Resilienz und Leistungs fähigkeit des Gesundheits wesens in Krisenzeiten - acatech IMPULS

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Resilienz und Leistungs fähigkeit des Gesundheits wesens in Krisenzeiten - acatech IMPULS
acatech IMPULS

Resilienz und
Leistungs­fähigkeit
des Gesundheits­wesens
in Krisenzeiten

Karl-Heinz Streibich, Thomas Lenarz (Hrsg.)
acatech IMPULS

Resilienz und
Leistungs­fähigkeit des
Gesundheits­wesens
in Krisenzeiten
Karl-Heinz Streibich, Thomas Lenarz (Hrsg.)
Die Reihe acatech IMPULS
In dieser Reihe erscheinen Debattenbeiträge und Denkanstöße zu technik-
wissenschaftlichen und technologiepolitischen Zukunftsfragen. Sie erörtern
Handlungsoptionen, richten sich an Politik, Wissenschaft und Wirtschaft
sowie die interessierte Öffentlichkeit. Impulse liegen in der inhaltlichen
Verantwortung der jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Alle bisher erschienenen acatech Publikationen stehen unter
www.acatech.de/publikationen zur Verfügung.
Inhalt

Zusammenfassung und Kernbotschaften                          5

Projekt		                                                    7

1 Einleitung                                                 9

2 Information und Kommunikation                             11

3 Versorgungsstruktur und strategische Reserven             13

4 Zusammenspiel der beteiligten Institutionen und Akteure   17

5 Schlussfolgerung und Ausblick                             20

Literatur                                                   21
Zusammenfassung und Kernbotschaften

Zusammenfassung und                                               Weiterhin hat die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass eine solche
                                                                  globale Krise nicht nur das Gesundheitssystem betrifft: Vielmehr
Kernbotschaften                                                   stellt sie eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar.

                                                                  3. Die Stärkung präventiver Gesundheitsmaßnahmen spielt
Um die COVID-19-Pandemie einzudämmen, musste Deutsch-             eine wichtige Rolle: Vorbeugende Maßnahmen wie Social Distanc­
land, wie andere Länder auch, nahezu alle Bereiche des öffent-    ing und Quarantäne sowie die konsequente Nachverfolgung und
lichen und privaten Lebens zeitweise einschränken – ein gesell-   Unterbrechung der Infektionsketten haben offenbar wesentlich
schaftlicher Kraftakt. Mithilfe der ergriffenen Maßnahmen         dazu beigetragen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Län-
gelang es in den ersten Wochen und Monaten der Pandemie,          dern gut durch die erste Welle der Pandemie gekommen ist.
die Infektionszahlen zunächst zu senken und dann auf niedri-
gem Niveau zu stabilisieren. Ab Herbst 2020 nahm die Zahl         4. Damit einher geht aber auch die Notwendigkeit, gezielt zu
der Neuinfektionen allerdings wieder zu. Wenige Monate spä-       kommunizieren und die Bevölkerung umfassend aufzuklären.
ter wurden die ersten Impfstoffe zugelassen, die ein Ende der     Denn nur wenn die Bürgerinnen und Bürger verstehen, warum
Pandemie in Aussicht stellen.                                     und wie sie sich und andere schützen können, werden vorbeu-
                                                                  gende Maßnahmen Erfolg haben. Das ist angesichts sich dyna-
Die Lockdown-Maßnahmen gehen nicht nur mit hohen Belas-           misch ändernder Erkenntnisstände eine große Herausforderung.
tungen für das Gesundheitssystem einher, sondern auch mit
ökonomischen Herausforderungen, die die Bedarfe, Abläufe          5. Außerdem ist die Koordination und Kooperation der beteilig-
und Lebensbedingungen vieler Menschen stark beeinträchtigen.      ten Akteure (Behörden und Institutionen) auf allen Ebenen
Die COVID-19-Pandemie wird in ihren Auswirkungen voraus-          (lokal, Landes-, Bundes- und EU-Ebene) eine wesentliche Voraus-
sichtlich die Wirtschaftskrise von 2008/2009, deren Ausgangs-     setzung für ein erfolgreiches Krisenmanagement. Dabei müssen
punkt der Finanzsektor war, bei Weitem übertreffen. Im Gegen-     die föderalen Strukturen in Deutschland besonders berücksich-
satz zur Wirtschaftskrise sind von COVID-19 alle Regionen der     tigt werden. Hierzu zählt auch das koordinierte Krisenmanage-
Welt mit erheblichen Folgen für den internationalen Handel        ment der Krankenhäuser, um sowohl die Behandlung der Pande-
und seine Logistik betroffen.                                     miepatientinnen und -patienten als auch die Versorgung aller
                                                                  anderen Patientinnen und Patienten zu gewährleisten.
Es stellt sich also die Frage: Welche Erkenntnisse sind aus
der aktuellen Krise zu ziehen, und welche Verbesserungen          Eine deutliche Entspannung der Situation wird es erst geben,
müssen vorgenommen werden, um das Gesundheitssystem               wenn Impfstoffe in ausreichender Menge vorhanden sind bezie-
in Zukunft resilienter und gleichzeitig leistungsfähiger zu       hungsweise eine flächendeckende Immunisierung der Bevölke-
machen?                                                           rung erreicht ist. Ein vorrangiges Ziel ist also die Impfstoffent-
                                                                  wicklung und -verbreitung.
1. Eine ernüchternde und gleichermaßen bedeutende Erkenntnis
ist, dass die Frühwarnsysteme global besser vernetzt werden       6. Die Etablierung eines europäischen Innovationsökosystems
sollten. Dabei kommt dem Europäischen Centre for Disease          würde nicht nur die Rahmenbedingungen für eine beschleunigte
Control (ECDC) und der World Health Organisation (WHO) ent-       Impfstoffentwicklung schaffen, sondern allgemein die Leistungs-
scheidende Bedeutung zu.                                          fähigkeit des Gesundheitswesens verbessern und den Innova­
                                                                  tionsstandort Deutschland stärken.
2. Die gezielte Erhebung von Daten – auch und gerade inmitten
der akuten Krise – und deren gemeinsame Nutzung sind aus-         Um über die aktuelle Bewältigung der COVID-19-Pandemie hin-
schlaggebend, um das Infektionsgeschehen nachvollziehbar zu       aus zu lernen, sollten Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und
machen. Nur so können geeignete Maßnahmen ergriffen und           Politik unterschiedliche Szenarien definieren und modellieren,
fortlaufend an die aktuelle Entwicklung angepasst werden. Die     damit sich die Gesellschaft bestmöglich auf die nächste Krisen-
Möglichkeiten der Digitalisierung sind konsequent umzusetzen      situation vorbereiten kann. Die Modellierung von Krisenszena-
und auszubauen. Alle technologischen Lösungsräume sollten         rien kann dabei Anhaltspunkte geben, an welchen Stellen und
genutzt werden.                                                   mit welchen Maßnahmen die Gesellschaft und das Gesundheits-
                                                                  wesen resilienter werden können und müssen.

                                                                                                                                  5
Aufgrund der Vernetzungen und Abhängigkeiten innerhalb der          Dieses Ziel kann nicht kurzfristig erreicht werden, sondern setzt
Europäischen Union muss die nationale Perspektive um eine glo-      vielmehr mittel- bis langfristige Reformen und gemeinsame
bale Dimension erweitert werden. Gemeinsames Ziel aller Maß-        Anstrengungen der europäischen Staaten voraus. Nur so ist
nahmen muss sein, die gesamteuropäische Resilienz mit Blick         gewährleistet, dass die verschiedenen Gesundheitssysteme auf
auch auf globale Erfordernisse zu stärken.                          künftige Krisen besser vorbereitet sind und sich schneller daran
                                                                    anpassen können.

