Das Alter, der Tod und das ewige Leben in den Psalmen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Herr, mein Gott, wie groß bist du! Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet. Du hüllst dich in Licht wie ein Kleid. Du spannst den Himmel aus wie ein Zelt. Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. Du nimmst dir die Wolken zum Wagen. Du fährst einher auf dem Flügeln des Sturmes. Du machst dir die Winde zu Boten und lodernde Feuer zu deinen Dienern. Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet; In alle Ewigkeit wird sie nicht wanken…. (Ps. 104) Das Alter, der Tod und das ewige Leben in den Psalmen Ernestine Theil Mai 2009
2 Inhalt Das Alter, der Tod und das ewige Leben ................................................................................................. 1 in den Psalmen ........................................................................................................................................ 1 1. Einleitung ......................................................................................................................................... 3 2.1 Analyse des Textes ............................................................................................................................ 3 2.1.1. Identifikation des Textes ..................................................................................................... 3 2.1.2. Genese ................................................................................................................................. 4 2.1.3. Jahwe ................................................................................................................................... 8 2.1.3.1. Symbole ........................................................................................................................... 9 Die Anrede ..................................................................................................................................... 10 2.1.4. zeitliche Einordnung, historische Hintergründe ................................................................ 10 2.1.5. Geschichte und Vorgeschichte der Psalmen ..................................................................... 11 2.1.6. Struktur .............................................................................................................................. 12 2.1.7. Stilmittel und Sprache ....................................................................................................... 12 2.1.8. zentrale Motive ................................................................................................................. 13 3. Rezeption des Textes ................................................................................................................. 13 4. Interpretationen des Textes ...................................................................................................... 15 4.1. Alter ....................................................................................................................................... 15 4.2. Tod ......................................................................................................................................... 18 4.3. Unterwelt .............................................................................................................................. 20 Kudurru aus Susa ........................................................................................................................... 22 4.4. Ewiges Leben ......................................................................................................................... 22 5. Ägyptophobie (Ps.31,7) ............................................................................................................. 26 6. Was rettet? ................................................................................................................................ 32 6.1. Die Bedeutung des Lob Gottes .............................................................................................. 33 7. Resümee .................................................................................................................................... 35 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 36
3 1. Einleitung Alte Menschen haben in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Stellungen und verschiedene Wertschätzungen erfahren. Über den Tod, das Leben danach, d.h. das ewige Leben und die Unterwelt haben frühe Kulturen eigene Sichtweisen entwickelt. Ich möchte anhand der Psalmen auf die Ursprünge unserer Kultur zurückkommen. Eine Sicht auf die Quellen ermöglicht ein neues Verständnis der eigenen Kultur oder eigenen Weltsicht. Dafür habe ich katholische, evangelische und jüdische Rezensionen zu den Psalmen und eine wissenschaftliche Abhandlung zu Moses herangezogen. 2.1 Analyse des Textes 2.1.1. Identifikation des Textes Die einen nennen den Psalter als Andachts‐und Gebetbuch (Seybold1986: 9) und die anderen sehen darin Gebetsformulare und eine Geschichte des Betens (Ohler 1988: 71f). Israel glaubte, dass sein Gott in der Geschichte es ansprach, im Gesetz, in der prophetischen Botschaft, in Weisheitslehren. Das Gebet Israels, das in den Psalmen vorliegt, ist die Antwort, die dieses Wort aufnimmt (Ohler 1988: 76). Die Glaubensüberlieferungen aus Gesetz, Geschichte, Prophetie und Weisheit sind in voller Breite in den Psalter eingegangen (Ohler 1988:76). Das Gebet ist eine elementare Redehaltung und Sprachhandlung mit der Absicht, sich auszudrücken, verstanden zu werden, zu überzeugen und muss den mitzuteilenden Sinn möglichst klar und adäquat präsentieren und bedarf sprachlicher Mittel (…). Gedicht und Lied sind sprachliche Kunstformen
4 (Seybold 1986: 55). Nach Philos (von Alexandria), ist der Psalter ein Buch der Gesänge, ein liturgisches Zeugnis, das mit Chor, Vorsänger und Reigentanz verbunden war (Seybold1986: 12). Psalmen beinhalten Klage und Freude (Lob ist die Sprache der Liebe, die sich selbst vergisst vor Freude über den anderen) Lob, die Sprache der Öffentlichkeit, gelingt am besten, wenn viele es hören und darin einstimmen. BARAK heißt preisen. Wenn Gott dem Menschen Gutes sagt, das segnet er. BERAKAH (Segensspruch) = Eucharistie (Ohler 1988: 78f). Psalmen beinhalten auch Aufforderungen, Gott zu loben, zu rühmen, das heißt hoch machen, groß machen (Ohler 1988: 91). Fernstehende Generationen später werden aufgefordert, zu loben und sich Unmögliches zu wünschen (Ps 98,8)1. Das Danklied hat in der phönizischen, aramäischen, babylonischen und der ägyptischen Religion keine Gegenstücke (Gunkel 1985: 285). 2.1.2. Genese Die Texte können als glaubwürdiger betrachtet werden, als in den frühen Textkritiken angenommen wurde (Judaikum Band 16: 670). Während manche aus katholischer Sichtweise meinen, dass Fragen nach dem genauen Zeitpunkt der Entstehung oder nach den Absichten des einzelnen Verfassers wenig zum Verständnis solcher Dichtung beitragen (Ohler 1988,73), sehen evangelische Autoren, dass manche Schöpfungstexte von den damaligen Weltbildern abhängen und dadurch eine unkritische Übernahme und Aneignung eine schlechte Lösung darstellten (Seybold 1986: 153). Es ist ein unverbrüchlicher Grundsatz der Wissenschaft, das nichts ohne seinen 1 In die Hände klatschen sollen die Ströme. Die Berge sollen jubeln im Chor (Ps 98,8).
5 Zusammenhang verstanden werden kann. Es wird demnach die eigentliche Aufgabe der Psalmenforschung sein, die Verbindung zwischen den einzelnen Liedern wieder zu finden, die von der Überlieferung nicht oder nur zu einem gewissen Teil geboten werden. Der Psalter ist Teil der Heiligen Schrift, von dem „nicht der kleinste Buchstabe vergehen“ durfte (Mt. 5,18). Weil sich manche vom öffentlichen Gottesdienst abwandten, sangen sie ihre eigenen Lieder. So ist der Psalter entstanden; eIn Individualismus der Propheten. (Seybold 1986: 30). Dass die Psalmen in die Liturgie aufgenommen wurden, entsprach dem Bedürfnis des Volkes (Judaikum Band 16 2007: 676). Der Zeitpunkt wird ungefähr angegeben mit 200 v.Chr. als die KETUBIM, der jüngste Teil des hebräischen Kanons sich gefestigt hat (Ohler 1988:71). „Erfinder“, denen die Texte zugeschrieben werden sind: Mose, der Gesetzeslehrer, Salomon, der Weisheitslehrer und Jesaja, eine prophetische Urgestalt (Ohler 1988:71). Während manche Autoren hinweisen, dass David das Buch der Psalmen durch Vermittlung der zehn Alten, das sind Adam, Melchisedek, Abraham, Mose, Herman, Jedutun, Asaf und die drei Söhne Qorachs, geschrieben hat (Smed 1984: 15ff), sind andere Autoren vorsichtiger und argumentieren, dass es geschichtlich nicht erwiesen ist, dass David den Psalter geschrieben hat (Seybold 1986: 41f). Davids Autorenschaft ist nirgends bestätigt. 73 Psalmen sind nach David betitelt (Judaikum Band 16 2007: 669). Die Psalmen könnten von Votivtexten stammen (Seybold 1986: 41f). Ein Psalm kann als Gelegenheitsgedicht eines Schriftstellers bei Hof gesehen werden (Seybold 1986:45). Andere Psalmen dienten der Lehre, die aus der Geschichte einen Bezug zur Gegenwart herstellten (Seybold 1986: 47). Einige Texte sind entstanden aus Orakelaussagen (Ps 50,7‐21; 60,8‐10; 91,14‐16). Die Texte sind
6 oftmals überarbeitet worden (Seybold 1986: 52). Nur wenige Texte können genau datiert werden (Seybold 1986: 54). Die Anklage‐ und Feindespsalmen (Ps 3‐13) weisen eindeutig auf dem Tempel von Jerusalem als Herkunftsort (Seybold 1986: 25). Der Fund von Qumran, ein Ort an dem Buchrollen aus Pergament und Leder 66‐ 70 n.Chr. versteckt worden sind, hat weitere Erforschungen ermöglicht (Seybold 1986: 14). David gilt nach diesen Buchrollen als Verfasser von 3600 Hymnen und 450 Gesängen. 31 Psalterhandschriften wurden in der Qumranhöhle gefunden. (Seybold1986: 16). Mit der Kanonisierung um 100 n.Chr. beginnt die Zeit der Auslegung (Seybold 1986: 17). Die ersten Texte entsprangen aus Inspiration und Intuition in hebräischen und aramäischen Schriftzeichen. Später wurde der Text in jüdischer Quadratschrift abgeschrieben und vervielfältigt. Schließlich wurde der Text stabilisiert im textus receptus. Eine einheitliche Aussprache wurde angestrebt und so enstand der masoretische Text. Das Hebräische trat zurück.
