BILDUNG FÜR ALLE - EIN BESSERES BILDUNGS-SYSTEM IST MACHBAR! - ooe.arbeiterkammer.at - Arbeiterkammer Oberösterreich
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BILDUNG FÜR ALLE – EIN BESSERES BILDUNGS- SYSTEM IST MACHBAR! Stand: Juni 2021 ooe.arbeiterkammer.at AK Folder Reboot A4_2021.indd 1 07.06.21 10:43
Andrea Heimberger, MSc Dr. Johann Kalliauer AK-DIREKTORIN AK-PRÄSIDENT VORWORT Die Covid-19-Pandemie hat die Notwendigkeit eines gut ausgebauten Sozialstaates deutlich vor Augen geführt. Die Auswirkungen auf die Beschäftigung waren und sind dramatisch. Das Bekämpfen der Arbeitslosigkeit, insbesondere der steigenden Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit, muss oberste Priorität haben. Ein rasches und umfangreiches Beschäftigungs- und Investitionspaket sowie zielgruppengerechte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen unver- züglich umgesetzt werden. Vollbeschäftigung durch eine faire Verteilung von Arbeit muss das wichtigste Ziel sein – zudem eine gerechte Verteilung des materiellen Wohlstands sowie ein Ausbau und nicht der Abbau der Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, vor allem auch angesichts steigender Armut und Armutsgefährdung. Corona hat die Schieflagen im österreichischen Bildungswesen deutlich gemacht: Neben hoher Selektion und Un- durchlässigkeit wurde die Gefahr des „Abgehängtwerdens“ (etwa beim Distance-Learning mangels technischer Aus- stattung) noch größer. Die Arbeiterkammer Oberösterreich hat während des Lockdowns Lehrlingen kostenlos Laptops zur Verfügung gestellt, weil die öffentliche Hand nur sehr zögerlich für die notwendige Ausstattung gesorgt hat. Schulen, die über die reine Wissensvermittlung hinaus auch zentrale Orte der Begegnung sind, können diese wichtige Funktion phasenweise kaum bis nicht mehr wahrnehmen. Ein regulärer Hochschulbetrieb am Campus findet während der Pandemie kaum statt. Neben den öffentlichen Institutionen sind auch Unternehmen gefordert: Die Weiterbildungspflicht für Arbeit- nehmer/-innen in Phase 3 der Kurzarbeit, die bis Ende Juni 2021 verlängert wurde, sollte genutzt werden, um Mitarbeitern/-innen geeignete betriebliche Weiterbildungen zu ermöglichen. Das Arbeitsmarktservice (AMS) übernimmt dafür 60 Prozent der Kosten. Letztendlich profitieren davon sowohl Arbeitnehmer/-innen als auch Arbeitgeber. Allerdings nehmen mit Stand März 2021 in Oberösterreich laut AMS nur knapp 200 Betriebe dieses Modell in Anspruch. Schon vor der Corona-Krise gab es aufgrund der ausgeprägten sozialen Ungleichheiten in unserem Bildungssystem einen hohen Handlungsbedarf, den die Arbeiterkammer Oberösterreich immer wieder aufgezeigt hat. Die aktuellen Warnungen vieler Pädagogen/-innen, dass sie einen erklecklichen Anteil ihrer Schülerinnen und Schüler, vor allem CWU|(COKNKGPOKVPKGFTKIGP'KPMQOOGPICTPKEJVOGJTGTTGKEJGPUQYKGFKG*KNHGTWHGXKGNGT'NVGTPFKGWOFKG Bildungschancen ihrer Kinder fürchten, haben bei den Verantwortlichen keine vorrangige Bedeutung. An dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön an alle Lehrer/-innen, die bei der Umstellung von Präsenzunterricht auf Distance-Learning außergewöhnliche Arbeit geleistet haben. Viele bildungspolitische Forderungen der AK Oberösterreich sind aufgrund der Pandemie aktueller denn je – Forderungen, die sich je nach Zuständigkeit sowohl an die Verantwortlichen von Bund als auch an die oberöster- reichische Landesregierung richten. Andrea Heimberger, MSc Dr. Johann Kalliauer AK-Direktorin AK-Präsident 2 AK Folder Reboot A4_2021.indd 2 07.06.21 10:43
INHALT 1. Was wir unter Bildung verstehen .......................................................................... 4 2. Soziale Selektion im Bildungssystem endlich beenden! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3. Niemanden zurücklassen – Ausbildungsabbrüche reduzieren! ................................. 9 4. In Aus- und Weiterbildung investieren! 4.1. Berufliche Erstausbildung stärken und verbessern! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4.2. Mehr Zeit und Geld für Weiterbildung! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5. Die Herausforderungen der Digitalisierung annehmen! Digitalisierung mit Weitsicht gestalten! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 6. Bildung ist keine Ware! Gesellschaftliche Notwendigkeit von Bildung als öffentliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3 AK Folder Reboot A4_2021.indd 3 07.06.21 10:43
1. WAS WIR UNTER BILDUNG VERSTEHEN Historisch betrachtet hat Bildung einen ent- Bürgern. Statt Defizitorientierung sollte die scheidenden Beitrag zur Verbesserung der Förderung von Interessen und Stärken in den Arbeits- und Lebensbedingungen der Be- Mittelpunkt gerückt werden. Dies sind schäftigten geleistet – waren doch die Vorläu- wesentlich bessere Motivationsfaktoren als fer der Gewerkschaften die Bildungsvereine Angst vor schlechten Noten. Es braucht in von und für Arbeiter/-innen. Sie hinterfrag- einer Gesellschaft ungleicher Ausgangsbedin- ten wirtschaftliche Verhältnisse und betrach- gungen und sozialer Ungleichheiten gezielte teten sie als veränderbar. Dies war und ist die Fördermaßnahmen für Kinder mit schlechte- notwendige Voraussetzung für tatsächliche ren Startbedingungen. Bis heute ist der Bil- politische Veränderungen – von der Durch- dungsweg eines Menschen in Österreich sehr setzung des allgemeinen Wahlrechts bis zu stark „vererbt“. Bildungspolitik soll hier aus- sozialpolitischen Errungenschaften wie Ar- gleichend wirken. Vor allem die frühe Tren- beitszeitregelungen oder bezahltem Urlaub. nung nach der gemeinsamen Volksschule in Mittelschule und Allgemeinbildende Höhere Aktuell wird die Priorität von Bildung vor- Schule (AHS) führt zu einer Kluft, die sich im wiegend auf die wirtschaftliche Verwertbar- Laufe der weiteren Ausbildungswege noch keit von jungen – möglichst flexiblen – Men- verstärkt. schen gelegt, die sich den Bedingungen des Marktes anpassen und möglichst früh die Re- Besonderes Augenmerk gilt es auf frühkind- geln des Wettbewerbs verinnerlichen sollen. liche Betreuung und Förderung zu legen, da dies tiefgreifende und langfristige Auswir- Bildung soll einen Beitrag zur Persönlich- kungen hat, die mit späteren Maßnahmen keitsentwicklung und zur Kreativität leisten. nur schwer kompensiert werden können. Soziale Kompetenz steht im Vordergrund, Kindergärten als Bildungsorte sind von zent- genauso wie kulturelle und gesellschaftliche raler gesellschaftlicher