Primary and Hospital Care - Mednet Bern
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Primary and Hospital Care Die Zeitschrift für Allgemeine Innere Medizin in Hausarztpraxis und Spital Sonderdruck 259 Amato Giania, Stefan Schäfera, Marzio Sabbionia, Heinrich Kläuia, Ursula Freya,b a mednetbern; b beratende Ärztin Guidelines für Grundversorgende: Lumbale Rückenschmerzen Offizielles Organ Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin Haus- und Kinderärzte Schweiz www.primary-hospital-care.ch
FORTBILDUNG PEER REVIEW ED ARTICLE | 259 Richtlinie von mednetbern Guidelines für Grundversorgende: Lumbale Rückenschmerzen Amato Giani a , Stefan Schäfer a , Marzio Sabbioni a , Heinrich Kläui a , Ursula Frey a,b a mednetbern; b beratende Ärztin Lumbale Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Diagnosen im Alltag von Hausärztinnen und Hausärzten. Obwohl meist selbstlimitierend und gutartig, gibt es auch gefährliche (ca. 1%) und weniger gefährliche, spezifisch zu behandelnde (ca. 10%) Ursachen von Rückenschmerzen, sowie chronische Verläufe (ca. 2–7%). Wegen ihrer Häufigkeit (Lebensprävalenz bis 90%) und hohen Kosten durch A rbeitsunfähigkeit/Invalidität und medizinische Behandlungen, sind Rücken- schmerzen von grosser gesundheitspolitischer und -ökonomischer Bedeutung. Ausgangslage, Zielsetzung, Fragestellung Ursachen zuverlässig und rasch zu unterscheiden, sowie Chronifizierung und Invalidität zu verhindern, Das Ärztenetzwerk mednetbern versucht mit der vorlie- unter bestmöglicher Einsparung von Ressourcen. Alle genden Guideline Hausärzt/-innen zu helfen, selbst Patient/-innen mit selbstlimitierenden lumbalen limitierende lumbale Rückenschmerzen von den Rückenschmerzen sollen mit grosser Kompetenz seltenen gefährlichen oder den gezielt behandelbaren durch die Hausärztinnen und Hausärzte behandelt werden können. Auch geben wir klare Hinweise, wann die Patient/-innen an die Spezialist/-innen weiterge- Praxistipps wiesen werden müssen, und welche nichtmedikamen- tösen Massnahmen und welche Medikamente wirk- • Unsere Guideline zur Herangehensweise an das Krankheitsbild der sam sind. Jede Patientin und jeder Patient soll eine lumbalen Rückenschmerzen soll die Hausärzt/-innen befähigen, mit massgeschneiderte individuelle Behandlung erhalten. grosser Sicherheit die wenigen gefährlichen oder spezifisch behandel- Die Guidelines von WHO [1], Europa [2], Amerika [3], UK baren Ursachen vom Hauptanteil der selbstlimitierenden lumbalen [4], und Deutschland [5] sind wegen ihres Umfangs nur Rückenschmerzen zuverlässig zu unterscheiden und jeder Patientin/ beschränkt praxistauglich. Die 60-seitige Schweizer jedem Patienten die optimale Behandlung zukommen zu lassen. Arbeit ist zwar immer noch lesenswert, aber veraltet • Unergiebige, frühe Bildgebungen und chirurgische Behandlungen sind (1998) [6]. Andere Schweizer Artikel befassen sich mit beim Krankheitsbild der selbstlimitierenden lumbalen Rückenschmerzen Teilaspekten (Diagnostik, Kosten) von Rückenschmer- unbedingt zu vermeiden. zen [7–9]. Da sich unsere hausärztliche Perspektive von • Das Risiko für eine Chronifizierung soll möglichst früh erkannt und the- derjenigen der Spezialist/-innen unterscheidet, finden matisiert werden. Patient/-innen mit einem hohen Chronifizierungsrisiko auch Lehrbuchinhalte [10], ausgewählte Artikel und ge- sollen schon ab der zwölften Woche durch die gezielte Überweisung wisse Choosing-Wisely-Empfehlungen [11–18] Eingang ins spezialärztliche Setting (multimodale Abklärungs- und Therapie in diese Guideline. programme) vor Invalidisierung bewahrt werden. • Wenn Arbeitsplatzprobleme als Chronifizierungsfaktoren erkannt werden, Beschreibung, Methodik müssen diese besprochen und angegangen werden (Betriebsärztin/-arzt, Vorgesetzte/-r, Case Manager, etc.). Die zugrundeliegenden Guidelines sind für uns ver • Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit sollte eine Meldung bei der Inva tikal verbindlich: global WHO, kontinental Europa und lidenversicherung zur Früherfassung und Frühintervention gemacht Amerika, national UK, D und CH. Ihr Inhalt wird, werden. analog zu unseren bisherigen Guideline-Projekten PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN 2020;20(9):259–263
Fortbildung 260 (mednetbern.ch/guidelines-publication.html) mit dem Wichtige praktische Ergebnisse werden in der Folge be- Wissen der 65 meist sehr erfahrenen Netzwerkmitglie- sprochen: der aus zehn Qualitätszirkeln im Vernehmlassungsver fahren abgeglichen und ergänzt. Aufnahme in unsere Definition Guideline finden nur Fakten, welche die Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EBM) erfüllen. Das Ergebnis «Lumbale Rückenschmerzen sind ein Symptomenkom ist eine Guideline in Form eines praktischen laminier- plex mit vielen, oft schwierig zu erfassenden Ursachen ten Faltblattes, neben einer allgemein und kostenlos und Risikofaktoren, die das Auftreten begünstigen und zugänglichen elektronischen Version. den meist selbstlimitierenden Verlauf beeinflussen kön nen. Leitsymptom: Schmerzen unterhalb des Rippen bogens bis oberhalb der Gesässfalten, mit oder ohne Nutzen, Ergebnisse