E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
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INHALT Forderungen der Inklusion geht alle an: GEW an die künftige Kleine Nachlese von der Regierung für den Hochschul-politischen Bereich Schule Konferenz des Landes 2021 Seiten 10 - 16 Seiten 18 Der Mindestpersonal- Buchempfehlung: Termine und schlüssel: Und täglich All that‘s left: Roman Veranstaltungen grüßt das Murmeltier… von Sarah Raich – Ein Seite 19 dystopisches Jugend- Seiten 5 - 8 buch für die Generation »Fridays for Future« Shortcuts: Seite 17 Kitas in MV: So kann und darf es nicht weiter IMPRESSUM Namentlich gekennzeichnete Bei- träge vermitteln nicht zwingend gehen! die Positionen der Redaktion oder Herausgeberin Erscheinungsweise der GEW MV. Für den Abdruck Gewerkschaft Erziehung E&W kompakt 6 x jährlich eingesendeter Beiträge behält Studie belegt: Digitali- und Wissenschaft im DGB E&W plus -Magazin- 3 x jährlich sich die Redaktion das Recht auf sierung an Schulen geht Landesverband M-V Abdruck oder Übernahme in an- Kürzungen vor. www.gew-mv.de dere Medien (auch auszugsweise) nur ungleich voran V.i.S.d.P. Annett Lindner nur nach vorheriger Genehmi- Herstellung und Maik Walm gung durch die Redaktion. Layout: Maik Scheler Digitalpakt: Schulen Redaktion Das nächste Magazin erscheint Kommunikationsdesign E&W plus/Magazin: Februar 2022 post@maikscheler.de können Endgeräte an- Lübecker Straße 265a 19059 Schwerin E&W kompakt: November 2021 schaffen Druckauflage: 4.650 Exemplare Druck Kontakt Steffen Media GmbH Telefon: 0385 48527-0 Verlag mit Anzeigenabteilung www.steffen-media.de/ Gesucht: Der Vorstands- Fax: 0385 48527-24 Stamm Verlag GmbH Goldammerweg 16 Bildnachweise bereich Schule braucht presse@gew-mv.de 45134 Essen Titel: inkje/photocase.de; Redaktionsleitung: Katrin Zschau Verstärkung! Redaktion: Michaela Skott (ms) S.5: tilla eulenspiegel/photocase.de; Schlusskorrektur: H. Gutzmann Gültige Anzeigenpreisliste unter: S.6: pontchen/photocase.de; Seite 4 www.stamm.de S.10: chrisfink/photocase.de S.11: estherm/photocase.de Anzeigen Regionalverbände Bianka Beerbalk Verantwortlich für Anzeigen: S.12: Eliza/photocase.de Telefon: 0385 485-2727 Mathias Müller S.13: zettberlin/photocase.de bianka.beerbalk@gew-mv.de Telefon 0201 843000 S.14: Rainer Fuhrmann/photocase.de Redaktionsschluss Fax: 0201 472590 S.15: shape/photocase.de 15. d. Vormonats anzeigen@stamm.de S.18: seventyFour/istock.com 2 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
UNGESCHMINKT – DER ALLTAG IN UNSEREN BILDUNGSEINRICHTUNGEN Liebe Kolleg*innen, diese Ausgabe unseres Bildungsmagazins ist eine besondere. Bei ihrer Erscheinung hat MV bereits gewählt, der Redaktionsschluss selbst liegt jedoch knapp zwei Wochen vor die- Annett Lindner sem 26. September. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen auf Landes- und Bundesebene und Maik Walm, befinden wir uns nun im Prozess der Verhandlungen um Regierungskoalitionen. Als mit- Landesvorsitzende gliederstärkste Interessenvertretung für alle Beschäftigten in der Bildung wollen wir uns der GEW Mecklen- mit unseren Schwerpunkten und Forderungen in diese Verhandlungen einmischen und burg-Vorpommern wir wollen eine Bildungspolitik eröffnen, die allen Beschäftigten und unseren Kindern positive Zukunftsaussichten bietet und dabei niemanden zurücklässt. Wir meinen: Wer gute und richtungsweisende Entscheidungen treffen will, muss wis- sen, worum es wirklich geht. Mit diesem Heft haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, ungeschminkt über die Zustände in der Bildung in MV zu berichten. Wir haben unsere Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen um Berichte gebeten und nutzen diese Plattform, um ihnen ein Sprachrohr zu sein. Oft werden wir auch von der Presse gefragt: Haben Sie für dieses oder jenes ein Beispiel aus der Praxis? Hier liegt nun ein ganzes Magazin voller Eindrücke vor. Dabei haben wir in die Texte jeweils nur so wenig wie möglich redaktionell eingegriffen – das betrifft auch die Schreibstile. Die Fragestellung war offen: Wie erlebst du deinen Arbeitsalltag? Was muss sich ändern? Die hier geschilderten Eindrücke stellen also ein individuelles Erleben und persönliche Meinungen dar. Nicht alle machen wir uns als Ge- werkschaft zu eigen. Dennoch wollten wir zeigen, wie vielfältig auch die Sichtweisen sind. Ihr werdet von Problemen lesen, die euch bekannt vorkommen. Vielleicht nickt Ihr an der einen Stelle und schüttelt an einer anderen mit dem Kopf. Insgesamt wird deutlich: Wir alle sitzen im selben Boot. Ganz gleich ob Krippe, Kita, Hort, Schule und berufliche Schule oder Hochschule. Doch trotz aller Widrigkeiten sind wir uns sicher; ganz gleich ob Erzieher*in, Pädagog*in, Schulsozialarbeiter*in, upF, Integrationsfachkraft, Professor*in oder Dozent*in: Wir alle haben den schönsten Beruf der Welt gewählt! Dafür, dass Veränderung möglich wird, setzen auch wir uns ein. Deshalb bitten wir euch auch dieses Mal: Engagiert euch für eine starke Gewerkschaft! GEWerkschaftliche Grüße! Eure Landesvorsitzenden Annett Lindner und Maik Walm 3
Kitas in MV: Digitalpakt: Schulen So kann und darf es können Endgeräte nicht weiter gehen! anschaffen D R ie Kitabetreuung im Land ist nicht kindgerecht. Zu diesem Urteil kommt der aktuelle Ländermonitor und 100 Mio. Euro erhält MV aus Mitteln des Digi- „Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertels- talpakts bis zum Ende des Jahres 2024. Das Land mann-Stiftung. „Uns fehlen 2.000 Fachkräfte zu einem gibt selbst noch einmal etwa 10 Mio. Euro dazu. Bis ausreichenden, kindgerechten Personalschlüssel. Kinder zum September waren lediglich 25,2 Mio. Euro abgerufen. aus MV haben damit schlechtere Bildungschancen als jene Diese vergleichsweise niedrige Summe führt das Bildungs- aus anderen Bundesländern. So kann und darf es nicht ministerium u.a. auf das Erstattungsprinzip zurück. Schul- weitergehen!