Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
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Douglas Deutschland GmbH – von der Parfümerie zur Drogerie und wieder zurück Eau de Klo Kuckuck Informationen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147 21. Dezember 2020 von Chanel? Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich Handel Amazon ist angeblich kein Corona, besser: die ab 16. fümduft auf dem Dach. Versandhändler, sondern Dezember geltende neue Oder wurde der Coup zur Drogerie „bloß“ ein Logistiker; deshalb hessische „Verordnung zur nicht erst nach solchen Überlegungen will das Unternehmen auch Beschränkung von sozialen „werbetechnisch“ gezielt vorbereitet? nicht die Tarifverträge des Kontakten und des Betrie- Noch am 12. Dezember mahnte Dou- hessischen Einzel- und Ver- bes von Einrichtungen und glas die tatsächlichen und möglichen sandhandels anerkennen. von Angeboten aufgrund Kund*innen: „Der nächste Lockdown ab Douglas wollte neuerdings der Corona-Pandemie“. dem 21.12. steht vor der Tür. Jetzt die auch keine Parfümerie mehr, Mit dieser Regelung hat letzte Chance wahrnehmen und Weih- sondern eine Drogerie sein. Dafür sorgte die Hessische Landesregierung nicht nachtsgeschenke kaufen.“ Drei Tage das allgegenwärtige und hartnäckige zum ersten Mal, sondern eigentlich später war die allgemeine Schließung Corona-Virus. Nach bisherigen Erkennt- schon immer seit Beginn der Corona- des Einzelhandels ab 16. Dezember nissen greift der Erreger durch seine Krise und den damit verbundenen bereits verkündet. Douglas schwenkte unmittelbare Einwirkung die Lungen Betriebsschließungen im Einzelhandel zu den durch die hessische Corona- und andere Organe an, doch das Gehirn die Drogerien von dieser Form der Verordnung weiterhin für den Verkauf der Erkrankten bleibt glücklicherweise Einschränkung freigegebenen verschont. ausgenommen. „Abhol- und Lie- Plötzlich „schädigte“ das Pandemie- Das scheint den ferdiensten“ um; Virus die Douglas-Geschäftsführung Parfümist*innen zusammen mit derart, dass sie am Abend des 15. De- um die ehemalige dem Online-Han- zember 2020 noch mit der „Parfümerie“ Opel-Managerin del werden sie zu Bett ging, um am anderen Morgen mit Tina Müller, heu- beispielsweise te Vorsitzende unter dem Aspekt der Douglas Ge- „Click & Collect“ schäftsführung, aufgezogen. Die lange Zeit nicht Botschaft von aufgefallen zu Douglas: „So er- sein. Oder sah hältst Du noch sie darin nur eine „Spitzfindigkeit“ der Corona-Ver- ordnung und kei- nen erkenn- und nutzbaren Vorteil für Douglas? Der neueste Lock- down-Erlass scheint sie (endlich?) rechtzeitig Dei- abrupt „wachgeküsst“ zu haben. Keine ne Geschenke. Frage für die Unternehmerin: Letztlich Express Reser- zählt sicher auch für sie jeder Euro vierung. Trotz einer „Drogerie“ aufzuwachen. Das war von verkauften, ätzend riechenden Lockdown – Produkte online in der selbstverständlich nicht die unmittelbare, Klosteinen in der Hand mehr als der Wunschfiliale reservieren & abholen.“ sondern die indirekte Auswirkung von reizvollste, aber unveräußerliche Par- Am 16. Dezember war in zahlreichen