                                                           Innovations-
                                                            ökosystem

                                                         Finanzierung

                                                                             Staatliche
                                                                              und zivil-
               Governance                  Forschung
                                                                          gesellschaftliche                  Kommunikation
                                                                            Institutionen

                                                                                              Gesundheits-
                             Wirtschaft
                                                                                                fürsorge

                                                   Eu ropäis
                                                               che r Datenraum

Abbildung 1: Ein europäisches Innovationsökosystem würde nicht nur die Resilienz und Leistungsfähigkeit der Gesundheitsversor-
gung verbessern, sondern auch den Innovationsstandort Deutschland stärken (Quelle: eigene Darstellung/rawpixel.com/Freepik).

6
Projekt

                                                                  — PD Dr. Linus Grabenhenrich, Robert Koch-Institut (RKI)
Projekt                                                           — Prof. Dr. Dirk Heinz, Helmholtz-Zentrum für Infektions­
                                                                    forschung (HZI)
                                                                  — Prof. Dr. mult. Reinhard F. Hüttl, acatech Präsidiums­mitglied
Gesamtleitung                                                       (Amt ruht derzeit)
                                                                  — Prof. Dr. Carlos A. Guzmán, Helmholtz-Zentrum für
— Karl-Heinz Streibich, acatech Präsident                           Infektionsforschung (HZI)
                                                                  — Prof. Dr. Renate Köcher, Institut für Demoskopie
                                                                    Allensbach /acatech
Steuerkreis                                                       — Prof. Dr. Kai A. Konrad, Max-Planck-Institut für Steuerrecht
                                                                    und Öffentliche Finanzen /acatech
— Prof. Dr. Thomas Lenarz, Medizinische                           — Prof. Dr. med. Gérard Krause, Helmholtz-Zentrum für
  Hochschule Hannover /acatech                                      Infektionsforschung (HZI)
— Dr. Bernd Ohnesorge, Siemens Healthineers                       — Prof. Dr. Alice McHardy, Helmholtz-Zentrum für Infektions-
— Dr. Stefan Oschmann, Merck /acatech Präsidiumsmitglied            forschung (HZI)
— Manfred Rauhmeier, acatech Geschäftsstelle                      — Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann, Helmholtz-Zentrum
— Prof. Dr. Hermann Requardt, acatech Präsidiumsmitglied            für Infektionsforschung (HZI)
— Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt, Leibniz-Institut für   — Prof. Dr. Iris Pigeot, Leibniz-Institut für Präventionsforschung
  Wirtschaftsforschung /acatech Präsidiumsmitglied                  und Epidemiologie (BIPS)
                                                                  — Prof. Dr. Andreas Radbruch, Deutsches Rheuma-­
                                                                    Forschungszentrum Berlin (DRFZ)
Expertinnen und Experten                                          — Prof. Dr. Lucia A. Reisch, Copenhagen Business School /
                                                                    acatech
Wirtschaft                                                        — Prof. Dr. Andrea A. Robitzki, Karlsruher Institut für
— Anna Maria Braun, B. Braun Melsungen                              Technologie (KIT) /acatech
— Matthias Budde, Deutsche Telekom                                — Dr. Alexander Rudloff, Deutsches GeoForschungsZentrum
— Michael Byczkowski, SAP                                           Potsdam (GFZ)
— Stefan Dräger, Dräger                                           — Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rode, RWTH Aachen /acatech
— Steffi Dondit, Dassault Systèmes                                — Prof. Dr. Otmar Schober, Universität Münster /acatech
— Dr. Joachim Kreuzburg, Sartorius                                — Prof. Dr. Britta Siegmund, Charité – Universitätsmedizin
— Dr. Michael Meyer, Siemens Healthineers                           Berlin /Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
— Dr. Markus Müschenich, Flying Health GmbH /                     — PD Dr. Dierk Spreen, Deutsches GeoForschungsZentrum
  ehem. Sana Kliniken                                               Potsdam (GFZ)
— Dr. Jasper zu Putlitz, Triton /ehem. Bosch Healthcare           — Prof. Dr. Achim Wambach, Zentrum für Europäische
                                                                    Wirtschaftsforschung (ZEW) /acatech
Wissenschaft
— Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Wissenschaftszentrum Berlin       Weitere Institutionen
  für Sozialforschung (WZB) /acatech                              —   Andreas Storm, DAK-Gesundheit
— Dr. Andrea Ammon, European Centre for Disease                   —   Gerda Hasselfeldt, Deutsches Rotes Kreuz (DRK)
  Prevention and Control (ECDC)                                   —   Gerd Friedsam, Technisches Hilfswerk (THW)
— Prof. Dr. Mark Brönstrup, Helmholtz-Zentrum für Infektions-     —   Norbert Seitz, Ministerialdirektor a. D. /Deutsches Forum für
  forschung (HZI)                                                     Kriminalprävention /Fachkommission der Bundesregierung
— Dr. Rosa Castro, Federation of European Academies of                zum Thema „Rahmenbedingungen der Integration“
  Medicine (FEAM)
— Prof. Dr. Olaf Dössel, Karlsruher Institut für Technologie
  (KIT) /acatech

                                                                                                                                  7
Koordination und Redaktion                         Projektlaufzeit
—   Dr. Anna Frey, acatech Geschäftsstelle         07/2020 – 02/2021
—   Andreas Hutterer, acatech Geschäftsstelle
—   Alexander Mihatsch, acatech Geschäftsstelle    Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wird mit Mit-
—   Luisa Schmitt, Siemens Healthineers            teln des Bundesministeriums für Gesundheit unter dem Förder-
—   Pia Schroeder, acatech Geschäftsstelle         kennzeichen BVA: 2520COR010 gefördert. Die Verantwortung
—   Dr. Johannes Winter, acatech Geschäftsstelle   für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen
                                                   und Autoren.

8
Einleitung

1 Einleitung                                                         Die fünf Phasen, die unterschieden werden können, sind:

