Ein Hoch auf den Sardinenheber - Annette Ahrens
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TAFELKULTUR Ein Hoch auf den Sardinenheber Die Tafelkultur und Corona: Es riecht nach Auferstehung. Ein Streifzug durch die Epochen bei Tisch mit Annette Ahrens, Expertin für Spargellutschen, versperrbare Zuckerdosen und verbotene Grätenzäune. TEXT VON ANNA BURGHARDT FOTOS VON MICHAEL REIDINGER Tischbesen aus meh- reren Ländern und Epochen, Muscheln für den Muschelver- zehr, Melonengabeln und unzähliges mehr findet sich im Fundus von Annette Ahrens (Bild links). Das englische Sauer- krautbesteck zählt zu Ahrens’ Lieblingen. Weiters: Gräten- zange (einst bei Tisch erlaubt), Fonduegabel von Carl Auböck und Löffel von Arik Brauer (Bild rechts) 98 A LA CARTE A LA CARTE 99
TAFELKULTUR O ffenbar haben die Leute im Lockdown sehr viele Kekse gegessen. Oder sie haben einfach nur mehr herumgebröselt, ich kann es nicht sagen.“ Mit Eissichel und Eisschieber servierte man Eisbomben. Außerdem im Bild links: M an könnte nun einwenden, dass so manches Versandhaus, so manche Kaffeehandelskette ja ebenfalls wahnsinnig nützliche Dinge im Sorti- Objekten innewohnenden Schönheit, die mit echter Zuwendung zum Essen einhergeht, mit Wertschät- zung jeder Geste im Gebrauch von Dingen (man Spargelfingerzange, Fest steht jedenfalls: Annette Ahrens hat in den Marmeladelöffel, ment hat wie Kiwilöffel, Erdbeer-Entstieldings- muss nicht einmal das Wort Achtsamkeit bemü- letzten Monaten mehr Tischbesen verkauft als je Reiseklapplöffel bumse oder Mozzarellaschneider, die auch als hen). Diese Schönheit der Handhabung findet man zuvor. Ob es sich um ein versilbertes Besen-Schau- Die Küchenlade von Paradeiserschneider oder Eierschneider verhökert etwa in einer versilberten Muschel, die man zum fel-Set aus der Zeit um die Jahrhundertwende han- Annette Ahrens, die werden, wenn es die Saison nahelegt. Und dass Muschelessen verwendet, analog zur „Erlaubnis“ täglich mit Silberbe- delte, eines aus den 1930ern oder ein magnetisches steck isst. Firmenkata- solche Objekte mit extrem eng gestecktem Anwen- bei Tisch, dafür eine leere echte Muschel zu ver- aus Nirosta und Teak im Design der Sechziger loge sind für sie ein dungsgebiet doch immer etwas Lächerliches haben. wenden. Mimikry einer Geste. Oder die Spezies wichtiges Recherche- jahre. Dieses bei Tisch verwendete Utensil ist aber werkzeug (Bild rechts). Das stimmt, wenn es sich um heutige Plastikhäss- Sardinenheber, derzeit eine der meistgefragten nicht das einzige, das in Corona-Zeiten einen lichkeiten mit dem Zweck „Geschenkidee“ oder übrigens – „dem Nuri-Hype sei Dank“ (und wohl Aufschwung erlebt. Die Tafelkultur generell, das dem Bestellgrund „Der Hausfrau ist fad“ handelt. auch jenem um Jahrgangssardinen): Um wie viel merken sowohl die einschlägige Expertin Annette Und stimmt nicht angesichts jener den historischen schöner der Sardinenverzehr doch wird, wenn man Ahrens als auch diverse renommierte Porzellan- hersteller, hat vom virusbedingten Zurückgewor- fensein in die eigenen vier Wände, an den eigenen Tisch gehörig profitiert. Die Krise hat bei jenen, die viel selbst kochen, anrichten und das Ganze dann oft noch auf Plattformen wie Instagram posten, offenbar einen gewissen Optimierungswil- len in Sachen Stil getriggert. Kostspieligeres Por- zellan, Kristallgläser und Silberbesteck sind wieder spürbar mehr gefragt, berichtet die in ihrer Bran- che gut vernetzte Tafelkulturistin. Auch gesund- heitliche Beweggründe mag es gegeben haben: Überraschend gut verkauften sich nämlich Cloches, diese überdimensioniert wirkenden, silbern glän- zenden Hauben für Speisen, die das bloße Servie- ren eines Tellers in einen theatralischen Auftritt zu verwandeln vermögen. Und die ein Gericht auf dem Weg von der Küche zum Tisch vor bösen Tröpfchen beschützen. Den Restaurantbesuch während der Lockdowns zu Hause möglichst detailgetreu ersetzen zu wol- len, das mag ein Grund für die hohe Nachfrage – perforierte Zuckerstreulöffel aus der nach Porzellan und Co sein. Oder dass man sich „Jö, ein Basilikum- Jugendstilzeit und dem Biedermeier, die mürben Dosenfischlein mit einem auf ihre Phy- abends in Ermangelung sonstiger Freizeitfreuden mehr Zeit nimmt, den eigenen Tisch zu decken. Abhacker!