Douglas-Stores auch dieser Vertriebs- dass sie neben schönen Düften auch Allheilmittel für jede Art von „Sünde“ an. kanal „verstopft“, weil sich Betriebsräte Klopapier und Windeln, Anti-Schuppen- So ein Fehltritt wäre bestimmt auch die und Beschäftigte weigerten, sich ohne Shampoo und Kernseife in rauhen Men- „Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Wer ausreichende Schulung und Garantie gen und – wie gesagt – zum „Großteil“ aber den Einzelhandel kennt, der erlebt von ausreichenden immer wieder, dass Hygienstandards es heute wohl keine beim Abholservice „Sünde“ mehr zu ge- in oder vor der Filiale ben scheint, die groß den nicht sonderlich genug wäre, sich ein durchdachten An- gewinnträchtiges weisungen zu dieser Geschäft deshalb unsicheren Überga- „durch die Lappen“ be der Ware von den gehen zu lassen. Verkäufer*innen an Offenbar war sich die Kund*innen zu die Geschäftsfüh- unterwerfen. Hinzu rung unsicher, ob die kam eine zusätzliche Beschäftigten in den Verunsicherung, weil hessischen Douglas- „eifrige“ Filialleitun- Filialen nicht etwas gen die unzweideu- überrascht und sehr tige Forderung stell- unwillig sein könn- ten, auch Produkte ten, wenn sie von aus dem normalen der nächtlichen „Um- Ladensortiment zu wandlung“ der Parfü- verkaufen, falls die merie erfahren wür- Abholer*innen dies den. Deshalb verließ wünschten. sie sich nicht auf die Die augenschein- an dieser Stelle un- lich unermüdlich klaren Worte des über immer neue Duden, sondern auf Wege zur Offenhal- eine befehlsmäßige tung der Läden nach- Anweisung. „Wir öff- denkende Douglas- nen unsere Stores Geschäftsführung unter dem Kontext, scheint sich dann dass wir eine Dro- am Tag des Lock- gerie sind, da wir down selbst ange- das Sortiment des sichts des drohen- Handlungsanweisung für den Coup: Parfümerieartikel weg, Drogeriesortiment nach vorn täglichen Bedarfs den Imageverlusts und der Grundver- zu dem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel anzubieten hätten. „Sobald das Geld sorgung haben“, hieß es in dem ver. zur Drogerie ermutigt zu haben. Wie im Kasten klingt, die Seele aus dem di in Hessen zugespielten Schreiben aber erkläre ich dies meinen Kund*innen Feuer springt“, bot vor gut fünfhundert vom 16. Dezember, das vor offizieller und der Öffentlichkeit, hat Tina Müller Jahren der Prediger Johann Tetzel als Ladenöffnung noch allen Geschäften vielleicht alpgeträumt. Oder es könnte zuging, obwohl an diesem Tag bereits ihr in schlafloser Nacht eingefallen der Lockdown umfassend greifen sollte. sein, mal ein Wörterbuch der deutschen Darin die Ansage ans Personal: „Bitte Sprache zu Rate zu ziehen. Gesagt, räumt folgende Artikel vor Öffnung Eures getan – und schnell hinausposaunt: „Der Stores von der Verkaufsfläche weg: De- Duden definiert ‚Drogerie‘ … als ein ‚Ge- koartikel und Schmuck z.B. Douglas Bär, schäft, in dem nicht apothekenpflichtige Tosh außer Lesebrillen, Baumschmuck. Heilmittel, Chemikalien und Kosmetik- Im Eingangsbereich des Stores sollte pri- artikel verkauft werden.“ Von dort war mär unser Drogeriesortiment präsentiert es zur „glorreichen“ Schlussfolgerung werden, sodass klar ist, dass wir eine nicht weit: „Die Douglas-Filialen bieten Drogerie sind.“ überwiegend Körperpflegeprodukte wie Offenbar rechnete die Douglas- Cremes, Shampoo, Seife, Deodorants, Geschäftsführung auch mit unangeneh- Make-up, Parfüms und Hygieneprodukte men Kontrollen durch die Ordnungsäm- und damit den Großteil eines klassi- ter der jeweiligen Städte. Wie darauf schen Drogeriesortiments an.“ zu reagieren sei, stand ebenfalls in der Diesen Beweis erstaunlicher Wand- Regieanleitung: „Gebt Euch bitte direkt lungsfähigkeit präsentierten Nicole aktiv als Mitarbeiter*innen zu erkennen Nitschke und Rico Raddao von der Dou- und sprecht die Beamten an. Bitte keine glas-Geschäftsführung in einer Bran- che, die bisher eher nicht damit warb, Erster Schritt zur Drogerie: Aktion „Letzte Chance“ Fortsetzung auf Seite 3 Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147 21. Dezember 2020 Seite 2
