Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen - Eine Studie im Rahmen der Begleitforschung zum Technologieprogramm AUTONOMIK für ...
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Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen Eine Studie im Rahmen der Begleitforschung zum des Technologieprogramms TechnologieprogrammAUTONOMIK AUTONOMIKfür fürIndustrie Industrie4.0 4.0 des desBundesministeriums Bundesministeriumsfür fürWirtschaft Wirtschaftund undEnergie Energie
2 Impressum Herausgeber Begleitforschung AUTONOMIK für Industrie 4.0 iit-Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Alfons Botthof Steinplatz 1 | 10623 Berlin alfons.botthof@vdivde-it.de www.autonomik40.de Autoren Dr. Sebastian von Engelhardt Dr. Leo Wangler Dr. Steffen Wischmann Gestaltung LoeschHundLiepold Kommunikation GmbH Hauptstraße 28 | 10827 Berlin autonomik@lhlk.de Stand März 2017
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 3 Inhalt Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Management Summary. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Eigenschaften digitaler Plattformen und digitaler Plattformmärkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Eigenschaften digitaler mehrseitiger Märkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.1 Hohe Skalierbarkeit und Reichweite sowie Datenauswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.2 Niedrige Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.3 Starke Netzwerkeffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.4 Besondere Marktdynamiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.2 Schlüsselfaktoren erfolgreicher Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.1 Funktion der Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.2 Umsatz- und Erlöskonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2.3 Offenheit der digitalen Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2.4 Unabhängigkeit der Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.5 Kontakt zu (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern der Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2.6 Dynamische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3 Bestandsaufnahme digitaler Plattformen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.1 Ausprägungen der Schlüsselfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.1.1 Funktion der Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.1.2 Umsatz- und Erlöskonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.1.3 Offenheit der digitalen Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1.4 Unabhängigkeit der Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.1.5 Kontakt zu (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern der Plattform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.1.6 Dynamische Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4 Schlussfolgerungen: Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5 Anlagen: Vom BMWi geförderte F&E-Projekte mit Plattformcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 6 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
4 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen Abbildungen Abbildung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Etablierte und potentielle Beziehung in einem Markt ohne Plattform Abbildung 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markt mit einer (digitalen) Plattform Abbildung 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Plattform als zentraler Akteur in einem zweiseitigen Markt mit positiven indirekten Netzwerkeffekten Abbildung 4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Marktdynamik im „Winner-takes-all Markt Abbildung 5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiseitiger Markt mit Multihoming Abbildung 6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealtyp einer transaktionszentrierten digitalen Plattform Abbildung 7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idealtyp einer datenzentrierten digitalen Plattform
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 5 Management Summary Im Zuge der Digitalisierung der Wirtschaft nimmt die Be- Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen deutung von Intermediären zu, die als zentrales Binde- vorherrscht. Hier setzt die vorliegende Studie an. Sie bietet glied mehrere Gruppen über digitale Plattformen mitein einen Überblick über die Besonderheiten der Plattform- ander verbinden. Eine digitale Plattform verknüpft zwei ökonomie und die zentralen Schlüsselfaktoren für die Eta- oder mehr unterschiedliche Akteursgruppen im Markt, blierung erfolgreicher digitaler Plattformen. Eine Bestands- wobei die Gruppen jeweils von der Größe der anderen aufnahme digitaler Plattformen in Deutschland und die Gruppe/n profitieren und ohne die Plattform nicht oder daraus abgeleiteten Idealtypen sollen sowohl jungen als nicht so effizient interagieren können. Insbesondere im auch etablierten Unternehmen, die sich noch nicht intensiv Bereich der Produktion, in dem sich digitale und vernetzte mit der Plattformökonomie befasst haben, einen ersten Geschäftsprozesse gerade erst etablieren, werden digi- Ansatzpunkt an die Hand geben, der die wichtigsten tale Plattformen eine zentrale Schnittstelle für die Verän- verallgemeinerbaren Schlüsselelemente zur Entwicklung derung bestehender Kunden-Anbieter-Konstellationen digitaler Plattformen aufzeigt. Ebenso können aktuelle und der Erschließung neuer Geschäftsmodelle sein. Das F&E-Projekte mit Plattformcharakter die dargestellten Ide- Thema betrifft darüber hinaus aktuelle Entwicklungen in altypen als Ausgangsbasis für die Konzeption der späteren nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen. Smart-Home, wirtschaftlichen Verwertung ihrer Ergebnisse nutzen. Smart Grid sowie automatisiertes und vernetztes Fahren sind weitere Beispiele dafür. Entwicklungen, die im B2C- Die industrieökonomische Literatur stellte die Grundlage Bereich bereits vor etwa 10-15 Jahren begonnen haben, für die Darstellung der Besonderheiten zweiseitiger digi- halten jetzt Einzug in den B2B-Bereich. Was zählt, ist das taler Märkte dar, aus denen sechs Schlüsselfaktoren für Netzwerk und die Transparenz, die eine Plattform den die Etablierung erfolgreicher digitaler Plattformen abgelei- Marktakteuren bereitstellt. Ganz entscheidend für den tet werden konnten. Dabei werden in der Studie digitale Erfolg ist, dass Plattformen die Interaktionen zwischen Plattformen in zwei Kategorien unterteilt, transaktions sehr vielen Akteuren standardisiert abwickeln. Dadurch zentrierte und datenzentrierte. Die beiden Typen sind können die Transaktionskosten im Vergleich zu klassi- in ihren praktischen Ausprägungen zwar nicht immer schen Geschäftsbeziehungen deutlich gesenkt werden. trennscharf voneinander abzugrenzen, unterscheiden sich Die Marktdynamik im Bereich digitaler Plattformen folgt in entscheidenden Schlüsselfaktoren dennoch deutlich spezifischen Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten, die voneinander. Bei den transaktionszentrierten digitalen sich umfassend von nicht digitalen Marktstrukturen ohne Plattformen steht die Funktion als Vermittler, als digita- Plattformen unterscheiden. ler Marktplatz, im Zentrum, d. h. die Plattform bringt Angebot und Nachfrage zusammen und ermöglicht die Trotz der vermeintlichen Dominanz ausländischer Unter- Realisation von Transaktionen (wie bei einem klassischen nehmen in relevanten Bereichen der Internet-Ökonomie Marktplatz). Bei den datenzentrierten digitalen Plattfor- ist der Markt für digitale Plattformen im Zusammenhang men steht die datenbasierte Vernetzung im Zentrum: mit Zukunftsthemen wie Industrie 4.0 und datenbasierte Durch eine solche Plattform wird ein datenbasiertes Smart Services weiterhin offen und Unternehmen aus Gesamtsystem geschaffen, bei dem komplementäre Pro- Deutschland kämpfen um Wertschöpfungsanteile in dukte (Hardware, Software, Daten und/oder Dienstleitun- diesem Bereich. Gleichzeitig droht die Gefahr, dass ein- gen) zu einem Gesamtsystem verknüpft werden (digitales zelne Unternehmen den Trend zur Plattformökonomie Ökosystem). verschlafen. Aus Unternehmenssicht sind jetzt wichtige strategische Entscheidungen zu treffen, die dann beson- Strukturierte Telefoninterviews mit Managern von 14 digi ders erfolgreich sind, wenn ein klares Verständnis für die talen Plattformen aus Deutschland bilden die Grundlage