                                                                     ■   Prepare (vorbereitendes Handeln)
Die COVID-19-Pandemie zeigt, dass Virusinfektionen und andere        ■   Prevent (präventives Handeln)
gesundheitliche Krisensituationen in Zeiten der Globalisierung       ■   Protect (schützendes Handeln)
kein regional begrenztes Problem sind, sondern sich rasch zu         ■   Respond (reaktives Handeln)
einer weltweiten Herausforderung entwickeln können. Eine             ■   Recover and Re-Imagine (wiederherstellendes und
wesentliche Grundlage zur Bewältigung einer Pandemie sind in             adap­tives Handeln)
Echtzeit erhobene und ausgewertete Daten und Informationen
über den Erreger, über seine Verbreitung in der betrieblichen und    Resiliente Gesellschaften sind in der Lage, die menschlichen,
gesellschaftlichen Praxis sowie über die tatsächliche Wirkung        ökonomischen und ökologischen Schäden, die von widrigen
von eingeleiteten Gegenmaßnahmen. Dabei kommt der Wissen-            Ereignissen verursacht werden, so gering wie irgend möglich zu
schaft eine wichtige Rolle zu: Anstelle politischer Spekulationen,   halten. Sie schaffen das, indem sie die schädlichen Impulse abfe-
Vermutungen und Meinungen müssen in der Krise die metho-             dern, deren Wirkungen abmildern und sich flexibel auf neue
disch nachvollziehbare, naturwissenschaftliche Situations­           Lebensumstände einstellen. Dies ist eine gesellschaftliche Her-
analyse, die Abwägung von Optionen und die methodische               ausforderung und somit insbesondere auch Aufgabe der priva-
Lösungsentwicklung Grundlage von Entscheidungen und Kom­             ten Betriebe: Die Unternehmen müssen sich dessen gewahr sein
munikationsmechanismen sein.                                         und daran arbeiten, resiliente Strukturen auf- und auszubauen.
                                                                     Der Staat kann und muss sie dabei an geeigneter Stelle unter-
Eine zunehmende Spezialisierung unserer Funktionssysteme             stützen. Zu seinen Aufgaben gehört, die Infrastruktur für techno-
sowie die stetig vertiefte globale Vernetzung und Arbeitstei-        logische Lösungen bereitzustellen, einen transparenten Dialog
lung machen unsere Gesellschaft zunehmend anfällig gegen-            auf Augenhöhe mit der Bevölkerung zu führen und ökonomische
über Störungen. Gleichzeitig nehmen Extremereignisse zu,             Anreize zu setzen, um private und gesellschaftliche Interessen
deren Folgen aus allen Teilen der Welt rasch den Weg nach            auszubalancieren.
Deutschland und Europa finden. Die wachsende Vernetzung
lebenswichtiger Strukturen hat zur Folge, dass schon kleine Stö-     Entsprechende Fördermaßnahmen sollten darauf abzielen, resi-
rungen gravierende Auswirkungen auf das Gesamtsystem                 liente Strukturen zu schaffen, die dazu geeignet sind, schädliche
haben können. Dabei sind kritische Infrastrukturen wie Ener-         Auswirkungen von Krisen auf unsere Gesellschaft abzuschwä-
gie-/Wasserversorgung, Transport und Verkehr, Informations-          chen. Es werden zudem Metriken und Indikatoren benötigt, mit
technik/Telekommunikation, Lebensmittelversorgung/Ernäh-             denen die Verwundbarkeit der Gesellschaft und ihre Resilienz
rung und medizinische Versorgung besonders schützenswerte            bewertet werden können. Daneben müssen Methoden entwi-
Bereiche einer modernen Gesellschaft. Um für systemische Risi-       ckelt werden, mit deren Hilfe komplexe soziotechnische Systeme
ken besser gewappnet zu sein, ist es notwendig, künftig stärker
in den Ausbau resilienter – das heißt widerstandsfähiger – Sys-
teme sowie in präventive Maßnahmen zu investieren. Dabei
                                                                                                       Prep
umfasst der Begriff der Resilienz die Fähigkeit, die Funktion                                              are
eines Systems auch bei unerwarteten Störungen zuverlässig
aufrechtzuerhalten oder möglichst rasch in einen funktionsfä-                         Respond              Recover
higen Zustand zurückzuführen.1
                                                                                                Prot
                                                                                                     ect
Diese Definition beinhaltet die Annahme, dass nach einer Krise
adaptive Maßnahmen ergriffen werden, um sich besser auf
                                                                                      Prepare                 Prevent
zukünftige externe Schocks vorzubereiten. Die Visualisierung in
                                                                                         Rec
Form einer Resilienzspirale macht deutlich, dass am Ende der                                 ove
Krise nicht der Ausgangszustand wiederhergestellt, sondern ein
                                                                                                 r
angepasster, widerstandsfähigerer Zustand erreicht werden soll
(siehe Abbildung 2).
                                                                     Abbildung 2: Resilienzphasen (Quelle: eigene Darstellung)

1 | Vgl. acatech 2014.

                                                                                                                                    9
Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) entstanden. Es bringt
     Resilienz                                                      die Meinungen von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft,
     Resilienz ist die Fähigkeit, sich auf plötzliche und schwer    Wirtschaft und anderen Institutionen zusammen. Mit Hinter-
     vorhersehbare negative Ereignisse (Schocks) vorzuberei-        grundrecherchen, explorativen Interviews und in Onlinework-
     ten, diese zu bewältigen und auf Basis der gemachten           shops wurde versucht, ein vielfältiges Stimmungs- und Erfah-
     Erfahrungen Systeme anzupassen und zu verbessern.              rungsbild zu zeichnen. In Feedbackrunden mit dem Steuerkreis
     Resilienz ist dabei kein statischer Zustand, sondern ein       des Projekts wurden die Inhalte komprimiert. Das vorliegende
     kontinuierlicher Prozess.                                      Papier erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und es
                                                                    versteht sich auch nicht als eine wissenschaftliche Abhandlung.
                                                                    Vielmehr will es auf Basis erster Erkenntnisse, die aus der Coro-
modelliert und simuliert werden können. Eine resiliente Gesell-     nakrise gezogen werden können, einen Diskussionsbeitrag dazu
schaft ist außerdem in der Lage, selbst inmitten einer akuten       liefern, an welchen Stellen angesetzt werden muss, um das
Krise empirische Erkenntnisse über ihre Konsequenzen zu sam-        Gesundheitssystem der Zukunft widerstandsfähiger zu gestal-
meln. Darüber hinaus beobachtet und analysiert sie fortlaufend,     ten.
ob und wie die unterschiedlichen Anpassungsstrategien und
-maßnahmen funktionieren. Weitere wichtige Erfordernisse sind       Ausgangspunkt für den vorliegenden IMPULS ist also die Frage:
die Erforschung, Entwicklung und Umsetzung resilienter Designs
und resilienter Konstruktionsweisen für kritische Infrastrukturen   Welche Erkenntnisse sind aus der aktuellen Krise zu ziehen,
(Resilience Engineering), Strategien zur nachhaltigen Stärkung      und was muss verbessert werden, um das Gesundheitssystem
der Eigenverantwortlichkeit von Bürgerinnen und Bürgern im          in Zukunft resilienter und gleichzeitig leistungsfähiger zu
Angesicht widriger Ereignisse und Anreize für Unternehmen, ihre     machen?
Resilienz zu erhöhen. Relevant ist zudem die Sicherheitsfor-
schung. Auch digitale Technologien tragen dazu bei, die Resili-     Maßnahmen für mehr Resilienz des Gesundheitssystems sind
enz von Unternehmen, Behörden und anderen Institutionen zu          in verschiedenen Handlungsfeldern denkbar: im Bereich der
stärken.                                                            Information und Kommunikation (siehe Kapitel 2), im Bereich
                                                                    der Versorgungsstruktur und strategischen Reserven (siehe
Das vorliegende Impulspapier zur Resilienz des Gesundheitssys-      Kapitel 3) und im Zusammenspiel der beteiligten Institutio-
tems ist zwischen Juli 2020 und Februar 2021 im Auftrag des         nen (siehe Kapitel 4).