Fortsetzung von Seite 2 Parfümerie für die erwartete Kundschaft schärfste „Waffe“ der Gewerkschaften, weit geöffnet waren. Ein Polizist scheint hätte sich an diesem denkwürdigen 16. aggressiven Gespräche führen und sich sogar ein „Herz“ gefasst und allen Dezember, aber ebenso noch am Tag Auseinandersetzungen vermeiden. Mut zusammengenommen zu haben, danach vollauf bestätigt fühlen können. Erklärt den Beamten, dass es sich bei diesem Store um einen Drogeriestore Sicher haben Medienecho und der Shitstorm in den sozialen Netzwerken in den Ohren von Tina Müller & Co. besser „reinigend“ gewirkt als jedes als er der daraufhin tränenüberströmten gepflegte Wattestäbchen aus dem Filialleiterin mit einem Bußgeld von ei- eigenen Regal. Am 17. Dezember um nigen tausend Euro drohte, so dass die 7.20 Uhr ließ sich die Vorsitzende des Parfümerie ihren öffentlichen Zugang Vorstands öffentlich vernehmen, die wieder schloss. Ansonsten waren die Abgesandten des Ordnungsamtes wohl eher zurückhaltend und gaben vor, den „Sachverhalt“ genauer prüfen zu wol- len. Es ist also doch ein Unterschied, ob eine Verweigerin eines Mund- kurzzeitige Umwandlung der Parfüme- rie zur Drogerie sei ab dem Folgetag beendet. Sie entschuldigte sich sogar für ihren (offensichtlich kläglichen) Nasen-Schutzes in der Darmstädter Versuch, durch einen zweifelhaften Fußgängerzone von sechs komunalen Streich den Lockdown zu unterlaufen. Zweiter Schritt zur Drogerie: „Click & Collect“ Aufpassern umringt und zurecht gewie- Mit ihrer eigenwilligen „Schöpfung“ hat sen wird – oder ob sie sich mit einem sie der landläufigen Bezeichnung „Eau handelt. Wir versuchen eine zwangs- vermeintlich starken Unternehmen wie de Toilette“ vielleicht nachhaltig einen weise Verriegelung unserer Läden zu Douglas anlegen müssen. erweiterten inhaltlichen und käuflichen verhindern, indem wir den Beamten Wie dem auch sei, es waren nicht Sinn gegeben. Das bleibt an Wert, signalisieren, dass wir den Anordnun- behördliche Aufsichtspersonen, die auch wenn durch ihren „Griff ins Klo“ gen Folge leisten. Bitte lasst Euch die für ein „Zurückrudern“ der Douglas- dem Image der einst exklusiven Parfü- Geschäftsführung sorgten, sondern merie der allseits bekannte „Duft“ des das Echo einer ver.di-Presseerklärung Örtchens noch eine Zeitlang oder dau- in den Medien und darauf schnell fol- erhaft anhaften könnte. Wohl bekomms! gend in den sozialen Netzwerken. Dort war zu lesen: „Ekelerregend – jedes Schlupfloch ge- Ausweise zeigen und notiert die Namen nutzt, um den Profit zu in der Protokollvorlage anbei. Falls die maximieren, Gesundheit Beamten den Store schließen möchten, der Mitarbeiter scheiß- legt bitte bereits mündlich Widerspruch egal“; „ich werde zu- ein.“ künftig keine Produk- te mehr bei Douglas kaufen“; „absolut das falsche Signal in dieser Zeit“; „absolut peinlich für Douglas“. Selbst die sonst gegenüber Unter- nehmen eher untertänig mild schreibende BILD- „Zeitung“ widmete der Geschichte nicht nur den Und tatsächlich sollen an manchen Titel, sondern auch die hessischen Filialen sowohl Polizei als halbe zweite Seite. Wer auch städtische Hüter der Ordnung „an- immer noch denkt, die geklopft“ haben, weshalb die Türen der Presseerklärung sei die Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147 21. Dezember 2020 Seite 3