6 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen für die Bestandsaufnahme digitaler Plattformen dieser Die in dieser Studie abgeleitete idealtypische transaktions Studie. Die Auswahl für die Interviews fokussierte sich zentrierte digitale Plattform bietet die Vermittlung von dabei schwerpunktmäßig auf die Bereiche Industrie und Transaktionen an, d. h. sie führt Angebot und Nachfrage B2B. Die Ergebnisse der Interviews sind so aufbereitet, zusammen und bietet eine geeignete Informations- und dass sie einen konkreten Eindruck über die Ausgestal- Suchfunktion, einen Angebotsmechanismus sowie einen tung und die strategischen Ansätze von digitalen Platt- passenden Bewertungs- bzw. Reputationsmechanismus. formen in Deutschland vermitteln. Auf Basis der Analyse Der Zugang zur Plattform wird aus Qualitätsgründen der Telefoninterviews konnten deutliche Muster bei der beschränkt: Anbieter von Produkten/Diensten müssen Ausgestaltung digitaler Plattformen identifiziert werden. sich einer Vorab-Prüfung unterziehen. Die idealtypische Aus diesen Mustern wurden zwei Idealtypen abgeleitet, transaktionszentrierte digitale Plattform begreift sich als je einer für transaktionszentrierte und für datenzentrierte neutraler Marktplatz und ist von den anderen Marktteil- digitale Plattformen. Diese Idealtypen bieten eine prakti- nehmern unabhängig. Sie erhebt eine Gebühr für den sche Orientierung für das Design und den Aufbau einer Zugang und die Nutzung (z. B. Marge). Dabei wird eine digitalen Plattform. Die Merkmale beschreiben zwei anta- asymmetrische und gruppenspezifische Preisstruktur gonistische Idealtypen, von denen im praktischen Einzel- eingesetzt. Zum Aufbau der kritischen Masse geht die fall bewusst abgewichen werden kann bzw. die sich auch Plattform strategische Partnerschaften ein oder bindet auf überlappen können. Es ist zu betonen, dass diese Ideal- anderem Wege bereits vor Markteintritt Akteure an die typen sich verstärkt, aber nicht ausschließlich, auf den Plattform. Nach erfolgtem Markteintritt agiert die Platt- B2B-Bereich beziehen, in dem die Märkte aktuell noch form offensiv, um schnell eine entsprechend hohe Nutzer- sehr offen sind. Dort existieren große Chancen für Unter- zahl aufzubauen. nehmen aus Deutschland, da die Marktnischen noch nicht von dominierenden Akteuren aus dem amerikanischen Für transaktionszentrierte digitale Plattformen ist es und asiatischen Raum besetzt sind. wichtig, glaubhaft als neutraler Marktplatz bzw. Mittler Idealtyp einer transaktionszentrierten digitalen Plattform
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 7 wahrgenommen zu werden und zuverlässige, seriöse Leis- für den Zugang und die Nutzung und lässt sich bestimmte tungen anzubieten. Strategische Partnerschaften können Datenauswertungen bezahlen. Auch hier gilt, dass eine hier bisweilen zu Lasten der von den anderen Akteuren asymmetrische und gruppenspezifische Preisstruktur wahrgenommenen Unabhängigkeit der Plattform gehen. eingesetzt wird. Zum Aufbau der kritischen Masse setzt Die richtige Ausgestaltung der Preisstrategie, insbeson- die Plattform vor allem auf Ansätze, die eine hinreichen- dere zur Erreichung einer kritischen Masse, ist daher von de Menge an Systemkomponenten bzw. deren Anbieter zentraler Bedeutung. Befragungen und rasche Reaktionen bereits vor Markteintritt an die Plattform und damit in das auf Kundenfeedback können hier – neben der Kenntnis Ökosystem (ein)binden. Daher ist die Plattform teilweise der Brachengepflogenheiten – helfen. integriert (Muttergesellschaft oder Anteilseigener als An- bieter komplementärer Produkte) und geht strategische Die in dieser Studie abgeleitete zweite Form, die ideal Partnerschaften mit weiteren Anbietern komplementärer typische datenzentrierte digitale Plattform, konstitu- Produkte ein. iert ein datenzentriertes Gesamtsystem komplementärer Produkte und steuert dieses. Sie bietet den eingebunde- Eine besondere Herausforderung für datenzentrierte nen Akteuren eine Aufbereitung und Auswertung der digitale Plattformen liegt darin, ein System zu schaffen, Datenströme und koordiniert das Usability- und Kunden- das als offen und mit leichtem Zugang (z. B. durch offene zufriedenheitsmanagement des betreffenden Ökosystems. Standards) wahrgenommen wird. Insbesondere der Mit- Anbieter von Systemkomponenten können ihre Produkte telstand fürchtet die Abhängigkeit aufgrund technologi- von der Plattform zertifizieren lassen. Der Zugang ist an scher Lock-Ins. Der Aufbau eines Ökosystems kann daran technische Voraussetzungen bzw. Mindestanforderun- scheitern, dass einige Akteure dieses als ein nicht offenes gen gekoppelt (Zugangshürden z. B. zur Sicherung der oder stark abhängiges System wahrnehmen. Dies betrifft Interpretierbarkeit der Daten oder der Interoperabilität nicht unbedingt nur den offenen Zugang: So können eingebundener Komponenten). Zudem sind Nachwei- integrierte Plattformen oder Plattformen mit starken stra- se von Zertifizierungen oder Qualitätsstandards Teile der tegischen Partnern von verschiedenen Akteuren als „nicht Zugangsvoraussetzung. Die Plattform erhebt eine Gebühr offen“ bzw. abhängig wahrgenommen werden. Idealtyp einer datenzentrierten digitalen Plattform
8 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen Insgesamt zeigt sich, dass transaktionszentrierte und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Im Bereich der transak- datenzentrierte digitale Plattformen im B2B-Bereich in tionszentrierten Plattformen haben insbesondere auch einem besonderen Spannungsfeld von Qualität und Zu- Start-ups durch ihre Unabhängigkeit große Chancen, sich verlässigkeit versus Wachstum, Schnelligkeit und Agilität als neutraler Vermittler zwischen Anbietern und Nach- stehen. Zu lange Entwicklungszeiten und zögerliches Han- fragern zu etablieren. Hier gilt es, noch nicht adressierte deln müssen vermieden werden. Gleichzeitig darf Wachs- (Teil-)Märkte, gerade im B2B-Bereich, zu identifizieren tum und Schnelligkeit nicht auf Kosten der Qualität und und mit passgenauen Leistungsangeboten (u. a. Berück- Zuverlässigkeit gehen („seriöses Wachstum“). Es erscheint sichtigung der Branchenbesonderheiten, Ausnutzen von daher in den meisten Fällen vorteilhaft, zunächst mit Domänenwissen usw.) zu besetzen. Bei dem Aufbau einem einfachen, zielgerichteten (schlanken), aber zuver- datenzentrierter Plattformen geht es darum, ein als offen lässig funktionierenden Angebot in den Markt zu gehen, wahrgenommenes, breit aufgestelltes Ökosystem zu eta- um das Leistungsangebot dann entsprechend der Kun- blieren. Hier haben etablierte Unternehmen den Vorteil, den-Feedbacks schrittweise anzupassen bzw. auszubauen. dass sie im jeweiligen Markt bereits bekannt sind (Stich- Für deutsche Unternehmen bieten sich große Chancen wort: Erwartungen), ggfs. selber komplementäre Produk- durch das Entwickeln digitaler Plattformen. Dabei gilt te (inkl. Daten) anbieten und ihre Geschäftsbeziehungen es, die vorhandene Branchenkompetenz und bestehen und -kontakte dazu nutzen können, relevante Player für de Geschäftsnetzwerke klug zu nutzen, um neue das Ökosystem zu gewinnen.