7 Im 2.(3.) Jhd v. Chr. entstanden die griechischen Übersetzungen. (Seybold 1986: 33) Davon hängen manche griechischen Übersetzungen sehr am Buchstaben oder am Wort ohne Kontextualität. Ein Fragmentfund aus der Wüste Juda aus den Jahren 100 v. Chr. bis 100 n. Chr. kann als der Älteste (hebräische) bezeichnet werden (Seybold 1986: 34). Links: Eine von den Psalmen 17‐ 118, die erhalten waren nach der Publikation des Papyrus Bodmer XXIV, eine griechische Psalterhandschrift aus dem 2. (3.) Jd. n. Chr. Die lateinische Übersetzung ist durch Hieronimus (angefertigt: 383‐405 n.Chr.) in den Psalterium romanum, psalterium gallicanum und psalterium juxta bekannt. Durch Schriftfundstücke wurde bald entdeckt, dass die Psalmen Teile altorientalischer Dichtkunst seien und es stellte sich das Problem, was das Proprium sei und nicht mesopotamische, ägyptische und kanaanäische Kultdichtung (…) Die Psalmen der Bibel sind jünger, so etwa 1 Jahrtausend v. Chr. Während die sumerisch‐altbabylonischen, ägyptischen, kanaanäisch‐
8 ugaritischen Hymnen und Mythen aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. stammen. (Seybold 1986: 154). Dass der Sonnenhymnus des Echnaton im Psalm 104 wirkt, bezweifelt Seybold aufgrund von mangelnden Übersetzungskenntnissen der damaligen Zeit. Seybold meint, dass beides eigenständige Gebilde seien (Seybold 1986: 169). 2.1.3. Jahwe Der Name bedeutet „Notwendiges Sein“ oder „Was durch dich selbst existiert“ (Assmann 2007: 137). Ein jüdischer Dualismus kommt in zwei Gottesnamen, Jhwe und Elohim zum Vorschein, und zwar in den beiden Königreichen Israel und Juda (Assmann 2007: 229). Jahwe wohnt im Himmel wie die Götter Ägyptens und die der Babylonier (Gunkel 1985: 73). Eigentümlich hebräisch ist, dass Jahwe im Sturm, Wetter, Feuer und Erdbeben, mit Donner und Blitz, erscheint. Ein uralter israelitischer Dichterstoff, der bereits im Deboralied vorkommt und ursprünglich aus der Offenbarung am Vulkan Sinai stammte (Gunkel 1985: 73). Jahwe gilt als ein medianitischer Vulkandämon (Assmann 2007: 228). Aton, der in den Psalmen erwähnt wird, ist der Gott des Moses und Echnatons (Assmann 2007: 228). In einigen Psalmen wird ein despotischer Gottesbegriff vorausgesetzt, den die Dichter als naturgemäß betrachten (Gunkel 1885: 75). Die Gegenreligion, wie später erklärt wird, ist die Umkehr der Ägyptischen und daher von dieser vollkommen abhängig. In gräco‐ägyptischen Texten wird der Gott IAO genannt. Damit wird die griechische Wiedergabe des jüdischen Gottesnamens mit Seth, einem Esel, verbunden, weil der Name dem offenkundig – onomatopoetischen ägyptischen Wort für Esel ähnelte (Assmann 2007: 64). Das seltsame und besonders absurde Motiv, dass der Gott der Juden als Esel dargestellt wurde, findet seine Erklärung bei Plutarch. Dieser erzählt folgenden Mythos: Der Gott Seth, der Mörder des Osiris, wurde aus Ägypten
9 vertrieben und verbrachte sieben Tage auf der Flucht nach Palestina. Dort zeugte er zwei Söhne, die er Jerusalem und Juda nannte. Seth wird demnach, der Aussprache wegen, in der ägyptischen Mythologie gewöhnlich mit dem Esel assoziiert. (Assmann 2007: 64). 2.1.3.1. Symbole Ein Berg vermittelt ewige, immerwährende Symbolkraft (Ps.125, 1)2, Bittgebet nach Festigkeit und Schutz. Zion, der mythische Gottesberg, steht für JHWHs Unerschütterlichkeit, dem die bösen Chaosmächte nichts anhaben können. Wer auf JHWH vertraut, der ist so fest gegründet wie der Zionsberg: ihn kann das Böse nicht vernichten (Zenger 2005: 346f). Dieses Bild soll poetisch verstanden werden und nicht als primitive Kosmologie (Zenger 2005: 172). Vorstellung von geflügelten Schutzgottheiten (Ps.61,5)3. Asylrecht in der Königsresisdenz („Zelt“=Tempel) JHWHs und im Schutzraum seines Thronsaals. (Zenger 2005: 165) Wohnungen Gottes (Ps.30,13)4. Nicht primär die äußere Pracht der Tempelanlage, sondern ihre „innere“ Qualität bewegt den Beter: Es ist die Residenz, die Gott sich gewählt hat, wo man ihn sehen, hören und erleben kann und wo viele Menschen zusammenkommen, die sich dort „zuhause“ fühlen – so wie die Vögel, die dort nisten. 2 Die auf den Herrn hoffen, werden nicht fallen, sondern ewig bleiben, wie der Berg Zion (Ps.125, 1). 3 Laß mich wohnen in deinem Zelte ewiglich und Zuflucht haben unter deinen Fittichen (Ps.61,5). 4 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen. Sie loben dich immerdar (Ps.84,5). (…) ich will dir danken in Ewigkeit (Ps.30,13).