“ „Nein, winzige bunte Mokkalöffel aus Skan- dinavien, Breitmaul-Reislöffel von siognomie abgestimmten breitzinkigen Werkzeug unbeschadet ans Tageslicht holen kann. Wie viele „Aber die Leute hatten jedenfalls auch ausreichend eine Eissichel.“ Berndorf, englische Marmeladelöffel Formen an Sardinenhebern es gibt! Solche von Muße, um zu bemerken, wie schlecht sie eigentlich Annette Ahrens zu Christian Domschitz in Spatenform … und ein Werkzeug, 1900, die Poseidons Dreizack imitieren, andere aus ausgestattet sind“, kommentiert Annette Ahrens das Christian Domschitz in der Küche den Dreißigern, die an einen Miniatur-Kuchenhe- den Boom trocken. Sie selbst isst täglich mit Silber- des Schwarzen Kameel einst mit den ber erinnern, und wieder andere, die man schlicht besteck, warum auch nicht, „wofür hat man es Worten „Jö, ein Basilikum-Ab als breite Gabel bezeichnen würde. denn?“ Silber laufe schließlich nicht an, wenn man hacker!“ kommentierte. Dabei hatte Um die teils kuriosen Objekte aus ihrem über- es häufig verwende; es ärgere sich nur dann Letztere hat einen Federmechanis- Ahrens – „ich muss Sie enttäuschen, quellenden Fundus fortan kundenfreundlicher ver- schwarz, wenn man es vernachlässige. „Diese mus, der es erlaubt, eine Olive aufzu- Herr Domschitz“ – dem Kameel-Chef kaufen zu können, hat Annette Ahrens aus dem Schonerei geht mir so auf die Nerven!“ Die Besteck- spießen und am Zielort wieder abzu- Peter Friese eine Eissichel präsentiert. ersten Lockdown im Frühling 2020 eine Tugend lade in ihrer Küche lässt sich vor lauter Varianten streifen – so elegant und intuitiv in „Für weiche Eisbomben, man schabt gemacht und einen Onlineshop auf die Beine ge- von Löffel, Gabel, Messer kaum schließen. Und mit der Handhabung, dass man sich damit Eis ab und serviert es mit dem stellt. Jammern, wie andere Antiquitätenhändler Varianten ist nicht nur groß, mittel und klein fragt, ob man selbst wirklich immer Eisvorleger.“ Domschitz wollte sofort es angeblich tun, dass das Geschäft in der Krise gemeint. Da liegt etwa eine Melonengabel, die so so herumpatzen muss und ob nicht für das Utensil ein Dessert kreieren, nicht laufe, liege ihr nicht. „Man muss eben das geformt ist, dass sie auch eine Schneidfläche hat, doch die Anschaffung einer sol- sagt Annette Ahrens. „Peter Friese Zeug putzen, es fotografieren, online stellen, ver- neben einem versilberten Zitrusmesser mit einer chen … In Ahrens’ Schatzlade liegen hat ihm jedenfalls die Eissichel zu packen und auf die Post rennen. Ich renne dauernd Art Widerhaken und einer Mixed-Pickles-Gabel. weiters – Schwenk zur Gattung Löffel Weihnachten geschenkt.“ auf die Post.“ Wer eine Jugendstil-Parmesandose 100 A LA CARTE A LA CARTE 101
TAFELKULTUR sucht, ist in ihrem Shop ebenso richtig wie alle, die adresse gangs erwähnten Tischbesen wiederum ten, so etwa die Vielfalt an Teeutensilien, wie sie schon immer einen Jugendstil-Pancake-Warmer Tafelkulturistin Annette dienen seit dem Ende des 19. Jahrhun- in Großbritannien üblich war und ist. Die Briten Ahrens brauchten, deutsche Sektquirle, einen Eieröffner derts dazu, den Tisch bröselfrei zu be- kennen: Tea Caddys, also Behälter für losen Tee, annette-ahrens.at aus römischer Produktion oder einen silbernen Mitglied werden bei der Ös- kommen. „Die Tischbesen dürften aus in unzähligen