Bedeutung. Teilhabe; und vor allem aktive Mitgestaltung von mündigen, demokratisch eigenständigen Junge Menschen sollen aktiv mitbestimmen und kritisch denkenden Bürgerinnen und und mitgestalten, ein Bewusstsein für ein so- lidarisches Miteinander entwickeln und ler- nen Verantwortung für sich selbst und die Gesellschaft zu übernehmen. Nur ein soli- darischer Bildungsbegriff, der eine gerechte, offene und diverse Gesellschaft als Funda- ment hat, kann ein Werkzeug für ein besseres Leben für alle sein und uns dabei helfen die bevorstehenden Herausforderungen und Krisen zu bewältigen. Es gilt die Balance zwischen ökonomisch-be- rufsbezogenen Anliegen und der Möglich- keit persönlicher Entfaltung zu finden und nicht nur additiv Wissen zu sammeln, son- dern Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Dabei muss auch der Grund- bildung erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden, denn eine gute Grundbildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingendes lebensbegleitendes Lernen. In diese Richtung müssen wir das Bildungs- system weiterentwickeln! 4 AK Folder Reboot A4_2021.indd 4 07.06.21 10:43
2. SOZIALE SELEKTION IM BILDUNGS- SYSTEM ENDLICH BEENDEN! Das Einkommen, der soziale Status der Eltern Sechs von zehn Elternteilen empfinden die und ihr Bildungshintergrund entscheiden mangelnde Vereinbarkeit als belastend. maßgeblich über die Bildungslaufbahn und Ein Drittel macht sich Sorgen um die Ge- damit auch die Berufskarriere und gesell- sundheit ihrer Kinder. schaftliche Teilhabe ihrer Kinder. Das öster- Im Herbst 2020 gaben 60 Prozent der Eltern reichische Bildungssystem reproduziert sozi- an, dass die Schulen ihre Kinder nicht oder zu ale Ungleichheiten anstatt sie aufzubrechen. wenig beim Nachholen des verpassten Lern- Das schadet nicht nur Kindern, die ihre Po- stoffes unterstützt haben. Ein Großteil der tentiale nicht entfalten können, sondern auch Mütter und Väter musste zusätzlich zur El- der Gesellschaft durch den Verlust von ternrolle und zum Job auch noch als Lehrer/- Lebenszufriedenheit, Gesundheit und quali- in fungieren. Ein Fünftel der Eltern gab an, fizierten Arbeitskräften. Es ist zu erwarten, dass aufgrund der Corona-bedingten Ver- dass die Covid-19-Pandemie die soziale Un- säumnisse bei ihrem Kind Nachhilfe notwen- gleichheit in unserem Bildungssystem noch dig wurde. weiter verschärfen wird. Zwölf Prozent aller Schüler/-innen und 36 Prozent der benachtei- ligten Schülerinnen und Schüler konnten Frühkindliche Förderung ausbauen während der Zeit des „Heimunterrichts“ 2020 nicht oder nur schlecht erreicht werden. Gerade in jungen Jahren ist das größte Poten- Lernen und Wissenserwerb in der Corona- tial für Lernfortschritte und wirksame Prä- Zeit fand überwiegend zu Hause am Esstisch vention gegeben. Darum muss schon vor der statt. Das stellte Familien vor große und kaum Schulzeit angesetzt werden, nämlich in der zu bewältigende Herausforderungen: Von ersten Bildungseinrichtung für die Jüngsten, fehlenden Geräten (Tablets, Laptops, Dru- dem Kindergarten. cker) über die Organisation des Alltages zwi- schen Home-Office, Anwesenheit am Ar- Die Covid-19-Pandemie verschärfte den selek- beitsort und Home-Schooling bis hin zur tiven Charakter des Bildungssystems. Home- Motivation der Kinder und Jugendlichen. Schooling und die Aussetzung des Regel- betriebs an Schulen und Kindergärten Eine Erhebung der Arbeiterkammer Ober- werden ohne bildungspolitische Interven- österreich in drei Befragungswellen zwischen tion langfristig negative Auswirkungen auf April und November 2020 zeigte die zuneh- den Bildungsweg von Kindern, vor allem von mende Verunsicherung der Eltern auf: Je Kindern mit Lernschwächen und von ar- länger die Kinder im Corona-Modus unter- mutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen, richtet wurden, desto mehr und tiefer wur- haben. Um dieser drohenden „Bildungskrise“ den die Sorgenfalten der Eltern. Sie beklagten entgegenzuwirken, ist jetzt der Zeitpunkt Lernrückstände, fühlten sich durch die dem Bildungssystem seine sozial selektiven schwierige Vereinbarkeit von Kinderbetreu- „Giftzähne“ zu ziehen. ung, Lernunterstützung und Berufstätigkeit belastet und sorgten sich zunehmend um die Schon vor der Schulwahl stellt das Bildungs- Gesundheit ihrer Kinder. system die Weichen für viele Kinder – durch mangelnde frühkindliche Förderung. In Weitere Erkenntnisse aus der Befragung Österreich werden Kindergärten noch nicht zeigen: konsequent als erste Bildungseinrichtungen Rund die Hälfte der Eltern glaubt, dass die behandelt. Das zeigt sich zum Beispiel an den Kinder jetzt mehr lernen müssen, um die Gruppengrößen, die individuelle Betreuung im vergangenen und heurigen Schuljahr fast unmöglich machen. In Oberösterreich erlittenen Lernrückstände aufzuholen. beispielsweise ist eine pädagogische Fach- 5 AK Folder Reboot A4_2021.indd 5 07.06.21 10:43
kraft für eine Kindergartengruppe mit bis zu bestmöglich zu unterstützen. Aber auch hin- 23 Kindern vorgesehen; sogar bis zu 25 Kin- sichtlich Öffnungszeiten sowie Vereinbarkeit der können in einer Gruppe sein. Bei voll von Familie und Beruf besteht in Oberöster- ausgelasteten Gruppen erscheint es sehr reich großer Aufholbedarf. schwierig, alle Kinder in ihrer Entwicklung BILDUNGSVERERBUNG INTERGENERATIONELLE VERERBUNG VON BILDUNG IN ÖSTERREICH IN ÖSTERREICH Immer weniger Personen Aber nur 7% der 25-44-Jährigen Höchste abgeschlossene Ausbildung der Eltern haben Eltern mit nur von Eltern mit Pflichtschul- Pflichtschulabschluss abschluss erreichen einen Universität Hochschulabschluss 57% Matura Bildung Eltern: Pflichtschule Lehre/ mittlere Schule 37% Bildung: Hochschule max. Pflichtschule 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 18% 7% Höchste abgeschlossene Ausbildung der Kinder 25-44- 45-64- Bildung der Eltern: Max. Pflichtschule Lehre/mittlere Schule Jährige Jährige Hochschule Pflichtschule Matura Universität Quelle und Grafik: STATISTIK AUSTRIA, eigene Darstellung. Erwachsenenbildungs- Quelle und Grafik: STATISTIK AUSTRIA, Erwachsenenbildungerhebung 2016/17 erhebung 2016/17 Schule: Selektion an den Schnittstellen deutung! Wenn soziale und kulturelle Durch- mischung im Schulsystem fehlt, wird Kindern Im österreichischen Bildungssystem entschei- schon früh die Chance genommen, die Viel- det sich an drei Punkten, wohin der weitere falt unserer Gesellschaft wahrzunehmen und Bildungsweg führt: Nach der Volksschule, am sich damit auseinanderzusetzen bzw. sich Ende