10 Die Anrede (Ps.31,7)5 : „mein Gott“ wird als kräftigste Aussage des Vertrauens gesehen: mein Fels, meine Stärke, meine Burg, mein Befreier, meine Hilfe, mein Licht, meine Freude, mein Heil, (…) (Ohler 1988: 82). Die Israeliten können im Vergleich zu anderen Kulturen ihren Gott direkter ansprechen und müssen die Rede nicht mit Schmeicheleien beginnen. Auch das ist ein Hinweis auf ein größeres Vertrauen zu Gott (Gunkel 1885: 213). 2.1.4. zeitliche Einordnung, historische Hintergründe Aus dem alten Ägypten, Mesopotamien und Kanaan sind weit mehr Hymnen, Gebete, Lieder bekannt, als es Psalmen gibt. Israels Psalmdichter haben von diesen Vorbildern gelernt und manches übernommen (Ohler 1988:73). Psalm 104 erinnert an den Sonnenhymnus des Pharaos Echnaton. Die Psalme 88 und 89 werden nach den Weisheitlehrern Heman und Etan genannt, die Vorbewohner (Eingeborene) der Kanaanäer waren. Von den Nachbarvölkern hat Israel viele Formen der Gottesverehrung kennengelernt (Ohler 1988: 91). Doch es sind Unterschiede zu anderen Kulturen feststellbar. Der Gott Israels sorgt für seine Hoheit selbst (…), Gottes Lob und Sorge für die Armen gehören in Israel eng zusammen (Ohler 1988:91). Doch die Psalmisten (Ps 113,1,6f)6 nehmen Motive aus dem Lob der Götter in ihre Lieder auf, um den Preis der Heiden dorthin zu tragen, wohin er rechtens gehört, zu Jahwe, dem alle Mächte in der Welt dienen (Ohler 1988: 95). Der Ausspruch von Wünschen stammt eher von den Babyloniern und den Ägyptern (Gunkel 1985: 56). Dem Hymnus des Psalters wird selten eine Bitte hinzugesetzt. Es ist also im Unterschied von den Religionen der Fremden, eine uninteressierte Frömmigkeit, die hier redet. Der Hymnus Israels kommt dem 5 Ich verlasse mich auf den Herren (Ps.31,7). 6 Lobet, ihr Knechte des Herrn, lobt den Namen des Herrn!...der sich erhöht, um zu thronen, und sich erniedrigt, um zu schauen, der den Schwachen aus dem Staub emporhebt, und den Armen erhöht, der im Schmutz liegt (Ps 113,1,6f)
11 tiefsten und edelsten Bedürfnis aller wahren Religionen nach (Gunkel 1985: 69). Lieder, die mit „Lobet…“ beginnen, lassen darauf schließen, dass sie im Chor gesungen wurden. Dieses Gottesjauchzen, worin das ganze Volk brausend mit einspringt, entspringt den urältesten Kultusbräuchen der Israeliten. Bei den Babyloniern dagegen war eher zu hören: „ich will preisen,…“ (Gunkel 1985: 34f). 2.1.5. Geschichte und Vorgeschichte der Psalmen
12 2.1.6. Struktur 150 Psalmen sind eingereiht in fünf „Bücher“; das entspricht dem Lesezyklus der Synagoge, der 150 Abschnitte aus den fünf Büchern Mose umfasst hat. Je ein Psalm war ein Begleittext dazu (Ohler 1988: 71) und somit Bestandteil des Gottesdienstes. Alle Klagelieder enden mit einem Gotteslob, außer Psalm 88. Umgekehrt ist in den Lobliedern manchmal eine Klage eingeschoben Psalm 30,8‐11). Der Psalm erzählt nicht eine einmalige Geschichte, sondern ist ein für Zuhörer geplantes „Kunstwerk“. (Ohler 1988:84). 2.1.7. Stilmittel und Sprache Der Schreiber musste das Alphabet, also die 22 Konsonantenzeichen von Alef bis Taw kennen (Seybold 1986: 43). Psalm (griech.) heißt: Saiten zupfen. Psalm (griech.) meint ein Lied mit instrumentaler Begleitung (Ohler 1988, 72). Die Verwandtschaft mit der orientalischen Dichtung wird sichtbar am Parallelismus membrorum. Membra sind Versglieder, mit denen zwei oder mehrmals dasselbe mit anderen Worten gesagt wird. (der Reim klingt dem Semiten wie eine Dissonanz wie auch bei uns Spottlieder klingen). Es gibt synonyme und antithetsche als auch sich kreuzende Parallelismen. Darüber hinaus gibt es den steigernden und den ergänzenden Parallelismus. (Ohler 1988: 74). Im Hebräischen gibt es keine Verbform für Gegenwart; statt dessen braucht man substantivistische Sätze (Ps.30,6)7 oder adjektivistische Sätze (Ex. 15,21)8 7 Sein Zorn – ein Augenblick; Sein Güte – ein Leben lang (Ps.30,6)
13 oder Partizipalsätze (Ps113,7)9 (Grüsemann 1969). Manche Psalmen sind prosaisch, andere poetisch geschrieben (Seybold 1986: 13). Das alte Israel ist stark in der Kraft seiner Anschauung und in der Tiefe seiner Empfindung, aber es ist weniger als etwa die Griechen für die Logik des Denkens begabt (Gunkel 185:1). 2.1.8. zentrale Motive Die Psalmen sind Wegweiser zur Gotteserkenntnis (Ohler 1988: 96). Der gläubige Israelit erfuhr sich nicht nur als ein der göttlichen Macht unterworfenes Wesen. Der Mensch wurde ernstgenommen, als ein Gegenüber seines Gottes. Darum sind die Psalmen erfüllt mit einer Vielfalt von menschlichen Erfahrungen (Ohler 1988: 74). Es gab viele Gelegenheiten (wie Rettung und daher Dank) im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft, wo ein religiöses Lied am rechten Platz war (Ohler 1988:75). Die Texte sind daher nicht für Leser bestimmt, sondern für Beter in bestimmten Lebenssituationen (Ohler 1988: 76). Die Psalmen dienen dazu, in Meditation einzustimmen. Daher gilt die Sammlung so mehr der Lehre als dem Gebet (Seybold 1986: 29). Die Psalmen von Qumran gelten als prophetische Texte, die man aktualisierend auf die Gegenwart beziehen kann (Seybold 1986: 17). 3. Rezeption des Textes Israel ist ein Spätling unter den Völkern des Alten Orients, es baute auf und führte zu neuer Höhe, was es von seinen Nachbarn gelernt hatte, auch in der Poesie. Israel war für seine Dichtung berühmt, das zeigt die heutige 8 Singet Jahwe! Denn er (ist) hoch und erhaben (Ex. 15,21) 9 Den Schwachen aus dem Staube „emporhebend“, den Armen „erhöhend, der im Schmutz liegt (Ps113,7).
14 Verwendung von Parallelismus. Wenn andere Völker in der plastischen Kunst berühmt geworden sind wie die Griechen, Assyrer oder Ägypter, so ist es Israel, wo die Kunst des Wortes zu hoher Blüte gekommen ist (Ohler 1988: 74). Manche Texte wurden gebraucht wie Zauberformeln zur Abwehr von Dämonen (Seybold 1986: 174). Die Psalmen fanden Eingang in die jüdische und christliche Liturgie, in die Stundengebete der Mönche und hatten großen Einfluss auf Martin Luther. Der Psalter wird auch kleine Biblia genannt (Seybold 1986: 174f). Die erste Übersetzung galt den Angelsachsen im 8.Jhd (Judaikum Band 16 2007: 677). Über Martin Opitz, der den Hugenottenpsalter ins Deutsche übersetzte, entfalteten sich die Psalmen zu einem Höhepunkt (…) der katholische Psalter wurde von Philipp von Schönborn herausgegeben (..) Weitere bekannte Bearbeiter sind Herder10 und Klopstock (…), danach spalten sich die Psalmen auf, in die religiöse Weiterentwicklung ohne Entfaltung und in die profane Gegenwartlyrik. Dort werden die Psalmen rezitiert, imitiert, persifliert und kritisiert (…). Ebenso werden sie aufgenommen in die Negro Spirituals von Schwarzafrika als auch in Volksliedern und Befreiungsliedern in Lateinamerika (Seybold 1986: 183). Bekannt ist der Psalm 137: By the rivers of Babylon… (Judaikum Band 16 2007: 678). Igor Stravinsky komponierte die Symphony of Psalm und Leonard Bernstein den Chichester Psalm (Judaikum Band 16 2007: 679). 10 Herder: Es ist wert 10 Jahre hebräisch zu lernen, um den Psalm 104 in Original zu lesen (Judaikum 2007: 677).
