DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN

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DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
DUZ TRANSFER
        WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN

Strukturschwache
Regionen
brauchen
starke
Hochschulen
DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
36 I 05/20 DUZ TRANSFER I EDITORIAL

EDITORIAL
                                                              Mit dem Beginn des Jahres 2020, das so dramatisch vom Coronavirus geprägt ist, hat
                                                              nach über fünf Jahren außerordentlich erfolgreicher Aufbauarbeit Prof. Dr. Hans-­
                                                              Hennig von Grünberg zum 1. März den Vorsitz der Hochschulallianz für den Mittelstand
                                                              (HAfM) abgegeben. Er hat die HAfM mit seinem Tatendrang, seinen Ideen und seiner
                                                              unnachahmlich sprühenden Art geprägt. Legendär waren seine Zusammenfassun-
                                                              gen unserer Transferkonferenzen, in denen er mit Countdown-Zähler die Inhalte ein-
    Foto: Tim David Müller-Zitzke

                                                              schließlich einer tiefgründigen Diskussion für alle Beteiligten nochmal in zehn Minu-
                                                              ten lebendig gemacht hat.

                                                              Für die vorliegende fünfte Ausgabe von DUZ Transfer hat Hans-Hennig von Grünberg
                                                              die Ergebnisse der vierten Transferkonferenz der HAfM noch einmal auf den Punkt
                                                              gebracht. Doch diese Ausgabe gewährt Ihnen noch weitere vielfältige Einblicke in die
                            Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff   Ergebnisse und beleuchtet die These „Strukturschwache Regionen brauchen starke
                          Der Rektor der Hochschule Bre-
                                                              Hochschulen“ der vierten Transferkonferenz der HAfM mit unterschiedlichen Blick-
                          merhaven hat zum 1. März 2020
                          den Vorstandsvorsitz der Hoch-      richtungen. Die Transferaktivitäten von Hochschulen für angewandte Wissenschaften
                           schulallianz für den Mittelstand   werden darüber hinaus anhand konkreter Projekte und Beispiele aus den Hochschulen
                                             übernommen.      aufgezeigt. Dabei wird das vielfältige Spektrum deutlich und erlebbar.

                                                              Als neuer Vorstandsvorsitzender freue ich mich, den Geist der HAfM weiterführen zu
                                                              dürfen. Es ist der HAfM bereits gelungen, Themen von den Hochschulen für angewandte
                                                              Wissenschaften ins Bewusstsein zu bringen und eine breite öffentliche Wahrnehmung
                                                              dafür zu erzielen. In meiner Amtszeit soll die Transferorientierung und insbesondere
                                                              das zentrale Thema der HAfM, die Mittelstandsorientierung, noch deutlich stärker fo-
                                                              kussiert werden. Die Hochschulen sind die zentralen Partner für Innovationsprozesse
                                                              in den Regionen und damit auch für den Mittelstand. Dies müssen, können und werden
                                                              die Hochschulen noch sichtbarer machen. Dazu bietet dieses Heft bereits interessante
                                                              Einblicke – weitere werden folgen.

                                                              Ich wünsche Ihnen spannende Impulse. Bleiben Sie gesund!
                                                              Ihr Peter Ritzenhoff

INHALT
37 SCHLÜSSELFAKTOR BILDUNGSLAND-                                 44 BEST-PRACTICE-BEISPIELE VON DER        Stifterverbands: Im Interview zieht
SCHAFT                                                           TRANSFERTAGUNG                            Andrea Frank eine Zwischenbilanz
Die unterschiedlichen Problemlagen                               Das Technologie Zentrum Dortmund
in strukturschwachen Räumen hat                                  ebnet den Weg für Hightech-               49 CHANCEN FÜR ABSOLVENTEN
jüngst eine IW-Studie untersucht.                                Start-ups und innovative                  Wie blicken Senior-Unternehmer auf
Hochschulen spielen eine entschei-                               Unternehmen. Ein Projekt an der           die Unternehmensübergabe? Befunde
dende Rolle bei der Stärkung der                                 Hochschule Magdeburg-Stendal will         einer Studie der htw saar
Regionen, meint Klaus-Heiner Röhl                                Unternehmen helfen, attraktiver
                                                                 für Auszubildende zu werden. Und          50 WIRTSCHAFT TRIFFT HOCHSCHULE
40 MISSION TRANSFER                                              an der Hochschule Hamm-Lippstadt          Wirtschaftswissenschaftler richten
Wenn Hochschulen strukturschwa-                                  erarbeiten Studierende Konzepte für       ihre Forschung zunehmend nach den
chen Regionen wirkungsvoll helfen                                den Handel und Unternehmen vor Ort        Bedürfnissen regionaler Unterneh-
sollen, muss die anwendungsorien-                                                                          men aus – vier Beispiele
tierte Forschung gestärkt werden.                                47 „TRANSFER UND KOOPERATION MÜS-
Nachlese zur vierten Berliner Trans-                             SEN ZUR CHEFSACHE WERDEN“                 53 NEUER VORSTAND DER HAFM
ferkonferenz                                                     Fünf Jahre Transfer-Audit des             54 IMPRESSUM
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XXXXXXXXX I DUZ TRANSFER 05/20 I 37

SCHLÜSSELFAKTOR
BILDUNGSLANDSCHAFT
Die unterschiedlichen Problemlagen in strukturschwachen Räumen hat
jüngst eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft untersucht.
Hochschulen spielen eine entscheidende Rolle bei der Stärkung der
Regionen, meint der Mitautor der Studie Klaus-Heiner Röhl

GASTBEITRAG: KLAUS-HEINER RÖHL
Seit mehreren Jahren wird verstärkt die Frage diskutiert,    DEMOGRAFISCHES STADT-LAND-GEFÄLLE
ob der regionale Zusammenhalt in Deutschland gefährdet
ist. Die zunehmende Konzentration der Bevölkerung und        Woher rührt also der Glaube vieler Menschen – und vor
die Verortung digitaler Unternehmen in den Ballungsräu-      allem der Kommentatoren in den Medien – dass die Repu-
men befeuerten das Narrativ von den zurückbleibenden         blik eine zunehmende Spaltung in prosperierende Städte
ländlichen Räumen, die „abgehängt“ oder zumindest            und verarmende ländliche Regionen erlebe? Einen Hinweis
davon bedroht seien. Die empirische Analyse der regiona-     darauf gibt die Demografie: Anders als für die genannten
len Entwicklung in Deutschland zeigt allerdings ein sehr     Wirtschaftsindikatoren lässt sich für die Bevölkerungsent-
differenziertes Bild. Ein Auseinanderdriften urbaner und     wicklung tatsächlich eine Spaltung zwischen Stadt und Land
ländlicher Regionen wird für wirtschaftliche Kernkriteri-    konstatieren. Mit der Konzentration der Bevölkerung seit
en wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner, die      der Jahrtausendwende in den urbanen Regionen – genauer
kaufkraftbereinigten Einkommen oder die Arbeitslosen-        in etwa 35 beliebten Groß- und Universitätsstädten – ging
quote nicht bestätigt. Vielmehr zeigt sich für diese Indi-   eine Verjüngung einher, während die Alterung der ländli-
katoren der wirtschaftlichen Lage sogar eine Konvergenz      chen Räume sich spiegelbildlich beschleunigt hat. Haupt-
der verschiedenen Regionstypen in Deutschland. Insbe-        grund hierfür ist, dass vor allem junge Menschen in die
sondere für das BIP sind divergierende Entwicklungen         Großstädte wandern. Hierbei spielt die Arbeitsmigration für
der Wirtschaftskraft, die die aktuelle Diskussion prägen,    die Wahl des ersten Arbeitsplatzes, aber noch stärker die
statistisch nicht feststellbar.                              Bildungsmigration die entscheidende Rolle. Während also
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38 I 05/20 DUZ TRANSFER I GASTBEITRAG

                                        viele Großstädte wachsen und es zu Engpässen auf
                                        dem Wohnungsmarkt kommt, verlassen gerade junge
                                        Menschen ländlich geprägte oder strukturschwache
                                        Regionen.