der Pflichtschulzeit und am Ende der selbst darin zu finden. weiterführenden Schule. Nach der Volks- schule muss entschieden werden, ob das Kind Am Ende der Mittelschule bzw. der AHS- in die Mittelschule oder in eine AHS geht. Unterstufe findet eine weitere Weichenstel- Damit sind für die meisten Kinder die weite- lung statt: Wird eine weiterführende Schule ren Schritte fixiert. mit Matura besucht, eine berufsbildende mittlere Schule oder eine Lehre begonnen? Von 100 Kindern entscheiden sich nur drei Hier zeigt sich der Zusammenhang mit den für ein Gymnasium, wenn die Eltern maxi- Bildungsabschlüssen der Eltern besonders mal Pflichtschulabschluss haben. Umgekehrt klar: Haben diese einen Uni- oder FH-Ab- gehen 76 Prozent der Kinder, deren Eltern schluss, dann wechseln 52 Prozent der Kinder ein hohes Einkommen haben, in eine AHS. in eine AHS-Oberstufe, ist der höchste Bil- Das Bildungssystem schafft es nicht, allen dungsabschluss der Eltern maximal ein Kindern gleiche Chancen zu bieten. Um den Pflichtschulabschluss, sind es lediglich vier selektiven Charakter des Bildungssystems zu Prozent. ändern, braucht es eine neue Architektur, weg von der frühen Trennung in Mittel- Um ein faires und chancengerechtes Bil- schule und AHS, hin zu einer gemeinsamen dungssystem zu etablieren, muss es gelingen, Schule. dass Kinder auch unabhängig vom Wohnort, der Einkommenssituation der Eltern, dem Gerade das Lernen untereinander und von- Geschlecht oder einem Migrationshinter- einander ist bei Kindern von besonderer Be- grund ihre Bildungswahl treffen. 6 AK Folder Reboot A4_2021.indd 6 07.06.21 10:43
Selektion an Universitäten und Prozent der Studierenden im Sommersemes- Fachhochschulen ter 2020 unter depressiven Schüben und Angstzuständen litt. Perspektivenlosigkeit in Über den Besuch einer Universität oder einer Hinblick auf zukünftige Arbeitsmarktchan- Fachhochschule entscheidet der soziale Hin- cen und auf die Finanzierung des Studiums tergrund: Die Wahrscheinlichkeit ein Stu- durch krisenbedingte Jobverluste prägen die dium aufzunehmen ist für Personen, deren Situation – zu Nicht-Pandemiezeiten sind 65 Eltern Matura haben, mehr als doppelt so Prozent der Studierenden in Österreich be- hoch wie für jene, deren Eltern keine Matura rufstätig. Die Gefahr eines Studienabbruchs haben. Die schrittweise Einführung von for- ist insgesamt enorm hoch. malen Zugangsbeschränkungen und Auf- nahmeprüfungen sowie Barrieren in Form Umso irritierender ist es, dass die Bundes- von Studiengebühren verengen diesen Zu- regierung Anfang 2021 eine bürokratische gang noch mehr. Diese Maßnahmen haben Novelle des Universitätsgesetzes vorgelegt eine abschreckende Wirkung auf die Jugend- hat, die das Sperren bei Nichterreichen von lichen und führen dazu, vor allem junge Er- Mindeststudienleistungen vorsieht. Eine Re- wachsene aus Haushalten mit niedrigem Ein- gelung, die den Druck auf berufstätige Stu- kommen von einem Studium fern zu halten. dierende weiter erhöht. Aufgrund einer Entscheidung des Landes Oberösterreich wird an den Fachhochschulen Gerechte Bildung für alle: Von klein an in Oberösterreich seit dem Sommersemester 2018 ein Studienbeitrag eingehoben. Seit Damit alle Kinder die Chance bekommen, dem Wintersemester 2018/19 müssen berufs- ihre Potentiale zu entfalten, muss der skizzier- tätige Studierende an Universitäten, die län- te selektive Charakter des Bildungssystems ger als die Mindeststudiendauer plus zwei durchbrochen werden. Dazu braucht es in Toleranzsemester für ihr Studium brauchen, einem ersten Schritt endlich eine gemeinsa- wieder Studiengebühren bezahlen. Die Stu- me Schule aller Sechs- bis 15-Jährigen. dienbeihilfe wurde zuletzt mit Wirksamkeit des Studienjahres 2017/18 erhöht und wird In einem halbtägigen Schulsystem wird die nicht regelmäßig angepasst. Laut Studieren- Verantwortung für den schulischen Erfolg in den-Sozialerhebung 2019 beziehen nur rund den privaten Bereich übertragen. Kinder, die 20 Prozent der Studierenden eine Form der nicht von ihren Eltern unterstützt werden Studienbeihilfe. Darunter fallen 12,4 Prozent können, bleiben hier auf der Strecke. In einer mit konventioneller Studienbeihilfe und im modernen Ganztagsschule wird nicht wie in zweiten Bildungsweg 7,1 Prozent mit Selbst- einer Halbtagsschule davon ausgegangen, erhalter/-innen-Stipendium sowie 0,2 Prozent dass Eltern ihre Kinder voll unterstützen kön- mit Studienabschluss-Stipendium. 36 Prozent nen, vielmehr ist hier Zeit zum Lernen, Üben der studierenden Kinder von Land- und Forst- und Fragen eingeplant, gekoppelt mit ver- wirten/-innen beziehen eine konventionelle schiedenen Freizeitangeboten. Außerdem Studienbeihilfe, allerdings nur 24 Prozent der schafft eine qualitätsvolle ganztägige Schule studierenden Kinder von Arbeitern/-innen. auch Platz für Diversität und Vielfalt. Damit Das bedeutet allerdings nicht, dass sich alle kann diese Schulform ein wichtiger Ort der anderen das Studium problemlos leisten kön- Vermittlung und der gesellschaftlichen Aus- nen, im Gegenteil: In Österreich sind 65% der einandersetzung sein, die das Gemeinsame Studierenden berufstätig, vor allem, um sich über das Trennende stellt. das Studium zu finanzieren. An den Universitäten und Fachhochschulen Mehr Mittel für Schulen mit gibt es seit Beginn der Pandemie keinen Re- besonderen Herausforderungen gelbetrieb mehr. Das bedeutet, dass ein Groß- teil der Studierenden seit einem Jahr kaum Für Schulen mit großen Herausforderungen Lehrveranstaltungen und ein reguläres Cam- sind mehr finanzielle Mittel nötig. Damit pusleben hat. Aus einer Studie der Studieren- könnten Schulen mit vielen Schülern/-innen, denberatung Innsbruck geht hervor, dass 36 die großen Förderbedarf haben, bedarfsorien- 7 AK Folder Reboot A4_2021.indd 7 07.06.21 10:43