Gestalten; diverse Formen von Tee- Maggi-Halter. Manches hat Ahrens erst einmal terreichischen Gesellschaft der Gastronomie auf den bürgerlichen sieben, Teekannen, Teetassen; textile Warmhalte eher provisorisch fotografiert, „Hauptsache, es ist für Koch- und Tafelkultur: Tisch gewandert sein“, mutmaßt Ah- hauben alias Tea Cosy; Portionslöffel zur Teeent- kochtafelkultur.at auffindbar“, manches in Szene gesetzt, jedenfalls rens, „beim Kaiser wurden sicher keine nahme; Stövchen und, und, und. Wie sehr man die alles beschlagwortet, beschrieben und zum Teil mit Brösel vom Tisch gekehrt.“ Sorgfalt auf die Spitze treiben kann, zeigt ein selten Anekdoten zu Anwendung oder Herkunft ergänzt. Tafelkulturobjekte wissen auch von zu findendes Kuriosum in Ahrens’ Sammlung: der Konvexe silberne Dinge lassen sich ausnehmend ländertypischen Eigenheiten zu berich- Teaspoon-Warmer von 1880 aus der besonders schwer fotografieren, musste sie die Erfahrung wärmeleitenden Zinnlegierung Britanniametall. machen, „das geht nicht, ohne dass man sich selbst „Die Engländer sind so verrückt beim Teetrinken, darin spiegelt. Auf eBay sieht man, wie viele Leute dass sie nicht wollen, dass ein kalter Metalllöffel, halbnackt sind, wenn sie etwas für den Verkauf mit dem man kurz umrührt, ihren Tee auskühlt.“ fotografieren. Sie übersehen, dass sie sich in einer Auch beim Modus des Teeeinschenkens könne V gerundeten Silberkanne immer spiegeln.“ Dank Jahrgangssardinen- iele historische Dinge der Tafel- man sich als Banause outen: „Die Briten sind der und Nuri-Hype hoch im Ahrens, die Kunsthistorikerin und eben „Tafel- Kurs: der Sardinenheber. kultur – und auch die von Ahrens Meinung, dass man zuerst die kalte Milch in die kulturistin“, erjagt, hortet und verkauft aber nicht Im Onlineshop der „Tafel- gehorteten alten Kataloge, in denen Tasse geben muss, dann erst den heißen Tee, nicht kulturistin“ findet man ver- nur. Sie hält außerdem Vorträge über Tafelkultur schiedenste Ausführungen. diese abgebildet und beschrieben sind umgekehrt – aus Angst, das Porzellan könnte zer- im Wandel der Zeit, erklärte unter anderem vor ein – geben Auskunft über frühere Ser- springen. Das aber bei 1.300 Grad im Ofen war …“ paar Jahren auf dem Food Camp dem jungen vice- und Verzehrgepflogenheiten. Es Wiener Bloggervolk, dass das Servieren der einzel- nen Gänge nacheinander Service à la russe genannt wird und als solches das Service à la française ab- dem Service noch einmal die Tische gebügelt werden, sei das übrigens ein war zum Beispiel salonfähig, Spargel bei Tisch auszuzuzeln. Man klemmte den unteren Teil der Stange in eine B leiben wir in England. Und nehmen das Smart- phone zur Hand. Wenn es plötzlich schwierig ist, historische Keramikformen für Aspik aufzu- löste. Oder seit wann wir runde Esstische kennen: Missverständnis: Die Knicke in Tisch- Spargelfingerzange, etwa eine von treiben, ist Instagram schuld oder besser gesagt der „Erst mit der Gleichberechtigung der Tischpartner tüchern dienten schon im Barock Christofle aus dem späten 19. Jahr- dortige Jelly-Hype. Unter dem Hashtag artofjelly im 19. Jahrhundert. Wenn jemand einen runden dazu, den Abstand zwischen den hundert, die dem Spargel nachgeformt und ähnlichen Schlagworten finden sich zahlreiche Esstisch aus dem Barock sucht, wird’s schwer.