15 Dante Gabriel Rosetti behandelte die Psalmen in der Lldandaff Cathedral. Andere bekannte Maler thematisierten die Psalmen ebenso. ZB Eugene Delacroix im Palais Bourlone Paris (Judaikum Band 16 2007: 678). 4. Interpretationen des Textes 4.1.Alter Betende Menschen fühlen sich nahe bei Gott und reflektieren unter anderen auch über das Ende ihres Lebens (Ps.39,5‐6)11. Der Beter bittet Gott nicht um Errettung vor dem Tod, sondern um Belehrung über den Tod (Zenger 2005: 108). Er bittet um die Belehrung durch Gott selbst, um mit der Erkenntnis, dass der Mensch nur ein Windhaus ist, richtig umgehen zu können (Zenger 2005: 109). Der Mensch will seine Lebenstage schätzen lernen (Ps. 90,12)12. Der Psalter bittet nicht um ewiges Leben, sondern um die rechte Lebensweisheit, mit dem Wissen um Vergänglichkeit und Begrenztheit des Lebens so umgehen zu können, dass jeder einzelne Augenblick des Lebens als Gabe und als Herausforderung des trotz allem guten Schöpfergottes angenommen werden könne (Zenger 2005: 243). 11 Herr lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. Siehe meine Tage sind eine Handbreit bei dir und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben (Ps.39,5‐6). 12 Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz. (Ps. 90,12).
16 Mit einem langen und gesunden Leben will der Beter Gott gefallen (Ps.91,16)13, durch ein gerechtes Leben ist er dazu befähigt (Ps.92,14‐16)14 und er bittet darum (Ps.71,18)15. Die Gerechten haben eine solche Vitalität, weil sie im Hause JHWHs und in seiner Tora verwurzelt sind. Sie sind so lebendige Verkündigung der Leben schaffenden Tora JHWHs (Zenger 2005: 247). In den Psalmen wird das Menschenalter mit etwa 70 bis 80 Jahren begrenzt (Ps. 90, 9ff)16. Moses Maimonides, ein jüdischer Philosoph (1138‐1204) meint, dass der Tod ein integraler Teil einer natürlichen Ordnung ist, der ein neues Leben und weitere Schöpfung ermöglicht (Judaikum Band 5 2007: 512). Selbst eine durch Gottes kraftvolle Taten bewirkte Lebenszeit von achtzig Jahren, die nach biblischem Maß einen lebenssatten Tod ermöglichen würde, ist angesichts des Gotteszorns nur sinnlose Mühsal (Zenger 2005: 242). Breit ist die Schilderung, wie das Alter als Marginalisierung erlebt werden kann (Ps.71,9‐16)17, (Ps 31,10f)18, (Ps. 31,12f)19, (Ps.22,15‐21)20 und (Ps. 41,5‐10)21. 13 Ich will ihn (Gott) sättigen mit langem Leben und will ihm zeigen mein Heil (Ps.91,16). 14 Der Gerechte gedeiht wie die Palme, er wächst wie die Zedern des Libanon. Die gepflanzt sind im Hause des Herrn, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen. Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein, dass sie verkündigen, wie der Herr es recht macht, er ist mein Fels und kein Unrecht ist an ihm (Ps.92,14‐16). 15 Auch im Alter Gott verlass mich nicht, und wenn ich grau werde bis ich deine Macht verkündige Kindeskindern und deine Kraft allen die noch kommen sollen (Ps.71,18). 16 Ja unsere Tage schwinden durch deinen Zorn, unsere Jahre gehen dahin wie ein Seufzer Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, sind es achtzig und das meiste dran ist Mühsal und Unglück (Ps. 90, 9ff). 17 Verwirf mich nicht, wenn ich alt bin, verlaß mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden. Denn meine Feinde reden schlecht von mir, die auf mich lauern beraten gemeinsam; sie sagen: „Gott hat ihn verlassen. Verfolgt und ergreift ihn! Für ihn gibt es keinen Retter.“ Gott, bleib doch nicht fern von mir! Mein Gott eil mir zu Hilfe! Alle, die mich bekämpfen, sollen scheitern und untergehen. Über sie komme Schmach und Schande, weil sie mein Unglück suchen. Ich aber will jederzeit hoffen, all deinen Ruhm noch mehren. Mein Mund soll von deiner Gerechtigkeit künden und von deinen Wohltaten sprechen den ganzen Tag, denn ich kann sie nicht zählen. Ich
17 Psalm 71 wird dem alt gewordenen David zugeschrieben (Zenger 2005: 188). Der Beter erlebt sein Alter als Zerfall und als soziale Marginalisierung (…), weiter betont er das Festhalten an Gott und sieht, wie in oberen Psalmen bereits erwähnt, einen besonderen Auftrag seines Alters im Lobpreis Gottes als Summe seines Lebens (Zenger 2005: 243). Fast für sämtliche Klagelieder ist bezeichnend, dass sie in offenbarer Gefahr des Todes des Psalmisten gedichtet worden sind (Gunkel 1985: 185). Das Klagegebet 31 bietet nach der eröffneten Bitte um Gnade eine breite Notschilderung, die zunächst die psychosomatische Zerstörung und dann die soziale Marginalisierung erwähnt (…) Das Ziel dieser Wünsche liegt freilich nicht primär in der Vernichtung der Feinde, sondern in seiner öffentlichen Rehabilitierung (Zenger 2005: 83). Das Klagelied 41 zeigt das Proprium des für die biblische Anthropologie typischen „konstellativen“ Personenbegriffs, wonach der Einzelne sich nur insofern als lebendig erfährt, als er mit seiner Umwelt positiv verbunden ist, und umgekehrt, sich in einer Umwelt, von der er nicht verstanden wird, als tot empfindet – und mit Klage und Hilfeschrei zu will kommen in den Tempel Gottes des Herrn, deine großen und gerechten Taten allein will ich rühmen (Ps.71,9‐16). 18 Mir ist angst. Vor Gram zerfallen mir Auge, Seele und Leib. In Kummer schwindet mein Leben. Meine Jahre verinnen im Seufzen. Meine Kraft ist ermattet im Elend. Meine Glieder sind zerfallen (Ps 31,10f). 19 Zum Spott bin ich geworden all meinen Feinden, ein Hohn den Nachbarn, ein Schrecken den Freunden; wer mich auf der Straße sieht, flieht vor mir (Ps. 31,12f). 20 …alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst, mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub. Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt. Sie haben meine Hände und Füße durchgraben. Ich kann alle meine Knochen zählen. Sie schauen zu und sehen auf mich herab. Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand. Ach du Herr sei nicht ferne! Meine Stärke, eile mir zu helfen (Ps.22,15‐21) 21 Ich sagte: Herr sei mir gnädig, heile mich, denn ich habe gegen dich gesündigt. Meine Feinde reden böse über mich: „Wann stirbt er endlich und wann vergeht sein Name?“ Besucht mich jemand, so kommen seine Worte aus falschem Herzen. Er häuft in sich Bosheit an, dann geht er hinaus und redet. Im Hass gegen mich sind sich alle einig; sie tuscheln über mich und sinnen auf Unheil: „Verderben hat sich über ihn ergossen, wer einmal da liegt, steht nicht mehr auf:“ Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat mich geprahlt. Du aber Herr sei mir gnädig, richte mich auf, damit ich ihnen vergelten kann! (Ps. 41,5‐10).