Kurzarbeitergeld trotz Vollzeitbeschäftigung abgerechnet Selbstbedienungsladen? „Wo alle nehmen, soll ich’s allein dann im Herbst dieses Jahres feststellten, nichts geschah – Funkstille! Erst am lassen?“ So oder ähnlich mag Norbert dass ihnen seit März 2020 die Gehalts- 11. Dezember meldete sich ein Darm- Engel [Name geändert] gedacht haben. abrechnungen für alle Monate vorenthal- städter Rechtsanwalt bei ver.di und Und der Geschäftsführer eines inhaber- ten worden waren. Erst auf Nachfrage teilte mit: „Die Lohnabrechnungen für geführten Einzelhandelsunternehmens in wurden ihnen diese dann ausgehändigt. die Vergangenheit werden korrigiert.“ Südhessen hat’s nicht gelassen, sondern Und siehe da, der gute Herr „Chef“ Eine entsprechende „Meldung gegen- reichlich davon genommen: vom verrechnete für eine Vollzeitkraft über der Bundesagentur [für Arbeit] ist staatlich „angebotenen“ Kurzar- mit 163 Arbeitsstunden im Mo- bereits erfolgt“. beitergeld, als ob die durch Bei- nat in unterschiedlicher Höhe, Diese Nachricht erreichte ver.di zu träge der Beschäftigten gefüllten aber immer über die Hälfte bis spät, da sie bereits am 9. Dezember Sozialkassen ein „Selbstbedie- zu 75 Prozent der Vertragsstun- der Arbeitsagentur diesen möglichen nungsladen“ seien. Daran wäre den als „Kurzarbeitergeld“, ob- Betrug beim Kurzarbeitergeld angezeigt dann nichts Verwerfliches, wenn wohl in den Monaten nicht eine und um „Kontaktaufnahme“ gebeten seine persönliche Notlage ihn tatsächlich Stunde durch Kurzarbeit ausgefallen hatte. Anscheinend hat die Behörde zur Einführung von Kurzarbeit bei der Be- war. ver.di schrieb den Einzelhändler mit solchen oder ähnlichen Fällen „alle legschaft gezwungen hätte. Doch davon an und forderte „schnellste Aufklärung, Hände voll“ zu tun. Denn es dauerte konnte keine Rede sein. wie es sich mit der Abrechnung von fast eine Woche, bis sich das „Amt“ bei Im Gegenteil: Die Geschäfte liefen ‚Kurzarbeitergeld‘ in den genannten ver.di meldete und genauere Angaben wohl so gut, dass Norbert Engel die Monaten verhält“. zu dem des Betrugs verdächtigen Ein- überschaubar große Belegschaft auch Darüber hinaus machte ver.di den zelhändlers Norbert Engel anfragte. zu Corona-Zeiten und erstem Lockdown Geschäftsführer auf „die rechtlichen Beim Verhängen von „Bestrafungen“ ohne Einschränkung arbeiten ließ, wie Konsequenzen einer nicht einwand- gegen angeblich „auffällige“ oder „säu- er es mit ihr im jeweiligen Arbeitsvertrag freien Abrechnung“ aufmerksam. Ihm mige“ Erwerbslose steht die Behörde vereinbart hatte. Den Beschäftigten fiel wurde eine Frist zur Aufklärung bis erfahrungsgemäß blitzschnell bei den offenbar nichts Sonderbares auf, bis sie zum 8. Dezember gegeben. Doch Betroffenen „auf der Matte“. Primark Mode Ltd. & Co. KG Filiale Weiterstadt Demokratie im Betrieb in Zeiten der Pandemie Demokratische Aktivitäten in dung des Gesetzes klargestellt: „Die Nut- für den Betriebsrat werden musste. Zeiten von massiven Corona- zung von Video- und Telefonkonferenzen Der Betriebsrat von Primark im Ein- Beschränkungen aufrechtzu- tritt als zusätzliche Option [Möglichkeit] kaufszentrum Loop5 in Weiterstadt sah erhalten, das ist kein leichtes neben die hergebrachte Durchführung keine Chance und besaß keine elektroni- Unterfangen. So etwas „beutelt“ von Sitzungen unter physischer [körperli- schen Hilfsmittel, eine Betriebsversamm- besonders gewerkschaftlich orientierte Betriebsräte, die es § 129 Betriebsverfassungsgesetz gewohnt sind und für richtig halten, die eigenen Kolleg*innen Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie im Betrieb über ihre Arbeit regel- mäßig zu informieren und in die Interessenvertretung möglichst aktiv einzubeziehen. Sicher, der Gesetzgeber hat erst jüngst die seit 15. Mai dieses Jahres geltende Sondervorschrift des § 129 Betriebsverfassungs- gesetz bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Dadurch können cher] Anwesenheit der Teilnehmer vor Ort lung als Telefon- oder gar als Videokonfe- beispielsweise Sitzungen von als Regelfall.