Ein Gespräch mit Sozialethiker Hans Ruh - LERNEN, BESCHENKTE ZU SEIN - Reformierte Kirche ...
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Nr. 6 Juli_August 2021 Zeitschrift für die Mitarbeitenden der Zürcher Landeskirche LERNEN, BESCHENKTE ZU SEIN Ein Gespräch mit Sozialethiker Hans Ruh UND AUSSERDEM: «Grüner Güggel»-Zertifikat — Kirche und «Tischlein deck dich» — Passionierte Stadtführerin
2 EDITORIAL 3-5 AKTUELL Nachrichten 5 BLOG Den Mitgliederschwund in der Kirche MADELEINE STÄUBLI-RODUNER theologisch reflektieren Redaktorin «notabene» Liebe Leserin, lieber Leser 6 SCHWERPUNKT «Die Sonne scheint unentgeltlich – keiner bezahlt für sie», sagt Sozialethiker Hans Ruh. Ethik und die Kraft der Sein Grundnarrativ lautet daher: Wir dürfen Bergpredigt: im lernen, dass wir auf der Erde Beschenkte sind. Daraus folgert er als zentrales Stich- Gespräch mit Hans Ruh wort des Umgangs miteinander: einander beschenken. Um seiner Forderung nach einer an der Lebensdienlichkeit orientierten 10 Gesellschaft Nachdruck zu verleihen, hat der Kirche und Tischlein bekannte Sozialethiker seine wichtigsten Beiträge aus 50 Jahren im neuen Sammel- deck dich im Chilehuus band «Anleitung zur Menschlichkeit» publi- Affoltern am Albis ziert. Im Gespräch spricht er über seine aktuell gebliebenen Forderungen, darunter etwa jene nach einer sozialen Demokratie, 12 die allen Menschen wieder die nötige Aner- kennung und die Gewissheit gibt, mit ihrer Themen und Termine Arbeit einen Beitrag leisten zu können und sich in der Öffentlichkeit nicht schämen zu müssen (Interview ab Seite 6). 15 Für die Vergessenen, die am stärksten an PORTRÄT den grossen Ungleichheiten unter den Men- schen leiden, setzen sich mit ganz anderen Unterwegs mit der Vorzeichen die Aktiven des Vereins «Tischlein Reformations- deck dich» ein. Die Organisation mit Sitz in Winterthur sammelt «überschüssige» Le- Erzählerin bensmittel und verteilt sie mit Hilfe von Angestellten, Zivis und mehreren Tausend Freiwilligen wöchentlich an 136 Abgabestel- 16 len an rund 21 000 armutsbetroffene Men- IMPRESSUM & schen. Bei der Verteilung wirken auch zahl- reiche kirchliche Organisationen mit, CARTOON darunter die Kirchgemeinde Affoltern am Albis. Ein Besuch der Abgabestelle im Chile- huus Affoltern gibt Einblick in eine unver- zichtbare Freiwilligenarbeit, deren Auswir- kungen das von Hans Ruh hervorgehobene Narrativ des gegenseitigen Schenkens als konkretes Geschehen sichtbar machen. Den Artikel finden Sie auf Seite 10. Wir wünschen Ihnen eine gute Sommerzeit!
AKTUELL 3 QUEST AUSSPRACHESYNODE —Der fünfte Jahrgang des —Synodale besuchen Quereinstiegs Kirchgemeinden KOM. Als Juristin, Deutschlehrer, Psychologin oder kom. Die Kirchensynode vom 14. September wird Musiker einen Richtungswechsel vornehmen und als Aussprachesynode mit dem Titel «Land und reformierte Pfarrerin oder reformierter Pfarrer wer- Stadt: kirchliche Perspektiven im globalen Dorf» den: Dafür haben sich seit der Lancierung des Stu- stattfinden. Die Synodalen werden in Gruppen zu je diengangs «Quest – Quereinstieg in den Pfarrberuf» zehn Personen in verschiedenen Kirchgemeinden über 60 Personen entschieden. 16 davon sind inzwi- zu Gast sein. Bei der Auswahl der Gastgemeinden schen im Pfarramt tätig und bringen ihre beruflichen haben die Verantwortlichen auf eine möglichst Kompetenzen in der Kirche ein. grosse Vielfalt geachtet; sowohl was die Grösse der Im Herbstsemester 2021 startet der fünfte Jahr- Kirchgemeinden angeht, als auch ihre Lage (städ- gang des Studienprogramms «Quereinstieg in den tisch oder ländlich) und ihre spirituelle Ausrichtung. Pfarrberuf». Mit dem verkürzten Theologiestudium, Vor Ort werden sich die Synodalen mit Lokalen das an den Theologischen Fakultäten der Universi- treffen (Pfarrpersonen, Mitarbeitende, Behörden- täten Basel und Zürich absolviert werden kann, dau- mitglieder, Freiwillige) und ihnen auf den Zahn füh- ert der Weg ins Pfarramt vier bis fünf Jahre. Wer len, was sie von der Synode als Legislative erwar- sind die Quereinsteiger, die diesen Weg bisher ein- ten, wenn es darum geht, die Kirche zukunftsfähig geschlagen haben? zu machen. Dabei wird der Fokus auf Themen wie Von 66 Personen, die aktuell im Quest-Studien- Mobilität, Mitgliederbindung und Digitalisierung gang studieren oder diesen bereits abgeschlossen gelegt, die sich am Überthema orientieren. Der haben, sind 40 Frauen und 26 Männer. 16 Personen Nachmittag wird dazu genutzt werden, die vor Ort sind bereits im Pfarramt tätig, drei befinden sich im gewonnenen Erkenntnisse in Diskussionsrunden zu einjährigen Lernvikariat, das an das universitäre reflektieren. Obwohl der ganze Tag dezentral orga- Studium anschliesst. 30 Personen sind zwischen 50 nisiert ist, werden die verschiedenen Gruppen digi- und 60 Jahre alt, 20 Personen zwischen 40 und 50 tal vernetzt sein und ihre Ergebnisse teilen. Abge- und 15 Personen zwischen 30 und 40. Bewerben schlossen wird der Tag mit einem gemeinsamen können sich Personen zwischen 30 und 54 Jahren. digitalen Gottesdienst. Die akademischen Hintergründe der Quereinsteiger sind divers. Die grösste Gruppe – 23 Personen – kommt aus den Geisteswissenschaften. Es folgt der Bereich Wirtschaft mit zehn Personen und Rechts- wissenschaft mit acht Personen. Aus welchen Motiven sich erfahrene Berufsleu- STIFTUNG FONDIA te für den Quereinstieg entscheiden, erzählen einige —Für diakonische Initiativen von ihnen in Porträts und Videoclips auf www.bil- dungkirche.ch, etwa die Eiskunstlauftrainerin Lucia KOM. Die Stiftung fondia hat kürzlich ihren Tätig- Bühlmayer, Kommunikationsprofi Jörg Wanzek, keitsbericht 2020 veröffentlicht und ruft gleichzei- Rechtsanwältin