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 9 1 Einleitung Die Digitalisierung führt zu einer zunehmend beschleu- 2016c) und das daraus resultierende Weißbuch Digitale nigten Konvergenz zwischen industrieller Produktion und Plattformen des BMWi (BMWi, 2017a). Die vier größten digitalen Produkten und Dienstleistungen. Dadurch nimmt globalen Plattformbetreiber (Alphabet, Amazon, Face- auch die Bedeutung von Intermediären zu, die als zentra- book und Alibaba) haben mittlerweile eine größere les Bindeglied in mehrseitigen Märkten mehrere Akteurs- Marktkapitalisierung als alle 30 DAX-Unternehmen zu- gruppen über digitale Plattformen miteinander verbin- sammen (Schmidt, 2017). Dies ist insofern beachtlich, den. In einem Markt, der von einer digitalen Plattform als dass digitale Plattformen in der Regel in erster Linie bestimmt wird, laufen die Markttransaktionen über eben Markttransaktionen ermöglichen und selbst keine Pro- diese Plattform ab bzw. wird durch diese ein datengetrie- duktionsanalagen zur Herstellung von physischen Gütern benes Gesamtsystem konstituiert. Insbesondere in den oder Dienstleistungen vorhalten. Uber und Airbnb, die Bereichen der Produktion sind digitale Plattformen eine dem Taxi- bzw. Hotelgewerbe Konkurrenz machen, sind zentrale Schnittstelle für die Veränderung bestehender selbst nicht Besitzer der Hotels oder Fahrzeugflotten. Was Kunden-Anbieter-Konstellationen und der Erschließung zählt, sind das Netzwerk und die Transparenz, welche die neuer Geschäftsmodelle. Das Thema betrifft aktuelle Plattform den Marktakteuren bereitstellt. Ganz entschei- Entwicklungen in nahezu allen wirtschaftlichen Berei- dend ist, dass Plattformen die Interaktionen zwischen chen. Smart Home, Smart Grid sowie automatisiertes und sehr vielen Akteuren standardisiert abwickeln. Dadurch vernetztes Fahren sind Beispiele dafür. Entwicklungen, die können die Transaktionskosten gegenüber klassischen Ge- im B2C-Bereich bereits vor etwa 10-15 Jahren begonnen schäftsbeziehungen deutlich gesenkt werden. haben, halten jetzt Einzug im B2B-Bereich. Trotz der vermeintlichen Dominanz ausländischer Unter- In den vergangenen Jahren wurden Innovationen im Be- nehmen in relevanten Bereichen der Internet-Ökonomie, reich der Plattformökonomie überwiegend durch ame- ist der Markt für digitale Plattformen im Zusammenhang rikanische Unternehmen vorangetrieben. Auch aktuelle mit Zukunftsthemen wie Industrie 4.0 und Smart Services Entwicklungen, insbesondere im B2C-Bereich, werden weiterhin offen und Unternehmen aus Deutschland umfassend durch Unternehmen aus den USA geprägt. kämpfen erfolgreich um Wertschöpfungsanteile in diesem Nach Zählung des Wall Street Journals und der Dow Jones Bereich. Gleichzeitig droht vereinzelt die Gefahr, dass VentureSource gibt es in den USA aktuell 90 Start-ups mit Unternehmen den Trend zur Plattformökonomie ver- einem Marktpotenzial von über einer Mrd. US-Dollar (sog. schlafen. Laut einer aktuellen Umfrage der Bitkom haben „Einhörner“). Sehr viele dieser vielversprechenden Start- lediglich 36 Prozent der Geschäftsführer und Vorstände ups haben digitale Geschäftsmodelle bzw. digitale Platt- deutscher Unternehmen den Begriff „digitale Plattform“ formen. Auch für Asien ist eine sehr hohe Dynamik zu (einschließlich seiner Synonyme) schon einmal gehört beobachten, insgesamt wird 44 Start-ups ein Marktwert (Bitkom, 2017). Davon schätzen 51 Prozent Plattformen von über einer Mrd. US-Dollar zuerkannt. Im Vergleich als für ihr Unternehmen relevant ein (in der Industrie sind dazu sind es in Europa lediglich 16 Unternehmen (Austin/ es jedoch gerade einmal 35 Prozent). Davon wiederum Canipe/Slobin, 2017). bieten 82 Prozent selbst Produkte auf einer Plattform an und 71 Prozent erwerben Produkte über eine Plattform. Die Bedeutung digitaler Plattformen wächst stetig und Damit nutzen zwar bereits knapp 15 Prozent aller befrag- mögliche Monopolisierungstendenzen im Bereich digita- ten deutschen Unternehmen eine Plattform, angesichts ler Plattformen prägen die aktuelle Diskussion – siehe der prophezeiten Wichtigkeit digitaler Plattformen be- zum Beispiel die vom BMWI angestoßene Debatte zu Fra- steht hier jedoch deutlicher Aufholbedarf. Unternehmen gen geeigneter Wettbewerbsregelungen (BMWi, 2016a, müssen sich der Herausforderung stellen, den Trend zur
10 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen Plattformökonomie aktiv mitzugestalten, da die Schnitt- der Technologieprogramme in erfolgreiche Produkte stelle zwischen unternehmensinternen und -externen zu überführen und in die Breite zu bringen. Dies gene- Bereichen zukünftig vermehrt durch digitale Plattformen riert zukünftige Wertschöpfung am Innovationsstandort besetzt wird. Dadurch verschieben sich Wertschöpfungs- Deutschland. Aus Unternehmenssicht sind hierzu strate- anteile hin zu den Plattformbetreibern. gische Entscheidungen zu treffen, die dann besonders erfolgreich sind, wenn ein klares Verständnis für die Im Zuge dieses Prozesses werden sich Eigentumsmo- Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen delle bzw. Geschäftsmodelle drastisch verändern. „Pay vorherrscht. per X“-Geschäftsmodelle gewinnen an Bedeutung (VDI/ VDE-GMA, 2016). Es entsteht Potenzial für neue Wert- Die vorliegende Studie liefert einen Beitrag zu diesem schöpfung im Dienstleistungsbereich. Die damit einherge- Verständnis und ist wie folgt aufgebaut. In Kapitel 2 henden Chancen betreffen insbesondere auch kleine und werden die Besonderheiten und Eigenschaften von digi- mittelständische Unternehmen (KMU). Digitale Plattfor- talen mehrseitigen Märkten auf Grundlage der industrie- men bieten umfassende Chancen für Unternehmen, das ökonomischen Literatur dargelegt und darauf aufbauend mit der Digitalisierung verbundene Potenzial zu erschlie- die zentralen Schlüsselfaktoren für die Etablierung er- ßen. Eine beispielhafte Diskussion über das Potenzial folgreicher digitaler Plattformen identifiziert. In Kapitel 3 digitaler Plattformen im Automobilbereich findet sich in erfolgt anhand der Schlüsselfaktoren eine strukturierte fortiss GmbH, 2017. Bestandsaufnahme aktiver deutscher Plattformen. Dazu wurden strukturierte Telefoninterviews mit Managern Die digitale Wirtschaft und Gesellschaft zählt zu einer von 14 digitalen Plattformen aus Deutschland durchge- prioritären Zukunftsaufgabe der neuen Hightech-Strategie führt. Der Fokus liegt dabei auf Plattformen im B2B-Be- der Bundesregierung (Bundesregierung, 2017). Daran reich, wo die Marktdynamik aktuell am größten ist und anknüpfend hat die Digitalisierung der Wirtschaft in Form Unternehmen aus Deutschland Chancen haben, aus Teil- von Industrie 4.0 eine entsprechend hohe Bedeutung: märkten heraus zu wachsen und perspektivisch interna- Sinnbildlich dafür stehen fachspezifische Förderpro- tionale Märkte zu adressieren. In Kapitel 4 werden zwei gramme des BMWi, wie beispielsweise Autonomik für aus den Ergebnissen der Interviews abgeleitete Ideal- Industrie 4.0 (BMWi, 2011), Smart Service Welt (BMWi, typen beschrieben. Diese Idealtypen bieten eine prakti- 2016b) oder PAiCE (BMWi, 2015). Allein in diesen drei sche Orientierung für das Design und den Aufbau einer Programmen wurden und werden über 30 Verbundpro- digitalen Plattform. Zudem werden allgemeine Schluss- jekte mit starkem Plattformcharakter mit knapp 100 Mio. folgerungen für Unternehmen abgeleitet, die aktuell Euro gefördert (eine stichprobenhafte Übersicht aktueller daran arbeiten plattformbasierte digitale Geschäftsmo- damit im Zusammenhang stehender Projekte findet sich delle zu entwickeln, eine Plattform aufbauen oder eine im Anhang auf S. 24). Auch in themenoffenen Program- bestehende Plattform optimieren. Die Studie soll damit men wie ZIM (BMWi, 2017b) spielt die Digitalisierung ergänzend zu zentralen Dokumenten, wie beispielsweise eine wichtige Rolle. Um das mit der Förderung intendier- dem Grünbuch Digitale Plattformen, einen Beitrag zur te volkswirtschaftliche Potenzial zu heben, stehen die Bewältigung der Herausforderungen der digitalen Trans- Unternehmen vor der Herausforderung, die Ergebnisse formation leisten.