“, erklärt die GEW-Landesvorsitzende Annett träger investieren zunächst selbst und reichen erst nach Lindner. Von der neuen Landesregierung muss aus Sicht Abschluss der Projekte die Abrechnungen ein. Deshalb der GEW MV sofort ein klares Signal ausgehen, das in ei- sollen die Abrufzahlen nicht den tatsächlichen Fortschritt nem Stufenplan die Anpassung des Personalschlüssels und der Digitalisierung an den Schulen widerspiegeln. Bis zum die dafür notwendigen Ausbildungskapazitäten vorsieht. Ende dieses Jahres erwartet das Land einen Mittelabruf bis zur Hälfte der Digitalpaktsummen. Das Bildungsministeri- um weist außerdem auf eine vereinfachte Antragstellung hin. Schulen müssen das Medienbildungskonzept nicht Studie belegt: mehr vor der Beantragung einreichen. Es ist ausreichend, wenn dies während des Umsetzungsprozesses passiert. Digitalisierung an Schulen geht nur ungleich voran Gesucht: Der Vorstandsbe- I reich Schule braucht n Bezug auf die Digitalisierung der Schulen ist Deutsch- land dabei auch im europäischen Vergleich aufzuholen, Verstärkung! das zeigte das Forschungsprojekt „Digitalisierung im Schulsystem – Herausforderung für Arbeitszeit und Arbeits- U belastung von Lehrkräften“ bei der Veröffentlichung eines ersten Zwischenstandes im Juni auf. Die bundesweite nsere Vorstandsbereiche und Fachgruppen sind Forschung wird durch die Max-Traeger-Stiftung und die die bildungspolitischen Denkfabriken der GEW BGAG-Stiftung Walter-Hesselbach gefördert. Die Gewerk- MV. Hier kommen interessierte Kolleg*innen schaft Erziehung und Wissenschaft hat beim Zugang zu den zusammen, tauschen sich aus und beraten gemeinsam, Lehrkräften Unterstützung geleistet. Die Erhebungsphase welchen Themen wir uns verstärkt widmen müssen. Sie dauerte über sechs Wochen, von Januar bis Februar 2021 an. planen konkrete Aktionen, Projekte und Veranstaltungen 2.750 Lehrkräfte haben sich zuvor registriert und Auskunft für die Mitglieder in ihren Arbeitsbereichen. Über enga- über ihre Arbeitssituation im Rahmen der Digitalisierung gierte Mitstreiter*innen aus allen Schularten und Berufs- gegeben. Die erste Veröffentlichung zeigte aber auch, dass gruppen an Schulen freuen wir uns sehr, denn je mehr wir sich kein einheitliches Bild zu den Digitalisierungsfort- sind, desto mehr Perspektiven und gute Ideen kommen schritten zeichnet. Vielmehr geht die Schere zwischen zusammen und die selbstauferlegte Arbeit lässt sich auf „Digitalen Vorreiter-Schulen“ und „Digitalen Nachzügler- viele Schultern verteilen. Interessierte erfahren alles, was Schulen“ sehr auseinander. Die abschließenden Ergebnisse sie dazu wissen möchten, bei: Anja Dornblüth-Röhrdanz, wurden für den September erwartet und sollen unter Telefon 0175 1848938, Email: anja.dornblueth-roehrdanz@ www.arbeitszeitstudie.de veröffentlicht werden. gew-mv.de 4 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Der Mindestpersonalschlüssel Und täglich grüßt das Murmeltier… W ährend um die Zehnerjahre herum unser ge- werkschaftliches Streben im Wesentlichen da- rin bestand, für die Kindertageseinrichtungen gute Arbeitsverträge und eine Vergütung zu erreichen, die einen Zweitjob nicht zwingend notwendig machte, wan- Erzieherin, 48 Jahre: Fast 30 Jahre ist es her, da startete ich als junge Erzieherin ins Berufsleben. Erzieherin in einer Kita - mein absoluter Traumberuf! 30 Jahre, in denen sich vieles verändert hat, geblieben sind die schlechten Rahmenbedingungen. Mecklenburg-Vorpommern hat bundesweit den schlechtesten Personalschlüssel. „Im Durchschnitt“ (Kifög) betreue ich 16 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren. 16 Kinder mit unterschied- lichsten Bedürfnissen: 16 Kinder mit unterschiedlichem Entwicklungsstand, Kinder mit Inklusionsbedarf, Kinder delte sich das Bild zu den 20-iger Jahren hin zunehmend. mit Migrationshintergrund. 16 Kinder, die alle ein Recht auf Ja, noch immer lässt die Bezahlung bei vielen Trägern zu einen schönen Kita Alltag haben! viel Platz hin zu einem fairen Angebot. Doch insgesamt steigen die Gehälter, auch weil es mehr und mehr in der Diese täglichen Herausforderungen sind für mich, für alle GEW organisierte Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit meine Kolleg*innen, ein unglaublicher Spagat! Einen gro- uns gemeinsam Tarifverträge erkämpfen. ßen Teil des pädagogischen Alltags macht mittlerweile die Arbeit am Schreibtisch aus. Es müssen Beobachtungsbö- gen, Entwicklungsgespräche, Portfolios und Projekte regel- Nun sorgten wir uns, beginnend im Jahr 2017, um die sich mäßig schriftlich dokumentiert werden. Elterngespräche, stetig verschlechternden Arbeitsbedingungen. Denn mit Elternabende sowie die täglichen pädagogischen Angebote der besseren Fach-Kraft-Kind-Relation ging nicht automa- müssen vor- und nachbereitet werden. Kommen dann tisch auch eine ausreichende Personalausstattung einher. Krankheits-/Urlaubstage dazu, besuchen Kolleg*innen Als das so genannte „Gute-Kita-Gesetz“ vom Bund kam, Weiterbildungen, dann bricht der sowieso schon eng machten wir deutlich, dass das Geld dringend in einen gestrickte Dienstplan ganz zusammen. Wieviel Zeit bleibt landesweit einheitlichen, gesetzlichen Mindestpersonal- hier noch für das einzelne Kind?! Individuelle Zeit für jedes schlüssel fließen muss. Das Ende ist bekannt. Nahezu alle Kind?! Zeit für ein Gespräch, für ein Pflaster, für ein Lied - Mittel flossen in die beitragsfreie Kita, mit dem Ergebnis, Zeit für meine jungen Traumberuf-Vorstellungen von vor dass MV auch weiterhin das Schlusslicht in Sachen Betreu- 30 Jahren…. ungsqualität im Bundesvergleich bleibt. Deshalb fordert die GEW MV für die neue Legislaturperiode erneut den Der Personalschlüssel muss gesenkt werden! landesweit einheitlichen, gesetzlichen Mindestpersonal- Erzieher*innen müssen eine finanzielle Wertschätzung er- fahren! Dienstjahre müssen vollständig anerkannt werden! schlüssel, der auskömmlich bemessen ist und das Kindes- Wenn nicht ein ganz schnelles Umdenken in der Politik wohl präventiv schützt. Der Beruf der Erzieher*innen muss stattfindet, dann wird für die nächste junge Generation durch bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen Erzieher*innen der Traum vom Beruf zum Albtraum. deutlich attraktiver gemacht werden. Dafür brauchen www.gew-mv.de 5
wir sowohl auf Bundes- Erzieherin, 45, Wohngruppe: Ein paar Worte zum „Hei- als auch auf Landesebene malltag“ in einer Wohngruppe mit Bewohnern im Alter zwischen 13- 17 Jahren und eigentlich sechs Betreuern, seit starke politische Bemü- langem allerdings bis jetzt ersatzlos mit fünf Betreuern im hungen zur langfristigen Schichtsystem. Trotz vereinbarter betreuungsfreier Zeit am Finanzierung. Gute Bildung Vormittag, gibt es diese nicht, da es Schulverweigerer oder braucht einen hohen kranke Jugendliche gibt, die betreut werden müssen. Die Standard, mindestens auf Arbeitsverträge der Mitarbeiter laufen alle auf 32h Stamm- dem Niveau des DQR 6. Die arbeitszeit, um ihre Stunden nach Bedarf zu legen. Dem Autorin: Ausbildung zur staatlich entgegen steht, dass der Betreuungsaufwand/ Zeit nicht Annett Lindner, GEW- anerkannten Erzieherin/ weniger wird, wenn die Gruppe nicht voll ausgelastet ist, es Landesvorsitzende zum staatlich aner- muss trotzdem gearbeitet werden und es müssen Betreuer kannten Erzieher muss vor Ort sein. Daraus ergeben sich „Überstunden“, die nicht kostenfrei ermöglicht werden. Wir brauchen ausreichend vergütet werden. Bei Langzeiterkrankten wird aufgrund Ausbildungskapazitäten. Wir fordern das Land auf, eine von Personalmangel kein adäquater Ersatz gestellt. Mög- bundesweit anerkannte, schulische und praxisintegrierte liche Springer gibt es nur für Tagdienste, aber gerade für die Nächte, in denen kaum ein Betreuer wirklich schlafen (dual-orientierte) Ausbildung zu staatlich anerkannten kann, müsste es Aushilfen geben ( z.B. studentische Hilfs- Kindheitspädagog*innen für 0- bis 13-jährige an den kräfte o.