Ausstrahlung. Verlauf: üblicherweise selbstlimitierend, Die vom Ärztenetzwerk mednetbern entwickelte Me- Rezidive sind häufig. Es besteht ein Risiko zur Chroni thode zur Erarbeitung von Guidelines führt zum Er fizierung mit dem Übergang in eine anhaltende so gebnis, dass Grundversorgende die für sie wesentlichen matoforme Schmerzstörung (zentralisierter Schmerz, Aspekte komplexer Krankheitsbilder ihrer Domäne F45.40).» Meist suchen wir in der Basisliteratur vergeb- bestmöglich beherrschen. Nützliche Hilfsmittel für den lich nach einer Definition. Gebrauch im Praxisalltag (Download oder Kopier vorlage) wurden speziell für diese Guideline entwickelt Anamnese (mednetbern-CDS-Tool, Gymnastik-Übungsbeispiele) oder situationsgerecht beigelegt (Graphiken, STarT-G- Eine genaue Anamnese erleichtert die Unterschei- Fragebogen). Durch die oft überraschenden Erkennt- dung von gefährlichen und/oder speziell zu behan- nisse werden Anforderungen an ein Managed-Care- delnden Ursachen der lumbalen Rückenschmerzen Setting erfüllt: Verbesserte Be handlungsqualität bei von den selbstlimitierenden Formen. Die Risiko gleichzeitiger Einsparung von Kosten. faktoren für eine Chronifizierung, zum Beispiel Be PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN 2020;20(9):259–263
Fortbildung 261 wegungsmangel, Rauchen, Alkohol oder psychische Differenzialdiagnose Faktoren, sind der Hausärztin/dem Hausarzt durch die oft langjährige Betreuung der Patient/-innen Die mit dem mednetbern-CDS-Tool und den daraus fol- meist schon beiläufig bekannt, müssen aber für eine genden Hinweisen präzis durchgeführte Diagnostik optimale Behandlung klar benannt und explizit be- erlaubt die Abgrenzung von den nicht selbstlimitie- rücksichtigt werden. renden lumbalen Rückenschmerzen, die gefährlich und/oder speziell zu behandeln sind. mednetbern-CDS (Clinical Decision Support)-Tool Assessment Wir haben das mednetbern-CDS-Tool speziell für Das kombinierte Assessment der selbstlimitierenden Grundversorgende als Unterstützung für den Einsatz lumbalen Rückenschmerzen ist die Grundlage für bei der Erstkonsultation entwickelt. Gezielte Fragen unsere therapeutischen Entscheidungen und die Erfas- nach ausgesuchten Zusatzsymptomen (z.B. Fieber, sung des Chronifizierungsrisikos. Es soll eine struktu- Exanthem) geben uns Hinweise auf die gefährlichen rierte, patientenspezifische Behandlung ermöglichen und/oder speziell zu behandelnden Krankheitsbilder. und erfolgt in fünf Schritten: Die Antworten der Patient/-innen auf unsere klar for- 1 Schmerzdauer: Drei Phasen der lumbalen Rücken- mulierten Beispielfragen ermöglichen es uns, eine schmerzen. Akut: 12 Wochen. fohlenen Prozedere runden das Tool ab. Erst wenn 2 Schmerzintensität: Visuelle Analogskala (VAS) die gefährlichen und/oder speziell zu behandelnden (s. Graphik im Anhang zum Ausdrucken oder als Erkrankungen ausgeschlossen bzw. sehr unwahr- Kopiervorlage) zum Beispiel für Verlaufsbeurtei- scheinlich sind, kann von der Arbeitsdiagnose »selbst- lung. limitierende lumbale Rückenschmerzen» ausgegan- 3 Schmerzlokalisation und -ausdehnung: Schmerz- gen werden. Sämtlichen Hinweisen auf gefährliche zeichnung (s. Körperschema/-graphik im Anhang Ursachen muss unverzüglich nachgegangen werden. zum Ausdrucken oder als Kopiervorlage): Beispiels- mednetbern betrachtet Guidelines und CDS-Tools als weise lokalisiert (umschriebene Pathologie) vs. wichtigste Grundlagen für die Integration von maschi- symmetrisch, ausgedehnt (widespread pain). nellem Lernen und data training in intelligente 4 Beeinträchtigung der Funktion: Einschränkungen e-health-Systeme [19]. in Arbeit, Haushalt, Freizeit müssen erfasst werden und dienen zur Verlaufsbeurteilung, um die Wirk- samkeit der Therapie zu überprüfen. Weitere Diagnostik 5 (Nur bei Schmerzdauer >4 Wochen) Stratifizierung Alle Patient/-innen sollen einen problembezogenen des Chronifizierungsrisikos nach StarT-G-Frage k linischen Status erhalten. Solange von der Arbeits bogen [20] in die Schweregrade niedrig, mittel und diagnose »selbstlimitierende lumbale Rückenschmer- hoch: (s. Tabelle im Anhang zum Ausdrucken oder zen» ausgegangen wird und die konservativen Thera- als Kopiervorlage). piemassnahmen nicht ausgeschöpft sind, muss auf frühe Bildgebungen und Laboruntersuchungen ver- Therapieziel, Behandlungsstrategie, zichtet werden. Die Vielzahl der dabei auftauchenden Verlauf, Therapiemassnahmen klinisch irrelevanten Befunde mit geringer Korrela- tion zu den Symptomen ist bekannt und unbestritten. Die aus den Erkenntnissen des Assessments resultie- Die von uns benannten Spezialuntersuchungen sollen rende Behandlung hat zum Ziel, Schmerzfreiheit, von der Hausärztin/dem Hausarzt nur bei Verdacht mindestens aber Schmerzreduktion und/oder Ver- auf gefährliche oder spezifische Rückenschmerzen besserung der Funktion zu erreichen. Chronifizie- verordnet werden. rung, Invalidisierung und Rezidive sollen vermieden werden. Alle Patient/-innen sollen in den Genuss der allgemei- Diagnose nen Massnahmen kommen. Die Botschaft, dass die Selbstlimitierende lumbale Rückenschmerzen liegen Erkrankung gutartig ist und dass Inaktivität und Ru- vor, wenn bei einer Schmerzdauer von weniger als higstellung die Gefahr der Chronifizierung erhöhen, zwölf Wochen keine gefährliche und/oder gezielt be- ist zentral. Partizipative Entscheidungen bestimmen handelbare andere Ursache erkennbar ist. die Festlegung des Prozederes gemeinsam mit der Pati- PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN 2020;20(9):259–263