10
Information und Kommunikation

2	Information und                                                   Forschungsvernetzung

   Kommunikation                                                     ■   Im Zuge des Aufbaus einer nationalen Forschungsdateninfra-
                                                                         struktur ist der weitere Ausbau des bestehenden Forschungs-
                                                                         netzwerks COVID-19 ein erster wichtiger Schritt. Durch den
Die aktuelle COVID-19-Pandemie verdeutlicht, dass Daten und              dort generierten Wissensaustausch zwischen den deutschen
Informationen eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen             Universitätskliniken können die Forschungsaktivitäten zur
Bewältigung und Eindämmung einer Krisensituation spielen.                Bewältigung der aktuellen Pandemiekrise gebündelt und
Schon heute tauschen die EU-Mitgliedstaaten Daten aus. Die EU            gestärkt werden. Das BMBF fördert das Netzwerk mit annä-
sowie die Bundesrepublik Deutschland stellen bereits seit eini-          hernd 300 Millionen Euro.
gen Jahren umfangreiche finanzielle Mittel bereit, um einheitli-     ■   Alle generierten und erhobenen (Forschungs-)Daten sollten
che Digital- und Datenräume zu schaffen. Dies zeigt bereits erste        in den European Health Data Space integriert werden. Als
Erfolge. Dennoch müssen EU-weit Qualität und Detailgrad von              Blaupause dafür könnte der Health Data Hub (HDH) dienen,
Gesundheitsdaten weiter verbessert werden, um aus den erhobe-            eine landesweite Datenplattform, die die französische Regie-
nen Daten und gewonnenen Erfahrungen rasch die bestmögli-                rung im Rahmen ihrer National Health Strategy 2022
chen Gegenmaßnahmen ableiten und auf die Pandemie adäquat                beschlossen hat, um den Austausch und die Nutzung von
reagieren zu können. Dazu gehört zwingend, zusätzliche Daten-            Big Data im Gesundheitswesen zu erleichtern. Hier sind
erhebungen und -analysen anzustrengen, die passgenau auf die             Synergien denkbar.
aktuelle Situation zugeschnitten sind. Folgende Maßnahmen in         ■   Relevante Daten sind zum Beispiel Mobilitäts-, Kontakt- und
verschiedenen Bereichen der Information und Kommunikation                Meldedaten von Personen, ermittelte Infektionsketten, mole-
können die Resilienz des Gesundheitssystems erhöhen:                     kularbiologische Daten des Pathogens, beispielsweise dessen
                                                                         Genomsequenz und das komplette Mikrobiom beziehungs-
Digitalisierung                                                          weise Virom der entnommenen Probe, sowie molekularbio-
                                                                         logische Daten der Patientin beziehungsweise des Patienten
■   Es sollte eine Datenraumarchitektur mit einheitlichen                (Genom, Transkriptom, Proteom etc.) zusammen mit ihren
    (Daten-)Standards definiert werden, die sich im Krisenfall           beziehungsweise seinen klinischen Daten (datenschutzrecht-
    europaweit als Aktionsbasis für die Sammlung, Konsolidie-            lich schwierig).
    rung, Auswertung und Information nutzen lässt. Dafür ist ein     ■   Die Translation von Forschungsergebnissen aus Wissen-
    vertrauenswürdiger Datenschutzrahmen mit klarer Gover-               schaft und Wirtschaft in die Gesellschaft sollte zudem ausge-
    nance notwendig (inklusive Datenaustauschregulierung für             baut werden. Dafür ist eine funktionierende und belastbare
    Privatunternehmen, beispielsweise aus der Medizintechnik- und        digitale Infrastruktur notwendig. Für das weitere Vorgehen
    Pharmabranche, und für Forschungseinrichtungen). Gleichzei-          sollten verschiedene nationale Konzepte evaluiert werden.
    tig sollten Softwareunabhängigkeit und Hardwaresouveräni-        ■   Um Patientendaten zusammenzuführen und eine datenge-
    tät im Rahmen des Strategic Forum for Important Projects of          triebene Versorgung zu ermöglichen, sollten datenschutz-
    Common European Interest (IPCEI) gefördert werden.                   konforme Künstliche-Intelligenz-(KI)-Verfahren genutzt
■   Die elektronische Patientenakte sollte auf europäischer              wer­­den. Diese unterstützen eine schnellere und effizientere
    Ebene weiterentwickelt werden, inklusive Portabilität und            Diagnose sowie ein prognostisches Kapazitätsmanagement
    Interoperabilität, Austausch von medizinischen Bildern, Labor-       für akute Fälle und die Nachverfolgung Genesener. Darüber
    resultaten, Vereinfachung des Datenaustauschs/der Daten-             hinaus können KI-Verfahren bei der Auswertung und
    einsicht bei virtuellen Arztbesuchen etc. Es sollten Kriterien       Nutzung von CT-Daten einen wichtigen Beitrag für eine indi-
    festgelegt werden, mit denen der Mehrwert digitaler Gesund-          viduelle Vorhersage von Krankheitsverläufen und damit eine
    heitsanwendungen bewertet werden kann. Die Telematikin­              bessere Behandlung von Patientinnen und Patienten leis-
    frastruktur (TI) für das Gesundheitswesen sollte im Rahmen           ten.2
    des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) ausgebaut werden.         ■   Die Schaffung einer wissenschaftlichen Austauschplatt-
    Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken sollten verpflich-           form auf globaler Ebene wäre denkbar. Das EU-Projekt
    tend angeschlossen werden; für Hebammen und Physiothe-               SAPEA (Science Advice for Policy by European Academies)
    rapeuten sowie Pflege- und Rehabilitationseinrichtungen              bietet den Ansatzpunkt für eine solche geeignete Plattform.
    könnte der Anschluss freiwillig sein.

2 | Vgl. Liu et al. 2020.

                                                                                                                                   11
Freiwillige oder verpflichtende Datenweitergabe                                       solche Kennzahlen klar definieren und die Gewichtung
                                                                                      verschiedener Kennzahlen an die jeweilige Situation anpas-
■    Bei globalen Katastrophenszenarien wie Pandemien kann die                        sen und öffentlich kommunizieren.3
     nötige Effizienz im Informationsaustausch nicht aus­schlie-
     ßlich auf Freiwilligkeit basieren. Falls eine mangelnde Daten-               Kommunikation mit der Bevölkerung
     lage die Pandemiebekämpfung unmöglich macht, kann als
     Ultima Ratio auch über eine verpflichtende Datenweitergabe                   ■   Grundrechtseinschränkungen zum Wohle der Gesundheit
     nachgedacht werden. Das setzt jedoch hohe Datenschutz-                           müssen stets genau abgewogen und auf ihre Verhältnismä-
     standards voraus.                                                                ßigkeit überprüft werden. Der Staat darf die Freiheitsrechte
■    Außerdem müssen Transparenzmechanismen etabliert wer­­                           der Bevölkerung nur dann beschneiden, wenn andernfalls
     den, die den Bürgerinnen und Bürgern die weitere Speiche-                        das Gesundheitssystem an seine Kapazitätsgrenzen stößt.
     rung und Auswertung ihrer Daten nachvollziehbar darlegen.                        Die Maßnahmen, die der Staat ergreift, um die medizini-
■    Schließlich muss gewährleistet werden, dass (freiwillig oder                     sche Versorgung aufrechtzuerhalten und die Triage zu ver­­
     verpflichtend) weitergegebene Daten von Bürgerinnen und                          hindern, müssen auf einer mehrdimensionalen Risikoana-
     Bürgern nur für eng begrenzte und klar definierte Zwecke                         lyse beruhen, in die sämtliche Perspektiven und Risiken
     verwendet werden können.                                                         miteingeflossen sind. Der politische Entscheidungsprozess
■    Um innovative und zukunftsfähige KI-Lösungen und Algo-                           muss vollständig transparent kommuniziert werden, damit
     rithmen zu entwickeln, ist auch der Industrie der Zugang zu                      die Bürgerinnen und Bürger die Maßnahmen akzeptieren
     (Gesundheits-)Daten zu ermöglichen.                                              und mittragen.
                                                                                  ■   Das bedeutet, dass Entscheidungen transparent gemacht
Kennzahlen in der Pandemiebekämpfung                                                  und dabei Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie
                                                                                      berücksichtigt werden müssen. Anders ausgedrückt: Die
■    Kennzahlen sollten nicht nur das Infektionsgeschehen abbil-                      Kommunikationsstrategie der Politik sollte darauf ausgelegt
     den, sondern auch die Kapazitäten für die Behandlung von                         sein, den Ängsten der Bevölkerung entgegenzuwirken.
     schweren und Schwerstfällen sowie für die Kontaktverfol-                         Kommunikations-, Kognitions- und Verhaltenswissenschaftle-
     gung, die Unterbrechung von Infektionsketten und das                             rinnen und wissenschaftler sollten Kommunikationsmittel
     Monitoring des Virusgeschehens (beispielsweise durch                             entwickeln, die hinsichtlich Verständlichkeit und Zielgrup-
     Testungen repräsentativer Stichproben). Eine europäische                         peneignung dem State of the Art der Kommunikationsfor-
     Expertenkommission zur Pandemiebekämpfung könnte                                 schung entsprechen.

3 | Vgl. weitere Kennzahlen in einer aktuellen Studie von Schrappe et al. 2020.

