Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen

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Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
Douglas Deutschland GmbH – von der
Parfümerie zur Drogerie und wieder zurück

   Eau de Klo
              Kuckuck                                                                      Informationen
                                                                                  für Betriebsräte und Beschäftigte
                                                                                    Nr. 147  21. Dezember 2020

 von Chanel?
                                                                                      Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
                                                                                            ver.di Bezirk Südhessen
                                                                                              Fachbereich Handel

Amazon ist angeblich kein                                Corona, besser: die ab 16.     fümduft auf dem Dach.
Versandhändler, sondern                                  Dezember geltende neue             Oder wurde der Coup zur Drogerie
„bloß“ ein Logistiker; deshalb                           hessische „Verordnung zur      nicht erst nach solchen Überlegungen
will das Unternehmen auch                                Beschränkung von sozialen      „werbetechnisch“ gezielt vorbereitet?
nicht die Tarifverträge des                              Kontakten und des Betrie-      Noch am 12. Dezember mahnte Dou-
hessischen Einzel- und Ver-                              bes von Einrichtungen und      glas die tatsächlichen und möglichen
sandhandels anerkennen.                                  von Angeboten aufgrund         Kund*innen: „Der nächste Lockdown ab
Douglas wollte neuerdings                                der Corona-Pandemie“.          dem 21.12. steht vor der Tür. Jetzt die
auch keine Parfümerie mehr,                                 Mit dieser Regelung hat     letzte Chance wahrnehmen und Weih-
sondern eine Drogerie sein. Dafür sorgte     die Hessische Landesregierung nicht        nachtsgeschenke kaufen.“ Drei Tage
das allgegenwärtige und hartnäckige          zum ersten Mal, sondern eigentlich         später war die allgemeine Schließung
Corona-Virus. Nach bisherigen Erkennt-       schon immer seit Beginn der Corona-        des Einzelhandels ab 16. Dezember
nissen greift der Erreger durch seine        Krise und den damit verbundenen            bereits verkündet. Douglas schwenkte
unmittelbare Einwirkung die Lungen           Betriebsschließungen im Einzelhandel       zu den durch die hessische Corona-
und andere Organe an, doch das Gehirn        die Drogerien von dieser Form der          Verordnung weiterhin für den Verkauf
der Erkrankten bleibt glücklicherweise       Einschränkung                                                   freigegebenen
verschont.                                   ausgenommen.                                                    „Abhol- und Lie-
    Plötzlich „schädigte“ das Pandemie-      Das scheint den                                                 ferdiensten“ um;
Virus die Douglas-Geschäftsführung           Parfümist*innen                                                 zusammen mit
derart, dass sie am Abend des 15. De-        um die ehemalige                                                dem Online-Han-
zember 2020 noch mit der „Parfümerie“        Opel-Managerin                                                  del werden sie
zu Bett ging, um am anderen Morgen mit       Tina Müller, heu-                                               beispielsweise
                                             te Vorsitzende                                                  unter dem Aspekt
                                             der Douglas Ge-                                                 „Click & Collect“
                                             schäftsführung,                                                 aufgezogen. Die
                                             lange Zeit nicht                                                Botschaft von
                                             aufgefallen zu                                                  Douglas: „So er-
                                             sein. Oder sah                                                  hältst Du noch
                                             sie darin nur eine
                                             „Spitzfindigkeit“
                                             der Corona-Ver-
                                             ordnung und kei-
                                             nen erkenn- und
                                             nutzbaren Vorteil
                                             für Douglas? Der
                                             neueste Lock-
                                             down-Erlass scheint sie (endlich?)         rechtzeitig Dei-
                                             abrupt „wachgeküsst“ zu haben. Keine       ne Geschenke.
                                             Frage für die Unternehmerin: Letztlich     Express Reser-
                                             zählt sicher auch für sie jeder Euro       vierung. Trotz
einer „Drogerie“ aufzuwachen. Das war        von verkauften, ätzend riechenden          Lockdown – Produkte online in der
selbstverständlich nicht die unmittelbare,   Klosteinen in der Hand mehr als der        Wunschfiliale reservieren & abholen.“
sondern die indirekte Auswirkung von         reizvollste, aber unveräußerliche Par-     Am 16. Dezember war in zahlreichen
Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
Douglas-Stores auch dieser Vertriebs- dass sie neben schönen Düften auch Allheilmittel für jede Art von „Sünde“ an.