Fortbildung 262 entin/dem Patienten. Empfohlene Lifestylemassnah- Chronifizierungsrisiko men sind Muskeltraining, Aufforderung zur Gewichts- Wenn trotz dieser Massnahmen die lumbalen Rücken- normalisierung, Instruktionen zu Rückenergonomie, schmerzen länger als zwölf Wochen andauern, so ist Haltung, Heben, Bücken etc. Bei körperlich schwerer die Chronifizierungsphase erreicht. Arbeit ist Arbeitsunfähigkeit bis zur nächsten Konsul- Das Chronifizierungsrisiko kann mit Hilfe des StarT-G- tation gegeben. Fragebogens beurteilt werden: Anlässlich jeder Konsultation müssen Hinweise auf – Wenn das Risiko niedrig ist (≤3 Punkte), genügt die gefährliche oder nicht selbstlimitierende Verläufe Intensivierung der Schmerztherapie, kombiniert (mednetbern-CDS-Tool, Status) gesucht sowie die mit nichtmedikamentösen Therapiemassnahmen, Krank schreibung überprüft werden. Solange die evtl. Weiterweisung an Spezialisten (z.B. Rheumato- Arbeitsdiagnose «selbstlimitierende lumbale Rücken- loge, Schmerzspezialist). schmerzen» aufrechterhalten werden kann, soll die – Bei mittlerem Chronifizierungsrisiko (≥4 Punkte Behandlung durch chirurgisch tätige Spezialisten ver- Fragen 1–9 und 4 Punkte Fragen 5–9) ist zusätzlich eine Drei Phasen der Erkrankung psychotherapeutische/psychiatrische Intervention Die Therapiemassnahmen und das weitere Manage- notwendig. Arbeitsplatzprobleme müssen mit der ment richten sich nach der Erkrankungsphase: Betriebsärztin/dem Betriebsarzt besprochen wer- In der Akutphase (Schmerzdauer
Fortbildung 263 zusammen mit einer Reserve aus Paracetamol Traumatisierung, Flucht, Migration (4 × 1 g/d) und Metamizol (4 × 1 g/d) verordnet. Be- ginn mit der maximalen Tagesdosis und Herunter- Rückenschmerzen im Zusammenhang mit Traumati- titrieren auf die niedrigste wirksame Dosis. Proto- sierung, Flucht und Migration haben ein erhöhtes nenpumpeninhibitoren (PPI) bei Risikofaktoren für Chronifizierungsrisiko, und bedürfen häufig zusätz- Blutungen des Gastrointestinaltrakts. lich einer psychotherapeutischen Behandlung. 2. Opioide (Tramadol, Oxycodon) sollen nur in Einzel- fällen (z.B. ungenügende Wirkung der First-Line- Arbeitsfähigkeit, Fahreignung Therapie) verordnet werden. Ihre Vorteile sind klein, die potenziellen Nachteile (z.B. Sucht) gross. Wenn die Rückenschmerzen die Funktion beeinträch- Grundsatz: nur slow-release-Galenik, aber keine tigen, so ist vor allem bei schwerer körperlicher Arbeit transdermalen Opioide. Herauftitrieren auf die eine Krankschreibung nötig. Die Wiederaufnahme der niedrigste wirksame Dosis. Höchstdosis (bei nicht- Arbeit ist so schnell als möglich anzustreben. In der tumorassoziierten Schmerzen): 40 mg Oxycodon/ Schweiz sind 25% der wegen Rückenschmerzen krank- Tag. Die Bedarfsmedikation mit nicht-retardierten geschriebenen Patient/-innen nach maximal 60 Ta- Opioiden ist zu vermeiden. gen, 50% nach maximal 100 Tagen wieder arbeitsfähig. 3. Antidepressiva (Amitriptylin, Duloxetin) kommen Besorgniserregend ist, dass 25% der krankgeschriebe- bei chronischen Rückenschmerzen und komorbi- nen Patient/-innen mit Rückenschmerzen länger als der Depression zum Einsatz. 200 Tage arbeitsunfähig sind. Von denjenigen mit Zentrale Muskelrelaxantien [23] und Antiepileptika mehr als 300 Tagen Arbeitsunfähigkeit kehrt nur sind bei selbstlimitierenden lumbalen Rückenschmer- noch jede/r Zweite jemals wieder ins Arbeitsleben zu- zen nicht hilfreich. rück [24]. Wichtig: Parenterale Injektionen von NSAR oder ande- Vom Autofahren ist bei Arbeitsunfähigkeit bzw. schwe- ren Substanzen sind nicht empfohlen. Gleiches gilt rer Beeinträchtigung der Funktion abzuraten. Wäh- auch für andere invasive Therapien ohne klare, spezifi- rend der Einstellung oder Dosisanpassung von Opio- sche Ursache der Rückenschmerzen. iden ist Autofahren verboten, danach bedarf es einer Die Wirksamkeit der Medikation soll in der Akutthera- kritischen Einzelfallbeurteilung. Swissmedic-Warn- pie alle zwei Wochen, in der Langzeittherapie alle zwölf hinweise betreffend Fahreignung gibt es auch für alle Wochen überprüft werden. Bei Nichterreichen des Be- NSAR, Antidepressiva und Metamizol. handlungsziels soll die Therapie abgesetzt werden. Bildnachweis © Bignai | Dreamstime.com Therapie bei Verdacht auf Chronifizie- rung und/oder zentralisiertem Schmerz Literatur Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version des Wenn trotz dieser Massnahmen die Chronifizierungs- Artikels unter www.primary-hospital-care.ch. phase (Schmerzdauer >12 Wochen) erreicht wurde, Korrespondenz: müssen multimodale Abklärungs- und Therapie Dr. med. Amato Giani Facharzt FMH für programme (durch Spezialist/-innen) herangezogen Den Online-Appendix «Guideline Lumbale Rückenschmerzen» A llgemeine Innere Medizin werden, wie sie zur Behandlung einer anhaltenden Sidlerstrasse 4 von mednetbern finden Sie mit dem mednetbern-CDS-Tool und CH-3012 Bern somatoformen Schmerzstörung (F45.40) oder eines den Gymnastikübungsbeispielen in der Online-Version dieses amato.giani[at]hin.ch zentralisierten Schmerzes empfohlen sind. Artikels unter: https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10152. PRIMARY AND HOSPITAL CARE – ALLGEMEINE INNERE MEDIZIN 2020;20(9):259–263
