau Frank, Ihr Transfer-Audit soll Hochschulen helfen, Kooperationen und Transfer zu stärken. Seit wann läuft das Programm und wer ist dabei? Der Stifterverband hat das Transfer- Audit 2015 gemeinsam mit fünf Pilot- Hochschulen und der Heinz Nixdorf Stiftung entwickelt. Nach der Pilot- phase nahmen alle Hochschulen aus Brandenburg und Rheinland-Pfalz teil, dazu zehn aus Nordrhein-Westfalen und vier aus Thüringen. Mittlerwei- le haben wir das Verfahren an 49 In- stitutionen durchgeführt. Ein Jahr nach Abschluss eines Transfer-Audits ANDREA FRANK befragen wir die Hochschulen: Was Foto: David Ausserhofer leitet das Aktionsfeld konnte von den Empfehlungen um- gesetzt werden? Wo gab es besondere Wissenschaft beim Herausforderungen und was hat sich Stifterverband in Berlin. unabhängig vom Audit entwickelt? 29 Hochschulen waren das bis jetzt. Sind nicht vor allem solche ten setzen wollen. Grundlage für das men. So schafft es einen sehr großen Hochschulen beteiligt, die auf Audit sind immer die Ziele, die eine Mehrwert für alle Beteiligten – egal, dem Transfer-Weg schon weit Hochschule sich selber setzt – und wo die Hochschule im Prozess steht. gekommen sind? diese orientieren sich natürlich an Wichtig ist mir noch: Wir bewerten Nein, wir sehen im Transfer-Audit die dem Entwicklungsstand. Leitgedanke die Hochschulen nicht, wir begleiten ganze Bandbreite: Hochschulen, die ist: Der Weg ist das Ziel. sie. Wir, das sind fünf externe Audito- sich auf den Weg machen und ihre Ak- ren. Sie kommen als kritische Freunde tivitäten erst einmal sortieren. Aber Ein Transfer-Audit gibt Zeit und Raum an die Hochschulen und bringen ihre auch sehr profilierte Hochschulen, die für die Auseinandersetzung mit dem Erfahrungen und ihren externen Blick ihre Stärken gezielt ausbauen, ihre Handlungsfeld Transfer und Koope- in die Diskussionen ein. Die Hoch- Wissenschaftlerinnen und Wissen- ration. Es bringt die Akteurinnen und schule gewinnt also ein engagiertes schaftler mobilisieren oder Prioritä- Akteure in den Hochschulen zusam- Team externer Ratgeber.
48 I 05/20 DUZ TRANSFER I STRATEGIEENTWICKLUNG Was ist Ihre zentrale Erkenntnis terstützt werden. Aber Hochschulen – gemeinsam mit Hochschulen und aus den bisherigen brauchen auch verlässliche Ressour- Forschungseinrichtungen. Das Projekt Transfer-Audits? cen, um unabhängig von Förderzyklen leistet einen Beitrag zur Erfolgs- und Vor allem drei Botschaften habe ich ihre eigene Strategie zu entwickeln. Leistungsmessung im Handlungs- mitgenommen. Erstens: Die Profes- Gerade an den Hochschulen für an- feld Transfer. Bei der Darstellung der sionalisierung im Handlungsfeld ist gewandte Wissenschaften stellt sich Leistungen und Erfolge sehen wir überall zu beobachten und sehr dyna- diese Ressourcenfrage unserer Beob- vor allem drei Herausforderungen. misch. An den Hochschulen werden achtung nach besonders scharf. Erstens: Bisher fokussiert die Leis- Transfer und Kooperation strategisch tungsmessung auf Indikatoren für relevanter und sichtbar. Sie werden Was halten Sie von dem Begriff den klassischen Technologietransfer. stärker wertgeschätzt. Und es gibt „Third Mission“, der die Etablie- eine intensive Auseinandersetzung rung von Transfer als drittem Zweitens: Im erweiterten Wissens mit den Erwartungen der Gesellschaft Hochschulstandbein neben transfer gibt es keinen Konsens zu an Hochschulen. Zweitens sehen wir, Forschung und Lehre bezeichnet? geeigneten quantitativen und quali- dass sich der klassische Technologie- Wir sprechen lieber von Transfer und tativen Indikatoren