kanal „verstopft“, weil sich Betriebsräte Klopapier und Windeln, Anti-Schuppen- So ein Fehltritt wäre bestimmt auch die
und Beschäftigte weigerten, sich ohne Shampoo und Kernseife in rauhen Men- „Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Wer
ausreichende Schulung und Garantie gen und – wie gesagt – zum „Großteil“ aber den Einzelhandel kennt, der erlebt
von ausreichenden                                                                                                    immer wieder, dass
Hygienstandards                                                                                                      es heute wohl keine
beim Abholservice                                                                                                    „Sünde“ mehr zu ge-
in oder vor der Filiale                                                                                              ben scheint, die groß
den nicht sonderlich                                                                                                 genug wäre, sich ein
durchdachten An-                                                                                                     gewinnträchtiges
weisungen zu dieser                                                                                                  Geschäft deshalb
unsicheren Überga-                                                                                                   „durch die Lappen“
be der Ware von den                                                                                                  gehen zu lassen.
Verkäufer*innen an                                                                                                       Offenbar war sich
die Kund*innen zu                                                                                                    die Geschäftsfüh-
unterwerfen. Hinzu                                                                                                   rung unsicher, ob die
kam eine zusätzliche                                                                                                 Beschäftigten in den
Verunsicherung, weil                                                                                                 hessischen Douglas-
„eifrige“ Filialleitun-                                                                                              Filialen nicht etwas
gen die unzweideu-                                                                                                   überrascht und sehr
tige Forderung stell-                                                                                                unwillig sein könn-
ten, auch Produkte                                                                                                   ten, wenn sie von
aus dem normalen                                                                                                     der nächtlichen „Um-
Ladensortiment zu                                                                                                    wandlung“ der Parfü-
verkaufen, falls die                                                                                                 merie erfahren wür-
Abholer*innen dies                                                                                                   den. Deshalb verließ
wünschten.                                                                                                           sie sich nicht auf die
    Die augenschein-                                                                                                 an dieser Stelle un-
lich unermüdlich                                                                                                     klaren Worte des
über immer neue                                                                                                      Duden, sondern auf
Wege zur Offenhal-                                                                                                   eine befehlsmäßige
tung der Läden nach-                                                                                                 Anweisung. „Wir öff-
denkende Douglas-                                                                                                    nen unsere Stores
Geschäftsführung                                                                                                     unter dem Kontext,
scheint sich dann                                                                                                    dass wir eine Dro-
am Tag des Lock-                                                                                                     gerie sind, da wir
down selbst ange-                                                                                                    das Sortiment des
sichts des drohen-          Handlungsanweisung für den Coup: Parfümerieartikel weg, Drogeriesortiment nach vorn      täglichen Bedarfs
den Imageverlusts                                                                                                    und der Grundver-
zu dem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel anzubieten hätten. „Sobald das Geld sorgung haben“, hieß es in dem ver.
zur Drogerie ermutigt zu haben. Wie im Kasten klingt, die Seele aus dem di in Hessen zugespielten Schreiben
aber erkläre ich dies meinen Kund*innen Feuer springt“, bot vor gut fünfhundert vom 16. Dezember, das vor offizieller
und der Öffentlichkeit, hat Tina Müller Jahren der Prediger Johann Tetzel als Ladenöffnung noch allen Geschäften
vielleicht alpgeträumt. Oder es könnte                                                           zuging, obwohl an diesem Tag bereits
ihr in schlafloser Nacht eingefallen                                                             der Lockdown umfassend greifen sollte.
sein, mal ein Wörterbuch der deutschen                                                           Darin die Ansage ans Personal: „Bitte
Sprache zu Rate zu ziehen. Gesagt,                                                               räumt folgende Artikel vor Öffnung Eures
getan – und schnell hinausposaunt: „Der                                                          Stores von der Verkaufsfläche weg: De-
Duden definiert ‚Drogerie‘ … als ein ‚Ge-                                                        koartikel und Schmuck z.B. Douglas Bär,
schäft, in dem nicht apothekenpflichtige                                                         Tosh außer Lesebrillen, Baumschmuck.