tiert strukturelle Ungleichheiten durch mehr sentlich über Verbleib, Erfolg und Teilhabe Förderangebote, pädagogisches Unterstüt- in diesem entscheiden. Zum Beispiel wird in zungspersonal oder administrative Support- Oberösterreich seit Februar 2018 wieder eine strukturen ausgleichen. Gebühr für die Nachmittagsbetreuung im Die Zuteilung der Mittel soll über einen Kindergarten eingehoben. Der Effekt war, Chancen-Index erfolgen, wie ihn die AK vor- dass in der Folge 28 Prozent der Kinder aus schlägt. Basis für die Berechnung sind der Bil- der Nachmittagsbetreuung genommen wur- dungshintergrund der Eltern und die Alltags- den. Auch in der Schule fallen Kosten für Be- sprache der Kinder. Dabei werden die durch treuung, Nachhilfe, Exkursionen, Schulmate- den Chancen-Index vergebenen zusätzlichen rial, Sportausrüstung oder Sprachreisen an Mittel mit aktiver Schulentwicklung und pä- – von den Kosten für die Vermittlung von dagogischer Freiheit der Standorte verknüpft, kulturellem Kapital, das nicht direkt zur um eine nachhaltige Weiterentwicklung zu Schule gehört, aber hilfreich ist, ganz zu gewährleisten. schweigen (Bücher, Musikinstrumente, Thea- terbesuche). Gerade die Covid-19-Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig eine digitale Offene und versteckte Kosten abbauen Infrastruktur zu Hause ist – und wie sehr sich diese finanziell zu Buche schlägt. Auch hier Auch im öffentlichen Bildungssystem fallen muss die öffentliche Hand entschieden ge- eine Reihe von Ausgaben an, die nicht unwe- gensteuern. AK-FORDERUNGEN! Elementarpädagogik Nachhaltige finanzielle Sicherstellung für Kinderbetreuungseinrichtungen Schaffung eines bundeseinheitlichen Qualitätsrahmenplanes (z.B. Betreuungsschlüssel, umfassende Sprachförderung bereits für die Kleinen) Rechtsanspruch auf einen qualitätsvollen Betreuungsplatz ab dem zweiten Lebensjahr bis zum Ende der Sekundarstufe I. Rücknahme der Elternbeiträge an oö. Kinderbetreuungseinrichtungen für die Nachmittagsbetreuung ab dem 30. Lebens- monat bis zum Schuleintritt zur finanziellen Entlastung der Eltern Einführung eines zweiten verpflichtenden und kostenlosen Kindergartenjahres für alle Kinder Ausbildungsoffensive für den Beruf des/der Elementarpädagogen/-in Schule Deutliche Erhöhung der Schul- und der Heimbeihilfe um mindestens 30 Prozent, da es seit 2007 keine Erhöhung gab; jährliche Inflationsanpassung sowie Ausweitung des Bezieherkreises. Flächendeckendes Angebot qualitätsvoller und kostenloser Ganztagsschulen sowie Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Besuch einer Ganztagsschule, in der Lernen, Üben und Freizeit einander abwechseln. Unterstützungsfonds für einkommensschwache Eltern und Alleinerzieher/-innen mit dem Ziel einer vollwertigen Teilnahme ihrer Kinder am Schulunterricht. Ausbau der schulischen und außerschulischen Sozialarbeit und psychologischer Beratungs- und Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche in Oberösterreich Gemeinsame Schule für alle Sechs- bis 15-Jährigen! Mehr Ressourcen für Schulen mit besonderen Herausforderungen – transparent verteilt nach dem Chancen-Index der AK. Das diesbezüglich von der Regierung versprochene Pilotprogramm soll von 100 auf 500 Standorte erhöht werden. Versteckte Kosten im Bildungssystem abbauen - zum Beispiel durch individuelle schulische Förderung statt teurer privater Nachhilfe Studium Erhöhung der Studienbeihilfe, jährliche Inflationsanpassung sowie Ausweitung des Bezieherkreises Abschaffung der Studiengebühren für berufstätige Studierende an Universitäten und an den oö. Fachhochschulen Besondere Berücksichtigung berufstätiger Studierender bei der Mittelzuweisung an Universitäten Umfassende öffentliche Finanzierung für Lehre und Forschung an Universitäten und Hochschulen 8 AK Folder Reboot A4_2021.indd 8 07.06.21 10:43
3. NIEMANDEN ZURÜCKLASSEN – AUSBILDUNGSABBRÜCHE REDUZIEREN! Die Zeugnisarmut von jungen Menschen in Jugendliche am Übergang Oberösterreich lässt sich eindeutig belegen Schule – Beruf und differenziert dabei zwischen frühem Schulabgang (Komplettausstieg aus dem Spätestens nach Abschluss der Pflichtschule formalen Bildungssystem nach der Schul- müssen sich Jugendliche entscheiden, ob sie pflicht, dies kann unmittelbar nach der ach- entweder den schulischen Weg weitergehen ten oder neunten Schulstufe oder in seltenen möchten und eine weiterführende Schule be- Fällen auch zuvor sein), dem Abbruch einer suchen oder sie eine Lehre in einem Betrieb weiterführenden Schule ab der zehnten Schul- absolvieren. In Hinblick auf die vielfältigen stufe oder dem Nichterreichen des Lehrab- Bedürfnisse in dieser Phase stellt diese kom- schlusses. plexe Entscheidung einen wichtigen Eckpfei- ler im Leben von jungen Menschen dar. Im Jahr 2018 In Österreich sind die Anteile der beruflichen stiegen 578 Jugendliche unmittelbar nach Bildung im Rahmen der schulischen Erstaus- der achten Schulstufe aus, bildung relativ hoch. Das europa- und sogar stiegen 718 Jugendliche unmittelbar nach weltweit nahezu einzigartige duale Ausbil- der neunten Schulstufe aus (davon 443 aus dungssystem ist ein wichtiger Grund für die der Polytechnischen Schule), international vergleichsweise geringe Jugend- stiegen 495 Jugendliche nach der zehnten arbeitslosigkeit. Dennoch, wie oben am Bei- Schulstufe einer weiterführenden Schule spiel der Zeugnisarmut gezeigt, bereitet der aus, Übergang „Schule-Beruf“ einer relativ gro- erreichten 1.362 Jugendliche, die eine ßen Gruppe erhebliche Probleme. Lehre begonnen haben, keinen positiven Abschluss. Das macht zusammen 3.153 Jugendliche aus! Umgerechnet auf die Anteile am Altersjahr- gang macht der „Frühe Ausbildungsabbruch“ (kurz: „FABA“) in Oberösterreich etwa 14 Prozent der 20- bis 24-jährigen Wohnbevöl- kerung aus! Ein in diesem Kontext häufig verwendeter Indikator ist der sogenannte NEET-Index (Not in Employment, Education or Training), der vor allem die Nähe/Ferne zum Arbeitsmarkt misst. Laut Statistik Austria betrug die NEET-Quote bei den 20- bis 24-jährigen in Oberösterreich 12,6 Pro- zent (Österreich 15,7 Prozent), wobei starke Streuungsunterschiede, etwa nach Region, Geschlecht und/oder Migrationshintergrund, bestehen. Die Covid-19-Pandemie erhöht langfristig die schon hohe FABA-Quote, weil sich die sozioökonomischen Unterschiede weiter vergrößern. 9 AK Folder Reboot A4_2021.indd 9 07.06.21 10:44