“ Das Gästen festzulegen, achtzig Zenti ist, oder eine tschechische Spargel- Vorführungen exaltiert und bisweilen obszön war, nebenbei, soeben ein Thema der Tischkultur, meter für jeden. Sie selbst lege daher klemme aus dem Art déco, lutschte wackelnder Geleegestalten, gegossen in alte Jelly- im Gegensatz zur Tafelkultur, ein Unterschied, der für Fotoshootings Tischtücher mit und räumte den Rest auf dem Tisch Formen. Annette Ahrens, die selbst „sicher dreißig Ahrens wichtig ist. Als Expertin für Letztere deutlich sichtbaren Knicken heraus, zur Seite. „Heute würde man komisch viktorianische Formen“ besitzt, die nicht zum schätzt, bestimmt und datiert sie Objekte – beson- die Fotografen würden aber stets angeschaut werden, wenn man auf Backen, sondern ausschließlich für kalte Speisen ders oft kommt die fotobegleitete Frage „Butter- faltenlose bevorzugen. Annette Ahrens Spargelstangen herumlutscht. Dabei gedacht sind, hat für Wackelkandidaten einen Tipp oder Käsemesser?“ Sie kuratiert Sammlungen wie kennt zwar den richtigen Gebrauch soll man Spargel ja nicht schneiden.“ parat: „Mit Agar-Agar wird’s nichts.“ Apropos jene des Porzellanmuseums im Wiener Augarten, von Essbesteck und weiß, wie man Ebenso Benimmstandard war es, mit Instagram: Dort wird die Tafelkulturexpertin zu hat die Österreichische Gesellschaft für Koch- und für ein vielgängiges Menü nach tradi- einer Pinzette bei Tisch Gräten aus ihrem Leidwesen häufig Zeugin einer Unkultur, Tafelkultur ins Leben gerufen, durchforstet im tionellen Maßstäben korrekt deckt; dem Fisch zu ziehen, worauf die hüb- gegen die sie demnächst einmal ihre nicht eben leise Auftrag von Kunden Antiquitätenmärkte in ganz dennoch regt sie dazu an, „sich mehr sche Grätenzange in dem Fundus der Stimme erheben wird. „Was mich aufregt, ist, Europa nach fehlenden Serviceeinzelteilen und stat- zu trauen. Ruhig verschiedene Be- Tafelkulturistin verweist. Eines dürfe wenn selbst große Firmen für ihre Food-Stillleben tet Kochbuch- und Filmproduktionen mit ihren Stü- steckfaçons, Servicedekore und Epo- man, apropos Gräten, allerdings nicht vergammeltes, ungeputztes Silberbesteck verwen- cken aus (und hofft, dass nicht wieder Filmfehler chen mischen! Es muss nicht alles aus – zumindest nicht an der Tafel von den, weil sie glauben, das ist Shabby Chic, schön passieren wie damals, als man einer Maria Theresia einem Guss sein.“ Hauptsache, man Zar Alexander, wie Ahrens eine nie- vintage, Industrial Style. Das ist aber der falsche eine englische Tasse in die Hand drückte, die aus verwendet, was man hat. dergeschriebene russische Benimm Ansatz. In meinen Augen ist das einfach ungeputzt, einem späteren Jahrhundert stammte). regel aus jener Epoche zitiert: „Es ist schmutzig, unhygienisch. Ich würde das nicht ver- Annette Ahrens findet sich außerdem als An- verboten, vor lauter Langeweile aus wenden wollen.“ Und: „Ich will jetzt niemanden sprechperson für „immer mehr Leute aus dem Fischgräten Zäune am Tellerrand zu anschwärzen“ – wie passend der deutsche Aus- mittleren Management“ wieder, die unsicher sind, bauen.“ Auf den einstigen Wert von druck in diesem Zusammenhang! –, „aber ich wer- wie sie sich in einem gehobenen Restaurant zu Zucker deuten die versperrbaren de mir künftig anschauen, wer die Foodstylisten verhalten haben. Manche Etikette-Fehler stören sie „Traut euch, auf einer Zuckerdosen hin, wie man sie im sind, und denen schreiben. Viele wissen wohl nicht, mehr als andere. „Wer das Messer in der linken Tafel verschiedene Biedermeier hatte: „Zucker war im wie falsch schwarzes Silber ist.“ Die Tafelkulturis- Hand hält, macht mich ganz nervös. Und wenn 19. Jahrhundert so kostbar, dass man tin könnte ihnen freilich auch wortlos ein Fläsch- jemand besonders nobel sein will und sich ganz oft Stile und Epochen zu ihn vor dem Personal wegsperrte. chen „Polinette“ zukommen lassen, ihr hauseige- den Mund mit der Serviette abtupft, denke ich mir mischen.“ Heute müsste man ihn bei jeder Diät nes Silberputzmittel. Vielleicht mit einem Kärtchen, nur, was machst du da?“ Wenn in Restaurants vor Annette Ahrens vor sich s elber wegsperren.“ Die ein- das da spricht: „Silberputzen ist wie Yoga.“ — 102 A LA CARTE A LA CARTE 103
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