“ Denn ein wirklichkeitsnaher renz zu veranstalten. Deshalb reservierte Betriebsräten als Video- oder Telefonkon- und nicht rechtlich betriebsblinder Ge- er sich beim Center-Management den ferenzen stattfinden und dabei sogar gül- setzgeber musste erkennen, dass bereits größten Raum und teilte die mehr als tige Beschlüsse gefasst werden. Selbst für mittelgroße Betriebe mit einer mehr als hundert Beschäftigten auf insgesamt Betriebsversammlungen sind „virtuell“, hundertköpfigen Belegschaft eine solche zwölf Teilbetriebsversammlungen jeweils also ohne Anwesenheit der Beschäftigten virtuelle Versammlung aller Beschäftigten freitags und samstags in den drei aufei- in einem Raum erlaubt. zu einer technisch wie organisatorisch Allerdings war bereits in der Begrün- kaum zu bewältigenden Herausforderung Fortsetzung auf Seite 5 Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147 21. Dezember 2020 Seite 4
Fortsetzung von Seite 4 sorgte der Betriebsrat dafür, dass die Arbeitsgericht Darmstadt auf ein eher Teilbetriebsversammlungen nicht bloß überraschtes Richterkollegium. Die nander folgenden Wochen vor dem 20. keine nennenswerten zusätzlichen etwas kindlich anmutende Frage des Dezember 2020 so auf, dass höchstens Kosten verursachten, sondern auch Prozessvertreters von Primark, ob denn neun Kolleg*innen an jedem Treffen mit- das Geschäft durch eine gezielte Per- unter Corona-Bedingungen überhaupt wirken konnten. Darüber hinaus erarbei- sonaleinsatzplanung (fast) problemlos mehre Personen zusammenkommen tete der Betriebsrat ein Hygienekonzept, und störungsfrei weiterlaufen konnte. dürften, um eine Versammlung abzu- wollte „das Lüften in regelmäßigen Zeit- Alles also bestens vorbereitet – wenn halten, quittierte der Betriebsrat mit der abschnitten“ garantieren und vergaß auch da nicht die Geschäftsleitung gewesen aufschlussreichen Bemerkung: „Wir nicht, die Beschäftigten vorab auf die wäre. Sie war wohl der Meinung, die müssen ja auch zusammen arbeiten!“ Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen- Corona-Verordnung für sich nutzen zu Das Gericht schlug eine Bresche für Schutzes hinzuweisen. können, um die demokratische Zusam- die Demokratie im Betrieb, wies die Mehr noch: Aufgrund des einge- menkunft der Belegschaft unterbinden Klage ab und die Anwesenden darauf schränkten Kund*inneneinlasses in zu können. Einen Tag vor der geplanten hin, dass jeder Betriebsrat gesetzlich der Filiale und des damit fehlenden ersten Teilbetriebsversammlung am verpflichtet ist, regelmäßig Betriebsver- üblichen Umsatzes an solchen Tagen 4. Dezember traf ihre Klage vor dem sammlungen zu veranstalten. Hessische FDP forderte verkaufsoffene Adventssonntage „Eine Lüge ist wie ein Schneeball ...“ „‘Alle Jahre wieder‘, könnte man jetzt leiter Handel der ver.di in Hessen und Wirklichkeit und die Darstellung ihrer singen, versucht die FDP, sich am hes- Aktiver in der „Allianz für den freien politischen Ziele denn sachlich? Oder sischen Ladenöffnungsgesetz abzuar- Sonntag“ entlarvte dieses Vorhaben in gehört auch heute noch in manchen Si- beiten“, meinte der Abgeordnete Markus einer Mitteilung an die Medien: „Eine Lüge tuationen ein „grober Keil“ auf einen „gro- Hofmann von Bündnis 90/DIE GRÜNEN ist wie ein Schneeball: je länger man ihn ben Klotz“? Die Debatte im Hessischen in der Debatte des Hessischen Landtags wälzt, desto größer wird er, so wusste Landtag zeigte anschaulich, wie sehr die am 10. Dezember 2020: „Die Argumente schon Martin Luther, ohne dass er sich FDP mit ihrem Gesetzentwurf die Nerven sind immer die gleichen, diesmal ergänzt bereits damals mit penetrant übereifrigen aller anderen Fraktionen, nur nicht die durch den Pandemieaspekt.