Angebote wie AusbildungsFit (ehemals Pro- dete Jugendliche gesenkt. Für den Wiederein- duktionsschulen), Jugendcoaching oder über- stieg in Ausbildungen oder zum Nachholen betriebliche Lehrausbildung, welche die un- von Berufs- und Bildungsabschlüssen müssen terschiedlichsten Bedürfnisse, Interessen und Zusatzmittel bereitgestellt werden. Fähigkeiten der Jugendlichen berücksichti- gen und fördern, tragen zur Entschärfung Auch nicht zu unterschätzen ist für alle dieser Problematik wesentlich bei. Dass hier Jugendlichen in Ausbildung die Frage der bisher größere sozial- und arbeitsmarktpoliti- Mobilität. Die eingeschränkte Mobilität und sche Diskrepanzen im Zaum gehalten wer- die geringen finanziellen Möglichkeiten von den konnten, ist auf dieses differenzierte und Jugendlichen können zu einer Hürde für relativ gut ausgebaute Auffangnetz bzw. die eine Berufsausbildung werden. Deswegen bestehende Ausbildungspflicht („Ausbil- muss sichergestellt sein, dass alle Jugend- dung bis 18“) zurückzuführen. lichen in Ausbildung Zugang zu einem „Ju- gend-Ticket“ haben. Zuvor schon benachteiligte Jugendliche haben Pandemiebedingt nachhaltige Rück- schläge im Rahmen ihrer Ausbildung bzw. Lehre – hohe Drop-Out-Raten beim Eintritt ins Erwerbsleben hinnehmen als zentrales Problem müssen und werden noch mehr abgehängt: enge Wohnverhältnisse, unzureichende tech- Bei einem genaueren Blick auf das duale nologische Ausstattung bzw. oft generell Ausbildungssystem sticht, neben vielen posi- mangelndes Kulturkapitel zeichnen hierfür tiven Aspekten, die hohe Drop-Out-Rate ins verantwortlich. Unerwünschte Effekte sind Auge: Im Oberösterreichschnitt kommt etwa zielgruppenspezifische Lerndefizite (Kompe- jede/r fünfte Lehranfänger/-in zu keinem tenzarmut), problematische Übergänge ins erfolgreichen Lehrabschluss. Von diesen ins- Berufsleben oder – zeitverzögert – fehlende gesamt 1.362 Jugendlichen brachen 2018 Abschlüsse (Zeugnisarmut). | XQT\GKVKI CD HKGNGP DGK FGT .GJTCD schlussprüfung durch und weitere 205 sind Neben einer Verbesserung der schulischen erst gar nicht angetreten. Anzumerken ist, Ausbildung durch eine Mittelvergabe, die sich dass sich die Drop-Out-Rate (die sich aus die- am sozialen Status der Schüler/-innen orien- sen drei Komponenten zusammensetzt) je tiert, und dem Ausbau ganzheitlicher, ganz- nach Lehrberuf und Ausbildungsbranche tägiger Schulen muss es mehr Support für die relativ stark unterscheidet. Schulen in den Bereichen Jugend- und Schul- sozialarbeit geben. So wird das Risiko eines Die höchsten Drop-Out-Raten sind vor allem Bildungsabbruchs für ausgrenzungsgefähr- in der Gastronomie zu finden (Restaurant- 10 AK Folder Reboot A4_2021.indd 10 07.06.21 10:44
fachmann/-frau: 45,8 Prozent, Koch/Köchin: Beschäftigungsverluste und mangelnde 38,5 Prozent). Aber auch bei den Friseuren/- Perspektiven beim Einstieg in den Arbeits- innen erreichen annähernd 40 Prozent kei- markt – in der Rezession werden keine oder nen positiven Lehrabschluss. Im Einzelhan- weniger neue Stellen geschaffen – Erstbetrof- del schließt jeder fünfte Lehrling nicht fene. erfolgreich ab. Im März 2021 waren in Oberösterreich 9.507 Hohe Drop-Out-Raten hängen zumindest (österreichweit rund 75.700) Jugendliche zum Teil mit den Ausbildungs- und Arbeits- und junge Erwachsene bis 24 ohne Beschäf- bedingungen in den Ausbildungsbetrieben tigung. Die Betroffenheit war je nach Bran- zusammen. Es bedarf vereinter Anstrengun- che, Region, Staatsbürgerschaft oder auch gen, mehr junge Leute in der Ausbildung zu Bildungsabschluss sehr unterschiedlich. Be- halten, bessere Prüfungsergebnisse zu erzie- sonders betroffen waren junge Erwachsene len und ein Nicht-Antreten hintanzuhalten. zwischen 20 und 24 Jahren. Diese jungen Angesichts der starken Streuungsdifferenzen Erwachsenen haben ein hohes Arbeitslosen- erscheint hier ein branchenspezifisches Her- risiko, für sie greift auch die „Ausbildung angehen geboten. DKU| p PKEJV 0WP TÀEJV UKEJ CWEJ FCUU FKG vorangegangene Bundesregierung die Mittel für die Ausbildungsgarantie für junge Corona – Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 19 und 24 Jahren ge- Erwachsene am Arbeitsmarkt MØT\V FKG| ØDGTDGVTKGDNKEJG .GJTCWUDKNFWPI besonders betroffen geschwächt und die Ausbildungsbeihilfe für junge Erwachsene über 18 Jahre in In der Corona-Krise waren und sind Jugend- einer überbetrieblichen Lehrausbildung be- liche und junge Erwachsene durch hohe schnitten hat. AK-FORDERUNGEN! Gezielte präventive Maßnahmen schon im Schulsystem zur Vermeidung von Bildungs- abbrüchen. Umsetzung eines Jugendrettungspaketes, mit der Zielsetzung ausreichend Kapazitäten in überbetrieblichen Lehrausbildungen, in niederschwelligen Angeboten sowie in der Schule zu schaffen um allen Jugendlichen eine qualitätsvolle Ausbildung zu sichern. Ausbildungsgarantie für junge Erwachsene zwischen 20 und 24 Jahren. Spätestens nach vier Monaten Arbeitslosigkeit sollten alle jungen Erwachsenen ein Angebot von AMS für eine Schulung oder einen Job bekommen. Die Kürzung der Ausbildungsbeihilfe für junge Erwach- sene in überbetrieblichen Lehreinrichtungen um mehr als die Hälfte ist zurückzunehmen. Kostenloses Nachholen von Lehrabschlüssen sowie die Übernahme der Kosten für die Prü- fungsgebühren im zweiten Bildungsweg und – analog zur Regelung für Lehrlinge – auch für allfällige Wiederholungsprüfungen. Vorbereitungsunterlagen für die Prüfung sollen generell kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Die Lehrstellenförderung soll vor allem von der Qualität der Ausbildung abhängen und auch Anreize zur Unterstützung lernschwächerer und benachteiligter Jugendlicher schaffen. Ausbau sozialraumorientierter, aufsuchender Jugendarbeit, um Jugendliche zu motivieren, die Ausbildung fortzusetzen. Die Kapazitäten des kostenlosen psychologischen und psychotherapeutischen Angebots für Jugendliche und junge Erwachsene müssen rasch erweitert werden, damit ihnen etwa bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit geholfen werden kann. Freifahrt und „Jugendticket-Netz“ für alle Jugendlichen in Ausbildung – auch für jene, die sich in Produktionsschulen, Berufsorientierungskursen und Stabilisierungsprojekten befinden. 11 AK Folder Reboot A4_2021.indd 11 07.06.21 10:44
4. IN AUS- UND WEITERBILDUNG INVESTIEREN! 4.1. BERUFLICHE ERSTAUSBILDUNG STÄRKEN UND VERBESSERN! Die berufliche Erstausbildung nimmt aus und zur Vermeidung von Doppelgleisig- Arbeitnehmer/-innensicht einen hohen Stel- keiten. lenwert ein. Beispielsweise sicherten und sichern die Berufsbildenden Höheren Schu- len (BHS) breiten Schichten einen guten Zu- Für eine starke duale Ausbildung gang zu höherer und in Folge auch zu akade- mischer Bildung. Auch die – international Die duale Ausbildung ist ein wichtiges Stand- anerkannte – Lehre und die Fachschulen bein des österreichischen Berufsbildungssys- können jungen Arbeitnehmern/-innen gute tems. Die Sicherung der Ausbildungsqualität Perspektiven im Berufsleben vermitteln. soll in allen Lehrbetrieben durch ein ver- pflichtendes Qualitätsmanagement garan- Die Berufschancen nach Abschluss einer tiert werden. Das soll sicherstellen, dass das Fachschule variieren stark nach Fachrich- Berufsbild umfassend vermittelt wird, denn tung. Nach einem vollzeitschulischen Berufs- in manchen Betrieben und Branchen