                                        Der positive Befund, der sich aus der Analyse der
                                        meisten Regionalindikatoren ergibt, könnte daher
                                        durchaus eine etwas trügerische Momentaufnahme
                                        sein. Gerade in Ostdeutschland sind die Einwohner-
                                        verluste in den letzten drei Jahrzehnten in vielen Re-
                                        gionen beträchtlich und im ländlichen Raum fehlen
                                        dort junge Menschen, die selbst Kinder bekommen
                                        könnten. Dabei hält die Abwanderung immer noch
                                        an – nun allerdings nicht mehr auf Westdeutschland,
                                        sondern auf die attraktiven Städte der neuen Bundes-
                                        länder wie Leipzig, Rostock oder Jena gerichtet. Feh-
                                        len in den ländlichen Regionen aber junge Menschen,
                                        werden sie unattraktiv für Unternehmensansiedlun-
                                        gen und die Wirtschaftskraft leidet über kurz oder
                                        lang. Die günstige Entwicklung von Arbeitslosigkeit
                                        und der Wirtschaftskraft je Einwohner im Osten ist
                                        zum Teil auf die Abwanderung zurückzuführen, da sie
                                        gemeinsam mit der Verrentung stärkerer Jahrgänge
                                        die Verknappung von Arbeitskräften befördert.

                                        REGIONAL UNTERSCHIEDLICHE PROBLEMLAGEN

                                        Zudem gibt es eine Reihe von Regionen in Deutsch-
                                        land, die trotz genereller wirtschaftlicher Konvergenz
                                        erhebliche Probleme aufweisen. Allerdings unter-
                                        scheiden sich die jeweiligen Problemlagen, sodass
                                        man nicht pauschal von zurückbleibenden oder gar
                                        abgehängten Regionen sprechen kann. Das Institut
                                        der deutschen Wirtschaft hat in einer umfassenden
                                        Regionalstudie (siehe Literaturhinweis rechte Seite
                                        unten) diese Problemlagen herausgearbeitet. Jenseits
                                        der genannten demografischen Probleme, die neben
                                        den meisten ländlichen Regionen Ostdeutschlands
                                        auch periphere Regionen im Westen betreffen, gibt
                                        es städtische Problemregionen, die am allgemeinen
                                        Boom der Metropolen und Hochschulstädte in den
                                        letzten 20 Jahren nicht teilhatten. An erster Stelle ist
                                        hier das Ruhrgebiet zu nennen, mit 5,1 Millionen Ein-
                                        wohnern immer noch der größte deutsche Ballungs-
                                        raum. Aber auch infrastrukturell sind eine Reihe von
                                        Regionen schlecht aufgestellt, obwohl der Ausbau
                                        regionaler Verkehrswege seit Jahrzehnten zum
                                        Kanon regionalpolitischer Maßnahmen zählt. Ein
                                        besonderes Problem ist dabei die digitale Infrastruk-
                                        tur – viele weniger dicht besiedelte Regionen in Ost-
                                        und Westdeutschland sind tatsächlich noch abge-
                                        hängt, wenn man sich die Versorgung mit schnellen
                                        Breitbandnetzen anschaut. Ohne eine gute digitale
                                        Anbindung ist die Ansiedlung innovativer Wachs-
                                        tumsunternehmen aber kaum vorstellbar. Daneben
                                        gibt es auch eine Reihe ländlicher Regionen, die zwar
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GASTBEITRAG I DUZ TRANSFER 05/20 I 39

„Die betroffenen Regionen sind oft bereits
seit Jahrzehnten Fördergebiet, sodass eine
durchgreifende Verbesserung der Lage neue
Antworten erfordert“

nicht zurückfallen, aber aufgrund fehlender wertschöpfungs-      ihrem Start zum Teil noch in ihre Rolle als Fokus für regionale
starker Unternehmen wirtschaftsschwach sind. Zum Teil tritt      Innovationsnetzwerke und „Anker“ für junge Menschen in
dies mit einer ungünstigen demografischen Struktur und/          der Region hineinwachsen. Zwar werden Schulabsolventen,
oder schlechter Infrastruktur kombiniert auf. Hier wären         die zum Studium an einen Hochschulstandort außerhalb der
zum Beispiel die Küstenregionen Schleswig-Holsteins und          Metropolen gehen, weniger häufig als in den großen Universi-
Teile von Rheinland-Pfalz zu nennen.                             tätsstädten am Ausbildungsort verbleiben. Doch die Chancen,
                                                                 dass sie entweder am kleinstädtischen Bildungsort „Wurzeln
BENÖTIGT WERDEN DIFFERENZIERTE REGIONALPOLITSICHE                schlagen“ oder in ihre ländliche Heimatregion zurückkehren,
ANTWORTEN                                                        dürften weit höher sein, als wenn sie zum Studium in eine
                                                                 Großstadt gezogen sind.
Wie könnte eine regionalpolitische Antwort auf die geschil-
derten Probleme aussehen? Die betroffenen Regionen sind oft      Durch Hochschulen und Forschungseinrichtungen kann auch
bereits seit Jahrzehnten Fördergebiet, sodass eine durchgrei-    die regionale Gründungstätigkeit gestärkt werden. Eine gute
fende Verbesserung der Lage offenbar neue Antworten (oder        Gründerkultur ist ein weiterer Erfolgsfaktor der Regionalent-
mehr Mittel) erfordert. Im Mittelpunkt der Regionalpolitik       wicklung: Wirtschaftlich erfolgreiche Regionen weisen auch
standen lange Zeit Zuschüsse für Unternehmensinvestitio-         eine Vielzahl wachstumsstarker Start-ups auf. Der Aufbau
nen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und ein Ausbau der         eines gründungsaffinen Umfeldes rund um einen Hochschul-
Infrastruktur. Angesichts fallender Arbeitslosenquoten und       standort erfordert allerdings üblicherweise Akteure, die die
eines Fachkräftemangels selbst in peripheren Regionen sind       Initiative ergreifen – und Zeit.
die bisherigen Ansätze aber nicht mehr überall geeignet. Die
Regionalpolitik muss fallbezogene Antworten auf vielschich-      Neben den Wirkungen auf das regionale Bildungs- und Inno-
tige Probleme finden.                                            vationssystem kann es durch die Stärkung der Hochschulen
                                                                 auch zu einer kulturellen Veränderung kommen: Die Anwe-
Ab 2021 gibt es für die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe         senheit der Studenten gibt dem jeweiligen Standort ein jün-
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW)          geres Image, Schulabgänger finden leichter Clubs und Treff-
eine neue Förderkulisse ohne Ost-Fokus, nachdem 30 Jahre         punkte junger Menschen und fühlen sich so eher veranlasst,
lang 80 bis 90 Prozent der Regionalfördermittel in die neuen     in der Region zu bleiben. Der „Herdeneffekt“, der Abiturienten
Bundesländer geflossen sind. In diesem Zusammenhang soll-        in nur etwa 30 bis 40 deutsche Städte mit bekannten Univer-
ten inhaltlich die Schwerpunkte stärker in Richtung Innova-      sitäten und Hochschulen zieht, wird durch die immer weiter
tionsförderung verschoben werden. Innovationen bilden die        voranschreitende Ausdifferenzierung der Hochschulland-
Triebfeder für regionales Wachstum und können auch helfen,       schaft in den Regionen zumindest deutlich abgemildert. //
Antworten auf die demografischen Herausforderungen zu
finden. Die Mittel der GRW sind jedoch mit 1,2 Milliarden Euro
pro Jahr begrenzt – vor 20 Jahren wurden noch 4 bis 5 Milliar-
den Euro pro Jahr für die Investitionsförderung und regionale
wirtschaftsnahe Infrastruktur vergeben. Der Verzahnung mit
                                                                 DR. KLAUS-HEINER RÖHL
anderen Programmen etwa für Forschungseinrichtungen,
den Städtebau oder Schulungsmaßnahmen für Beschäftigte           ist Senior Economist für Unternehmen
und Arbeitslose kommt daher eine wachsende Bedeutung zu.         im Kompetenzfeld Digitalisierung,
                                                                 Strukturwandel und Wettbewerb
                                                                                                                                   Foto: IW Köln