Marie-Ursula Kind oder Unterneh- tig auf, Gesuche für sozialdiakonische Projekte zu mensjuristin Anna Hemme-Unger. Der Infoabend stellen. Die Stiftung fördert diakonische Initiativen 2021 findet am 2. September virtuell statt. in der Evangelischen Kirche Schweiz und in deren www.bildungkirche.ch/quest Mitgliedskirchen. Sie schüttet jährlich rund 600 000 Franken aus, verteilt auf etwa 30 Projekte. Der fon- dia-Beitrag dient vor allem als Anschubfinanzie- rung. Es werden aber auch einmalige oder befristete Projekte unterstützt. KIRCHENRAT Wer ein diakonisches Projekt plant oder lan- ciert, aber nicht genug Geld hat, um es umzusetzen, —Den Newsletter allen kann sich bei der Stiftung melden. Nach welchen zugänglich machen Kriterien fondia Beiträge leistet und wie das Ge- suchsverfahren abläuft, erfahren Interessierte auf KOM. Angesichts des grossen Interesses am kirchen- der Homepage www.fondia.ch. Inspiration für dia- rätlichen Newsletter und seiner breiten Wirkung hat konische Projekte liefert die Seite www.diakonie. der Kirchenrat beschlossen, den Verteiler auszuwei- ch/praxis/#fondia. ten und den Newsletter allen Interessierten zugäng- lich zu machen. Dieser kann deshalb künftig wie die anderen thematischen Newsletter über die Website der Landeskirche abonniert werden. www.zhref.ch/organisation/landeskirche/kirchenrat/ newsletter
4 AKTUELL 75 JAHRE HEKS NACHGEFRAGT —Aktiv zum —Eine Fotoausstellung für Grünen Güggel Kirchgemeinden rod. Der erste Konvoi von KOM. In seinem Jubiläumsjahr bietet HEKS für Zürcher Kirchgemeinden ist auf dem Weg Kirchgemeinden seine Fotoausstellung «75 Jahre zum Zertifikat «Grüner Güggel». Nachge- HEKS» an, die die lange und bewegte Geschich- fragt bei Andreas Frei, kirchlicher Umwelt- te des Hilfswerks thematisiert. berater und Fachmitarbeiter beim Verein Im Jahr 1946 gegründet, nahm sich das Hilfs- oeku Kirchen für die Umwelt. werk der Evangelischen Kirchen Schweiz dem Elend der Nachkriegszeit an. Die kirchliche Warum sollen Kirchgemeinden das Zertifi- Hilfs- und Wiederaufbauarbeit wurde im Lauf kat «Grüner Güggel» absolvieren? der Jahrzehnte mit weltweiter Entwicklungszu- Dank dem Legislaturziel «Umweltbewusst sammenarbeit, Nothilfe und Unterstützung von handeln» mit der Massnahme «Umweltma- Flüchtlingen und sozial Benachteiligten ergänzt. nagement verbindlich machen» hat sich im Um diese Engagements in schwierigen Zei- Kanton Zürich ein erster Konvoi auf den ten geht es in der Fotoausstellung. Sie veran- Weg gemacht. Eigentlich dachten wir an schaulicht in 24 Bildern wichtige Wegstationen maximal sechs teilnehmende Kirchgemein- aus 75 Jahren und zeigt bewegende und teilweise den, doch nun sind es acht, inklusive die wenig bekannte Momente aus der 75-jährigen GKD. Keine dieser motivierten Gemeinden Geschichte von HEKS. wollten wir abweisen. Die «Bewahrung der Die Ausstellung mit 24 grossformatigen Ta- Schöpfung» beziehungsweise die Dringlich- feln ist für Innenräume vorgesehen und wird von keit, nachhaltiger zu leben, wird einer HEKS geliefert sowie auf- und abgebaut. Sie wachsenden Anzahl von Mitgliedern in steht interessierten Kirchgemeinden für einen Kirchgemeinden immer wichtiger. Das Zeitraum von drei Tagen bis maximal drei Wo- Umweltmanagement hilft, glaubwürdig und chen zur Verfügung. Ergänzt wird sie mit einer systematisch mit zehn Schritten den ökologi- Begleitbroschüre, in der die Bildlegenden abge- schen Fussabdruck einer Kirchgemeinde druckt sind. Auf Wunsch kommen HEKS-Mitar- anzuschauen und zu verbessern. beitende für Vorträge oder Podiumsdiskussionen an kirchliche Anlässe. Welche Resonanz erhalten Sie aus den www.heks.ch Kirchgemeinden, die sich beteiligen? Die Menschen, die an die Startsitzung des Konvois kamen, waren einerseits sehr moti- viert und wollten gleich loslegen, anderer- seits kamen viele Fragen rund um das Umweltmanagement. Zum Beispiel: Wie DARGEBOTENE HAND viele Personen gehören ins Umweltteam, — Mehr Geld für psychische warum braucht es eine Energiebuchhaltung, wieso gehört auch Arbeitssicherheit zum Gesundheit gefordert Grünen Güggel? Das ist verständlich. Ein KOM. Finanzielle Soforthilfe für die psychische Managementsystem in eine Kirchgemeinde Gesundheit von Jugendlichen und jungen Er- einzuführen, ist etwas Neues. Aber es lohnt wachsenen, die unter den Corona-Massnahmen sich! Alle Unterlagen sind vorhanden, so leiden – dies fordern die Dargebotene Hand, die dass jede Gemeinde erfolgreich diese zehn Stiftung pro Mente Sana und der Fachverband Schritte machen kann. Public Health Schweiz gemäss Infoportal ref.ch in einer gemeinsamen Mitteilung von Mitte Juni. Mit welcher Überzeugung engagieren Sie Darin halten die Organisationen fest, dass die ein- sich als kirchlicher Umweltberater? schränkenden Massnahmen verbreitet zu Einsam- Ich glaube, die Kirche würde den Kairos keit, Schulstress, Unsicherheit auf dem Lehrstel- verpassen, wenn sie sich in unserer Zeit len- und Arbeitsmarkt und zu Zukunftsängsten nicht vehement für die Bewahrung der geführt hätten. Schöpfung einsetzen würde. Weniger Nach Aussage von Sabine Basler, Geschäfts- Treibhausgase, weniger Ressourcenver- führerin der Dargebotenen Hand, haben Themen brauch, mehr Recycling und mehr Genüg- wie psychische Leiden und Gewalt bei Anrufen samkeit: Das alles sind Ziele des Grünen von Jugendlichen um mehr als 100 Prozent zuge- Güggels. Es gibt als Kirchgemeinde keinen nommen. Angesichts dieser Notlage drängt sich glaubwürdigeren Weg, um zu zeigen, dass laut den drei Organisationen ein rascher Ausbau es ihr ernst ist mit der Transformation in bestehender Angebote und eine Soforthilfe von eine enkeltaugliche Zukunft. 125 Millionen Franken auf.