Table Guideline Lumbale Rückenschmerzen Diagnose nach ICD-10 M54.5 Lumbale Rückenschmerzen Definition Lumbale Rückenschmerzen sind ein Symptomenkomplex mit vielen, oft schwierig zu erfassenden Ursachen und Risikofaktoren, die das Auftreten begünstigen und den meist selbstlimitier- ten Verlauf beeinflussen können. Lebensprävalenz: bis 90 %! Leitsymptom: Schmerzen unterhalb des Rippenbogens bis oberhalb der Gesässfalten, mit oder ohne Ausstrahlung. Verlauf: üblicherweise selbstlimitiert, Rezidive sind häufig. Es besteht ein Risiko zur Chronifizierung mit dem Übergang in eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (zentralisierter Schmerz, F45.40). Anamnese • Gemäss mednetbern-CDS (Clinical Decision Support)-Tool: (s. Tabelle im Anhang!) Erkennen von nicht selbstlimitierten, gefährlichen und / oder gezielt behandelbaren Ursachen. • Risikofaktoren für Chronifizierung: Frühere Episoden lumbaler Rückenschmerzen. Bewegungsmangel, Rauchen, Alkohol, Adipositas. Schwerarbeit, Probleme am Arbeitsplatz. • Depressivität, Katastrophisieren, Schon- und Vermeideverhalten. Iatrogen: ausschliesslich passive Therapien, langandauernde unkritische Arbeitsunfähigkeitsbestätigungen, bildgebende • Diagnostik ohne klare Indikation. Status Bis auf die Unterwäsche entkleideter Patient. Inspektion: Gang, Haltung (Skoliose, Kyphose, Beckenschiefstand), Haut (z. B. Herpes Zoster). Beweglichkeit: Inklination, Reklination, Seiten- neigung, Rotation, FBA, Schober. Palpation Wirbelsäule und Weichteile (Dolenz, Rötung, Schwellung). Neurologisch: PSR, ASR (bei >60j. Gesunden sind die ASR oft nicht auslösbar), Babinski, Kraft (Zehen-, Fersengang, Hocke oder Kniebeugung im Einbeinstand), Sensibilität (Dermatome L4, L5, S1), Lasègue (Schmerzen: lumbal oder radikulär, ipsi- oder kontralateral), Bragard-Zeichen. Internistische Untersuchung nach Klinik. Weitere Diagnostik Keine weitere Diagnostik, ausser bei Hinweisen auf gefährliche Verläufe oder spezifisch behandelbare Erkrankungen in Anamnese und Status (s. Erläuterung unter «Differentialdiagnose»!). Labor Bei Verdacht auf Infektion, Malignom, entzündlich-rheumatische Erkrankung: BB, BSR, CRP, Urinstatus. Bei chronischen und rezidivierenden Rückenschmerzen: HLA-B27, alkalische Phosphatase, Kalzium, Phosphat, PSA, Elektrophorese. Bildgebung Bei Verdacht auf Fraktur, Malignom, ISG-Arthritis, Neurokompression; bei persistierenden Schmerzen nach 4 –12 Wochen. Methode: MRI (CT: möglich bei Diskushernie oder Fraktur). Viele klinisch irrelevante Befunde mit geringer Korrelation zu den Symptomen. Diagnose Selbstlimitierte lumbale Rückenschmerzen liegen vor, wenn bei Schmerzdauer 12 Wochen. 2. Schmerzintensität: Visuelle Analog-Skala (VAS) 0 –10, evtl. Rating-Skala mit Emojis (s. Graphik im Anhang!). 3. Schmerzlokalisation und -ausdehnung: Schmerzzeichnung (siehe Körperschema /-graphik im Anhang!). Faustregel: umschrieben, lokalisiert (Hinweis auf spezifische, umschriebene Pathologie) vs. symmetrisch, ausgedehnt, mehrere Körperregionen betreffend (Hinweis auf widespread pain). 4. Beeinträchtigung der Funktion: Einschränkungen erfassen (Arbeit, Haushalt, Freizeit) und im Verlauf erneut erfragen, um die Wirksamkeit der Therapie zu überprüfen. 5. Chronifizierungsrisiko nach STarT-G-Fragebogen (s. Tabelle im Anhang, sowie Erläuterung unter «Verlauf, Übergangsphase / subakut»!). Therapieziele Schmerzfreiheit, mindestens aber deutliche Schmerzreduktion (VAS: Besserung > 50 %) und/oder Verbesserung der Funktion. Rasches Erkennen von gefährlichen, nicht selbstlimitierten oder spezifisch behandelbaren Ursachen. Vermeidung von unnötigen Abklärungen, einer Chronifizierung bzw. Invalidisierung und von Rezidiven. Behandlungsstrategie Die Behandlungsstrategie resultiert aus den Erkenntnissen des Assessments und den Therapiezielen. Wünsche des Patienten, Ansprechen auf frühere Therapien und Möglichkeiten des Hausarztes sollen eine evidenzbasierte, patientenspezifische individuelle Therapie ermöglichen. Bei jeder Konsultation werden Hinweise auf gefährliche oder nicht selbstlimierte Verläufe (mednetbern-CDS-Tool, Status) gesucht. Engmaschige Überprüfung einer Krankschreibung. Das Chronifizierungsrisiko soll frühzeitig erkannt und angegangen werden (STarT-G-Fragebogen, Erkennen von Arbeitsplatzproblemen). Verlauf Die Erkrankungsphase (definiert über die Schmerzdauer) ist therapierelevant. Juni 2019 – Seite 1 © mednetbern AG Stand Juni 2019 – Seite 1 © mednetbern AG (Psychiater, Rheumatologe / Orthopäde / Neurochirurge / invasive Schmerzmedizin) oder eine interdisziplinäre, multimodale Abklärung und Behandlung. Schmerzdauer >12 Wochen Akutphase Diagnostik (mednetbern-CDS-Tool, Status) und symptomorientierte