HOCHSCHULEN UND FORSCHUNGSINSTITUTE STÄRKEN DIE                  im Hauptstadtbüro des Instituts der
REGION                                                           deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Technologisch führende Regionen zeichnen sich durch eine
hohe Wissensorientierung ihrer Wirtschaft aus, die auf
guten Bildungseinrichtungen basiert. Forschungsinstitute,
Universitäten und innovationsstarke Unternehmen sind
                                                                 LITERATUR
eng vernetzt und bilden ein „innovatives Milieu“, das ständig
                                                                 Michael Hüther, Jens Südekum, Michael Voigtländer
Neuerungen hervorbringt. Im Kontext der stärkeren Inno-
vationsorientierung wächst auch die Bedeutung des Faktors        (Hrsg.): Die Zukunft der Regionen in Deutschland –
Bildung stark an. Die Bildungsexpansion ging bereits in den      zwischen Vielfalt und Gleichwertigkeit. IW-Studien. Köln
letzten drei Jahrzehnten mit einem starken Ausbau der            2019. Online abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/
regionalen Hochschulen einher. Deutschlandweit stieg die         fileadmin/user_upload/Studien/Externe_Studien/2019/
Zahl der Hochschulstandorte – unter Einrechnung von De-          IW-Regionalstudie_2019.pdf
pendancen – von 1990 bis 2016 um 167 Prozent auf über 600.
Die vielen Neugründungen müssen relativ kurze Zeit nach
DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
40 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG

1

    MISSION TRANSFER
    Wenn Hochschulen strukturschwachen Regionen wirkungsvoll helfen sollen,
    muss die anwendungsorientierte Forschung gestärkt werden. Das geht
    mit Geld – und einer anderen Reputationslogik im akademischen Betrieb.
    Nachlese zur vierten Berliner Transferkonferenz

    TEXT: HANS-HENNIG VON GRÜNBERG
    Zwar sind Forschung und Wissens- und Technologietrans-                                           tungskultur führe zu einer neuen Reputationslogik im aka-
    fer eigenständige Leistungsdimensionen einer Hochschule.                                         demischen Betrieb. Und diese Reputationslogik sei die zen-
    In Zeiten missionsorientierter Forschungs- und Förderpoli-                                       trale Stellschraube: Gelänge es, sie so zu ändern, dass sich
    tik reicht das aber nicht aus. Wenn es um die Erfüllung der                                      die Anwendungsorientierung in der Forschung auch auf die
    Missionen geht, werden Forschung und Transfer zuneh-
    mend wahrgenommen als zentraler Teil eines komplexen
    Innovationsprozesses, der nicht linear, sondern mehrpolig
    und rekursiv angelegt ist. Forschung und Transfer sind zu
    so etwas wie „Funktionsmodulen“ innerhalb dieser mehr-
                                                                                                     PROF. DR. HANS-HENNIG
    schichtigen Innovationsprozesse geworden.                                                        VON GRÜNBERG
    Damit sie diese Rollen spielen können, muss die Forschung
    in Deutschland anwendungsorientierter werden. Darum
                                                                                                                                  Der Physiker war seit
    geht es dem Wissenschaftsrat in seinem jüngsten Positi-
    onspapier „Anwendungsorientierung in der Forschung“.                                                                          2010 zehn Jahre lang
    Weil von der Forschung wesentliche Beiträge zur Gestal-                                                                       Präsident der Hochschule
    tung einer zukunftsfähigen Gesellschaft in einer globalen                                                                     Niederrhein in Krefeld. Der
    Wettbewerbssituation erwartet würden, müsse die anwen-                                                                        Physiker gehörte 2014 zu
                                                                  Foto: Matthew Schönfelder / HAfM

    dungsorientierte Forschung im deutschen Wissenschafts-                                                                        den Gründungsmitgliedern
    system aufgewertet werden.
                                                                                                                                  der Hochschulallianz für
    Die zentrale Forderung des Papiers: Bewertungskriterien zur                                                                   den Mittelstand, dessen
    Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen müssten breiter                                                                     Vorstandsvorsitzender er bis
    angelegt werden, denn nur ein Wandel in unserer Bewer-                                                                        März 2020 war.
DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
TRANSFERTAGUNG I DUZ TRANSFER 05/20 I 41

Karrieren des wissenschaftlichen Nachwuchses po-
sitiv auswirke, bekäme die anwendungsorientierte
Forschung mehr Gewicht innerhalb unseres Wissen-               IMPRESSIONEN
schaftssystems. Eine zweite Forderung: Damit eine an-
wendungsorientierte Forschung und ein darauf aufbau-           der vierten Berliner Transferkonferenz
ender Transfer ihre Rollen im Innovationssystem spielen        (Seiten 6–9) von Fotograf Matthew Schoenfelder
können, müssten sich in Deutschland Forschungsräume
und -prozesse nach außen hin öffnen. Dafür sei es un-
erlässlich, Begegnungsmöglichkeiten zwischen Vertre-
tern der Wirtschaft und der Wissenschaft zu schaffen,
strategische Partnerschaften zu fördern, Vernetzung zu
organisieren.

Der Organisation dieser Vernetzung, dem gemeinsamen
Nachdenken über Forschung und Transfer, aber auch der
gesellschaftlichen Aufwertung der anwendungsorientier-
ten Forschung – diesen Zielen dienen die jährlich in Berlin
stattfindenden Transferkonferenzen der Hochschulallianz
für den Mittelstand (HAfM).
                                                                 2
Zur vierten Berliner Transferkonferenz, bei der es um den
Nutzen anwendungsorientierter Hochschulen für struktur-
schwache Regionen ging, waren Ende Januar 2020 Experten
und Entscheider aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft
dazu in der Landesvertretung Brandenburg zusammenge-
kommen, unter ihnen der Staatssekretär im Bundesmi-
nisterium für Bildung und Forschung Prof. Dr. Wolf-Dieter
Lukas und die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und
Kultur des Landes Brandenburg Dr. Manja Schüle.

Damit Hochschulen ihre Potenziale für die Regionen bes-
ser nutzen können, müssten Fördersysteme verbessert              3
und die neue Mission der Hochschulen gesellschaftlich
anerkannt werden. Gelinge dies, könnten die Hochschu-
len ihre Rolle als „ehrliche Makler“ im Innovationsprozess
forcieren, wozu sie durch ihre interdisziplinäre und nicht
gewinnorientierte Ausrichtung prädestiniert seien, sagte
die Bildungsberaterin Dr. Sybille Reichert. Aus Dortmund
kamen dazu ermutigende Beispiele: So erwirtschaftet das
Technologie Zentrum Dortmund, 1980 als Maßnahme gegen
den Strukturwandel gegründet, heute einen Jahresumsatz
von 920 Millionen Euro – ein Erfolgsmodell, bei dem die
Dortmunder Hochschulen eine wesentliche Rolle spielen,
berichtete Guido Baranowski. Auch das Thema Neugrün-
dungen von Hochschulen wurde diskutiert. Prof. Dr. Klaus         4
Zeppenfeld, Gründer und Präsident der 2009 gegründeten
Hochschule Hamm-Lippstadt, berichtete vom positiven
ökonomischen Impact einer Hochschule in einer struktur-
schwachen Region. Andererseits ist zwischen 1990 und 2016
die Zahl der Hochschulstandorte bereits um 167 Prozent ge-
stiegen – eine Zahl, die Dr. Klaus-Heiner Röhl, Senior Eco-
nomist für Unternehmen am Institut der deutschen Wirt-
schaft Köln, in die Debatte warf. Vor diesem Hintergrund
wirkt eine Idee sehr originell, von der Dr. Manja Schüle als
Vorhaben der neuen Landesregierung Brandenburg berich-
tete, nämlich „Präsenzstandorte“ von bereits bestehenden
Hochschulen in akademisch bisher unerschlossenen Städ-           5
ten der Region zu gründen.
DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
42 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG

Einen breiten Raum in der Diskussion nahm die Frage ein, ob          meinschaft (DTG). Während Ministerin Dr. Manja Schüle (SPD)
die Förderung der transferorientierten Forschung in Deutsch-         und Dr. Thomas Sattelberger (FDP) sich in einer lebhaften Po-
land noch verbessert werden kann. „Wir werden ein Förderpro-         diumsdiskussion offen für diesen Vorschlag aussprachen, ließ
gramm aufsetzen, in dem der Transfer eine wesentliche Be-            Dr. Stefan Kaufmann (CDU) immerhin eine „gewisse Grund-
deutung hat“, kündigte Staatssekretär Lukas an. Das kann nur         sympathie“ erkennen.
begrüßt werden. „Gleichwohl vermissen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler thematisch offene und flexible Förder-           Eines sollte klar sein: Förderanträge, die ein junger Nach-
formate, die es erlauben, der Dynamik wechselnder Orientie-          wuchswissenschaftler zur Förderung seiner angewandten For-
rungen im Forschungsprozess gerecht zu werden und externe            schung von einer DTG bewilligt bekäme, würden seiner Reputa-
Kooperationspartner bei Bedarf, nicht aber verpflichtend mit         tion nützen und könnten ein wichtiges Element zur Förderung
einzubeziehen“, schreibt der Wissenschaftsrat. Und: „Die Viel-       seiner weiteren Karriere sein. Soll heißen: Die DTG würde wie
falt und Dynamik der Förderformate und -programme erschei-           keine andere Maßnahme die vorherrschende Reputationslogik
nen den Forschenden zudem oftmals als unübersichtlich und            des Wissenschaftssystems umpolen und auf diesem Wege die
kleinteilig. Sich jeweils wieder auf die Logik des jeweiligen För-   „Anwendungsorientierung der Forschung“ massiv stärken.
derers, das spezifische Format oder das konkrete Programm
einzustellen, ist aufwändig, kostet Zeit und produziert unter        Und: Eine DTG könnte dafür sorgen, dass Hochschulen für
Umständen Pfadabhängigkeiten.“                                       angewandte Wissenschaften in ihrer Mission für einen regi-
                                                                     onalen Transfer wirklich ernst genommen werden. Mit se-
Die Lösung dieses Problems ist seit Jahren eine Hauptforde-          gensreicher Wirkung für jede Region, auch und gerade die
rung der HAfM: die Einrichtung einer Deutschen Transferge-           strukturschwache. //

 6                                                                    7

 8                                                                    9

IMPRESSIONEN
1 Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg (ehemaliger Präsident der Hochschule Niederrhein) und Dr. Manja Schüle (Ministerin für
Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg) +++ 2 Dr. Muriel Helbig (Präsidentin der Technischen Hochschule
Lübeck) +++ 3 Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, Dr. Manja Schüle und Plenum +++ 4 Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas (Staatssekretär
im Bundesministerium für Bildung und Forschung) +++ 5 Dr. Manja Schüle und Plenum +++ 6 Prof. Dr.-Ing. Winfried Lieber
(Rektor Hochschule Offenburg) und Dr. Sybille Reichert (Director Reichert Consulting for Higher Education) +++ 7 Der neue und
alte Vorstand der Hochschulallianz (HAfM): Prof. Dr.-Ing. Winfried Lieber, Dr. Muriel Helbig, Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg
(ehemaliger Präsident der Hochschule Niederrhein und ehemaliger HAfM-Vorstandsvorsitzender) und Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff
(Rektor der Hochschule Bremerhaven und neuer HAfM-Vorstandsvorsitzender) +++ 8 Prof. Dr.-Ing. Peter Ritzenhoff, Dr. Stefan
Kaufmann (CDU), Ministerin Dr. Manja Schüle (SPD) und Dr. Thomas Sattelberger (FDP) +++ 9 Prof. Dr. Klaus Zeppenfeld (Präsident
der Hochschule Hamm-Lippstadt), Guido Baranowski (Geschäftsführer Technologie Zentrum Dortmund) und Dr. Jan Fritz Rettberg
(Chief Information/Innovation Office der Stadt Dortmund)
DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
TRANSFERTAGUNG I DUZ TRANSFER 05/20 I 43

„Im Zentrum unserer Initiativen steht die
Wissenschaft“

                                            kleine Firmen häufig eine große Her-        „Die enge Zusammenarbeit zwischen
                                            ausforderung. Sie müssen sich überdies      Wissenschaft und Wirtschaft ist von
                                            überlegen, wie sie qualifizierte Fach-      herausragender      Bedeutung,      weil
                                            kräfte gewinnen und die Kooperation         durch Kooperationen zwischen Unter-
                                            mit interessanten Wissenschaftsein-         nehmen, Hochschulen und außeruni-
                                            richtungen sicherstellen können.            versitären Forschungseinrichtungen
                                                                                        regionale Potenziale aktiviert und
                                            Wir reduzieren in Brandenburg die-          weiterentwickelt werden, die zur Stei-
                                            se Hürden mit unterschiedlichen In-         gerung der Innovationskraft und der
                                            strumenten – beispielsweise mit den         Wettbewerbsfähigkeit dieser Regionen
                                            neu eingerichteten Präsenzstellen der       führen. Viele Unternehmen in struk-
                                            Hochschulen. Das hilft einerseits Re-       turschwachen Regionen investieren zu
                                            gionen, die keine Hochschule in ihrer       wenig in Forschung und Entwicklung,
                                            unmittelbaren Nähe haben. Anderseits        weil ihnen hierfür die finanziellen Mit-
                                            können wir so Unternehmen vor Ort           tel und auch qualifizierte Mitarbeiter
Dr. Manja Schüle
                                            ein interessantes Kooperationsangebot       fehlen. Demzufolge entstehen dort
ist seit dem 20. November 2019 Ministerin
                                            unterbreiten und den Zugang zum Wis-        kaum Innovationen. Das macht diese
für Wissenschaft, Forschung und Kultur
                                            senschaftssystem weiter sicherstellen.      Regionen weniger attraktiv für Unter-
des Landes Brandenburg. Zuvor war die
                                            Im Zentrum unserer Initiativen steht        nehmer und Arbeitskräfte.
Politikwissenschaftlerin direkt gewähltes
Mitglied im Deutschen Bundestag (SPD)       die Wissenschaft. Die Hochschulen und
                                            Forschungseinrichtungen sind unsere         Um diesen Teufelskreis zu durch-
bei der Bundestagswahl 2017. In dieser
                                            zentralen Partner bei der Entwicklung       brechen, sind auch starke, öffentlich
Zeit war sie Mitglied im Ausschuss für
                                            brandenburgischer Regionen. Sie schaf-      finanzierte Investitionen in Wissen-
Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
                                            fen wissensbasierte Gründungen und          schaft und Forschung notwendig so-
schätzung und stellvertretendes Mitglied                                                wie ein funktionierender Transfer von
im Ausschuss für Wirtschaft und Energie     sind unsere Impulsgeber für den gesell-
                                            schaftlichen Wandel.“//                     Wissen und Technologien zwischen
sowie im Ausschuss Digitale Agenda.                                                     Wissenschaftseinrichtungen        und
                                                                                        Unternehmen. Für eine erfolgreiche
„Wie machen wir Wissenschaft wirk-
sam? Ich bin überzeugt, dies gelingt
                                            „Die Besonderheiten                         Umsetzung der Maßnahmen zur För-
                                                                                        derung von Kooperationen zwischen
uns nur über ein Bündnis – ein Bündnis
zwischen Unternehmen verschiedens-
                                            der Regionen                                Wissenschaft und Wirtschaft sind eine
                                                                                        ganzheitliche Betrachtung des Förder-
ter Branchen und der lokal ansässigen
Hochschulen. Beide Gruppen sind per-
                                            berücksichtigen“                            systems für strukturschwache Regi-
                                                                                        onen und flankierende Maßnahmen
manent aufgefordert, sich zu einem                                                      zur Stabilisierung der demografischen
Netzwerk zusammenzufinden, um die                                                       Lage erforderlich. Zudem müssen
Wirtschaftskraft und Innovationsfähig-                                                  die Fördermaßnahmen die Beson-
keit in allen Regionen zu befördern.                                                    derheiten der einzelnen Regionen
                                                                                        berücksichtigen. Denn ein erfolgrei-
Klar: Die Impulse kommen aus der Wis-                                                   cher Strukturwandel kann nur dann
senschaft. Sie tragen entscheidend dazu                                                 gelingen, wenn er auf den regional
bei, die wirtschaftliche Entwicklung                                                    vorhandenen Kompetenzen aufbaut.
einer Region voranzutreiben. Dies gilt                                                  Daher muss die Förderung Bottom-up,
insbesondere in einem Land wie Bran-                                                    anwendungsorientiert, themen- und
denburg, das von kleinen und mittleren                                                  akteursoffen sein; sie muss interdiszi-
Unternehmen geprägt ist. Sie sind ange-                                                 plinäre Bündnisse und offene Innova-
wiesen auf die Ideen der Experten. Wir                                                  tionskulturen unterstützen.
unterstützen sie mit unserer Transfer-
strategie und schätzen ihre Bedeutung                                                   Mit der Programmfamilie „Innovation
für die regionale Entwicklung.                                                          & Strukturwandel“ hat das BMBF be-
                                            Dr. Stefan Kaufmann                         reits gute Erfahrung bei der gezielten
Wir stärken den Transfer von Wissen in      ist Mitglied des Deutschen Bundestages      Förderung von Innovationen in struk-
die Unternehmen. Dafür haben wir ein        (CDU), Obmann der CDU/CSU-Fraktion          turschwachen Regionen gesammelt
Programm aufgelegt, das beispielsweise      im Ausschuss für Bildung, Forschung und     und plant, bis 2024 600 Millionen Euro
Fachhochschulen bei der Entwicklung         Technikfolgenabschätzung und Vorsitzen-     für neue Programme bereitzustellen.
ihrer Potenziale unterstützt. Gleichzei-    der der Enquete-Kommission „Berufliche      Damit wird die Attraktivität dieser Re-
tig versuchen Unternehmen, sich aktiv       Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des   gionen als Wirtschaftsstandort und Ort
am Transfer zu beteiligen. Das ist für      Deutschen Bundestages.                      zum Leben nachhaltig verbessert.“ //
DUZ TRANSFER - Strukturschwache Regionen brauchen starke Hochschulen - WISSENSCHAFT WIRKSAM MACHEN
44 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG: BEST PRACTICE
Foto: Technologiepark Dortmund