errei- abschluss mit niedrigen Erwerbsquoten wird chen auffallend viele Lehrlinge den Lehrab- oft noch eine zusätzliche Ausbildung, meis- schluss nicht. Das Ausbildungssystem unter- tens eine Lehre, absolviert. Wesentlich ist, scheidet derzeit viel zu wenig zwischen dass bereits Kompetenzen erworben wurden, Unternehmen, die ordentlich ein ganzes Be- die im späteren Berufsleben und bei weiteren rufsfeld vermitteln und denen, die Lehrlinge Ausbildungen hilfreich sind. Die unter- einfach als billige Hilfskräfte einsetzen. Die schiedlichen Wege der beruflichen Erstaus- Herausforderung für die Qualitätssicherung bildung müssen noch besser aufeinander der Zukunft ist, dass es kein Zufall sein darf, abgestimmt und gegenseitige Anrechnungs- ob die Ausbildung das geforderte Level er- möglichkeiten intensiviert werden – in Hin- reicht. Es braucht daher gezielte Maßnahmen blick auf eine gewünschte Durchlässigkeit für gute Ausbildungsplätze. AUSBILDUNGSQUALITÄT IN DER LEHRE Bitte bewerten sie folgende Aussagen zu deiner Ausbildung im Betrieb 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Ein Ausbildungsplan für den betrieblichen Teil meiner Aus- 44% 35% 22% bildung liegt mir vor. (=5213) Die Ausbildungsdokumentation 36% 35% 30% erfolgt regelmäßig. (=5203) Ja Nein Weiß nicht Quelle: 3. Österreichischer Lehrlingsmonitor, 2019, ÖIBF. 12 AK Folder Reboot A4_2021.indd 12 07.06.21 10:44
Dazu gehört auch eine regelmäßige fachliche ausbildungsübergreifend gefragt werden: und pädagogische Weiterqualifizierung der Wieviel Spezialisierung ist erforderlich, för- Ausbilder/-innen. Hier gilt es sicherzustellen, derlich oder sogar hinderlich? Müssen junge dass den für Ausbildung zuständigen Mit- Menschen auf Fachlichkeit vorbereitet wer- arbeitern/-innen auch ausreichend Zeit für den oder verstärkt darauf, dass sich Professio- die pädagogische und fachliche Weiterbil- nen immer rascher wandeln? Die Ausbildung dung und Unterstützung der Lehrlinge zur muss etwas wert sein: Sie muss den Auszu- Verfügung gestellt wird, also diese wichtige bildenden ein gutes, stabiles Fundament an Tätigkeit nicht „nebenbei“ erfolgt. Teilprü- langlebigen und fächerübergreifenden Kom- fungen zur Mitte der Lehrzeit sollen den petenzen für Beruf und Alltag liefern. Ausbildungsfortschritt überprüfen und auf die Lehrabschlussprüfung angerechnet wer- den. Lehrlinge, die sich für das Modell „Lehre mit Matura“ entscheiden, sollen mehr betriebliche Unterstützung für Lernzwecke AK-FORDERUNGEN! erhalten. Verstärkte Angebote zur Berufs- und Bildungswegorientierung 2020 war die Zahl der Lehranfänger/-innen rückläufig. Dafür gibt es mehrere Erklärungs- Gegenseitige verbindliche und transparente Regelungen zur ansätze. Zum Beispiel herrscht laut jüngsten Anerkennung und Anrechnung zwischen verschiedenen Teilen des Umfragen unter Schülern/-innen, Eltern und Berufsbildungssystems (höhere und mittlere Schulen, Lehre, Lehrkräften die Annahme, dass es zurzeit außerschulische Ausbildungseinrichtungen) keine guten Chancen gäbe sich erfolgreich für eine Lehrstelle zu bewerben. Es fehlen Zukunftsträchtige kostenlose Ausbildung auch im öffentlichen Möglichkeiten der praktischen Berufsorien- berufsbildenden Schulsystem anbieten, etwa öffentliche höhere tierung. Es ist zu befürchten, dass sich viele Lehranstalten für Sozialbetreuung und Pflege in Oberösterreich Jugendliche mangels Perspektive zurück- Einheitliche und nachvollziehbare Qualitätsstandards für die ziehen. Auch das betriebliche Lehrstellen- betriebliche Ausbildung, verpflichtende Qualitätsüberprüfung zur angebot ist – je nach Branche – aufgrund Mitte der Lehrzeit, um Ausbildungsdefizite noch während der ungewisser Zukunftsperspektiven mit gro- Lehrzeit beseitigen zu können. Ausbildungsbetriebe sollen außer- ßen Unsicherheiten behaftet. Jahr für Jahr dem eine digitale Ausbildungsdokumentation führen. befinden sich 10.000 bis 12.000 Jugendliche österreichweit in einer überbetrieblichen Die betriebliche Lehrstellenförderung muss in Zusammenarbeit mit Lehrausbildung. Das deutet an, dass weniger den Sozialpartnern/-innen reformiert werden. Keine Gießkannenför- das Interesse an einer Lehre abnimmt als dass derungen mehr! Das Lehrlingseinkommen soll bis zu 50 Prozent und vielmehr die Betriebe nicht in der Lage/wil- bis zu sechs Monate übernommen werden, wenn ein Lehrling in ein lens sind, diese Potentiale zu entwickeln. Regellehrverhältnis übernommen wird. Betriebe, die mit der Insgesamt zeigt sich im Langzeitvergleich Lehrlingsausbildung beginnen, sollen im ersten Lehrjahr mit bis zu eine abnehmende Ausbildungsbereitschaft 50 Prozent des Lehrlingseinkommens gefördert werden. Es soll der Betriebe. zudem ein zielgerichtetes Bonussystem für Betriebe geben, die • mit einer Lehrlingsausbildung beginnen oder diese nach zehn Jahren wieder aufnehmen, Wie sinnvoll ist Spezialisierung? • einen Ausbildungsplan vorlegen können, • den Lehrlingsstand halten, Gleichermaßen für alle Formen beruflicher • ihre Lehrlinge zur Abschlussprüfung anmelden oder Schulabbre- Erstausbildung gilt: Es bedarf eines breiten chern/-innen die Lehrzeit nach rechtlichen Möglichkeiten auf ein gesellschaftlichen Diskurses, wie sinnvoll der Mindestmaß verkürzen. künftig noch rasantere technologische und digitale Wandel eine sehr frühe und intensive Nachhaltige Verbesserung des Prüfungssystems in der dualen Spezialisierung erscheinen lässt oder ob dies Ausbildung: Zeitgemäße, transparente, zielgruppengerecht nicht zentrale Aufgabe der (über-)betrieb- aufbereitete Prüfungsanforderungen und -inhalte. lichen Weiterbildung ist. Es muss künftig 13 AK Folder Reboot A4_2021.indd 13 07.06.21 10:44