für die systema- transfer verändert, dass sich Koope- Kooperation mit externen Praxispart- tische Erfassung der entsprechenden rationen öffnen. Co-Creation, also die nern oder einem Wissensaustausch Erfolge und Leistungen. frühe Einbindung externer Partner auf Augenhöhe. Wichtig ist uns auch, aus Wirtschaft, Kultur, Politik und Transfer als Teil von Forschung und Und schließlich: Die Wirkungsdimen- Zivilgesellschaft sowie das gemeinsa- Lehre zu verstehen. Entscheidend ist sion von Wissens- und Technologie- me Entwickeln von Forschungsfragen aber nicht, welche Begrifflichkeiten transfer findet in der Indikatorik noch und Lösungen, nimmt zu. Und schließ- der Stifterverband gut findet. Wichtig keine Berücksichtigung. Hier setzt lich: Die Transfer- und Kooperations- ist, dass jede Hochschule ihr eigenes die Initiative Transferbarometer an. aktivitäten in den Geistes-, Sozial- und Transferverständnis entwickelt: Was Gemeinsam mit der Stiftung Merca- Kulturwissenschaften sind vielfältig, gehört für eine Hochschule dazu, was tor und der Helmholtz-Gemeinschaft meist noch unentdeckt, aber oft sehr nicht und wo will sie Stärken ausbau- möchten wir diesen Indikatorenbau- wertvoll für die Profilentwicklung von en. Dieses Transferverständnis kann kasten zusammen mit ausgewählten Hochschulen. Diese Aktivitäten als sich je nach Fächerspektrum, Stand- Hochschulen und außeruniversitären Hochschule noch stärker zu unter- ort und Kooperationspartner unter- Forschungseinrichtungen entwickeln stützen und sichtbar zu machen – da scheiden. und erproben. Im Frühsommer geht bleibt noch viel zu tun. es los. Wie stehen Sie dann zur Wie lautet heute Ihre wichtigste Forderung nach einer „Deutschen Und wie geht es mit den Audits Empfehlung zur Stärkung des Transfergemeinschaft“ als weiter? Handlungsfeldes Transfer? Äquivalent zur DFG? Wir freuen uns über jedes neue Bun- Transfer und Kooperation zur Chef- Hinter dem Vorschlag verbergen sich desland und jede Hochschule, die hin- beziehungsweise Chefinnensache nach meiner Wahrnehmung unter- zukommen möchten. Dieses Jahr wer- zu machen! Es braucht Sichtbar- schiedliche Konzepte. Für mich war den das noch einige sein. Der Erfolg keit, transparente Ziele zur Orientie- immer ein wichtiger Gedanke dabei, des Transfer-Audits hat sich scheinbar rung, Ressourcen und ein deutliches dass es mehr öffentliche Ressourcen herumgesprochen. // Bekenntnis der Hochschulleitung. braucht für anwendungsorientierte Transfer und Kooperation müssen in Forschungs- und transferorientier- Forschung und Lehre mitgedacht sein. te Lehraktivitäten, speziell auch mit Sie brauchen Experimentierfreude für neue Formate der Zusammenarbeit. Partnern jenseits der Industrie – aus der Kultur, Sozialwirtschaft oder WEITERE INFOS Dann werden Aktive motiviert, Struk- Zivilgesellschaft. Viele Aktivitäten Die Ausgabe 03/20 von DUZ turen und Services entwickelt. Dann an Hochschulen, die wir in diesem gibt es die Chance für eine lebendige Bereich gesehen haben, sind nicht Wissenschaft & Management Kooperationskultur. drittmittelrelevant und scheitern an widmet sich unter dem Titel fehlenden Ressourcen. Wirtschaft- „Transfer strategisch verankern“ Welche Unterstützung brauchen lich oder gesellschaftlich sind sie aber ausführlich dem Transfer- die Hochschulen, um ihre Struk- durchaus relevant. Audit und den daraus erfolgten turen transferfreundlicher zu gestalten? Mitte 2020 soll Ihr Projekt Trans- Schlussfolgerungen für das Die Hochschulen können viel selbst ferbarometer starten. Was genau Handlungsfeld Transfer und tun: Sie können Prioritäten setzen ist das? Kooperation. und Strukturen und Services so aus- Im Kern geht es in dem Projekt da- Mehr dazu: www.stifterverband.org/ richten, dass transferaktive Wissen- rum, einen Indikatorenbaukasten kooperative-hochschule schaftlerinnen und Wissenschaftler für unterschiedliche Transferpro- sowie die externen Praxispartner un- file zu entwickeln und zu erproben