                                 KEINER GEHT ALLEIN
                                 Das Technologie Zentrum Dortmund (TZDO) ist die Keimzelle eines der größten Technologieparks Europas.
                                 Seit 35 Jahren ebnet es den Weg für Hightech-Start-ups und innovative Unternehmen

                                 „Strukturwandel endet nie“, sagt Guido Baranowski. Und er       „Das Technologiezentrum und der Technologiepark sind die
                                 muss es wissen. Der 67-Jährige gilt als Schlüsselfigur beim     Keimzellen unserer IT-Entwicklung“, sagt Dr. Jan Fritz Rett-
                                 Aufstieg der einstigen Stahl-Kohle-Bier-Stadt Dortmund zu ei-   berg, Chief Information/Innovation Officer (CIO) der Stadt
                                 nem bedeutenden Dienstleistungs- und ­Technologiestandort.      Dortmund. „Fast alle innovativen Ausgründungen hatten
                                                                                                 oder haben dort ihre Heimat. Der günstige Büroraum, die
                                 Das TZDO, das Baranowski seit der Gründung 1985 leitet, zählt   Infrastruktur – das hilft echt.“ Auch bei der Digitalisierung,
                                 zu den Stars der deutschen Transferszene. Es ist die Keimzel-   „der Fortsetzung des Strukturwandels mit anderen Mit-
                                 le des Technologieparks Dortmund, der heute rund 300 Un-        teln“, wie Rettberg betont.
                                 ternehmen mit gut 13 500 Beschäftigten eine Heimat bietet,
                                 darunter namhafte Player wie der Halbleiterhersteller Elmos,    Auch Baranowski sieht im Gründersupport den Schlüssel:
                                 das Medizintechnikunternehmen Boehringer Ingelheim mic­         „Wir lassen die Start-ups nie allein auf dem Weg ins eige-
                                 roparts, das Fraunhofer Institut für Software- und System-      ne Unternehmen. Das TZDO hilft bei der Kapitalakquise,
                                 technik ISST und das Fraunhofer Institut für Materialfluss      beim Businessplan, bei Förder- oder Patentanträgen. Es
                                 und Logistik IML. Hinzu kommen die benachbarte Techni-          übernimmt Empfangs- und Telefonservice, Facility Ma-
                                 sche Universität (TU) und die Fachhochschule (FH) Dortmund      nagement, organisiert Messebeteiligungen, Personaltrans-
                                 mit zusammen rund 50 000 Studierenden, das Max-Planck-          fer und vieles mehr, um den zügigen Transfer von Ideen in
                                 Institut für molekulare Physiologie, das Leibniz-Institut für   marktfähige Produkte zu ermöglichen. Immer neuen Nach-
                                 Analytische Wissenschaften ISAS sowie zwei Dutzend weite-       wuchs findet das TZDO in einem Gründerwettbewerb, bei
                                 re Institute auf dem 420 Hektar großen Wissenschafts- und       dem zweimal jährlich die jeweils besten Start-ups ange-
                                 Technologiecampus Dortmund. Ein gigantisches Potenzial.         sprochen und eingeladen werden, sich im Technologiepark
                                                                                                 anzusiedeln.
                                 „Silicon Dortmund“, die Vision aus den Gründungsjahren des
                                 Technologiezentrums, ist so längst Realität geworden, ähn-      Zu den bekannten TZDO-Schwerpunkten zählen Logistik-IT,
                                 lich wie in Berlin oder Aachen, wo in den 1980er-Jahren ver-    Mikrosystemtechnik, Umwelttechnologie, Elektromobili-
                                 gleichbare Zentren entstanden. Dem ursprünglichen Image-        tät, Produktions- und Fertigungstechnologie. Doch die The-
                                 vorsprung der Konkurrenten hatte Dortmund eigene Vorteile       men ändern sich. „Wer weiß schon, ob Produktionstech-
                                 entgegenzusetzen – etwa die weite „grüne Wiese“ neben einer     nik in fünf Jahren noch à jour ist“, sagt Guido Baranowski.
                                 technisch orientierten Universität, die Lage am Autobahn-       „Deshalb beobachten wir die Entwicklungen genau.“ Ein ak-
                                 kreuz A40/A45 und engagierte Antreiber wie Baranowski.          tueller Fokus seiner Arbeit liegt auf Biomedizin – und das
                                                                                                 schon lange vor der Corona-Krise. „Wir holen gerade junge
                                 „Das TZDO fördert neue, zukunftsweisende Technologie-           Biotech-Firmen aus ganz Deutschland in unser Biomedizin
                                 und Wirtschaftsprozesse“, erklärt der Ehrenvorsitzende des      Zentrum Dortmund, sogar aus Bayern und Berlin“, freut
                                 Bundesverbandes der Technologiezentren. „Wir entdecken          sich der TZDO-­Geschäftsführer.
                                 Start-ups, geben ihnen jede Hilfe, um loszulegen, und bieten
                                 dann ideale Wachstumsbedingungen im Technologiepark.“           Und das Beste: Auch wenn Firmen nach Jahren den Kokon
                                 Gesellschafter des TZDO sind Dortmunder Kreditinstitute,        des Technologieparks verlassen, um noch stärker zu wach-
                                 die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer,          sen, bleiben sie meist in der Region. Baranowski: „Die gut 400
                                 die TU und die FH, vor allem aber die Stadt Dortmund mit        Unternehmen, die über die Jahre bei uns ausgezogen sind,
                                 46,5 Prozent der Anteile.                                       tragen weiterhin kräftig zum Strukturwandel bei.“ //
TRANSFERTAGUNG: BEST PRACTICE I DUZ TRANSFER 05/20 I 45
    Foto: HMS / Matthias Sasse

                                 BACKEN, KELTERN, UMWELTSCHUTZ
                                 Was hilft Unternehmen dabei, innovativer und attraktiver für Auszubildende zu werden – gerade in
                                 strukturschwachen Regionen? Ein Projekt an der Hochschule Magdeburg-Stendal geht dieser Frage nach

                                 Halloren-Kugeln, Rotkäppchen-Sekt, Wikana-Kekse, Ab-          thi, Abtshof Magdeburg, Nordbrand, die Rotkäppchen-
                                 sinth 66 – an kulinarischen Kultmarken herrscht in            Mumm Sektkellereien und die Winzervereinigung
                                 Sachsen-Anhalt kein Mangel. Mit elf prominenten Lebens-       Freyburg-Unstrut.
                                 mittelherstellern arbeitet eine Projektgruppe um den Wirt-
                                 schaftsinformatiker Prof. Dr. Michael Herzog in einem Mo-     „Das Interesse war riesig. Denn hier in Sachsen-Anhalt, ge-
                                 dellversuch namens „Nachleben“ zusammen. Ihr Thema:           rade auf dem Land, herrscht ein großer Mangel an Auszu-
                                 Nachhaltigkeit in Lebensmittelberufen.                        bildenden“, erklärt Michael Herzog. „Ein Vorteil der Produk-
                                                                                               tion in strukturschwachen Regionen wie der Altmark sind
                                 Herzog befasst sich an der Hochschule Magdeburg-Stendal       oft sehr günstige Produktionsbedingungen. Doch um Nach-
                                 mit technisch basierten Lehr- und Lernmethoden. Im Pro-       wuchs anzuziehen, muss man besonders attraktive Ausbil-
                                 jekt Nachleben entwickelt er Lernmodule für Auszubilden-      dungsinhalte anbieten. Themen, die interessieren – so wie
                                 de der Lebensmittelberufe. Herzog: „Die Module sollen die     Umwelt- und Klimaschutz.“
                                 jungen Leute anregen, ökologische Fragen mitzudenken
                                 und herkömmliche Herstellungs- und Vertriebsprozesse          Am Anfang der Projektarbeit standen Interviews: Wie ste-
                                 zu hinterfragen.“ Die interaktiven Lehr- und Lernmodule       hen die Führungskräfte zum Thema Nachhaltigkeit? Wo
                                 für Süßwarentechnologie, Lebensmitteltechnik, Brenne-         wünschen sie sich Denkanstöße? Dann gingen Forscher und
                                 rei, Destillation und Weintechnologie werden zunächst         Auszubildende durch die Betriebe und sammelten Ideen für
                                 den beteiligten Betrieben in Sachsen-Anhalt, ab 2021 dann     Lernmodule, die demnächst von Auszubildenden und Leh-
                                 deutschlandweit zur Verfügung stehen. Dafür engagiert         renden getestet werden. Die Module können Erklär-Videos
                                 sich das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) „in bemer-   beinhalten, Berechnungen der CO2-Bilanz von Produktzuta-
                                 kenswertem Ausmaß“ für das Projekt, wie Herzog feststellt.    ten oder interaktive Anleitungen für die Suche nach Ener-
                                                                                               giesparpotenzial im Betrieb.