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 11 2 Eigenschaften digitaler Plattformen und digitaler Plattformmärkte Die Plattformisierung der Wirtschaft ist ein oft genanntes Plattformen ist jedoch, dass die Effekte, die auf mehrsei- Schlagwort in der aktuellen Diskussion zur voranschrei- tigen Märkten eine Rolle spielen, bei digitalen Märkten tenden Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft. besonders stark hervortreten und sich in ihrer Wirkung Der Plattformbegriff hat unterschiedliche Ausprägungen zum Teil gegenseitig verstärken. Charakteristisch für und schließt im industriellen Kontext häufig auch Tech- digitale Märkte – und damit auch für digitale Plattform- nologien oder Standards mit ein. In dieser Studie bezieht märkte – ist die hohe Skalierbarkeit und Reichweite. Da sich der Plattformbegriff hingegen ausschließlich auf (zusätzliche) Rechenkapazität keinen technischen Engpass digitale Plattformen, die zwei oder mehr Akteursgruppen darstellt und schnell und flexibel angepasst werden kann, im Markt miteinander verbinden. Entsprechend werden kann eine Plattform in sehr kurzer Zeit schnell und flexibel die Begriffe digitale Plattformmärkte und digitale mehrsei- auf zusätzlichen Bedarf reagieren. Zudem sind dem digi- tige Märkte als Synonyme verwendet und sind wie folgt talen Angebot prinzipiell keine geographischen Grenzen definiert: gesetzt, auch wenn es natürlich kulturelle, sprachliche und juristische (unterschiedliche Rechtssysteme) Hürden Eine digitale Plattform verknüpft zwei oder mehr un- und Barrieren geben kann. terschiedliche Akteursgruppen im Markt, wobei die Gruppen jeweils von der Größe der anderen Gruppe/n Wie in allen digitalen Märkten spielen Daten bei digitalen profitieren und ohne die Plattform nicht, oder nicht Plattformen eine zentrale Rolle. Zum einen eröffnen sich so effizient, interagieren können. Ein so konstituierter so Möglichkeiten für die interne Weiterentwicklung und Plattformmarkt wird auch als zweiseitiger bzw. mehr- Steuerung der durch die Plattform angebotenen Produkte seitiger Markt bezeichnet. und Dienstleistungen. Zum anderen eröffnet die Daten- auswertung noch weitere Verwertungs-möglichkeiten Dieses Kapitel setzt sich mit den Eigenschaften digitaler bzw. Geschäftsmodelle, die immer im Spannungsfeld Plattformen und digitaler Plattformmärkte auseinander. Es zwischen möglichen Analyseerkenntnissen und Daten- fasst dabei zentrale Erkenntnisse der Literatur zu (digita- schutzfragen steht. Immer dann, wenn Daten zwischen len) mehrseitigen Märkten zusammen. Die Marktdynamik den Akteuren ausgetauscht werden, sind auch Fragen der im Bereich digitaler Plattformen folgt spezifischen Eigen- (In-)Kompatibilität und Interoperabilität wichtig.1 schaften und Gesetzmäßigkeiten, die sich umfassend von nicht digitalen Marktstrukturen ohne Plattformen unter- 2.1.2 Niedrige Transaktionskosten scheiden. Im Folgenden werden zunächst die Besonder- Die Bedeutung von Transaktionskosten lässt sich mit fol- heiten von digitalen mehrseitigen Märkten dargelegt. gendem Beispiel erläutern: Car-Sharing-Ansätze gibt es Anschließend werden darauf aufbauend die zentralen seit Ende der 80er-Jahre, dennoch hat sich Car-Sharing Schlüsselfaktoren für die Etablierung erfolgreicher digita- erst in den letzten Jahren wirklich durchgesetzt. Dies ler Plattformen besprochen. liegt daran, dass Car-Sharing lange Zeit zu aufwendig war. Hinderlich waren die monetären und nicht mone- 2.1 Eigenschaften digitaler mehrseitiger Märkte tären Kosten, die damit einhergehen: Zugang zum Auto (Schlüsselübergabe), Absprache bzgl. des Abstellortes, 2.1.1 Hohe Skalierbarkeit und Reichweite sowie die Logistik der Bereitstellung aller benötigten Fahrzeuge Datenauswertung sowie Organisation und Kontrolle des Auftankens. Erst Mehrseitige Märkte bzw. Märkte mit Plattformen sind an sich keine neuen Phänomene. Messen, Supermärkte oder 1 Zum Thema Kompatibilität und indirekte Netzwerkeffekte (siehe wei- Reisebüros sind Plattformen. Das Besondere an digitalen ter unten) in Bezug auf Softwaresysteme siehe Engelhardt (2006).