12
Versorgungsstruktur und strategische Reserven

3	Versorgungsstruktur                                            Medizinische Versorgung (inklusive Krankenhaus-
                                                                   und Intensivbettenkapazitäten)
    und strategische
    Reserven                                                           Ambulante Versorgungsstrukturen (medizinische Versor-
                                                                   ■

                                                                       gungszentren, ambulante OP-Zentren) sollten gestärkt wer­den,
                                                                       damit ein Teil der planbaren, medizinisch notwendigen
                                                                       Eingriffe auch unter Pandemiebedingungen vorgenommen
Die Belastungsgrenzen und strukturellen Ausrichtungen der              werden kann. Es muss gewährleistet sein, dass Krankenhäuser
Gesundheitssysteme in der Europäischen Union sind sehr divers,         die Regelversorgung bei schweren akuten oder chronischen
was beispielsweise anhand der unterschiedlichen Ausstattung            Erkrankungen (onkologische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-
mit Intensivbetten deutlich wird. Es gibt Gesundheitssysteme,          Erkrankungen, neurologische Erkrankungen etc.) bestmöglich
                                                                       aufrechterhalten können. Dafür müssen sie anhand ihres
■   die überwiegend auf ambulante Versorgung setzen,                   Patientenaufkommens und der Inzidenzen in ihrem Einzugs-
■   die stationäre wie ambulante Versorgung gemeinsam an               gebiet genau abwägen, wann sie in den Elektiv-, Basis- und
    lokalen Zentren organisieren,                                      Pandemieversorgungsmodus wechseln.
■   die sowohl ambulante als auch stationäre Facharzt­             ■   Die Bundesregierung sollte einen Krisenstab berufen, in dem
    versorgung separat vorhalten.                                      neben anderen Akteuren auch Vertreterinnen und Vertreter
                                                                       aus Krankenhäusern sitzen. Dieser Krisenstab sollte für
Auch innerhalb des deutschen Gesundheitssystems gibt es regio-         Pandemiesituationen ein Konzept entwickeln, das es ermög-
nale Unterschiede in der Versorgung. Die Versorgungsstrukturen         licht, die Kapazitäten der Akutversorgung und Intensivme-
sind jedoch ausschlaggebend für die Belastungsgrenzen in einer         dizin inklusive der erforderlichen Technologien für Präzisions-
Krisensituation. Nach bisherigen Erkenntnissen ist es zur Ein-         diagnostik und individualisierte Therapien schnell umzu­rüsten.
dämmung der Pandemie beispielsweise von Vorteil, wenn Tes-             Die Behandlung von Schwer- und Schwerstkranken sollte an
tungen sowie die Versorgung von asymptomatischen und leicht            Häusern der Maximalversorgung gebündelt und die Patien-
erkrankten Menschen ambulant erfolgen, die Schwer- und                 tenströme in Häuser mit freien Kapazitäten umgelenkt
Schwersterkrankten dagegen in stationären Einrichtungen der            werden.
Maximalversorgung behandelt werden. Ein weiterer Aspekt, an        ■   Methoden der Künstlichen Intelligenz können die Entschei-
dem die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems gemes-             dungsverantwortlichen dabei effizient und ressourcenspa-
sen werden kann, ist neben den Reservekapazitäten auch die             rend unterstützen. Ist die maximale Kapazität beispielsweise
Fähigkeit, schnell von einem „Normal“-Zustand in einen „Krisen“-       von Krankenhaus- und Intensivbetten bekannt, lässt sich
Modus zu wechseln.                                                     mithilfe mathematischer Modelle und Algorithmen die Kran-
                                                                       kenhausauslastung bei einer bestimmten Infektionsdynamik
Reservekapazitäten betreffen dabei nicht nur die öffentlich viel       und damit verbundenen Fallzahlen vorhersagen. Neben
diskutierten Intensivbetten mit Beatmungsgeräten, sondern              regionalen Konzepten bedarf es einer Einordnung in das
auch und vor allem die allgemeine Ausstattung mit medizintech-         übergeordnete Infektionsgeschehen. Diese Vorhersage kann
nischen Geräten für Diagnose und Therapie, die Labor- und Test-        nicht langfristig sein und muss fortlaufend an das aktuelle
kapazitäten, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Impfstof-         Pandemiegeschehen angepasst werden – denn dieses kann
fen sowie – ganz besonders wichtig – die personellen Ressourcen        sich abhängig von politischen Maßnahmen, Verhaltensände-
des Gesundheitssystems.                                                rungen der Bevölkerung und anderen Einflüssen schnell
                                                                       ändern. Komplementäre Modellierungsansätze, die lokale
Um die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems im                  Gegebenheiten wie die demografische Struktur, den Arbeits-
Bereich der Infrastruktur und der Reservekapazitäten zu verbes-        markt, die Bildungslandschaft etc. detaillierter berücksichti-
sern, werden folgende Maßnahmen empfohlen:                             gen können, würden auch akkurate Vorhersagen für einzelne
                                                                       Regionen ermöglichen.
                                                                   ■   Eine modellgestützte Prädikation zur Planung der (Reserve-)
                                                                       Kapazitäten ist zu empfehlen. Diese Modelle sollten dabei
                                                                       unterschiedliche Szenarien beziehungsweise Eventualitäten
                                                                       abdecken, beispielsweise andere Übertragungsformen von

                                                                                                                                    13
Viren oder den periodischen Verlauf von Pandemien. Algo-              Ferner sollten einfache, automatisierte Testverfahren und
     rithmen und intelligente Entscheidungsunterstützungssys-              Schnelltests entwickelt werden, die wenig personalintensiv
     teme können Diagnose- und Therapieentscheidungen                      sind. Benötigt werden darüber hinaus mobile Labore und
     entlang des krankheitsspezifischen Behandlungspfads                   Teststationen für den flexiblen Einsatz in lokalen Hotspots,
     erleichtern und der Ärztin oder dem Arzt präzisere, behand-           auf Flughäfen oder in Alten- und Pflegeheimen.
     lungsorientiertere und schnellere Ergebnisse vorschlagen.         ■   In Pandemiezeiten müssen auch die Investitionen in die
     Derartige Applikationen nutzen Datenintegration sowie KI              Präzisions- und Präventionsmedizin intensiviert werden,
     und ermöglichen ein personalisiertes und standardisiertes             um jeder Patientin und jedem Patienten die richtige Behand-
     Patientenmanagement. Die Analyse von Key-Performance-                 lung zur richtigen Zeit zukommen zu lassen.
     Indikatoren gibt wertvolle Hinweise darauf, wie die Prozesse
     optimiert werden können.                                          Reservekapazitäten für strategische Arzneien und
■    Anhand eines „digitalen Zwillings“ eines Krankenhauses –          Medizinprodukte
     dessen digitales Abbild und Modell – könnten Kontamina-
     tionsrisiken, Logistikströme und Ressourcenplanung simu-          ■   Um den Versorgungsbedarf mit kritischen Arzneien und
     liert werden. Die Simulation der Verbreitung der Viren durch          Medizinprodukten der Bundesrepublik und der EU zu bestim-
     die Luft könnte dazu beitragen, Ansteckungsrisiken von                men, ist die Einberufung und Konsultation eines Experten-
     Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Pati-           gremiums zu empfehlen. Bei ihrer Analyse des Versorgungs-
     entinnen und Patienten besser zu verstehen und zu minimie-            bedarfs mit Arzneimitteln können die Expertinnen und
     ren. Zusätzlich erfolgt eine Risikobeurteilung für                    Experten auf bereits bestehende Listen kritischer Arzneien
     – den Bau neuer Gesundheitseinrichtungen (Feldkranken-                aus anderen Ländern sowie auf eine Liste des Bun­­des­instituts
          häuser usw.),                                                    für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zurückgreifen,
     – die Umrüstung bestehender Gesundheitseinrichtungen                  in der die versorgungsrelevanten Wirkstoffe aufgeführt sind.
          und Intensivstationen und                                        Innerhalb des BfArM gibt es einen Beirat, in dem sich Vertre-
     – die Raumaufteilung in Gebäuden (Bettpositionierung,                 terinnen und Vertreter der maßgeblichen Verbände, Organi-
          Desinfektion des Raums, Belegungsgrenzen usw.).                  sationen und Behörden über Liefer- und Versorgungsengpässe
                                                                           austauschen.4 Dieses Gremium sollte sich mit übergeordne-
Medizintechnik, Labor und Testkapazitäten                                  ten Gremien beispielsweise auf EU-­­Ebene austauschen und
                                                                           zusammenschließen. Eine Umfrage unter Krankenhäusern,
■    Vernetzung der medizinischen Akteure und Geräte: Die                  Krankenkassen, Ärztekammern, translatorischen Forschungs-
     verschiedenen Akteure und Institutionen können Daten                  einrichtungen, Medizintechnik und Pharmafirmen etc. könnte
     austauschen und nutzen, um die Qualität der medizinischen             die Bedarfs- und Bestandsermittlung abrunden.
     Versorgung zu verbessern. Sie können darüber hinaus die           ■   Eine vollständige Autarkie Deutschlands und Europas ist
     Auslastung ihrer medizinischen Geräte analysieren und                 aufgrund der globalisierten Lieferketten unrealistisch.
     nicht benötigte Geräte an andere Einrichtungen abgeben,               Deshalb ist es sinnvoll, ein überschaubares, (intensiv-)medizi-
     die diese dringend brauchen. Denkbar ist eine solche Vernet-          nisch relevantes Produktportfolio für einen begrenzten Zeit-
     zung auf nationaler sowie EU-Ebene.                                   raum zu bevorraten. Alle Nationen sollten als zentralen
■    Die verfügbaren Möglichkeiten der Medizintechnik sollten              Bestandteil ihres Krisenmanagements einen Mindestbe-
     ausgebaut, modernisiert und digitalisiert werden. Der                 stand an Arzneimitteln und anderen Ressourcen vorhal-
     Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bereich der Bildge-            ten. Um künftig auf eine Pandemie vorbereitet zu sein, soll-
     bung kann beispielsweise zu ganz neuen und flexiblen Diag-            ten sie außerdem einen Grundstock an Rohstoffen
     nose- und Therapieansätzen führen und das Gesundheits-                bevorraten, die zur Herstellung diagnostischer Tests benötigt
     system auch ökonomisch entlasten.                                     werden. Um neue Krankheitserreger nachweisen zu können,
■    Die Labore sollten sich kontinuierlich mit neuen Testverfah-          müssen zwar neue Tests entwickelt werden; molekulare und
     ren und Methoden auseinandersetzen. Der öffentliche                   serologische Tests basieren jedoch auf nur vier Standardfor-
     Sektor sollte die entsprechenden finanziellen Rahmenbedin-            mulierungen – einer für Molekulartests und drei für Antikör-
     gungen schaffen. Außerdem ist eine Vernetzung und stär-               pertests. Diese können schnell an neue Krankheitserreger
     kere Kooperation der Labore mit den Gesundheitsämtern                 adaptiert werden. Hier ist eine Abwägung zwischen gesund-
     erforderlich, um einen Rückstau der Proben zu vermeiden.              heits- und industriepolitischen Interessen nötig.