Foto: Maruzhenko Yaroslav / 123rf.com EINE CHANCE FÜR ABSOLVENTEN Wie blicken Senior-Unternehmer auf die eigene Unternehmensübergabe? In einer Studie fand Andy Junker von der htw saar heraus: Die Risiken werden unterschätzt. Für Absolventen aber könnten sich Chancen ergeben Rund 150 000 deutsche Unternehmer Junker: „In der hohen emotionalen auf sich aufmerksam machen.“ Durch werden im Zeitraum 2018 bis 2022 einen Bindung des Übergebers liegt auch die die frühzeitige Einbindung in für das Nachfolger suchen. Weil das nicht im- Schwierigkeit begründet, einen realisti- Studium und das Unternehmen ver- mer klappt, könnten nach Berechnung schen Unternehmenswert zu kalkulie- wertbare Projekte könne „ein beidersei- des Instituts für Mittelstandsforschung ren, was häufig dazu führt, dass gerade tiges Kennenlernen von Studierenden Bonn (IfM) rund acht Prozent der Unter- die Eigentümer den Wert ihres Unter- und Unternehmen erreicht werden, nehmen liquidiert werden. 33 500 Ar- nehmens zu hoch einschätzen.“ Un- um den Nachfolgeprozess erstens früh- beitsplätze und hohe Vermögenswerte terschiedliche Kaufpreisvorstellungen zeitig einzuleiten und um ihn zweitens würden verloren gehen. rühren oft daher, dass der Übergeber ökonomisiert bewältigen zu können“. In ausrechnet, was er für den Ruhestand der Veranstaltung „Praxisprobleme der Wie sehen saarländische Senior-Unter- benötigt, der Übernehmer aber maxi- Unternehmensnachfolge“ der htw saar nehmer die Chancen und Risiken der mal so viel zahlen möchte, wie er finan- etwa dürfen Studierende reale Fallstu- Übergabe ihrer Unternehmen? Dr. Andy ziert bekommt. dien lösen. Die besten davon werden vor Junker, Professor für Rechnungswesen, ausgewählten Unternehmern präsen- Mittelstand und Unternehmensnach- Um dies zu vermeiden, gibt Junker Un- tiert, die so potenzielle Nachfolger ken- folge an der Hochschule für Technik und ternehmern drei Empfehlungen: „Die nenlernen können. Für die Absolventen Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Nachfolgeentscheidung frühzeitig tref- wurde ein Phasenmodell mit Kennen- hat sie gefragt. Klares Ergebnis seiner fen und mit Nachdruck systematisch lern-, Anspar- und Umsetzungsphase Studie: „Die Risiken einer Unterneh- verfolgen. Unabhängige Berater einbe- entwickelt, um im Vorfeld einer Unter- mensnachfolge werden unterschätzt.“ ziehen. Und rechtzeitig Maßnahmen für nehmensnachfolge Details wie den zu die Erhaltung des Unternehmenswertes erwartenden Kaufpreis festzuhalten. Laut Junker haben 70 Prozent der be- einleiten.“ Ein Vertrag, der auch eine Exit-Option fragten Unternehmer „keine verbindli- vorsieht, regelt das Kennenlernen der chen Regelungen getroffen, obwohl das Zudem empfiehlt die Studie eine enge- Partner und die sukzessive Überleitung Thema in ihren Köpfen präsent ist.