Therapie (allgemeine Massnahmen, Pharmakotherapie), Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Bei Fortbestehen von alltagsrelevanten Einschränkungen und/oder Arbeitsunfähigkeit: Weiterweisung in ein interdisziplinäres, spezialärztliches Setting Chronifizierungsphase Schmerzdauer < 4 Wochen Kontrollen alle 2 Wochen (bei AUF bereits nach 1 Woche). Falls keine Besserung nach 2 Wochen (VAS-Reduktion < 50 %): Reevaluation der Diagnose. Falls keine neuen Gesichtspunkte: Intensivierung der Schmerztherapie, evtl. zusätzlich nichtmedikamentöse Therapie, erneute Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. • Bei Arbeitsplatzproblemen: Abklärung mit Betriebsarzt; bei fortbestehender AUF Meldung bei der IV (Früherfassung und Frühintervention). Übergangsphase / subakut Bei weiterbestehenden beeinträchtigenden Schmerzen und / oder Arbeitsunfähigkeit: o Hohes Chronifizierungsrisiko (≥ 4 Punkte Fragen 1– 9 UND > 4 Punkte Fragen 5 – 9): zusätzlich psychotherapeutische / psychiatrische Intervention. (Phase der • Reevaluation der Diagnose, bildgebende Diagnostik; Risiko für Chronifizierung evaluieren: STarT-G-Fragebogen; Probleme am Arbeitsplatz? on (PMR) oder mindfulness based stress reduction (MBSR). Weichenstellung) • Therapie gemäss Score (Punktezahl) im STarT-G-Fragebogen stratifizieren: o Mittleres Chronifizierungsrisiko (≥ 4 Punkte Fragen 1– 9 UND < 3 Punkte Fragen 5 – 9): zusätzlich Physiotherapie und Progressive Muskelrelaxati- Schmerzdauer 4 –12 Wochen o Niedriges Chronifizierungsrisiko (≤3 Punkte): Intensivierung der Schmerztherapie, zusätzlich nichtmedikamentöse Therapien, evtl. Weiterweisung an Spezialisten (z. B. Rheumatologe, Chiropraktor, Schmerzspezialist). Spezialisten (z. B. Rheumatologe, Chiropraktor, Schmerzspezialist). o Niedriges Chronifizierungsrisiko (≤3 Punkte): Intensivierung der Schmerztherapie, zusätzlich nichtmedikamentöse Therapien, evtl. Weiterweisung an Schmerzdauer 4 –12 Wochen o Mittleres Chronifizierungsrisiko (≥ 4 Punkte Fragen 1– 9 UND < 3 Punkte Fragen 5 – 9): zusätzlich Physiotherapie und Progressive Muskelrelaxati- • Therapie gemäss Score (Punktezahl) im STarT-G-Fragebogen stratifizieren: Weichenstellung) on (PMR) oder mindfulness based stress reduction (MBSR). • Reevaluation der Diagnose, bildgebende Diagnostik; Risiko für Chronifizierung evaluieren: STarT-G-Fragebogen; Probleme am Arbeitsplatz? (Phase der o Hohes Chronifizierungsrisiko (≥ 4 Punkte Fragen 1– 9 UND > 4 Punkte Fragen 5 – 9): zusätzlich psychotherapeutische / psychiatrische Intervention. Bei weiterbestehenden beeinträchtigenden Schmerzen und / oder Arbeitsunfähigkeit: Übergangsphase / subakut • Bei Arbeitsplatzproblemen: Abklärung mit Betriebsarzt; bei fortbestehender AUF Meldung bei der IV (Früherfassung und Frühintervention). keine neuen Gesichtspunkte: Intensivierung der Schmerztherapie, evtl. zusätzlich nichtmedikamentöse Therapie, erneute Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Kontrollen alle 2 Wochen (bei AUF bereits nach 1 Woche). Falls keine Besserung nach 2 Wochen (VAS-Reduktion < 50 %): Reevaluation der Diagnose. Falls Schmerzdauer < 4 Wochen Stand Chronifizierungsphase Bei Fortbestehen von alltagsrelevanten Einschränkungen und/oder Arbeitsunfähigkeit: Weiterweisung in ein interdisziplinäres, spezialärztliches Setting Diagnostik (mednetbern-CDS-Tool, Status) und symptomorientierte Therapie (allgemeine Massnahmen, Pharmakotherapie), Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Akutphase Schmerzdauer >12 Wochen (Psychiater, Rheumatologe / Orthopäde / Neurochirurge / invasive Schmerzmedizin) oder eine interdisziplinäre, multimodale Abklärung und Behandlung. Die Erkrankungsphase (definiert über die Schmerzdauer) ist therapierelevant. Verlauf
Therapiemassnahmen Allgemeine Massnahmen Aufklärung zu Symptomatik, Diagnostik, Verlauf und Behandlung (Gutartigkeit der Erkrankung) in verständlicher Sprache. Abraten von Bettruhe (Evidenz A). Inaktivität und Ruhigstellung erhöhen die Gefahr der Chronifizierung. Partizipative Entscheidung: Krankheitsmodell des Patienten, Erwartungen und Befürchtungen, Behandlungsoptionen besprechen, gemeinsam das Procedere festlegen. Lifestylemassnahmen / Selbsthilfe: Bewegung (Muskeltraining, Treppen steigen, Gewichtsnormalisierung). Rumpfstabilisierung, Rückenergonomie mit Instruktionen zu Haltung, Bücken, Heben etc. Fit am Arbeitsplatz, Info zu körperlichen Belastungen (www.suva.ch, www.aktivdispens.ch). Anforderungen am Arbeitsplatz und Arbeitsfähigkeit beurteilen: Bei körperlich schwerer Arbeit ist die Arbeitsunfähigkeit bis zur nächsten Kontrolle gegeben. Nichtmedikamentöse Physiotherapie: Aktive Massnahmen, evtl. kombiniert mit subakut- Therapie passiven Massnahmen (Wärmepackung, Detonisierung). Einzelne Massnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit akut chronisch Physiotherapeut und Hausarzt sollen kognitiv-verhaltensthe- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) áá áá rapeutische Prinzipien einbauen: Beratung und Information der Patienten über die Zusammenhänge von Schmerz, Bewegungsver- Bewegungstherapie mit edukativen Massnahmen nach ó áá halten und