12 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen mit den technischen Möglichkeiten – insbesondere den digitalen Plattformen (wie bspw. Uber, Airbnb, Amazon Smartphones (Stichwort Car-Sharing-Apps) – wurden etc.) veranschaulicht eindringlich, dass digitalen Plattfor- die Voraussetzungen geschaffen, Car-Sharing einfach men ein hohes Vertrauen in ihre zentralen Geschäftsmo- und kostengünstig zu realisieren und damit für die breite delle entgegengebracht wird. Masse praktikabel zu machen. Damit wurde Car-Sharing, zumindest in Großstädten, zu einer erfolgreichen sozialen Abbildung 1 skizziert sehr vereinfacht die klassische Innovation, die sich insbesondere in den letzten Jahren Geschäftsabwicklung ohne eine Plattformbeteiligung. verstärkter Beliebtheit erfreut. Anders ausgedrückt: Tech- Ein Unternehmen steht in direkter Geschäftsbeziehun- nische Veränderungen haben die Transaktionskosten beim gen mit einem Zulieferer. Die Realisierung einer weiteren Car-Sharing drastisch reduziert (Hildebrandt/Hanelt/Pic- Geschäftsbeziehung mit dem zweiten Zuliefererunterneh- cinini/Kolbe/Nierobisch, 2015). men ist jedoch aufgrund der Transaktionskosten fraglich. Sind die Informations-, Verhandlungs- und Vertragskosten Grundsätzlich gilt, dass mehr (weniger) Markttransakti- sowie die Anpassungs-, Kontroll- und Durchsetzungs- onen stattfinden, je geringer (höher) die damit verbun- kosten zu hoch, kommt die zweite Lieferbeziehung nicht denen Transaktionskosten sind (North, 1987): Ob eine zustande. Transaktion stattfindet ist davon abhängig, wie aufwen- dig es ist, einen geeigneten Geschäftspartner zu finden (Informationskosten), den Vertrag abzuschließen (Verhand- lungs- und Vertragskosten) ggfs. nachträgliche Vertrags- anpassungen durchzuführen (Anpassungskosten) sowie die Erfüllung der vertragliche Leistungen zu kontrollieren bzw. durchzusetzen (Kontroll- und Durchsetzungskosten) (Stavins, 1995). Damit beeinflussen Transaktionskosten, ob – wie im Beispiel Car-Sharing – bestimmte ökonomische Aktivitäten überhaupt stattfinden. Aus der Perspektive der Unternehmen beeinflussen Transaktionskosten zentral die Entscheidung, ob eine Leistungserstellung im Unterneh- men selbst umgesetzt wird anstatt die Leistung über den Abbildung 1: Etablierte und potentielle Beziehung in einem Markt ohne Plattform: Markt einzukaufen (Stichwort: Make-or-buy-Entscheidung Der graue Kreis stellt ein Unternehmen dar, das Geschäftsbeziehungen mit einem Zulieferer (linker blauer Kreis) hat. Die Realisierung einer weiteren Geschäftsbe- und Outsourcing). Hohe Transaktionskosten führen ten- ziehung mit dem zweiten Zuliefererunternehmen (gestrichelte Linie) kommt nicht denziell zu einer stärkeren Integration von Produkten und zustande, wenn diese zu aufwendig ist. Hohe Informations-, Verhandlungs- und Vertragskosten sowie die Anpassungs-, Kontroll- und Durchsetzungskosten ma- Dienstleistungen im Unternehmen (Coase, 1937). chen die Etablierung dieser zweiten Marktbeziehung unrentabel. Technischer Fortschritt kann Transaktionskosten verän- Wenn es nun einer Plattform gelingt, durch ein entspre- dern. Die erfolgreichen neuen Geschäftsmodellansätze chendes Leistungsangebot die Transaktionskosten signi digitaler Plattformen haben gemeinsam, dass sie die fikant zu senken, kann sich der Plattformanbieter als transaktionskostensenkenden Potentiale digitaler Techno- Intermediär zwischen den Marktteilnehmern etablieren logien in hohem Maße einsetzen und neue bzw. zusätzli- und so die Marktbeziehungen fundamental ändern. In che Markttransaktionen ermöglichen; damit einher gehen dem fiktiven Beispiel hat nun das graue Unternehmen Veränderungen existierender Marktbeziehungen. Die sehr (zusammen mit einem weiteren Unternehmen) über die hohe Marktkapitalisierung der aktuell dominierenden Plattform Zugang zu mehreren Zulieferern (Abbildung 2).
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 13 Darüber hinaus können Plattformen auch ganz neue (siehe Infobox „Blockchain-Technologie reduziert Transak- Märkte schaffen, z. B. wenn die Plattform die Vorausset- tionskosten für digitale Plattformen“). zung für ein Gesamtsystem darstellt, also die Grundlage ist, um mehrere komplementäre Dienste oder Produkte 2.1.3 Starke Netzwerkeffekte miteinander zu verknüpfen. Beispiele sind hier Betriebs- Digitale Plattformen verknüpfen sehr viele Akteure aus systeme, die Hardware- und Anwendungssoftware- mindestens zwei, oft jedoch mehr, unterschiedlichen Komponenten verbinden, sei es im PC-Markt oder bei Gruppen im Markt. Da diese Akteursgruppen miteinander den Mobile Devices (Smartphones und Tablets). Solche interagieren wollen, hängt die Attraktivität einer Plattform Plattformen koordinieren das Gesamtsystem, stellen die – neben den transaktionskosten-senkenden Maßnah- Interoperabilität innerhalb des Gesamtsystems sicher und men (siehe oben) – davon ab, zu wie vielen potentiellen reduzieren so die Transaktionskosten (Koordinationskos- Transaktionspartnern sie den Zugang ermöglicht. Grund ten) für die mit dem Ökosystem der Plattform verbunde- sind sogenannte positive indirekte Netzwerkeffekte: Jede nen Akteure. Gruppe profitiert von der Netzwerkgröße der anderen Gruppe/n (Peitz, 2006, S. 322f). Dieses Prinzip ist in Abbil- dung 3 veranschaulicht. Abbildung 3 Die Plattform als zentraler Akteur in einem zweiseitigen Markt mit positiven indirekten Netzwerkeffekten: Für die blauen Akteure ist die Plattform attraktiver, je mehr graue Akteure die Plattform nutzen – und umgekehrt. Die Plattform muss diese Wechselbeziehung (auch als Henne-Ei-Problem bekannt) bei Abbildung 2: Markt mit einer (digitalen) Plattform. Die Plattform ermöglicht den allen strategischen Entscheidungen berücksichtigen. Marktakteuren einen vereinfachten Zugang zu mehren Akteuren der jeweils anderen Seite (grau bzw. blau). Durch die so gesenkten Transaktionskosten können mehr Transaktionen realisiert werden. Die indirekten Netzwerkeffekte führen zu sich gegenseitig verstärkenden Effekten – im positiven wie im negativen Aktuelle Technologieentwicklungen bieten neue Möglich- Sinne. Entsprechend stehen Plattformanbieter, die sich keiten, die Transaktionskosten von Plattformen signifi- erst im Markt etablieren müssen (Newcomer), vor einer kant weiter zu senken. Das wohl prominenteste Beispiel besonderen strategischen Herausforderung, dem soge- dafür ist aktuell die Blockchain-Technologie. Sie besitzt, nannten Henne-Ei-Problem: Ihre Plattform ist für die eine entgegen der allgemeinen Berichterstattung, weniger Gruppe nur dann attraktiv, wenn viele Akteure der ande- das Potenzial, Plattformen abzulösen. Im Gegenteil, sie ren Gruppe/n die Plattform nutzen und umgekehrt (Peitz, kann Plattformen in ihrem entscheidenden Erfolgsmerk- 2006, S. 323). Um hier eine kritische Masse zu erreichen, mal, dem Senken von Transaktions-kosten, weiter stärken müssen neue Plattformen kreative Lösungen umsetzen.