“ Eine re Verknüpfung von Unternehmer und von Kompetenzen. mögliche Ursache sieht der Ökonom in Hochschule. Junker: „Fehlende gegen- „typischen Problemfeldern“. So sei es seitige Information lässt Unternehmer In der Motivation von Hochschulabsol- für Übergeber schwierig, den Prozess oftmals den Nachwuchskräftemangel venten für eine Unternehmensnach- in seiner Gesamtheit zu überblicken, anprangern. Umgekehrt sehen Absol- folge sieht Junker eine Doppelchance: den zeitlichen Vorlauf zu planen und venten ein mittelständisches Unter- „Jungen Menschen eine Karrieremög- „die emotionale Bindung an das eigene nehmen nicht als potenziellen Arbeit- lichkeit aufzuzeigen und übergabewil- Unternehmen nicht vor eine sachliche geber, da diese Unternehmen mangels ligen Unternehmern ihr Lebenswerk zu Diskussion zu stellen“. Öffentlichkeitsarbeit oftmals zu wenig erhalten.“ //
50 I 05/20 DUZ TRANSFER I XXXXXX Foto: The Beatboy / unsplash.com WIRTSCHAFT TRIFFT HOCHSCHULE Smarte Produktion in Mittelhessen, Seetransporte aus Bremerhaven, Innovation und Export in Baden-Württemberg – Wirtschaftswissenschaftler richten ihre Forschung zunehmend nach den Bedürfnissen regionaler Unternehmen aus frachtdokumenten – und um die Frage, wie ein ökologisch Hochschule Bremerhaven: nachhaltiger Transport dieser Dokumente aussehen müss- Seefrachtbriefe per Blockchain te. Projektpartner sind der SAP-Dienstleister abat, das Logistikunternehmen Kühne + Nagel, die DZ Bank und die Millionen von Autos, Maschinen und anderen teuren R+V Versicherung. Das Gesamtprojekt hat ein Finanzvolu- Gütern werden jedes Jahr über die Weltmeere transpor- men von rund 250 000 Euro. Die BIS Wirtschaftsförderung tiert. Damit Importeure ihre Ware und Exporteure ihr Geld Bremerhaven unterstützt es aus dem Senats-Förderpro- risikofrei erhalten, werden Dokumente als Sicherheiten gramm „Angewandte Umweltforschung“ und mit Mitteln ausgetauscht. Diese „Seefrachtkonnossemente“ (englisch: des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). bills of lading) geben an, was genau transportiert wird und wer der Empfänger ist. Rund 400 Millionen dieser „Wir wollen die richtige Technik finden, um den Transport Papiere werden jährlich erstellt. Der Durchschnittswert so sicher und den CO2-Fußabdruck so klein wie möglich zu einer Seefrachtsendung liegt bei 1,5 Millionen US-Dollar. machen“, erklärt Wieske. Aktuell konzentriert sich econbil Entsprechend wichtig sind die Wertpapiere, die per Ku- dabei auf Blockchain-Technologien, in der verschlüsselte rier versandt werden – etwa vom Containerterminal in Datensätze auf viele Rechner verteilt werden. Wieske: „Das Bremerhaven zur Bank nach Bremen und weiter mit dem Projekt soll Schnelligkeit, Sicherheit und ökologische Vor- Flugzeug nach Shanghai, dann mit dem Auto zur chinesi- bildfunktion am Hafenplatz Bremerhaven stärken. Außer- schen Bank und zurück zum Container in den Hafen. dem wollen wir das Innovationspotenzial der Blockchain prüfen und die Technologie als ökologische Alternative „Überall kommunizieren wir elektronisch, nur die See- weiterentwickeln.“ fracht-Wertpapiere werden analog transportiert“, sagt Prof. Dr. Thomas Wieske vom Institut für Logistikrecht & Doch die Blockchain hat ein Problem: ihren relativ hohen Riskmanagement (ILRM) der Hochschule Bremerhaven. Energieverbrauch, da lange Datensätze auf zahlreichen „Doch die Digitalisierung wird kommen.“ Rechnern dafür nötig sind. Julian Neugebauer, wissen- schaftlicher Mitarbeiter, der in seiner Bachelor-Arbeit Im Projekt „Electronical Cosignment Note and Bill of untersucht hat, welchen CO2-Fußabdruck der Austausch Lading (econbil) – Sustainability in Seafreight“ kümmert von Blockchain-Dokumenten hinterlassen würde, fand sich Wieske bis Mai 2021 um die Digitalisierung von See- keinen großen Unterschied zum analogen Versand der
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