Ä.). Außerdem sind die Schlafräume der Betreuer höheren Berufsfachschulen zu etablieren. Auszubildende extrem klein und nur durch eine Rigipswand vom Zimmer der praxisintegrierten Ausbildung dürfen nicht auf den der Jugendlichen abgetrennt und extrem hellhörig. Durch Fachkräfteschlüssel angerechnet werden. Mentor*innen häufige Abgängigkeit der Jugendlichen entsteht regelmä- ßige Nachtarbeit. Die vor-Ort-Bereitschaft wird nur mit 20% der normalen Stunde entlohnt. Durch die kurze Nacht- Erzieherin, 34 Jahre, Krippe: Ich arbeite seit sechs Jahren ruhe legt sich jeder Betreuer nach seinem Dienst zu Hause in einer Krippengruppe. Der Alltag sieht meistens so aus, nochmal hin, die Life-Work-Balance ist nicht gegeben. dass im Durchschnitt 16 von 18 Kindern anwesend sind. Kollegen müssen oft Aushilfe in anderen Gruppen leisten. Oft arbeiten wir nur zu zweit (drei Fachkräfte wären laut Zunehmende Probleme der Jugendlichen wie etwa, Drogen, Schlüssel erforderlich/Anm. d. Red.) in der Gruppe mit Alkohol oder kriminelle Handlungen und eine Heimzulage den 0-3-Jährigen. Das kommt daher, weil Kollegen durch in lächerlicher Höhe von nicht mal 35 € … Krankheit ausfallen, Urlaub haben, sich auf Weiterbil- dung befinden oder durch ihre Wochenarbeitsstunden und Dienstabdeckung später zur Arbeit erscheinen. Der Mindestpersonalschlüssel lässt im Krippenbereich mit vier Gruppen einen Springerkollegen zu. Daher ist es oft unmöglich alle Krippengruppen personalgerecht abzudecken. Selbst wenn alle Gruppen abgedeckt sind, ist der Alltag mit 18 Kindern eine Herausforderung. Es ist auf dieser Basis nicht einfach auf die individuellen Bedürfnis- se der Kinder einzugehen und sie in ihrer Individualität zu stärken und zu fördern. Dazu kommt die Eingewöhnung von Kindern in der Gruppe. Die Eingewöhnungskinder müssen sich erst an die neue Umgebung, den Tagesrhyth- mus und die neuen Personen gewöhnen. Wir sind auch im regelmäßigen Austausch mit den Eltern zu den Themen ihrer Kinder. Egal ob es die täglichen Gespräche bei der brauchen mehr Zeit und kostenlose Weiterbildungen, Abholung von den Kindern ist, die halbjährlichen Entwick- um ihre Aufgaben zu erfüllen. Wir fordern außerdem die lungsgespräche oder durch Elternabende. Für die Eltern Erhöhung der mittelbaren pädagogischen Arbeitszeit für nehmen wir eine erziehungsunterstützende und beratende Inklusion (1. Schritt: 5 Stunden pro Fachkraft, 2. Schritt: Rolle ein, die die meisten Eltern annehmen. Ich bin gerne langfristig 8 Stunden) sowie den Einsatz des Landes für Erzieherin im Krippenbereich, weil man immer ein Lächeln einen flächendeckenden (Mindest-)Tariflohn. Integrations- von den Kindern zurückbekommt und sieht, wie schnell sie Helfer*innen müssen zu Erzieher*innen und Lehrkräften selbstständig werden. Dazu kommt, dass man ihnen trotz gleichgestellt werden. Die Anerkennung muss sich in der der widrigen Umstände einen guten Start in einem neuen Bezahlung zeigen. Lebensabschnitt ermöglicht. 6 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
M., 19 Jahre, Erzieher: Als frisch ausgebildeter „Staatlich anerkannter Erzieher für 0-10 jährige“ bin ich vor etwa Integrationshelferin, 36 Jahre: Jeden Tag begleiten wir einem Monat in den Arbeitsalltag eines Erziehers im Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten gestartet. Während meiner Ausbildung habe Krippen- , Kita- und Hortalltag. Die Anzahl unserer zu erfül- ich gelernt, individuell auf die Bedürfnisse jedes einzelnen lenden Fachleistungsstunden werden in einem Hilfege- Kindes der Gruppe einzugehen, attraktive Bildungsinter- spräch besprochen und vom Fachdienst Soziales entweder aktionen für sie zu gestalten und diesen so wichtigen Weg genehmigt oder abgelehnt. Oft reichen diese Stunden nicht vom Erkunden und Lernen professionell zu dokumentie- aus, da wir nach den geleisteten Stunden noch mit Netz- ren. Doch leider sieht die Realität in der Kindertagesstätte werkarbeit beschäftigt sind. Das sind u.a. Gespräche mit ganz anders aus. Es ist kaum Zeit jedes einzelne Kind aus Erzieher*innen, Lehrer*innen, Eltern und Therapeut*innen. einer der überfüllten Gruppen in seiner Individualität Da der Beruf der Integrationshelfer*innen noch nicht lange wahrzunehmen, geschweige denn qualitativ hochwertige besteht, mangelt es u.a. an Aus- und Weiterbildung, der Bildungsinteraktionen zu planen oder die persönlichen tariflichen Zuordnung, inklusive Anerkennung einer selbst- Entwicklungsschritte im Portfolio zu dokumentieren. finanzierten Ausbildung (z.Bsp. Fachkraft für Integrations- Alles muss immer ganz schnell gehen, egal ob die Qualität pädagogik) sowie einer einheitlichen Berufsbeschreibung darunter leidet. So gut die neuen Fachkräfte auch ausge- mit festgelegten Rahmenbedingungen. Es werden immer bildet werden, so lange sich die Arbeitsbedingungen der mehr Integrationshelfer*innen benötigt, doch leider ist Erzieher*innen in den Kindertagesstätten nicht ändern, der Beruf aufgrund der Mängel nicht sehr attraktiv. Hinzu wird keine qualitative Bildung möglich sein. kommen fehlende Informationen an die beteiligten Institu- tionen wie Krippe, Kita, Schule oder Hort über den Nutzen und die Befugnisse eines Integrationshelfers. Traurig ist ebenso, dass wir als externe Beschäftigte an den genannten Institutionen während der Corona-Pandemie von der Politik „vergessen“ wurden. Wir mussten bei Beschlüssen, Tests und Impfungen auf uns aufmerksam machen, damit wir auch bedacht werden. Kitaleitung, 60 Jahre: Meine Leitungstä- von Pandemiekonzepten und Informati- (Bildungskonzeption) und Eltern, die in tigkeit begann mit der Vorstellung und onen an Eltern und Mitarbeiter. Einer der Diskrepanz zum Personalschlüssel stehen, großer Motivation unsere Kita zu einer größten Zeitfresser im Arbeitsalltag ist umzusetzen. Die Umsetzung der BIKO Bildungseinrichtung „wie sie im Buche der hohe Verwaltungsaufwand und eine erfordert das Einführen neuer Standards, steht“ zu entwickeln. Und dann begann völlig überzogene Bürokratie. das Erarbeiten von verbindlichen Zielen der Alltag mit den täglichen Herausforde- und Strukturen und die Weiterbildung rungen: der zeitaufwändigen, fast tägli- Es ist ein bisschen wie „Schule“ – jeder des Personals. Dies bindet Zeit und chen, Neuorganisierung der Dienstpläne Lehrer (jedes Amt / Entscheidungsträger) passiert nicht in der Freizeit. Es erstaunt durch Krankheit, der hohen Kunst, Lücken glaubt es sei das/der Einzige und gibt mich, dass wir trotz aller Widrigkeiten zu stopfen und dabei vielleicht noch Mög- wunderbare „Hausaufgaben“ auf. Wir mit