emotionalem Befinden, Eigenverantwortung zur verhaltenstherapeutischen Prinzipien Wiederherstellung und Förderung der körperlichen Funktionsfähig- Manuelle Therapie á áá keit. Eigenübungen (s. Fotos im Anhang!). Üben, Belastung zu dosieren und Pausen einzuhalten. Training von komplexen MBSR (mindfulness based stress reduction) ó á Bewegungsabläufen, wie sie im Alltag und in der Arbeitswelt Pilates, Tai Chi, Yoga ó á anzutreffen sind. Verbesserung der kardiovaskulären Ausdau- Akupunktur ó ó er und Kraft, Praktizieren einer Entspannungstechnik zur Schmerzlinderung, Stressabbau und positiver Beeinflussung der Detonisierung (z. B. Massage) ó ó emotionalen Befindlichkeit. Rückenschule (biopsychosozial) ó ó Psychosoziale Progressive Muskelrelaxation (PMR), mindfulness based stress Wärme- oder Kälteanwendungen ó ó Interventionen reduction (MBSR) (www.mbsr-verband.ch), Kognitive Verhaltens- Therapeutischer Ultraschall oder Laser ó ó therapie (KVT). Behandeln einer komorbiden psychiatrischen Störung. Ergotherapie ââ ó Interventionen bezüglich des Arbeitsplatzes. Bettruhe ââ ââ Taping, Kurzwellen-, Magnetfeldtherapie ââ ââ Hilfsmittel (z. B. Orthesen, Schuheinlagen) ââ ââ áá empfohlen; ó kann je nach Situation eingesetzt werden; ââ nicht empfohlen Pharmakotherapie First-Line-Therapie: NSAR: Ibuprofen 3 × 600 mg / d, kombiniert mit Reserve aus Metamizol 4 × 1 g / d und Paracetamol 4x1 g /d. Bei ungenügender Wirkung: alternatives NSAR (z. B. Diclofenac). Grundsätze: Beginn mit maximaler Tagesdosis, Heruntertitrieren auf die niedrigste wirksame Dosis, Überprü- fung von Nebenwirkungen, PPI bei GIT-Risikofaktoren. Opioide: in Einzelfällen bei ungenügender Wirkung der First-Line-Therapie. Cave: Vorteile klein, potenzielle Nachteile gross! Grundsätze: Nur slow release Galenik, aber keine transdermalen Opioide. Keine Bedarfsmedikation mit nicht-retardierten Opioiden. Herauftitrieren auf die niedrigste wirksame Dosis. Opioide stoppen, wenn das vereinbarte Therapieziel nicht erreicht wird. Antidepressiva: bei chronischen lumbalen Rückenschmerzen oder bei komorbider Depression. Keine parenteralen Injektionen von NSAR oder anderen Substanzen. Keine invasiven Therapien. Überprüfung der Wirksamkeit: Akuttherapie alle 2 Wochen, Langzeittherapie alle 12 Wochen. Hinweis: Zentrale Muskelrelaxanzien (Tolperison) und Antiepileptika (Gabapentin, Pregabalin) sind bei lumbalen Rückenschmerzen nicht hilfreich! Therapiekonzept bei V. a. Multimodale Abklärungs- und Therapieprogramme (durch Spezialisten), wie sie zur Behandlung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (F45.40) Juni 2019 – Seite 2 © mednetbern AG Stand Juni 2019 – Seite 2 © mednetbern AG Chronifizierung und / oder oder eines zentralisierten Schmerzes empfohlen sind: Psychoedukation, KVT und achtsamkeitsbasierte, emotionsfokussierte oder konfliktzentrierte Interven- zentralisiertem Schmerz tionen, Bewältigung von Traumatisierungen. Wann Weiterweisung? Bei Therapieresistenz, bei Verschlechterung, bei signifikanten Risikofaktoren zur Chronifizierung und / oder bei einer Krankschreibung von mehr als 6 – 8 Wochen. Motorfahrzeugen verboten. Danach muss die Fahreignung im Einzelfall abgeklärt werden. Swissmedic-Warnhinweise auch für alle NSAR, Metamizol und Antidepressiva! Traumatisierung / Rückenschmerzen als Folge von Traumatisierung (Folter, Misshandlungen) haben ein erhöhtes Chronifizierungsrisiko. Empfohlene Screeningfragen: Waren Sie in Haft? Können Sie gut Bei Arbeitsunfähigkeit bzw. schwerer Beeinträchtigung der Funktion ist vom Führen eines Motorfahrzeugs abzuraten. Bei Einstellung oder Dosisanpassung von Opioiden ist das Führen von Fahreignung Flucht / Migration schlafen (PTSD)? Oft ist zusätzlich eine psychotherapeutische Behandlung notwendig. über 300 Tagen kehrt nur noch jeder zweite an die Arbeit zurück.) Arbeitsfähigkeit Wenn das Ausmass des Schmerzes die Funktion beeinträchtigt, ist v. a. bei schwerer körperlicher Arbeit eine Krankschreibung nötig. Grundsatz: Baldmögliche Wiederaufnahme von Aktivität und Arbeit anstreben. (Krankgeschriebene Patienten: 25 % nach max. 60 Tagen, 50 % nach max. 100 Tagen wieder arbeitsfähig; 25 % länger als 200 Tage arbeitsunfähig. Nach Aktivität und Arbeit anstreben. (Krankgeschriebene Patienten: 25 % nach max. 60 Tagen, 50 % nach max. 100 Tagen wieder arbeitsfähig; 25 % länger als 200 Tage arbeitsunfähig. Nach Wenn das Ausmass des Schmerzes die Funktion beeinträchtigt, ist v. a. bei schwerer körperlicher Arbeit eine Krankschreibung nötig. Grundsatz: Baldmögliche Wiederaufnahme von Arbeitsfähigkeit über 300 Tagen kehrt nur noch jeder zweite an die Arbeit zurück.) schlafen (PTSD)? Oft ist zusätzlich eine psychotherapeutische Behandlung notwendig. Flucht / Migration Fahreignung Bei Arbeitsunfähigkeit bzw. schwerer Beeinträchtigung der Funktion ist vom Führen eines Motorfahrzeugs abzuraten. Bei Einstellung oder Dosisanpassung von Opioiden ist das Führen von Rückenschmerzen als Folge von Traumatisierung (Folter, Misshandlungen) haben ein erhöhtes Chronifizierungsrisiko. Empfohlene Screeningfragen: Waren Sie in Haft? Können Sie gut Traumatisierung / Motorfahrzeugen verboten. Danach muss die Fahreignung im Einzelfall abgeklärt werden. Swissmedic-Warnhinweise auch für alle NSAR, Metamizol und Antidepressiva! Wann Weiterweisung? Bei Therapieresistenz, bei Verschlechterung, bei signifikanten Risikofaktoren zur Chronifizierung und / oder bei einer Krankschreibung von mehr als 6 – 8 Wochen. Stand zentralisiertem Schmerz tionen, Bewältigung von Traumatisierungen. Chronifizierung und / oder oder eines zentralisierten Schmerzes empfohlen sind: Psychoedukation, KVT und achtsamkeitsbasierte, emotionsfokussierte oder konfliktzentrierte Interven- Therapiekonzept bei V. a. Multimodale Abklärungs- und Therapieprogramme (durch Spezialisten), wie sie zur Behandlung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (F45.40)