18 Gott reagiert. Es geht wieder um den Wunsch, den Feinden und Freunden zu sagen, „was Sache ist“ und nicht einfach so zu tun, als sei alles „in Ordnung gewesen“ (Zenger 2005: 115). Ursache für Marginalisierung kann Krankheit sein, die zur Einsamkeit führt (Ps.88,5‐7)22, und (Ps.102)23. Psalm 88 ist eine Anklage gegen Gott, der verantwortlich gemacht wird, für die dem Beter unbegreifliche chaotische Lebensbedrohung = Theodizeeklage. Ein betender Kampf gegen Gott mit Gott. Er hält in tiefster Not daran fest, dass Gott dieser Not ein Ende setzen muss und wird (Zenger 2005: 232). Psalm 102 ist eine Notschilderung, die mit einer sogenannten Ich‐Klage beginnt. Der Beter beklagt seinen physisch psychischen Zerfall (Zenger 2005: 266). Die Gesunden haben den Kranken und Menschen, die Hilfe nötig gehabt hätten, nie geholfen, deshalb erschienen die Gesunden, den Kranken damals als Feinde (Seybold 1986: 206). 4.2.Tod Menschen, die dem Tode nahe sind, können sich einsam fühlen (Ps.31,13)24, danken für ein weiteres Leben (Ps.9,14)25, (Ps.115,3,8)26, (Ps.29,4)27, 22 Ich bin denen gleich geachtet, die in die Grube fahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat. Ich liege unter den Toten verlassen, wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen, derer du nicht mehr gedenkst und die von deiner Hand geschieden sind. Du hast mich hinunter in die Grube gelegt, in die Finsternis und in die Tiefe (Ps.88,5‐7). 23 Denn meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, und meine Gebeine sind verbrannt wie von Feuer. Mein Herz ist zerschlagen und verdorrt wie Gras, dass ich sogar vergesse, mein Brot zu essen (Ps.102,4‐5). Meine Tage gehen dahin wie Schatten und ich verdorre wie Gras (Ps.102, 12). 24 Ich bin dem Gedächtnis entschwunden wie ein Toter, bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß (Ps.31,13). 25 26 (…) sieh an mein Elend unter meinen Feinden, der du mich erhebst aus den Toren des Todes (Ps.9,14). Stricke des Todes haben mich umfangen, des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen. Ich kam in Jammer und Not.(…) du hast meine Seele von Tod errettet. Meine Augen von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten 27 (Ps.115,3,8). Du hast mich von den Toten heraufgeholt; du hast mich am Leben erhalten, aber sie mußten in die Grube fahren (Ps.29,4).
19 (Ps.56,14)28, haben den Wunsch nach ewigem Leben (Ps.13,4)29, (Ps.16,10)30 und Auferstehung (Ps.49,16)31. Die Vorstellung des Nutzlosseins, des nicht Gebrauchtwerdens, dass das Leben auch weiter geht ohne dem Beter, wird thematisiert (Gunkel 1985: 70). Es wird darauf hingewiesen, dass der Segen eines Sterbenden eine besondere Macht hat (Gunkel 1985: 294). Für den zu Staub geworden Menschen wird befürchtet, Gott nicht näher zu kommen (Ps.6,6‐8)32, (Ps.30.10)33, (Ps.115,17)34und (Ps.88:6, 12‐13)35 Die Vorstellungen im Alten Testament vom Tod sind finster. Leben konnte Israel sich nur denken als leibliches Leben in dieser Welt. Der Tod lässt nur Spuren und einen kraftlosen Schatten übrig, unfähig zu Freude und Liebe, unfähig, mit Gott in Beziehung zu treten (Gunkel 1985: 70). Die Toten haben nach dem alten Glauben Israels keine Beziehung zu Gott (Gunkel 1985: 121). Nach dem Tod gibt es keine Verbindung zwischen dem toten Menschen und Gott. Es ist eine unglückliche Situation, die jedoch vom Leben abhängig ist (Judaikum Band 5, 2007: 510). 28 Denn du hast mich vom Tode errettet, meine Füße vom Gleiten, dass ich wandeln kann vor Gott im Lichte der Lebendigen (Ps.56,14). 29 30 (…) erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe (Ps.13,4). Du wirst mich nicht dem Tode überlassen, und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe (Ps.16,10). 31 Aber Gott wird mich erlösen aus der Todes Gewalt, denn er nimmt mich auf (Ps.49,16). 32 Denn im Tode gedenkt man deiner nicht, wer wird dir bei den Toten danken? Ich bin so müde vom Seufzen, ich schwemme mein Bett die ganze Nacht, und netze mit Tränen mein Lager. Mein Auge ist trübe geworden vor Gram und matt, weil meine Bedränger so viele sind (Ps.6,6‐8). 33 Kann der Staub Gottes Treue verkünden? (Ps.30.10). 34 Die Toten werden dich Herr nicht loben. Keiner der hinunterfährt in die Stille (Ps.115,17). 35 Ich bin zu den Toten hinweggerafft, wie erschlagene, die im Grabe ruhen; an sie denkst du nicht mehr, denn sie sind deiner Hand entzogen (Ps.88:6). Erzählt im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich? Werden deine Wunder in der Finsternich bekannt, deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens? (Ps.88:12‐13).
20 In den Mythen der Ugaritic Literatur wird der Tod folgendermaßen behandelt: Tod = mavet (hebräisch) die Wurzel stammt von mvt von den Kanaaitern. Mot war deren Gott der Unterwelt. Mot kämpfte gegen Baal (Gott des Regens und der Fruchtbarkeit) Mot siegte und zwang Baal in die Unterwelt. Dessen Schwester Anath stiftete die Brüder an. Diese töteten Mot. Mot und Baal kamen wieder zum Leben zurück, jedoch zu verschiedenen Zeiten. Die Erzählung hängt möglicherweise mit den verschiedenen Jahreszeiten zusammen. (Judaikum Band 5 2007: 510). Weiters: Der Wassergott Baal aus der „zweiten Generation“ kämpfte mit dem Hochgott der „ersten Generation“ El und seiner Gemahlin, die für die Welt zuständig waren, gegen den Meergott Jamm und den Gott des Todes Mot. (Seybold 1986: 150f). Andere mythologische Motive hatten am Jerusalemer Tempel seinen Ort. Der Einfluss von den Nachbarn ist unverkennbar (Seybold 1986: 151). 4.3.Unterwelt Gott ist überall, in der Oberwelt und in der Unterwelt (Ps.139,7‐10)36. Der Begriff der Unterwelt wird in zweierlei Formen verwendet: Rettung vor dem Tod oder Leben nach dem Tod (Seybold 1986: 126). Die Unterwelt ist unter der Erde angesiedelt. (…) Doch grundsätzlich stellt man sich darunter einen mythischen Ort vor, ein ins riesenhafte ausgedehnte Grab. Denn das Grab trägt die Erfahrungswerte, welche man der Scheol37 zuschreibt: Tiefe, Dunkel, Stille, Vergessenheit (Seybold 1986: 148). (Scheol der; ‐s : als Unterwelt gedachtes Totenreich). Die Unterwelt ist ein Land ohne Wiederkehr, ein Schattenreich. Dort geht das Leben nach allgemeiner Auffassung als Totenseele weiter, jedoch in stark 36 Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, wohin mich vor deinem Angesicht flüchten? Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in die Unterwelt, bist du zugegen (Ps.139,7‐10).