                                                                                               „Zwei Drittel des Projekts liegen jetzt hinter uns“, sagt Mi-
                                                                                               chael Herzog. „Die Interviews sind gemacht, viele Videos
                                                                                               gedreht. Nun geht es darum, die Module auf die Lernplatt-
                                                                                               form Cosito zu setzen, die an der Otto-von-Guericke-Uni-
                                                                                               versität Magdeburg entwickelt wurde.“ Für Mai/Juni dieses
                                                                                               Jahres sind die ersten Praxistests geplant.
Foto: HMS / Matthias Sasse

                                                                                               Am Ende des Projekts – im Frühjahr 2021 – sollen praxis­
                                                                                               taugliche, Tablet-optimierte Produkte stehen, die den Be-
                                                                                               dürfnissen der Auszubildenden und ihrer Lehrbetriebe ent-
                                                                                               gegenkommen und die eines ihrer Hauptprobleme lösen:
                                                                                               „Die Betriebe in Sachsen-Anhalt sind oft extrem weit von
                                 Auch die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ist          den Berufsschulen entfernt. Da ist zeit- und ortsunabhän-
                                 an Nachleben beteiligt, ebenso wie diverse Industrie- und     giges Online-Lernen perfekt“, so Herzog: „Die Digitalisie-
                                 Handelskammern sowie Nahrungsmittelverbände. Zu den           rung ist eine Chance für strukturschwache Regionen. Was
                                 elf Praxispartnern zählen Bodeta, Halloren, Henglein, Ka-     sie dann noch brauchen, ist eine gute Datenanbindung.“ //
46 I 05/20 DUZ TRANSFER I TRANSFERTAGUNG: BEST PRACTICE
Foto: HSHL

             NACHHALTIGKEIT FÜR DIE REGION
             In einem Projekt an der Hochschule Hamm-Lippstadt erarbeiten Studierende Konzepte für den
             Einzelhandel und Unternehmen vor Ort

             „Nachhaltigkeit bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die                    genseitiges Profitieren von Wirtschaft und Hochschule:
             ökonomische, soziale und ökologische Aspekte zusammen-                      „Vielfach gehen Einzelhändler im Tagesgeschäft auf und
             bringen“, sagt Prof. Dr. Judith Maja Pütter von der Hoch-                   haben wenig Zeit für übergreifende Themen“, so Olk. „Die
             schule Hamm-Lippstadt. Theoretisch ganz einfach. Aber                       Untersuchung hat uns als Wirtschaftsförderung wichtige
             was heißt das in der Praxis? „Vor Ort fehlt Organisationen                  Erkenntnisse geliefert, auf deren Basis wir sicher weitere
             oder Unternehmen oft die Zeit für derartige Fragen. Da                      Ideen kreieren werden.“ Wenn Judith Maja Pütter das Pro-
             können Hochschulen wertvolle Unterstützung leisten“, so                     jektseminar im Wintersemester erneut abhält, erwartet sie
             Pütter.                                                                     denn auch „einige Wiederholungstäter auf Unternehmens-
                                                                                         seite: Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit nehmen die Fir-
             Im Projektseminar „Sustainability Management“ hat die                       men der Region jede Hilfe begeistert an.“
             Professorin für Betriebswirtschafslehre mit den Schwer-
             punkten Strategisches Management und Unternehmens-                          Und davon wird künftig noch mehr kommen: Gemeinsam
             führung genau das getan: Um praxistaugliche Lösungs-                        mit zwei Kollegen baut Pütter derzeit den Forschungs-
             vorschläge zu erarbeiten, ließ sie Studierende erkunden,                    schwerpunkt „Nachhaltigkeit und Digitalisierung“ auf. Ent-
             was den öffentlichen Nahverkehr in der Region attraktiver                   sprechende Drittmittelanträge sind in Arbeit. //
             machen oder wie ein nachhaltiges Ladenkonzept für den
             Lippstädter Textil-Einzelhandel aussehen könnte. So wur-
             den die Modegeschäfte gefragt, was sie mit nicht verkauf-
             ten Artikeln wie Retouren oder Ausstellungsware anfangen
             und wie nachhaltig der Beschaffungs- und Bestellprozess
             bislang abläuft.

             Projektpartner waren die Großbäckerei Kuchenmeister,
             der Hofladen Bauer Engels, das Studierendenwerk Pa-
             derborn, die RLG Regionalverkehr Ruhr-Lippe GmbH, die
             Stadt Rietberg, der Metallverarbeiter Pöttker und die Wirt-
             schaftsförderung Lippstadt. „Sie stellten die Aufgaben, lie-
             ferten Input und begleiteten die Studierenden durch das
             Projekt“, erklärt Pütter. Deren Aufgabe war es dann, weit-
             gehend selbstständig Nachhaltigkeitsberichte, Bedarfsstu-
             dien, Event-, Mehrweg-, Logistik- oder Marketingkonzepte
             zu erarbeiten.
                                                                            Foto: HSHL

             Josie Olk, die das Projekt vonseiten der Wirtschaftsförde-
             rung koordinierte, sieht darin ein ideales Beispiel für ge-
STRATEGIEENTWICKLUNG I DUZ TRANSFER 05/20 I 47

   „TRANSFER UND
 KOOPERATION MÜSSEN
ZUR CHEFSACHE WERDEN“
            Vor fünf Jahren hat der Stifterverband sein Transfer-Audit
              gestartet. Hochschulen können mit dem Instrument ihre
         Kooperations- und Transferstrategie weiterentwickeln. Im DUZ
               Transfer-Interview zieht Andrea Frank Zwischenbilanz

INTERVIEW: RAINER DETTMAR

 Frau Frank, Ihr Transfer-Audit
soll Hochschulen helfen,
­Kooperationen und Transfer zu
stärken. Seit wann läuft das
 Programm und wer ist dabei?
Der Stifterverband hat das Transfer-
Audit 2015 gemeinsam mit fünf Pilot-
Hochschulen und der Heinz Nixdorf
Stiftung entwickelt. Nach der Pilot-
phase nahmen alle Hochschulen aus
Brandenburg und Rheinland-Pfalz teil,
dazu zehn aus Nordrhein-Westfalen
und vier aus Thüringen. Mittlerwei-
le haben wir das Verfahren an 49 In-
stitutionen durchgeführt. Ein Jahr
nach Abschluss eines Transfer-Audits                                                        ANDREA FRANK
befragen wir die Hochschulen: Was
                                                                                                                        Foto: David Ausserhofer

                                                                                            leitet das Aktionsfeld
konnte von den Empfehlungen um-
gesetzt werden? Wo gab es besondere                                                         Wissenschaft beim
Herausforderungen und was hat sich                                                          Stifterverband in Berlin.
unabhängig vom Audit entwickelt? 29
Hochschulen waren das bis jetzt.