Medikamente Medikamentengruppen Wirkstoff Wirkstoff Wirkstoff Empfehlung Kontraindikationen / Cave NSAR – First-Line-Therapie Ibuprofen (WHO) Diclofenac Nimesulid Kombiniert mit Reserve Metamizol Gastrointestinale Probleme. Blutungsrisiko. Kombination mit anderen (Brufen®) (Voltaren®) (Aulin®, Nisulid®) und Paracetamol NSAR, Paracetamol und / oder ASS erhöht das gastrointestinale Blutungsrisi- Maximaldosis / Tag 1800 (–2400) mg 150 mg 200 mg Nimesulid: nur 2. Wahl in der ko. Drittes Trimenon der Schwangerschaft. Stillzeit. Leber, Nieren- und Kosten / Tag CHF 1.10 (–1.40) CHF 0.60 CHF 2.80 Akuttherapie, maximal für 15 Tage. Herzinsuffizienz. Interaktionen mit zahlreichen anderen Medikamenten! Fahreignung. Non NSAR, Non Opioïde Paracetamol (WHO) Metamizol Max. 4 g / d, kurzfristig. Nicht als Paracetamol: Schwere Leberfunktionsstörungen. (Dafalgan®) (Novalgin®) Monotherapie geeignet. Metamizol: Allergien (Anaphylaxie), eingeschränkte Knochenmarksfunktion Maximaldosis / Tag 4g 4g (Agranulozytose). Fahreignung. Kosten / Tag CHF 1.20 CHF 0.80 In Spezialfällen Opioïdanalgetika Tramadol Oxycodon (WHO) Oxycodon / Max. Tagesdosis 120 mg Morphin- Abhängigkeitspotential. Oxycodon: Atemdepression, COPD, Cor pulmonale, (Tramal retard®) (Oxycontin®) Naloxon äquivalent. Höchstdosis bei nicht- Asthma, paralytischer Ileus, Stillzeit, Maximaldosis / Tag 400 mg 40 mg (WHO) (Targin®) tumorassoziierten Schmerzen: 40 mg Leberfunktionsstörung. Kosten / Tag CHF 1.40 CHF 2.20 40 / 20mg Oxycodon / Tag. Tramadol: MAO-Hemmer, Epilepsie. Stillzeit. Fahreignung. CHF 4.40 Antidepressiva Amitriptylin (WHO) Duloxetin Bei komorbider Depression; Kombination mit MAO-Hemmern. Saroten hohe Toxizität, nur Empfohlene Dosis / Tag 25 –100mg (Cymbalta®) chronische lumbale Rückenschmerzen. Kleinpackungen! Fahreignung. Kosten / Tag CHF 0.30 –0.80 30 –60 mg (Raucher 90 mg) CHF 1.05–1.30 Basisliteratur: Duthey B. Background Paper 6.24 Low back pain – World Health Organization. Oliveira et al. Clinical practice guidelines for the management of non-specific low back pain in primary care: an updated overview. European Spine Journal (2018) 27:2791–2803. https://doi.org/10.1007/s00586-018-5673-2. Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz Langfassung. https://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/kreuzschmerz/kreuzschmerz-2aufl-vers1-lang.pdf. Schweiz Ruecken_Hintergruende_Praevention_Behandlung_D.pdf. Low back pain and sciatica in over 16s: assessment and management. https://www.nice.org.uk/guidance/ng59. Noninvasive Treatments for Acute, Subacute, and Chronic Low Back Pain: A Clinical Practice Guideline From the American College of Physicians. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28192789. RE_Toolbox_Mitteilung Camenisch D, Soltermann B. WHO Model Lists of Essential Medicines. Harrisons Innere Medizin. 2017 | 19., überarbeitete Auflage. Projektteam: Dres. med. Amato Giani, Stefan Schäfer, Marzio Sabbioni, Heinrich Kläui • Beratende Ärztin: Dr. med. Ursula Frey Juni 2019 – Seite 3 © mednetbern AG Stand Juni 2019 – Seite 3 © mednetbern AG Stand
mednetbern CDS-Tool Lumbale Rückenschmerzen Beim Erstkontakt müssen diese Erkrankungen geprüft werden, bevor die Arbeitsdiagnose «Selbstlimitierte lumbale Rückenschmerzen» gestellt wird! Name Vorname Datum Differentialdiagnose, Verdacht auf Anamnese / Klinische Symptome Beispielfragen Diagnostik / Procedere Kompressionsyndrom von Conus Paraparese (asymmetrisch), Reflexverlust an den Beinen ¨ Mühe mit Wasserlösen oder Stuhlgang? Sofortige Klinikeinweisung medullaris oder Cauda equina (variabel), Reithosenanästhesie, Verlust von Blasen- und/ ¨ Taubheitsgefühl im Intim- oder Analbereich? oder Darmfunktion ¨ Schwäche oder Lähmung in den Beinen? Gefährlich 60j. Gesunden sind die Niereninsuffizienz, Schilddrüsen- oder Nebenschild- ASR oft nicht auslösbar); evtl. Bildgebung. drüsenüberfunktion Klinikeinweisung je nach Schweregrad. Radikulopathie (Diskushernie, Meist einseitig. Schmerzen im Bereich des unteren ¨ Strahlen die Schmerzen vom Rücken in die Beine aus? In welches? Neurologische Untersuchung UE: PSR, Nicht oder weniger gefährlich ca. 10 % degenerative Veränderungen des Rückens, mit Ausstrahlung in Gesäss, Hüfte und Beine, ¨ Spüren Sie die Schmerzen auch im Sitzen? Kniebeugung im Einbeinstand (L2-4); Wurzelkanals und des Foramen (sensible Ausfälle häufiger als Paresen) ¨ Spüren Sie ein Taubheitsgefühl? (Schwäche?) Fersengang (L5); ASR. Zehengang (S1). intervertebrale, Herpes Zoster, § L2-L4: Oberschenkel vorne Bei leichten Paresen u. im MRI passender Borreliose) § L5: Oberschenkel / Wade seitlich, Fussrücken, Grosszehe Hernie, evtl. konservativ. Bei schwereren § S1: Oberschenkel / Wade hinten, laterale Fusskante, Fusssohle Paresen Klinikeinweisung. Spinalkanalstenose Ältere Menschen. Bekannte Arthrose, früheres Trauma, ¨ Strahlen die Schmerzen beim Gehen über das Gesäss in die Beine? Neurologische Untersuchung UE; frühere Rückenoperation (Post-Laminektomiesyndrom) ¨ Tritt beim Gehen ein Taubheitsgefühl oder eine Schwäche auf? Pulsstatus; evtl. Ratschoff. ¨ Verschwinden die Schmerzen in Sitzen? Hüft- und Kniegelenksuntersuchung. ¨ Ermüden die Beine weniger, wenn sie vornüber geneigt gehen (Einkaufswägeli, Rollator)? Facettengelenksarthrose Bekannte Arthrose ¨ Werden die Schmerzen durch Bewegung verschlimmert? Neurologische Untersuchung UE. ¨ Werden die Schmerzen durch Ruhigstellung gebessert? Hyperextension der WS provoziert den Juni 2019 – Seite 4 © mednetbern AG Stand Juni 2019 – Seite 4 © mednetbern AG ¨ Haben Sie auch Schmerzen im Hüftbereich? Schmerz. Hüftgelenksuntersuchung. Autoimmunarthritis (z. B. Spondylitis Oft jüngere Männer < 40j. (Bechterew), bekanntes ¨ Werden die Rückenschmerzen durch Bewegung gebessert? Überweisung an Rheumatologen. ankylosans Bechterew, Psoriasis, RA) Grundleiden ¨ Erwachen Sie wegen der Rückenschmerzen in der Nacht? ¨ Fühlt sich ihr Rücken morgens länger als 30 Minuten steif an? Extravertebragene Ursachen: Gem. klinischer Kontext ¨ Gem. klinischer Kontext. Gem. klinischer Kontext (z. B. 2-Fragen- Depression, Herpes Zoster, Borrelio- klinischen Tests (Piriformis, sacroiliacal). Test, mednetbern-Guideline Depression). Sacroiliacale Dysfunktion se, Urologisch, Piriformis-Syndrom, Cave: schlechte Reproduzierbarkeit von Cave: schlechte Reproduzierbarkeit von se, Urologisch, Piriformis-Syndrom, Sacroiliacale Dysfunktion Test, mednetbern-Guideline Depression). klinischen Tests (Piriformis, sacroiliacal). Depression, Herpes Zoster, Borrelio- Gem. klinischer Kontext (z. B. 2-Fragen- ¨ Gem. klinischer Kontext. Gem. klinischer Kontext Extravertebragene Ursachen: ¨ Fühlt sich ihr Rücken morgens länger als 30 Minuten steif an? ¨ Erwachen Sie wegen der Rückenschmerzen in der Nacht? Grundleiden ankylosans Bechterew, Psoriasis, RA) Nicht oder Überweisung an Rheumatologen. ¨ Werden die Rückenschmerzen durch Bewegung gebessert? Oft jüngere Männer < 40j. (Bechterew), bekanntes Autoimmunarthritis (z. B. Spondylitis Stand Schmerz. Hüftgelenksuntersuchung. ¨ Haben Sie auch Schmerzen im Hüftbereich? Hyperextension der WS provoziert den ¨ Werden die Schmerzen durch Ruhigstellung gebessert?
Lumbale Rückenschmerzen Übungsbeispiele für ein Heimgymnastikprogramm Name Vorname Datum Übung 1: Gestrecktes Bein 30 cm anheben für 10 Sekunden. 10 Wiederholungen auf jede Seite. Mit dem anderen Bein entspannt aufstützen, um die Lendenlordose aufzuheben. Übung 2: Ausgangsstellung: Beide Beine in Hüften und Knien 90° Flexion. Mit beiden Beinen zusammen für 10 Sekunden zur Seite neigen, möglichst nahe zur Unterlage. 10 Wiederholungen auf jede Seite. Übung 3: Das in Hüfte und Knie je 90° gebeugte Bein wird für 10 Sekunden zur Gegenseite gedreht, möglichst nahe zur Unterlage. 10 Wiederholungen auf jede Seite. © mednetbern AG
Lumbale Rückenschmerzen Name Vorname Datum Körperschema Visuelle Analog-Skala (VAS) Zeichnen Sie ein, wo ihre Schmerzen auftreten und beschreiben Sie die Schmerzen mit Ihren eignen Worten. 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 STarT-G-Fragebogen Denken Sie bitte an die vergangenen 2 Wochen beim Beantworten der folgenden Fragen. Themenbereich Frage Trifft nicht zu Trifft zu Schmerzausstrahlung 1. Im Verlauf der vergangenen 2 Wochen haben meine Rücken- 0 1 schmerzen zeitweise in ein Bein (oder in beide Beine) ausgestrahlt. Schmerzlokalisation 2. Im Verlauf der vergangenen 2 Wochen hatte ich zeitweise 0 1 Schulter- oder Nackenschmerzen. Funktion 3. Wegen meiner Rückenschmerzen bin ich nur kurze Strecken 0 1 gegangen. Funktion 4. Während der vergangenen 2 Wochen habe ich mich wegen der 0 1 Rückenschmerzen langsamer als üblich angezogen. Vermeidungsverhalten 5. Für eine Person in meinem Zustand ist es wirklich nicht ratsam, 0 1 körperlich aktiv zu sein. Angst 6. Ich mache mir häufig Sorgen. 0 1 Katastrophisierung 7. Ich fühle, dass ich schreckliche Rückenschmerzen habe und dass 0 1 sie nicht mehr besser werden. Depression 8. Im Allgemeinen hatte ich keine Freude an Dingen, die ich sonst 0 1 gerne mache. Beeinträchtigung 9. Insgesamt, wie störend waren Ihre Rückenschmerzen in den nicht – wenig – mässig stark – sehr stark vergangenen zwei Wochen? = 0 Punkte = 1 Punkt nicht – wenig – mässig – stark – sehr stark Score (Punktezahl) für Chronifizierungsrisiko: Fragen 1–9 ≤ 3 Punkte Niedriges Risiko Fragen 1–9 ≥ 4 Punkte UND Fragen 5–9 ≤ 3 Punkte Mittleres Risiko Fragen 1–9 ≥ 4 Punkte UND Fragen 5–9 ≥ 4 Punkte Hohes Risiko © mednetbern AG
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