4 | Vgl. nach § 52b Abs. 3b AMG zu Liefer- und Versorgungsengpässen.

14
Versorgungsstruktur und strategische Reserven

■ Die Schaffung eines europaweiten, einheitlichen und ver­­          Versorgungssicherung und Diversifizierung der
  pflichtenden elektronischen Meldesystems über die                  Lieferketten
  Beschaffung und Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Medi-
  zinprodukten trägt ebenfalls zur Ermittlung des Bedarfs bei.       ■   Europa als Produktionsstandort sollte gestärkt werden.
  KI-Lösungen können dieses Meldesystem optimieren. Dafür                Damit einher geht die Sicherung der Lieferketten, auch in
  sind europaweite, verbindliche Vorgaben für die Meldungen              Zusammenarbeit mit Drittländern, um die Handelsströme zu
  bei den zuständigen nationalen Behörden erforderlich. Phar-            erleichtern. Einen ersten Schritt hat die Europäische Kommis-
  mazeutische Unternehmen, der Großhandel sowie Apotheken                sion mit der Verabschiedung der Leitlinie für Ausfuhrbe-
  müssen europaweit dazu verpflichtet werden, bestehende                 schränkungen bereits getan. Dadurch sollen die Integrität
  oder drohende Engpässe bei den zuständigen Behörd­­en zu               des EU-Binnenmarkts sowie im weiteren Sinne die Produk­
  melden. Da nicht jeder Lieferengpass auch ein Versorgungs-             tions- und Vertriebswertketten gewahrt und die notwendige
  engpass ist, sollte auf europäischer Ebene gemeinsam fest-             Versorgung der Gesundheitssysteme sichergestellt werden.5
  gelegt werden, welche Arzneimittel, Wirkstoffe und Medizin-            Abgesichert werden muss auch die „virtuelle“ Wertschöpfung
  produkte versorgungsrelevant sind.                                     im Bereich Software Engineering, die in den vergangenen
■ Konkrete zu bevorratende medizintechnische Produkte sind               Jahrzehnten vor allem nach Asien ausgelagert wurde; dieses
  insbesondere bildgebende Systeme, ohne die eine leitlinien-            Know-how ist kurz- und mittelfristig nicht zurückzuholen.
  konforme Behandlung von Patientinnen und Patienten kaum                Deutschland verfügt mit seiner Außenwirtschaftsverordnung
  möglich ist. Dazu zählen Röntgengeräte, Computertomogra-               über ein Instrument, mit dem es strategisch relevante Bran-
  fen (CT), Magnetresonanztomografen (MRT) und Ultraschall-              chen und Produktionsbereiche definieren und vor „unions-
  geräte. Allerdings muss beachtet werden, dass viele medizin-           fremdem Zugriff“ schützen kann. Aus Sicht der EU sollte eine
  technische Geräte eine hohe Innovationsgeschwindigkeit                 „Europäisierung“ derartiger Instrumente diskutiert werden.
  haben, also sehr schnell überholt sind. Das erschwert eine         ■   Eine Diversifizierung von Lieferketten ist grundsätzlich
  längerfristige Lagerung oder macht sie sogar unmöglich.                erstrebenswert, wenn auch nicht für alle Rohstoffe möglich.
	Auch Laborausrüstungen und Analysegeräte einschließlich                Bei der Überprüfung der Lieferketten sollte die Absicherung
  Prüfstoffen müssen bevorratet werden. Krankenhäuser sollten            kritischer Komponenten in Betracht gezogen werden,
  ihre Stationen und OP-Säle entsprechend den Empfehlungen               beispielsweise durch Backup-Lieferanten, lokale und regio-
  der Katastrophenmedizin mit medizintechnischen Geräten                 nale Beschaffung oder auch Eigenproduktion.6
  aus­­statten, die bei der Behandlung dringend benötigt werden.     ■   In Zusammenarbeit mit dem Privatsektor wäre Deutschland
  Dazu gehören beispielsweise Monitoring- und Beatmungsge-               in der Lage, das Know-how der Industrie bezüglich Herstel-
  räte oder OP-Einheiten mit entsprechendem Equipment. Der               lung, Lagerung und Distribution von Rohstoffen zu nutzen,
  Staat muss die hierfür nötigen finanziellen Rahmenbedingun-            um im Pandemiefall eine gleich bleibende Versorgung des
  gen schaffen oder Fördermöglichkeiten anbieten. Alle Vorräte           Landes mit Rohstoffen sicherzustellen. Hersteller könnten
  sind zentral zu verwalten und regional so zu verteilen, dass sie       sich beispielsweise verpflichten, die Materialien vor­­zuhalten,
  stets verfügbar sind. Auch das Vorhalten von Schutzausrüs-             die für diagnostische Tests oder für die Herstellung von
  tung für das medizinische, pflegerische oder Servicepersonal           persönlicher Schutzausrüstung benötigt werden. Die öffentli-
  ist essenziell, ebenso wie Ausnahmen von Reisebeschränkun-             che Hand könnte diese Bestände dann im Bedarfsfall abru-
  gen für das Fachpersonal. Dafür sind Notfallpläne für die              fen. Im Rahmen einer solchen Partnerschaft würde der Verlust
  Gesundheitswirtschaft auf nationaler Ebene erforderlich, die           von Rohstoffen, die aufgrund einer abgelaufenen Verwend-
  sich an den Bestimmungen und Plänen der EU orientieren.                barkeitsfrist entsorgt werden müssen, erheblich redu­­ziert. Da
■ Persönliche Schutzausrüstung muss in ausreichender                     der Privatsektor den Einsatz von Rohstoffen vor Ablauf ihrer
  Menge bevorratet werden, um die Phase bis zum Anlaufen                 Haltbarkeitsfrist steuern und jederzeit einen neuen Bestand
  der (erhöhten) Produktion im europäischen Raum zu über-                anlegen kann, wäre sichergestellt, dass stets ein angemesse-
  brücken.                                                               ner Vorrat zur Verfügung stünde.