Heilmittel, Chemikalien und Kosmetik-                                                            Im Eingangsbereich des Stores sollte pri-
artikel verkauft werden.“ Von dort war                                                           mär unser Drogeriesortiment präsentiert
es zur „glorreichen“ Schlussfolgerung                                                            werden, sodass klar ist, dass wir eine
nicht weit: „Die Douglas-Filialen bieten                                                         Drogerie sind.“
überwiegend Körperpflegeprodukte wie                                                                 Offenbar rechnete die Douglas-
Cremes, Shampoo, Seife, Deodorants,                                                              Geschäftsführung auch mit unangeneh-
Make-up, Parfüms und Hygieneprodukte                                                             men Kontrollen durch die Ordnungsäm-
und damit den Großteil eines klassi-                                                             ter der jeweiligen Städte. Wie darauf
schen Drogeriesortiments an.“                                                                    zu reagieren sei, stand ebenfalls in der
    Diesen Beweis erstaunlicher Wand-                                                            Regieanleitung: „Gebt Euch bitte direkt
lungsfähigkeit präsentierten Nicole                                                              aktiv als Mitarbeiter*innen zu erkennen
Nitschke und Rico Raddao von der Dou-                                                            und sprecht die Beamten an. Bitte keine
glas-Geschäftsführung in einer Bran-
che, die bisher eher nicht damit warb,       Erster Schritt zur Drogerie: Aktion „Letzte Chance“                 Fortsetzung auf Seite 3
Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte  Nr. 147  21. Dezember 2020                         Seite 2
Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
Fortsetzung von Seite 2                                      Parfümerie für die erwartete Kundschaft           schärfste „Waffe“ der Gewerkschaften,
                                                             weit geöffnet waren. Ein Polizist scheint         hätte sich an diesem denkwürdigen 16.
aggressiven Gespräche führen und                             sich sogar ein „Herz“ gefasst und allen           Dezember, aber ebenso noch am Tag
Auseinandersetzungen vermeiden.                              Mut zusammengenommen zu haben,                    danach vollauf bestätigt fühlen können.
Erklärt den Beamten, dass es sich bei
diesem Store um einen Drogeriestore

                                                                                                                  Sicher haben Medienecho und der
                                                                                                               Shitstorm in den sozialen Netzwerken
                                                                                                               in den Ohren von Tina Müller & Co.
                                                                                                               besser „reinigend“ gewirkt als jedes
                                                             als er der daraufhin tränenüberströmten           gepflegte Wattestäbchen aus dem
                                                             Filialleiterin mit einem Bußgeld von ei-          eigenen Regal. Am 17. Dezember um
                                                             nigen tausend Euro drohte, so dass die            7.20 Uhr ließ sich die Vorsitzende des
                                                             Parfümerie ihren öffentlichen Zugang              Vorstands öffentlich vernehmen, die
                                                             wieder schloss. Ansonsten waren die
                                                             Abgesandten des Ordnungsamtes wohl
                                                             eher zurückhaltend und gaben vor, den
                                                             „Sachverhalt“ genauer prüfen zu wol-
                                                             len. Es ist also doch ein Unterschied,
                                                             ob eine Verweigerin eines Mund-

                                                                                                               kurzzeitige Umwandlung der Parfüme-
                                                                                                               rie zur Drogerie sei ab dem Folgetag
                                                                                                               beendet. Sie entschuldigte sich sogar
                                                                                                               für ihren (offensichtlich kläglichen)
                                                             Nasen-Schutzes in der Darmstädter                 Versuch, durch einen zweifelhaften
                                                             Fußgängerzone von sechs komunalen                 Streich den Lockdown zu unterlaufen.
 Zweiter Schritt zur Drogerie: „Click & Collect“             Aufpassern umringt und zurecht gewie-             Mit ihrer eigenwilligen „Schöpfung“ hat
                                                             sen wird – oder ob sie sich mit einem             sie der landläufigen Bezeichnung „Eau
handelt. Wir versuchen eine zwangs-                          vermeintlich starken Unternehmen wie              de Toilette“ vielleicht nachhaltig einen
weise Verriegelung unserer Läden zu                          Douglas anlegen müssen.                           erweiterten inhaltlichen und käuflichen
verhindern, indem wir den Beamten                                Wie dem auch sei, es waren nicht              Sinn gegeben. Das bleibt an Wert,
signalisieren, dass wir den Anordnun-                        behördliche Aufsichtspersonen, die                auch wenn durch ihren „Griff ins Klo“
gen Folge leisten. Bitte lasst Euch die                      für ein „Zurückrudern“ der Douglas-               dem Image der einst exklusiven Parfü-
                                                             Geschäftsführung sorgten, sondern                 merie der allseits bekannte „Duft“ des
                                                             das Echo einer ver.di-Presseerklärung             Örtchens noch eine Zeitlang oder dau-
                                                             in den Medien und darauf schnell fol-             erhaft anhaften könnte. Wohl bekomms!