14 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen Blockchain-Technologie reduziert Transaktionskosten für digitale Plattformen Im Rahmen der aktuellen Diskussion um die Plattform- ist RWE mit Slock.it (einem Start-up, das eine Block- ökonomie wird umfassend diskutiert inwiefern die sog. chain-Technologie entwickelt) eine Partnerschaft ein- Blockchain-Technologie das Potenzial hat, existierende gegangen und möchte damit das automatisierte Laden zentral organisierte digitale Plattformen unter Druck von Elektroautos realisieren. Perspektivisch sind unter- zu setzen oder gar abzulösen (Swan, 2015). Die wohl schiedlichste Anwendungen in verschiedenen Bereichen prominenteste Anwendung der Blockchain-Technologie denkbar, Industrie 4.0, Smart-Home, Energieversorgung ist die Crypto-Währung Bitcoin. Dabei ist allerdings zu oder autonomes Fahren repräsentieren nur eine kleine beachten, dass auch Plattformen eine zentrale Vermitt- Auswahl an Themen, für die die Blockchain zukünftig lerrolle zukommt. So werden Zahlungen über die soge- relevant sein könnte (Bergmann, 2016). Beispielsweise nannten Bitcoin-Wallets initiiert. Das disruptive Potenzial ist die Technologie auch für den Export von Technologi- der Crypto-Währung besteht darin, Markttransaktionen en in Länder mit schwachen Institutionen (z. B. mit Blick ohne Clearing-Häuser abzuwickeln und damit die Trans- auf die Durchsetzung von Eigentumsrechten) relevant, aktionskosten deutlich zu senken. weil die Umsetzung der Rechte am physischen Eigen- tum durch die Blockchain gesteuert werden kann (Wa- Zu den zentralen Alleinstellungsmerkmalen der Block- genknecht, 2016). chain-Technologie gehört es, dass eine Authentizität der Nutzerinnen und Nutzer nicht zwingend erforderlich ist. Gleichzeitig gibt es bestimmte Hindernisse für die Rein technisch kann die Blockchain jedoch auch an die Blockchain-Technologie. Das vermutlich größte Hinder- Authentifizierung der Nutzerin bzw. des Nutzers gekop- nis stellt die Länge des Registers (Blockchain) dar. Es pelt sein. Auch ist die Technologie durch hohe Sicher- entsteht dadurch, dass eine neue Transaktion mathe- heitsstandards gekennzeichnet, weshalb sie als Enabler matisch verifiziert werden muss und dabei alle Trans- für Smart-Contracts gesehen wird. Als gängiges Beispiel aktionen, die im Register gespeichert sind, rechnerisch werden Kreditverträge für Autos genannt: Geraten Käu- berücksichtigt werden müssen. Je mehr Einträge vor- fer mit der Tilgung der Raten in Verzug, lässt sich dies handen sind, umso länger dauert daher die Verifizie- elektronisch ermitteln und zeitgleich der Zugang zum rung eines neuen Eintrages. Wenn also besonders viele Fahrzeug sperren. Eine Entsperrung ist erst vorgesehen, Transaktionen, möglicherweise zeitgleich, vorgenom- wenn die Raten zzgl. Strafzahlungen beglichen sind. men werden, erreicht die Blockchain-Technologie ihre Damit lassen sich ex-ante Prüfkosten reduzieren (ein praktische Grenze. Daher wird insbesondere mit dem Nutzerprofil ist nicht erforderlich) und Leasingverträge Einsatz im IoT-Umfeld an neuen Technologien gearbei- ohne den Nachweis der Kreditwürdigkeit erstellen. So tet, die zwar auf der Blockchain-Technologie begründet entstehen Möglichkeiten zur Bündelung von Markt- sind, jedoch bisherige Probleme lösen (bspw. IOTA 1). transaktionen und es kommt zu veränderten Kunden- Festzustellen bleibt, dass Technologien zur dezentralen, Anbieter-Konstellationen entlang der Wertschöpfungs- verteilten Transaktionsabwicklung, wie Blockchain oder kette. Im Ergebnis kann die Bedeutung spezifischer IOTA, Plattformen nicht bedrohen oder diese gar ver- Plattformen zunehmen, welche die Abwicklung von drängen werden. Es bietet sich allerdings das Potenzial Transaktionen ermöglichen, die über smarte Verträge an mit Hilfe dieser Technologien die Transaktionskosten für weitere Transaktionen geknüpft sind. die Plattformen weiter zu senken. Damit können bei sinkenden Kosten mehr und komplexere Transaktionen Die aktuell hohe Aufmerksamkeit für die Blockchain- durch eine Plattform abgewickelt werden. Technologie resultiert aus den Möglichkeiten, die sich über den Finanzsektor hinaus ergeben. Beispielsweise 1 https://iotatoken.com
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 15 Auch bei der Preissetzung sind indirekte Effekte zu be- rücksichtigen. Dies sei wieder am Beispiel des grau-blau- en, zweiseitigen Marktes erläutert: Eine Preiserhöhung der Plattform für die blauen Akteure führt, je nach Preissen- sitivität, zu einem mehr oder weniger starken Rückgang bei der blauen Gruppe. Solange der Preisanstieg diesen Nutzungsrückgang überkompensiert, steigt der Umsatz. Der Nettoeffekt für die Plattform wäre also positiv. So- weit der ganz normale Preissetzungseffekt. Bei zweiseiti- Abbildung 4: Besondere Marktdynamik im „Winner-takes-all-Markt. Auf der linken gen Märkten kommen zu diesen direkten Effekten noch Seite ist die idealtypische Entwicklung der Marktanteile zweier konkurrierender Plattformen dargestellt. Die rechte Seite zeigt, dass eine Plattform für die Nutze- die indirekten Effekte hinzu. Auf Grund der indirekten rinnen und Nutzer um so attraktiver ist, je mehr Nutzerinnen und Nutzer diese Netzwerkeffekte wird die Plattform für die graue Seite Plattform bereits nutzen (vereinfacht ausgedrückt duch den Marktanteil). Dadurch baut die Plattform mit dem größeren Maktanteil einen immer stärkeren Vorteil auf, weniger attraktiv, sobald die blaue Gruppe geringer wird. der ab dem Erreichen einer kritischen Masse nicht mehr einzuholen ist, so dass am Ende nur eine Plattform mit 100 % Marktanteil im Markt verbleibt (The winner Daher würde auch bei der grauen Gruppe ein Rückgang takes it all). Quelle: linke Seite: (Shapiro/Varian, 1998), S. 177, rechte Seite eine zu verzeichnen sein, so dass der Gesamtumsatz sinkt. eigene Darstellung. Umgekehrt könnte eine Preissenkung auf Grund indirek- ter Netzwerkeffekte überkompensiert werden, so dass der Die in Abbildung 4 dargestellte Marktdynamik veran- Nettoeffekt auf den Umsatz und Gewinn der Plattform schaulicht, dass die Zeit beim Aufbau der Plattform zu positiv wäre. einem kritischen Faktor gehört. Um die kritische Masse als „erste“ Plattform zu erreichen, ist es wichtig, frühzeitig 2.1.4 Besondere Marktdynamiken und offensiv in den Markt zu gehen und eine entspre- Digitale Märkte sind generell durch eine hohe Dynamik chend hohe Nutzerzahl aufzubauen. Diese Phase ist res- gekennzeichnet: Die rasante Entwicklung neuer Techno- sourcenaufwendig und risikoreich. In diesem Zusammen- logien und Datenauswertungsmethoden und der Eintritt hang spielen auch Erwartungen eine große Rolle: Erwartet von neuen Wettbewerbern mit innovativen Geschäftsmo- eine Gruppe, dass viele Akteure der anderen Gruppe/n dellen führt dazu, dass diese Märkte sich ständig verän- die Plattform nutzen werden, werden sie sich anmelden dern. Diese Dynamik wird durch die indirekten Netzwerk- und die Plattform für die anderen Akteure der anderen effekte noch einmal verstärkt. Gruppe/n attraktiv machen (Roson, 2005). Die positiven, sich verstärkenden indirekten Netzwerk Die durch Netzwerkeffekte induzierten Marktdynamiken effekte können dazu führen, dass eine Plattform, sobald können dazu führen, dass einzelne Plattformen eine sie eine bestimmte kritische Masse überschritten hat, zur dominierende Stellung einnehmen und sich als quasi- dominierenden, wenn nicht sogar der alleinigen Platt- natürliches Monopol am Markt etablieren (Engelhardt/ form wird. Abbildung 4 zeigt stilisiert diese Marktdynamik Freytag/Köllmann, 2013). Allerdings gibt es Aspekte, die für einen vereinfachten Fall. Ausgangspunkt sind zwei der durch die Netzwerkeffekte verursachten Monopolisie- identische Plattformen, die um Marktanteile konkurrie- rungstendenz entgegenwirken (Bundeskartellamt, 2015; ren und zum gleichen Zeitpunkt in den Markt eintreten. Engelhardt/Freytag/Köllmann, 2013; Haucap/Wenzel, Die Plattform, der es besser gelingt, beide Marktseiten 2011): zu bedienen, wird in einem solchen Markt als alleiniger 1) Differenzierung der Plattformen: Plattformen können Anbieter enden, weil durch die positiven Netzwerkeffekte versuchen, sich in ihrem Angebot hinreichend von die erfolgreichere bzw. größere Plattform bevorzugt wird konkurrierenden Plattformen abzugrenzen, beispiels- („Winner-takes-all-Markt“). weise durch die Spezialisierung auf bestimmte Pro- dukt- oder Nutzergruppen sowie dem Leistungsspekt- rum (Zusatzdienste).