21 reduzierter Weise. Jeder behält den Status, den er im Angesicht des Todes innehatte. Das Schattendasein ist düster; ewige Stille und Finsternis umgeben die körperlosen Schatten, deren Existenz man so lange für gegeben ansieht, solange im Lande der Lebendigen noch seines Namens gedacht wird. Die Unterwelt (Hades) liegt in fernen Tiefen; eine Verbindung zur oberen Welt, vor allem zur göttlichen Welt, bestand nach altisraelitischer Auffassung nicht. (Seybold 1986: 136). Sehr häufig wird die Todesgefahr des Dankenden unter den auch in Klageliedern häufigen Bildern einer Fahrt in die Unterwelt dargestellt: (Ps.9,14)38, (Ps. 107,18)39, (Ps. 116,3)40, (Ps.30,4)41, (Ps. 88,4)42, (Ps. 40,3)43. Das Wort Scheol wird oft vermieden – eher werden Grube, Brunnen, Zisterne verwendet (Gunkel 1985: 185). Das Wort der Scheol wird eher im Dank‐ als im Klagelieder gebraucht (Gunkel 1985: 189). Die Bitte um Befreiung aus der Scheol meint, nicht ein Leben nach dem Tod, sondern die Rückkehr in dieses irdische Leben, an dem der Psalmist mit allen Fasern seines Herzens hängt (Gunkel 1985: 187). Dieser Interpretation schließt sich Zenger an: „das Grab schauen“ meint vorzeitig sterben (Zenger 2005: 43): (Ps. 16,10‐11)44 und (Ps.71,20)45. 38 Führ mich heraus aus den Pforten des Todes (Ps.9,14). 39 Die nahe waren den Pforten des Todes (Ps. 107,18). 40 Mich umfingen die Fesseln des Todes, mich befielen die Ängste der Unterwelt, mich trafen Bedrängnis und Kummer (Ps. 116,3). 41 Herr du hast mich herausgeholt aus dem Reich des Todes, aus der Schar der Totgeweihten mich zum Leben gerufen (Ps.30,4). 42 Denn meine Seele ist gesättigt mit Leid, mein Leben ist dem Todenreich nahe (Ps. 88,4). 43 Er zog mich heraus aus der Grube des Grauens, aus Schlamm und Morast (Ps. 40,3). 44 Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis; du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen (Ps. 16,10‐ 11). 45 Du läßt mich erfahren viele und große Angst und machst mich wieder lebendig und holst mich wieder herauf aus den Tiefen der Erde (Ps.71,20).
22 Die Unterwelt wird gesehen als phantastischer Ausdruck für äußerste Todesgefahr und bitterste Gottverlassenheit. (Gunkel 1985: 187). Das Wasser der Unterwelt, Brandungen und Bäche, furchtbare Ströme – diese Vorstellung der Unterwelt sind der von Ägypten und Babylon entlehnt (Gunkel 1985: 186): (Ps.42,8)46. Nach altorientalischer Vorstellung ist die Erde durch den Schöpfergott als Lebensraum aus den Chaoswassern ausgegrenzt worden, die die Erde weiterhin umgeben und bedrohen (Zenger 2005: 173). Kudurru aus Susa Spätkassitisches Grenzsteinrelief aus Susa 12. Jd.v. Chr. bildet das Totenreich ab. Die untere Burg ist vom Chaoswasser umflossen. Sie stellt die Unterwelt dar. Damit ist die Welt in drei Stockwerke (Ps.75,4)47 eingeteilt. Diese Etagenlösung hat sich am meisten verbreitet. (Seybold 1986: 150). 4.4.Ewiges Leben 1. Ausgangspunkt ist der Tun‐Ergehen‐Zusammenhang. 2. Das Frömmigkeitskonzept von einer innigen Gottesbeziehung als das eigentliche Lebensglück wird auch in ägyptischen Weisheitsbüchern belegt. 46 Deine Fluten rauschen daher, und eine Tiefe ruft die andere. Alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über mich (Ps.42,8). 47 Die Erde mit allen, die auf ihr wohnen, mag wanken; doch ich selbst habe ihre Säulen auf festen Grund gestellt (Ps.75,4).
23 3. Die Frommen stehen im Leben unter einem besonderen Schutz JHWHs und die Nachkommen profitieren davon (Zenger 2005: 100ff). 4. Es gibt Hinweise, als auch Zweifel für ein Sein nach dem Leben. Das Ewige ist oft durch das Erreichen von Zielen auf die Lebenszeit bezogen (Ps.16,10‐11)48, (Ps.23,6)49, (Ps.27,13)50, (Ps.1,6)51, (Ps.36,28)52. Der Vertrauenspsalm 16,10 meint nicht die Befreiung vom Tode überhaupt, d.h. ewiges Leben, Unsterblichkeit, sondern nur die Errettung aus der gegenwärtigen Lebensgefahr (Gunkel 283). Der Beter erhält ein „Wohnrecht“ und damit die Zusage eines besonderen Schutzes auf Lebenszeit (Zenger 2005: 64). (…) sein Gott, den der Beter in seinem Leben immer gesucht hat und auch nun sucht, wird ihn „aufnehmen“. So wird ihm die rettende „Sonne“ JHWH im Dunkel seiner tödlichen Bedrohung aufgehen, sodass er (wieder) rettendes Land des Lebens sieht (Zenger 2005: 74). Das Leben auf der Erde wird nicht so wichtig erachtet wie die Gemeinschaft mit Gott (Ps.63)53, Wohl gibt es eine Hoffnung da und dort, dass das Dasein als solches der Güter Höchstes nicht ist, sondern das Mitsein mit Gott, und dass die 48 Du gibst mein Leben nicht der Unterwelt hin, läßt deinen Frommen die Grube nicht schauen! Du tust mir den Pfad des Lebens kund; Fülle von Freuden ist vor deinem Antlitz, Wonnen in deiner Rechten immerdar (Ps.16,10‐11). 49 (…) ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar (Ps.23,6). 50 Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen (Ps.27,13). 51 (… )seine Blätter (des Gläubigen) verwelken nicht (Ps.1,3). … der Gottlosen Weg vergeht (Ps.1,6). 52 Der Herr kennt die Tage der Frommen und ihr Gut wird ewiglich bleiben (Ps.37.18). Denn der Herr hat das Recht lieb und verläßt seine Heiligen nicht. Ewiglich werden sie bewahrt, aber das Geschlecht der Gottlosen wird ausgerottet (Ps.36.28). 53 So habe ich dich geschaut im Heiligtum. Zu sehen deine Macht und Heiligkeit. Denn deine Gnade ist besser als Leben (Ps.63)
24 Gemeinschaft mit Gott möglicherweise die Einsamkeit in der Scheol überdeckt oder verdrängt – doch selbst dieser Gedanke ist in den genannten Stellen keineswegs zwingend ausgesprochen (Seybold 1986: 137). Vielmehr ist es jene Erfahrung, welche zur Hoffnung werden kann, die ein Dankpsalm für göttlichen Freispruch bekennt (Seybold 1986: 137). Ps. 90,15,1654 ist eine Bitte um Fortleben in der Generationenkette (Gegenbewegung zur Vergänglichkeit) (Zenger2005: 241) (Ps. 37,18)55. Wer sich selbst als Gerechter der Gemeinschaft lebensförderlich einfügt, findet darin jene Lebenserfüllung, die ihn vor Vereinsamung und Verlassenheit bewahrt. So wird er zur nie versiegenden Quelle der Barmherzigkeit und des Glücks für andere und seine Nachkommen werden zum Segen für ihre Umgebung (Zenger 2005: 100ff). Für ein Sein nach dem irdischen Leben gibt es Zweifel und einige Hinweise (Ps.89,49)56, (Ps.73,25,26)57, (Ps.73,24)58, (Ps.49,16)59, (Ps.22, 28‐32)60, (Ps.88,11‐13)61. 54 Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast, so viele Jahre, wie wir Unglück erlitten. Zeig deinen Knechten deine Taten und ihren Kindern deine erhabene Macht! (Ps. 90,15,16). 55 Der Herr kennt die Tage der Bewährten, ihr Erbe hat ewig Bestand. 56 Wo ist da jemand, der da lebt und den Tod nicht sähe, der seine Seele errette aus des Todes Hand (Ps.89,49). 57 Was habe ich im Himmel außer dir? Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. Auch wenn mein Leib und mein 58 Herz verschmachten, Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig (Ps.73,25,26). Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit (Ps.73,24). 59 Doch Gott will mich loskaufen aus dem Reich des Todes, ja er nimmt mich auf (Ps.49,16) 60 Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welten Enden und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. Denn des Herrn ist das Reich und er herrscht unter den Heiden. Ihn allein werden anbeten alle, die in der Erde schlafen, vor ihm werden die Knie beugen alle, die zum Staube hinabfuhren, und ihr Leben nicht konnten erhalten. Er wird Nachkommen haben, die ihm dienen, vom Herrn wird man verkündigen Kind und Kindeskind, Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit predigen dem Volk. Denn er hat’s getan (Ps.22, 28‐32). 61 Wirst du den Toten Wunder tun, oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? Wird man im Grabe erzählen deine Güte und deine Treue bei den Toten? Werden denn deine Wunder in der Finsternis erkannt oder deine Gerechtigkeit im Lande des Vergessens? (Ps.88,11‐13).