                                                             gend in den sozialen
                                                             Netzwerken. Dort war
                                                             zu lesen: „Ekelerregend
                                                             – jedes Schlupfloch ge-
Ausweise zeigen und notiert die Namen                        nutzt, um den Profit zu
in der Protokollvorlage anbei. Falls die                     maximieren, Gesundheit
Beamten den Store schließen möchten,                         der Mitarbeiter scheiß-
legt bitte bereits mündlich Widerspruch                      egal“; „ich werde zu-
ein.“                                                        künftig keine Produk-
                                                             te mehr bei Douglas
                                                             kaufen“; „absolut das
                                                             falsche Signal in dieser
                                                             Zeit“; „absolut peinlich
                                                             für Douglas“. Selbst die
                                                             sonst gegenüber Unter-
                                                             nehmen eher untertänig
                                                             mild schreibende BILD-
                                                             „Zeitung“ widmete der
                                                             Geschichte nicht nur den
   Und tatsächlich sollen an manchen                         Titel, sondern auch die
hessischen Filialen sowohl Polizei als                       halbe zweite Seite. Wer
auch städtische Hüter der Ordnung „an-                       immer noch denkt, die
geklopft“ haben, weshalb die Türen der                       Presseerklärung sei die
Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte  Nr. 147  21. Dezember 2020                                      Seite 3
Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
Kurzarbeitergeld trotz Vollzeitbeschäftigung abgerechnet

                                          Selbstbedienungsladen?
„Wo alle nehmen, soll ich’s allein dann                      im Herbst dieses Jahres feststellten,             nichts geschah – Funkstille! Erst am
lassen?“ So oder ähnlich mag Norbert                         dass ihnen seit März 2020 die Gehalts-            11. Dezember meldete sich ein Darm-
Engel [Name geändert] gedacht haben.                         abrechnungen für alle Monate vorenthal-           städter Rechtsanwalt bei ver.di und
Und der Geschäftsführer eines inhaber-                       ten worden waren. Erst auf Nachfrage              teilte mit: „Die Lohnabrechnungen für
geführten Einzelhandelsunternehmens in                       wurden ihnen diese dann ausgehändigt.             die Vergangenheit werden korrigiert.“
Südhessen hat’s nicht gelassen, sondern                          Und siehe da, der gute Herr „Chef“            Eine entsprechende „Meldung gegen-
reichlich davon genommen: vom                                       verrechnete für eine Vollzeitkraft         über der Bundesagentur [für Arbeit] ist
staatlich „angebotenen“ Kurzar-                                     mit 163 Arbeitsstunden im Mo-              bereits erfolgt“.
beitergeld, als ob die durch Bei-                                   nat in unterschiedlicher Höhe,                 Diese Nachricht erreichte ver.di zu
träge der Beschäftigten gefüllten                                   aber immer über die Hälfte bis             spät, da sie bereits am 9. Dezember
Sozialkassen ein „Selbstbedie-                                      zu 75 Prozent der Vertragsstun-            der Arbeitsagentur diesen möglichen
nungsladen“ seien. Daran wäre                                       den als „Kurzarbeitergeld“, ob-            Betrug beim Kurzarbeitergeld angezeigt
dann nichts Verwerfliches, wenn                                     wohl in den Monaten nicht eine             und um „Kontaktaufnahme“ gebeten
seine persönliche Notlage ihn tatsächlich                    Stunde durch Kurzarbeit ausgefallen               hatte. Anscheinend hat die Behörde
zur Einführung von Kurzarbeit bei der Be-                    war. ver.di schrieb den Einzelhändler             mit solchen oder ähnlichen Fällen „alle
legschaft gezwungen hätte. Doch davon                        an und forderte „schnellste Aufklärung,           Hände voll“ zu tun. Denn es dauerte
konnte keine Rede sein.                                      wie es sich mit der Abrechnung von                fast eine Woche, bis sich das „Amt“ bei
    Im Gegenteil: Die Geschäfte liefen                       ‚Kurzarbeitergeld‘ in den genannten               ver.di meldete und genauere Angaben
wohl so gut, dass Norbert Engel die                          Monaten verhält“.                                 zu dem des Betrugs verdächtigen Ein-
überschaubar große Belegschaft auch                              Darüber hinaus machte ver.di den              zelhändlers Norbert Engel anfragte.