unserem Team Reserven mobilisie- lichkeiten zu finden, um für die gesetzlich verlieren uns in Listen, Verordnungen, ren, um professionell und kontinuierlich vorgeschriebenen Vorbereitungszeiten Mails, Statistiken usw. Die Erfüllung von an der qualitativen Weiterentwicklung zu und Weiterbildungen zu sorgen und per- Verwaltungsaufgaben lässt kaum Zeit für arbeiten. sönliche Bedürfnisse von Mitarbeitern zu die individuelle Betreuung neuer Eltern, berücksichtigen. Hinzu kommt, dass von die qualitative Mitarbeiter- und Teament- Leider wird von Seiten der Entschei- unserem ohnehin schon sehr geringen wicklung und fachliche Weiterentwick- dungsträger übersehen, dass es eine Personalschlüssel auch noch die Stunden lung der Einrichtung. Als größte Heraus- Verbindung zwischen geforderten der Auszubildenden, als auch Betriebs- forderung gilt es in meinem Arbeitsalltag, Bildungsangeboten und den verfügbaren ratsstunden abzuleisten sind. Zeitfenster zu finden, um den sehr hohen Personalressourcen gibt und durch die gesellschaftlichen Erwartungen, die an gegebenen Rahmenbedingungen kaum Es geht weiter mit den „tausend kleinen Kindertagesstätten gestellt werden, ge- gute qualitative, sondern nur quantitati- Dingen“, die für jeden einzelnen Mitar- recht zu werden. Es ist der tägliche Kampf ve Betreuung ermöglicht werden kann. beiter bzw. Elternteil sehr wichtig und unseres engagierten und ambitionierten Und die Politik, Entscheidungsträger und unaufschiebbar sind. Und dann kam Teams, die eigenen Qualitätsansprüche, Öffentlichkeit verlassen sich darauf und Corona mit den Verordnungen, Schreiben die Qualitätsanforderungen durch BIKO meinen: „Na, geht doch trotzdem“ www.gew-mv.de 7
Erzieher*in, Kita: Ein zweijähriges Kind geht nach dem Frühstück auf das Töpfchen. Nachdem das Kind aufsteht, liegt ein Zäpfchen darin… Erzieher*in, Kita: Ich freue mich, dass es Träger gibt, die bspw. ein Dienstradleasing anbieten. Ich wünsche solche Form von Wert- schätzung auch für unsere Kolleginnen und Kollegen. Erzieher*in, Jugendhilfe: Wir werden für 24-Stunden-Schichten GEW MV: eingesetzt, auch wenn es diese gar Schildert eine kurze nicht geben darf. Mitarbeiter werden Situation aus eurem Alltag! unter Druck gesetzt. Erzieher*in, Jugendhilfe: Erzieher*in, Kita: Heute war ich arbeiten obwohl ich frei hätte, Die drei größten Probleme liegen aus meiner um ein Abschlussgespräch zu führen. Morgen Sicht in der fehlenden Wertschätzung des Be- erfolgt eine Neuaufnahme, so dass meine Grup- rufs, dem hohen Betreuungsschlüssel und dem pe voll belegt ist. Am Wochenende werden mir Fachkräftemangel. Ich wünsche mir, dass unser zwei Elfjährige zur Übernachtung ins Wohn- Träger seinen Mitarbeitern mehr Anerkennung zimmer gelegt, die aus einer anderen Gruppe schenkt und hinter ihnen steht, und sich nicht stammen, in der der Nachtdienst aufgrund von mit dem Betriebsrat „bekriegt“ sondern sich Personalmangel nicht abgedeckt werden kann. mit den Problemen auseinandersetzt. Außer- Kenne die Kinder nur vom Sehen. Beide müssen dem müssen wir früher in Rente gehen dürfen. Medikamente nehmen. Oder sollen wir mit 67 Jahren noch den Kleinen „hinterherrennen“? Erzieher*in, Kita: Ist ja toll mit dem neuen Personal- schlüssel, aber ich habe mehrere Kinder mit ein, zwei oder drei Förder- einheiten die Woche. Dass die stattfin- den können, war lange Arbeit mit/an den Eltern. Die Kinder bräuchten einen Heilerziehungspfleger, den gibt das Kitakonzept aber nicht her. 8 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Wir hatten die Wahl – Jetzt wird die politische Agenda der nächsten Jahre verhandelt! Forderungen der GEW an die künftige Regierung für den Bereich Schule Lisa, 37, Lehrerin an einer IGS im SAB Schwerin: Ein Lehrer ist: Wissensvermittler, Erzieher, Aufsichtsperson, Seelen- tröster, Sachbearbeiter, Krankenschwester, Psychologe, Familienhelfer, Konfliktlöser, Berater, Kummerkasten, Ratgeber, Motivator, Übersetzer, Inklusionshelfer, „Lösungs- finder“... usw. Während der ganzen Pandemiezeit wird/ wurde er im Crashkurs zudem: Informatiker, Softwareken- ner, Präsentationstechnikenbeherrscher, Online-Coach, Technikzauberkasten ... und leider noch einmal mehr: Fuß- Die Wahlen sind erfolgt, Ergebnisse akzeptiert und an abtreter der Nation. Oft kam von allen Seiten der Vorwurf, einem Koalitionsvertrag wird gearbeitet. Für uns als wir würden „nicht richtig arbeiten“ oder „zu Hause nur auf der faulen Haut liegen“. Gerne werden viele Aufgaben GEW ist mit Blick auf die aktuell dramatischen Folgen der des Lehrers in die „nicht messbare Arbeitszeit“ geschoben. Pandemie, wie der fehlenden Bildungszeit und der hohen Leider wird auch gerne dafür gesorgt, dass viele Aufgaben Belastung durch Mehrarbeit, und der unzureichenden Bil- eines Lehrers im für „Nicht-Lehrer“ im nicht sichtbaren Bereich liegen. Daniel, 37, Lehrer an einem Fachgymnasium in MV: Als Lehrkräfte sind wir schon seit einigen Jahren immer mehr mit bürokratischen oder schulorganisatorischen Problemen dungspolitik der vergangenen Jahrzehnte klar, dass in die- und Herausforderungen beschäftigt. Der Unterricht verliert ser Wahlperiode Bildung notwendig Priorität haben muss. immer mehr an Relevanz. Haushaltsbestellungen, Schüle- rInnenverwaltung und in der Coronazeit der dauerhafte Wir brauchen eine erste ambitionierte Phase hin zu einem Abgleich von sich immer wieder ändernden Formularen Jahrzehnt der Bildungsreform in MV. Als GEW haben wir sind mittlerweile als selbstverständlich angenomme- vielfältige konkrete Forderungen in den vergangenen ne Tätigkeiten, deren Fristen mit den Arbeitszeiten des Jahren für die Entwicklung der Schulen – gleichermaßen Landkreises und des BM zusammenfallen - also vormittags der allgemein- wie berufsbildenden Schulen – vorgelegt. während des Unterrichts. Es scheint, dass Sachbearbeite- Davon ausgehend stellen wir in sechs zentralen Bereichen rInnen und Verwaltung zu teuer geworden sind, die Lehr- – als Leitplanken für die Bildungspolitik der kommenden kräfte aber parallel zum Unterricht problemlos jeglichen Jahre – Kernforderungen an die Koalitionsverhandlungen Schriftverkehr und Computerinstallationen übernehmen der zukünftigen Landesregierung. können. Das, meiner Meinung nach, größte Problem dabei ist die unendlich anstrengende Bürokratie, welche die Be- MEHR GELD: GUTE SCHULE BENÖTIGT EINE AUSKÖMM- schaffung und Freigabe von Haushaltsmitteln dermaßen LICHE FINANZIERUNG UND EINE LEISTUNGSFÄHIGE erschwert, dass man selbst 1,5 Jahre nach Beantragung oder VERWALTUNG. aktuell 2 Jahre nach Digitalpakt nicht ein einziges Gerät angeschafft werden konnte. Die Reformaufgabe ist immens. Zuletzt haben uns die Pandemie und ihre Folgen deutlich gemacht, wie zentral 10 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Schulen eine Säule gelingenden