5 | Vgl. BVMed 2020.
6 | Vgl. Kagermann et al. 2021.

                                                                                                                                      15
■    Digitale Lösungen wie elektronische Labels (eIFU, Electro-      Personelle Ressourcen
     nic Instructions for Use) und Datenplattformen, auf denen
     die Verteilung der Produkte erfasst wird, können unterstüt-     ■   Eine zentrale Datenbank des medizinischen Personals und
     zend wirken. Jedoch darf eine Vereinfachung regulatorischer         ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesund-
     Vorgänge nicht zu einer Absenkung von Patientenschutz-              heitssektor könnte die Verfügbarkeit von personellen Kapazi-
     standards führen.                                                   täten aufzeigen und eine zielgerichtete Steuerung des Perso-
                                                                         nals ermöglichen. In dieser Datenbank sollten auch spezielle
Rahmenbedingungen für Innovationen                                       Fähigkeiten und der Ausbildungsstatus der medizinischen
                                                                         Fachkräfte erfasst werden. Kontinuierliche Schulungen und
■    Voraussetzung für eine stärkere europäische Zusammenar-             bereichsübergreifende Weiterbildungen sollen gewährleisten,
     beit in Innovationsnetzwerken ist ein Innovationsökosys-            dass sie flexibel eingesetzt werden können. Zudem sollten
     tem, in dem Gründergeist, Unternehmertum und Innovatio-             sie regelmäßig darauf trainiert werden, wie sie in ver­­schie­
     nen stärker gefördert werden. Weniger strenge regulatorische        denen Katastrophenszenarien die Versorgung aufrechterhal-
     Rahmenbedingungen würden Unternehmensgründungen                     ten können. Um das Ansteckungsrisiko des medizinischen
     begünstigen. Ein Risikokapitalfonds könnte dazu beitragen,          Personals zu minimieren, sollten Krankenhäuser verstärkt
     die Liquidität eines Unternehmens aufrechtzuerhalten, wäh­­         auf robotische und telemedizinische Lösungen setzen.
     rend es an einer Innovation arbeitet und noch keinen Return     ■   Der „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ sieht
     on Investment verzeichnen kann. Über eine Investitionsini-          vor, dass die Gesundheitsämter in ganz Deutschland perso-
     tiative könnte der Staat Impulse für Innovationen, Forschung        nell aufgestockt, modernisiert und vernetzt werden. Damit
     und Entwicklung setzen. Agile öffentlich-private Partner-           der Gesundheitsdienst Informationen schneller weiterleiten
     schaften würden technologische Innovationen ebenfalls               und Maßnahmen effizienter koordinieren kann, muss die
     begünstigen.                                                        IT-Infrastruktur unverzüglich auf- und ausgebaut werden.
■    Um dringend benötigte Impfstoffe schneller verfügbar zu             Ergänzend sollen in Krisensituationen mobile Task Forces
     machen, sollte eine Europäische Impfstoffinitiative (nach           zum Einsatz kommen, um Kapazitätsengpässe zu verhindern.
     Vorbild der CEPI) weiter vorangebracht werden. Die Coali-           Diese könnten aus dem medizinischen Personal der Bundes-
     tion of Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) ist ein            wehr oder Hilfsorganisationen rekrutiert werden. Auf euro-
     Beispiel für die bemerkenswerten Fortschritte, die multilate-       päischer Ebene könnte eine mobile Task Force zum Beispiel
     rale Anstrengungen erzielen können: Im Rahmen dieser                als EU Health Task Force beim European Centre for Disease
     Initiative konnte die Zeit, die nötig ist, um einen Impfstoff       Control (ECDC) angesiedelt sein und in stark beanspruchten
     zu entwickeln, von circa sieben Jahren auf mittlerweile 12          Regionen katastrophenmedizinische Unterstützung leisten.
     bis 18 Monate verkürzt werden. Um Europa für die nächste        ■   Die Art und Weise, wie die Bevölkerung in einer Krisensitua-
     Pandemie besser zu wappnen, sind politische Entschei-               tion mobilisiert wird, sollte überarbeitet werden. Digitale
     dungsverantwortliche gut beraten, sich über eine europäi-           Möglichkeiten zur Ausbildung, Rekrutierung und zum Einsatz
     sche Impfstoffinitiative auszutauschen. Einzelheiten dazu           freiwilliger Helferinnen und Helfer müssen ausgeweitet und
     gilt es, gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus            stärker genutzt werden. Apps können für Absprachen
     Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu erarbeiten. Wenn die        zwischen den Freiwilligen oder für die Kommunikation mit
     europäische und deutsche Forschung, Wissenschaft und                der Zivilbevölkerung herangezogen werden. Dem medizini-
     Produktion gestärkt werden, können Engpässe und Abhän-              schen Personal können digitale Schulungsangebote unter-
     gigkeiten zwar nicht endgültig beseitigt werden, die Resili-        breitet werden, die auch der Bevölkerung zur Verfügung
     enz des eigenen Systems steigt jedoch.                              gestellt werden können.