AKTUELL 5 KLOSTER KAPPEL —Erstes Jazz-Festival KOM. «unlock21. Jazz im Kloster»: Vom 19. bis 22. Au- Blog gust findet im Kloster Kappel das erste Jazz-Festival mit Konzertabenden, Workshops und Jazzgottesdienst statt. «unlock21»? Das ist gemäss den Verantwortli- chen ein Stossgebet, dass Gott aufschliessen möge, was in Pandemiezeiten so lange verschlossen war. Als besonderes Highlight findet am Freitag, 20. August, ein Konzert mit dem Thierry Lang Trio statt, welches auch den Jazzgottesdienst am Sonntag mitgestaltet. Das Trio mit Heiri Känzig am Bass, Andi Pupato am STEPHAN JÜTTE Schlagzeug und Komponist Thierry Lang am Flügel Theologe, Leiter RefLab hat einen unverkennbaren Sound: melodiös, viel- schichtig, einfühlsam. Als weiteres Ensemble wird das Trio Müller Kra- Institutionelle Fragen mis Baschnagel aus Zürich mit Herbert Kramis am theologisch beleuchten Bass, Pius Baschnagel am Schlagzeug und Gregor Die Zahlen sehen nicht gut aus. Nur im Müller am Flügel zu hören sein. Zu ihnen stösst dies- letzten Jahr hat die Reformierte Landes- mal die Sängerin Barbara Balzan. Der Jazz dieser kirche des Kantons Zürich fast zehntau- Gruppe fliesst in offener Spielweise aus der eigenen send Mitglieder verloren. Relativ zu den Feder. Sie pflegt reiche Klangkultur mit Emotionalität Mitgliederzahlen sind das fast doppelt und Spielfreude. Kubanische und brasilianische Tradi- so viele wie noch vor fünf Jahren. Wer tionen tauchen ebenso auf wie klassische Motive, alle auf die Taufzahlen blickt, erkennt, dass geführt von der Improvisation. der Schrumpfungsprozess nicht linear Auch das Yves Theiler Trio mit Luca Sisera am verlaufen wird: Nur gut jedes zweite Bass, Lukas Mantel am Schlagzeug und Yves Theiler, Kind aus einem reformierten Haushalt in dem Komponisten und Bandleader am Flügel, wird der Schweiz wird noch getauft. Progres- Kappel beehren. Theiler liebt Experimente und musi- sive Schrumpfung, sozusagen. Und ein kalischen Witz. Zum Reformationsjubiläum 2019 Blick in die Niederlande, in denen die komponierte er Stücke über Kirchenlieder und widme- Protestantische Kirche vielleicht eine te die CD «It’s Huldrych!» – einiges daraus wird zu Generation Vorsprung hat auf die hiesi- Gehör kommen – dem Zürcher Reformator. Das Trio ge Entwicklung, erspart komplizierte träumt hörbar von einer Jazzkirche Zürich. Modellrechnungen. Informationen und Tickets: jazzimkloster.ch (siehe auch Eintrag Der Mitgliederschwund geschieht unter «Themen und Termine», Seite 13). jedenfalls nicht schleichend. Nachdem eine gewisse Selbstverständlichkeit der Kirchenmitgliedschaft vor 30 Jahren weggefallen ist, dürften als Nächstes die staatliche Anerkennung, die Steuern FRAUENSYNODE 2021 juristischer Personen und das Parochi- —Wirtschaft ist Care alsystem, dieses engmaschige Filialnetz aus lauter Hauptgeschäftsstellen, auf KOM. Die Siebte Schweizer Frauensynode lanciert am der Kippe stehen. Fusionen werden 4. September eine «Wirtschaft ist Care-Aktion», die je gewisse Härten abfedern und der nach Corona-Situation mit öffentlichen Führungen in Pfarrmangel wird auf der Personalseite Sursee oder online stattfinden wird. Die Frauensynode grosse Entlassungsprogramme verhin- war letztes Jahr wegen Corona abgesagt worden. An- dern. Aber eine Reformierte Landeskir- stelle des Grossanlasses lancierten die Verantwortli- che, die einen Grossteil der religiösen chen darauf zwei Initiativen, einen Stationenweg, der Sozialisierung und Gesinnung vertritt, am 22. Mai in Sursee stattfand, und den Anlass vom 4. wird es nicht mehr geben. September. Dabei geht es um die Frage, was Wirt- Man kann diese Entwicklung nicht schaft ist und was sie leisten muss. Die Antwort heisst: ernsthaft bremsen und auch nicht mehr Wirtschaft ist Care! Das bedeutet: Wirtschaft ist dazu leugnen. Diese Message ist mittlerweile da, die Bedürfnisse aller Menschen auf dem Planeten überall angekommen. Damit stehen wir Erde zu erfüllen. vor der seltsamen Aufgabe, den institu- Informationen: www.frauensynode2021.ch; Comic-Broschüre tionellen Niedergang selbst theologisch «Wirtschaft ist Care - (K)ein Spaziergang». reflektieren zu müssen. Mehr lesen auf reflab.ch
6 SCHWERPUNKT SOZIALETHIK INTERVIEW «Lernen, Beschenkte zu sein» Der 88-jährige Sozialethiker Hans Ruh hat seine wichtigsten Beiträge im Sammelband «Anleitung zur Menschlichkeit» neu publiziert. Ein Gespräch über seine ethischen Visionen und die Kraft der Bergpredigt. Von Madeleine Stäubli-Roduner «Ich habe mich eingemischt» – Dieser Titel der Au- damals im Militär gemacht, als ich auch mit tobiografie von Hans Ruh steht programmatisch für Direktoren im Stroh geschlafen habe. Dazu sein Wirken. Während Jahrzehnten hat der Sozial kommt das Bildungselement: Die Menschen ethiker seine Stimme für soziale Gerechtigkeit er- müssen verstehen und sich äussern können. hoben und sich auch tatkräftig engagiert, sei es im Diese Aspekte müssten innerhalb der Demo- West-Ost-Konflikt, in der Friedensarbeit oder bei kratie verstärkt werden. Zudem fordere ich den Jugendunruhen der 80er Jahre. Im hohen Alter einen Grundlohn, eine Idee, die ich vor von 88 Jahren hat der emeritierte Professor und Di- Jahrzehnten schon eingebracht hatte und die rektor des Instituts für Sozialethik an der Universi- nun allmählich Fuss fasst. Beide Forderungen tät Zürich seine für ihn wichtigsten Beiträge aus 50 führen zu meinem Grundnarrativ: Wir dürfen Jahren in einem Sammelband neu aufgelegt. Seine lernen, dass wir auf der Erde Beschenkte sind, damaligen wie heutigen Positionen erläutert er im in dem, was wir hier erleben. Die Sonne Gespräch. scheint unentgeltlich – keiner bezahlt für sie. Darum heisst das zentrale Stichwort des Herr Ruh, in Ihrem neuen Buch «Anleitung Umgangs miteinander: einander beschenken. zur Menschlichkeit», einer Sammlung von Genau darauf basieren die Ideen von Sozial- Beiträgen aus 50 Jahren, beklagen Sie, dienst und Grundlohn. Und diese ermöglichen, Demokratie sei ein elitäres Projekt, in dem gemeinsam ethisches Kapital aufzubauen, in einfache Menschen nicht vorkämen. Woran Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit und machen Sie das fest? Schwesterlichkeit. Hans Ruh: Wir haben eine formale Demokra- tie, bräuchten jedoch eine soziale Demokratie. Dieses «ethische Kapital» bezeichnen Sie als Denn wir haben eine grosse Anzahl einfacher die Summe der lebensdienlichen Werte. Sie Menschen vergessen, denen wir keine Aner- fordern, die Grammatik des Menschlichen kennung geben. Dabei bräuchten sie die müsse die grundlegenden Werte innerhalb Gewissheit, in der Öffentlichkeit ohne Scham unserer Kultur bestimmen. Ist es für Sie nicht auftreten und mit ihrer Arbeit einen gewichti- enttäuschend, dass sich die Gesellschaft in gen Beitrag leisten zu können. Es ist zentral, den vergangenen Jahrzehnten weiter von dass sie ihre Identität finden können. Ihren Visionen entfernt hat? Ich sehe das ambivalent. Ja, ich habe schon Wie kann das konkret geschehen? vor 50 Jahren von den Schweizer Grossban- Ein Weg wäre der gemeinschaftliche obligato- ken eine ethische Auseinandersetzung gefor- rische Sozialdienst. Diese Erfahrung habe ich dert, worauf sie mir beschieden: Wir pflegen