25 Von einem ewigen Leben im üblichen Sinne wissen die Psalmen noch nichts (Seybold 1986: 127). Es gibt darin keine eindeutigen Aussagen über ein jenseitiges Leben nach dem Tod (Seybold 1986: 137). Dass die Menschen in She’ol verschwinden und dort für immer bleiben, geht zurück auf die Mesopotanische Flutgeschichte62. Das Psalmistische Denken sieht nicht den Gang in die Unterwelt vor (Judaikum Band 5 2007: 511). Dem Atheisten, der auf sich selbst vertraut, wird ein Gegenbild entworfen, dass der Betende die Erfüllung seines Lebens im Geschenk der Gemeinschaft mit Gott sucht und deshalb hofft, dass dieser Gott, in dessen Nähe er zu leben versucht hat, ihm diese Nähe auch über den Tod hinaus bewahrt, ihn aus der Hand des zerstörerischen Todes „loskauft“ und ihn in seine Hausgemeinschaft „aufnimmt“ (Zenger 2005: 138f). Der Beter erkennt, dass das wahre Lebensglück die unzerstörbare Gottesgemeinschaft ist – und zwar als Gabe des guten Gottes sogar über den biologischen Tod hinaus (Zenger 2005: 197). Der Psalm 22 gehört zu den wenigen Texten des AT, die von einer Auferstehung der Toten reden. Der überlieferte hebräische Text ist schwierig. Die Einheitsübersetzung orientiert sich an der Septuaginta. Ein Teil dieses Psalms wurde später erweitert. Dieser Teil beschreibt die erhoffte Errettung des Einzelnen in den universalen und eschatologischen Horizont der Königsherrschaft JHWHs (Zenger 2005: 58f). Die Unsterblichkeit der Könige im Alten Testament begnügt sich mit der Ewigkeit des Namens (Gunkel 1985: 160). Erst in späthellenistischer 62 Utnapischti(m) (auch Atra‐hasis, sumerisch Ziusudra) ist der Name des göttlich auserwählten Helden der sumerisch‐babylonischen Flut‐Erzählung; elfte Tafel des Gilgamesch‐Epos, welches um 1200 v. Chr. von Sin‐ leqe‐unninni zusammengestellt wurde. Der Name Utnapischtim bedeutet Der sehr Kluge.
26 Zeit hat die Vorstellung eines ewigen Lebens in Israel Eingang gefunden (Seybold 1986: 137). Immerdar loben und frohlocken (…) entspringt einer enthusiastischen Begeisterung (Gunkel 1985: 332), einer eschatologische Grundstimmung. Weitere Interpretationen: Bischof von Glucester: In der hebräischen Bibel ist keine Andeutung über die Unsterblichkeit der Seele und über Lohn und Strafe in einem künftigen Leben (Assmann 2007: 138). Das Fehlen von der Unsterblichkeit der Seele ist absichtlich und wird sorgfältig vermieden, Moses ist der einzige Gesetzgeber, der nicht auf diese beiden Prinzipien des Jenseits und des Geheimnisses angewiesen war. Er verzichtete auf Geheimhaltung, indem er dem Volk die Mysterien lehrte und eine Nation von Eingeweihten schuf (Assmann 2007: 139). 5. Ägyptophobie (Ps.31,7)63 Ägypten steht in der Bibel für die Ausgegrenzten, des religiös Unwahren und wird zum Begriff des Heidentums. Ägypten steht für ein Land mit Despotie, Hybris, Zauberei, Tierverehrung und Idolatrie. Die biblische Fassung ist kanonisch und normativ, andere Fassungen sind apokryph und häretisch64 (Assmann 2007: 30). Ägyptischen Subtexte können diese polemischen Verzerrungen zurechtrücken (Assmann 2007: 29). 1338 vor Chr. wurden Echnatons Bauten abgerissen (Assmann 2007: 47). Freud sieht in Echnaton sowohl einen Aufklärer als auch einen intoleranten Despoten, der dem Volk seinen universalistischen Monotheismus mit Gewalt und 63 Dir sind alle verhaßt, die nichtigen Götzen dienen, ich aber verlasse mich auf Jahwe (Ps.31,7). 64 Vergleiche zwei Filme: Raschomon, 1950; Letzten Jahr in Marienbad, 1961
27 Verfolgung aufgezwungen hatte (Assmann 2007: 242). Echnaton hat mit dem ägyptischen Totenglauben gebrochen (Assmann 2007: 225). Aus einem lokalen Kult wurde eine allgemeine Religion, ein intoleranter Monotheismus. Echnaton machte Aton (die Scheibe) zum einzigen Gott: „du einziger Gott, neben dem es keinen anderen Gott gibt“ (Assmann 2007: 224). Der Gott Aton ist die Quelle des Lichtes und der Zeit. Echnatons Hymnus gab der Sonne aber keinen anderen Sinn, als dass sie Licht und Wärme der Welt schenke und durch Zeit zur Entfaltung bringe (Assmann 2007: 252), siehe Psalm 104. Echnatons Revolution war ein radikaler und gewaltsamer Ausbruch einer Gegenreligion. Tempeln wurden geschlossen, Götterbilder zerstört, Namen wurden ausgehackt, Kulte wurden abgebrochen. Der Abbruch der Riten bedeutete einen Zusammenbruch der sozial und kosmischen Ordnung (Assmann 2007: 49). Echnatons Religion überbot die geistige Strenge der Atonreligion und er wurde in Folge seiner Unnachgiebigkeit erschlagen (Assmann 2007: 231). Ein anderer Führer trat an seine Stelle, ein Verehrter des Vulkandämons, namens Jahwe. (Assmann 2007: 231). Moses übernimmt die Atonreligion des „Ikhaton“, siehe Gleichklang des Gottesnamen Aton mit Adonai in den Psalmen (Assmann 2007: 224). Für Apion war Moses ein Priester aus Heliopolis. Heliopolis war der einzige traditionelle Tempel, den Echnaton nicht verfolgte (Assmann 2007: 223). Als eine Figur der Geschichte wurde Echnaton so vollständig vergessen, dass er nie in der Erinnerung der Menschen wiedergekehrt ist, jedoch in der Maske des Moses sehr wohl (Assmann 2007: 235). Moses hatte es nicht nötig, mit dem Jenseits zu drohen, weil sein Gott schon im Diesseits belohnte und bestrafte (Assmann 2007: 225). Das biblische Ägyptenbild symbolisiert Weltvergötzung, eine auf äußeres Glück, säkulares Gelingen, ziviles Wohlbehagen, materielle Güter und politische