16
Zusammenspiel der beteiligten Institutionen und Akteure

4	Zusammenspiel der                                                 Möglichkeiten zur Resilienzstärkung bietet oder ob einige föde-
                                                                     rale Prinzipien ein resilientes Gesundheitssystem eher behindern.
   beteiligten Institutionen
   und Akteure
                                                                     Um Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit herzustellen, müs-
                                                                     sen Pandemiepläne und föderale Behörden mit übergeordneten
                                                                     Regelungen und Maßnahmen übereinstimmen. Das heißt kon-
                                                                     kret, dass sich die kleinere Einheit bei der Durchführung ihrer
Während der Pandemie haben die Bürgerinnen und Bürger das            Maßnahmen stets an der größeren Einheit orientieren sollte.
Robert Koch-Institut als federführende Krisenreaktionszentrale       Durch klare Kompetenzverteilung und europäische Richtlinien,
wahrgenommen. Die Kernaufgabe des nationalen Public-Health-          nach denen sich alle Institutionen und Behörden der einzelnen
Zentrums – dessen Funktion aktuell das RKI größtenteils über-        Mitgliedstaaten richten können, sind die Strukturen effizient und
nimmt – ist das Erkennen, Verhüten und Bekämpfen von Krank-          die Maßnahmen der jeweiligen Krise angemessen. Gleichzeitig
heiten, insbesondere von Infektionskrankheiten. Daneben              können klare Strukturen und ein einheitliches Vorgehen die
exis­­tieren weitere Behörden, die in der Pandemiebekämpfung         Akzeptanz der Bevölkerung steigern. Dafür sind alle nationalen
eine wichtige Rolle spielen, wie in Abbildung 3 dargestellt. Die     Behörden eng mit den europäischen Partnern und Instanzen zu
Vielzahl an Akteuren auf Länder- und Bundesebene erschwert die       vernetzen. Aufgrund einer besseren Koordinierung der EU-Mit-
zielgerichtete Koordination der Katastrophenhilfe. Das Bundes-       gliedstaaten, beispielsweise bei der europäischen Preispolitik für
amt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) konnte        Arzneimittel oder ähnlichen Vergütungsmodellen, ist das euro-
beispielsweise aufgrund seiner rechtlichen Ausgestaltung seine       päische Gesundheitssystem besser gewappnet für etwaige Pan-
bestehenden Infrastrukturen nur bedingt einsetzen. Auf Grund-        demiefälle oder vergleichbare Krisen.
lage der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) ist das
Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern               Die Umsetzung der folgenden Handlungsempfehlungen würde
(GMLZ) die nationale IGV-Anlaufstelle in Deutschland und             die Koordination und das Zusammenspiel der Akteure verbes-
Ansprechpartner der WHO. Das BBK betreibt das GMLZ, das dem          sern:
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern (BMI)
obliegt. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) allerdings räumt dem      ■   Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnte als koordi-
RKI Handlungskompetenzen im Hinblick auf Infektionskrankheiten           nierende Institution für Forschungs- und Entwicklungsbemü-
ein. Kommunikation und Aufklärung über (Infektions-)Krankhei-            hungen im Gesundheitsbereich etabliert werden. Dafür benö-
ten – auch und insbesondere in akuten Krisen­­fällen – sollten bei       tigt sie eine Governance-Struktur, die Transparenz und
einem zentralen Akteur gebündelt werden; möglich wäre zum                Rechenschaftspflicht noch stärker in den Fokus rückt. Auf
Beispiel eine Stärkung der Bundeszentrale für gesundheitliche            deren Grundlage könnte eine unabhängige Vergabe von
Aufklärung (BZgA), um die Auf­­klä­rungsarbeit möglichst zentral         Fördergeldern erfolgen und über die Ausweitung des WHO-
und einheitlich zu gestalten.                                            Mandats zu einer regulatorischen und normativen Behörde
                                                                         mit politischen Akzenten nachgedacht werden.
Zentrale Einrichtungen für grenzüberschreitende Gesundheitsbe-       ■   Die Rolle der europäischen Institutionen, allen voran des
drohungen sind auf europäischer Ebene das European Centre for            European Centre of Disease Control (ECDC), sollte analy-
Disease Control und auf globaler Ebene die Weltgesundheitsor-            siert und dahingehend gestärkt werden, dass es die Aufga-
ganisation (WHO). Ihnen kommt im Rahmen von Forschung, Aus-              ben einer europäischen Krisenleitstelle besser wahrnehmen
tausch und Harmonisierungsbemühungen eine zentrale Rolle in              kann. Die europäische Forschungsvernetzung im Rahmen
der Pandemiebekämpfung und bei der Vernetzung relevanter                 des Joint Research Centre (JRC) sollte gestärkt und ausge-
Akteure zu. Angesichts der grenzüberschreitenden Bedrohung               baut werden.
durch Viren oder bakterielle Krankheiten müssen Maßnahmen            ■   Es bedarf einer Gesamtanalyse der Expertise sowie einer
und Reformen nicht nur national, sondern auch auf europäischer           anschließenden Profilschärfung der Fachbehörden des Bun­­
und internationaler Ebene beleuchtet werden. Denn die COVID-             des und der Länder. Außerdem sollten die Verbindungen
19-Pandemie zeigt, dass der europäische, aber auch der natio-            zwischen den Bundes- und Landesministerien sowie ihrer Fach­
nale Föderalismus an seine Grenzen stößt und das Zusammen-               behörden klar und transparent aufgezeigt werden. Für alle
spiel zwischen den verschiedenen Ebenen nicht reibungslos                Bereiche gilt eine Überprüfung auf Krisenkommunikations-
funktioniert. Es muss evaluiert werden, inwiefern der Föderalismus       kompetenz sowie interne Mobilisierungszeiten im Krisenfall.

                                                                                                                                      17
Zusammenspiel der beteiligten Institutionen und Akteure

                                                                                                           Schwerpunkt Behandlung                             Schwerpunkt Forschung                                                                                                     Unterstützung auf
                                                                                                                                                                                                                                                                                          lokaler Ebene
                                                                                                                                                                                                                                                                      RescEU
                                                                                                                                                                                                     Orchestriert europäisches                    ERCC                                        GMLZ
                                                                                                                                                                              GAVI                          Vorgehen
                                                                                                                                                                                                                                                                       EMC
                                                                                                                                   White           WHO                                                    Europäische
                                                                                                                                  Helmets                                                                 Kommission

                                                                                                                                                                              CEPI                                                                ECDC
                                                                                               Einrichtung zur Koordinierung
                                                                                                       von Hilfsmaßnahmen,         GMLZ                                                                                   Forschung und Innovation                                Koordinierung
                                                                                             Lageerfassung und –bewertung.                                                                                                   auf europäischer Ebene                                 europäische
                                                                                                                                                                                                                                                                           Forschungsvernetzung
                                                                                                                                                                         Nationale
                                                                                     Zivil- und Katastrophen-                                                       Gesundheitsbehörden
     GLOBAL                                        Häusliche Quarantäne             schutz- sowie Wohlfahrts-          operativer Krisenstab                          anderer Staaten
                                                                                           organisationen
     BUND
     LÄNDER
                                                      Testzentren oder                  Gesundheitsamt                  Landesgesundheits-         RKI
     IMMUNISIERUNG                                        Hausarzt                                                           behörde
                                                                 Meldung Laborergebnisse                                                                 IfSG § 4 Aufgaben
                                                                                                                                                                                                         Bundestag
AMG    Arzneimittelgesetz                                              gemäß IfSG                                                 Monitoring             des Robert Koch-Institutes
BBK    Bundesamt für Bevölkerungsschutz                                                                                        Intensivstationen                                                         IfSG § 5 Epidemische Lage von nationaler Tragweite
       und Katastrophenhilfe
BfarM Bundesamt für Arzneimittel und
       Medizinprodukte                                 Krankenhäuser                                                                DIVI                                                            BMG                                                       Forschungseinrichtungen
BMG    Bundesministerium für Gesundheit                                                                                                                                                                                   Etablierung Forschung
BMI    Bundesministerium des Inneren
BZgA   Bundeszentrale für gesundheitliche
       Aufklärung
CEPI   Coalition für Epidemic Preparedness
                                                                                                                                  KRINKO
DIVI   Deutsche Vereinigung für Intensiv-                                                                                                                     STIKO                   BZgA         BfArM               PEI
       und Notfallmedizin
DRK    Deutsches Rotes Kreuz
ECDC European Centre for Disease and
       Control
EMC    European Medical Coordination                                                                                                                                                                                                                                   Impfstoff
                                                                                                                           Krankenkassen
       Centre                                                                                                                                                                                                           Zulassung Arzneimittel und
ERCC   Emergency Response Coordination                                                                                                                                                                                Medizinprodukte nach § 77 AMG
       Centre
GAVI   Global Alliance for Vaccines and
       Immunisation                                                                                                                                               Empfehlung einer      Aufklärung und
GMLZ Gemeinsames Melde- und Lagezentrum                                                                                                                           Impfstrategie         Kommunikation
IfSG   Infektionsschutzgesetz
KRINKO Kommission für Krankenhaushygiene
                                                      Infizierte Person                                                  Gesundheitsfonds                                                                                                                          Pharmaindustrie
       und Infektionsprävention                                                       Finanzierung der Kosten
PEI    Paul-Ehrlich-Institut                                 Behandlung/               Behandlung/Impfung
RescEU Europäisches System zur Bewältigung                   Impfung
       von Katastrophen
RKI    Robert Koch-Institut
STIKO Ständige Impfkommission
THW    Technisches Hilfswerk                                                                                                                         Impfzentrum o. Ä.
WHO    Weltgesundheitsorganisation

Abbildung 3: Zusammenspiel der verschiedenen Akteure (Quelle: eigene Darstellung)

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