16 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 2) Multihoming: Der Aspekt des Multihoming (Kompa- 2.2.1 Funktion der Plattform tibilität) betrifft die Frage, ob Akteure einer Gruppe Die grundlegende Funktion, die eine digitale Plattform im (z. B. Anbieter von bestimmten Leistungen) mehrere Markt erfüllt, wird dadurch bestimmt, welche Leistungen Plattformen parallel nutzen können. In Abbildung 5 diese Plattform für welche Akteursgruppen anbietet. Die- ist eine Marktsituation mit Multihoming dargestellt. se beiden Aspekte sind eng miteinander verknüpft, wenn In diesem Markt konkurrieren zwei Plattformen, da- auch nicht identisch. Im Kern geht es um die Frage, wer bei gibt es auf beiden Marktseiten (graue und blaue mit welchen Leistungen angesprochen und an die Platt- Akteure) Nutzerinnen und Nutzer, die beide Plattfor- form gebunden werden soll. men nutzen. Ist Multihoming möglich, reduziert dies die Tendenz zur Herausbildung einer (dominierenden) Bei der Frage, welche Leistungen die Plattform im Markt Plattform. anbieten will, lassen sich schematisiert zwei Ansätze un- terscheiden (ähnlich Evans/Gawer, 2016) 2. Bei transaktionszentrierten digitalen Plattformen steht im Zentrum die Funktion als Vermittler, d. h. die Plattform bringt Angebot und Nachfrage zusammen und ermöglicht die Realisation von Transaktionen (wie bei einem klassischen Marktplatz). Eine solche Plattform kann mehrere Funktionen anbieten, die die Transaktionskosten senken: 1. Eine gute Suchfunktion vereinfacht das Auffinden Abbildung 5: Zweiseitiger Markt mit Multihoming. Multihoming umschreibt den potentieller Transaktionspartner und die Auswahl des parallelen Einsatz mehrerer Plattformen auf einzelnen Nutzerseiten. Mitglieder einer Gruppe (z. B. die Nachfrager) nutzen mehrere Plattformen. Dies erlaubt der passenden Partners (Matching). In der Datenbank kön- anderen Gruppe (z. B. den Anbietern) Spielraum bei der Wahl der jeweiligen Platt- nen zahlreiche wichtige Informationen hinterlegt sein, formangebote. Durch den mit Multihoming verbundenen Wettbewerb reduziert sich die Marktmacht einzelner Plattformen. die es erleichtern, den passenden Geschäftspartner zu finden. Dies senkt drastisch die Informationskosten. 2.2 Schlüsselfaktoren erfolgreicher Plattformen 2. Durch standardisierte Verträge, Vertragsmuster oder Vertragsgrundsätze für die Transaktionen, die über die Digitale Plattformen sind nur dann erfolgreich, wenn sie Plattform abgewickelt werden (vgl. hier zum Beispiel die besonderen Marktkräfte berücksichtigen, die in digi- die Regeln bei eBay), kann die Plattform Verhand- talen zweiseitigen Märkten wirken. Aus den oben darge- lungs- und Vertragskosten senken. stellten Eigenschaften digitaler mehrseitiger Märkte und 3. Durch die Installation von Reputationsmechanismen der Erfahrung über den Erfolg und Misserfolg von (digi- (Bewertungen), Schiedsstellen bzw. Settlement-Verfah- talen) Plattformen lassen sich Schlüsselfaktoren für den ren sowie weiteren Schutz- oder Versicherungsmecha- erfolgreichen Aufbau digitaler Plattformen ableiten. Diese nismen (ähnlich dem „PayPal Käuferschutz“) kann die Schlüsselfaktoren adressieren dabei die folgenden sechs Dimensionen: Die Funktion der Plattform, das Finanzie- 2 Evans und Gawer unterscheiden insgesamt vier Plattformtypen: rungs- und Erlöskonzept, die Offenheit der Plattform, die neben der Transaktions-Plattform und der Innovations-Plattform (die unserer datenzentrierten Plattform sehr ähnlich ist) noch die Integ- Unabhängigkeit der Plattform, der Kontakt zu anderen rierte Plattform (eine Kombination aus Transaktions- und Innovations- Marktteilnehmern und dynamische Strategien. Plattform) sowie die Investment-Plattform.
Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen 17 Plattform Anpassungs-, Kontroll- und Durchsetzungs- Eine Aufbereitung und Auswertung der angefallenen kosten mindern. Daten ist insbesondere bei datenzentrierten digitalen Plattformen naheliegend und oft der Fall – allerdings nicht Eine Plattform kann auch als Komplett-Anbieter auftreten zwingend (so könnte eine Plattform z. B. Komponenten in dem Sinne, dass Nachfrager von Leistungen gar nicht verknüpfen oder Daten in einer Cloud sammeln, ohne mehr mit den Anbietern sondern mit der Plattform den selber eine Aufbereitung und Auswertung der Daten Vertrag abschließen – „X as a Service“-Modelle gehen vorzunehmen). genau in diese Richtung. Die beiden Ansätze der transaktionszentrierten und der Bei datenzentrierten digitalen Plattformen steht die daten- datenzentrierten digitalen Plattform unterscheiden sich basierte Vernetzung im Zentrum. Durch die Plattform wird in ihrer Schwerpunktsetzung, können an den Rändern so ein datenbasiertes Gesamtsystem geschaffen. Werden allerdings durchaus überlappen. So können z. B. transak- hierbei komplementäre Produkte (Hardware, Software, tionszentrierte digitale Plattformen datenbasierte Erkennt- Daten und/oder Dienstleitungen) zu einem wachsen- nisse aus den Marktplatzaktivitäten (Marktdaten) generie- den Gesamtsystem verknüpft, so wird dies als digitales ren und diese den Akteuren oder Dritten zur Verfügung Ökosystem bezeichnet. Ein prominentes Beispiel ist hier stellen. der Ansatz von Google mit Android (Hardware-Hersteller, App-Programmierer und Endnutzer). Eng verbunden mit der Frage, welche Leistungen die Plattform anbieten will bzw. welchen grundsätzlichen Eine datenzentrierte digitale Plattform sorgt für Kom- Ansatz sie hier verfolgt (transaktionszentriert vs. daten- patibilität und Interoperabilität zwischen den System- zentriert), ist die Frage welche bzw. wie viele verschiedene Komponenten (bzw. den Daten) und schafft durch diese Akteursgruppen über die Plattform verknüpft werden sol- transaktionskostensenkende Funktion die Voraussetzung len. So ist es denkbar, dass eine Plattform sowohl im B2C- für das Funktionieren des Gesamtsystems. Aufgrund als auch B2B Bereich aktiv ist. Aber auch z. B. innerhalb ihrer zentralen Rolle für das Funktionieren des Gesamt- des B2B Bereiches stellt sich die Frage, ob sich auf eine systems ist es naheliegend, dass sich die Plattform auch bestimmte Nische spezialisiert oder bestimmte Nischen um das Usability- und Zufriedenheitsmanagement des bewusst ausgespart werden sollen usw. Auch der Verkauf Gesamtsystems kümmert. Während bei transaktionszen- von Marktdaten an Dritte bedeutet unter Umständen, trierten Marktplätzen die Plattform z. B. typischerweise dass eine weitere Akteursgruppe eingebunden wird. keinen Installationssupport für über die Plattform gekauf- te Hardware übernimmt, bieten datenzentrierte digitale 2.2.2 Umsatz- und Erlöskonzept Plattformen oft Unterstützung an, wenn z. B. bestimmte Je nach Markt und Geschäftsmodell sind unterschiedliche Systemkomponenten nicht (mehr) funktionieren oder sich Ansätze für die Umsatzgenerierung sinnvoll. Im Kern geht nicht installieren lassen. Dabei kann das Usability- und es darum, welche Leistungen wie bepreist werden sollen – Zufriedenheitsmanagement der Plattform unterschiedlich dabei müssen nicht zwingend alle Leistungen, welche die umgesetzt werden. Idealtypisch sind dabei die beiden Plattform anbietet, auch bepreist werden. Ansätze der dezentralen „vor Ort“-Lösung (z. B. zertifi- Wie oben bereits angesprochen, muss eine Plattform zierte und/oder geschulte Installateure vor Ort) und des bei ihrer Preissetzung auch die Interaktion der Gruppen zentralen Ansatzes (z. B. One-Stop-Shop mit Plug-n-Play) berücksichtigen. Die Kunst ist es, die relativen Preise so zu möglich. setzen, dass die Attraktivität des Gesamtsystems steigt. Es gilt also nicht nur zu beachten, wie stark welche Gruppe
18 Eigenschaften und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen auf Preisänderungen reagiert (Preissensitivität), sondern Dynamische Aspekte und die Signalwirkung von Preis- auch wie stark eine Gruppe auf Änderungen bei der an- setzungen spielen zusätzlich eine Rolle. Es kann sinnvoll deren Gruppengröße reagiert (Bedeutung der indirekten sein, zu Beginn mit niedrigen Preisen in den Markt zu Netzwerkeffekte). Eine asymmetrische Preisgestaltung gehen, um schnell die kritische Anzahl an Nutzerinnen ist in mehrseitigen Märkten daher eher die Regel als die und Nutzern aufzubauen. Oft werden bestimmte Leistun- Ausnahme (Rochet/Tirole, 2003) und auch Preise in Höhe gen kostenlos angeboten, um die Gesamtattraktivität der von Null sowie Zuschüsse (z. B. in Form von unter Kosten Plattform zu erhöhen und damit genügend Nutzerinnen abgegebenen Systemkomponenten) für bestimmte Grup- und Nutzer zu gewinnen oder um zu signalisieren, dass pen sind keine Seltenheit. In allen diesen Fällen subventi- die Plattform ihre (mögliche) Marktmacht nicht kurzfris- oniert eine Gruppe (oder mehrere Gruppen) durch höhere tig ausnutzen will, sondern die Strategie einer langfristig Preise die andere Gruppe. Für die Theorie können dabei nachhaltigen Plattformökonomie anstrebt. Gerade bei zwei Regeln optimaler Preisgestaltung abgeleitet werden datenzentrierten Plattformen geht es nicht darum, bei al- (Peitz, 2006; Rochet/Tirole, 2006; Roson, 2005), die sich len Leistungen möglichst hohe Preise zu erzielen, sondern wie folgt vereinfacht wiedergeben lassen:3 Raum für Wachstum zu schaffen, damit ein nachhaltig ertragreiches digitales Ökosystem entstehen kann. 1. Die Gruppe, die im Vergleich stärker an der Größe der anderen Gruppe interessiert ist, subventioniert diese 2.2.3 Offenheit der digitalen Plattform andere Gruppe und zahlt einen Preis mit entsprechen- Der Aspekt der Offenheit betrifft Fragen nach möglichen dem Aufschlag. Zugangskontrollen, dem Multihoming (siehe auch Kapitel 2. Die Gruppe, die im Vergleich weniger stark auf Preis- 2.1.4) und der Kompatibilität. änderungen reagiert als die andere Gruppe, subventi- oniert diese andere Gruppe und zahlt einen Preis mit Eine Plattform kann eigene Bedingungen zur Teilnahme entsprechendem Aufschlag. an der Plattform definieren und so den freien Zugang aus Qualitätsgründen und technischen Gründen begrenzen. In der Praxis sind die notwendigen Informationen auch Damit kann sie Einfluss auf die Qualität der angebotenen durch Marktanalysen oft nicht (oder nur schwer bzw. Produkte, Services und Daten bzw. der technischen Vor- unzureichend) zu beschaffen und die optimalen Preise aussetzungen nehmen. Ist die Möglichkeit eines nachträg- müssen durch Befragungen und/oder Verhaltens-beob- lichen Ausschlusses gegeben, hat die Plattform zudem ein achtungen (Trial & Error) herausgefunden werden. Bei der Instrument, um zu gewährleisten, dass die Akteure seriös Frage, ob z. B. der Zugang oder die Transaktion bzw. das auftreten und sich an definierte Abmachungen halten. genutzte Datenvolumen – oder beides – bepreist werden soll, sind neben den direkten (Eigenarten der jeweiligen Beim Multihoming geht es darum, ob es für die Platt- Gruppe) auch die indirekten Effekte zu berücksichtigen. form sinnvoll ist, die parallele Nutzung weiterer Plattfor- So ist es nicht untypisch, dass sich unterschiedliche Grup- men zu verhindern und ob dies überhaupt durchsetzbar pen ganz unterschiedlichen Preisstrukturen gegenüber ist. Solche Beschränkungen werden oft als sehr kritisch sehen. wahrgenommen, können wettbewerbs- bzw. kartellrecht- lich problematisch sein (vgl. u. a. das EU Verfahren gegen 3 Technisch korrekt lauten die beiden Regeln: 1.) Die Gruppe, welche Google) und sind zudem nicht immer technisch durch- die relativ stärkeren indirekten Netzwerkeffekte generiert wird von bzw. umsetzbar. der anderen Gruppe subventioniert. 2.) Die Gruppe, welche die relativ höhere Preissensitivität hat wird von der anderen Gruppe subventioniert.
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