Lebens sind und wie stark S., 35, Lehrkraft im Seiteneinstieg an einer Förderschule Kinder, gerade aus Familien mit wenig Ressourcen, auf ein im SAB Neubrandenburg: Ich bin an einer Förderschule leistungsfähiges Schulsystem angewiesen sind. Deshalb mit kleinem Kollegium als Seiteneinsteigerin tätig. Wenn braucht es beständig mehr Geld, um sächlich, personell der Fall eintrifft, dass mehr als ein/e Kollege/Kollegin und inhaltlich notwendige Entwicklungen abzusichern. krank ist, werden dafür die Förderstunden der Schüler Darüber hinaus muss geklärt werden, wie eine handlungs- als Vertretungsstunden genutzt und somit fällt dann der fähige Schulträgervielfalt und effektive Schulverwaltung Förderunterricht aus. Nach der Schließung der Schulen aussehen muss, damit Bildung nach landesweit gültigen weisen viele Schüler einen hohen Lernrückstand auf, da viele die Distanzaufgaben nicht erfüllt haben. Nun wird Standards sichergestellt werden kann. „itslearning“ (digitale Lernplattform/Anm. d. Red.) einge- führt. Für mich als Seiteneinsteigerin ist es eine zusätzliche MEHR FACHKRÄFTE: GUTE SCHULE GEHT NUR MIT Belastung die von der Schulleitung dort angewiesenen ATTRAKTIVEN BEDINGUNGEN FÜR ARBEIT UND AUSBIL- Aufgaben zu erfüllen. Ich bin für 27h beschäftigt, Klassen- DUNG FÜR ALLE. SIE LEBT VON EINEM QUALITÄTSVOLLEN lehrerin und habe Vor- und Nachbereitungen des Schul- STUDIUM UND REFERENDARIAT UND GEWINNT DURCH alltags zu erfüllen, hinzu kommt die GPQ. Da noch Zeit für EINEN HOCHWERTIGEN SEITENEINSTIEG UND FORTBIL- zusätzliche Aufgaben zu finden, ist eine große Belastung. DUNGEN. Die Arbeit mit den Kindern bereitet mir viel Spaß, gerade mit der eigenen Klasse. Jedoch ist es auf Grund von der Pandemie so, dass wir (Lehrkräfte) keine wirklichen Pausen zwischen den Stunden haben, da wir jede Pause die Schüler Sandra, 38, GS-Lehrerin im SAB Neubrandenburg + Vor- beaufsichtigen müssen, damit diese sich an die begehrten stand Grundschullehrerverband MV: Hygiene-Coronaregeln halten. I-N-K-L-U-S-I-O-N Ich würde gern alle Kinder abholen, wo sie stehen, doch kann ich bei 25 Erstklassenkindern nicht wirklich Lisa, 31, Berufseinsteigerin als Lehrkraft am Gymnasialen jedes sehen! Schulteil im SAB Rostock: Lehrerin zu sein ist wirklich Nur im Team, versprach man einst, klappt‘s ideal, unfassbar sinnstiftend und abwechslungsreich, aber eben doch bleiben wir nun Einzelkämpfer aufgrund des Mangels auch unfassbar umfangreich. Gestern beispielsweise bin an Personal. ich morgens in die Klasse und schon stand ein Junge vor mir, der sich beschwerte, dass ein anderer Videos und Kein Kind bleibt zurück, so wurde laut krakeelt. Bilder von ihm auf TikTok veröffentlicht hat. Dann haben Wir halten stattdessen alle klein, weil es an Räumen, Teams wir das natürlich aufgenommen und über Medienrecht und Material so fehlt. gesprochen, aber Unterricht war nicht mehr möglich. Dann Lehren nach Kontingent, mit Köpfen - statt Lehrer:Innen, kommt heraus, dass ein anderer noch Fotos auf der Toilette das rechnen sich die Ämter schön und verrechnen sich gemacht hat. Und dann beginnt die Kommunikation mit dabei wie von Sinnen. Eltern, Schulsozialarbeiter:innen, Familienhelfer:innen und vor allem den Fachkolleg:innen. So kommen dann natürlich Unterricht wird ständig vertreten ohne Pause zum Ver- auch die Ursachen ans Licht. Und wenn ich dann auf den schnaufen, während der Aufsicht hätte man ja Zeit an der Klassenkonferenzen sitze und merke, dass so viele Kinder frischen Luft beim Umherlaufen. schon so große Päckchen zu tragen haben, dann frage ich Sind wir jetzt alle plötzlich Sonderpädagogen? mich ernsthaft: Wie soll Schule das kompensieren können? Die Unterstützungen, die man den Regelschulen als Förder- Oder: Gerade in den ersten Wochen hatte ich das Gefühl, schulersatz versprach, waren alle erlogen. ich teile permanent Zettel aus und sammle sie unterschrie- In ALLEN Schulen müssen wir jetzt ALLES können, ben wieder ein - meine Achtung gehört allen, die sich nicht unterstützende Fachkräfte kann man dabei aber nur eini- verzetteln. gen Schulen gönnen. Ohne ausreichend Know-How und Fachpersonal läuft die allgemeine Bildung zurzeit alles andere als ideal. Nur die Bürokratie mit Anträgen, Anzeigen und Co. wird immer mehr, so läuft Inklusion aktuell und daran zerbre- chen wir immer mehr. www.gew-mv.de 11
Wir fordern einen attraktiven „Arbeitsplatz Schule“. Ganz M.L., 30, Studienrat an einer Gesamtschule im SAB Greifs- oben steht hier für uns als GEW die Senkung der Arbeits- wald: Inklusion kann nur dann gelingen, wenn sich alle belastung. Die Zahl der Pflichtstunden muss reduziert beteiligen. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass wir als werden. Alle Aufgaben, die nicht in erster Linie zu päd- Schule mit zehn Prozent Schüler*innen nichtdeutscher Her- agogischen Kernaufgaben gehören, müssen wegfallen kunft vorrangig eben diese Kinder oftmals nicht erreichen oder durch andere Fachkräfte geleistet werden. Aktuell - trotz Kulturmittler und Schulsozialarbeit. Ich erlebte wie- verhandeln wir das Thema Mehrarbeit. Erstes Ziel muss derholt, dass Schüler (v.a. Jungen) schwänzen, keine oder nur kaum Anstrengungsbereitschaft zeigen und teilweise sein, Mehrarbeit zu reduzieren! Fällt sie unvermeidbar den Unterricht stören oder Streit auf dem Schulhof (mit-) dennoch an, muss Mehrarbeit zuverlässig und vollumfäng- verursachen. Wir wären „nur deutsche Lehrer“ und hätten lich erfasst und honoriert werden. Schulen mit besonderen daher nichts oder nicht viel zu sagen. Der Aufwand, Konse- Herausforderungen bei der Personalgewinnung und –bin- quenzen aufzuzeigen, ist mit viel Zeit verbunden; Verweise dung müssen zusätzlich unterstützt und gestärkt werden. nutzen nichts, denn sie sind nur formal. Außerdem werden Auch die Zahlung von Zulagen, insbesondere auch für sie von Eltern oftmals wegen sprachlichen Schwierigkeiten Schulleitungen, darf kein Tabu sein. Grundsätzlich braucht nicht verstanden. Derartiges Verhalten beobachte ich aber es eine Personalplanung und -zuweisung, die sich nicht auch seit inzwischen fünf Jahren meiner Tätigkeit an dieser nur nach der Kontingentstundentafel bemisst, sondern die Schule bei deutschen Schüler*innen: Ein Schüler legte den landesweit pädagogischen Notwendigkeiten für eine in- Kopf auf den Tisch und beteiligte sich nicht am Unterricht. klusive Schul- und Unterrichtsentwicklung und erwartbare Nach persönlicher Anrede mit der Frage, wieso er wieder- holt nicht mitarbeite und was er denn mal in Zukunft nach der Schule machen wolle, erhielt ich die Antwort: „Ach wis- H.P., 57, Lehrerin an einer Grundschule im SAB Schwerin: sen Sie, ich mache es später wie meine Eltern: Ausschlafen 3. Klasse mit 24 Kindern (19 Kinder + 5 Kinder aus der DFK und Fernsehen gucken. Das frühe Aufstehen ist eh nichts Klasse), dazu täglich noch drei Kinder aus DFK-Bereich für mich.