zu Corona-Zeiten und erstem Lockdown                         Geschäftsführer auf „die rechtlichen              Beim Verhängen von „Bestrafungen“
ohne Einschränkung arbeiten ließ, wie                        Konsequenzen einer nicht einwand-                 gegen angeblich „auffällige“ oder „säu-
er es mit ihr im jeweiligen Arbeitsvertrag                   freien Abrechnung“ aufmerksam. Ihm                mige“ Erwerbslose steht die Behörde
vereinbart hatte. Den Beschäftigten fiel                     wurde eine Frist zur Aufklärung bis               erfahrungsgemäß blitzschnell bei den
offenbar nichts Sonderbares auf, bis sie                     zum 8. Dezember gegeben. Doch                     Betroffenen „auf der Matte“.

                              Primark Mode Ltd. & Co. KG Filiale Weiterstadt

  Demokratie im Betrieb in Zeiten der Pandemie
          Demokratische Aktivitäten in                       dung des Gesetzes klargestellt: „Die Nut-         für den Betriebsrat werden musste.
          Zeiten von massiven Corona-                        zung von Video- und Telefonkonferenzen                Der Betriebsrat von Primark im Ein-
          Beschränkungen aufrechtzu-                         tritt als zusätzliche Option [Möglichkeit]        kaufszentrum Loop5 in Weiterstadt sah
          erhalten, das ist kein leichtes                    neben die hergebrachte Durchführung               keine Chance und besaß keine elektroni-
          Unterfangen. So etwas „beutelt“                    von Sitzungen unter physischer [körperli-         schen Hilfsmittel, eine Betriebsversamm-
          besonders gewerkschaftlich
          orientierte Betriebsräte, die es                               § 129 Betriebsverfassungsgesetz
          gewohnt sind und für richtig
          halten, die eigenen Kolleg*innen                      Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie
          im Betrieb über ihre Arbeit regel-
          mäßig zu informieren und in die
          Interessenvertretung möglichst
          aktiv einzubeziehen. Sicher,
          der Gesetzgeber hat erst jüngst
          die seit 15. Mai dieses Jahres
          geltende Sondervorschrift des
          § 129 Betriebsverfassungs-
          gesetz bis zum 30. Juni 2021
          verlängert. Dadurch können                         cher] Anwesenheit der Teilnehmer vor Ort          lung als Telefon- oder gar als Videokonfe-
          beispielsweise Sitzungen von                       als Regelfall.“ Denn ein wirklichkeitsnaher       renz zu veranstalten. Deshalb reservierte
Betriebsräten als Video- oder Telefonkon-                    und nicht rechtlich betriebsblinder Ge-           er sich beim Center-Management den
ferenzen stattfinden und dabei sogar gül-                    setzgeber musste erkennen, dass bereits           größten Raum und teilte die mehr als
tige Beschlüsse gefasst werden. Selbst                       für mittelgroße Betriebe mit einer mehr als       hundert Beschäftigten auf insgesamt
Betriebsversammlungen sind „virtuell“,                       hundertköpfigen Belegschaft eine solche           zwölf Teilbetriebsversammlungen jeweils
also ohne Anwesenheit der Beschäftigten                      virtuelle Versammlung aller Beschäftigten         freitags und samstags in den drei aufei-
in einem Raum erlaubt.                                       zu einer technisch wie organisatorisch
    Allerdings war bereits in der Begrün-                    kaum zu bewältigenden Herausforderung                             Fortsetzung auf Seite 5
Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte  Nr. 147  21. Dezember 2020                                       Seite 4
Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
Fortsetzung von Seite 4                                      sorgte der Betriebsrat dafür, dass die            Arbeitsgericht Darmstadt auf ein eher
                                                             Teilbetriebsversammlungen nicht bloß              überraschtes Richterkollegium. Die
nander folgenden Wochen vor dem 20.                          keine nennenswerten zusätzlichen                  etwas kindlich anmutende Frage des
Dezember 2020 so auf, dass höchstens                         Kosten verursachten, sondern auch                 Prozessvertreters von Primark, ob denn
neun Kolleg*innen an jedem Treffen mit-                      das Geschäft durch eine gezielte Per-             unter Corona-Bedingungen überhaupt
wirken konnten. Darüber hinaus erarbei-                      sonaleinsatzplanung (fast) problemlos             mehre Personen zusammenkommen
tete der Betriebsrat ein Hygienekonzept,                     und störungsfrei weiterlaufen konnte.             dürften, um eine Versammlung abzu-
wollte „das Lüften in regelmäßigen Zeit-                     Alles also bestens vorbereitet – wenn             halten, quittierte der Betriebsrat mit der
abschnitten“ garantieren und vergaß auch                     da nicht die Geschäftsleitung gewesen             aufschlussreichen Bemerkung: „Wir
nicht, die Beschäftigten vorab auf die                       wäre. Sie war wohl der Meinung, die               müssen ja auch zusammen arbeiten!“
Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-                         Corona-Verordnung für sich nutzen zu              Das Gericht schlug eine Bresche für
Schutzes hinzuweisen.                                        können, um die demokratische Zusam-               die Demokratie im Betrieb, wies die
    Mehr noch: Aufgrund des einge-                           menkunft der Belegschaft unterbinden              Klage ab und die Anwesenden darauf
schränkten Kund*inneneinlasses in                            zu können. Einen Tag vor der geplanten            hin, dass jeder Betriebsrat gesetzlich
der Filiale und des damit fehlenden                          ersten Teilbetriebsversammlung am                 verpflichtet ist, regelmäßig Betriebsver-
üblichen Umsatzes an solchen Tagen                           4. Dezember traf ihre Klage vor dem               sammlungen zu veranstalten.