Sind nicht vor allem solche              ten setzen wollen. Grundlage für das    men. So schafft es einen sehr großen
Hochschulen beteiligt, die auf           Audit sind immer die Ziele, die eine    Mehrwert für alle Beteiligten – egal,
dem Transfer-Weg schon weit              Hochschule sich selber setzt – und      wo die Hochschule im Prozess steht.
gekommen sind?                           diese orientieren sich natürlich an     Wichtig ist mir noch: Wir bewerten
Nein, wir sehen im Transfer-Audit die    dem Entwicklungsstand. Leitgedanke      die Hochschulen nicht, wir begleiten
ganze Bandbreite: Hochschulen, die       ist: Der Weg ist das Ziel.              sie. Wir, das sind fünf externe Audito-
sich auf den Weg machen und ihre Ak-                                             ren. Sie kommen als kritische Freunde
tivitäten erst einmal sortieren. Aber    Ein Transfer-Audit gibt Zeit und Raum   an die Hochschulen und bringen ihre
auch sehr profilierte Hochschulen, die   für die Auseinandersetzung mit dem      Erfahrungen und ihren externen Blick
ihre Stärken gezielt ausbauen, ihre      Handlungsfeld Transfer und Koope-       in die Diskussionen ein. Die Hoch-
Wissenschaftlerinnen und Wissen-         ration. Es bringt die Akteurinnen und   schule gewinnt also ein engagiertes
schaftler mobilisieren oder Prioritä-    Akteure in den Hochschulen zusam-       Team externer Ratgeber.
48 I 05/20 DUZ TRANSFER I STRATEGIEENTWICKLUNG

Was ist Ihre zentrale Erkenntnis           terstützt werden. Aber Hochschulen         – gemeinsam mit Hochschulen und
aus den bisherigen                         brauchen auch verlässliche Ressour-        Forschungseinrichtungen. Das Projekt
Transfer-Audits?                           cen, um unabhängig von Förderzyklen        leistet einen Beitrag zur Erfolgs- und
Vor allem drei Botschaften habe ich        ihre eigene Strategie zu entwickeln.       Leistungsmessung im Handlungs-
mitgenommen. Erstens: Die Profes-          Gerade an den Hochschulen für an-          feld Transfer. Bei der Darstellung der
sionalisierung im Handlungsfeld ist        gewandte Wissenschaften stellt sich        Leistungen und Erfolge sehen wir
überall zu beobachten und sehr dyna-       diese Ressourcenfrage unserer Beob-        vor allem drei Herausforderungen.
misch. An den Hochschulen werden           achtung nach besonders scharf.             Erstens: Bisher fokussiert die Leis-
Transfer und Kooperation strategisch                                                  tungsmessung auf Indikatoren für
relevanter und sichtbar. Sie werden        Was halten Sie von dem Begriff             den klassischen Technologietransfer.
stärker wertgeschätzt. Und es gibt         „Third Mission“, der die Etablie-
eine intensive Auseinandersetzung          rung von Transfer als drittem              Zweitens: Im erweiterten Wissens­
mit den Erwartungen der Gesellschaft       Hochschulstandbein neben                   transfer gibt es keinen Konsens zu
an Hochschulen. Zweitens sehen wir,        Forschung und Lehre bezeichnet?            geeigneten quantitativen und quali-
dass sich der klassische Technologie-      Wir sprechen lieber von Transfer und       tativen Indikatoren für die systema-
transfer verändert, dass sich Koope-       Kooperation mit externen Praxispart-       tische Erfassung der entsprechenden
rationen öffnen. Co-Creation, also die     nern oder einem Wissensaustausch           Erfolge und Leistungen.
frühe Einbindung externer Partner          auf Augenhöhe. Wichtig ist uns auch,
aus Wirtschaft, Kultur, Politik und        Transfer als Teil von Forschung und        Und schließlich: Die Wirkungsdimen-
Zivilgesellschaft sowie das gemeinsa-      Lehre zu verstehen. Entscheidend ist       sion von Wissens- und Technologie-
me Entwickeln von Forschungsfragen         aber nicht, welche Begrifflichkeiten       transfer findet in der Indikatorik noch
und Lösungen, nimmt zu. Und schließ-       der Stifterverband gut findet. Wichtig     keine Berücksichtigung. Hier setzt
lich: Die Transfer- und Kooperations-      ist, dass jede Hochschule ihr eigenes      die Initiative Transferbarometer an.
aktivitäten in den Geistes-, Sozial- und   Transferverständnis entwickelt: Was        Gemeinsam mit der Stiftung Merca-
Kulturwissenschaften sind vielfältig,      gehört für eine Hochschule dazu, was       tor und der Helmholtz-Gemeinschaft
meist noch unentdeckt, aber oft sehr       nicht und wo will sie Stärken ausbau-      möchten wir diesen Indikatorenbau-
wertvoll für die Profilentwicklung von     en. Dieses Transferverständnis kann        kasten zusammen mit ausgewählten
Hochschulen. Diese Aktivitäten als         sich je nach Fächerspektrum, Stand-        Hochschulen und außeruniversitären
Hochschule noch stärker zu unter-          ort und Kooperationspartner unter-         Forschungseinrichtungen entwickeln
stützen und sichtbar zu machen – da        scheiden.                                  und erproben. Im Frühsommer geht
bleibt noch viel zu tun.                                                              es los.
                                           Wie stehen Sie dann zur
Wie lautet heute Ihre wichtigste           Forderung nach einer „Deutschen            Und wie geht es mit den Audits
Empfehlung zur Stärkung des                Transfergemeinschaft“ als                  weiter?
Handlungsfeldes Transfer?                  Äquivalent zur DFG?                        Wir freuen uns über jedes neue Bun-
Transfer und Kooperation zur Chef-         Hinter dem Vorschlag verbergen sich        desland und jede Hochschule, die hin-
beziehungsweise       Chefinnensache       nach meiner Wahrnehmung unter-             zukommen möchten. Dieses Jahr wer-
zu machen! Es braucht Sichtbar-            schiedliche Konzepte. Für mich war         den das noch einige sein. Der Erfolg
keit, transparente Ziele zur Orientie-     immer ein wichtiger Gedanke dabei,         des Transfer-Audits hat sich scheinbar
rung, Ressourcen und ein deutliches        dass es mehr öffentliche Ressourcen        herumgesprochen. //
Bekenntnis der Hochschulleitung.           braucht für anwendungsorientierte
Transfer und Kooperation müssen in         Forschungs- und transferorientier-
Forschung und Lehre mitgedacht sein.       te Lehraktivitäten, speziell auch mit
Sie brauchen Experimentierfreude für
neue Formate der Zusammenarbeit.
                                           Partnern jenseits der Industrie – aus
                                           der Kultur, Sozialwirtschaft oder
                                                                                      WEITERE INFOS
Dann werden Aktive motiviert, Struk-       Zivilgesellschaft. Viele Aktivitäten
                                                                                      Die Ausgabe 03/20 von DUZ
turen und Services entwickelt. Dann        an Hochschulen, die wir in diesem
gibt es die Chance für eine lebendige      Bereich gesehen haben, sind nicht          Wissenschaft & Management
Kooperationskultur.                        drittmittelrelevant und scheitern an       widmet sich unter dem Titel
                                           fehlenden Ressourcen. Wirtschaft-          „Transfer strategisch verankern“
Welche Unterstützung brauchen              lich oder gesellschaftlich sind sie aber   ausführlich dem Transfer-
die Hochschulen, um ihre Struk-            durchaus relevant.                         Audit und den daraus erfolgten
turen transferfreundlicher zu
gestalten?                                 Mitte 2020 soll Ihr Projekt Trans-         Schlussfolgerungen für das
Die Hochschulen können viel selbst         ferbarometer starten. Was genau            Handlungsfeld Transfer und
tun: Sie können Prioritäten setzen         ist das?                                   Kooperation.
und Strukturen und Services so aus-        Im Kern geht es in dem Projekt da-         Mehr dazu: www.stifterverband.org/
richten, dass transferaktive Wissen-       rum, einen Indikatorenbaukasten            kooperative-hochschule
schaftlerinnen und Wissenschaftler         für unterschiedliche Transferpro-
sowie die externen Praxispartner un-       file zu entwickeln und zu erproben
Foto: Maruzhenko Yaroslav / 123rf.com

                                        EINE CHANCE FÜR ABSOLVENTEN
                                        Wie blicken Senior-Unternehmer auf die eigene Unternehmensübergabe? In einer
                                        Studie fand Andy Junker von der htw saar heraus: Die Risiken werden
                                        unterschätzt. Für Absolventen aber könnten sich Chancen ergeben