“ Derartiges Verhalten erlebe ich zunehmend. Ler- dazu, zugeteilt, weil Lehrer fehlt. Kein Platz im Raum. Kein nen lohnt sich offenbar nicht und die Konsequenzen sind Material von der Schule (weil man sich ja einen Akku- oftmals aus meiner Sicht nicht ausreichend oder zielfüh- Schrank für 1.500,00 Euro für die Laptops kaufen musste, rend. Stattdessen verschwenden wir Zeit, um ergebnislos die UNGENUTZT in diesem Schrank stehen). Trotz Bestel- aber voller Hoffnung Schüler*innen in die Gesellschaft zu lung vom Schuljahresbeginn – kein Material um differen- integrieren, damit die entstehende Parallelgesellschaft ziert arbeiten zu können. Migranten: DaZ findet nicht statt. (nicht oder kaum gesellschaftlich integriert) nicht weiter- Förderunterricht: Findet nicht statt. Ich bin jetzt schon am wächst. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass es viele Ende meiner Kräfte und fühle mich hilflos dem nichtfunk- positive Beispiele bei Jungen und Mädchen, bei ausländi- tionierenden Bildungschaos ausgeliefert. schen und deutschen Schüler*innen gibt! Lehrkraft, anonym: Ich werde im Februar 62 und mag die Arbeit mit den Kindern. Trotzdem habe ich mich entschlos- sen mit 63 zu gehen. Ich will in diesem System kein Lehrer mehr sein. Ich bin Sonderpädagoge und springe seit Jahren für Kollegen ein, die entweder in Rente gehen oder schwan- ger sind. Meiner eigentlichen Arbeit kann ich kaum noch nachkommen. Ein System, in dem lernbehinderte Kinder weniger wert sind, als der Deutschunterricht einer 6. Klasse möchte ich nicht mehr angehören. Ich werde an keiner Weiterbildung mehr teilnehmen, in der es um Digitalisie- rung geht, denn ich habe nur Tafel und Kreide. Ich werde keine Mehrstunden mehr übernehmen, denn ich habe die aus dem letzten Schuljahr noch nicht vergütet bekommen. Alles was nicht zu meinem Unterricht gehört, werde ich, wenn irgend möglich, ablehnen. Sollte es zu Abmahnun- gen kommen, so ist mir das egal. Ich werde danach eine andere Arbeit finden. 12 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
A. M., 55, Grundschullehrerin, SAB Greifswald: Seit 10 Jah- ren lernen Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf an unserer Schule. Nach wie vor haben wir keinen Schul- sozialarbeiter und nur in einem Schuljahr gab es für vier Wochenstunden die Unterstützung eines Sonderpädago- gen. Es kam und kommt vor, dass 25 Kinder in einer Klasse lernen, plus zwei Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf, kein Stützlehrer, kein Sonderpädagoge, nur eine Lehrkraft. P., 58, Lehrerin an einer Regionalschule im SAB Greifswald: Ich bin nun im 36. Dienstjahr und nehme als Personal- ratsmitglied ebenfalls zur Kenntnis, dass sich sehr viele M.F, 54, Lehrerin an einer Grundschule im SAB Schwerin: Kolleginnen und Kollegen (nicht nur die älteren) überfor- Ich leite eine 1. Klasse, in der elf Schulanfänger mit sechs dert fühlen. Das Resultat sind u. a. ein erhöhter Kranken- Kindern zusammenlernen, die das Schuljahr wiederholen. stand, Unzufriedenheit und Resignation. Damit ich nicht In den vergangenen Wochen habe ich Diagnosetests zur unter dieser ständigen Überforderung und Unzufrieden- Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und heit leiden und mich aus diesen Gründen von Zeit zu Zeit Problemen im mathematischen Bereich durchgeführt. Die krankschreiben lassen möchte, bin ich mit den Stunden Erkenntnis, dass die Leistungen meiner Schüler in einer erneut runter gegangen (auf 15 Stunden). Ich weiß um die Leistungspanne von 3 % bis 98 % liegen, erstaunte mich. Sie fehlenden Rentenpunkte (wie viele es sein werden - keine schärfte zum einen mein Bewusstsein für die unbedingte Ahnung), aber die Aussicht auf noch so viele Jahre (bin jetzt Notwendigkeit dieser Diagnostiken, führt jedoch zum 58 Jahre) im Schuldienst unter diesen Bedingungen... sind anderen dazu, dass mir der Kopf raucht bei der Vorstellung, für mich mit voller Stundenzahl unvorstellbar. meinen Unterricht so differenziert zu gestalten, dass ich jedem Kind gerecht werden kann. Das schaffe ich ohne personelle Unterstützung nicht. Ich habe glücklicherweise Kirsten, 61 , Lehrkraft an einer Regionalen Schule im SAB eine Klasse mit 17 Schülern. Wie mag es da nur Kolleginnen Schwerin: Meine Arbeitsbelastung hat sich leider nicht und Kollegen gehen, die ähnlich wie ich, keine oder kaum verringert. Das Paket der Verwaltungsvorschriften zu Hilfen im Unterricht haben und mit 25 Kindern lernen? Schuljahresbeginn ist beispiellos. Diese werden mir dann an meine „Dienstmail“ (die als solche nicht mal vom BM anerkannt wird) geschickt, damit ich sie dann von meinen privaten Geräten ausdrucken kann. Von der Kontrolle der D.B, 59, Lehrerin an einer Grundschule im SAB Neu- Selbsttests, über die Einhaltung der Hygienemaßnahmen, brandenburg: Inklusion soll kein Kind benachteiligen. die an der Schule aufgrund der Räumlichkeiten eh nicht Die Realität fühlt sich anders in der Grundschule an. Die einzuhalten sind, bis hin zu den üblichen Listen, Plänen, Sit- Anzahl der Kinder mit Förderschwerpunkten nimmt mehr zungen und Elternversammlungen, komme ich mir vor wie und mehr zu. Da beginnt das Unverständnis schon bei eine Verwaltungsfachangestellte. Meine Arbeit als Lehrerin der Dauer der Bearbeitungszeit der Förderanträge vom wird fast als Nebensächlichkeit angesehen. Diagnostischen Dienst des zuständigen Schulamtes. Eine akrobatische Herausforderung für den Grundschullehrer diese Kinder gleichzeitig neben den anderen optimal zu fördern. Es fehlen der Sonderpädagoge an der Schule, die Räumlichkeiten, um einem Kind eine individuelle notwen- Vertretungsbedarfe sicherstellt. Studium und Referendari- dige Auszeit zu geben und folglich vor allem die Zeit für ein at als reguläre Wege in den Schuldienst müssen reformiert spezielles Förderkind. Aufsichtszeiten, Klassenzusammen- werden. Unser Personalentwicklungskonzept (PEK) spricht legungen mit mindestens 30 Kindern und mehr häufen sich u.a. für mehr Fachdidaktik und Bildungswissenschaf- sich aufgrund von krankheitsbedingten Lehrerausfällen. ten sowie lernintensive Praxisphasen aus. Im Referendariat Der Kraftaufwand für die Wiederherstellung bestehender muss die Belastung sinken und die Unterstützung der Schulregeln für alle Kinder nach der Pandemiezeit ist zu (Weiter-)Entwicklung der professionellen Persönlichkeit einem Geduldsspiel geworden. im Mittelpunkt stehen. Auch der Seiteneinstieg bereits www.gew-mv.de 13