“ Zur Diskus- Liberalen auseinandersetzen musste. Die der AfD, strapaziert hatte. Zu Beginn der sion war das Parlament von der Fraktion FDP im Hessischen Landtag scheint das Diskussion eröffnete der selbsternannte der „Freien Demokraten“ am 1. Dezember ‚Schneeballsystem‘ zu mögen und gern „sonntagsöffnungspolitische Sprecher“ 2020 „eingeladen“ worden. Einmal mehr zu kultivieren. Anders lässt sich nach einer der Liberalen mit einer wohl vielen Hin- (oder zu häufig?) hatte die FDP einen er- Vielzahl von Absagen und Rückschlägen und-her-Politiker*innen eigenen Art: „Wir neuten Vorstoß unternommen, unter dem bei ihrem Bemühen um eine allgemeine haben akzeptiert, dass es einen Anlassbe- Deckmantel der Probleme zug geben muss“, erklärte Dr. des Einzelhandels seit den Stefan Naas und gab vor, die Einschränkungen im Rah- im HLöG zu einer Sonntags- men der Corona-Epidemie öffnung notwendige, das Ge- doch noch Ladenöffnungen schehen des Tages prägende an den Adventssonntagen Veranstaltung (Messe, Markt durchsetzen zu können. und ähnliches) anzuerken- Mit einem „Gesetz zur be- nen. Das betonte er innerhalb fristeten Flexibilisierung der einer Minute Redezeit gleich Sonntagsöffnung in der Corona-Pande- sonntägliche Ladenöffnung kaum ver- zwei Mal. mie“ dachten die Liberalen offensichtlich, stehen. Mit ihrem jetzigen Gesetzentwurf Schön, könnten alle Sonntagsschüt sowohl das erst vor knapp einem Jahr neu wird einmal mehr die Horrorgeschichte zer*innen gedacht haben, aber dann gefasste Hessische Ladenöffnungsgesetz verbreitet, die im Hessischen Ladenöff- kam im nächsten Satz seines Vortrags: (HLöG) als auch die höchstrichterliche nungsgesetz im letzten Jahr festgelegten „Ich glaube, wir sollten die Möglichkeit Rechtsprechung umgehen, unterlaufen Regeln für Sondergenehmigungen zur nutzen, konzentriert und befristet auf ein oder aushebeln zu können. Dabei sollte Öffnung der Geschäfte an Sonntagen be- Jahr auf den Anlassbezug zu verzichten“. angeblich der „Schutz des Sonntags als hindere die Bekämpfung der Pandemie. In der christlichen Bibel heißt es treffend: Tag der Erholung, wie im Grundgesetz Das müssen scheinbar derzeit all jene be- „Eure Rede aber sei: Ja! Ja! Nein! Nein! … sowie der Hessischen Verfassung … haupten, die es offensichtlich nötig haben, Was darüber ist, das ist vom Übel“, was niedergelegt“, gewahrt bleiben. „Lediglich“ immer wieder ihre Affinität [Neigung] zu so viel bedeutet: Wer Wichtiges zu sa- würde „die einmalige Ausweitung auf acht dem unermüdlichen bis rücksichtslosen gen hat, der/die soll ein klares Ja oder Sonn- und Feiertage bzw. maximal zwei Gewinnstreben des Einzelhandels zu Nein sagen, aber mehr nicht und nichts Adventssonntage im Jahr“ vorgenommen. bekräftigen.“ dazwischen. Es kann und darf also nicht Der Anlass dieser „ausnahmsweisen Diese Einschätzung wurde hier und verwundern, dass die Abgeordneten an- Sonn- und Feiertagsöffnung“ bilde „ein dort als „zu polemisch [bissig, unsachlich]“ derer Fraktionen ziemlich heftig auf diese öffentliches Interesse“. betrachtet und kritisiert. Ist die auch von Bernhard Schiederig, Fachbereichs- der FDP mitgestaltete gesellschaftliche Fortsetzung auf Seite 6 Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147 21. Dezember 2020 Seite 5