7 Hans Ruh, Sozialethiker und Autor, im Mai 2018 in der Sendung «Sternstunde Religion» von SRF Kultur. Foto: (c) SRF, Sternstunde Religion. https://www.youtube.com/watch?v=fH2cPeQ5QJs Ethik bei uns. Klar, ich war der Zeit voraus das universale Recht als neues Element in ihre und kam mir manchmal, etwa bei Vorträgen Gespräche integrieren. über das Grundeinkommen in den 80-er Jahren, wie ein Gaukler vor, der den Leuten Sie beklagen aber, dass genau das Gegenteil etwas Unrealistisches vorgaukelt. Aber mit der geschieht. Die Wissenschaftskultur sei eine Zeit wurden diese Ideen aufgenommen, etwa selektive Kultur, die immer mehr ausblende die ethische Bewertung von Aktien oder die und sich immer stärker auf das Messbare Umweltthemen, wir sind also durchaus auf fokussiere. Stattdessen müsste sie human, gutem Weg unterwegs. mitleidsfähig werden. An welche Adressaten richten Sie diese Forderung? Das Thema Grundeinkommen könnte auch Sie richtet sich an Wissenschaftsräte oder zwiespältig sein, indem es die menschliche Universitäten, die Lehrstühle an der Schnitt- Teilhabe an Arbeitsprozessen zurückdrängt. stelle von Ethik und Wissenschaft einrichten Ja, die Umgestaltung der Arbeitsprozesse müssten. Eine Wissenschaft, die sich selber durch Künstliche Intelligenz und radikale zerstört, ist nicht wahr. Zur Wahrheit gehört Digitalisierung wird zu Konflikten führen; das auch das vernünftige Weiterleben. Was aber ist richtige Mass ist schwierig zu finden. Was Wahrheit? Dieser Begriff ist in jeder Hinsicht heute aber geradezu fahrlässig unterschätzt wichtig, nur in Wahrheit können wir einander wird, ist die Gefahr der militärisch-technologi- vertrauen. Wir müssen lernen, dass zum schen Aufrüstung. Ich fordere daher eine unter Wissenschaftlichen auch das Menschliche der Ägide der Uno aufgestellte, ethisch-philo- gehört. Sonst fährt die Wissenschaft ab wie sophische Kommission mit führenden Philo- eine Rakete und lässt die Menschen rechts und sophen aus allen Ländern, die unabhängig von links liegen. Einstein wusste: Das Wissen hat finanziellen und technologischen Interessen seine Grenzen, aber das Denken nicht. solche ethischen Fragestellungen erörtern und Diese ethische Beurteilung der Rolle der Wissenschaft setze jedoch Klarheit über die «Was aber ist Wahrheit? Entstehungsbedingungen von Wissenschaft voraus, schreiben Sie weiter. Denn auch die Dieser Begriff ist in jeder Wissenschaft sei Interessen und Zwängen Hinsicht wichtig. Nur in ausgesetzt. Wo kann hier echte Aufklärung ansetzen? Wahrheit können wir Für echte Aufklärung müssten informelle Gruppen zusammen diskutieren, der Wissen- einander vertrauen.» schaftsrat des Nationalfonds müsste dieses Thema bearbeiten. Das heisst, die Wissen- schaft müsste sich selber mit ihrer eigenen Disziplin, der Wissenschaft, kritisch auseinan- dersetzen.
8 SCHWERPUNKT SOZIALETHIK Auch der Wirtschaftsprozess müsse veran- stoppen und ein Dialog zwischen technikaffi- kert sein in einer geistig-moralischen Tiefen- nen und technikkritischen Menschen scheint dimension, folgern Sie. Die Wirtschaft müsse kaum mehr möglich zu sein. Man hätte von sich ausrichten auf das Gute Leben. Sie Anfang an viel kritischer damit umgehen fordern eine Retransformation der Wirtschaft müssen, hätte Fortschritt stets in Konfrontati- zurück zur Dienstfunktion in einer an der on zur realen Welt setzen müssen. Warum zum Lebensdienlichkeit orientierten Gesellschaft. Mars fliegen, wenn Millionen in Afrika Wie soll das möglich werden? hungern? Man hätte stets nur jene Technologi- Personen an den Schlüsselpositionen der en einsetzen dürfen, die vorhandene Probleme Gesellschaft, in Führungspositionen müssen angehen. ihren Job anständig machen, sie müssen daran arbeiten, eine Anerkennungskultur in Instituti- Diese aktuellen Probleme, etwa die Gefahr onen und Unternehmen zu pflegen und als von Radikalisierungen, thematisieren Sie im Anwälte der einfachen Menschen zu handeln. Vorwort. Dort plädieren Sie für ein neues Leider ist jedoch die ethische Klammer des Narrativ des Menschseins nach Corona, für wirtschaftlichen Handelns seit den Anfängen das aufgrund der sich zuspitzenden poli- der sozialen Marktwirtschaft verloren gegan- tisch-wirtschaftlichen Krise immer mehr gen. Menschen bereit seien. Dabei sprechen Sie die Bergpredigt an und darin wiederum die Diese ethische Klammer vermissen Sie auch Haltung des Beschenktseins. Wie sollte in Bezug auf Errungenschaften etwa in diese biblische Sicht im Lärm dieser Zeit Technik, Medizin oder Genetik. In einem auch religionsferne oder -kritische Menschen Beitrag fordern Sie, dass man nicht fragt noch ansprechen? «Wie weiter?», sondern «Bis wohin?» Die Die Idee des Beschenktseins trägt in sich eine Antworten müssten auch hier von einer eigene Dynamik. Diese zu verbinden mit anderen, von der geistigen Dimension kom- Naturnähe und menschlicher Unerschrocken- men. Wie meinen Sie das? heit, das ist wichtig. Die Worte der Bergpre- Eine Diskussion darüber ist schwierig, denn digt greifen ins Leben, ob Leute das nun die technologischen Erfindungen sind nicht zu belächeln oder nicht. Bei Vorträgen zum Thema Beschenktsein habe ich immer wieder gemerkt, dass es Menschen berührt und abholt. Hans Ruh Haben Menschen der westlichen Welt in der Hans Ruh, geboren 1933 bei Thayn- Folge von Säkularisierung und geprägt von gen SH, studierte in Zürich und Wissenschaftsgläubigkeit die Sprache und Basel Theologie, promovierte 1963 Sensibilität für Spiritualität, für persönliche bei Karl Barth und wirkte von 1963 Glaubenserfahrungen verloren? bis 1965, inspiriert von Barths und Ja, viele haben die Sprache für Spirituelles Bonhoeffers «Kirche für die Welt», verloren. Ich persönlich habe viele Jahre nicht als theologischer Mitarbeiter der viel von Meditation gehalten. Nun habe ich Gossner Mission in Ost-Berlin. einen neuen Zugang gefunden und pflege