                                        Rund 150 000 deutsche Unternehmer          Junker: „In der hohen emotionalen          auf sich aufmerksam machen.“ Durch
                                        werden im Zeitraum 2018 bis 2022 einen     Bindung des Übergebers liegt auch die      die frühzeitige Einbindung in für das
                                        Nachfolger suchen. Weil das nicht im-      Schwierigkeit begründet, einen realisti-   Studium und das Unternehmen ver-
                                        mer klappt, könnten nach Berechnung        schen Unternehmenswert zu kalkulie-        wertbare Projekte könne „ein beidersei-
                                        des Instituts für Mittelstandsforschung    ren, was häufig dazu führt, dass gerade    tiges Kennenlernen von Studierenden
                                        Bonn (IfM) rund acht Prozent der Unter-    die Eigentümer den Wert ihres Unter-       und Unternehmen erreicht werden,
                                        nehmen liquidiert werden. 33 500 Ar-       nehmens zu hoch einschätzen.“ Un-          um den Nachfolgeprozess erstens früh-
                                        beitsplätze und hohe Vermögenswerte        terschiedliche Kaufpreisvorstellungen      zeitig einzuleiten und um ihn zweitens
                                        würden verloren gehen.                     rühren oft daher, dass der Übergeber       ökonomisiert bewältigen zu können“. In
                                                                                   ausrechnet, was er für den Ruhestand       der Veranstaltung „Praxisprobleme der
                                        Wie sehen saarländische Senior-Unter-      benötigt, der Übernehmer aber maxi-        Unternehmensnachfolge“ der htw saar
                                        nehmer die Chancen und Risiken der         mal so viel zahlen möchte, wie er finan-   etwa dürfen Studierende reale Fallstu-
                                        Übergabe ihrer Unternehmen? Dr. Andy       ziert bekommt.                             dien lösen. Die besten davon werden vor
                                        Junker, Professor für Rechnungswesen,                                                 ausgewählten Unternehmern präsen-
                                        Mittelstand und Unternehmensnach-          Um dies zu vermeiden, gibt Junker Un-      tiert, die so potenzielle Nachfolger ken-
                                        folge an der Hochschule für Technik und    ternehmern drei Empfehlungen: „Die         nenlernen können. Für die Absolventen
                                        Wirtschaft des Saarlandes (htw saar),      Nachfolgeentscheidung frühzeitig tref-     wurde ein Phasenmodell mit Kennen-
                                        hat sie gefragt. Klares Ergebnis seiner    fen und mit Nachdruck systematisch         lern-, Anspar- und Umsetzungsphase
                                        Studie: „Die Risiken einer Unterneh-       verfolgen. Unabhängige Berater einbe-      entwickelt, um im Vorfeld einer Unter-
                                        mensnachfolge werden unterschätzt.“        ziehen. Und rechtzeitig Maßnahmen für      nehmensnachfolge Details wie den zu
                                                                                   die Erhaltung des Unternehmenswertes       erwartenden Kaufpreis festzuhalten.
                                        Laut Junker haben 70 Prozent der be-       einleiten.“                                Ein Vertrag, der auch eine Exit-Option
                                        fragten Unternehmer „keine verbindli-                                                 vorsieht, regelt das Kennenlernen der
                                        chen Regelungen getroffen, obwohl das      Zudem empfiehlt die Studie eine enge-      Partner und die sukzessive Überleitung
                                        Thema in ihren Köpfen präsent ist.“ Eine   re Verknüpfung von Unternehmer und         von Kompetenzen.
                                        mögliche Ursache sieht der Ökonom in       Hochschule. Junker: „Fehlende gegen-
                                        „typischen Problemfeldern“. So sei es      seitige Information lässt Unternehmer      In der Motivation von Hochschulabsol-
                                        für Übergeber schwierig, den Prozess       oftmals den Nachwuchskräftemangel          venten für eine Unternehmensnach-
                                        in seiner Gesamtheit zu überblicken,       anprangern. Umgekehrt sehen Absol-         folge sieht Junker eine Doppelchance:
                                        den zeitlichen Vorlauf zu planen und       venten ein mittelständisches Unter-        „Jungen Menschen eine Karrieremög-
                                        „die emotionale Bindung an das eigene      nehmen nicht als potenziellen Arbeit-      lichkeit aufzuzeigen und übergabewil-
                                        Unternehmen nicht vor eine sachliche       geber, da diese Unternehmen mangels        ligen Unternehmern ihr ­Lebenswerk zu
                                        Diskussion zu stellen“.                    Öffentlichkeitsarbeit oftmals zu wenig     erhalten.“ //
50 I 05/20 DUZ TRANSFER I XXXXXX
Foto: The Beatboy / unsplash.com

                                   WIRTSCHAFT TRIFFT
                                   HOCHSCHULE
                                   Smarte Produktion in Mittelhessen, Seetransporte aus Bremerhaven,
                                   Innovation und Export in Baden-Württemberg – Wirtschaftswissenschaftler
                                   richten ihre Forschung zunehmend nach den Bedürfnissen regionaler
                                   Unternehmen aus

                                                                                               frachtdokumenten – und um die Frage, wie ein ökologisch
                                   Hochschule Bremerhaven:                                     nachhaltiger Transport dieser Dokumente aussehen müss-
                                   Seefrachtbriefe per Blockchain                              te. Projektpartner sind der SAP-Dienstleister abat, das
                                                                                               Logistikunternehmen Kühne + Nagel, die DZ Bank und die
                                   Millionen von Autos, Maschinen und anderen teuren           R+V Versicherung. Das Gesamtprojekt hat ein Finanzvolu-
                                   Gütern werden jedes Jahr über die Weltmeere transpor-       men von rund 250 000 Euro. Die BIS Wirtschaftsförderung
                                   tiert. Damit Importeure ihre Ware und Exporteure ihr Geld   Bremerhaven unterstützt es aus dem Senats-Förderpro-
                                   risikofrei erhalten, werden Dokumente als Sicherheiten      gramm „Angewandte Umweltforschung“ und mit Mitteln
                                   ausgetauscht. Diese „Seefrachtkonnossemente“ (englisch:     des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE).
                                   bills of lading) geben an, was genau transportiert wird
                                   und wer der Empfänger ist. Rund 400 Millionen dieser        „Wir wollen die richtige Technik finden, um den Transport
                                   Papiere werden jährlich erstellt. Der Durchschnittswert      so sicher und den CO2-Fußabdruck so klein wie möglich zu
                                   einer Seefrachtsendung liegt bei 1,5 Millionen US-Dollar.    machen“, erklärt Wieske. Aktuell konzentriert sich econbil
                                   Entsprechend wichtig sind die Wertpapiere, die per Ku-       dabei auf Blockchain-Technologien, in der verschlüsselte
                                   rier versandt werden – etwa vom Containerterminal in         Datensätze auf viele Rechner verteilt werden. Wieske: „Das
                                   Bremerhaven zur Bank nach Bremen und weiter mit dem          Projekt soll Schnelligkeit, Sicherheit und ökologische Vor-
                                   Flugzeug nach Shanghai, dann mit dem Auto zur chinesi-       bildfunktion am Hafenplatz Bremerhaven stärken. Außer-
                                   schen Bank und zurück zum Container in den Hafen.            dem wollen wir das Innovationspotenzial der Blockchain
                                                                                                prüfen und die Technologie als ökologische Alternative
                                   „Überall kommunizieren wir elektronisch, nur die See-        weiterentwickeln.“
                                    fracht-Wertpapiere werden analog transportiert“, sagt
                                    Prof. Dr. Thomas Wieske vom Institut für Logistikrecht &   Doch die Blockchain hat ein Problem: ihren relativ hohen
                                    Riskmanagement (ILRM) der Hochschule Bremerhaven.          Energieverbrauch, da lange Datensätze auf zahlreichen
                                   „Doch die Digitalisierung wird kommen.“                     Rechnern dafür nötig sind. Julian Neugebauer, wissen-
                                                                                               schaftlicher Mitarbeiter, der in seiner Bachelor-Arbeit
                                   Im Projekt „Electronical Cosignment Note and Bill of        untersucht hat, welchen CO2-Fußabdruck der Austausch
                                   Lading (econbil) – Sustainability in Seafreight“ kümmert    von Blockchain-Dokumenten hinterlassen würde, fand
                                   sich Wieske bis Mai 2021 um die Digitalisierung von See-    keinen großen Unterschied zum analogen Versand der
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