28 Macht ausgerichtete Kultur. (Assmann 2007: 245). Die ägyptische Religion war eine hochkultivierte Fetischverehrung. Die Ägypter beteten zu den Göttern auch um Segen und Heil für das eigene Leben. Das Volk sah nur die farbige, polytheistische Außenseite der Religion. Die kleinen Mysterien bestanden in der moralischen Bedeutung und die großen Mysterien in ihrer Aufhebung im Licht der Wahrheit. Die Funktion des Geheimnisses war politisch. Das Volk musste in Furcht vor den Göttern gehalten werden, damit es dazu gebracht wurde, die Gesetze zu halten und den Staat zu tragen. Das Geheimnis hatte zwei Gesichter, Neugier und Interesse zu wecken und die Wahrheit zu verschleiern. Das polytheistische Pantheon war nur Illusion (Assmann 2007: 145). Die Darstellung von vergöttlichten Sterblichen in Gestalt von Tieren war ein erster Schritt in Richtung einer verfremdenden Verschleierung ihres Ursprungs. Die Verfremdung wurde noch wirkungsvoller und das Geheimnis noch sicherer als das Volk die Darstellung anstelle der Dargestellten anzubeten begann. Aber die absolute Unsichtbarkeit oder Tarnung war erreicht, als das Volk die Tarnung selbst verehrte. Im ersten Stadium wurden die Tiere in Stein geschnitten, im zweiten Stadium wurden die Figuren selbst verehrt. Das geschah etwa zur Zeit Moses (Assmann 2007: 163). Die Ägypter betrachteten sich eher als Mitglied einer Stadt und nicht eines Volkes (Assmann 2007: 50). Die Zugehörigkeit zum Stadtgott war daher wichtig. Die Abschaffung der Feste, wie oben beschrieben, traf damit das Identitätsbewusstsein (Assmann 2007: 51). Die polytheistischen Religionen überwanden den Ethnozentrismus der Stammesreligionen (Assmann 2007: 19). Polytheistische Manthea lassen sich ohne Mühe in andere Religionen übersetzen (Assmann 2007: 73). Die Mesopotamische Kultur verfügt über Verträge mit feierlichem Eid und
29 entwickelte eine interkulturelle Theologie innerhalb des Pantheons und ein Verständnis, dass die Götter gar nicht anders, als mit den eigenen identisch sein können (Assmann 2007: 75). Der Name der Götter war gleichgültig im Sinne von gleich gültig (Assmann 2007: 76). Eine Mesopotamische Listenwissenschaft bis 3000 v.Chr. diente der Übersetzung fremder Götternamen. Anfangs geschah dies nur zwischen zwei Sprachen aber nicht zwei Kulturen, in der späten Bronzezeit gelingt dies mit fremden Völkern (Assmann 2007: 74). Die gegenseitige Übersetzbarkeit der polytheistischen Gottheiten muss als große kulturelle Leistung gewertet werden (Assmann 2007: 19). Die antike Theorie der ägyptischen Geheimreligion ging von dem Prinzip aus, dass die Wahrheit an sich ein Geheimnis darstellt und in dieser Welt, nur verschleiert in Allegorien, Mythen und Rätsel zu fassen ist. Das kommt im Neuplatonismus, im Hermetismus, in der Knosis und im Philippus‐Evangelium zum Ausdruck (Assmann 2007: 271). Das Geheimnis besteht in nichts anderem, als im Verbergen der Tatsache, dass es nichts zu verbergen gibt (Assmann 2007: 186). Das Geheimnis verhindert den Konflikt und ermöglicht, das sich gegenseitig geltenlassende Nebeneinander von Religion und Gegenreligion (Assmann 2007: 272). Zu einem dieser Geheimnisse gehörte die Epoptie, das heißt die mystische Schau (Assmann 2007: 274). Der Ritus „den Gott schauen“ musste von den Priestern täglich vollzogen werden (Assmann 2007: 184). Moses war ein ägyptischer Priester (Assmann 2007: 63), namens Osasiph, der später den Namen Moses angenommen hatte (Assmann 2007: 59). Dieser glaubte an Deniurgos = Jao, den er in den Mysterien kennen gelernt hatte: Soll er dem Volk einen falschen oder fabelhaften Gott verkünden, gegen den sich doch seine Vernunft empört, den ihm die Mysterien verhasst gemacht haben? Sein
30 Herz ist zu aufrichtig und zu edel. Dem wahren Gott kann er den Hebräern nicht verkünden, weil sie unfähig sind, ihn zu fassen; einen fabelhaften will er ihnen nicht verkünden, weil er diese widrige Rolle verachtet; so verkündigt der den wahren Gott auf fabelhafte Weise (Assmann 2007: 203). Nur die zur Herrschaft berufenen, stärksten und fähigsten Eingeweihten, sind dem Anblick der Wahrheit, bzw. der Natur gewachsen. Da Moses an den Verstand der Menschen nicht appellieren konnte, musste er ihre Sinne ansprechen. Er musste sich auf blinden Glauben und Gehorsam verlassen und auf Wunder und körperliche Züchtigung zurückgreifen. Er musste seine neue Religion in die Sache des Leibes anstatt der Seele übersetzen. Die körperliche Disziplin ist nichts als ein unabdingbarer Ersatz für das fehlende, vernunftgemäße Verstehen. Ihre sichtbare symbolische Außenseite wirkte durch sinnliche Faszination und konnte auf Vorschriften und blindem Gehorsam verzichten (Assmann 2007: 177). Moses machte Gesetze, die verbaten, was in Ägypten erlaubt war und schrieb vor, was in Ägypten verboten war (Assmann 2007: 57). Jede Identitätsfindung beginnt mit einer Abgrenzung, Distinktion von Anderen. Jede Ausbildung von Identität geht unausweichlich mit der Konstruktion von Fremdheit65 einher (Assmann 2007: 18). Die Abscheu der anderen Kultur, zur Vorschrift der eigenen zu machen, Essensvorschriften wie Schweinefleisch zu essen, nicht weil es nahrhaft und billig ist, sondern weil es bei den anderen verboten ist, sind sichtbare Demonstration dazu (Assmann 2007: 57), eine normative Inversion. Diese neue Gegenreligion blockiert die interkulturelle Übersetzbarkeit (Assmann 2007: 20). Die gegenseitige Abscheu ist nicht ideosynkratisch, keine krankhafte Aversion, sondern durch die mosaische 65 Emmanuel Lèvinas: Der Absolut andere, der ganz unabhängig von uns und unseren Konstruktionen von Selbstheit und Andersheit existiert, sondern nur mit den anderen dem wir im Sinne einer Schablone als Gegensatz unserer selbst konstruieren.
Sie können auch lesen