Fortan engagierte er sich in der Spiritualität in einer kleinen Meditationsgrup- Friedensarbeit und Konfliktfor- pe. schung. Ruh gründete und leitete das Institut für Sozialethik des Was würden Sie als Essenz dieses neuen Kirchenbunds (1965–83), wirkte als Zugangs bezeichnen? Professor an den Universitäten Entscheidend ist die Liebe und vor allem die Bern (1971–1983) und Zürich (1983– Wahrheit, ebenso die Bereitschaft zum Zuhö- 1998) und als Leiter des Zürcher ren und Spüren und die Gemeinschaft. Ich Instituts für Sozialethik. Zudem war habe auch durch einen besonderen Traum er Mitglied der Christlichen Frie- erkannt, dass der Zugang zur religiösen denskonferenz und engagierte sich Dimension für alle offen ist. in der ethischen Unternehmensbe- ratung. Der Vater von zwei Söhnen Und wie sehen Sie Gott? und Grossvater von zwei Enkeln Über Gott können wir viele menschliche lebt mit seiner Partnerin im Raum Vorstellungen entwickeln, liegen aber vermut- Zürich. lich immer knapp daneben. Gott ist für mich Hans Ruh, Anleitung zur Menschlichkeit, Liebe, Leiden. Der Ort des Mitleidens und der Positionen aus ethischer Sicht, Versus Verlag Ort der Wahrheit.● Zürich, 2021, 221 Seiten, Fr. 29.-
9 Schöpfung als Geschenk Zur Feier der Schöpfungszeit laden die AGCK Zürich und die Reformierte Kirchgemeinde Zürich am 5. September zum Stationenweg im Niederdorf. KOM. Schöpfungszeit ist immer und überall – am 5. form im Kanton ein Zeichen setzen». September ganz besonders in Zürich. Ein Stationen- Die AGCK Zürich besteht seit über 50 Jahren weg durchs Zürcher Niederdorf am Sonntagabend und hat 21 Mitgliedskirchen sowie drei Kirchen im lädt ein zu staunen, kritisch hinzuschauen und Gaststatus. Ein wichtiger Orientierungspunkt für macht Mut, etwas anzupacken. Kirchen verschiede- ihre ökumenische Zusammenarbeit ist die Charta ner Konfessionen sind an diesem Anlass ökume- Oecumenica, ein Grundlagendokument der europä- nisch unterwegs, in Zusammenarbeit mit visionären ischen Kirchen, das dieses Jahr sein 20-jähriges Ju- Unternehmerinnen und Unternehmern in Zürich, biläum feiert. Dort heisst es unter anderem: «Im einem Input-Theater sowie mit einem Fachmann Glauben an die Liebe Gottes, des Schöpfers, erken- der Klima-Allianz zur Situation der Gletscher in der nen wir dankbar das Geschenk der Schöpfung, den Schweiz. Wert und die Schönheit der Natur. (…) Wir wollen Organisiert wird der Anlass von der Arbeitsge- uns gemeinsam für nachhaltige Lebensbedingungen meinschaft christlicher Kirchen im Kanton Zürich, für die gesamte Schöpfung einsetzen.» AGCK Zürich, und von der Reformierten Kirchge- Dieses Anliegen wurde auch in der diesjährigen meinde Zürich. «Die lebendige Schöpfung ist ein Ökumenischen Kampagne der Werke Brot für alle, Geschenk, jeden Tag!», sagt Bettina Lichtler, Präsi- Fastenopfer und Partner sein aufgegriffen – unter dentin der AGCK Zürich und Beauftragte für Bezie- dem Slogan: «Klimagerechtigkeit jetzt!» Pande- hungen und Ökumene der Landeskirche. «Zugleich miebedingt konnten in der eigentlichen Kampag- ist der nachhaltige Umgang mit diesem Geschenk nenzeit vor Ostern nur wenige Anlässe stattfinden. eine Aufgabe, die wir gemeinsam anpacken müssen So kam es zur Zusammenarbeit der AGCK Zürich – in ökumenischer Kirchengemeinschaft und zu- mit der Reformierten Kirchgemeinde Zürich, die sammen mit engagierten Initiativen in Wissenschaft ihren eigentlich für März geplanten Anlass zur Öku- und Wirtschaft, in Kunst und Politik und vielen an- menischen Kampagne nun mit dem Stationenweg deren Bereichen.» zur Schöpfungszeit am 5. September verbindet und Jedes Jahr im September steht die Schöpfung in das Inputtheater «Ajala» (Erde) der Kampagne da- vielen Kirchen und Gemeinden im Fokus, zum Bei- für eingeladen hat.● spiel auch beim Erntedankfest. Der Verein oeku Der Stationenweg vom Sonntag, 5. September, beginnt um Kirchen für die Umwelt stellt jeweils besondere 17 Uhr in der Predigerkirche und dauert ca. 2 Stunden. Er ist Materialien für die Feier der Schöpfungszeit in der für Jugendliche und Erwachsene geeignet und findet in einer gemeinsamen Führung für alle Teilnehmenden statt. Schweiz zur Verfügung. «Wir haben jedoch festge- Informationen und Anmeldung unter www.zhref.ch/statio- stellt, dass die Schöpfungszeit im Raum Zürich häu- nenweg. Kontakt: Bettina Lichtler, bettina.lichtler@zhref.ch fig keine grosse Rolle spielt», sagt Bettina Lichtler, Weitere Links und Hinweise: www.oeku.ch/schoepfungszeit, «und da möchten wir als grösste ökumenische Platt- www.agck-zh.ch, www.sehen-und-handeln.ch
10 DIAKONIE KIRCHE UND TISCHLEIN DECK DICH «Wir bekommen viel zurück» Sibylla Asper leitet mit Margrit Heer die Abgabestelle von «Tischlein deck dich» in Affoltern a.A. Ein Besuch im Chilehuus, das als Umschlagplatz funktioniert. Von Madeleine Stäubli-Roduner Dienstag, 9 Uhr, Chilehuus Affoltern am Albis: Eine abgeholt, ins Logistikzentrum Zentralschweiz in achtköpfige Gruppe von Freiwilligen ist bereits seit Baar transportiert und von da wöchentlich nach Af- einer Stunde konzentriert an der Arbeit. Sie vertei- foltern gebracht. Für die Fahrten und das Ein- und len Lebensmittel in Harassen auf bereitgestellte Ti- Ausladen sind Zivildienstleistende zuständig. Das sche, sichten Frischwaren und Abgepacktes und Helferteam nimmt die Kisten auf Rollen entgegen verschaffen sich mit Notizzetteln einen Überblick und verteilt die Esswaren auf den Tischen. Das Ge- über die Lieferung dieser Woche. Diese wird bald müse, das direkt von Bauern kommt und daher offen gleichmässig in Säcke abgefüllt und dann den rund ist, wird in die Küche gebracht und dort zugeschnit- 50 teilweise bereits wartenden Bezügerinnen und ten und verpackt. «Den Käse abpacken und mit den Bezügern abgegeben. Die Szenerie, so ungewöhn- übrigen Kühlprodukten gleich in die Kühltaschen lich sie für ein Kirchgemeindehaus wirken mag, legen», ruft Sibylla Asper einer Mitarbeiterin zu. wiederholt sich hier jeden Dienstagmorgen, und das Bald sind die etwa 45 so genannten Grundsäcke für seit vielen Jahren. Denn der geräumige Ulmen-Saal Haushalte von einer bis zehn Personen gefüllt. funktioniert als Abgabestelle Affoltern der Essens- abgabe von Tischlein deck dich. Über diese Raumnutzung freut sich Sibylla As- Gemüse und Schoggi per, die gemeinsam mit Margrit Heer diese Abgabe- Mit den restlichen Lebensmitteln werden zweite stelle leitet. «Es ist schön, wenn eine Kirche ihre Säcke für grössere Familien bepackt. Gefrorenes Räume für ein derartiges soziales Projekt zur