H., 30, Lehrkraft an einer Regionalen Schule im SAB Schwerin: Medienausstattung: Bereits am Ende des letzten Schuljahres wurde das Serversystem aller Schul-PCs auf UpF, anonym: Wir pflegten bis zum vergangenen Schuljahr „I-Serv“ umgestellt. Ergebnis ist, dass eigentlich kein PC eine sehr enge Zusammenarbeit, vor allem in problema- nutzbar ist. Die Anmeldung an den Accounts funktioniert tischen Klassen, mit unseren beiden upF, die beide für nicht, Wechseldatenträger können nicht gelesen werden, jeweils 15 Stunden bei uns im Einsatz waren. Ursprünglich Drucken ist unmöglich, die Schüler*innen können beliebige waren beide PmsA für den DaZ-Bereich eingestellt worden. Einstellungen verändern. Die Informatikkollegen haben Diese Stellen wurden umgewidmet, die upF versetzt und den Unterricht bereits auf Theorie umgestellt. Das unab- wir stehen wieder allein und ohne Unterstützung im Un- hängig davon arbeitende Sekretariatsnetz hatte bereits terricht da. Anzumerken ist, dass am neuen Arbeitsort der wieder einen mehrtägigen Ausfall. Leider ist der Schult- UpF weder eine Aufgabenbeschreibung noch ein konkretes räger mangels Personals nicht in der Lage, die Probleme Einsatzgebiet festgelegt sind. Wie kann das sein? zeitnah zu beheben. Einziger Lichtblick: Nach 1,5 Jahren der Ausnahmegenehmigung zur Arbeit mit privaten Endgeräten sollen uns nun tatsächlich Dienstlaptops zur Verfügung gestellt werden. Fraglich ist nur noch, ob wir sie wirklich nutzen können, da eigentlich kein Personal für die Wartung vorhanden ist. Bianca (Grundschullehrerin seit 1989 mit Spezialisierung auf Sprachheilpädagogik) und Petra (Grundschullehre- rin seit 1980) im SAB Greifswald: Wir leisten Inklusion seit Jahren meist allein. Die räumlichen, materiellen und DaZ, anonym: Immer wieder kommen neue Schüler*innen personellen Bedingungen widersprechen eklatant dem, zu uns, die keinerlei Kenntnisse der deutschen Spra- was in der Verwaltungsvorschrift des BM „Die Arbeit in der che haben. Durch die Kohorteneinteilung steht uns je Grundschule“ vom 12. Juli 2021 festgeschrieben ist: „Auf den Schüler*innengruppe oft nur eine Wochenstunde DaZ zur natürlichen Bewegungsdrang und die Wissbegierde der Förderung bereit. Viele der Schüler*innen, gelten auch Schülerinnen und Schüler ist individuell entwicklungsan- schon als ausgefördert, da sie bereits länger als zwei Jahre gemessen einzugehen. Bei der Gestaltung der Räume und in Deutschland leben. Durch die Schulschließungen haben des Schulhofes müssen die Lernerfordernisse, aber auch die einige unter ihnen jedoch kaum DaZ-Unterricht gehabt. Spiel-, Bewegungs- und Ruhebedürfnisse der Schülerinnen Wie sollen diese Schüler*innen, gerade wenn sie bereits in und Schüler beachtet werden“. Das wäre wirklich schön, Klasse 8 oder 9 sind, jemals einen Schulabschluss erlangen, aber wir können diese Verwaltungsvorschrift nicht umset- wenn sie kaum unsere Sprache sprechen? Wie sollen diese zen. Unsere Räume sind nicht schallgeschützt und bieten Schüler*innen ohne Deutschkenntnisse im Regelunterricht keinen Platz für Differenzierung, frei zugängliche Lernma- aufgefangen werden? terialien oder Ruhe und Entspannung. Hinzu kommt der zusätzliche Platzbedarf für Schulbegleiter. Um den Kindern in ihrer Individualität gerecht werden können, fehlen uns weiterhin die Zweitkräfte in jeder Klasse und jeder Stunde, die Fachleute für alle Förderbereiche und feste Zeiten im Rahmen des Pflichtstundenkontingents für Absprachen und Beratungen in multiprofessionellen Teams, mit Kollegen, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen im Seiteneinstieg und den Referendaren. Wir wären schon zu- frieden, wenn maximal 20 Kinder in einer Lerngruppe sein würden. Zurzeit leisten wir außerdem die Digitalisierung ohne digitale Endgeräte für Lehrer, arbeiten uns in neue Rahmenlehrpläne ohne entsprechende Bedingungen und völlig neue Lehrmaterialien ein, versuchen irgendwie doch den Unterricht zu differenzieren und zu individualisieren. Die Begleitung und der Austausch mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Seiteneinstieg und Referendaren kostet auch sehr viel zusätzliche, nicht registrierte Zeit und Kraft. 14 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Anonym, Universität in MV: In meinem Fach werden verschiedentlich qualifizierter Menschen ist von zentraler Publikationen üblicherweise bezahlt. Vorher war ich an Bedeutung. Eine planbare, gut begleitete und weitreichen- Lehrstühlen tätig, an denen der Professor ein eigenes de Qualifizierung muss das Ziel sein, um schnell und ver- Budget dafür hatte. In meiner jetzigen Tätigkeit ist das lässlich den vollen Berufseinstieg und die Anerkennung zu nicht selbstverständlich. Mein Institut ist finanziell nicht ermöglichen. Dafür brauchen insbesondere Mentor*innen ausreichend ausgestattet. Ich dachte nie, dass ich solche mehr Zeit. Diskussionen überhaupt führen müsste. Ich bin unbefris- tet angestellt. Aufgrund der Corona-Krise muss ich, um MEHR INKLUSIVE BILDUNG: GUTE SCHULE IST INKLUSIV. den Lehrauftrag überhaupt erfüllen zu können, dauerhaft Die „Inklusionsstrategie“ des Landes überzeugt nicht, da sie Mehrarbeit leisten. Ich selbst habe kleine Kinder zu betreu- keine Antwort auf die Frage gibt, wie Schulen so flexibel auf en. Damit fallen Tätigkeiten, wie die Klausurkonzeption, digitale Lehraufzeichnung, aber auch meine Forschung in die individuellen Lernvoraussetzungen reagieren können, die Abend- und Nachtstunden. Mittlerweile bin ich deshalb um für alle jungen Menschen höchstmögliche Bildung und stark gesundheitlich belastet. Unsere Planungen für das entsprechende Bildungsabschlüsse möglich zu machen. Wintersemester hingen zu lange in der Schwebe, weil wir Inklusion braucht Zeit und die Zusammenarbeit in mul- zu wenig Lehrpersonal haben. Die Berufungsverfahren mit tiprofessionellen Teams. Schule neu zu denken – und zu ma- der Liste der Kandidaten hing zu lange im Bildungsminis- chen, ist eine Aufgabe, die ermöglicht werden muss. Unsere terium fest. Damit kommen die Wunschkandidaten nicht Schulen brauchen u.a. gut ausgebildete Lehrer*innen, unter- mehr rechtzeitig. stützende pädagogische Fachkräfte, Sonderpädagog*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, medizinisches Personal und unterstützende verwaltende Fachkräfte. Aus- und Fortbildungen müssen auf Teamarbeit ausge- richtet werden, damit alle Fachkräfte in Schulen passend Schulgelände die pädagogischen Möglichkeiten anspre- eingesetzt und wirksam werden können. Die Lerngruppen chend sind und bei Bedarf erweitert werden können. Unter müssen kleiner sein und Ressourcen systemisch und trans- energetischen, inklusiven und pädagogischen Gesichts- parent zugewiesen werden. punkten muss umfänglich um- und neugebaut werden. Die Schulgemeinschaft ist bei der Gestaltung frühzeitig zu MEHR LERNUNTERSTÜTZENDE RÄUME: GUTE SCHULE beteiligen, um u.a. Differenzierungs-, Rückzugs- sowie auch BRAUCHT EINE SINNVOLLE PÄDAGOGISCHE RAUMGE- Arbeitsräume für Lehrkräfte in den Fokus zu bekommen. STALTUNG. Die Größe der Lerngruppe muss folglich von den verblei- Lernen gelingt dann gut, wenn durch zukunftsorientierte benden räumlichen Möglichkeiten in voll eingerichteten und kluge Raumgestaltung im Schulhaus und auf dem Unterrichtsräumen abgeleitet werden. www.gew-mv.de 15