4.2. MEHR ZEIT UND GELD FÜR WEITERBILDUNG! Bildung hört nicht mit dem Ausbildungs- Bildung fördert Mitbestimmung und gesell- oder Studienabschluss auf. Die Zukunft der schaftliche Teilhabe. Arbeit, die Digitalisierung, die Sicherung von Demokratie und Partizipation brauchen le- Es braucht eine nationale Weiterbildungs- bensbegleitendes Lernen. Kompetenzen und strategie unter Einbeziehung aller relevanten Fähigkeiten müssen immer wieder erneuert Akteure mit einer verbesserten Verzahnung und erweitert werden, um in der Arbeitswelt zwischen Bund, Ländern, AMS und Sozial- bestehen zu können. Die am öftesten genann- partnern/-innen, mit transparenten Förder- ten Motive für Weiterbildung sind das Nach- strukturen sowie der Schließung bestehender holen von Berufs- und Bildungsabschlüssen, Förderlücken. Zentrales Anliegen muss sein, Wünsche nach einem Berufswechsel, eine dass Arbeitnehmer/-innen sich darauf ver- Verbesserung der beruflichen Position und lassen können, dass sie den anstehenden des beruflichen Verlaufs sowie die Sicherung Transformationsprozessen nicht schutzlos der Beschäftigung. ausgeliefert sind, sondern diese bestbestimmt bewältigen können. Die Erwachsenenbil- Berufliche Weiterbildung ist vielfach Privat- dung muss mittelfristig als vierte Säule des sache: Arbeitnehmer/-innen, die sich weiter- österreichischen Bildungssystems etabliert bilden möchten – und dazu sind sehr viele werden. bereit –, müssen vielfach die Kosten dafür selbst tragen und ihre Freizeit opfern. Von guter Qualifikation profitieren aber nicht nur Zugang zu Weiterbildung ebnen die oder der Einzelne, sondern auch die Arbeitgeber/-innen, die Wirtschaft und die Betrachtet man die Weiterbildungsbeteili- Gesellschaft. Weiterbildung ist auch eine ge- gung in Abhängigkeit vom Bildungsniveau, sellschaftspolitische Aufgabe. In Zeiten von so zeigt sich: je höher der Abschluss, umso „Fake News“ und Angriffen gegen unsere höher die Partizipation und die betriebliche gesellschaftlichen Werte muss die politische Unterstützung für innerbetriebliche Weiter- Bildung einen höheren Stellenwert erhalten. bildung. EU-BENCHMARK LEBENSLANGES LERNEN NACH BILDUNGSNIVEAU UND GESCHLECHT 5,5 Pflichtschule 7,1 4,5 8,1 Lehre 7,7 8,6 13,3 BMS 11,3 14,2 24,1 AHS 25,4 23,0 19,9 BHS 18,1 21,6 Hochschule, 31,3 27,4 Akademie 33,7 0 5 10 15 20 25 30 35 40 % Zusammen Männlich Weiblich Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung 2018. Die EU-Benchmark Lebenslanges Lernen misst den Anteil der 36- bis 64-Jährigen, die in den letzten vier Wochen an einer Aus- oder Weiterbildung teilgenommen haben. 14 AK Folder Reboot A4_2021.indd 14 07.06.21 10:44
Zugangsbarrieren zu Bildung aufgrund von sozio-ökonomischem Status, ein Problem im gesamten Bildungssystem, existieren damit auch auf der vermeintlich individuellen Ebene der betrieblichen Erwachsenenbil- dung. Unternehmen müssen verstärkt alle Mitarbeiter/-innen bei betrieblicher Weiter- bildung unterstützen, dies gilt insbesondere für formal gering qualifizierte Menschen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit von nega- tiven Auswirkungen der Digitalisierung be- troffen sind. Primär gilt es, die Motivation von Lernenden zu erhöhen – bei gleichzeitiger Abkehr von der „Defizitorientierung“. Die Einbeziehung von Arbeitnehmern/-innen, vor allem auch der Betriebsräte/-innen, in die Gestaltung der betrieblichen Weiterbildungs- möglichkeiten ist deshalb besonders wichtig. Das Nachholen eines Berufsabschlusses ist weiterhin eine kosten- und zeitintensive An- gelegenheit. Zum Beispiel kann eine Vorbe- reitung zum Berufsabschluss 4.000 Euro und Weg holen in Oberösterreich jährlich rund mehr kosten, die im Regelfall vorfinanziert 150 Personen in relativ kurzer Zeit und kos- werden muss. Bildungsförderungen kommen tengünstig ihren Berufsabschluss nach – mitt- (zumindest in Oberösterreich) erst nach Ab- lerweile seit 2011 über 1000 Personen in schluss von Vorbereitungslehrgängen zum 1DGTÒUVGTTGKEJKP|CPIGDQVGPGP$GTWHGP Tragen. Auch eine Berufsreifeprüfung schlägt sich mit über 4.000 Euro zu Buche. Zwar gibt Die Abkehr von Defizitperspektiven und die es auch die kostenlose Möglichkeit, eine Forcierung vorhandener Kompetenzen und Matura an einer Schule für Berufstätige Stärken baut Vorurteile ab, beeinflusst die (Abendschule) nachzuholen, allerdings ist Selbstbilder der betroffenen Personen positiv dies sehr zeitraubend und dauert in der Regel und trägt zur Motivation bei. Darauf wird vier Jahre. auch bei der Erstinformation für Interessen- ten/-innen am Projekt „Du kannst was!“ im Rahmen der AK-Bildungsberatung großes Wege abseits des formalen Augenmerk gelegt. Bildungssystems Hier gilt es, die Übertragbarkeit derartiger Um Zeit und Kosten zu reduzieren, gilt es Modelle auf andere arbeitsmarktpolitisch verstärkt, neue Wege außerhalb des formalen relevante Bereiche zu prüfen und einen indi- Bildungssystems anzudenken. Mit dem Kom- viduellen Rechtsanspruch auf Validierung petenzanerkennungsmodell „Du kannst von Berufserfahrung – wo es möglich und was!“ wurde bereits vor Jahren ein Weg sinnvoll ist – zu etablieren. beschritten, durch Anerkennung von Berufs- erfahrung das Nachholen eines Berufsab- schlusses, nonformal und informell erwor- In gesellschaftlich notwendige und benen Kompetenzen zu ermöglichen. Dieses sinnvolle Weiterbildungen investieren! bewährte oberösterreichische Sozialpartner- Projekt, in dem durch Kompetenzanerken- Seit Jahren ist ein massiver Wandel in der nung vorhandene Stärken identifiziert wer- Arbeitswelt beobachtbar. Berufe und Bran- den und durch maßgeschneiderte Weiter- chen verschwinden, völlig neue entstehen, bildung noch fehlendes Wissen für die Erlan- etwa in Zusammenhang mit dem digitalen gung eines Berufsabschlusses vermittelt wird, Wandel. In anderen Feldern steigt der Bedarf gilt es österreichweit auszubauen. Auf diesem nach qualifiziertem Personal, wie etwa im 15 AK Folder Reboot A4_2021.indd 15 07.06.21 10:44
Gesundheits- und Sozialbereich. Es ist höchst ihre Arbeitszeit und verzichten auf einen Teil an der Zeit, zielgerichtet für zukunftsfähige ihres Einkommens. Der Arbeitgeber bezahlt Berufe und Aufgaben zu qualifizieren. weiterhin das Entgelt und die Sozialabgaben für das ursprüngliche Entgelt. Die Differenz Zum Beispiel muss in die Ausbildung in den zwischen Arbeitsleistung und Nettolohn Pflege- und Sozialbetreuungsberufen inves- wird vom AMS übernommen. tiert und eine existenzsichernde Absicherung schon während dieser Zeit geschaffen wer- Die Weiterbildung ist so angedacht, dass den. Die bisherigen Erfahrungen zeigen je- | 2TQ\GPV FGT -QUVGP HØT CTDGKVUDG\QIGPG doch, dass Pflegekräfte häufig die Ausbildung Weiterbildungen in externen Einrichtungen abbrechen oder kurz nach Abschluss der Aus- der Arbeitgeber übernimmt und 60 Prozent bildung den Pflegebereich wieder verlassen, das AMS. Für den/die Arbeitnehmer/-in ist weil sie unter den derzeitigen Bedingungen das Weiterbildungsangebot somit kostenlos. nicht arbeiten können oder wollen. Insofern ist das sowohl für den/die Arbeitneh- mer/-in als auch für den Betrieb von Vorteil. Es braucht daher eine Attraktivierung der Diese Schulungsbeihilfe gilt bis Ende Juni Pflegeausbildung, eine Verbesserung der Ar- 2021. Die vom AMS geförderte Weiterbil- beitsbedingungen und eine deutlich höhere