Verfü- wie etwa Fischstäbli, aber auch Schweinefleisch gung stellt», sagt sie. «Zudem werden wir von un- wird gesondert platziert. «Wir fragen die Bezüge- seren Sigristinnen verwöhnt, die den Raum jeweils rinnen, ob sie davon nehmen möchten», sagt Sibyl- vorbereiten und alle Tische aufstellen.» «Wir» – das la Asper. Sie wirft noch einen letzten Blick in einen ist ein eingespieltes Team von langjährigen Enga- mit Eistee, Guetzli, Gemüse und Schoggi gefüllten gierten, darunter ihr Mann und Kirchenpflegepräsi- Sack. Dann geht es schnell. Das Team öffnet die dent Hans Asper, ein Kirchenpfleger und weitere Türe und die Bezügerinnen und Bezüger können Freiwillige, die in der reformierten wie auch in der mit ihrer Bezugskarte, die sie bei Sozialfachstellen katholischen Kirche beheimatet oder eher distan- erhalten haben, und gegen die symbolische Zahlung ziert sind. Auch Sibylla Asper selbst ist ökumenisch eines Frankens ihre Säcke entgegennehmen. unterwegs, ursprünglich katholisch und nun in bei- So schnell wie sich der Raum gefüllt hat, leert er den Kirchen zuhause. Bei der Essensabgabe zählt sich auch wieder. «Vor Corona haben wir die Ess- ohnehin nicht die kirchliche Beheimatung, sondern waren auf den Tischen ausgebreitet und mit den Be- die Vernetzung, organisatorisch und sozial. zügerinnen individuell ausgesucht», blickt Sibylla Asper zurück. Es sei schöner gewesen, gemeinsam Rundgänge zu machen und dabei noch den einen Eindrückliche Vernetzung oder anderen Schwatz zu machen. Denn mittlerwei- Diese Vernetzung präsentiert sich eindrücklich. le kennen sich Freiwillige und Bezüger und führen Unter dem Dach des Vereins «Tischlein deck dich» gern Gespräche miteinander. Einmal sei eine Fami- werden die einwandfreien, aber «überschüssigen» lie, die Esswaren beziehe, sogar in die kirchlichen Lebensmittel bei Grossverteilern und Produzenten Familienferien mitgekommen, erzählt Sibylla As-
11 Die Esswaren stehen bereit: das Team der Abgabestelle Affoltern am Albis im Chilehuus. Foto: rod. per. Da und dort treffe man sich auch im Rahmen anderer diakonischer Projekte wieder, etwa beim «mitenand», wo Freiwillige Familien unterstützen, oder im Migrationsprojekt «Tandem», das Migran- tinnen und Migranten im Alltag begleitet. Tischlein deck dich Der spendenfinanzierte Verein «Tischlein deck dich», im Jahr Wertvolle Engagements 1999 gegründet, verteilt mit 24 Diese Begegnungen empfindet Sibylla Asper als Festangestellten und 3100 freiwil- besonders wertvoll. «Ich finde es spannend, mit lig Mitarbeitenden überschüssige Menschen in Kontakt zu kommen, die ich sonst Lebensmittel an armutsbetroffene nicht treffen würde und Situationen kennenzuler- Menschen in der Schweiz. Pro- nen, zu denen ich im Alltag nicht Zugang hätte», duktspenden aus Landwirtschaft, sagt sie. «Ausserdem bekommen wir so viel zu- Industrie, Gross- und Detailhandel rück!» Die Freiwilligenarbeit bedeutet ihr nun seit erreichen wöchentlich an 136 Jahren sehr viel, zuerst als Familienfrau, die es Abgabestellen rund 21 000 Men- schätzte, nicht auswärts arbeiten zu müssen und au- schen. Der Verein mit Geschäfts- sserhäusliche Engagements langsam auszubauen. stelle in Winterthur führt auf seinen Als einstige Mitwirkende in Kirchenpflege und sechs Logistikplattformen Be- Pfarreirat, als Tixi-Taxi-Fahrerin und als langjähri- schäftigungsprogramme für Er- ge Sterbebegleiterin mit Weiterbildung habe sie sich werbslose und beschäftigt Zivil- sinnvoll und befriedigend einbringen können, blickt dienstleistende. sie zurück. Noch immer landen in der Schweiz Besonders freut sie die positive Resonanz der jährlich 2,8 Millionen Tonnen Kirchgemeinde auf die sozialen Projekte wie eben essbare Lebensmittel im Abfall. die Abgabestelle. «Wir bekommen viele wohlwol- Gleichzeitig leben hier rund lende und erfreuliche Echos und auch die Pfarrper- 735 000 Personen am oder unter sonen unterstützen uns und vermitteln uns neue Be- dem Existenzminimum. zügerinnen und Bezüger», sagt Sibylla Asper. Sie verschafft sich mit einem raschen Blick in den Saal Auch die Kirchgemeinden Ill- einen Überblick und stellt dann die noch nicht abge- nau-Effretikon, Regensdorf, Win- holten Einkaufstaschen auf die Seite.● terthur Wülflingen und Zürich (in Schwamendingen) führen in ihren Kirchgemeindehäusern Abgabe- stellen von «Tischlein deck dich». Informationen: www.tischlein.ch
12 Themen & Termine St. Anna Forum Schweiz reformierte Kirchgemeinden, christkatholische und katholische ein zum Feiern, Nachdenken und Handeln, von Sonnengesang bis Gletscherforschung, von «Changema- Pfarreien dazu auf, die Sonntagspre- 12. JULI digt am 1. August 2021 Frauen zu ker» bis «Äss-Bar». (Siehe Seite 9) Jesus und seine Jüngerinnen. Die übertragen. An diesem Tag feiert die Start um 17 Uhr, Predigerkirche, Zürich Entdeckung, dass Frauen im Neuen Schweiz Geburtstag und im 2021 einen Anmeldung: zhref.ch/stationenweg Testament verschwiegen oder ganz besonderen, denn wir würdigen Europäischer Kon- nachträglich bedeutungslos gemacht «50 Jahre Frauenstimmrecht in der wurden, hat in den 1970er bis 1980er Schweiz». In der ganzen Schweiz gress Theologie Jahren Staub aufgewirbelt. Nun sollen am 1. August dort, wo noch überraschen die Bibelexpertinnen und immer überwiegend Männer stehen, Historikerinnen Helen Bond und Joan Frauen zu Wort kommen. Taylor in einem Film von Anna Cox mit Für das Gestalten der Predigt stehen 5. BIS 8. SEPTEMBER neuen Erkenntnissen: Frauen haben ab Juni Predigtbausteine zu Ex 16; Unter dem Leitthema «Heilige Schriften die Anfänge des Christentums 1Kor 14,33b-36 und Mt 7,24-27 sowie in der Kritik» wird die Interpretation entscheidend mitgeprägt. Filmabend weitere liturgische Texte zur Verfügung. Heiliger Schriften als theologische und und Podium mit Tania Oldenhage, Gastpredigerinnen können aber auch historische Fragestellung beleuchtet Luzia Sutter Rehmann, Irene Gysel. eigene Gedanken und Texte einbrin- sowie in den interkulturellen und 19 bis 21 Uhr, St. Anna-Kapelle, gen. Detaillierte Informationen zur interreligiösen Kontext gestellt. Der St. Annagasse 11, Zürich Aktion finden Sie unter frauenbund.ch/ Kongress ist öffentlich. was-wir-bewegen/kirche-und-spirituali- theologiekongress.uzh.ch taet/helvetia-predigt/ Ströme lebendigen Kirchliches Um- Wassers weltmanagement 17. SEPTEMBER BIS 7. MAI AB 1. SEPTEMBER Im praxisnahen, kompakten Lehrgang Die Kirchen Deutschlands, Österreichs lernen Interessierte, wie sie ihre und der Schweiz beginnen am Kirchgemeinde zum Grünen Güggel 4. September