                Hessische FDP forderte verkaufsoffene Adventssonntage

                   „Eine Lüge ist wie ein Schneeball ...“
„‘Alle Jahre wieder‘, könnte man jetzt                       leiter Handel der ver.di in Hessen und            Wirklichkeit und die Darstellung ihrer
singen, versucht die FDP, sich am hes-                       Aktiver in der „Allianz für den freien            politischen Ziele denn sachlich? Oder
sischen Ladenöffnungsgesetz abzuar-                          Sonntag“ entlarvte dieses Vorhaben in             gehört auch heute noch in manchen Si-
beiten“, meinte der Abgeordnete Markus                       einer Mitteilung an die Medien: „Eine Lüge        tuationen ein „grober Keil“ auf einen „gro-
Hofmann von Bündnis 90/DIE GRÜNEN                            ist wie ein Schneeball: je länger man ihn         ben Klotz“? Die Debatte im Hessischen
in der Debatte des Hessischen Landtags                       wälzt, desto größer wird er, so wusste            Landtag zeigte anschaulich, wie sehr die
am 10. Dezember 2020: „Die Argumente                         schon Martin Luther, ohne dass er sich            FDP mit ihrem Gesetzentwurf die Nerven
sind immer die gleichen, diesmal ergänzt                     bereits damals mit penetrant übereifrigen         aller anderen Fraktionen, nur nicht die
durch den Pandemieaspekt.“ Zur Diskus-                       Liberalen auseinandersetzen musste. Die           der AfD, strapaziert hatte. Zu Beginn der
sion war das Parlament von der Fraktion                      FDP im Hessischen Landtag scheint das             Diskussion eröffnete der selbsternannte
der „Freien Demokraten“ am 1. Dezember                       ‚Schneeballsystem‘ zu mögen und gern              „sonntagsöffnungspolitische Sprecher“
2020 „eingeladen“ worden. Einmal mehr                        zu kultivieren. Anders lässt sich nach einer      der Liberalen mit einer wohl vielen Hin-
(oder zu häufig?) hatte die FDP einen er-                    Vielzahl von Absagen und Rückschlägen             und-her-Politiker*innen eigenen Art: „Wir
neuten Vorstoß unternommen, unter dem                        bei ihrem Bemühen um eine allgemeine              haben akzeptiert, dass es einen Anlassbe-
Deckmantel der Probleme                                                                                                     zug geben muss“, erklärte Dr.
des Einzelhandels seit den                                                                                                  Stefan Naas und gab vor, die
Einschränkungen im Rah-                                                                                                     im HLöG zu einer Sonntags-
men der Corona-Epidemie                                                                                                     öffnung notwendige, das Ge-
doch noch Ladenöffnungen                                                                                                    schehen des Tages prägende
an den Adventssonntagen                                                                                                     Veranstaltung (Messe, Markt
durchsetzen zu können.                                                                                                      und ähnliches) anzuerken-
     Mit einem „Gesetz zur be-                                                                                              nen. Das betonte er innerhalb
fristeten Flexibilisierung der                                                                                              einer Minute Redezeit gleich
Sonntagsöffnung in der Corona-Pande-                         sonntägliche Ladenöffnung kaum ver-               zwei Mal.