dung muss vom Betrieb beauftragt werden. Entlohnung. Arbeitgeber haben das Recht, eine Unterbre- chung und/oder einen vorzeitigen Abbruch Kurzarbeit für Weiterbildung nutzen! der Bildungsmaßnahme anzuordnen (müssen dann aber die vollen Kosten tragen). Bei Been- Kurzarbeit war und ist eine von den Sozial- digung der Kurzarbeit haben Arbeitnehmer/- partnern/-innen ausverhandelte Maßnahme innen einen Rechtsanspruch, innerhalb von um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Grund- 18 Monaten die Weiterbildung abzuschließen. sätzlich ist die Kurzarbeit eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber/-in und den Beschäf- tigten über eine kurzfristige Reduktion der Recht auf Aus- und Weiterbildung Arbeitszeit mit Zustimmung der Sozialpart- ner/-innen (Wirtschaftskammer und Gewerk- In Schweden haben Erwachsene eine Recht, schaft). Sie ermöglicht, dass das Dienstver- bisherige Ausbildungen abzuschließen, neue hältnis der Arbeitnehmer/-innen aufrecht anzufangen oder eine weiterführende (Aus-) bleibt und sich der Verdienstentgang in Bildung abzuschließen. Dies hat den Zugang Grenzen hält. Die Beschäftigten reduzieren zu höherer Bildung und damit besseren Ar- beitsmarktchancen zur Folge. Um dieses Recht zu ermöglichen sind eine hohe finanzielle Absicherung während der Weiterbildung so- AK-FORDERUNGEN! wie entsprechend öffentliche Förderungen der Weiterbildungsmaßnahmen Vorausset- Kostenlose Angebote für das Nachholen von Lehrabschlüssen und zung. In Dänemark haben sich Ansätze von der Berufsreifeprüfung „educate first“ effektiver als „work first“ her- Rechtsanspruch auf Bildungskarenz und Bildungsteilzeit ausgestellt. Vorrangiges Ziel ist nicht, dass Rechtsanspruch auf Anerkennung bereits erworbener Kompetenzen Arbeitslose jeden Job um jeden Preis anneh- Rechtsanspruch auf eine Woche Bildungsfreistellung pro Jahr men müssen, sondern die nachhaltige Inte- Qualifizierungsgeld bzw. Ausbau und Absicherung des Fachkräfte- gration in den Arbeitsmarkt. Österreich ist stipendiums zur Existenzsicherung bei längerfristigen Ausbildungen. von einem derartigen Aus- und Weiterbil- Starke finanzielle Anreize für Um- und Wiedereinsteiger/-innen für dungsrecht für Erwachsene noch weit ent- Ausbildungen in Pflege- und Sozialbetreuungsberufe als gemeinsa- fernt. Die derzeitigen Aus- und Weiterbil- me Initiative von Bund, Land OÖ, AMS und Arbeitgebern dungsinstrumente werden einer dynamischen Rücknahme der Kürzungen beim oö. Bildungskonto, Ausbau der Wirtschaft nicht mehr gerecht. Ein ausgebau- Förderungen tes und langfristig abgesichertes Fachkräfte- Anhebung der Altersgrenze für das Selbsterhalterstipendium auf 45 stipendium bzw. ein neues Qualifizierungs- Jahre für Personen, die sich in Richtung Hochschule orientieren wollen geld zur Existenzsicherung während Aus- und Weiterbildungen ist ein Gebot der Stunde. 16 AK Folder Reboot A4_2021.indd 16 07.06.21 10:44
5. DIE HERAUSFORDERUNGEN DER DIGITALISIERUNG ANNEHMEN! DIGITALISIERUNG MIT WEITSICHT GESTALTEN! Digitalisierung ist ein Sammelbegriff, der der Arbeiterkammer OÖ im Mai 2020 hat er- eine Reihe von technischen und gesellschaft- geben, dass sowohl die Kompetenz der Päda- lichen Veränderungen beschreibt, ausgehend gogen/-innen als auch der Kinder und Eltern vom Fortschritt im Bereich der Datenver- im Bereich der Anwendung und des digita- arbeitung und -übermittlung der letzten len Unterrichts ausbaufähig ist: Ein wesent- zwanzig Jahre. Während vor einigen Jahren licher Kritikpunkt der Eltern war die Ver- noch von “Arbeit 4.0” und der vierten indust- wendung von zu vielen unterschiedlichen riellen Revolution die Rede war, so sind es Plattformen zur Kommunikation von Auf- derzeit künstliche Intelligenz, Augmented gaben. Das sorgte für Verwirrung und Stress. Reality und Robotik, die Arbeitsprozesse und Leben beeinflussen. Diese Entwicklungen Mehr als ein Drittel der Familien musste für zeigen, wie schwierig es ist, digitale Innova- das Lernen zuhause in technische Ausstat- tion vorherzusehen – gerade deswegen muss tung investieren. Vor allem Tablets und Lap- unser Bildungssystem stärker und überlegter tops, Drucker und Druckerpatronen mussten damit umgehen. angeschafft werden. 40 Prozent der Familien mit Haushaltseinkommen unter 2.500 Euro können sich diese Anschaffungen kaum leis- Zugang und Kompetenz ten. Bei Alleinerziehern/-innen und Mehr- kindfamilien liegt der Anteil mit 42 Prozent Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie und das sogar noch etwas höher. damit verbundene „Herunterfahren“ vieler Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hat Zugang heißt noch nicht Infrastruktur: Nur das große Potential der Digitalisierung für weil ein Tablet oder ein PC mit Internet- unser tägliches Leben gezeigt. Gleichzeitig anschluss im Haushalt vorhanden ist, heißt wurde aber auch die digitale Kluft verdeut- das nicht, dass diese immer verfügbar sind, licht, die Home-Office und Distance-Lear- wenn die Kinder sie brauchen. Wenn Schule ning ohne funktionierendem Zugang zu digitale Infrastruktur benötigt, muss die öf- Internet, Smartphone oder Computer mit fentliche Hand diese zur Verfügung stellen – sich bringt. In Österreich haben nach wie vor genauso wie Schulbücher. rund zehn Prozent der Bevölkerung im Alter von 16 bis 74 Jahren das Internet noch nie benutzt. Diese Gruppe spaltet sich stark nach Zugang ist nicht alles Alter und nach Geschlecht: Der Anteil der „Nichtnutzer/-innen“ ist bei 16- bis 24jähri- Das gilt auch für Medienkompetenz und den gen sehr klein (0,5 Prozent männlich und 0,6 sicheren Umgang mit dem und im Netz, das Prozent weiblich), bei Männern im Alter von für den Großteil der Jugendlichen Teil ihres 65 bis 74 Jahren aber mit 35 Prozent relativ Alltags und ihrer Lebenswelt ist. Dement- groß und bei Frauen im gleichen Alter mit 48 sprechend muss sie auch in der Schule reflek- Prozent sehr groß. tiert und behandelt werden. Das beinhaltet Datensicherheit und einen gesunden Um- gang mit Smartphone und Tablet („Digital Digitalisierung macht Schule Detox“) ebenso wie die Themen Schönheits- ideale und Selbstdarstellung, respektvoller Dass der Zugang zu einem digitalen Endge- Umgang in sozialen Medien (insbesondere rät alleine nicht ausreicht, hat auch die Phase bei Meinungsverschiedenheiten) und Verhal- des „Heimunterrichts“ gezeigt. Eine Umfrage ten bei Hass im Netz oder Cyberbullying – 17 AK Folder Reboot A4_2021.indd 17 07.06.21 10:44
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