die SchöpfungsZeit führen oder/und nach einer Zertifizie- 75 Jahre HEKS gemeinsam mit einem Ökumenischen rung weiter begleiten. Der Anbieter Tag der Schöpfung am Bodensee. oeku.ch kooperiert mit der reformierten Die Alpen sind das Wasserschloss Landeskirche Zürich. Er bietet diesen BIS 18. JULI vieler europäischer Staaten. In unseren Lehrgang vor allem für Personen aus Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Seen sammelt sich das Wasser, das Zürcher Kirchgemeinden vom Herbst das Hilfswerk der evangelischen Länder und Menschen verbindet. Die 2021 bis Frühjahr 2022 an. Kirchen der Schweiz gegründet. Schon SchöpfungsZeit bietet die Gelegenheit, Leitung: Andreas Frei vor und während des Kriegs setzten für das Geschenk des Wassers zu Jeweils 13.30 bis 15 Uhr sich der Theologe Karl Barth, Pfarrer danken und dafür zu sorgen, dass zhref.ch/intern/umwelt/termine/ Paul Vogt, die Flüchtlingsmutter lebendiges Wasser auch in Zukunft Projektstelle Er- Gertrud Kurz und weitere Engagierte fliessen kann. für die vom Naziregime Bedrohten ein. «oeku Kirchen für die Umwelt» wachsenenbildung Ausstellung in der Markuskirche, erarbeitet eine Dokumentation für die Kirchenkreis elf, Höhenring 56, Zürich Gestaltung von Gottesdiensten und Seebach. Montag bis Freitag, 10 bis 16 weiteren Anlässen – verfügbar unter Uhr. Sonntags während des Gottes- schoepfungszeit.ch oder oeku.ch ON DEMAND dienstes ab 9 Uhr bis 12 Uhr. Fokus Theologie – Projektstelle Gottesdienst zum Anlass am Sonntag, Erwachsenenbildung der Deutsch- 18. Juli mit Pfarrerin Esther Gisler schweizer Reformierten Kirchen. Fischer und Pfarrer Markus Dietz. Auf fokustheologieref.ch finden sich zu vielen Bibeltexten kreative, theologisch sorgfältig durchdachte Methoden für eine Bibellektüre mit Erwachsenen, nach Schlagwörtern oder Bibelstellen auffindbar. Stöbern und Nachahmen erwünscht. Die Zuständigen kommen gern auch «on demand» in die Gemeinde. Unterwegs im Das Carillon Herzen von Zürich erleben Helvetia predigt! 5. SEPTEMBER Im Rahmen der SchöpfungsZeit 10./11. JULI 1. AUGUST organisiert die AGCK Zürich (Arbeits- Festwochenende zur Glockenausstel- gemeinschaft christlicher Kirchen im lung in der Kappeler Klosterkirche. Mit Mit der ökumenischen Aktion «Helvetia Kanton Zürich) einen Stationenweg Festgottesdienst, Carillonspiel predigt!» rufen die Kirchenfrauen der durchs Niederdorf. Die Stationen laden (zweitgrösstes Glockenspiel der Welt)
AGENDA 13 und Carillonkonzert sowie Glocken «von Hand» läuten. Info: klosterkappel.ch Carillon: Vom Ur- klang der Glocken 11. JULI Auf die Zuhörenden wartet ein einmaliges Erlebnis: Vor dem Kloster Kappel erklingt konzertant das mit 49 Glocken zweitgrösste mobile Carillon (Glockenspiel) der Welt, hergestellt von der Glockengiesserei Perner in Passau (Bayern). Carilloneur: Bastian Fuchs, Lesungen: Pfr. Volker Bleil. 17.15 Uhr. Info: klosterkappel.ch unlock 21 – Jazz im Kappeler Singwo- Kloster che: Gartenlieder Das erste Jazzfestival der 18. BIS 24. JULI Zürcher Kirche im Kloster In der diesjährigen Sommersingwoche Kappel: inspirierende Musik in lädt das Kloster Kappel auf einen musi- unlock 21 – Jazz im Kloster bezaubernden Gewölben und kalischen Spaziergang durch den Gärten. Als Highlight findet am Klostergarten und hinaus auf Felder und Wälder ein. Leitung: Ruedi Keller, Konzert durch die Kraft der Elemente Samstag ein Konzert mit dem Schulmusiker und Chorleiter. mit Hans-Jürgen Hufeisen (Komponist Thierry Lang Trio statt, das Info und Anmeldung: klosterkappel.ch und Blockflötist), Volker Bleil (Kloster auch den Jazzgottesdienst am Kappel) und Simon Jenny (Pfarrer und Sonntag mitgestaltet. Zudem: KlosterNacht Musiker). Info und Anmeldung: klosterkappel.ch Trio MüllerKramisBaschnagel feat. Barbara Balzan, Yves Thei- 27./28. AUGUST Die Klosterkirche im Kerzenlicht – Fei- Klosterheilkunde ler Trio und Workshops. Das Kloster Kappel lädt ein zu nach Hildegard ern – Singend beten – Lauschen – Schlösser und Türen im Kloster – Raum einem seltenen Ensemble von von Bingen für Stille – Freiraum Klostergarten. Die Geschichte und Gegenwart, beiden konzertanten Teile, die «Klan- gräume» in der KlosterNacht (23 und 2 von Stein und Jazz, von Ein- Uhr) werden vom Trio Celeste (Orgel, 4. BIS 5. SEPTEMBER druck und Ausdruck, Konzert Tenor, Horn) und Jasmine Vollmer Aufbauend auf den Schriften der und Andacht, Natur und Kultur. (Harfe) gestaltet. berühmten Äbtissin wird der Kräuter- 20 bis 6 Uhr. Info und Anmeldung: Mitveranstalter ist bluechurch, garten des Klosters Kappel genauer klosterkappel.ch betrachtet. Aus frischen Kräutern ein internationales Netzwerk werden Präparate nach den Rezepten von Jazzleuten mit Nähe zur Orte der Kraft von Hildegard von Bingen hergestellt. Info und Anmeldung: klosterkappel.ch Architektursprache und Spiritu- alität von Kirchen und Kirchen- 4. SEPTEMBER leuten mit Nähe zur Musikspra- Musikalisch-spirituelle Reise ins che des Jazz. Kloster Kappel. Sich auf den Weg machen, um aufzuatmen, zu Kraftor- 19. bis 22. August. Info und Tickets: ten, zu Plätzen der Kultur des Klosters jazzimkloster.ch Kappel. Eine Tagesreise und ein
14 TIPPS BUCHTIPP BILDUNGSTIPP —Die Versuchung —Theologie und Literatur der Macht In Theologie und Ge- ED. meindepraxis ist die Arbeit ROD. «Die neutestamentlichen an der Sprache von zentra- Texte ermutigen uns, Macht in ler Bedeutung. Schriftstel- der Kirche anders zu gestalten lerinnen und Schriftsteller und dabei neue Wege auszulo- können dafür wichtige ten. (…) Sie ermutigen uns Lehrmeisterinnen und zum Kulturwandel, ja zur Kul- Lehrmeister sein. Sie erschliessen uns Wirklichkeit tivierung und Zähmung von und erweitern die eigene Weltwahrnehmung. Im Macht.» In seinem Buch geht Gespräch mit der Schriftstellerin Sibylle Lewitscha- der katholische Theologe Mar- roff widmen sich die Teilnehmenden an diesem Tag kus Lau einem Phänomen nach, dem Verhältnis von Theologie und Literatur. Der das so alt sei wie die Jesusbe- Studientag «Theologie und Literatur» findet am 8. wegung selbst, denn schon in den Evangelien fin- November 2021 in Bern statt, in Kooperation mit den sich Spuren der Versuchungen der Macht. dem Institut für Systematische Theologie der Theo- Von der Aufforderung zum Dienen bei Mar- logischen Fakultät Bern. Anmeldeschluss ist der 31. kus über den Widerstand gegen die Macht Einzel- Oktober. ner bei Matthäus bis zur verführerischen Macht bildungkirche.ch/kurse. des Geldes in der Apostelgeschichte analysiert der Autor den Umgang des Neuen Testaments mit dem Übel