mie“ dachten die Liberalen offensichtlich,                   stehen. Mit ihrem jetzigen Gesetzentwurf              Schön, könnten alle Sonntagsschüt­
sowohl das erst vor knapp einem Jahr neu                     wird einmal mehr die Horrorgeschichte             zer*innen gedacht haben, aber dann
gefasste Hessische Ladenöffnungsgesetz                       verbreitet, die im Hessischen Ladenöff-           kam im nächsten Satz seines Vortrags:
(HLöG) als auch die höchstrichterliche                       nungsgesetz im letzten Jahr festgelegten          „Ich glaube, wir sollten die Möglichkeit
Rechtsprechung umgehen, unterlaufen                          Regeln für Sondergenehmigungen zur                nutzen, konzentriert und befristet auf ein
oder aushebeln zu können. Dabei sollte                       Öffnung der Geschäfte an Sonntagen be-            Jahr auf den Anlassbezug zu verzichten“.
angeblich der „Schutz des Sonntags als                       hindere die Bekämpfung der Pandemie.              In der christlichen Bibel heißt es treffend:
Tag der Erholung, wie im Grundgesetz                         Das müssen scheinbar derzeit all jene be-         „Eure Rede aber sei: Ja! Ja! Nein! Nein!
… sowie der Hessischen Verfassung …                          haupten, die es offensichtlich nötig haben,       Was darüber ist, das ist vom Übel“, was
niedergelegt“, gewahrt bleiben. „Lediglich“                  immer wieder ihre Affinität [Neigung] zu          so viel bedeutet: Wer Wichtiges zu sa-
würde „die einmalige Ausweitung auf acht                     dem unermüdlichen bis rücksichtslosen             gen hat, der/die soll ein klares Ja oder
Sonn- und Feiertage bzw. maximal zwei                        Gewinnstreben des Einzelhandels zu                Nein sagen, aber mehr nicht und nichts
Adventssonntage im Jahr“ vorgenommen.                        bekräftigen.“                                     dazwischen. Es kann und darf also nicht
Der Anlass dieser „ausnahmsweisen                               Diese Einschätzung wurde hier und              verwundern, dass die Abgeordneten an-
Sonn- und Feiertagsöffnung“ bilde „ein                       dort als „zu polemisch [bissig, unsachlich]“      derer Fraktionen ziemlich heftig auf diese
öffentliches Interesse“.                                     betrachtet und kritisiert. Ist die auch von
     Bernhard Schiederig, Fachbereichs-                      der FDP mitgestaltete gesellschaftliche                            Fortsetzung auf Seite 6
Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte  Nr. 147  21. Dezember 2020                                         Seite 5
Eau de Klo von Chanel? - Handel Hessen
Fortsetzung von Seite 5                                      sei, dass sie „ganz genau wissen, dass            sich kaum eine bessere „hauseigene“
                                                             die Sonntagsöffnung“, die sie „hier immer         Interessenvertretung im Hessischen
Art von „Begründung“ für den vorgelegten                     wieder propagieren, verfassungsrechtlich          Landtag vorstellen und wünschen können
Gesetzentwurf antworteten. So kritisierte                    überhaupt nicht möglich ist“. Fraglich            als die FDP? Selbstverständlich gibt es
Hermann Schaus (DIE LINKE), dass die                         bleibt, ob der Minister tatsächlich nicht         auch noch ziemlich viele Abgeordnete
FDP-Fraktion, „wieder und wieder, wie                        „Herr“ und „Knecht“ verwechselte, als             anderer Parteien, die diesen Job freiwil-
ein störrisches Kind, die                                                                                                   lig und aus Überzeugung
Verfassungslage und die                                                                                                     machen (wollen). Das ist al-
dazu ergangenen vielen                                                                                                      lerdings eine grundsätzliche
Gerichtsentscheidungen                                                                                                      Frage parlamentarischer
einfach nicht zur Kenntnis                                                                                                  Arbeit, die der Hessische
nehmen will“. Und dies, ob-                                                                                                 Sozialminister bedauerli-
wohl sie „doch die höchste                                                                                                  cherweise nicht vertiefte.