MEHR DIGITALE UND SÄCHLICHE AUSSTAT- TUNG: GUTE SCHULE IST RÄUMLICH UND SÄCH- LICH GUT AUSGESTATTET. Nicht nur in einer Pan- Cornelia Mannewitz, Vorstandsbereich Hochschule und demie brauchen wir eine Forschung: Uns ist es wichtig, dass studentische Beschäf- hervorragende technische tigte nach Tarif bezahlt werden. Dafür kann auch das Land Autor: Maik Walm, und sächliche Ausstattung. etwas tun. GEW-Landesvor- Lernmaterial muss für sitzender Schüler*innen ausreichend und mit notwendigen K.W., 58, Lehrkraft Gynmasium im SAB Schwerin: In Zeiten Differenzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die der Pandemie gab es viel für Schulleitungen und Lehrkräfte digitale Erschließung jeder Schule muss vorangetrieben zu lesen: Hinweisschreiben, neue Schulcoronaverordnun- werden. Alle Pädagog*innen sowie Schülerinnen und Schü- gen und Änderungen in Hygieneplänen. Die Zahl von 174 ler benötigen Notebooks/Tablets und die dazugehörigen Corona-Hinweisen in einem Schuljahr spricht für sich. Datentarife sowie eine beständige IT-Betreuung auf Kosten Das erzeugt eine extreme Anspannung in Schulleitungen, des Landes und der Schulträger. Datenschutzfragen müs- die sich für die Gesundheit von Kollegen und natürlich sen rechtssicher geklärt und durch das Land verantwortet insbesondere von Schülern verantwortlich fühlen. Diese werden. Fortbildungen zum sinnvollen pädagogischen Anspannung bis hin zur Überlastung führt zu einem unge- sunden Klima und gewünschte Gelassenheit fehlt. Einsatz digitaler Elemente im Unterricht müssen niedrig- Hinzu kommen sehr schnelle Berichte in Medien bei auf- schwellig bereitgestellt werden. tretenden Coronafällen, die dem Ruf und dem Ansehen der Schule nicht zuträglich (und auch nicht immer gründlich MEHR DEMOKRATIE UND MITBESTIMMUNG: GUTE SCHU- recherchiert) sind. Wichtig wären langfristige Katastro- LE IST EIN DEMOKRATISCHER LERN- UND LEBENSORT phenpläne für Schulen, die ihnen eine gewisse Eigenstän- UND ERMÖGLICHT ALLEN, DIE DORT ARBEITEN UND digkeit ermöglichen. LERNEN, MITZUBESTIMMEN. Wir fordern, dass das Land die Entwicklung einer demo- kratischen Schulkultur stärker im Rahmen der Unterrichts- Jana, 54, Lehrerin im SAB Rostock: An unserer Schule und Schulentwicklung unterstützt und alle Beteiligten erhielten wir für zwei Schüler*innen aus unterschiedlichen angemessen fortbildet. Die Vertretungen der Beschäftigten Klassen den Bescheid vom Schulamt, dass diese Jugend- vor Ort brauchen zudem mehr Zeit für Ihre wichtige Arbeit. lichen im Distanzunterricht zu beschulen sind. Leider haben wir nicht die technischen Möglichkeiten, um die Distanzschüler*innen einfach per Video in jeder Stunde „dazuzuschalten“. Wir Lehrer*innen werden also, neben unserer Arbeit mit den restlichen Kindern, diese einzelnen Distanzschüler*innen zu jeder Stunde per „itslearning“ mit dem laufenden Unterrichtsmaterial versorgen, zusätzlich die Lösungen in schriftlicher Form oder als Tondokument zur Verfügung stellen, per Nachrichtenfunktion von „itslearning“ schriftlich kommunizieren, um Probleme zu beheben bzw. Inhalte genauer zu erklären und natürlich auch Leistungskontrollen durchführen. Viele meiner Kolleg*innen teilen die Befürchtung, dass die Beschulung im Distanzunterricht für einzelne Schüler*innen durch das Schulamt immer häufiger genehmigt werden könnte. Gehört diese doppelte Arbeit nun dauerhaft zu unseren Pflichten als Lehrer*in, weil wir sie im Wechselunterricht des vergangenen Schuljahres auch geleistet haben? Wie wird sie honoriert werden? 16 E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Buchempfehlung All that‘s left: Roman von Sarah Raich – Ein dystopisches Jugendbuch für die Generation »Fridays for Future« U nsere Welt verändert sich gegenwärtig rasant. mitzuleiden und mitzuhoffen. Sie trifft mit dem Thema bei Das weiß inzwischen Jede und Jeder. „Die Zukunft der Zielgruppe des Jugendbuches ins Schwarze und Lese- kommt nicht – sie wird von uns gemacht“, sagt rInnen fragen bereits nach einer Fortsetzung. Richard David Precht. Und wie diese Zukunft aussehen könnte, beschreibt Sarah Raich in ihrem Roman „All that’s Clara Meyer, Klimaaktivistin bei Fridays for Future ist left“. Sie selbst bezeichnet die Autorin als „optimistische Jahrgang 2001. Für sie ist dies ein Buch, das die Klimakrise Dystopikerin“. Auf den Internetseiten des Verlags sagt sie: greifbar macht. „Wir leben nicht in dieser Dystopie. Und „Es gibt nie nur Gut und Böse. So einfach ist die Welt nicht. doch ist sie näher, reeller als viele andere.“, schreibt sie im Und genauso ist es mit der Dystopie. Auch in der schwär- Nachwort zu Raichs Roman. zesten Stunde gibt es noch die Erinnerung an das Licht. Und solange ein Mensch atmet, wird es noch die Hoffnung auf eine Zukunft im Untergang geben.“ Autorin und Buch Im Jahr 2059 wirkt die Erde fast unbewohnbar: unerträg- liche Hitze, gewaltige Stürme und tödliche Seuchen. In REZENSION: CLAUS OELLERKING ihrem Elternhaus ist die 15jährige Mariana sicher. Sie ist allein und dank Solaranlage, Luftfiltern, verbarrikadierten Sarah Raich wurde 1979 geboren und ist im Fenstern und einer Mini-Farm im Haus kommt sie ganz ländlichen Niedersachsen und Tirol mit viel gut über die Runden. Sie vermisst ihre Eltern und geht Weite und Natur aufgewachsen. Sie studierte nicht vor die Tür. Plötzlich bricht der gleichaltrige Ali bei ihr ein. Dem Schrecken über den Einbruch folgt die gemein- in Berlin Allgemeine und Vergleichende same Entdeckung von Zimmern im Haus, die für Mariana Literaturwissenschaften und arbeitete danach bisher tabu waren. Sie werden Freunde. Doch Ali hält es in als Kreative in Agenturen. Sie lebt mit ihrer der Abgeschlossenheit des Hauses nicht aus. In Triest, auf Familie in München, hat aber noch ein Stück der anderen Seite der Alpen, soll es weitere Überlebende ihres Herzens in Berlin und San Francisco. geben. Er macht sich auf dem Weg. Ohne Mariana. Wenige Tage später folgt sie ihm auf eigene Faust. Zu Fuß, allein und ein bisschen planlos. Titel: All that’s left Als Anti-Utopie stiftet Marianas Geschichte während des ISBN: 9783492706070 Fußmarsches in Richtung Süden wenig Hoffnung. Ihr Sprache: Deutsch begegnen Übriggebliebene, Versklavte und eine kleine, to- Ausgabe: Flexibler Einband talitär geführte Gruppe, die sich Privilegien verschafft. Und Umfang: 336 Seiten sie spürt, dass es einen Ausweg geben könnte. Verlag: Piper Preis: 16,00 € Sarah Raich bedient sich einer Sprache, die es jugendlichen Erscheinungsdatum: 29.07.2021 Lesenden leicht machen kann, mit Mariana mitzufühlen, www.gew-mv.de 17
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