des Klerikalismus, sprich den Verhal- tensweisen, die mit Macht zu tun haben. So macht etwa die matthäische Jesusgeschichte deutlich, welche Gefahren Machtausübung mit sich brin- gen kann und wie die von Gott gegebene Ent- scheidungsvollmacht zu nutzen sei, zugunsten der Menschen, des Einzelnen wie der Gruppe. Die detail- und aspektreichen Erläuterungen wer- den illustriert mit beredten und witzigen Karika- BUCHTIPP turen von Thomas Plassmann. Markus Lau, Die Versuchung der Macht, Neutestamentli- —Gescheiterte Reformation che Gegenentwürfe, TVZ, 2020, 152 Seiten, 29.90. Das westlich an Zürich an- SCH. . grenzende Freiamt machte die Zürcher Reformation der Kirche bekanntlich nicht mit. Dass man im Reuss- und Bünztal am alten Glauben festhielt, hatte kaum da- mit zu tun, dass die Thesen Zwinglis wenige Kilometer jen- seits der Grenze plötzlich an Überzeugungskraft verloren hätten. Dass sie sich nicht durchsetzten, lag an den gänzlich anderen po- litischen und kirchenpolitischen Gegebenheiten in von den Eidgenössischen Ständen verwalteten ge- meinen Herrschaften. Gleichwohl konnten sich Ein- zelpersonen, Geistliche oder gar ganze Kirch- und ST E L Dorfgemeinschaften durchaus vorstellen, die kon- LEN Offen IM W fessionellen Seiten zu wechseln. Auch hier spielten in de e Pfarrst EB neben seelsorgerlichen auch handfeste wirtschaftli- nK el l che Interessen der Landbevölkerung eine Rolle. Da- den G irchgem en, Stelle von berichtet die kleine und verständlich geschrie- e Dien esamtki inden u n st rc n bene Forschungsarbeit und zeigt an diesem zhref en finden hlichen d regionalen Beispiel eindrücklich das Ringen um die .ch/o Sie offen rganisati auf: konfessionelle Weichenstellung, die dann für Jahr- e-ste o llen n/ hunderte und bis in die Gegenwart Bestand haben sollte. Dominik Sauerländer: Die Reformation in den Freien Ämtern. Beispiel einer gescheiterten Landreformation. Chronos-Ver- lag, 2021. 64 Seiten, Fr. 12.-
15 Foto: Patrick Gutenberg BARBARA HUTZL-RONGE Autorin Die gebürtige Steirerin wirkt als Erzählerin bei Stadtführungen zur Zürcher Reformation. Passionierte Erzählerin Mit Barbara Hutzl-Ronge an der Stadtführung in Zürich Von Viviane Schwizer Ein Samstagmorgen an der Schifflände in Zürich: wir bald heimisch wurden.» lhr Interesse galt da- Eine kleine Gruppe von Menschen steht dicht bei- mals den vorchristlichen Religionen und dem frü- einander und hängt einer Frau in ihrer Mitte an den hen Christentum, woraus später zwei kulturge- Lippen. Gebannt hören sie ihr zu, scheinen dank schichtliche Wanderführer entstanden. Zu jener Zeit den Schilderungen in eine andere Welt versetzt zu begann sie auch, die recherchierten Geschichten an werden. Die Erzählerin ist Barbara Hutzl-Ronge. Stadtführungen und auf Wanderexkursionen zu Nicht umsonst steht sie an dieser Stadtführung zur erzählen. Reformation mit ihren Gästen ganz in der Nähe der Es war im Jahr 2017, als Barbara Hutzl-Ronge, Limmat. Denn just hier seien am 12. Mai 1555 das 500-jährige Reformationsjubiläum vor Augen, Glaubensflüchtlinge aus Locarno in Zürich an Land sich intensiv mit Huldrych Zwingli und seiner Mis- gegangen. sion zu beschäftigen begann. Rückblickend sagt sie: Sie hatten sich entschieden, nicht beim alten «Ich ahnte damals nicht, wie sehr mich die Refor- Glauben zu bleiben, sondern sich der reformierten mation packen würde.» Ihrem eigenen Stammbaum Lehre anzuschliessen. Darum hatten sie ihre Hei- nachspürend, erwähnt die gebürtige Steirerin, dass matstadt verlassen müssen. In Zürich erhielten sie Verlust der Heimat und Migration auch in ihrer Fa- dank Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger Asyl. milie als Themen präsent sind. Wahrscheinlich er- Unter den Ankömmlingen waren etwa der Priester zähle sie darum die Schicksale der Locarneser, Hu- Giovanni Beccaria, die unerschrockene Barbara genotten und Waldenser so gerne, weil ihr die Muralta sowie Händler, Handwerker, Familien und Sympathie für Menschen, die sich in der Fremde sogar Witwen mit ihrem Nachwuchs. ihre Existenz völlig neu aufbauen mussten, sozusa- Knapp 500 Jahre sind seit damals vergangen. gen in die Wiege gelegt wurde. Die Schicksale der Tessiner werden von Barbara Die Reformation war aber nicht Barbara Hutzl-Ronge aber so lebendig erzählt, als hätten sie Hutzl-Ronges letztes Projekt. Anlässlich der Wie- sich gestern zugetragen. dereröffnung der Tonhalle bietet sie aktuell Stadt- führungen zur Musikgeschichte Zürichs an. Erfreu- Recherchieren und erzählen licherweise sei das Interesse für die Zürcher Zuerst erstaunt es, dass Barbara Hutzl-Ronge Reformation bei Reformierten und Katholiken in von der Zürcher Reformation fasziniert ist. Sie der Schweiz, aber auch bei Lutheranern und Unier- stammt nämlich nicht aus der Zwingli-Stadt, son- ten in Deutschland nach wie vor gross. Barbara dern aus Österreich, was ihr Dialekt sofort deutlich Hutzl-Ronge sagt: «Ich freue mich, dass ich mit macht. Sie erzählt: «Vor 35 Jahren bin ich mit mei- meinen Reformationsstadtführungen also noch län- nem Mann und meinem Sohn aus beruflichen Grün- ger unterwegs sein werde.»● den von der Steiermark nach Zürich gezogen, wo
CH-8001 Zürich P. P. / Journal Post CH AG notabene AZB 8024 Zürich, notabene@zhref.ch Hirschengraben 7, Postfach 673, Kommunikation Evang.-ref. Landeskirche, Adressberichtigung an: Hirschengraben 7, 8024 Zürich Kantons Zürich Evang.-ref. Landeskirche des Absender: notabene Ein gefüllter Teller? Lesen Sie das Interview mit Sozialethiker Hans Ruh ab Seite 6 und den Beitrag über «Tischlein deck dich» in Affoltern am Albis auf Seite 10. Illustration: Anna Sommer www.annasommer.ch IMPRESSUM DRUCK UND DESIGN «notabene» ist die Zeitschrift aller, die Robert Hürlimann AG, Zürich beruflich, ehrenamtlich oder regel Raffinerie AG, Zürich mässig freiwillig als Mitglieder in der Zürcher Landeskirche mitarbeiten. AUFLAGE 6400 Exemplare. Erscheint monatlich HERAUSGEBERIN mit Doppelnummern im Juli und Evangelisch-reformierte Landeskirche Dezember. des Kantons Zürich. Abteilung Kommunikation (KOM), NÄCHSTE AUSGABE Hirschengraben 7, 8024 Zürich Nr. 7 / 2021 (September) REDAKTION UND NOTABENE IM WEB GESTALTUNG www.zhref.ch / notabene Christian Schenk (SCH), Madeleine Stäubli-Roduner (ROD) Tel. 044 258 91 81, notabene@zhref.ch TITELBILD Redaktionssekretariat: Themenbild. Foto: Madeleine franziska.schellenberg@zhref.ch Stäubli-Roduner (Thunersee) Tel. 044 258 92 13 AUTORINNEN Viviane Schwizer Esther Derendinger (ED)
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