Juristendichte aller Fraktio-                                                                                               Vielleicht wären er und an-
nen“ besitze und „es besser                                                                                                 dere dann doch noch zu den
wissen“ sollte.                                                                                                             Wurzeln der oft genannten
    Wolfgang Decker von                                                                                                     „Systemrelevanz“ mancher
der SPD deutete den An-                                                                                                     Unternehmen und ihrer
trag der FDP als erneuten                                                                                                   Intereessenvertreter*innen
Versuch, „gewissermaßen                                                                                                     vorgestoßen.
im Schatten der Pandemie“                                                                                                       So weit ging die Debat-
die für die Liberalen „unge-                                                                                                te im Hessischen Landtag
liebten Beschränkungen der                                                                                                  nicht. In der Sache „Ge-
Ladenöffnungen an Sonnta-                                                                                                   setzentwurf“ selbst hatte
gen auszuhebeln“. Er teile                                                                                                  die „Allianz für den freien
„die Auffassung von ver.di.                                                                                                 Sonntag“ darauf hingewie-
Die haben nämlich völlig                                                                                                    sen, dass sie die Vorge-
recht, wenn sie feststellen,                                                                                                hensweise der FDP aus
dass es im Moment kei-                                                                                                      langjähriger Erfahrung bei
ne großen Kundenströme                                                                                                      der Verteidigung des Sonn-
gibt, die besser zu vertei-                                                                                                 tagsschutzes genau kenne.
len wären“. Denn es „liegt                                                                                                  Sie wertete ihren Antrag als
ganz einfach an fehlender                                                                                                   eine erneute untauglichen
oder auch zurückgehaltener                                                                                                  Anstrengung der Libera-
Kaufkraft, dass im Moment                                                                                                   len, den Ausstieg aus dem
nicht so viele Kunden unter-                                                                                                grundgesetzlich geschütz-
wegs sind“. Doch auch viele                                                                                                 ten arbeitsfreien Sonntag
Menschen hätten „einfach                                                                                                    politisch zu forcieren. Doch
Angst“, jetzt „in die Innen-                                                                                                „nicht nur das Hessische
städte zu fahren, weil sie                                                                                                  Ladenöffnungsgesetz ver-
Sorge haben, dass sie sich                                                                                                  bietet solche Eskapaden,
dort infizieren können“. Der                                                                                                zu denen die FDP animie-
CDU-Redner J. Michael                                                                                                       ren will“, erklärte Bernhard
Müller fragte anschließend                                                                                                  Schiederig: „Auch sprechen
seinen wie in Nordrhein-                                                                                                    die einschlägigen Urteile der
Westfalen möglichen Ko-                                                                                                     Verwaltungsgerichte aller
alitionspartner: „Meinen                                                                                                    Ebenen – zuletzt des Ober-
Sie diesen Gesetzentwurf                                                                                                    verwaltungsgerichts Nord-
ernst?“ Dieser umgehe die                                                                                                   rhein-Westfalen (Az.: 13 B
Rechtsprechung, die Ver-                                                                                                    1712/20.NE) – eine mehr als
fassung und „vor allem das                                                                                                  eindeutige Sprache: Mit der
Gesetz, das besteht“.                                                                                                       Corona-Pandemie lassen
    Einen Schritt weiter ging Sozialminister                 er der FDP vorwarf: „Sie machen der               sich verkaufsoffene Adventssonntage
Kai Klose (Bündnis 90/DIE GRÜNEN),                           IHK [Industrie- und Handelskammer]                nicht rechtssicher begründen. Das wol-
indem er den Gesetzentwurf der FDP als                       und dem Handelsverband etwas vor.“                len die ‚Geschichtenerzähler*innen‘ wohl
„erkennbar verfassungswidrig“ einstufte.                     Ist es nicht eher umgekehrt, dass IHK             nicht akzeptieren.“ Einfacher ist es sicher,
Das „Üble“ am Vorgehen der Liberalen                         und unternehmerischer Handelsverband              einen Schneeball zu wälzen.

                                                             Herausgeberin:
                         Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Bezirk Südhessen Fachbereich 12 Handel
                    Rheinstraße 50  64283 Darmstadt  Telefon 06151/ 39 08 12  Telefax 01805 / 837 343 286 38
                                                   E-Mail: fb12.suedhessen@verdi.de
                     Verantwortlich: Horst Gobrecht  Telefon 0160 / 901 606 36  E-Mail: horst.gobrecht@verdi.de
                                             Fotos/Zeichnungen: Katja Deusser und andere
Kuckuck - Informationen der ver.di Südhessen für Betriebsräte und Beschäftigte  Nr. 147  21. Dezember 2020                                         Seite 6
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