Fortsetzung von Seite 5 sei, dass sie „ganz genau wissen, dass sich kaum eine bessere „hauseigene“ die Sonntagsöffnung“, die sie „hier immer Interessenvertretung im Hessischen Art von „Begründung“ für den vorgelegten wieder propagieren, verfassungsrechtlich Landtag vorstellen und wünschen können Gesetzentwurf antworteten. So kritisierte überhaupt nicht möglich ist“. Fraglich als die FDP? Selbstverständlich gibt es Hermann Schaus (DIE LINKE), dass die bleibt, ob der Minister tatsächlich nicht auch noch ziemlich viele Abgeordnete FDP-Fraktion, „wieder und wieder, wie „Herr“ und „Knecht“ verwechselte, als anderer Parteien, die diesen Job freiwil- ein störrisches Kind, die lig und aus Überzeugung Verfassungslage und die machen (wollen). Das ist al- dazu ergangenen vielen lerdings eine grundsätzliche Gerichtsentscheidungen Frage parlamentarischer einfach nicht zur Kenntnis Arbeit, die der Hessische nehmen will“. Und dies, ob- Sozialminister bedauerli- wohl sie „doch die höchste cherweise nicht vertiefte. Juristendichte aller Fraktio- Vielleicht wären er und an- nen“ besitze und „es besser dere dann doch noch zu den wissen“ sollte. Wurzeln der oft genannten Wolfgang Decker von „Systemrelevanz“ mancher der SPD deutete den An- Unternehmen und ihrer trag der FDP als erneuten Intereessenvertreter*innen Versuch, „gewissermaßen vorgestoßen. im Schatten der Pandemie“ So weit ging die Debat- die für die Liberalen „unge- te im Hessischen Landtag liebten Beschränkungen der nicht. In der Sache „Ge- Ladenöffnungen an Sonnta- setzentwurf“ selbst hatte gen auszuhebeln“. Er teile die „Allianz für den freien „die Auffassung von ver.di. Sonntag“ darauf hingewie- Die haben nämlich völlig sen, dass sie die Vorge- recht, wenn sie feststellen, hensweise der FDP aus dass es im Moment kei- langjähriger Erfahrung bei ne großen Kundenströme der Verteidigung des Sonn- gibt, die besser zu vertei- tagsschutzes genau kenne. len wären“. Denn es „liegt Sie wertete ihren Antrag als ganz einfach an fehlender eine erneute untauglichen oder auch zurückgehaltener Anstrengung der Libera- Kaufkraft, dass im Moment len, den Ausstieg aus dem nicht so viele Kunden unter- grundgesetzlich geschütz- wegs sind“. Doch auch viele ten arbeitsfreien Sonntag Menschen hätten „einfach politisch zu forcieren. Doch Angst“, jetzt „in die Innen- „nicht nur das Hessische städte zu fahren, weil sie Ladenöffnungsgesetz ver- Sorge haben, dass sie sich bietet solche Eskapaden, dort infizieren können“. Der zu denen die FDP animie- CDU-Redner J. Michael ren will“, erklärte Bernhard Müller fragte anschließend Schiederig: „Auch sprechen seinen wie in Nordrhein- die einschlägigen Urteile der Westfalen möglichen Ko- Verwaltungsgerichte aller alitionspartner: „Meinen Ebenen – zuletzt des Ober- Sie diesen Gesetzentwurf verwaltungsgerichts Nord- ernst?“ Dieser umgehe die rhein-Westfalen (Az.: 13 B Rechtsprechung, die Ver- 1712/20.NE) – eine mehr als fassung und „vor allem das eindeutige Sprache: Mit der Gesetz, das besteht“. Corona-Pandemie lassen Einen Schritt weiter ging Sozialminister er der FDP vorwarf: „Sie machen der sich verkaufsoffene Adventssonntage Kai Klose (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), IHK [Industrie- und Handelskammer] nicht rechtssicher begründen. Das wol- indem er den Gesetzentwurf der FDP als und dem Handelsverband etwas vor.“ len die ‚Geschichtenerzähler*innen‘ wohl „erkennbar verfassungswidrig“ einstufte. Ist es nicht eher umgekehrt, dass IHK nicht akzeptieren.“ Einfacher ist es sicher, Das „Üble“ am Vorgehen der Liberalen und unternehmerischer Handelsverband einen Schneeball zu wälzen. Herausgeberin: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich 12 Handel Rheinstraße 50 64283 Darmstadt Telefon 06151/ 39 08 12 Telefax 01805 / 837 343 286 38 E-Mail: fb12.suedhessen@verdi.de Verantwortlich: Horst Gobrecht Telefon 0160 / 901 606 36 E-Mail: horst.gobrecht@verdi.de Fotos/Zeichnungen: Katja Deusser und andere Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte Nr. 147 21. Dezember 2020 Seite 6
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